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Wissen ohne Erfahrung? Kant, Popper, Bell ...
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Ascareth



Anmeldungsdatum: 11.11.2010
Beiträge: 203

Beitrag Ascareth Verfasst am: 31. Aug 2020 11:31    Titel: Wissen ohne Erfahrung? Kant, Popper, Bell ... Antworten mit Zitat

Hallo zusammen,

reines Denken scheint mir nach Kant nicht zu neuem Wissen führen (Kritik der reinen Vernunft) können. Oder was sonst ist der Sinn an der "Kritik der reinen Vernunft"? Demgemäß muss sich also bei der Wissensgenese immer auch auf die Empirie bezogen werden? Gleichzeitig besteht für Kant aber die Wissensgenese in Form von synthetischen Urteilen a priori, also Urteile ohne Erfahrung, also ohne empirischen Bezug.

Aus meiner Sicht erscheint dies widersprüchlich.

Auch, wenn für Kant synthetische Urteile a priori Antworten auf seine erkenntnistheoretische Frage nach den Voraussetzungen der Möglichkeit von Erkenntnis überhaupt sind, so bestehen solche Urteile "a priori" bei Kant schließlich ohne jede Erfahrung. Solche Urteile (Wissen) kritisiert Kant doch aber gerade in der Kritik der reinen Vernunft?

Gruß, Asca
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18078

Beitrag TomS Verfasst am: 31. Aug 2020 12:20    Titel: Antworten mit Zitat

Ich bin kein Experte zu Kant, ich kann jedoch soviel sagen, dass seine Erkenntnisstheorie in der Physik heute kaum eine Rolle spielt.

Ein starker Einfluss auf die Physik ging vom logischen Positivismus aus, der insbs. die instrumentelle Sicht der Quantenmechanik maßgeblich beeinflusste. Die erheblichen logischen Defizite dieser Sichweise - u.a. diskutiert seitens Quine, Kuhn u.a. - haben einige Physiker nicht recht mitbekommen.

Eine maßgebliche Rolle spielt sicher Poppers kritischer Rationalismus und sein Werk Die Logik der Forschung. Dieses ist bzgl. einiger Kritikpunkte seitens Kuhn unvollständig, jedoch m.M.n. immer noch der beste Ausgangspunkt.

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Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
Steffen Bühler
Moderator


Anmeldungsdatum: 13.01.2012
Beiträge: 7244

Beitrag Steffen Bühler Verfasst am: 31. Aug 2020 12:36    Titel: Re: Wissen ohne Erfahrung? Antworten mit Zitat

Ascareth hat Folgendes geschrieben:
Solche Urteile (Wissen) kritisiert Kant doch aber gerade in der Kritik der reinen Vernunft?

Nein, das ist kein Kritisieren, wie man das Wort heute verwendet, sondern eine Beurteilung. Kant wusste um den von Dir genannten Widerspruch und hat genau deswegen versucht, das reine Denken zu analysieren. Er sieht dabei aber bei beiden philosophischen Positionen Mängel. Siehe z.B. Wiki.

Viele Grüße
Steffen
Brillant



Anmeldungsdatum: 12.02.2013
Beiträge: 1973
Wohnort: Hessen

Beitrag Brillant Verfasst am: 31. Aug 2020 13:17    Titel: Re: Wissen ohne Erfahrung? Antworten mit Zitat

Ascareth hat Folgendes geschrieben:
reines Denken scheint mir nach Kant nicht zu neuem Wissen führen (Kritik der reinen Vernunft) können.
Habe auch oft darüber nachgedacht, ob ein Inhaftierter in seiner Zelle - ohne schlaue Bücher, ohne Möglichkeit von Experimenten - zu Wissen gelangen kann. Oder anders formuliert: Reicht genügend Zeit aus, um klüger zu werden?

Ich lese über (buddhistischer) Meditation, um zur „Erleuchtung“ zu gelangen, was immer das sein mag. Zumindest wohl eine Änderung der Denkweise. Scheinbar in Richtung mehr Toleranz zu andersartigen Lebensweisen, Verständnis der Natur und deren Akzeptanz.

