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Ist Schrödingers Katze (Gedankenexperiment) fehlerhaft?
 
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manuel459



Anmeldungsdatum: 11.10.2016
Beiträge: 263

Beitrag manuel459 Verfasst am: 16. Mai 2023 20:53    Titel: Ist Schrödingers Katze (Gedankenexperiment) fehlerhaft? Antworten mit Zitat

Ich bin auf mehrere Probleme gestoßen, die Gedankeneschritte im Gedankenexperiment (in dessen gängigen Form) als falsch enttarnen.

Ionicioiu (http://arxiv.org/pdf/1603.07986v3) findet heraus, dass die Schritte im Prozess klassischer Natur sind und dadurch gar keine Verschränkung von Atom und Katze erzeugt werden kann.

Rinner et al. ([url]DOI: 10.2478/s11534-008-0021-5[/url]) finden, dass man oft fälschlicherweise aus der Verschränkung schließt, dass sich "die Katze in einer Superposition befindet". Dabei vergisst man ganz auf das Atom und, dass Atom und Katze eigentlich einen verschränkten Zustand einnehmen. Laut Ihnen müsste man einen zusätzlichen Schritt am Ende einfügen, wo das Atom der Betrachtung entzogen wird und die Katze dann tatsächlich in einen Superpositionszustand verfrachtet wird. Ansonsten (bei Berechnung der reduzierten Dichtematrix der Katze - herausspuren des Zustands des Atoms) würde sich die Katze tatsächlich klassisch verhalten!

Darüber hinaus könnte man bei genauerem Blick vielleicht kritisieren, dass das Atom als radioaktiv zerfallendes Atom in Wirklichkeit keinen Superpositionszustand einnimmt, sondern einen etwas anderen Zustand.

Alle diese Kritikpunkte betrachten das Gedankenexperiment als potentiell praktisch wirklich durchführbares Experiment und werfen einen genauen Blick auf dessen Aspekte.

Fragen:
1) Bedeuten diese Kritikpunkte, dass das Gedankenexperiment in dessen Basis (die Schlussfolgerungen auf Basis der dort erdachten Welt, die gerade unsere Welt ist) falsch ist und man eigentlich nicht mehr darüber reden sollte?
2) Sind die Kritikpunkte überhaupt gerechtfertigt?

Ich denke, dass das Gedankenexperiment nicht so realistisch betrachtet werden darf. Es ist ein Gedankenexperiment, das bei genauem Blick eben nicht in unsere Welt eingebettet ist, sondern in eine fiktive Welt mit etwas anderen Regeln. Dann schmerzen die obigen Kritikpunkte nicht. Genauso stört einen dann auch nicht, dass die Stahlkammer dazu führt, dass man die Umgebung gänzlich ignorieren darf (was sonst ja nicht erlaubt ist -> Dekohärenz). In dieser fiktiven Welt ist dann das eigentliche Ziel des Gedankenexperiments klar erreichbar: aufzuzeigen, dass man der Wellenfunktion nicht problemlos eine Realität zugestehen darf. Und genau so sollte das Gedankenexperiment auch verstanden werden.

3) Was haltet ihr von meiner Ansicht?


Zuletzt bearbeitet von manuel459 am 16. Mai 2023 21:25, insgesamt einmal bearbeitet
Qubit



Anmeldungsdatum: 17.10.2019
Beiträge: 829

Beitrag Qubit Verfasst am: 16. Mai 2023 21:23    Titel: Antworten mit Zitat

Ja, Schrödinger bestätigt mit seinem Gedankenexperiment, dass man "klassische Systeme" nicht quantenmechanisch überlagern kann.
Es stellt sich aber aus Sicht der QM die Frage, was man da unter einem "klassischen System" zu verstehen hat.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18046

Beitrag TomS Verfasst am: 16. Mai 2023 22:19    Titel: Re: Ist Schrödingers Katze (Gedankenexperiment) fehlerhaft? Antworten mit Zitat

manuel459 hat Folgendes geschrieben:
Was haltet ihr von meiner Ansicht?

Das Gedankenexperiment muss in Details sicher detaillierter betrachtet werden, aber das war ja gar nicht Ziel von Schrödinger.

Schrödinger wollte verdeutlichen, dass derartige makroskopische Zustände absurd sind. Allerdings gibt es heute keine Hinweise darauf, dass sie unmöglich sind - im Gegenteil:
https://www.science.org/doi/10.1126/science.adf7553
Schrödinger cat states of a 16-microgram mechanical oscillator
According to quantum mechanics, a physical system can be in any linear superposition of its possible states. Although the validity of this principle is routinely validated for microscopic systems, it is still unclear why we do not observe macroscopic objects to be in superpositions of states that can be distinguished by some classical property. Here we demonstrate the preparation of a mechanical resonator in Schrödinger cat states of motion, where the ∼10¹⁷ constituent atoms are in a superposition of two opposite-phase oscillations. We control the size and phase of the superpositions and investigate their decoherence dynamics. Our results offer the possibility of exploring the boundary between the quantum and classical worlds and may find applications in continuous-variable quantum information processing and metrology with mechanical resonators.

