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Schrödingers Katze ein Witz? - Teil I
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Feymann
Gast





Beitrag Feymann Verfasst am: 04. Feb 2021 12:53    Titel: Schrödingers Katze ein Witz? - Teil I Antworten mit Zitat

Meine Frage:
Hallo, mal eine Frage:

Ist Schrödingers Katze eigentlich ein Witz?
Ich habe da immer so interpretiert, dass Schrödinger diesen Vergleich für absolute Laien geschaffen hat, um eine grobe Ahnung von der Welt der Quantenphysik zu bekommen. Selbst meine Oma versteht dieses Gedankenspiel mit der Katze.
Aber irgendwie schwingt da immer ein humoristischer Unterton mit... eine Katze ist ja außerdem auch kein Quantenobjekt, insofern würde dieser Vergleich ohnehin keinen Sinn machen.

Meine Ideen:
Ist Schrödingers Katze also nicht mehr, als ein oberflächlicher Vergleich und nicht weniger, als ein Witz?
index_razor



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Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 04. Feb 2021 13:20    Titel: Re: Schrödingers Katze ein Witz? Antworten mit Zitat

Feymann hat Folgendes geschrieben:
Meine Frage:
Hallo, mal eine Frage:

Ist Schrödingers Katze eigentlich ein Witz?
Ich habe da immer so interpretiert, dass Schrödinger diesen Vergleich für absolute Laien geschaffen hat, um eine grobe Ahnung von der Welt der Quantenphysik zu bekommen. Selbst meine Oma versteht dieses Gedankenspiel mit der Katze.
Aber irgendwie schwingt da immer ein humoristischer Unterton mit... eine Katze ist ja außerdem auch kein Quantenobjekt, insofern würde dieser Vergleich ohnehin keinen Sinn machen.


Genau das ist doch der Punkt des Gedankenexperiments. Es geht um den krassen scheinbaren Widerspruch zwischen den Vorhersagen der Quantenmechanik und der Alltagserfahrung. Die Katze kommt nur stellvertretend für makroskopische Objekte vor. Man kann versuchen sich damit aus der Affäre zu ziehen, daß man Katzen einfach nicht zu "Quantenobjekten" zählt. Aber besonders plausibel ist das erstmal nicht. Katzen sind nur komplexe Systeme bestehend aus Atomen. Und Atome sind Quantenobjekte. Also ab welcher Skala, ab welcher Anzahl an Atomen etc. hört ein System auf ein "Quantenobjekt" zu sein?
TomS
Moderator


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Beitrag TomS Verfasst am: 04. Feb 2021 13:59    Titel: Re: Schrödingers Katze ein Witz? Antworten mit Zitat

Feymann hat Folgendes geschrieben:
Ist Schrödingers Katze eigentlich ein Witz?

Je nach dem wen du fragst wirst du unterschiedliche Antworten erhalten.

Kurz gesagt wird ein Instrumentalist, der eine Theorie lediglich als Tool zur Berechnung von Messergebnissen ansieht, das ganze als Un-Problem bezeichnen, das durch eine metaphysische Interpretation der Theorie entsteht; er rechnet, misst, und gut is'

Ein Realist, der eine Theorie auch als Beschreibung der Natur und Realität begreift - also nicht nur dessen, was wir an Werkzeugen nutzen sondern dessen was tatsächlich existiert und geschieht - hat mir der Quantenmechanik ein entscheidendes Problem: die Regeln und Gleichungen der Quantenmechanik weisen an einer zentralen Stelle - der Messung - eine Inkonsistenz auf, die der Instrumentalist ignorieren kann, weil seine Methoden rein praktisch funktionieren; der Realist hat diese Möglichkeit nicht, denn er kann keine Inkonsistenz in der Beschreibung der Realität akzeptieren.

Realisten, die ihre philosophische Grundhaltung ernst nehmen, modifizieren die Quantenmechanik an genau der Stelle. In der orthodoxen Interpretation (Heisenberg, von Neumann, ...) der Quantenmechanik wird an einer Stelle eine der beiden Katzen sozusagen ad hoc "wegpostuliert". In der "Viele-Welten-Interpretation" (Everett u.a.) wird zu Gunsten der logischen Konsistenz auf dieses "wegpostulieren" verzichtet; dadurch erhält man jedoch unmittelbar zwei real existierende Katzen.

Und das sehen die Vertreter der Viele-Welten-Interpretation keineswegs als Witz.

Feymann hat Folgendes geschrieben:
Ich habe da immer so interpretiert, dass Schrödinger diesen Vergleich für absolute Laien geschaffen hat, um eine grobe Ahnung von der Welt der Quantenphysik zu bekommen.

Schrödinger wollte aufzeigen, zu welchen absurden Vorstellungen die Quantenphysik führt und dass - bis zum heutigen Tage - in diesem Umfeld kein umfassendes und breit akzeptiertes Verständnis erzielt wurde.

Feymann hat Folgendes geschrieben:
... eine Katze ist ja außerdem auch kein Quantenobjekt, insofern würde dieser Vergleich ohnehin keinen Sinn machen.

Doch.

Warum sollte die Katze kein Quantenobjekt sein? Wo ist die Grenze zwischen klassischer und Quantenwelt? Die verschiebt sich ja doch ohnehin ständig. Dies ist eine reine Scheinlösung, die die Probleme lediglich unter den Teppich kehrt.

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Qubit



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Beiträge: 829

Beitrag Qubit Verfasst am: 04. Feb 2021 14:56    Titel: Re: Schrödingers Katze ein Witz? Antworten mit Zitat

Feymann hat Folgendes geschrieben:
Meine Frage:
Hallo, mal eine Frage:

Ist Schrödingers Katze eigentlich ein Witz?


Schrödingers Katze ist ein Angriff auf die sog. "Kopenhagener Deutung", nach der real ist, was wir messen. Einem Quantensystem ohne Messung kann nach dieser kein (vollständiger) realer Zustand zugeordnet werden. Schrödinger hat nun kritisiert (in Nähe zu Einstein), dass es absurd wäre, nur das real zu betrachten, was wir messen. Dazu hat er (dem damaligen Geist entsprechend) die Kritik in eine kleine bizarre Geschichte gepackt.
Die Frage ist, wann entscheidet sich, ob die Katze tot oder lebendig ist? Erst wenn jemand hinschaut (misst)? Bis dahin müsste sich ja die Katze in einem quantenmechanischen Überlagerungszustand befinden, wenn man denn voraussetzt, dass auch eine Katze quantenmechanisch beschrieben werden kann. Aus heutiger Sicht ist die Kritik als sog. "Messproblem" immernoch nicht befriedigend beantwortet.
TomS
Moderator


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Beitrag TomS Verfasst am: 04. Feb 2021 15:43    Titel: Re: Schrödingers Katze ein Witz? Antworten mit Zitat

Qubit hat Folgendes geschrieben:
Bis dahin müsste sich ja die Katze in einem quantenmechanischen Überlagerungszustand befinden, wenn man denn voraussetzt, dass auch eine [real existiende] Katze [immer] quantenmechanisch beschrieben werden kann.

Genau.

Und da gibt es die beiden o.g. wesentlichen Grundhaltungen:
1) es ist sinnlos, derartige Frage zu stellen; die Berechnungen sagen korrekt voraus, mit welcher Wahrscheinlichkeit man die Katze nach dem Öffnen in welchen Zustand finden wird; philosophische Spekulationen über nicht-beobachtbare Katzen in geschlossenen Kisten sind nicht Gegenstand der Theorie
2) die Katze befindet sich tatsächlich real in einem derartigen Überlagerungszustand; die Theorie beschreibt, was tatsächlich in der Welt vor sich geht, nicht nur das, was wir messen können

Qubit hat Folgendes geschrieben:
Aus heutiger Sicht ist die Kritik als sog. "Messproblem" immer noch nicht befriedigend beantwortet.

Genau.

Zumindest hat keine Schule etwas anzubieten, was nicht nicht nach Erklärungslücken oder Erklärungsverweigerung aussieht, und auf was man sich umfassend einigen könnte ...