Selbst gehe ich manchmal mit unverstandenen Fragen ins Bett und warte auf eine „Erleuchtung“, also eine nachvollziehbare Erklärung. Ich denke, dieses Verhalten ist nicht so absurd, wie es scheint. Erklärungen können sich ja dadurch ergeben, dass vorhandenes Wissen zusammengeführt wird, wenn man ungestört und ohne Zwang zu einem Ergebnis darüber sinnen kann.

Träume sind so etwas. Es kommt (selten) vor, dass ich im Traum Lösungen finde, die nach dem Aufwachen noch präsent sind. Vor ein paar Tagen eine Lösung eines Webseiten-Problems.

Immer wieder wird der Verdacht geäußert, dass einmal gedachte Gedanken in der Welt sind und nicht zurückgeholt werden können. Zum Beispiel „Die Physiker“ von Dürrenmatt oder die „morphologischen Felder“ von Sheldrake.

Dürrenmatt läßt die Physiker einsehen, dass sie nur als „Irre“ in der Irrenanstalt Ruhe finden vor der Welt, die zerstörerische Leistung von ihnen erwartet / erzwingt. Sheldrake postuliert, dass diese Felder umso stärker werden, je öfter der Gedanke oder die Tätigkeit angewendet wird. In Übereinstimmung mit der Theorie des Lernens. Je öfter ein Mensch etwas wiederholt, desto sicherer und schneller wird diese Handlung.

Man kann noch einen Schritt weitergehen und vermuten, dass es bisher ungedachte Gedanken / Theorien / Handlungsabläufe in irgendwelchen „Feldern“ gibt, die anzuzapfen nur noch nicht gelungen ist. Jeder gläubige Mensch, meint, solche „Felder“ spüren zu können, die ihn mit seinen Göttern und/oder Glaubensbrüder/innen (m/w/s) verbindet.

Die Quantenteleportation (Anton Zeilinger) scheint es wohl auch zu geben, wenn keiner hinschaut bzw. sie nicht anwendet. Der „Gedanke“ dazu ist also in der Welt. Deswegen wird sie auch „entdeckt“ (war vorher bedeckt) und nicht „erfunden“. Obwohl - jetzt wo ich das tippe fällt es mir auf - auch der Begriff „erfunden“ (gefunden) etwas bezeichnet, das bisher versteckt, aber schon vorhanden war.

Ich halte es für möglich, dass es ungedachte Gedanken gibt, die auf Menschen warten, die diese erstmalig formulieren und dann auch die Macht bzw. Anerkennung ihrer Fachgenossen haben, sie zu veröffentlichen.

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Glaubt nicht dem Hörensagen ... oder eingewurzelten Anschauungen, auch nicht den Worten eines verehrten Meisters; sondern was ihr selbst gründlich geprüft und als euch selbst und anderen zum Wohle dienend erkannt habt, das nehmt an. Siddhartha Gautama
Steffen Bühler
Moderator


Anmeldungsdatum: 13.01.2012
Beiträge: 7244

Beitrag Steffen Bühler Verfasst am: 31. Aug 2020 13:28    Titel: Re: Wissen ohne Erfahrung? Antworten mit Zitat

Brillant hat Folgendes geschrieben:
Obwohl - jetzt wo ich das tippe fällt es mir auf - auch der Begriff „erfunden“ (gefunden) etwas bezeichnet, das bisher versteckt, aber schon vorhanden war.

Das ist tatsächlich einmal die ursprüngliche Bedeutung des althochdeutschen Wortes irfindan gewesen, also "gewahr werden". Im 15. Jahrhundert gab es aber einen Wandel zur heutigen Bedeutung "ersinnen".
Brillant



Anmeldungsdatum: 12.02.2013
Beiträge: 1973
Wohnort: Hessen

Beitrag Brillant Verfasst am: 31. Aug 2020 13:58    Titel: Re: Wissen ohne Erfahrung? Antworten mit Zitat

Steffen Bühler hat Folgendes geschrieben:
irfindan ..., also "gewahr werden"
Das ist es wohl noch heute.

Ein ausgedachter Roman, eine Komposition kann unabhängig von physikalischen Gegebenheiten existieren, aber das „Ersinnen“, also Erfinden von technischen Geräten oder Verfahren muss scheitern, wenn man sie nicht testet.

Die unzähligen perpetua mobilia sind nicht „gewahr geworden“.

