RegistrierenRegistrieren   LoginLogin   FAQFAQ    SuchenSuchen   
Was wollte Schrödinger mit seiner Katze bezwecken?
Gehe zu Seite 1, 2  Weiter 
Neue Frage »
Antworten »
    Foren-Übersicht -> Quantenphysik
Autor Nachricht
manuel459



Anmeldungsdatum: 11.10.2016
Beiträge: 263

Beitrag manuel459 Verfasst am: 19. Feb 2022 23:40    Titel: Was wollte Schrödinger mit seiner Katze bezwecken? Antworten mit Zitat

Hallo,

ich versuche zu verstehen, mit welchen Hintergedanken bzw. mit welchem Ziel Schrödinger dieses Gedankenexperiment (oder Paradoxon) formuliert hat. Es scheint als gäbe es da viele Meinungen darüber. Was war der wirkliche Hintergedanke? - das zu wissen ist mein einziges Anliegen hier.

In diversen (beinahe populärwissenschaftlichen aber auch einschlägigen) Büchern zur Quantenphysik (und deren Interpretation) finden sich folgende Argumente (die Quellen kann ich später gerne nachreichen falls gewünscht):

1) Schrödinger will die Schwachpunkte der Kopenhagener Interpretation, also der Bohrschen Deutung) aufzeigen, nämlich dass Quantenobjekte nicht separabel von der Messung dargestellt werden können, dass Quantenobjekte im Allgemeinen keine objektive Eigenschaft aufweisen und damit keine reale Existenz besitzen, dass es eine Zweiteilung in Makro- und Mikrowelt gibt und, dass erst die Messung realitätskonstruierend ist.

2) Schrödinger will zeigen, dass eine Trennung in Mikro- und Makrowelt keine Lösung sein kann.

3) Schrödinger will zeigen, dass der Kollaps der Wellenfunktion und der Einfluss des Beobachters der Intuition widersprechen (und damit die Kopenhagener Deutung ins Lächerliche ziehen) - dass erst der Kollaps "Licht ins Dunkel" bringt und vorher "beide Zustände gleichzeitig" möglich sind, sei lächerlich.

4) Schrödinger will betonen, dass die Verschränkung zu Nichtlokalität führt und dies das zentrale Problem der Messung in der Quantenphysik ist.

5) Schrödinger wollte Einsteins Widerstand (angelehnt an das EPR Paradoxon) bekräftigen, indem er aufzeigt, dass ein Überlagerungszustand nicht real sein kann (so wie es die Kopenhagener Deutung scheinbar implizieren würde).

6) Hier https://www.physikerboard.de/topic,64985,-zu-schroedingers-kritik-an-der-kopenhagener-interpretation.html wird von etwas ganz anderem gesprochen, das aus meiner Sicht auch besser zum gesamten Artikel von Schrödinger aus dem Jahr 1935 passen würde. Tatsächlich kann ich den Ausführungen von index_razor aber nicht folgen.

So. Zu 1), 3) und 5): Vor dem Hintergrund, dass die Kopenhagener Deutung (ja eh) nicht viel mit Realismus zu tun hat (Bohr meinte, man dürfe das eher als Werkzeug betrachten und der Wellenfunktion keine reale Existenz zugestehen) ist mir schleierhaft, warum Schrödinger mit der Katze genau das kritisieren hätte wollen. Immerhin tut er mit der Behauptung "die Katze wäre in tot und lebendig zugleich" ja genau das, was die Kopenhagener Deutung ja nicht verkörpert - er unterstellt ihr, eine Interpretation zu sein, die dem Realismus zugehörig ist.

Zu 2): Dass Schrödinger zeigen möchte, dass die Trennung in Mikro- und Makrowelt (per Postulat, "basta so ist es") nicht haltbar sei, kommt mir plausibel vor.

Zu 4): Ebenso plausibel, da man erkennt, dass die Nichtlokalität halt nicht mit dem Alltagsdenken zusammenpasst. Jedoch habe ich mir sagen lassen, dass die eigentliche Intention ja doch die Kritik an der Kopenhagener Deutung ist. Dann kann es 4) also nicht sein.

Zu 1) kann ich mir ansonsten gar keinen Reim machen. In 1) steckt auch irgendwo die Rolle des Beobachters drin... Naja - Was stimmt denn nun? Was hat Schrödinger wirklich bezwecken wollen? Falls jemand gute (eindeutige!) Literatur dazu hat, wäre ich natürlich auch sehr froh. Je mehr Quellen ich heranziehe, desto verwirrte werde ich. Womöglich kam die Sache mit dem Heisenbergschen Schnitt ja erst später in die Diskussion. Die Verschränkung ist im restlichen Teil der Veröffentlichung aus dem Jahr 1935 sehr dominant, die er als "Verwaschenheit" bezeichnet.

Vielen Dank im Voraus!
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18062

Beitrag TomS Verfasst am: 20. Feb 2022 08:43    Titel: Antworten mit Zitat

Es geht doch im Kern um folgenden Schlussfolgerung:

Wenn ein Quantensystem, das in einem Zustand präpariert wurde, zu einer entsprechenden Anzeige des Messgerätes mit Zeigerzustand und somit Gesamtzustand



führt, dann resultiert gemäß der unitären und insbs. linearen Zeitentwicklung der Schrödingergleichung eine Superposition des Quantensystems zu einer ebensolchen des Gesamtzustandes



Dies entspricht jedoch nicht unserer makroskopischen Beobachtungen; Messgeräte weisen immer eindeutige Zeigerzustände auf, keine Superpositionen.

Diese Schlussfolgerung kann man aus unterschiedlichen Positionen heraus kritisieren. Eine mögliche Lösung lautet, der psi-Funktionen keine reale Bedeutung zuzuschreiben sondern sie lediglich als „Katalog der Erwartungen“ zu interpretieren. Bei einer realistischen Interpretation erscheint die o.g. Darstellung dagegen unvollständig und muss ergänzt werden.

Es geht bei jeder Diskussion zunächst darum, diese epistemische, ontische o.a. Position zu klären.

Hier ein Originalartikel von Schrödinger

https://homepages.dias.ie/dorlas/Papers/QMSTATUS.pdf
The Present Status of Quantum Mechanics
Die Naturwissenschaften 1935. Volume 23, Issue 48.
E. Schrödinger, Oxford

Ob (4) und (5) für Schrödinger ein Thema waren, weiß ich nicht - ich denke nicht. Die Veröffentlichung dazu stammt aus dem selben Jahr

http://www.drchinese.com/David/EPR.pdf
Can Quantum-Mechanical Description of Physical Reality Be Considered Complete?
Einstein, A.; Podolsky, B.; Rosen, N.
Physical Review, vol. 47, Issue 10, pp. 777-780
May 1935

_________________
Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 20. Feb 2022 09:46    Titel: Antworten mit Zitat

Es geht um die Frage wie quantenmechanische Unschärfen zu deuten sind. Schrödinger diskutiert zwei Möglichkeiten.

1) Es handelt sich, analog zu thermodynamischen Fluktuationen, um Eigenschaften eines (fiktiven) Gibbsschen Ensembles. Die Unschärfen sind danach die Standardabweichungen einer Wahrscheinlichkeitsverteilung über "Mikrozustände", in diesem Zusammenhang auch "streuungsfreie Zustände" genannt, weil alle ihre Unschärfen verschwinden sollen.

Daß dies nicht funktioniert, war damals schon bekannt und z.B. durch von Neumann unter der Annahme bewiesen, daß alle Erwartungswerte innerhalb des Ensembles die gewöhnlichen Zusammenhänge, wie z.B.



haben sollen. Auch Schrödinger nennt ein paar Gegenbeispiele.

2) Nach der zweiten Möglichkeit, die Schrödinger diskutiert, sind die Unschärfen objektive Eigenschaften des Systems. Schrödingers Beispiel ist hier die räumliche Grenze einer Wolke. Diese ist naturgemäß unscharf ohne daß deshalb irgendwelche grundlegenderen Tatsachen über das System unbekannt sind, aus denen eine scharfe Grenze folgen würde. Das Katzenparadoxon soll zeigen, daß sich auch diese Sichtweise nicht so einfach auf die Quantenmechanik übertragen läßt. Dort wird ja mittels deterministischer Zeitentwicklung die Unschärfe einer Größe in einem mikroskopischen System so weit verstärkt, daß sie sich makroskopisch bemerkbar machen würde, was sie aber in diesem Beispiel offensichtlich nicht tun würde.

Dieses Dilemma bildet die Grundlage für die Interpretationsprobleme der Wellenfunktion.
manuel459



Anmeldungsdatum: 11.10.2016
Beiträge: 263

Beitrag manuel459 Verfasst am: 20. Feb 2022 14:38    Titel: Antworten mit Zitat

Danke für eure raschen Antworten.

Das bedeutet aber, dass Schrödinger nicht direkt die Kopenhagener Deutung kritisieren wollte oder? Das verwirrt mich nur deshalb, weil in jedem Buch über die Schrödinger Katze genau das gesagt wird.

Ansonsten - index_razor hast du zufällig ein Buch oder eine sonstige zitierbare Quelle wo das so argumentiert wird? Für mich scheint das am besten mit dem zusammenzupassen, was Schrödinger ja selbst schreibt. Und in dem Sinn ist das ja auch das was TomS schreibt - halt mit dem Hintergrund, dass man dabei davon ausgeht, dass die Superpositionen eben intrinsische Eigenschaften sind und nicht von Unwissenheit über das System im klassischen Sinne herrühren, oder?
manuel459



Anmeldungsdatum: 11.10.2016
Beiträge: 263

Beitrag manuel459 Verfasst am: 20. Feb 2022 17:11    Titel: Antworten mit Zitat

noch ein kleiner Nachtrag: Dass Schrödinger zeigen wollte, dass diese Verwaschenheit eine objektive Eigenschaft des Systems ist, zeigt sich ja wohl auch darin, dass er schreibt

Zitat:
Es ist ein Unterschied zwischen einer verwackelten oder unscharf eingestellten Photographie und einer Aufnahme von Wolken und Nebelschwaden"
.