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DrStupid



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Beitrag DrStupid Verfasst am: 04. Feb 2021 15:59    Titel: Re: Schrödingers Katze ein Witz? Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
Kurz gesagt wird ein Instrumentalist, der eine Theorie lediglich als Tool zur Berechnung von Messergebnissen ansieht, das ganze als Un-Problem bezeichnen, das durch eine metaphysische Interpretation der Theorie entsteht; er rechnet, misst, und gut is'


So metaphysisch ist das gar nicht. Das Problem wird z.B. real, wenn es um den günstigste Zeitpunkt geht, das Ergebnis eines Quantencomputers auszulesen. Das darf nicht zu früh passieren, weil die "Berechnung" dann noch nicht fertig ist, aber auch nicht zu spät, weil die Quantenbits nicht ewig stabil bleiben. Das ist im Grunde das gleiche Problem wie bei Schrödingers Katze. Warum und wann kommt es zur Zustandsreduktion? Wenn man das mit der Theorie berechnen kann, dann sollten auch die Realisten zufrieden sein.
TomS
Moderator


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Beitrag TomS Verfasst am: 04. Feb 2021 16:42    Titel: Antworten mit Zitat

Bei einem Quantencomputer berechnet man die Zustandsreduktion m.W.n. mittels Dekohärenz. Das löst aber das Problem nicht, da die Dekohärenz zwar ein klassisches Ergebnis vorhersagt, jedoch keine Auskunft darüber gibt, welches.

Übertragen auf die Katze: ohne Dekohärenz und ohne Kollaps sagt sie QM einen geisterhaften Superpositionszustand vorher; mit Dekohärenz jedoch weiterhin ohne Kollaps sagt sie QM zwei getrennte und wechselweise unsichtbare Welten vorher eine mit einer lebenden und eine mit einer toten Katze; zwar ist die kohärente Superposition scheinbar verschwunden, zufriedenstellend ist das Ergebnis für viele trotzdem nicht.

Die Meinungen von Realisten, die ich kenne, lassen sich letztlich in zwei Kategorien einteilen:
1) die QM löst das Problem nicht, wir benötigen eine anders geartet Theorie, die jedoch sämtliche bisher experimentell bestätigte Vorhersagen der QM reproduziert
1b) wir kennen schon derartige Theorien - z.B. die Bohmsche Mechanik oder Objective Collapse - und wir ignorieren für den Moment, dass diese nur einen winzigen Bruchteil der Vorhersagen der QM reproduzieren
2) die Viele-Welten-Interpretation ist zutreffend

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Beitrag Qubit Verfasst am: 04. Feb 2021 20:56    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:

Die Meinungen von Realisten, die ich kenne, lassen sich letztlich in zwei Kategorien einteilen:


Man könnte noch eine 3. Kategorie hinzufügen:
3) Quantenüberlagerungen sind reale Zustände. Dies erfordert freilich eine neue Art von Logik, eine "Quantenlogik". Es gilt dann nicht nur A oder nicht A.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
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Beitrag TomS Verfasst am: 04. Feb 2021 23:05    Titel: Antworten mit Zitat

Aber (3) ist doch identisch mit (2).
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index_razor



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Beitrag index_razor Verfasst am: 05. Feb 2021 11:16    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
Aber (3) ist doch identisch mit (2).


Würdest du denn sagen, die MWI erfordert eine "neue Art" von Logik? Das wäre mir zumindest neu.

Ich würde auch behaupten, daß dies gar nichts mit dem eigentlichen Problem zu tun hat. Es geht ja nicht darum, daß kohärente Zustände irgendwie "unlogisch" sind, sondern, daß wir Superposition anscheinend an makroskopischen Systemen nicht beobachten. Dafür spielt es, denke ich, auch eine untergeordnete Rolle, ob der Zustand kohärent oder dekohärent ist. Es geht ja, zumindest bei Schrödingers Katze, nicht um die Messung der Interferenz zwischen tot und lebendig, sondern um die Messung der "Vitalitätsobservable" selbst.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18027

Beitrag TomS Verfasst am: 05. Feb 2021 11:52    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
TomS hat Folgendes geschrieben:
Aber (3) ist doch identisch mit (2).

Würdest du denn sagen, die MWI erfordert eine "neue Art" von Logik? Das wäre mir zumindest neu.

Ich verstehe das lediglich als “neue Rechenregeln” im Vergleich zur Boolschen Algebra. Der Zustandsraum ist nicht mehr {0,1} sondern ein projektiver Hilbertraum P(H) mit Äquivalenzklassen für Vektoren x,y mit x ~ y wenn y = ax.

Damit ist eine Aussage wie “die Katze ist entweder lebendig oder tot” falsch und muss ersetzt werden durch “die Katze ist in einem Superpositionszustand ...”. Das ist ähnlich wie der Satz “die Katze ist entweder schwarz oder weiß”; ist sie nicht notwendig, sie kann ja auch gefleckt sein. Auf dieser Ebene der Sprache braucht man sicher keine neue Logik.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Ich würde auch behaupten, daß dies gar nichts mit dem eigentlichen Problem zu tun hat. Es geht ja nicht darum, daß kohärente Zustände irgendwie "unlogisch" sind, sondern, daß wir Superposition anscheinend an makroskopischen Systemen nicht beobachten. Dafür spielt es, denke ich, auch eine untergeordnete Rolle, ob der Zustand kohärent oder dekohärent ist.

Du hast recht, das ist tatsächlich völlig irrelevant, jedoch haben das einige immer noch nicht verstanden.

Unter Anwendung der Dekohärenz werde ich den Kollaps nicht los, es erscheint dafür jetzt ziemlich unmotiviert, ihn in der ursprünglich naiven Form zu postulieren. *)

Wenn ich umgekehrt den Kollaps nicht los werden möchte, sind sowohl kohärente als auch auf inkohärente Superpositionen von toten und lebenden Katzen gedanklich eine Zumutung ;-)


*) Stellen wir uns einen mittelalterlichen Zauberer vor, der behauptet, eine Reise auf die dunkle Seite des Mondes wäre möglich; er argumentiert mit seinen enormen magischen Kräften, und abergläubische Menschen - insbs. Dänen und ihre Verbündeten - sind geneigt, ihm zu glauben. Stellen wir uns den selben Magier im Jahr 1970 vor, der wiederum über die Reise auf die dunkle Seite des Mondes fabuliert; diesmal benutzt er eine Rakete zur Reise auf die helle Seite des Mondes, lediglich für das letzte Stück auf die dunkle Seite muss er Magie bemühen; wieder findet er Anhänger, die gebannt seinen Erzählungen lauschen und fest an die Kraft der Magie glauben; dem Hinweis, mit der Rakete sei man ja schon fast da, und evtl. gäbe es auch für das letzte Stück eine technische Erklärung, begegnen sie mit dem Einwand, diese Reise auf die dunkle Seite sei von der Erde aus unbeobachtbar, Magie wäre der einfachste Weg dies zu erklären, dagegen wäre die Idee eines Mondautos doch lediglich metaphysische Spekulation und somit unphysikalisch ...

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Qubit



Anmeldungsdatum: 17.10.2019
Beiträge: 829

Beitrag Qubit Verfasst am: 05. Feb 2021 17:53    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
Aber (3) ist doch identisch mit (2).


Das sehe ich anders. Im Gegenteil, die relative-state Interpretation aka. MWI ist ja gerade so gemacht, dass sie klassischer Logik folgt.
Zur Erinnerung: es geht darum, was in einer Interpretation der QM als real betrachtet wird. Was real betrachtet wird, sollte (nicht nur meiner Meinung nach) auch in der Theorie und mathematischen Beschreibung abgebildet sein.

Nach der MWI beschreibt ja - verkürzt dargestellt - die Wellenfunktion mehrere Welten. Die "relative-states" eines Beobachters sind aber nur in einer Welt real. Nur weiss er eben nicht bis zur Messung, in welcher.
Er ist damit auch nicht in der "Verlegenheit", die Quantenüberlagerung selbst in seiner Beschreibung als real zu sehen.