Natürlich erkenne ich physikalische Prophezeiungen an, die erst Jahre oder Jahrzehnte später als richtig nachgewiesen werden.

Allerdings wird - wie bei Wahrsagern - vermutlich übersehen, dass die meisten Prophezeihungen nicht eingetreten sind. Oder - wenn der Wahrsager prominent genug ist - die Prophezeihung wird nachträglich interpretiert, den (falschen) Formeln noch ein Faktor hinzugefügt. Ein bekanntes Buch konnte sich so über die Jahrhunderte retten und wird immer noch gelesen ;-)

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Qubit



Anmeldungsdatum: 17.10.2019
Beiträge: 829

Beitrag Qubit Verfasst am: 31. Aug 2020 18:06    Titel: Antworten mit Zitat

Wir wissen heute - auch ganz ohne Philosophie - dass das menschliche Gehirn eine unerbittliche "Realitätsmaschinerie" ist. Es erzeugt permanent eine Repräsentation von Realität. Enthält man ihm den Erfahrungsstrom vor, so wird es trotzdem "seine" Realität erzeugen, dann eben in "phantastischer" Weise.
Diese wird dann freilich wenige intersubjektive Übereinstimmungen finden.
Kant hat mit seinen Urteilen a priorie erkannt, dass wesentliche Grundlagen von Realität in unserem inneren Denkvermögen liegen, somit Teil von "Realität" selbst ist, er hat es "transzendental" genannt. Man nehme zB. unsere Vorstellungen von Raum und Zeit, die wir in der Erfahrung erleben. Es ist eine Erkenntniskritik, die letztlich aussagt, dass die Welt nicht so ist, wie sie erscheint. Aber er hat auch (m.E. richtig) festgestellt, dass wir niemals wissen können, wie die Welt "an sich" ist (er hat es Noumenon genannt). Wenn wir so zB. heutzutage 4-dim. oder noch höherdimensionale Welten denken können, so widerspricht dass eigentlich unserem Urteilsvermögen a priorie, die Welt erscheint für uns (Menschen) ganz anders. Zu dieser Erkenntnis bedarf es aber übrigens nicht nur der "empirischen Erfahrung", sondern es bedarf auch einem gesellschaftlichen Prozess der Erkenntnis, einer "wissenschaftlichen Gemeinschaft".
In gewisser Weise kann man die Erkenntnisse von Kant auch im Prozess wissenschaftlicher Erkenntnise "absorbieren", in dem man einen evolutionstheoretischen Ansatz einer Erkenntnistheorie wählt, bekannt als evolutionäre Erkenntnistheorie.
Ascareth



Anmeldungsdatum: 11.11.2010
Beiträge: 203

Beitrag Ascareth Verfasst am: 04. Sep 2020 12:42    Titel: Antworten mit Zitat

Qubit hat Folgendes geschrieben:
Wir wissen heute - auch ganz ohne Philosophie - dass das menschliche Gehirn eine unerbittliche "Realitätsmaschinerie" ist. Es erzeugt permanent eine Repräsentation von Realität. Enthält man ihm den Erfahrungsstrom vor, so wird es trotzdem "seine" Realität erzeugen, dann eben in "phantastischer" Weise.


Den Begriff "Realität" in diesem Zusammenhang halte ich für schwierig. Ich würde eher sagen "Realitätsmaschine" operierend auf Sinnesdaten, also auf reinen Sinneseindrücke. "Realität" finde ich deshalb problematisch, weil der Zugang dazu erst gelernt werden muss, damit widerspruchsfreie Urteile darüber überhaupt möglich sind.

Qubit hat Folgendes geschrieben:
Diese wird dann freilich wenige intersubjektive Übereinstimmungen finden.


Das sehe ich auch so. Deshalb aber auch der Einwand gegen den Begriff "Realität". Es scheint eben tatsächlich keine absolute Objektivität dem Menschen zugänglich zu sein, obwohl durch Abstraktion und Neutralität in der Nachvollziehbarkeit natürlich danach gestrebt wird, Subjektivität so gut wie möglich zu überwinden. Am Ende steht dann aber wohl bestenfalls die Intersubjektivität.