Hier (https://books.google.at/books?id=_pRuCQAAQBAJ&pg=PA32&lpg=PA32&dq=schr%C3%B6dinger+verwackelte+fotografie&source=bl&ots=Bs6PIDKIWF&sig=ACfU3U3_Cen4z8TP8YETcOFWluP3Xua3BA&hl=de&sa=X&ved=2ahUKEwjC64mf1I72AhX1Q_EDHbE8BDEQ6AF6BAgCEAM#v=onepage&q=schr%C3%B6dinger%20verwackelte%20fotografie&f=false wird das wiederum so interpretiert, dass er damit vermittelt, dass Bohr hier der Beobachtung eine zu große Bedeutung zuschreibt. Er würde die "verwackelte Fotografie" als "Foto von Nebelschwaden" interpretieren - also die "Verwaschenheit" zu Unrecht als objektive Eigenschaft betrachten.

Hier scheint es dann doch wieder um die Kopenhagener Deutung zu gehen grübelnd grübelnd


Zuletzt bearbeitet von manuel459 am 20. Feb 2022 20:55, insgesamt 2-mal bearbeitet
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18062

Beitrag TomS Verfasst am: 20. Feb 2022 17:45    Titel: Antworten mit Zitat

manuel459 hat Folgendes geschrieben:
Das bedeutet aber, dass Schrödinger nicht direkt die Kopenhagener Deutung kritisieren wollte oder? Das verwirrt mich nur deshalb, weil in jedem Buch über die Schrödinger Katze genau das gesagt wird.

Ich kenne keine Darstellungen von ihm selbst, jedoch von Heisenberg in „Der Teil und das Ganze“ über seine Diskussionen im Jahre 1926 zwischen Schrödinger und Bohr: ”Wenn es doch bei dieser verdammten Quantenspringerei bleiben soll, so bedaure ich, mich mit der Quantentheorie überhaupt beschäftigt zu haben.“ *)

Schrödingers Darstellung zielte auf eine Art klassische Wellenmechanik. Sie wurde von vielen Physikern begrüßt, da sie mit der fundamental unanschaulichen Matrizenmechanik Heisenbergs aufzuräumen schien. Heisenberg wollte seine Formulierung ausschließen auf beobachtbaren Größen begründen, d.h. ohne Teilchenbahnen o.ä. 1926 diskutierte Heisenberg dies mit Einstein: „Aber Sie glauben doch nicht im Ernst, dass man in eine physikalische Theorie nur beobachtbare Größen aufnehmen kann.“ Heisenberg: „Haben denn Sie nicht selbst gerade diesen Gedanken zur Grundlage Ihrer Relativitätstheorie gemacht? Sie hatten doch betont, dass man nicht von absoluter Zeit reden dürfe, da man diese absolute Zeit nicht beobachten kann.“ Einstein: „Vielleicht habe ich diese Art von Philosophie verwendet, aber sie ist trotzdem Unsinn … Erst die Theorie entscheidet darüber, was man beobachten kann … Erst die Theorie, das heißt, die Kenntnis der Naturgesetze, erlaubt es uns, aus dem sinnlichen Eindruck auf den zugrunde liegenden Vorgang zu schließen.“ *)

Es ging Schrödinger, Einstein und anderen insbs. um diese realistische Auffassung einer Theorie - im Gegensatz zu den rein epistemisch / positivistisch / instrumentalistischen Auffassung insbs. von Bohr und in der Konsequenz vieler weiterer Physiker. Die Diskussion in den Folgejahren kreiste letztlich darum, dass die Quantenmechanik in dieser Kopenhagener Interpretation fundamental unvollständig ist, da sie eben nicht beschreiben kann, was tatsächlich geschieht, sondern lediglich berechnen kann, was wir messen.

Bohr et al. hatten sich von diesem realistischen Ansatz verabschiedet: "There is no quantum world. There is only an abstract quantum physical description. It is wrong to think that the task of physics is to find out how Nature is. Physics concerns what we can say about Nature."

Arbeiten von von Neumann wurden dahingehend gelesen, dass diese Kopenhagener Interpretation überhaupt die einzig mögliche sei. Diese Diskussion zog sich Jahrzehnte (!) hin.

Bell in einem Interview 1988: „Yet the von Neumann proof, if you actually come to grips with it, falls apart in your hands! There is nothing to it. It’s not just flawed, its silly! ...When you translate [his assumptions] into terms of physical disposition, they’re nonsense. You may quote me on that: The proof of von Neumann is not merely false but foolish!“ Ich kenne nicht die Intention von Neumanns, aber umgekehrt gab es durch massive Angriffe aus Kopenhagen gegen Bell.

Der Punkt ist, es ging in allen Diskussionen (Einstein, Schrödinger, später Bell u.a.) um den Realitätsbegriff, bei Einstein (EPR) auch um den Lokalitätsbegriff. Vieles weitere - auch die Katze - ist sozusagen Beiwerk, in dem Sinne, dass exemplarisch gezeigt werden sollte, an welchen Stellen die Quantenmechanik in der Kopenhagener Lesart diesbzgl. scheitert. Das wird jedoch oft missverstanden dahingehend, dass z.B. die Ansicht vertreten wird, Einstein, Schrödinger u.a. hätten „nur“ gegen eine statische Interpretation argumentiert. Einstein hat dies sicher nicht, er hat selbst maßgeblich zur Quantenstatistik gearbeitet. Das Problem saß (sitzt) tiefer, nämlich dass es in gewisser Weise unmöglich ist, dass es überhaupt eine fundamentalere, vollständige und realistische Theorie geben könne - was in der klassischen statischen Mechanik ja problemlos möglich ist.

Das ist der von index_razor o.g. Punkt, dass wir weder diese makroskopischen Superpositionen beobachten, noch dass wir überhaupt annehmen dürfen, es handle sich um eine Art Ensemble von an sich scharfen und realistischen Zuständen. Insofern argumentiert Schrödinger sicher ganz grundsätzlich gegen die Kopenhagener Lesart der Quantenmechanik, an dieser einen Stelle eben gegen einen bestimmten Aspekt.

*) Heisenberg, Der Teil und das Ganze, R. Piper & Co. Verlag, 1969
**) nach: Josef Maria Jauch and Constantin Piron, Can hidden variables be excluded in quantum mechanics? Helvetica Physica Acta, 36:827–837, 1963

_________________
Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
manuel459



Anmeldungsdatum: 11.10.2016
Beiträge: 263

Beitrag manuel459 Verfasst am: 20. Feb 2022 19:13    Titel: Antworten mit Zitat

Zitat:
Bohr et al. hatten sich von diesem realistischen Ansatz verabschiedet: "There is no quantum world. There is only an abstract quantum physical description. It is wrong to think that the task of physics is to find out how Nature is. Physics concerns what we can say about Nature."


Ist es demnach nicht falsch (wie von vielen Büchern behauptet), dass nach der Kopenhagener Deutung die Katze "tot und lebendig gleichzeitig" sein würde? Weiters wird ja oft gesagt, Schrödinger hätte genau das versucht zu sagen, nämlich dass die Kopenhagener Deutung fälschlicherweise sagen würde, die Katze wäre tot und lebendig gleichzeitig.


Zitat:
Der Punkt ist, es ging in allen Diskussionen (Einstein, Schrödinger, später Bell u.a.) um den Realitätsbegriff, bei Einstein (EPR) auch um den Lokalitätsbegriff. Vieles weitere - auch die Katze - ist sozusagen Beiwerk, in dem Sinne, dass exemplarisch gezeigt werden sollte, an welchen Stellen die Quantenmechanik in der Kopenhagener Lesart diesbzgl. scheitert.


Inwiefern scheitert die Quantenmechanik dann in der Kopenhagener Lesart? In der Hinsicht, dass sie zwei Optionen einer realistischen Interpretation lässt ((1) und 2) aus dem Beitrag von index_razor vom 20.02.2022 um 09:46)), aber beide nicht richtig sein können (wie von index_razor argumentiert)?

Könnt ihr beiden da eine historische Zusammenschau in Form eines Buchs empfehlen die euren Ausführungen ähnelt? Bisher habe ich das nirgends so schlüssig und vor allem vollständig/richtig erklärt gesehen. Big Laugh
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 20. Feb 2022 19:22    Titel: Antworten mit Zitat

manuel459 hat Folgendes geschrieben:

Das bedeutet aber, dass Schrödinger nicht direkt die Kopenhagener Deutung kritisieren wollte oder? Das verwirrt mich nur deshalb, weil in jedem Buch über die Schrödinger Katze genau das gesagt wird.


Was wir heute die "Kopenhagener Deutung" nennen, war für Schrödinger einfach der "gegenwärtige Stand der Quantenmechanik", bzw. die "vorherrschende Lehrmeinung". Die Alternativen von Bohm, Everett oder anderen gab es ja noch nicht. Auch der Begriff "Kopenhagener Deutung" stammt offenbar aus einer späteren Zeit. Ich denke es wird ihm einfach um eine "Kritik" im Sinne einer Auseinandersetzung mit dem damaligen Stand der Erkenntnis gegangen sein, nicht darum etwas lächerlich zu machen.

Zitat:

Ansonsten - index_razor hast du zufällig ein Buch oder eine sonstige zitierbare Quelle wo das so argumentiert wird?


Was ich hier und in dem anderen Thread geschrieben habe, ist nur meine eigene Interpretation von Schrödingers Artikel.


Zuletzt bearbeitet von index_razor am 20. Feb 2022 20:20, insgesamt einmal bearbeitet
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 20. Feb 2022 19:28    Titel: Antworten mit Zitat

manuel459 hat Folgendes geschrieben:
noch ein kleiner Nachtrag: Dass Schrödinger zeigen wollte, dass diese Verwaschenheit eine objektive Eigenschaft des Systems ist, zeigt sich ja wohl auch darin, dass er schreibt

Zitat:
Es ist ein Unterschied zwischen einer verwackelten oder unscharf eingestellten Photographie und einer Aufnahme von Wolken und Nebelschwaden"
.