@index_razor

Wenn du nur das als real betrachtest, was man an "makroskopischen Systemen" misst, dann besteht diese Frage für dich nicht. Aber was ist real vor der Messung?

Nach klassischer Logik kann man solche realen Zusände mit A oder nicht A beantworten (tertium non datur), Ist die Katze "lebendig"? Nein, dann muss sie "tot" sein.
Wenn man die Quantenüberlagerung jedoch als real sieht, dann funktioniert diese Logik (als Abbild der Realität) nicht mehr. Man braucht eine neue Logik, eine Quantenlogik. Und diese ist keineswegs unlogisch, um solche Quantenüberlagerungen zu beschreiben.
Es geht also hier nicht darum, was man "beobachtet", sondern was man in der Theorie als Abbild von Realität beschreibt.

Gauss, der sich ja bekanntlich sehr für nicht-euklidische Geometrie interessierte, wollte auch wissen, ob die Welt als Realität euklidisch oder nicht ist. Dazu hat er (sehr dürftige) Messungen angestellt. Die Frage ist jetzt, ob Realität klassischer oder nichtklassischer Logik folgt. Experimentell entscheiden lässt sich das aber wohl derzeit (noch) nicht.
index_razor



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Beitrag index_razor Verfasst am: 05. Feb 2021 19:00    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
TomS hat Folgendes geschrieben:
Aber (3) ist doch identisch mit (2).

Würdest du denn sagen, die MWI erfordert eine "neue Art" von Logik? Das wäre mir zumindest neu.

Ich verstehe das lediglich als “neue Rechenregeln” im Vergleich zur Boolschen Algebra. Der Zustandsraum ist nicht mehr {0,1} sondern ein projektiver Hilbertraum P(H) mit Äquivalenzklassen für Vektoren x,y mit x ~ y wenn y = ax.

Damit ist eine Aussage wie “die Katze ist entweder lebendig oder tot” falsch und muss ersetzt werden durch “die Katze ist in einem Superpositionszustand ...”. Das ist ähnlich wie der Satz “die Katze ist entweder schwarz oder weiß”; ist sie nicht notwendig, sie kann ja auch gefleckt sein.


Ich verstehe nicht den Zusammenhang zu Boolschen Algebren oder projektiven Hilberträumen. Daß Katzen weder schwarz noch weiß und sogar weder tot noch lebendig sein können, kann man doch ohne weiteres mit einer Boolschen Algebra abbilden.

Ich glaube du redest davon, daß das Produkt zweier Projektionsoperatoren nicht einem logischen "a und b" entspricht, wenn a und b Werte von nicht-kommutierenden Observablen sind. Aber bei dem Gedankenexperiment geht es ja zunächst nur um eine Observable.

Zitat:

Auf dieser Ebene der Sprache braucht man sicher keine neue Logik.


Ok, ich glaube das ist der wichtigste Punkt.

Zitat:

Unter Anwendung der Dekohärenz werde ich den Kollaps nicht los, es erscheint dafür jetzt ziemlich unmotiviert, ihn in der ursprünglich naiven Form zu postulieren. *)


Warum? Wenn ich das richtig verstehe, sagst du der Kollaps sei eine Art magischer Prozeß, für den Dekohärenz eine natürliche und fast vollständige Erklärung liefert. Aber das leuchtet mir nicht ein. Dekohärenz ist doch nicht Kollaps bis auf ein paar technische Details. Der Punkt ist doch, daß ich durch unitäre Zeitentwicklung die Kohärenz niemals loswerde. Auch wenn ich noch so viel Umgebung einbeziehe, erreiche ich nur Kohärenz höherer Ordnung im System Atom+Katze+Umgebung. Wie kann das auch nur eine Teillösung sein, wenn das Ausgangsproblem schon der kohärente Zustand von Atom+Katze (bzw. seine Interpretation) war?

Wenn ich einen Kollaps erreichen will, benötige ich einen nichtunitären Prozeß. Das kann man wohl theoretisch durchführen. Aber mit diesem Ansatz sieht die Kopenhagener Interpretation nicht unbedingt schlechter aus, als die MWI. (Zumindest kann man sie einigermaßen sinnvoll auffassen ohne einen unspezifizierten Heisenberg cut einzuführen.)

Das bringt im Prinzip einen Aspekt auf den Punkt, den ich an der MWI überhaupt nicht verstehe: die Grundbehauptung ist, mit der unitären Zeitentwicklung auszukommen. Aber dann wird Wert auf eine Ontologie gelegt, die nur für dekohärente Zustände funktioniert. Aber bei vollständig unitärer Zeitentwicklung ist Dekohärenz eine Frage der Systemabgrenzung, die rein willkürlich ist. Wenn das Universum irgendwann mal in einem reinen Zustand war, dann bleibt es das für alle Zeiten, also findet niemals ein branching statt. Insofern finde ich deine Analogie weiter unten auch nicht passend. Die MWI wird ja nicht dafür kritisiert, daß der Übergang von Dekohärenz zu Kollaps metaphysische Spekulation ist. Die MWI-Vertreter behaupten selbst, daß dieser Übergang gar nicht stattfindet, sondern daß Dekohärenz eigentlich ausreicht. (Die richtige Analogie wäre also: "Helle und dunkle Seite des Mondes sind doch beide gleich gut. Wir sind also schon am Ziel, das wir selbst definiert haben.")

Aus demselben Grund sehe ich nicht, daß Dekohärenz mehr als die halbe Miete für die Auflösung des Katzenparadoxons sein soll, wenn es eigentlich gar nicht darum geht, warum Interferenz im System Atom+Katze verschwunden ist, sondern warum die Katze entweder tot oder lebendig, aber nicht beides, ist. Das sind doch völlig unabhängige Fragen.
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 05. Feb 2021 19:19    Titel: Antworten mit Zitat

Qubit hat Folgendes geschrieben:

@index_razor

Wenn du nur das als real betrachtest, was man an "makroskopischen Systemen" misst, dann besteht diese Frage für dich nicht.


Das tue ich nicht. Aber ich glaube, daß "nichtklassische Logik" keine Lösung für das Problem ist, welches durch das Katzenparadoxon aufgeworfen wird.

Die Frage ist doch, warum wir nichtklassische Logik nicht auf makroskopische Systeme anwenden müssen, sondern warum uns da anscheinend die klassische Logik ausreicht. Wie erklärt das die Quantenmechanik?

Zitat:

Nach klassischer Logik kann man solche realen Zusände mit A oder nicht A beantworten (tertium non datur), Ist die Katze "lebendig"? Nein, dann muss sie "tot" sein.


Nein, nach klassischer Logik ist durchaus möglich, daß sie gar nichts von beidem ist. Eine Superposition ist mathematisch nichts anderes als eine Linearkombination. Widersprechen Linearkombinationen der klassischen Logik?
Qubit



Anmeldungsdatum: 17.10.2019
Beiträge: 829

Beitrag Qubit Verfasst am: 05. Feb 2021 19:33    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:

Die Frage ist doch, warum wir nichtklassische Logik nicht auf makroskopische Systeme anwenden müssen, sondern warum uns da anscheinend die klassische Logik ausreicht. Wie erklärt das die Quantenmechanik?


Die Frage ist berechtigt, betrifft aber vorerst nicht die Frage von Abbildung realer Zustände quantenmechanischer Überlagerungszustände.
Der Weg scheint aber derselbe zu sein, der von der Quantenmechanik in den klassischen Grenzfall führt. Quantenüberlagerungen sind da ausgelöscht.
Die Quantenlogik "verdichtet" sich da auf ja/nein-Logiken, A oder nicht A.

Zitat:

Zitat:

Nach klassischer Logik kann man solche realen Zusände mit A oder nicht A beantworten (tertium non datur), Ist die Katze "lebendig"? Nein, dann muss sie "tot" sein.


Nein, nach klassischer Logik ist durchaus möglich, daß sie gar nichts von beidem ist. Eine Superposition ist mathematisch nichts anderes als eine Linearkombination. Widersprechen Linearkombinationen der klassischen Logik?