Qubit hat Folgendes geschrieben:
Kant hat mit seinen Urteilen a priorie erkannt, dass wesentliche Grundlagen von Realität in unserem inneren Denkvermögen liegen, somit Teil von "Realität" selbst ist, er hat es "transzendental" genannt. Man nehme zB. unsere Vorstellungen von Raum und Zeit, die wir in der Erfahrung erleben.


Also die Prinzipien der Vernunft sind zugleich die Prinzipien der physischen Welt? Wir denken in Raum und Zeit und die physische Welt vollzieht sich in Raum und Zeit?

Qubit hat Folgendes geschrieben:
Es ist eine Erkenntniskritik, die letztlich aussagt, dass die Welt nicht so ist, wie sie erscheint. Aber er hat auch (m.E. richtig) festgestellt, dass wir niemals wissen können, wie die Welt "an sich" ist (er hat es Noumenon genannt). Wenn wir so zB. heutzutage 4-dim. oder noch höherdimensionale Welten denken können, so widerspricht dass eigentlich unserem Urteilsvermögen a priorie, die Welt erscheint für uns (Menschen) ganz anders.


Das ist eben die Sache. Kant gilt mittlerweile wohl in vielen Punkten als mehrfach widerlegt. Insbesondere durch Frege und Russel im Bereich der Mathematik scheint dies so zu sein. Es ist aus meiner Sicht auch gar nicht einzusehen, aus welchem Grund bei der Entwicklung einer Sprache, die Mathematik, prinzipiell mit der Anschauung, Sinnesdaten über Raum und Zeit (wobei Zeit sinnlich ja vielleicht gar nicht erfasst werden kann - "Zeitgefühl" ist wohl nur eine zivilisatorische Metapher), letztbegründet werden muss. Mathematische Urteile lassen sich (m.W.n.) gänzlich in Mengentheorie analysieren (So Frege, zunächst nur für die Arithmetik, Russel dann für die Geometrie); jede Funktion ist letztlich eine Punktmenge, also ebenso elementar mengentheoretisch analysierbar. Dass nun neues mathematisches Wissen daraufhin gänzlich a-priorisch ist, erscheint mir nicht verwunderlich; wissend, dass Mathematik oft auch im Austausch mit Physik in der Entwicklung stand (bspw.: Newton), aber am Ende eben doch gänzlich auf Mengentheorie rückführbar ist. Mathematisches Wissen ist allerdings kein Wissen über "die Welt" im ontologischen Sinn, sondern dient beispielsweise Physikern zur Modellierung unseres Orientierungswissens in der Welt - würde ich sagen.

Synthetisch a-priorische Urteile sind also wohl mathematische Urteile, die also unseren mathematischen Sprachvorrat erweitern, jüngst beispielsweise durch die Entwicklung perfektoider Räume (Peter Schulze - Yay! smile ). Solche Urteile kommen gänzlich ohne jegliche Sinnesdaten oder Sinneseindrücke aus, wozu sollten solche dabei auch überhaupt nur in Erwägung gezogen werden?

Die Anwendung dieser Sprache, Mathematik, zur Orientierung nennt man dann beispielsweise Physik oder auch Informatik oder auch Chemie oder auch Biologie oder auch Ökonomie - schwieriger wird es dann im Bereich der natürlichen Sprachen und wie aus diesen eigentlich welche Bedeutung hervorgeht - irgendwann landet man dann möglicherweise bei Habermas.

@Brillant
Dass Urteile oder "ungedachte Gedanken [...] auf Menschen warten, die diese erstmalig formulieren" kann man annehmen, muss man aber nicht. Mathematische Urteile sind aus meiner Sicht jedenfalls so oder so erfahrungsunabhängig im Sinne von a-priori.

A-priorisches (synthetisches) Wissen über das, was man als "Realität" bezeichnen möchte, kann es aus meiner Sicht allerdings nicht geben, weil ja eben gerade das, worüber solche Urteile Auskunft gäben, eben das ist, was Menschen nur durch den Einsatz von Sprache (Mathematik) zu beschreiben versuchen können. Es ist dann aber immer die Leistungsfähigkeit einer Beschreibung, also wie gut diese auf einen Sachverhalt passt, entscheidend dafür, ob eine Beschreibung zumindest vorübergehend angemessen ist. Damit würde man also von Orientierungswissen, also Wissen zur Orientierung in der "Realität" - welche man übrigens noch nicht einmal als existent annehmen muss, es reicht eine Zielvorstellung und Wissen (oder begründetes Fürmöglichhalten) zur Zielverfolgung aus.