Schrödinger wollte zeigen, daß die quantenmechanische Unschärfe keine objektive Eigenschaft des Systems sein kann. Das ist sein Fazit aus §5
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 20. Feb 2022 20:17    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:

Bohr et al. hatten sich von diesem realistischen Ansatz verabschiedet: "There is no quantum world. There is only an abstract quantum physical description. It is wrong to think that the task of physics is to find out how Nature is. Physics concerns what we can say about Nature."


Hierzu habe ich diesen kurzen, aber interessanten Artikel von Mermin gefunden. Die Aussage stammt offenbar nicht von Bohr selbst, sondern ist Aage Petersons Versuch einer sinngemäßen Zusammenfassung von Bohrs Standpunkt (publiziert nach Bohrs Tod). Am Ende des Artikel steht ein Zitat aus erster Hand, das nach Mermins Meinung dem von Peterson am nächsten kommt. Ob es nah genug ist, mag jeder selbst beurteilen. Nach Mermins Schlußfolgerung ist Petersons Lesart plausibel. Interessant ist allerdings, daß Bohrs Aussage eigentlich nichts über die Existenz einer "Quantenwelt" behauptet, sondern lediglich die (seine eigene?) "gegenwärtige Auffassung" über das Verhältnis zwischen Physik und Empirie wiedergibt.

Zitat:

Arbeiten von von Neumann wurden dahingehend gelesen, dass diese Kopenhagener Interpretation überhaupt die einzig mögliche sei. Diese Diskussion zog sich Jahrzehnte (!) hin.

Bell in einem Interview 1988: „Yet the von Neumann proof, if you actually come to grips with it, falls apart in your hands! There is nothing to it. It’s not just flawed, its silly! ...When you translate [his assumptions] into terms of physical disposition, they’re nonsense. You may quote me on that: The proof of von Neumann is not merely false but foolish!“ Ich kenne nicht die Intention von Neumanns, aber umgekehrt gab es durch massive Angriffe aus Kopenhagen gegen Bell.


Nach unserer letzten Diskussion zu dem Thema löst dieses Zitat von Bell bei mir ein erhebliches Maß an Fremdscham aus. Die Intention von Neumanns ist m.E. ohne Belang. Sein Beweis spricht für sich selbst und ist alles andere als dumm, albern oder falsch.


P.S.: Kann jemand den Link in diesem Beitrag verkürzen? Er verhunzt gerade ziemlich das Layout der Threadansicht.


Zuletzt bearbeitet von index_razor am 20. Feb 2022 20:45, insgesamt einmal bearbeitet
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18062

Beitrag TomS Verfasst am: 20. Feb 2022 20:44    Titel: Antworten mit Zitat

Zum Zitat von Bohr habe ich unterschiedliche Quellen gefunden.

Die Wortwahl Bells ist übertrieben, und die Interpretation des Beweises von Neumanns muss bzw. kann man nicht unbedingt von Neumann selbst zuschreiben. Aber Tatsache ist, dass auf Basis dieses Beweises argumentiert wurde, eine realistische Interpretation der Quantenmechanik sei beweisbar unmöglich; und genau diese Aussage ist selbst bekanntermaßen falsch, wie die Arbeiten von Bohm zeigen.

_________________
Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
manuel459



Anmeldungsdatum: 11.10.2016
Beiträge: 263

Beitrag manuel459 Verfasst am: 20. Feb 2022 20:50    Titel: Antworten mit Zitat

Das mit den Links habe ich versucht, leider aber nirgends eine Hyperlink-Funktion gefunden. Gleichzeitig möchte ich nochmal auf meinen letzten Beitrag aufmerksam machen und um eine Reaktion darauf bitten smile

Edit: Link sollte so besser sein (Schriftgröße wurde auf 3 verringert).
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18062

Beitrag TomS Verfasst am: 20. Feb 2022 21:23    Titel: Antworten mit Zitat

manuel459 hat Folgendes geschrieben:
Ist es demnach nicht falsch (wie von vielen Büchern behauptet), dass nach der Kopenhagener Deutung die Katze "tot und lebendig gleichzeitig" sein würde?

Ich weiß nicht, in welchen Büchern dies angeblich so behauptet wird.

Die Katze wäre dann „tot und lebendig gleichzeitig“, wenn die Wellenfunktion eine Beschreibung der Realität wäre. Aber genau das ist sie nach Kopenhagen nicht.

Damit bleiben diverse Argumente gegen Kopenhagen weiterhin sinnvoll, aber gerade dieses eben nicht, weil es gegen eine Sichtweise gerichtet ist, die Kopenhagen so nicht vertritt.

manuel459 hat Folgendes geschrieben:
Weiters wird ja oft gesagt, Schrödinger hätte genau das versucht zu sagen, nämlich dass die Kopenhagener Deutung fälschlicherweise sagen würde, die Katze wäre tot und lebendig gleichzeitig. würde?

Auch dazu weiß ich nicht, wo das so dargestellt wird.

M.E. hat Schrödinger nicht behauptet, dass die Kopenhagener Deutung fälschlicherweise sagen würde, „die Katze wäre tot und lebendig gleichzeitig“. Er hat argumentiert, dass die „Kopenhagener Deutung“ nicht realistisch interpretiert werden kann, weil daraus fälschlicherweise folgen würde „die Katze wäre tot und lebendig gleichzeitig“. Das ist aber nicht das selbe.

manuel459 hat Folgendes geschrieben:
Inwiefern scheitert die Quantenmechanik dann in der Kopenhagener Lesart?

Sie liefert keine realistische Interpretation des Formalismus der Quantenmechanik. Das ist aber sicher nicht der Anspruch aller Physiker.

manuel459 hat Folgendes geschrieben:
Bisher habe ich das nirgends so schlüssig und vor allem vollständig/richtig erklärt gesehen.

Das wird auch nicht so einfach sein, weil in den Diskussionen offensichtlich immer wieder aneinander vorbeigeredet wurde. Es gab oder gibt auch nicht „die“ Kopenhagener Interpretation, sondern eine lose und in sich nicht wirklich geschlossene und konsistente Darstellung.

_________________
Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.


Zuletzt bearbeitet von TomS am 20. Feb 2022 21:35, insgesamt einmal bearbeitet
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 20. Feb 2022 21:33    Titel: Antworten mit Zitat

manuel459 hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Bohr et al. hatten sich von diesem realistischen Ansatz verabschiedet: "There is no quantum world. There is only an abstract quantum physical description. It is wrong to think that the task of physics is to find out how Nature is. Physics concerns what we can say about Nature."


Ist es demnach nicht falsch (wie von vielen Büchern behauptet), dass nach der Kopenhagener Deutung die Katze "tot und lebendig gleichzeitig" sein würde? Weiters wird ja oft gesagt, Schrödinger hätte genau das versucht zu sagen, nämlich dass die Kopenhagener Deutung fälschlicherweise sagen würde, die Katze wäre tot und lebendig gleichzeitig.


Ja, das ist falsch. Niemand hat je behauptet, die Katze wäre beides. Und Schrödinger hat sicher nicht gemeint, daß eine solche Behauptung der "gegenwärtigen Situation in der Quantenmechanik" entspricht.

Zitat:

Zitat:
Der Punkt ist, es ging in allen Diskussionen (Einstein, Schrödinger, später Bell u.a.) um den Realitätsbegriff, bei Einstein (EPR) auch um den Lokalitätsbegriff. Vieles weitere - auch die Katze - ist sozusagen Beiwerk, in dem Sinne, dass exemplarisch gezeigt werden sollte, an welchen Stellen die Quantenmechanik in der Kopenhagener Lesart diesbzgl. scheitert.


Inwiefern scheitert die Quantenmechanik dann in der Kopenhagener Lesart? In der Hinsicht, dass sie zwei Optionen einer realistischen Interpretation lässt ((1) und 2) aus dem Beitrag von index_razor vom 20.02.2022 um 09:46)), aber beide nicht richtig sein können (wie von index_razor argumentiert)?


Das scheint zumindest Schrödingers Auffassung zu sein. Die Argumente gegen Option 2) (objektive Unsicherheit) sind aber m.E. nicht so stichhaltig wie von Neumanns Argumente gegen Option 1) (streuungsfreie Zustände). Das ist aber eine ganz andere Diskussion.

Zitat:

Könnt ihr beiden da eine historische Zusammenschau in Form eines Buchs empfehlen die euren Ausführungen ähnelt? Bisher habe ich das nirgends so schlüssig und vor allem vollständig/richtig erklärt gesehen. :D


Nein, ich kenne zu dem Thema auch nur den Originalartikel von Schrödinger und noch einige andere zum Meßproblem. Eine gute Übersicht über viele relevante Arbeiten liefert Wheeler, Zurek (Hrsg.), Quantum Theory and Measurement.


Zuletzt bearbeitet von index_razor am 20. Feb 2022 21:57, insgesamt einmal bearbeitet
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18062

Beitrag TomS Verfasst am: 20. Feb 2022 21:37    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Niemand hat je behauptet, die Katze wäre beides.

Einige Anhänger der Viele-Welten-Interpretation behaupten genau das.

_________________
Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 20. Feb 2022 21:42    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
Niemand hat je behauptet, die Katze wäre beides.

Einige Anhänger der Viele-Welten-Interpretation behaupten genau das.


Das ist nur Semantik. Die Behauptung ist ununterscheidbar von der, daß es zwei Katzen gibt, von denen je eine tot und die andere lebendig ist. Ob man den Gesamtzustand als eine Katze oder jeden relativen Zustand als eine Katze bezeichnet, ist lediglich eine Frage der Wortwahl.
manuel459



Anmeldungsdatum: 11.10.2016
Beiträge: 263

Beitrag manuel459 Verfasst am: 20. Feb 2022 21:53    Titel: Antworten mit Zitat

Toll! Ich bin sehr froh, dass ihr euch die Zeit genommen habt, meine Fragen zu beantworten. Damit ist endlich etwas geklärt, was mich seit einiger Zeit gestört hat. Nun kann ich wieder ruhig schlafen. Vielen Dank!! Big Laugh
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18062

Beitrag TomS Verfasst am: 20. Feb 2022 22:04    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
TomS hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
Niemand hat je behauptet, die Katze wäre beides.