Zu beachten ist jedoch, dass die Zeiten, über die derartige Zustände existieren können, extrem kurz sind:
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Dekohärenz


Der Einwand „this reveals that the atom and the cat are connected only through a classical information channel“ ist im Kern irrelevant. Letztlich besagt er nur, dass ein Zustand X nicht entstehen kann, wenn das experimentelle Setup unpassend gewählt ist. Dies beweist jedoch nicht, dass dieser Zustand X oder ein vergleichbarer Zustabd nicht auch anderes erzeugt werden kann (mit Bleistift kann ich keine farbigen Bilder malen - trotzdem existieren sie).


Der Einwand von Stefan Rinner und Ernst Werner enthält (mindestens) zwei Fehler. Zum ersten führen sie eine vermeintlich essentielle Unterscheidung zwischen den Zuständen



und



ein. Tatsächlich sind beide Zustände nur „Karikaturen“ der Realität, da eine korrekte Analyse zwingend berücksichtigen muss, dass sowohl die Katze ein makroskopisches Objekt ist, als auch dass die Umgebungsfreiheitsgrade berücksichtigt werden müssen. Damit ist die vermeintlich essentielle Unterscheidung jedoch ein irrelevantes Detail.

Zum zweiten interpretieren sie das Ergebnis der partiellen Spurbildung mittels klassischer Wahrscheinlichkeiten. Dabei übersehen sie, dass sie daraus eben nicht auf alle Eigenschaft des ursprünglichen reinen Zustand schließen können. Sie finden klassische Wahrscheinlichkeiten; das ist ok, sagt aber nichts über bestimmte Eigenschaften des vollständigen quantenmechanischen Zustandes.

Anderes Beispiel: Der Zerfall eines angeregten Zustandes eines Atoms A* überführe ein anderes B in einen angeregten Zustand B*



An diesem System sind tatsächlich Prozesse beobachtbar, die die Superposition von B nachweisen. Das Ausspuren von A spurt sozusagen auch derartige Effekte aus, d.h. die reduzierte Dichtematrix beschreibt das System nicht vollständig. Dass nun für spezielle makroskopische Systeme ein derartiges Ausspuren zu einer zulässigen Näherung führt, entspricht gerade dem Effekt der Dekohärenz und stellt den Ausgangspunkt der Viele-Welten-Interpretation (in der modernen Fassung gem. Zeh et al.) dar. Dennoch darf man für eine ontologische Interpretation gerade nicht ignorieren, dass das vollständige System eben beide Komponenten enthält.

Auf derartige Missverständnisse hat Zeh immer wieder hingewiesen.

_________________
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Zuletzt bearbeitet von TomS am 17. Mai 2023 07:08, insgesamt 4-mal bearbeitet
manuel459



Anmeldungsdatum: 11.10.2016
Beiträge: 263

Beitrag manuel459 Verfasst am: 16. Mai 2023 22:45    Titel: Antworten mit Zitat

Danke an beide Antworten!

@TomS: Das trifft genau die Art, wie ich das Gedankenexperiment betrachte! Super, das hilft mir sehr. So hängt meine Ansicht nicht mehr ganz so in der Luft. Da es so viele verschiedene Zugänge gibt, wusste ich nämlich schon bald nicht mehr, was ich glauben sollte ^^
manuel459



Anmeldungsdatum: 11.10.2016
Beiträge: 263

Beitrag manuel459 Verfasst am: 16. Mai 2023 23:02    Titel: Re: Ist Schrödingers Katze (Gedankenexperiment) fehlerhaft? Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
Damit ist die vermeintlich essentielle Unterscheidung jedoch ein irrelevantes Detail.


In dem Sinn, dass man das Atom auch als Teil der Katze betrachten oder einfach rausspuren könnte?
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18046

Beitrag TomS Verfasst am: 16. Mai 2023 23:07    Titel: Antworten mit Zitat

In dem Sinne, dass sie sich zwar um ein Atom mehr oder weniger kümmern, ihnen weitere X * 10^23 Atome jedoch egal sind …
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Aruna



Anmeldungsdatum: 28.07.2021
Beiträge: 795

Beitrag Aruna Verfasst am: 17. Mai 2023 06:25    Titel: Re: Ist Schrödingers Katze (Gedankenexperiment) fehlerhaft? Antworten mit Zitat

manuel459 hat Folgendes geschrieben:

Rinner et al. ([url]DOI: 10.2478/s11534-008-0021-5[/url]) finden, dass man oft fälschlicherweise aus der Verschränkung schließt, dass sich "die Katze in einer Superposition befindet". Dabei vergisst man ganz auf das Atom und, dass Atom und Katze eigentlich einen verschränkten Zustand einnehmen.


Wer ist denn da "man"?
Rinner et al.?
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