Würde mich interessieren, wie Ihr darüber denkt. Ich erhebe natürlich keinen Anspruch auf "Wahrheit" - was auch immer das sein sollte Augenzwinkern. Es erscheint mir nur sinnvoll, diese von mir nur mal so lose aufgeführten Gedanken zu hegen. Nach allem, was ich bisher darüber gelesen habe, erscheint mir besonders der Begriff "Orientierungswissen" plausibel zu sein - notabene: Plausibilität, die "kleine Schwester der Logik" smile.

Qubit hat Folgendes geschrieben:
Zu dieser Erkenntnis bedarf es aber übrigens nicht nur der "empirischen Erfahrung", sondern es bedarf auch einem gesellschaftlichen Prozess der Erkenntnis, einer "wissenschaftlichen Gemeinschaft".


Da würde ich zustimmen, da insbesondere der Begriff intersubjektiv-verankertes Wissen dazu passt.

Qubit hat Folgendes geschrieben:
In gewisser Weise kann man die Erkenntnisse von Kant auch im Prozess wissenschaftlicher Erkenntnise "absorbieren", in dem man einen evolutionstheoretischen Ansatz einer Erkenntnistheorie wählt, bekannt als evolutionäre Erkenntnistheorie.


"Die Erkenntnisse von Kant" - möglicherweise ja, die Erkenntnistheorie insgesamt aus meiner Sicht nicht, weil in der Erkenntnistheorie auch außerwissenschaftlich angesetzt wird. Bezogen auf Sprachen hieße das, dass die "Sprache der Wissenschaft" wenn auch nicht rein formal (logischer Positivismus), dann aber zumindest formaler und präziser ist als dies im natürlich-sprachlichen Bereich der Fall zu sein scheint.

Kurz zum (klassischen) logischen Positivismus:
Aus heutiger Sicht erscheint der klassische logische Positivismus ohnedies als gescheitert in seinem Vorhaben, Sprache gänzlich auf Elementarsätze reduzieren zu wollen. Wenn auch natürlich jede Auseinandersetzung mit Denkschulen immer fruchtbar sein kann, was allein die Schärfung der Begriffe und des Denkens angeht, so erscheint nicht zuletzt die "Wittgensteinsche Wende" ( smile ) von seinem tractatus logicus philosophiecus hin zu seinen Philosophischen Untersuchungen kennzeichnend für die Nichtaurechthaltbarkeit des klassischen logischen Positivismus.

Gruß, Asca
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18078

Beitrag TomS Verfasst am: 04. Sep 2020 13:05    Titel: Antworten mit Zitat

Der logische Positivismus und der teilweise daraus resultierende Instrumentalismus in der Physik ist unabhängig von der Sprachphilosophie gescheitert, nur haben das viele Physiker noch nicht mitbekommen.

Rein positivistisch wäre ein präziser Algorithmus auf Basis des geozentrischen Weltbildes mittels Epizyklen akzeptabel gewesen, solange keine Raumsonden zu anderen Planeten geschickt wurden. Immerhin beruht das geozentrische Weltbild auf den Sinnesdaten mit der expliziten Abwesenheit einer Bewegung der Erde ... also alles prima.

Unabhängig von der Frage nach der Realität, die man als Metaphysik beiseite lassen könnte, halte ich die Weigerung des Instrumentalismus bzgl. eines tieferen Verständnis - solange nur die Daten passen - für teilweise wissenschafts- bzw. fortschrittsfeindlich. Der Instrumentalismus ist aber natürlich bequem, solange man mit etablierten Modellen schön arbeiten kann; warum soll man tiefer fragen?

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Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
Frankx



Anmeldungsdatum: 04.03.2015
Beiträge: 982

Beitrag Frankx Verfasst am: 07. Sep 2020 14:52    Titel: Antworten mit Zitat

Zitat:
Rein positivistisch wäre ein präziser Algorithmus auf Basis des geozentrischen Weltbildes mittels Epizyklen akzeptabel gewesen, solange keine Raumsonden zu anderen Planeten geschickt wurden. Immerhin beruht das geozentrische Weltbild auf den Sinnesdaten mit der expliziten Abwesenheit einer Bewegung der Erde ... also alles prima.