Einige Anhänger der Viele-Welten-Interpretation behaupten genau das.


Das ist nur Semantik. Die Behauptung ist ununterscheidbar von der, daß es zwei Katzen gibt, von denen je eine tot und die andere lebendig ist.

Richtig, beide Aussagen sind äquivalent.

Aber beide Aussagen, „die Katze ist zugleich lebendig und tot“ bzw. „es resultieren zwei Katzen, eine davon lebendig und eine tot“ behaupten etwas anderes als unsere Anschauung, „es existiert genau eine Katze, entweder lebendig oder tot“.

_________________
Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 20. Feb 2022 22:21    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
TomS hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
Niemand hat je behauptet, die Katze wäre beides.

Einige Anhänger der Viele-Welten-Interpretation behaupten genau das.


Das ist nur Semantik. Die Behauptung ist ununterscheidbar von der, daß es zwei Katzen gibt, von denen je eine tot und die andere lebendig ist.

Richtig, beide Aussagen sind äquivalent.

Aber beide Aussagen, „die Katze ist zugleich lebendig und tot“ bzw. „es resultieren zwei Katzen, eine davon lebendig und eine tot“ behaupten etwas anderes als unsere Anschauung, „es existiert genau eine Katze, entweder lebendig oder tot“.


Ja, aber meine anschauliche Behauptung war nicht 1) "Es existiert genau eine Katze...", sondern 2) "Keine Katze ist sowohl tot, als auch lebendig." Niemand hat, abgesehen von Semantik, je etwas anderes behauptet als 2).
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 20. Feb 2022 22:33    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:

Die Wortwahl Bells ist übertrieben, und die Interpretation des Beweises von Neumanns muss bzw. kann man nicht unbedingt von Neumann selbst zuschreiben. Aber Tatsache ist, dass auf Basis dieses Beweises argumentiert wurde, eine realistische Interpretation der Quantenmechanik sei beweisbar unmöglich; und genau diese Aussage ist selbst bekanntermaßen falsch, wie die Arbeiten von Bohm zeigen.


Bell kritisiert nicht, daß von Neumanns Beweis falsch verstanden wurde, sondern er nennt den Beweis selbst albern, falsch und dumm. Diese Einschätzung ist, bei allem Respekt, blamabel, und keine Umformulierung hätte daran etwas ändern können, sofern sie nicht im wesentlichen einer Rücknahme gleichkäme.

Außer Bells eigener Behauptung kenne ich auch keine Hinweise auf die von dir genannte Fehlinterpretation des Beweises, schon gar nicht seitens prominenter "Kopenhagener". Kennst du welche?


Zuletzt bearbeitet von index_razor am 20. Feb 2022 22:36, insgesamt einmal bearbeitet
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18062

Beitrag TomS Verfasst am: 20. Feb 2022 22:36    Titel: Antworten mit Zitat

Ich denke, das Problem ist genau diese Semantik, weil es uns nicht gelingt, die Folgerung aus dem mathematischen Formalismus anschaulich und zugleich präzise umgangssprachlich zu formulieren.

Carroll: „… the quantum state branches into certain kinds of worlds (e.g., ones where cats are awake or ones where cats are asleep) and not others (where cats are in superpositions of both)? “

Natürlich ist diese Verzweigung letztlich wieder nur Semantik, aber die besagt zumindest, dass es sich nicht um eine gewöhnliche uns vertraute Situation zweier insbs. räumlich getrennter Katzen handelt.

_________________
Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18062

Beitrag TomS Verfasst am: 20. Feb 2022 22:43    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Bell kritisiert nicht, daß von Neumanns Beweis falsch verstanden wurde, sondern er nennt den Beweis selbst albern, falsch und dumm.

Ich mag hier nicht über persönliche Befindlichkeiten diskutieren. Die Formulierung waren auf beiden Seiten genau das - blamabel. War ein Fehler von mir, gerade dieses polarisierende Zitat rauszupicken.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Außer Bells eigener Behauptung kenne ich auch keine Hinweise auf die von dir genannte Fehlinterpretation des Beweises, schon gar nicht seitens prominenter "Kopenhagener". Kennst du welche?

Die hatte ich sogar schon mal rausgesucht. Ich kann das gerne nochmal tun.

_________________
Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
manuel459



Anmeldungsdatum: 11.10.2016
Beiträge: 263

Beitrag manuel459 Verfasst am: 20. Feb 2022 22:48    Titel: Antworten mit Zitat

Der Vollständigkeit halber: Die Behauptung, in mancher Literatur werde behauptet, Schrödinger unterstelle der Kopenhagener Deutung (=der damalige Stand der Quantenphysik), sie betrachte die Katze als tot und lebendig gleichzeitig, zurück. Ebenso nehme ich zurück, dass diese Literatur sagen würde, Schrödinger hätte dies von der Kopenhagener Lesart behauptet.


Mein Problem war wohl, dass in keiner dieser Quellen dazugesagt wird, dass Schrödinger darauf hinaus will, dass eigentlich seine bzw. irgendeine (realistische) Interpretation mit dieser Kopenhagener Deutung nicht vereinbar sei. Natürlich meint man, sofern nicht anders erläutert, wenn Schrödinger dieses "gleichzeitige tot und lebendig sein" bemängelt, dass das die Position des Gegenüber (der Kopenhagener Lesart) ist.

Im englischen Wikipedia zu Schrödingers Katze findet man etwa "According to Schrödinger, the Copenhagen interpretation implies that the cat remains both alive and dead until the state has been observed."

Ohne den Kontext, den ich hier von euch gelernt habe, ist es wohl legitim, das wie eben erklärt und damit falsch zu verstehen. Den Teil "implies if one takes a realist approach that the cat..." muss man sich da einfach dazudenken. Womit wir wieder bei der Uneindeutigkeit der Sprache wären
Hammer
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 21. Feb 2022 08:34    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
Bell kritisiert nicht, daß von Neumanns Beweis falsch verstanden wurde, sondern er nennt den Beweis selbst albern, falsch und dumm.

Ich mag hier nicht über persönliche Befindlichkeiten diskutieren. Die Formulierung waren auf beiden Seiten genau das - blamabel. War ein Fehler von mir, gerade dieses polarisierende Zitat rauszupicken.


Was wolltest du denn mit dem Zitat belegen? Daß sich jeder mal blamiert? Es ist eigenartig, daß du auf meine Kritik an Bells Aussage nur mit "Stell dich nicht so an, die andere Seite war genauso schlimm" reagierst.

Da ich mich vor einiger Zeit zwecks unserer damaligen Diskussion genauer mit von Neumanns Argument auseinandergesetzt habe, wollte ich Bells drastische Fehleinschätzung dazu nicht unkommentiert stehenlassen. Mir ist egal von welcher "Seite" sie kommt. Und das hat nichts mit meinen persönlichen Befindlichkeiten zu tun, sondern mit dem Wunsch einen falschen Eindruck über die Bedeutung des Beweises zu vermeiden.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Außer Bells eigener Behauptung kenne ich auch keine Hinweise auf die von dir genannte Fehlinterpretation des Beweises, schon gar nicht seitens prominenter "Kopenhagener". Kennst du welche?

Die hatte ich sogar schon mal rausgesucht. Ich kann das gerne nochmal tun.


Hattest du sie irgendwo gepostet? In dem anderen Thread habe ich nichts gefunden. Du hattest zwar ein paar abschätzige Kritiken (z.B. von Rosenfeld) über die Arbeiten anderer zur Quantenmechanik erwähnt. Aber diese bezogen sich, soweit ich sehe, nicht auf von Neumanns Beweis. Eine deiner Quellen (Olival Freire, Science and Exile) widerspricht sogar eher deiner Behauptung. Zitat:

"Indeed, its focus on von Neumann’s proof may not afford a comprehensive view of the monopolies Bohm was challenging with his “subversion strategy.” von Neumann’s proof was just part of what I am calling, after Jammer, the monocracy of the Copenhagen school. That proof did not play a role, for instance in the arguments by Rosenfeld, Pauli, and Heisenberg, nor did it play a role in the skepticism of physicists who were interested in other issues of research, like Feynman, Beck, and Leite Lopes." (S.40)

Das paßt ganz gut zu dem, was ich aus dem Artikel von Dieks in Erinnerung habe: das Desinteresse an Bohms Arbeit hatte praktisch nichts mit einer Fehlinterpretation von von Neumanns Beweis zu tun. Hier nochmal was Dieks dazu schreibt:

"Finally, we review some contemporary observations (from the nineteenfifties) on how von Neumann’s proof relates to the hidden-variables theories of Bohm and de Broglie. As will become clear, both major Copenhagenists and prominent hidden variables proponents understood what had actually been proved by von Neumann. If anything, it appears that a clear rhetorical use of von Neumann’s result was first of all made by opponents of Copenhagen, who used the alleged obvious fallacy in the proof to cast doubt on the scientific judgment of the Copenhagen circle (or clique), thus discrediting the Copenhagen interpretation itself by implication."
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18062

Beitrag TomS Verfasst am: 21. Feb 2022 13:05    Titel: Antworten mit Zitat

Ich hatte geschrieben:
Zitat:
Ich mag hier nicht über persönliche Befindlichkeiten diskutieren. Die Formulierung waren auf beiden Seiten genau das - blamabel. War ein Fehler von mir, gerade dieses polarisierende Zitat rauszupicken.

Warum kannst du das nicht auf sich beruhen lassen?

Aufgrund deines Tonfalls habe ich eigentlich keine Lust mehr, mit dir zu diskutieren.