Vorsicht! Hier muss man unterscheiden, ob man das Wissen über ein Quantensystem beschreiben will, oder aber "Realität" eines Quantensystems.

Willst du das "Wissen" darüber beschreiben, dann kannst du durchaus darüber "unscharf", im Sinne einer Wahrscheinlichkeit, eben aller Möglichkeiten reden.
Wenn du das aber "real" beschreiben willst, dann zieht diese Logik klassisch nicht mehr. Es ist eben ein Unterschied, ob du den Wurf eines Würfel in Unkenntnis als "wahrscheinlich" beschreibst (aufgrund deines Wissens), oder ob der Wurf selbst (als real) unbestimmt ist. Im letzteren Falle, kannst du nicht mehr mit klassischer Logik argumentieren. Du musst dem Würfel diese wahrscheinlichen Zustände als "real" zusprechen.

PS: "Wissen" meint hier nicht nur subjektive Kenntnis, sondern auch objektive. Es ist ein Unterschied ob du nur Zustände zB. beim Würfel = {1,2,3,4,5,6} als "real" ansiehst oder eben auch Überlagerungen davon.
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 05. Feb 2021 19:59    Titel: Antworten mit Zitat

Qubit hat Folgendes geschrieben:
Es ist ein Unterschied ob du nur Zustände zB. beim Würfel = {1,2,3,4,5,6} als "real" ansiehst oder eben auch Überlagerungen davon.


Ja, natürlich ist das ein Unterschied. Aber ich kann doch beide Varianten innerhalb der klassischen Logik beschreiben. In der ersten Variante gibt es sechs Zustände, in der zweiten Variante gibt es unendlich viele Zustände der Form



In einem solchen Zustand ist "weder 1 noch 2 noch ...". Das ist doch kein Problem für die klassische Logik. (Höchstens für unsere Vorstellung von der Realität dieses "Würfels").
Qubit



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Beiträge: 829

Beitrag Qubit Verfasst am: 05. Feb 2021 20:06    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:

In einem solchen Zustand ist "weder 1 noch 2 noch ...". Das ist doch kein Problem für die klassische Logik. (Höchstens für unsere Vorstellung von der Realität dieses "Würfels").


Doch, das ist es.
Stell dir eine Münze vor mit = {0,1}, {nein, ja} vor, sie zeigt dir, ob die Katze "lebt".
Sagst du mir nach klassischer Logik auf die Frage "Lebt die Katze?", die Münze zeigt nicht "1", dann sage ich dir, die Katze ist "tot". Aber das stimmt einfach nicht, wenn man den Überlagerungszustand real sieht. Danach ist die die Aussage nicht "1" nicht identisch "0".


Zuletzt bearbeitet von Qubit am 05. Feb 2021 20:12, insgesamt 2-mal bearbeitet
TomS
Moderator


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Beitrag TomS Verfasst am: 05. Feb 2021 20:07    Titel: Antworten mit Zitat

Qubit hat Folgendes geschrieben:
TomS hat Folgendes geschrieben:
Aber (3) ist doch identisch mit (2).


Das sehe ich anders. Im Gegenteil, die relative-state Interpretation aka. MWI ist ja gerade so gemacht, dass sie klassischer Logik folgt.
Zur Erinnerung: es geht darum, was in einer Interpretation der QM als real betrachtet wird. Was real betrachtet wird, sollte (nicht nur meiner Meinung nach) auch in der Theorie und mathematischen Beschreibung abgebildet sein.

Nach der MWI beschreibt ja - verkürzt dargestellt - die Wellenfunktion mehrere Welten. Die "relative-states" eines Beobachters sind aber nur in einer Welt real. Nur weiss er eben nicht bis zur Messung, in welcher.
Er ist damit auch nicht in der "Verlegenheit", die Quantenüberlagerung selbst in seiner Beschreibung als real zu sehen.

Sah Everett dies so?

Die modernen Vertreter wie Wallace, Carroll et al. sehen das anders.

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Beitrag Qubit Verfasst am: 05. Feb 2021 20:16    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:

Die modernen Vertreter wie Wallace, Carroll et al. sehen das anders.


Wie denn? der "Witz" der MWI ist ja gerade, das Überlagerungen nicht in einer(!) Welt interpretiert werden.
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
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Beitrag index_razor Verfasst am: 05. Feb 2021 20:26    Titel: Antworten mit Zitat

Qubit hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:

In einem solchen Zustand ist "weder 1 noch 2 noch ...". Das ist doch kein Problem für die klassische Logik. (Höchstens für unsere Vorstellung von der Realität dieses "Würfels").


Doch, das ist es.
Stell dir eine Münze vor mit = {0,1}, {nein, ja} vor, sie zeigt dir, ob die Katze "lebt".
Sagst du mir nach klassischer Logik auf die Frage "Lebt die Katze?", die Münze zeigt nicht "1", dann sage ich dir, die Katze ist "tot". Aber das stimmt einfach nicht, wenn man den Überlagerungszustand real sieht. Danach ist die die Aussage nicht "1" nicht identisch "0".


Die klassische Logik erfordert nicht, daß die Katze entweder tot oder lebendig ist. Sie kann auch -- rein logisch -- halb tot plus halb lebendig sein. Zwar ordnen wir realen Katzen solche Zustände selten zu. Aber dies tun wir nicht, weil es uns die Logik verbietet, sondern weil wir in normalen Situationen keinen Anlaß für eine solche Zuordnung haben.

Daß die Quantenmechanik solche Zustände scheinbar vorhersagt, ist also lediglich ein Problem für die Interpretation der Quantenmechanik, aber nicht für die klassische Logik.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
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Beitrag TomS Verfasst am: 05. Feb 2021 20:30    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Ich verstehe nicht den Zusammenhang zu Boolschen Algebren oder projektiven Hilberträumen. Daß Katzen weder schwarz noch weiß und sogar weder tot noch lebendig sein können, kann man doch ohne weiteres mit einer Boolschen Algebra abbilden.

Auf der sprachlichen Ebene natürlich, aber auf Ebene der Quantenzustänfe natürlich nicht. Du kannst einen Quantenzustand eben nicht bijektiv auf {0,1} abbilden.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Auf dieser Ebene der Sprache braucht man sicher keine neue Logik.

Ok, ich glaube das ist der wichtigste Punkt.

Ja.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Unter Anwendung der Dekohärenz werde ich den Kollaps nicht los, es erscheint dafür jetzt ziemlich unmotiviert, ihn in der ursprünglich naiven Form zu postulieren. *)

Warum? Wenn ich das richtig verstehe, sagst du der Kollaps sei eine Art magischer Prozeß, für den Dekohärenz eine natürliche und fast vollständige Erklärung liefert.

Nicht zu sehr auf die Fußnote schauen, die war nicht ganz ernst gemeint ;-)

Natürlich hast du völlig recht, die Dekohärenz liefert keinen realen, jedoch einen scheinbaren oder wahrgenommen Kollaps; mehr braucht es nicht. Und deswegen kann man auf ein zusätzliches Postulat verzichten.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Das bringt im Prinzip einen Aspekt auf den Punkt, den ich an der MWI überhaupt nicht verstehe: die Grundbehauptung ist, mit der unitären Zeitentwicklung auszukommen ... Wenn das Universum irgendwann mal in einem reinen Zustand war, dann bleibt es das für alle Zeiten.

Die MWI bestreitet das gar nicht.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Aber dann wird Wert auf eine Ontologie gelegt, die nur für dekohärente Zustände funktioniert. Aber bei vollständig unitärer Zeitentwicklung ist Dekohärenz eine Frage der Systemabgrenzung, die rein willkürlich ist.

Die Systemabgrenzung ist nicht willkürlich sondern durch den Messaufbau definiert.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Aus demselben Grund sehe ich nicht, daß Dekohärenz mehr als die halbe Miete für die Auflösung des Katzenparadoxons sein soll, wenn es eigentlich gar nicht darum geht, warum Interferenz im System Atom+Katze verschwunden ist, sondern warum die Katze entweder tot oder lebendig, aber nicht beides, ist. Das sind doch völlig unabhängige Fragen.