Nochmal zu meiner Intention: Ich habe exemplarisch einige Zitate angeführt, die zeigen, dass die Diskussionen eben nicht im engeren Sinne um Physik kreisten sondern um Interpretationen der Physik, dass dabei polemisiert und unsachlich diskutiert und teilweise aneinander vorbeigeredet wurde. Das betrifft beide Seiten, und dabei nicht nur die originalen Quellen sondern auch die späteren Zusammenfassung dieser Diskussionen. Ich würde mich jedenfalls nicht trauen, zu sagen: "lies dieses Buch, da wird das alles umfassend und objektiv dargestellt".

_________________
Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 21. Feb 2022 15:40    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
Ich hatte geschrieben:
Zitat:
Ich mag hier nicht über persönliche Befindlichkeiten diskutieren. Die Formulierung waren auf beiden Seiten genau das - blamabel. War ein Fehler von mir, gerade dieses polarisierende Zitat rauszupicken.

Warum kannst du das nicht auf sich beruhen lassen?

Aufgrund deines Tonfalls habe ich eigentlich keine Lust mehr, mit dir zu diskutieren.


Ich verstehe wirklich nicht, weshalb du jetzt gleich eingeschnappt bist. Vielleicht denkst du ich werfe dir vor Bell zitiert zu haben. Das tue ich gar nicht. Mich interessiert einfach, ähnlich wie manuel459, die historische Entwicklung der Quantenmechanik und ihrer Interpretationen. Deshalb habe ich 1) das Zitat von Bell kommentiert, dem du scheinbar Bedeutung beimißt und dessen Inhalt ich für eine krasse Fehleinschätzung (und folglich für historisch irrelevant) halte. Das hast du dann als "persönliche Befindlichkeiten" abgetan, was es nie war. Und 2) habe ich nach Belegen für deine Behauptung gefragt, von Neumanns Beweis sei von Vertretern der Kopenhagener Interpretation derart falsch interpretiert worden, daß er alle anderen Interpretationen auschließe. Ich halte das für absolut unplausibel, denn der Beweis hat offensichtlich nur Implikationen für Theorien verborgener Parameter und nicht für alle anderen Interpretationen. Ich selbst kenne auch keinerlei Belege für Fehlinterpretationen seitens der Kopenhagener, sondern eher Indizien für das Gegenteil. Genau deshalb interessieren sie mich nach wie vor. Warum soll ich das auf sich beruhen lassen?

Zitat:

Nochmal zu meiner Intention: Ich habe exemplarisch einige Zitate angeführt, die zeigen, dass die Diskussionen eben nicht im engeren Sinne um Physik kreisten sondern um Interpretationen der Physik, dass dabei polemisiert und unsachlich diskutiert und teilweise aneinander vorbeigeredet wurde. Das betrifft beide Seiten, und dabei nicht nur die originalen Quellen sondern auch die späteren Zusammenfassung dieser Diskussionen. Ich würde mich jedenfalls nicht trauen, zu sagen: "lies dieses Buch, da wird das alles umfassend und objektiv dargestellt".


Ich verspreche mir überhaupt nichts davon die Polemiken beider "Seiten" gegeneinander aufzuwiegen. Ich weiß ehrlich gesagt nicht mal von welchen beiden "Seiten" hier überhaupt die Rede ist. Meine Intention ist eher die Polemik herauszuhalten und die historischen Tatsachen zu klären. Ich hatte gehofft, daß diese dich auch interessieren. Aber anscheinend interessiert dich nicht mal, was deine eigenen Quellen zu dem Thema sagen, sonst würden wir vermutlich jetzt über Olival Freires, "Science and Exile" reden.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18062

Beitrag TomS Verfasst am: 21. Feb 2022 23:35    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Ich verstehe wirklich nicht, weshalb du jetzt gleich eingeschnappt bist. Vielleicht denkst du ich werfe dir vor Bell zitiert zu haben. Das tue ich gar nicht.

Dann ist‘s ja gut.


index_razor hat Folgendes geschrieben:
Mich interessiert einfach, ähnlich wie manuel459, die historische Entwicklung der Quantenmechanik und ihrer Interpretationen. Deshalb habe ich 1) das Zitat von Bell kommentiert, dem du scheinbar Bedeutung beimißt und dessen Inhalt ich für eine krasse Fehleinschätzung (und folglich für historisch irrelevant) halte.

Und genau das - historisch irrelevant - ist es eben gerade nicht.

Es mag sachlich irrelevant, aber eben nicht historisch, weil es zeigt, wie argumentiert wurde - und zwar offensichtlich über Jahrzehnte.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Und 2) habe ich nach Belegen für deine Behauptung gefragt, von Neumanns Beweis sei von Vertretern der Kopenhagener Interpretation derart falsch interpretiert worden, daß er alle anderen Interpretationen auschließe. Ich halte das für absolut unplausibel, denn der Beweis hat offensichtlich nur Implikationen für Theorien verborgener Parameter und nicht für alle anderen Interpretationen.

Aber das ist doch der Punkt.

Bell hat sich explizit mit Bohm und der - in Teilen völlig unsachlichen Kritik daran - befasst. Man kann die Teilchenorte und -geschwindigkeiten bei Bohm tatsächlich als die verborgenen Parameter auffassen, die eben immer einen präzisen wenn auch unbekannten Wert haben. Insofern erreicht die Bohmsche Mechanik exakt das, was „Kopenhagen“ meinte, ausschließen zu müssen - eine realistische Interpretation der Quantenmechanik, wobei klassische und Quantenwelt den selben Gesetzen folgen.


index_razor hat Folgendes geschrieben:
Warum soll ich das auf sich beruhen lassen?

Weil es nicht das ist, was ich hier exemplarisch aufzeigen wollte.

Zitat:
Meine Intention ist eher die Polemik herauszuhalten und die historischen Tatsachen zu klären.

Aber du kannst sie geäußerte Polemik nicht heraushalten, wenn du die historischen Tatsachen diskutieren willst, weil Missverständnisse, Polemik usw. essentieller Bestandteil der Diskussion war.

Natürlich wollten verschiedene Gruppen von Physikern über Physik diskutieren, aber es ist ihnen oft nicht gelungen, weil sie unterschiedliche Vorstellungen von Physik hatten.

Es gab mehrere Strömungen, auch verwoben mit der europäischen Geistesgeschichte. Eine realistische Strömung (z.B. Einstein, der sich letztlich von der Machschen Position abgewandt hatte; Bohm, der selbst einen Schwenk vom Kopenhagener Instrumentalismus zum Realismus vollzogen hat) sowie eine fundamental instrumentalistische Ausrichtung insbs. um Bohr (u.a. beeinflusst durch den Wiener Kreis). Das mag für die Physik im Kern nicht relevant sein, es war jedoch prägend für die Diskussion und Interpretation.


Wenn man Heisenbergs „Der Teil und das Ganze liest“, dann drängt sich der Eindruck auf, der Vorwurf Heisenbergs gegen Schrödinger und Einstein sei deren Ablehnung einer statischen Interpretation der Quantenmechanik.

Aber das ist eben nicht der zentrale Punkt.

Schrödinger mit der „Quantenspringerei“ und Einsteins Erwiderung an Born, er sei überzeugt „daß der nicht würfelt“ haben irrigerweise zu der Auffassung geführt, dass diese statischen Interpretation der zentrale Kritikpunkt sei. Dem Zitat geht aber „die Quantenmechanik ist sehr achtunggebietend. Aber eine innere Stimme sagt mir, daß das noch nicht der wahre Jakob ist. Die Theorie liefert viel, aber dem Geheimnis des Alten bringt sie uns kaum näher.“ voraus. Einsteins Kritik geht in die Richtung einer fundamentalen Unvollständigkeit bzw. der Unmöglichkeit einer nicht realistisch Interpretation.

Und dass Schrödinger in dem zuvor gedienten Artikel nicht unbedingt gegen eine statische Interpretation im Allgemeinen argumentiert, sondern die prinzipielle Unmöglichkeit eine nicht-statischen Interpretation aufzeigt - was er natürlich im Kontext seiner Kritik versteht - das hast du selbst ausgeführt.

Liest man Heisenberg - und ich denke, Bohr selbst und einige andere waren der selben Ansicht - so kommt man zu der Einsicht, die „Kopenhagener“ seien der Meinung gewesen, sie hätten alle Einwände insbs. seitens Einstein widerlegt. Aber das haben sie natürlich nicht, denn Einstein hat ja gar nicht behauptet, die instrumentalistische Position sei falsch oder unzutreffend, er hielt sie für unbefriedigend - „nicht den wahre Jakob“. Bohr et al. hatten aus ihrer instrumentalistischen Sichtweise heraus betrachtet natürlich recht. Einstein hat dies auch nie in Zweifel gezogen, sondern anhand seiner Beispiele aufzeigen wollen, dass gerade die Notwendigkeit dieser instrumentalistischen Sichtweise unbefriedigend sei. Zumindest bei Heisenberg liest es sich so, dass er die Motivation Eineteins nicht verstanden hat.


Ausgangspunkt meiner Argumente war die Erkenntnis, dass diese Kritikpunkte und Debatten oft falsch dargestellt werden. Beispiel aus Wikipedia:

Zitat:
Bei Schrödingers Katze handelt es sich um ein Gedankenexperiment aus der Physik, das 1935 von Erwin Schrödinger beschrieben wurde, um einen wesentlichen Schwachpunkt der Kopenhagener Interpretation der Quantenmechanik in Bezug auf die physikalische Realität aufzuzeigen. Es problematisiert die Kopenhagener Deutung der Quantenphysik … in Form eines Paradoxons. Das Paradoxon besteht erstens darin, dass in dem Gedankenexperiment eine Katze in einen Zustand gebracht wird, in dem sie nach der Kopenhagener Deutung gleichzeitig „lebendig“ und „tot“ ist.


Und der letzte Satz ist schlicht falsch!

Die Kopenhagener Deutung sagt genau dies sicher nicht, weil sie es prinzipiell ablehnt, Aussagen über nicht-beobachtbare und insbs. nicht-beobachtete und zugleich „reale“ Zustände und Vorgänge zu machen.

Was zeigt das? Dass diese fundamentale Missverständnisse - teilweise Ahnungslosigkeit - bis heute nicht ausgeräumt sind. U.a. das wollte ich exemplarisch zeigen, dieses wechselweise aneinander vorbeireden, sich missverstehen usw.

_________________
Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 22. Feb 2022 11:45    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Mich interessiert einfach, ähnlich wie manuel459, die historische Entwicklung der Quantenmechanik und ihrer Interpretationen. Deshalb habe ich 1) das Zitat von Bell kommentiert, dem du scheinbar Bedeutung beimißt und dessen Inhalt ich für eine krasse Fehleinschätzung (und folglich für historisch irrelevant) halte.

Und genau das - historisch irrelevant - ist es eben gerade nicht.

Es mag sachlich irrelevant, aber eben nicht historisch, weil es zeigt, wie argumentiert wurde - und zwar offensichtlich über Jahrzehnte.


Selbst wenn es wahr wäre, daß dieser Stil über Jahrzehnte die Diskussion geprägt hat, was ich bezweifle, lernt man mehr und interessanteres aus den sachlichen Argumenten, die damals ausgetauscht wurden, als aus den unsachlichen.

TomS hat Folgendes geschrieben:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Und 2) habe ich nach Belegen für deine Behauptung gefragt, von Neumanns Beweis sei von Vertretern der Kopenhagener Interpretation derart falsch interpretiert worden, daß er alle anderen Interpretationen auschließe. Ich halte das für absolut unplausibel, denn der Beweis hat offensichtlich nur Implikationen für Theorien verborgener Parameter und nicht für alle anderen Interpretationen.

Aber das ist doch der Punkt.

Bell hat sich explizit mit Bohm und der - in Teilen völlig unsachlichen Kritik daran - befasst.


Mein Punkt ist nicht ob Bohm so unsachlich kritisiert wurde, wie von Neumann durch Bell. (Ich glaube das es so war, aber daß es ebenfalls sachliche Kritik gab.) Meine Frage ist, ob es Belege gibt, daß von Neumanns Beweis in dieser Kritik eine Rolle gespielt hat, insbesondere ob er die Rezeption von Bohms Arbeit beeinflußt hat oder sogar, wie du behauptet hast, als Unmöglichkeitsbeweis für alle Interpretationen mit Ausnahme der Kopenhagener fehlinterpretiert wurde. Kennst du welche?

Ich halte es wie gesagt für äußerst unwahrscheinlich und wenn es solche Belege gäbe, wäre das m.E. ziemlich bemerkenswert.

Zitat:
Insofern erreicht die Bohmsche Mechanik exakt das, was „Kopenhagen“ meinte, ausschließen zu müssen - eine realistische Interpretation der Quantenmechanik, wobei klassische und Quantenwelt den selben Gesetzen folgen.


Ich bin mir gar nicht sicher, ob dies eine zutreffende Charakterisierung der Kopenhagener Interpretation ist. Es hat aber in jedem Fall absolut nichts mehr mit von Neumann zu tun.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Warum soll ich das auf sich beruhen lassen?

Weil es nicht das ist, was ich hier exemplarisch aufzeigen wollte.


Ich kritisiere gerade was du behauptet hast, nicht was du behaupten wolltest, nämlich

TomS hat Folgendes geschrieben:
Arbeiten von von Neumann wurden dahingehend gelesen, dass diese Kopenhagener Interpretation überhaupt die einzig mögliche sei.

[...]

Aber Tatsache ist, dass auf Basis dieses Beweises argumentiert wurde, eine realistische Interpretation der Quantenmechanik sei beweisbar unmöglich;


Wie kommst du darauf, daß dies eine Tatsache ist? Von wem wurde wann so argumentiert? Und vor allem: wie einflußreich waren diese Argumente?

Vielleicht interessiert mich diese Behauptung ja mehr als dich, aber du hältst sie immerhin für wichtig genug um sie nochmal zu bekräftigen. Dann wird dir ja sicher nicht egal sein, ob sie stimmt.

Zitat:

Zitat:
Meine Intention ist eher die Polemik herauszuhalten und die historischen Tatsachen zu klären.

Aber du kannst sie geäußerte Polemik nicht heraushalten, wenn du die historischen Tatsachen diskutieren willst, weil Missverständnisse, Polemik usw. essentieller Bestandteil der Diskussion war.


Das bezweifle ich. Ein Interview Bells für das Omni-Magazin zeigt kaum, was essentieller Bestandteil der professionellen Debatten zwischen Physikern war. Es war nicht mal Teil dieser Debatte. Bells Beitrag dazu steht u.a. im Artikel On the problem of hidden variables in quantum mechanics, in welchem er sich mit von Neumanns Beweis auseinandersetzt. Die Kritik dort ist natürlich auch weit sachlicher. Du könntest sie also genauso gut als Evidenz gegen deine These verwenden, die Diskussion wäre Jahrzehnte lang unsachlich geführt worden.

Aber hier liegt noch ein weiteres Mißverständnis vor. Die Polemik Bells ist zwar eine historische Tatsache aus dem Jahr 1988. Aber sie zeigt nicht mehr, als was Bell 1988 (und möglicherweise seit Jahrzehnten) über von Neumanns Beweis dachte. Was ich bestreite ist, daß sie irgendeine Relevanz für die Geschichte der Interpretation der Quantenmechanik, insbesondere die Rezeption von Bohms Arbeit hat; nicht nur, weil sie von Neumanns Beweis vollkommen falsch einschätzt, sondern auch weil von Neumanns Beweis von vornherein keinen Einfluß auf die Beurteilung von Bohm hatte.
manuel459



Anmeldungsdatum: 11.10.2016
Beiträge: 263

Beitrag manuel459 Verfasst am: 22. Feb 2022 12:27    Titel: Antworten mit Zitat

Zwei kleine Sachen beschäftigen mich noch:

1) Was genau meint Schrödinger mit "Verwaschenheit"?

Würdet ihr mir zustimmen, wenn ich sage, dass er meint, dass im Sinne eines klassischen Modells nicht alle Größen exakt bestimmt werden können?

2) Kann es nicht sein, dass Schrödinger mit dem Katzenbeispiel argumentieren möchte, dass die Quantenwelt vielleicht doch nicht "verwaschen" ist? Oder war man sich damals schon sicher, dass sie wirklich verwaschen ist?

Er geht ja davon aus, dass sie verwaschen ist und führt das auf einen Widerspruch (mit der Alltagswelt). Dazu würden auch die Sätze von ihm passen "Es ist ein Unterschied zwischen einer verwackelten oder unscharf eingestellten Photographie und einer Aufnahme von Wolken und Nebelschwaden."


Zuletzt bearbeitet von manuel459 am 22. Feb 2022 12:52, insgesamt 3-mal bearbeitet
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 22. Feb 2022 12:45    Titel: Antworten mit Zitat

manuel459 hat Folgendes geschrieben:
Zwei kleine Sachen beschäftigen mich noch:

1) Was genau meint Schrödinger mit "Verwaschenheit"?

Würdet ihr mir zustimmen, wenn ich sage, dass er meint, dass im Sinne eines klassischen Modells nicht alle Größen exakt bestimmt werden können?


Ich denke er meint die quantenmechanische Unschärfe. Die Diskussion beginnt in §2 und führt letztlich in §5 zur Frage ob diese Unschärfe eine objektive Eigenschaft des Systems ist.

Zitat:

2) Kann es nicht sein, dass Schrödinger mit dem Katzenbeispiel argumentieren möchte, dass die Quantenwelt vielleicht doch nicht "verwaschen" ist? Oder war man sich damals schon sicher, dass sie wirklich verwaschen ist?


Wie meinst du das? Ist man sich heute sicher? Ich denke nicht.

Zitat:

Er geht ja davon aus, dass sie verwaschen ist und führt das auf einen Widerspruch (mit der Alltagswelt). Dazu würden auch die Sätze von ihm passen "Es ist ein Unterschied zwischen einer verwackelten oder unscharf eingestellten Photographie und einer Aufnahme von Wolken und Nebelschwaden."


Ja, Schrödinger will zeigen, daß die quantenmechanische Unschärfe keine objektive Eigenschaft des Systems sein kann, weil die beobachtete Unschärfe im Fall der Katze viel geringer ist, als die des quantenmechanischen Zustands, der sich aus der Zeitentwicklung ergibt (siehe den Begin von §6).
manuel459



Anmeldungsdatum: 11.10.2016
Beiträge: 263

Beitrag manuel459 Verfasst am: 22. Feb 2022 12:48    Titel: Antworten mit Zitat

Noch etwas:

3) Dass der Superpositionszustand der Katze nicht dem Alltag entspricht, ist ja für Schrödinger das Argument dafür, der Wellenfunktion nicht ohne Bedenken eine Realität zuzugestehen: "Das hindert uns in so naiver weise ein verwaschenes Modell als Abbild der Wirklichkeit gelten zu lassen."

Davor sagt er aber, dass sich diese Unbestimmtheit durch "Beobachtung" entscheiden lässt. Damit sagt er aber eigentlich, dass er den Kollaps der Wellenfunktion akzeptiert. Der Satz "Das hindert uns in so naiver weise ein verwaschenes Modell als Abbild der Wirklichkeit gelten zu lassen." bezieht sich aber eigentlich das was er genau davor sagt, also das mit dem Kollaps. Warum ist also der Kollaps für Ihn ein Grund, der Wellenfunktion keine Realität zuzugestehen? Demnach "juckt" ihn ja gar nicht, ob die Katze ohne "Messung" in superposition ist, da bei Beobachtung immer ein Kollaps stattfindet. Oder lese ich da etwas falsch aus seinen Ausführungen?


Zuletzt bearbeitet von manuel459 am 22. Feb 2022 12:53, insgesamt einmal bearbeitet
manuel459



Anmeldungsdatum: 11.10.2016
Beiträge: 263

Beitrag manuel459 Verfasst am: 22. Feb 2022 12:52    Titel: Antworten mit Zitat

Und mit quantenmechanischer Unschärfe ist der propabilistische Charakter gemeint oder?