Ich verstehe nicht genau, was du meinst. Die Katze ist nicht entweder tot oder lebendig, die wird je Zweig entweder als tot oder lebendig wahrgenommen.

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Anmeldungsdatum: 17.10.2019
Beiträge: 829

Beitrag Qubit Verfasst am: 05. Feb 2021 20:32    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:

Die klassische Logik erfordert nicht, daß die Katze entweder tot oder lebendig ist. Sie kann auch -- rein logisch -- halb tot plus halb lebendig sein. Zwar ordnen wir realen Katzen solche Zustände selten zu. Aber dies tun wir nicht, weil es uns die Logik verbietet, sondern weil wir in normalen Situationen keinen Anlaß für eine solche Zuordnung haben.

Daß die Quantenmechanik solche Zustände scheinbar vorhersagt, ist also lediglich ein Problem für die Interpretation der Quantenmechanik, aber nicht für die klassische Logik.


Klassische Logik kennt da aber nur "1" oder nicht "1"="0". Nochmals, du kannst dein "Wissen" darüber "unscharf" ausdrücken, aber das beschreibt nicht reale Zustände, sondern dein Wissen darüber. Aber reale Zustände nach klassischer Logik sind enteder "0" oder "1". Das kannst du dir auch aus der klassischen Logik gerne selber beweisen (das ist nicht schwer aufgrund "tertium non datur").

Du machst dann einfach keine Aussagen über reale Zustände nach klassischer Logik, sondern über dein Wissen darüber. Aber das haben wir eigentlich vorausgesetzt. Wir wollen die Realität von Quantenüberlagerungen beschreiben.
TomS
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Beitrag TomS Verfasst am: 05. Feb 2021 20:38    Titel: Antworten mit Zitat

Qubit hat Folgendes geschrieben:
TomS hat Folgendes geschrieben:

Die modernen Vertreter wie Wallace, Carroll et al. sehen das anders.


Wie denn? der "Witz" der MWI ist ja gerade, das Überlagerungen nicht in einer(!) Welt interpretiert werden.

Es existiert ein Quantenzustand, der in dekohärente und wechselweise unsichtbare Komponenten zerfällt.

Was du als „Welt“ bezeichnest, ist nur Sprache. Wenn du die Kiste mit der Katze von außen beschreibst, enthält „deine Welt“ den Superpositionszustand aus lebendiger und toter Katze. Aus Sicht einer der beiden Katzenperspektiven ist „dein Zweig“ eine beiden Komponenten der Wellenfunktionen.

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Qubit



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Beitrag Qubit Verfasst am: 05. Feb 2021 20:45    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
Qubit hat Folgendes geschrieben:
TomS hat Folgendes geschrieben:

Die modernen Vertreter wie Wallace, Carroll et al. sehen das anders.


Wie denn? der "Witz" der MWI ist ja gerade, das Überlagerungen nicht in einer(!) Welt interpretiert werden.

Es existiert ein Quantenzustand, der in dekohärente und wechselweise unsichtbare Komponenten zerfällt.

Was du als „Welt“ bezeichnest, ist nur Sprache. Wenn du die Kiste mit der Katze von außen beschreibst, enthält „deine Welt“ den Superpositionszustand aus lebendiger und toter Katze. Aus Sicht einer der beiden Katzenperspektiven ist „dein Zweig“ eine beiden Komponenten der Wellenfunktionen.


Deköharenz mag ein Konzept sein, um auf das "Messproblem" eine Anwort zu geben.
Hier geht es aber gerade um den quantenmechanischen Überlagerungszustand und seiner Realität. Es hilft hier ja nichts, gerade deshalb eine Erklärung für Messungen nach "klassischer Logik" zu liefern.
Nochmals: Was ist real am quantenmechanischen Überlagerungszustand (in einer Welt)? Betrachtet man diesen als real, dann muss man eine nichtklassische Logik bemühen.
TomS
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Beitrag TomS Verfasst am: 05. Feb 2021 21:20    Titel: Antworten mit Zitat

Qubit hat Folgendes geschrieben:
Dekohärenz mag ein Konzept sein, um auf das "Messproblem" eine Anwort zu geben.

Dekohärenz ist kein Konzept sondern ein für bestimmte Systeme quantitativ ausgearbeitetes Modell auf Basis der Quantenmechanik ohne Kollapspostulat.

Und Dekohärenz allein liefert nur einen Baustein zur Lösung des Messproblems.

Qubit hat Folgendes geschrieben:
Hier geht es aber gerade um den quantenmechanischen Überlagerungszustand und seiner Realität.

Die Dekohärenz besagt ganz klar, dass dieser Überlagerungszustand mathematisch aus der unitären Zeitentwicklung folgt - das hat aber schon von Neumann beschrieben - und welche Eigenschaften er hat. Zur Realität besagt der mathematische Formalismus natürlich nicht.

Qubit hat Folgendes geschrieben:
Es hilft hier ja nichts, gerade deshalb eine Erklärung für Messungen nach "klassischer Logik" zu liefern.

Ich verstehe nicht, was genau dein Problem mit der „klassischen Logik“ ist.

Qubit hat Folgendes geschrieben:
Was ist real am quantenmechanischen Überlagerungszustand (in einer Welt)? Betrachtet man diesen als real, dann muss man eine nichtklassische Logik bemühen.

Was ist „eine Welt“? Und warum benötigt man eine nichtklassische Logik, um über die Quantenmechanik zu reden, wenn man sie auf makroskopische Systeme anwendet, jedoch nicht für mikroskopische? Ist das nicht lediglich ein Problem der adäquaten Sprache? (das ist es sicher)

Qubit hat Folgendes geschrieben:
Aber reale Zustände nach klassischer Logik sind enteder "0" oder "1". Das kannst du dir auch aus der klassischen Logik gerne selber beweisen (das ist nicht schwer aufgrund "tertium non datur").

Ich kenne keine realen Zustände, die die Physik überhaupt mit Logik beschreibt. Reelle Zahlen, Mannigfaltigkeiten, Phasenräume ... aber keine binäre Logik.

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Beitrag Qubit Verfasst am: 05. Feb 2021 21:31    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:

Qubit hat Folgendes geschrieben:
Es hilft hier ja nichts, gerade deshalb eine Erklärung für Messungen nach "klassischer Logik" zu liefern.

Ich verstehe nicht, was genau dein Problem mit der „klassischen Logik“ ist.


Betrachte dann mal "Schrödingers Katze" im Überlagerungszustand. Ist sie tot oder lebendig? Was sagt die klassische Logik? Was lässt sich zur Realität dieses Zustandes aus Sicht der QM aussagen?

Die restlichen Ausführungen von dir sind ein anderes Thema..
index_razor



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Beitrag index_razor Verfasst am: 05. Feb 2021 21:51    Titel: Antworten mit Zitat

Qubit hat Folgendes geschrieben:
TomS hat Folgendes geschrieben:

Qubit hat Folgendes geschrieben:
Es hilft hier ja nichts, gerade deshalb eine Erklärung für Messungen nach "klassischer Logik" zu liefern.

Ich verstehe nicht, was genau dein Problem mit der „klassischen Logik“ ist.


Betrachte dann mal "Schrödingers Katze" im Überlagerungszustand. Ist sie tot oder lebendig? Was sagt die klassische Logik?


Betrachte den Vektor . In welche Richtung zeigt er? Nach x oder nach y? Was sagt die klassische Logik?

Du stellst die falschen Fragen, da sie die korrekten Antworten von vornherein ausschließen. Der Vektor zeigt weder nach x, noch nach y. Er zeigt einfach in eine dritte Richtung. Daß es mehr als zwei Richtungen gibt, ist kein Verstoß gegen tertium non datur oder irgendein anderes Gesetz der klassischen Logik.
TomS
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Beitrag TomS Verfasst am: 05. Feb 2021 22:05    Titel: Antworten mit Zitat

Qubit hat Folgendes geschrieben:
[Betrachte dann mal "Schrödingers Katze" im Überlagerungszustand. Ist sie tot oder lebendig? Was sagt die klassische Logik? Was lässt sich zur Realität dieses Zustandes aus Sicht der QM aussagen?