Zu 2): Ich meine das so, dass ja ein Unterschied darin besteht, ob Schrödinger nur eine reale Auffassung der Wellenfunktion kritisieren möchte oder, ob er die reale Auffassung der Verwaschenheit der Quantenwelt in Frage stellt.
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 22. Feb 2022 13:01    Titel: Antworten mit Zitat

manuel459 hat Folgendes geschrieben:
Und mit quantenmechanischer Unschärfe ist der propabilistische Charakter gemeint oder?


Damit sind die Größen in der Unschärferelation gemeint, also z.B.



Diese muß man nicht probabilistisch interpretieren. Aber wenn man sie so interpretiert, dann ist das nicht realistisch. Darum geht es in §4. Wenn man sie nicht probabilistisch interpretiert, ergeben sich andere Probleme. Darum geht es in §5 (Schrödingers Katze).

Zitat:

Zu 2): Ich meine das so, dass ja ein Unterschied darin besteht, ob Schrödinger nur eine reale Auffassung der Wellenfunktion kritisieren möchte oder, ob er direkt diese Verwaschenheit (im von Interpretationen unabhängigen) Formalismus kritisiert.


Schrödinger kritisiert nicht den Formalismus, sondern zeigt, daß sich bestimmte Schwierigkeiten ergeben, wenn man diesen Formalismus realistisch interpretieren will.
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 22. Feb 2022 13:07    Titel: Antworten mit Zitat

manuel459 hat Folgendes geschrieben:

Davor sagt er aber, dass sich diese Unbestimmtheit durch "Beobachtung" entscheiden lässt. Damit sagt er aber eigentlich, dass er den Kollaps der Wellenfunktion akzeptiert. Der Satz "Das hindert uns in so naiver weise ein verwaschenes Modell als Abbild der Wirklichkeit gelten zu lassen." bezieht sich aber eigentlich das was er genau davor sagt, also das mit dem Kollaps. Warum ist also der Kollaps für Ihn ein Grund, der Wellenfunktion keine Realität zuzugestehen?


An der Stelle geht es doch gar nicht um den Kollaps. Wenn dein Modell eine Wolke vorhersagt, auf deiner Photographie aber eine scharfe Kontur zu sehen ist, hindert dich das natürlich daran, dein Modell in naiver Weise als Abbild der Wirklichkeit gelten zu lassen. Das ist doch relativ klar oder nicht?
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18062

Beitrag TomS Verfasst am: 22. Feb 2022 15:15    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Selbst wenn es wahr wäre, daß dieser Stil über Jahrzehnte die Diskussion geprägt hat, was ich bezweifle, lernt man mehr und interessanteres aus den sachlichen Argumenten, die damals ausgetauscht wurden, als aus den unsachlichen.

Es geht weniger darum, dass dieser Stil prägend war - der in manchen Fällen eher eine Art Verzweiflung widerspiegelt, warum die jeweilige Gegenseite denn nicht endlich verstehen will, dass ... - sondern um ein viel tieferliegendes Missverständnis:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Ich bin mir gar nicht sicher, ob dies
Zitat:
... exakt das, was „Kopenhagen“ meinte, ausschließen zu müssen - eine realistische Interpretation der Quantenmechanik, wobei klassische und Quantenwelt den selben Gesetzen folgen.

eine zutreffende Charakterisierung der Kopenhagener Interpretation ist.

Das ist sicher nicht die umfassende Charakterisierung der Kopenhagener Interpretation, jedoch die Essenz der Weltanschauung - eine positivistische / instrumentalistische Sichtweise - innerhalb der die Quantenmechanik maßgeblich entwickelt und verbreitet wurde.

Das war doch der eigentliche Dissens zwischen Bohr et al. sowie Einstein et al.

Dazu suche ich gerne etwas heraus.


index_razor hat Folgendes geschrieben:
TomS hat Folgendes geschrieben:
Arbeiten von von Neumann wurden dahingehend gelesen, dass diese Kopenhagener Interpretation überhaupt die einzig mögliche sei ... Aber Tatsache ist, dass auf Basis dieses Beweises argumentiert wurde, eine realistische Interpretation der Quantenmechanik sei beweisbar unmöglich;

Wie kommst du darauf, daß dies eine Tatsache ist? Von wem wurde wann so argumentiert? Und vor allem: wie einflußreich waren diese Argumente?

Ich suche das auch heraus, obwohl ich es weniger spannend finde, weil es nur ein Indiz für grundlegendere Missverständnisse ist. Letztere sind interessanter.

_________________
Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.


Zuletzt bearbeitet von TomS am 22. Feb 2022 15:30, insgesamt einmal bearbeitet
manuel459



Anmeldungsdatum: 11.10.2016
Beiträge: 263

Beitrag manuel459 Verfasst am: 22. Feb 2022 15:17    Titel: Antworten mit Zitat

Zitat:
Diese muß man nicht probabilistisch interpretieren. Aber wenn man sie so interpretiert, dann ist das nicht realistisch. Darum geht es in §4. Wenn man sie nicht probabilistisch interpretiert, ergeben sich andere Probleme. Darum geht es in §5 (Schrödingers Katze).


Damit bin ich einverstanden. Mit "probabilistisch" meinte ich in diesem Zusammenhang eher das, was Born mit seiner Wahrscheinlichkeitsinterpretation der Quantenmechanik meint - also, dass man Superpositionszustände betrachtet und gerade nicht eine klassische Wahrscheinlichkeit (klassisch probabilistisch) im Sinne des "Unwissens über das System" meint. - Daher:

Es steht ja fest, dass die Unschärfe durch das Gedankenexperiment letztlich zur Unschärfe in Form der Superposition von "lebend" und "tot" wird. Demnach könnte man diese Unschärfe also einfach als die Superpositionseigenschaft der Quantenmechanischen Wellenfunktion interpretieren. Was hältst du davon?



Zitat:
Schrödinger kritisiert nicht den Formalismus, sondern zeigt, daß sich bestimmte Schwierigkeiten ergeben, wenn man diesen Formalismus realistisch interpretieren will.


Ok, da hatte ich einen Denkfehler. Der Wellenfunktion eine Realität zugestehen, ist ja praktisch dasselbe wie zu sagen, dass die Quantenwelt "wirklich" verwaschen ist.



Zitat:
An der Stelle geht es doch gar nicht um den Kollaps. Wenn dein Modell eine Wolke vorhersagt, auf deiner Photographie aber eine scharfe Kontur zu sehen ist, hindert dich das natürlich daran, dein Modell in naiver Weise als Abbild der Wirklichkeit gelten zu lassen. Das ist doch relativ klar oder nicht?


Für mich steckt der Kollaps in "..., die sich dann durch direkte Beobachtung entscheiden lässt." im Absatz lautend

Zitat:
Das Typische an diesen Fällen ist, dass eine
ursprünglich auf den Atombereich beschränkte
Unbestimmtheit sich in grobsinnliche Unbestimmtheit
umsetzt, die sich dann durch direkte Beobachtung
entscheidet. Das hindert uns, in so
naiver Weise ein ,,verwaschenes Modell" als Abbild
der Wirklichkeit gelten zu lassen. An sich
enthielte es nichts Unklares oder Widerspruchsvolles.
Es ist ein Unterschied zwischen einer verwackelten
oder unscharf eingestellten Photographie
und einer Aufnahme von Wolken und Nebelschwaden.


Wenn ich das aber falsch verstehe und es sich da gar nicht um den Kollaps dreht, ist es natürlich glasklar. Ich glaube ich sehe den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr Augenzwinkern
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 22. Feb 2022 15:39    Titel: Antworten mit Zitat

manuel459 hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Diese muß man nicht probabilistisch interpretieren. Aber wenn man sie so interpretiert, dann ist das nicht realistisch. Darum geht es in §4. Wenn man sie nicht probabilistisch interpretiert, ergeben sich andere Probleme. Darum geht es in §5 (Schrödingers Katze).


Damit bin ich einverstanden. Mit "probabilistisch" meinte ich in diesem Zusammenhang eher das, was Born mit seiner Wahrscheinlichkeitsinterpretation der Quantenmechanik meint - also, dass man Superpositionszustände betrachtet und gerade nicht eine klassische Wahrscheinlichkeit (klassisch probabilistisch) im Sinne des "Unwissens über das System" meint. - Daher:


Was du meinst, ist schon klar. Daß man quantenmechanische Wahrscheinlichkeiten nicht als Unkenntnis des Zustands ansehen kann, ist der Punkt von §4.

Zitat:

Es steht ja fest, dass die Unschärfe durch das Gedankenexperiment letztlich zur Unschärfe in Form der Superposition von "lebend" und "tot" wird. Demnach könnte man diese Unschärfe also einfach als die Superpositionseigenschaft der Quantenmechanischen Wellenfunktion interpretieren. Was hältst du davon?


Eine Superposition von Eigenzuständen zum Operator X erzeugt einen Zustand mit endlicher Unschärfe von X. Das ist eine Eigenschaft des Formalismus und noch keine Interpretation. Die Frage ist doch gerade, wie du die Superposition, welche eine endliche Unschärfe aufweist, nun als "Abbild der Realität" interpretierst.

Zitat:

Zitat:
Schrödinger kritisiert nicht den Formalismus, sondern zeigt, daß sich bestimmte Schwierigkeiten ergeben, wenn man diesen Formalismus realistisch interpretieren will.


Ok, da hatte ich einen Denkfehler. Der Wellenfunktion eine Realität zugestehen, ist ja praktisch dasselbe wie zu sagen, dass die Quantenwelt "wirklich" verwaschen ist.


Nicht unbedingt. Everett versucht etwas anderes zu sagen. Aber auf jeden Fall ist "wirklich verwaschen" eine mögliche realistische Interpretation, sofern man dabei vermeiden kann, daß makroskopische Unschärfen im Modell auftreten, die sich tatsächlich nicht beobachten lassen.

Zitat:

Zitat:
An der Stelle geht es doch gar nicht um den Kollaps. Wenn dein Modell eine Wolke vorhersagt, auf deiner Photographie aber eine scharfe Kontur zu sehen ist, hindert dich das natürlich daran, dein Modell in naiver Weise als Abbild der Wirklichkeit gelten zu lassen. Das ist doch relativ klar oder nicht?


Für mich steckt der Kollaps in "..., die sich dann durch direkte Beobachtung entscheiden lässt." im Absatz lautend


Der Kollaps ist eine Interpretation dieser Beobachtung. Ohne Kollaps kann man das Modell nicht in naiver Weise als Abbild der Realität betrachten, denn dann müßte die Beobachtung genauso verwaschen sein, wie die Größen im Modell. Also benötigt man ein anderes Modell oder eine weniger naive Interpretation.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18062

Beitrag TomS Verfasst am: 22. Feb 2022 15:42    Titel: Antworten mit Zitat

manuel459 hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Das Typische an diesen Fällen ist, dass eine
ursprünglich auf den Atombereich beschränkte
Unbestimmtheit sich in grobsinnliche Unbestimmtheit
umsetzt, die sich dann durch direkte Beobachtung
entscheidet. Das hindert uns, in so
naiver Weise ein ,,verwaschenes Modell" als Abbild
der Wirklichkeit gelten zu lassen. An sich
enthielte es nichts Unklares oder Widerspruchsvolles.
Es ist ein Unterschied zwischen einer verwackelten
oder unscharf eingestellten Photographie
und einer Aufnahme von Wolken und Nebelschwaden.


A) Ein zu Beginn einigermaßen scharf lokalisierter Quantenzustand wird über die Zeit i.A. beliebig unscharf d.h. Wellenpakete zerfließen und können daher nicht unmittelbar als direkte Abbildung der Realität verstanden werden - in der wir dieses Zerfließen eben nicht wahrnehmen. Also kann es sich nicht um "tatsächlich unscharfe Wolken" handeln.

Ich bin mir nicht sicher, ob Schrödinger dabei auch den Kollaps im Blick hatte, aus dem im Kontext (A) nochmal ganz eigene Konsistenzprobleme folgen.

B) Aber - und das war das Argument weiter oben - es kann sich auch nicht um eine unscharfe Photographie im Sinne eines Ensembles von an sich scharf definierter, uns jedoch unbekannten Zustände handeln *)

In Falle (B) entspräche der Kollaps lediglich der Erkenntnis, dass die Messung (probabilistisch) einen scharf definierten, Zustand zum Vorschein bringt, der jedoch bereits vorher realisiert, uns jedoch unbekannt war; auch das ist ausgeschlossen. Hier wäre der Kollaps jedoch kein Element der Realität sondern lediglich unserer mathematischen Methodik (ich weiß, dass Kinder im Garten sind, jedoch nicht genau wo; wenn ich jetzt aus dem Fenster sehe, stelle ich fest, dass sich jedes Kind an einem präzise definierten Ort aufhält; dadurch kollabieren aber nicht die Kinder, ich schärfe lediglich mein Wissen über die Kinder nach). Diese Sichtweise auf den Kollaps erzeugt (zunächst) kein Konsistenzproblem.


*) wobei Bohm in gewisser Weise ein ähnliches Bild widerspruchsfrei eingeführt hat, jedoch auf Basis eines Teilchenbildes

_________________
Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
manuel459



Anmeldungsdatum: 11.10.2016
Beiträge: 263

Beitrag manuel459 Verfasst am: 22. Feb 2022 16:10    Titel: Antworten mit Zitat

1) Mir geht es hier darum, dass ich das Wort "Unschärfe" oder "Verwaschenheit" im heute gebräuchlichen Wortgebrauch präzisiere oder verständlich mache. Du hast schon gesagt, man könnte es das verstehen, was mit der Unschärferelation gemeint ist.

Zitat:
Diese [Unschärferelation] muß man nicht probabilistisch interpretieren. Aber wenn man sie so interpretiert, dann ist das nicht realistisch. Darum geht es in §4. Wenn man sie nicht probabilistisch interpretiert, ergeben sich andere Probleme. Darum geht es in §5 (Schrödingers Katze).


So. Nun ist die Frage, ob man die Verwaschenheit auch "modern" so fassen darf, dass eben (mathematisch) Superpositionen von Zuständen vorkommen. Damit hätte ich die "Verwaschenheit" wiederum anders charakterisiert - nämlich mit der mathematischen Superpositionseigenschaft der Wellenfunktion. Unabhängig davon,

Zitat:
wie du die Superposition, welche eine endliche Unschärfe aufweist, nun als "Abbild der Realität" interpretierst
.

Oder ?!


2)
Zitat:
Zitat:
Ok, da hatte ich einen Denkfehler. Der Wellenfunktion eine Realität zugestehen, ist ja praktisch dasselbe wie zu sagen, dass die Quantenwelt "wirklich" verwaschen ist.

Nicht unbedingt.


Ok ich glaube ich muss das nochmal präzisieren. Schrödinger geht es um Bedenken bei der realistischen Auffassung der Wellenfunktion. Woran wird deutlich, dass Schrödinger nicht sogar mit dem Gedankenexperiment sagen wollte, dass nicht nur die Wellenfunktion nicht realistisch interpretierbar sei, sondern die ganze Quantenwelt (aus Sicht eines Realisten) nicht verwaschen sei?

Meine Antwort wäre, dass aus Sicht eines Realisten "Wellenfunktion Realität zugestehen" gleichbedeutend damit ist, dass "Quantenwelt verwaschen" ist.



3)
Zitat:
Der Kollaps ist eine Interpretation dieser Beobachtung. Ohne Kollaps kann man das Modell nicht in naiver Weise als Abbild der Realität betrachten, denn dann müßte die Beobachtung genauso verwaschen sein, wie die Größen im Modell.


Achso! Das bedeutet, dass Schrödinger gar nicht den Kollaps im Kopf hatte sondern die Tatsache, dass die Beobachtung (ergo "der Entscheid grobsinnlichen Unbestimmtheit durch direkte Beobachtung") nicht der Vorhersage des Modells (des Gedankenexperiments) entsprach. Okay. Dass hier "die Unbestimmtheit entschieden" wird, heißt hier also einfach, dass man von vorn herein eine aus dem Alltag bekannte Beobachtung vor Augen hat, keinen "Messprozess mit Kollaps". Da ist Schrödingers Formulierung vielleicht irreführend für mich.
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 22. Feb 2022 17:26    Titel: Antworten mit Zitat

manuel459 hat Folgendes geschrieben:
1) Mir geht es hier darum, dass ich das Wort "Unschärfe" oder "Verwaschenheit" im heute gebräuchlichen Wortgebrauch präzisiere oder verständlich mache. Du hast schon gesagt, man könnte es das verstehen, was mit der Unschärferelation gemeint ist.

Zitat:
Diese [Unschärferelation] muß man nicht probabilistisch interpretieren. Aber wenn man sie so interpretiert, dann ist das nicht realistisch. Darum geht es in §4. Wenn man sie nicht probabilistisch interpretiert, ergeben sich andere Probleme. Darum geht es in §5 (Schrödingers Katze).


So. Nun ist die Frage, ob man die Verwaschenheit auch "modern" so fassen darf, dass eben (mathematisch) Superpositionen von Zuständen vorkommen. Damit hätte ich die "Verwaschenheit" wiederum anders charakterisiert - nämlich mit der mathematischen Superpositionseigenschaft der Wellenfunktion.


"Unschärfe" ist bereits die moderne Terminologie. Daran hat sich seit 1935 nichts geändert. Und "Verwaschenheit" bedeutet bei Schrödinger dasselbe. Gemeint ist, daß in jedem Zustand für irgendeine Observable gilt. Das impliziert dann auch, daß eine Superposition von Eigenzuständen von A ist. Du redest also zweimal von absolut derselben Sache.


Zitat:

2)
Zitat:
Zitat:
Ok, da hatte ich einen Denkfehler. Der Wellenfunktion eine Realität zugestehen, ist ja praktisch dasselbe wie zu sagen, dass die Quantenwelt "wirklich" verwaschen ist.

Nicht unbedingt.


Ok ich glaube ich muss das nochmal präzisieren. Schrödinger geht es um Bedenken bei der realistischen Auffassung der Wellenfunktion. Woran wird deutlich, dass Schrödinger nicht sogar mit dem Gedankenexperiment sagen wollte, dass nicht nur die Wellenfunktion nicht realistisch interpretierbar sei, sondern die ganze Quantenwelt (aus Sicht eines Realisten) verwaschen sei?

Meine Antwort wäre, dass aus Sicht eines Realisten "Wellenfunktion Realität zugestehen" gleichbedeutend damit ist, dass "Quantenwelt verwaschen" ist.


Ich kann dir nicht folgen. Ich glaube Schrödinger wollte sagen, daß die Wellenfunktion weder ein klassisches Ensemble beschreibt, noch ein System mit objektiv unscharfen Eigenschaften. Er behauptet also, daß diese zwei realistischen Interpretationen für die Quantenmechanik nicht möglich sind.

Zitat:

3)
Zitat:
Der Kollaps ist eine Interpretation dieser Beobachtung. Ohne Kollaps kann man das Modell nicht in naiver Weise als Abbild der Realität betrachten, denn dann müßte die Beobachtung genauso verwaschen sein, wie die Größen im Modell.


Achso! Das bedeutet, dass Schrödinger gar nicht den Kollaps im Kopf hatte sondern die Tatsache, dass die Beobachtung (ergo "der Entscheid grobsinnlichen Unbestimmtheit durch direkte Beobachtung") nicht der Vorhersage des Modells (des Gedankenexperiments) entsprach.


Zumindest nicht, wenn man das Modell so interpretiert als beschreibe es wirklich verwaschene Eigenschaften des Systems.
Neue Frage »
Antworten »
    Foren-Übersicht -> Quantenphysik