Es ist kein logisches sondern ein sprachliches Problem.

Wenn wir annehmen, dass der Überlagerungszustand mathematisch die Realität zutreffend beschreibt, dann ist die Umgangssprache zur Beschreibung der Realität eben nicht ausreichend; die Katze ist dann nicht entweder lebendig oder tot; diese Aussage wäre falsch.

Anderes Beispiel: da das Sonnenlicht ein komplexes Spektrum aufweist, ist die Umgangssprache zur Beschreibung des Sonnenlichts nicht ausreichend; insbs. wäre es falsch zu behaupten, das Sonnenlicht sei entweder gelb oder rot.

Man benötigt keine andere Logik sondern eine andere Sprache; und die haben wir in Form der Mathematik.


Ansonsten siehe index_razor.

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Qubit



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Beitrag Qubit Verfasst am: 05. Feb 2021 22:21    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
Qubit hat Folgendes geschrieben:
[Betrachte dann mal "Schrödingers Katze" im Überlagerungszustand. Ist sie tot oder lebendig? Was sagt die klassische Logik? Was lässt sich zur Realität dieses Zustandes aus Sicht der QM aussagen?

Es ist kein logisches sondern ein sprachliches Problem.

Wenn wir annehmen, dass der Überlagerungszustand mathematisch die Realität zutreffend beschreibt, dann ist die Umgangssprache zur Beschreibung der Realität eben nicht ausreichend; die Katze ist dann nicht entweder lebendig oder tot; diese Aussage wäre falsch.

Anderes Beispiel: da das Sonnenlicht ein komplexes Spektrum aufweist, ist die Umgangssprache zur Beschreibung des Sonnenlichts nicht ausreichend; insbs. wäre es falsch zu behaupten, das Sonnenlicht sei entweder gelb oder rot.

Man benötigt keine andere Logik sondern eine andere Sprache; und die haben wir in Form der Mathematik.


Ansonsten siehe index_razor.


Alles sind "sprachliche" Probleme, auch mathematische.
Es geht über Realitätsaussagen in einer Theorie, in diesem Fall über Überlagerungszustände.
Die klassische Logik fordert hier über Aussagen A oder nicht A der Realität eindeutig entscheiden zu können.
Ist die Katze "tot"? Ja.
Ist die Katze "tot"? Nein. Klassische Logik sagt "lebt".

Kann man das hier nicht, und das kann man in der QM nicht, dann braucht man eine nichtklassische Logik.

Aussagen über die Farbe des Sonnenlichts ist natürlich völlig verträglich mit der klassischen Logik, das ist ein unsinniger Vergleich.
Qubit



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Beitrag Qubit Verfasst am: 05. Feb 2021 22:27    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Qubit hat Folgendes geschrieben:
TomS hat Folgendes geschrieben:

Qubit hat Folgendes geschrieben:
Es hilft hier ja nichts, gerade deshalb eine Erklärung für Messungen nach "klassischer Logik" zu liefern.

Ich verstehe nicht, was genau dein Problem mit der „klassischen Logik“ ist.


Betrachte dann mal "Schrödingers Katze" im Überlagerungszustand. Ist sie tot oder lebendig? Was sagt die klassische Logik?


Betrachte den Vektor . In welche Richtung zeigt er? Nach x oder nach y? Was sagt die klassische Logik?

Du stellst die falschen Fragen, da sie die korrekten Antworten von vornherein ausschließen. Der Vektor zeigt weder nach x, noch nach y. Er zeigt einfach in eine dritte Richtung. Daß es mehr als zwei Richtungen gibt, ist kein Verstoß gegen tertium non datur oder irgendein anderes Gesetz der klassischen Logik.


Das ist doch Unsinn.
Ein Vektor der nicht nach x zeigt muss doch kein Vektor sein, der nach y zeigt. Auch nicht nach der klassischen Logik.
Offenbar hast du noch nicht das eigentliche Problem zu Aussagen der Realität verstanden, die sich nicht mit A oder nicht A beantworten lassen.


Zuletzt bearbeitet von Qubit am 05. Feb 2021 22:29, insgesamt 2-mal bearbeitet
index_razor



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Beitrag index_razor Verfasst am: 05. Feb 2021 22:27    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
Ich verstehe nicht den Zusammenhang zu Boolschen Algebren oder projektiven Hilberträumen. Daß Katzen weder schwarz noch weiß und sogar weder tot noch lebendig sein können, kann man doch ohne weiteres mit einer Boolschen Algebra abbilden.

Auf der sprachlichen Ebene natürlich, aber auf Ebene der Quantenzustänfe natürlich nicht. Du kannst einen Quantenzustand eben nicht bijektiv auf {0,1} abbilden.


Daraus werde ich noch nicht schlau. Ich kann weder die unendlich vielen Sätze irgendeiner Sprache, noch einen einzigen Quantenzustand, noch die Menge aller Quantenzustände bijektiv auf {0,1} abbilden. Ich kann aber sehr wohl Teilmengen des Hilbertraums auf diese Menge abbilden in einer Art, daß sie eine Boolsche Algebra bilden, z.B.



Diese Algebra repräsentiert die Behauptung "Das System befindet sich im Zustand ".

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Das bringt im Prinzip einen Aspekt auf den Punkt, den ich an der MWI überhaupt nicht verstehe: die Grundbehauptung ist, mit der unitären Zeitentwicklung auszukommen ... Wenn das Universum irgendwann mal in einem reinen Zustand war, dann bleibt es das für alle Zeiten.

Die MWI bestreitet das gar nicht.


Ich weiß. Ich wollte ja gerade auf einen gewissen Widerspruch in dieser und der Behauptung hinaus, daß Dekohärenz bei jeder Messung verschiedene real existierende Zweige verursacht. Das tut sie eben nicht, wenn das gesamte Universum in einem reinen Zustand ist. Dann bleibt es ein einziger Zweig, egal was zwischen irgendwelchen Teilsystemen innerhalb des Universums passiert.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Aber dann wird Wert auf eine Ontologie gelegt, die nur für dekohärente Zustände funktioniert. Aber bei vollständig unitärer Zeitentwicklung ist Dekohärenz eine Frage der Systemabgrenzung, die rein willkürlich ist.

Die Systemabgrenzung ist nicht willkürlich sondern durch den Messaufbau definiert.


Doch, es ist willkürlich zu behaupten, das Meßgerät sei nicht , sondern nur das Teilsystem . Der Unterschied ist genau, daß das erste System in einem kohärenten Zustand bleibt, das zweite aber nicht.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Aus demselben Grund sehe ich nicht, daß Dekohärenz mehr als die halbe Miete für die Auflösung des Katzenparadoxons sein soll, wenn es eigentlich gar nicht darum geht, warum Interferenz im System Atom+Katze verschwunden ist, sondern warum die Katze entweder tot oder lebendig, aber nicht beides, ist. Das sind doch völlig unabhängige Fragen.

Ich verstehe nicht genau, was du meinst. Die Katze ist nicht entweder tot oder lebendig, die wird je Zweig entweder als tot oder lebendig wahrgenommen.


Das läuft auf Semantik hinaus. Ich behaupte laut MWI ist die Katze in dem einen Zweig lebendig und in dem anderen tot. Und dies ist die reale Ursache dafür, daß man das jeweils auch so wahrnimmt. Alle meine Aussagen beziehen sich nur darauf, was laut MWI in einem einzelnen Zweig passiert. Du kannst nämlich im Kontext der Diskussion nicht einfach voraussetzen, daß auch die anderen Zweige real sind. Ich weiß zwar, daß diese Antwort dich zufriedenstellt. Aber mir ging es in erster Linie darum das duch das Katzenparadoxon aufgeworfene Problem zu klarzustellen.
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 05. Feb 2021 22:31    Titel: Antworten mit Zitat

Qubit hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:

Betrachte den Vektor . In welche Richtung zeigt er? Nach x oder nach y? Was sagt die klassische Logik?

Du stellst die falschen Fragen, da sie die korrekten Antworten von vornherein ausschließen. Der Vektor zeigt weder nach x, noch nach y. Er zeigt einfach in eine dritte Richtung. Daß es mehr als zwei Richtungen gibt, ist kein Verstoß gegen tertium non datur oder irgendein anderes Gesetz der klassischen Logik.


Das ist doch Unsinn.
Ein Vektor der nicht nach x zeigt muss doch kein Vektor sein, der nach y zeigt. Auch nicht nach der klassischen Logik.


Eben, genau das ist mein Punkt. Der klassischen Logik ist es nämlich relativ egal, ob du über Vektoren in der euklidischen Ebene oder über Vektoren in einem abstrakten Hilbertraum redest. Sie kann mit beidem umgehen.

Zitat:

Offenbar hast du noch nicht das eigentlich Problem zu Aussagen der Realität verstanden, die sich nicht mit A oder nicht A beantworten lassen.


Ich habe kein logisches Problem mit der Aussage "Die Katze sei halb tot plus halb lebendig". Ich bin lediglich nicht sicher, welchen Bezug sie zur Realität hat. Aber das hat nicht das geringste mit klassischer Logik zu tun.
Qubit



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Beiträge: 829

Beitrag Qubit Verfasst am: 05. Feb 2021 22:38    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Qubit hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:

Betrachte den Vektor . In welche Richtung zeigt er? Nach x oder nach y? Was sagt die klassische Logik?

Du stellst die falschen Fragen, da sie die korrekten Antworten von vornherein ausschließen. Der Vektor zeigt weder nach x, noch nach y. Er zeigt einfach in eine dritte Richtung. Daß es mehr als zwei Richtungen gibt, ist kein Verstoß gegen tertium non datur oder irgendein anderes Gesetz der klassischen Logik.


Das ist doch Unsinn.
Ein Vektor der nicht nach x zeigt muss doch kein Vektor sein, der nach y zeigt. Auch nicht nach der klassischen Logik.


Eben, genau das ist mein Punkt. Der klassischen Logik ist es nämlich relativ egal, ob du über Vektoren in der euklidischen Ebene oder über Vektoren in einem abstrakten Hilbertraum redest. Sie kann mit beidem umgehen.

Ja, aber Aussagen über Realität sind etwas anderes als über Darstellungen zu reden. Offenbar sind Quantenüberlagerungen für dich nur "Darstellungen", die dir irgendwie etwas zu Messergebnissen aussagen. Du nimmst die Aussage zur Realität einfach nicht ernst, oder ignorierst sie.

Zitat:

Ich habe kein logisches Problem mit der Aussage "Die Katze sei halb tot plus halb lebendig". Ich bin lediglich nicht sicher, welchen Bezug sie zur Realität hat. Aber das hat nicht das geringste mit klassischer Logik zu tun.


Eben, für dich ist nur real was zu deiner Darstellung passt. Das ist okay. Aber dann mach keine Aussagen zur Realität des Überlagerungszustandes.
TomS
Moderator


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Beitrag TomS Verfasst am: 06. Feb 2021 08:10    Titel: Antworten mit Zitat

@index_razor:

Bzgl. der Logik brauchen wir wirklich nicht weiter zu diskutieren, da sind wir uns einig.

Bzgl. der Semantik von „Quantensystem“, „Messgerät“, „Umgebung“, „Zweigen“ etc. bin ich mir noch nicht sicher, ob ich dein Problem verstehe. Die Trennung in „Quantensystem“, „Messgerät“ und „Umgebung“ erfolgt doch operational. Das Gesamtsystem bleibt natürlich in einem reinen Zustand, jedes Subsystem unter Ausspuren der Umgebungsfreiheitsgrade natürlich nicht. Die Festlegung eines Subsystems - also ob wir es verwenden und wie wir es genau definieren - ist zunächst keine mathematische Notwendigkeit sondern genau dieses operationale Entscheidung: warum und wie definiere ich als Experimentator die Grenzen von „Quantensystem“, „Messgerät“ und „Umgebung“? Wenn ich sie treffe, dann erhalte ich durch das Ausspuren eine reduzierte Dichtematrix, in der jede einzelne Komponente „so aussieht“, wie ich sie für eine klassische Welt erwarte.

Die MWI setzt nicht voraus, dass auch die anderen Zweige real sind; ich würde das anders formulieren.

Die MWI besagt formal
1) wenn ich keinen Kollaps postuliere, nicht ausspure und immer mit einen reinen Zustand arbeite, existiert mathematisch kein Kollaps
2) wenn ich ausspure, erhalte ich eine reduzierte Dichtematrix mit einzelnen Komponenten entsprechend der Dekohärenz
(2) produziert dabei keinen Kollaps sondern ist zunächst nur eine mathematische Operation; insgs. gültig bleibt (1).

Die MWI interpretiert das nun wie folgt:
1) Die QM inkl. unitärer Zeitentwicklung liefert (1); dies beschreibt immer - auch für Messungen - die tatsächlich real existierende eine Welt.
2) Das Verwerfen von für mich nicht sichtbaren Freiheitsgraden im Sinne von (2) liefert einzelne Komponenten, die jeweils einer (von vielen) für mich zu erwartenden klassischen Welt entsprechen.
(2) produziert einen „für mich subjektiv wahrgenommenen“ Kollaps, obwohl „insgs. real“ gemäß (1) kein „realer Kollaps“ existiert.

(Bsp. klassische el.-mag. Strahlung: die Anwendung der geometrischen Optik zusammen mit einem Photodetektor produziert für mich ein Teilchenmodell des Lichtes, das zu meiner Messung mit dem Photodetektor passt - obwohl ich natürlich weiß, dass ich insgs. die Maxwellschen Gleichungen anwenden muss)

D.h.

Die MWI setzt nicht voraus oder postuliert, dass auch die anderen Zweige real sind, sie akzeptiert, dass (1) als präzise Schlussfolgerung aus dem quantenmechanischen Formalismus ohne Kollapspostulat immer zutrifft; sie akzeptiert dies unabhängig davon, ob wir gerade über eine Situation sprechen, die wir als „Messung“ bezeichnen oder nicht.

Gäbe es keine Messungen, wäre dies trivial. Mit Messung ist es aus zwei Gründen nicht trivial:
a) wir haben die QM mit Kollapspostulat beigebracht bekommen; vergessen wir das, tun wir bitte so, als ob der Kollaps nie diskutiert worden wäre
b) wenn wir den Kollaps vergessen haben, müssen wir zunächst glauben, dass (2) für jede operational definierte Setzung von „Quantensystem“, „Messgerät“ und „Umgebung“ die unseren „Messungen“ entsprechenden „Zweige“ liefert

Ok, ich hoffe, dass (a) auch trivial ist. Das Kollapspostulat wäre ein historischer Irrtum (wie z.B. der Äther).

(2) bzw. (b) bleibt für mich deswegen schwierig, weil es sämtliche Hoffnung in die Dekohärenz setzt: jede beliebige Situation, ob mit oder ohne Messung bzw. mit jeder beliebigen operationalen Setzung wie „dieses Paar verschränkter Atome ist mein Quantensystem“, „diese beiden Polarisatoren und Detektoren und dieser Koinzidenzzähler bilden mein Messgerät“, „alles weitere ist ‚Umgebung‘“ sowie „diese meine Beobachtung eines Messergebnisses ist einer von (unendlich) vielen möglichen Zweigen“.

Das eigentliche Problem der MWI liegt hier in dem Zusammenhang zwischen (1), (2) sowie der Semantik bzw. der Alltagssprache. Das größte technische Problem dabei ist, mathematisch zu formulieren, was für eine reale Situation genau ein Zweig im Sinne von (2) ist. Wie teilst du den unendlich-dimensionalen Hilbertraum (1) in (näherungsweise) wechselweise orthogonale, unendlich-dimensionalen Unterräume auf, so dass diese gerade (2) entsprechen? Dieses Problem zerfällt in zwei Teilprobleme:
a) gesetzt, du kennst die möglichen Messergebnisse, hast also eine grobe Vorstellung der Zweige: wie funktioniert dann diese Aufteilung?
b) gesetzt, du kennst die möglichen Messergebnisse nicht; wie berechnest du dann die später beobachteten Zweige mittels deines Hamiltonoperators?

Es geht also um die o.g. operationale Entscheidung.

Stell dir vor, du bist Biochemiker und musst einen Verhaltensforscher davon überzeugen, dass die Wahrnehmung eines Lichtsignals und das Drücken eines Schalters durch den Hund letztlich mittels Biochemie erklärbare Vorgänge sind. Wie gelangt du zu einer biochemischen Beschreibung von „Drücken eines Schalters“, die der Verhaltensforscher als das akzeptiert, was er sieht?

Im Falle der Biologie werden wir beide glauben, dass das Verhalten des Tieres tatsächlich biochemisch determiniert ist, obwohl wir dies praktisch nicht darstellen können. Warum glauben wir das dennoch? Und warum glauben viele dies im Falle der Quantenmechanik nicht? Bei letzterem gibt es m.E. zwei wesentliche Gründe: viele können sich nicht vom Denken in Sinne einer Kollapsinterpretation freimachen; und viele wollen das nicht verstehen, weil ihnen die ontologischen Konsequenzen zuwider sind.

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Zuletzt bearbeitet von TomS am 06. Feb 2021 09:01, insgesamt einmal bearbeitet
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18027

Beitrag TomS Verfasst am: 06. Feb 2021 08:16    Titel: Antworten mit Zitat

Qubit hat Folgendes geschrieben:
Ja, aber Aussagen über Realität sind etwas anderes als über Darstellungen zu reden. Offenbar sind Quantenüberlagerungen für dich nur "Darstellungen", die dir irgendwie etwas zu Messergebnissen aussagen. Du nimmst die Aussage zur Realität einfach nicht ernst, oder ignorierst sie.

Glaubst du wirklich, dass es ausreichend ist, die Realität mittels einfacher Sätze im Sinne der Logik zu beschreiben? Das ist doch schon bei ganz simplen Aussagen unzureichend.

Die Aussage „es regnet“ wird den mannigfaltigen Wetterphänomen, die ich im weitesten Sinne als „Regen“ erlebt habe, nicht gerecht.

Du konstruierst letztlich ein Scheinproblem, weil du alles aus der Perspektive dieser grob vereinfachten Sprache betrachtest. Das funktioniert schon in der klassischen Physik nicht, und auch die Quantenmechanik verlangt dir hier keine wirklich neue Sprache ab:

Es regnet leicht. Das Elektron-Neutrino befindet sich kurz nach seiner Produktion in einem Zustand, in dem die Komponente Myon-Neutrino nur sehr schwach ausgeprägt ist. Die Katze befindet sich kurz nach Start des Experimentes in einem Zustand, in dem die Amplitude des Zweiges „tote Katze“ nur sehr schwach ausgeprägt ist.

Jede diese Aussagen kann im Sinne der klassischen Logik wahr oder falsch sein. Dabei verwenden wir die klassischen Logik jedoch nicht direkt zur Beschreibung der Realität sondern zur Bewertung, ob eine bestimmte Beschreibung der Realität zutrifft. Wir wenden die Logik nicht auf die Natur an, sondern auf die Beschreibung der Natur; die Beschreibung ist i.A. jedoch komplexer, und kann nur in Ausnahmefällen auf Logik reduziert werden.

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jh8979
Moderator


Anmeldungsdatum: 10.07.2012
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Beitrag jh8979 Verfasst am: 06. Feb 2021 09:57    Titel: Antworten mit Zitat

Qubit hat Folgendes geschrieben:

Die klassische Logik fordert hier über Aussagen A oder nicht A der Realität eindeutig entscheiden zu können.
Ist die Katze "tot"? Ja.
Ist die Katze "tot"? Nein. Klassische Logik sagt "lebt".

Die logische Verneinung von “Ist die Katze ‘tot’?” ist nicht “Die Katze lebt.”, sonder “Die Katze ist nicht ‘tot’.” Das wie die beiden letzten Aussagen gleichsetzen, hat nichts mit Logik zu tun, sondern mit unserer Alltagsbeobachtung. Und genau darum gehts ja bei Schrödingers Katze.
Laie001
Gast





Beitrag Laie001 Verfasst am: 06. Feb 2021 10:16    Titel: Antworten mit Zitat

was bedeutet MWI??
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 06. Feb 2021 10:38    Titel: Antworten mit Zitat

Qubit hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
Qubit hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:

Betrachte den Vektor . In welche Richtung zeigt er? Nach x oder nach y? Was sagt die klassische Logik?

Du stellst die falschen Fragen, da sie die korrekten Antworten von vornherein ausschließen. Der Vektor zeigt weder nach x, noch nach y. Er zeigt einfach in eine dritte Richtung. Daß es mehr als zwei Richtungen gibt, ist kein Verstoß gegen tertium non datur oder irgendein anderes Gesetz der klassischen Logik.


Das ist doch Unsinn.
Ein Vektor der nicht nach x zeigt muss doch kein Vektor sein, der nach y zeigt. Auch nicht nach der klassischen Logik.


Eben, genau das ist mein Punkt. Der klassischen Logik ist es nämlich relativ egal, ob du über Vektoren in der euklidischen Ebene oder über Vektoren in einem abstrakten Hilbertraum redest. Sie kann mit beidem umgehen.

Ja, aber Aussagen über Realität sind etwas anderes als über Darstellungen zu reden. Offenbar sind Quantenüberlagerungen für dich nur "Darstellungen", die dir irgendwie etwas zu Messergebnissen aussagen. Du nimmst die Aussage zur Realität einfach nicht ernst, oder ignorierst sie.


Ich weiß nicht, wie du zu diesen Schußfolgerungen kommst. Ich habe nicht davon gesprochen, daß Superpositionen "nur Darstellungen" seien, die mir irgendwas zu Meßergebnissen aussagen.

Ich behaupte lediglich, eine realistische Interpretation der Quantenmechanik erfordert keine neue Logik. Deine Argumente dafür sind fehlerhaft. In welcher Art sie fehlerhaft sind, bringt jh8979 nochmal exakt auf den Punkt. Genau das meine ich damit, daß eine Katze aus rein logischer Sicht weder tot noch lebendig sein muß, genauso wie eine beliebige Richtung der euklidischen Ebene nicht aus logischen Gründen eine von zwei orthogonalen Richtungen sein muß.

Daraus folgt natürlich nicht, daß die Aussage "Die Katze ist halb tot plus halb lebendig" tatsächlich eine zutreffende Aussage über die Realität ist. Ich neige sogar eher zu der Ansicht, daß sie es nicht ist. Aber das liegt nicht daran, daß sie irgendeinen Konflikt mit der klassischen Logik hat.

Zitat:
Zitat:

Ich habe kein logisches Problem mit der Aussage "Die Katze sei halb tot plus halb lebendig". Ich bin lediglich nicht sicher, welchen Bezug sie zur Realität hat. Aber das hat nicht das geringste mit klassischer Logik zu tun.


Eben, für dich ist nur real was zu deiner Darstellung passt.


Nein, das hast du falsch verstanden. Leider ist mir nicht klar, wie du darauf kommst.


Zuletzt bearbeitet von index_razor am 06. Feb 2021 10:43, insgesamt 2-mal bearbeitet
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 06. Feb 2021 10:40    Titel: Antworten mit Zitat

Laie001 hat Folgendes geschrieben:
was bedeutet MWI??


Das ist eine verbreitete Abkürzung für "Many Worlds Interpretation". Das ist eine von Hugh Everett vorgeschlagene Interpretation der Quantenmechanik, die er selbst als "Relative State Interpretation" bezeichnet hat.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18027

Beitrag TomS Verfasst am: 06. Feb 2021 10:52    Titel: Antworten mit Zitat

... und für die sich die deutsche Bezeichnung „Viele-Welten-Interpretation“ eingebürgert hat.
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