Der Wechsel vom geozentrischem zum heliozentrischem System erfolgte nicht aus dem Bedürfnis nach tieferem Verständnis, sondern aus praktischen Erwägungen.
Die (Voraus-)Berechnung der beobachtbaren Daten vereinfachte sich plötzlich deutlich.

Man ersetzte also ein Werkzeug durch ein besseres. Basis für beide waren immer die beobachtbaren Daten.


Zitat:
Unabhängig von der Frage nach der Realität, die man als Metaphysik beiseite lassen könnte, halte ich die Weigerung des Instrumentalismus bzgl. eines tieferen Verständnis - solange nur die Daten passen - für teilweise wissenschafts- bzw. fortschrittsfeindlich. Der Instrumentalismus ist aber natürlich bequem, solange man mit etablierten Modellen schön arbeiten kann; warum soll man tiefer fragen?


Die Instrumentalisten weigern sich keineswegs, ihre Werkzeuge zu verbessern, da sie ganz praktischen, ökonomischen Zwängen unterworfen sind und damit immer eine Verbesserung der Effektivität der verwendeten Werkzeuge angestrebt wird.
Sie weigern sich lediglich in die Werkzeuge mehr hineinzuinterpretieren, als sie sind, nämlich menschengemachte Werkzeuge.


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TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18078

Beitrag TomS Verfasst am: 07. Sep 2020 15:23    Titel: Antworten mit Zitat

Frankx hat Folgendes geschrieben:
Der Wechsel vom geozentrischem zum heliozentrischem System erfolgte nicht aus dem Bedürfnis nach tieferem Verständnis, sondern aus praktischen Erwägungen.
Die (Voraus-)Berechnung der beobachtbaren Daten vereinfachte sich plötzlich deutlich.

War das historisch so? Ich denke nein.

Frankx hat Folgendes geschrieben:
Die Instrumentalisten weigern sich keineswegs, ihre Werkzeuge zu verbessern ... Sie weigern sich lediglich in die Werkzeuge mehr hineinzuinterpretieren, als sie sind, nämlich menschengemachte Werkzeuge.

Es gab tatsächlich eine massive Weigerung; die Veröffentlichung der Ergebnisse von Bell wurde von Kopenhagen massiv hintertrieben, da dazu seit von Neumanns falschem (!) Beweis nichts mehr zu sagen wäre ( suche gerne die Quellen raus).

Eine Arbeit wie die von Bell und in deren Folge die der Experimentalphysiker sowie der damit verbundene Erkenntnisgewinn war unerwünscht bzw. hätte schlicht nicht stattgefunden.

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Frankx



Anmeldungsdatum: 04.03.2015
Beiträge: 982

Beitrag Frankx Verfasst am: 07. Sep 2020 16:25    Titel: Antworten mit Zitat

Zitat:
War das historisch so? Ich denke nein.


Für Kepler ging es um die (mathematische) Anpassung der Berechnungen an die beobachteten Daten.

Mathematisch lassen sich mit beiden Methoden die Beobachtungen innerhalb jeder beliebiger vorgegebener Fehlertoleranz berechnen. Sie sind einander völlig äquivalent. Nur der Aufwand steigt bei den Epizyklen im Vergleich zur Ellipsenberechnung erheblich.

Newton kam erst viel später.


Zitat:
Es gab tatsächlich eine massive Weigerung;.....

Es mag solche Einzelfälle gegeben haben. Die beruhen jedoch möglicherweise auf persönlichen Animositäten, politischen Einfluss, Kampf um wissenschaftliche Reputation, Ämter, Finanzierungen usw. Ich sehe das nicht als grundsätzliches Problem der Instrumentalisten. Das ist imho eine unzulässige Verallgemeinerung.
Wenn dem so wäre (wissenschafts- bzw. fortschrittsfeindlich), dürfte es gar keine neuen Erkenntnisse durch Instrumentalisten geben.


.
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 07. Sep 2020 16:38    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
Frankx hat Folgendes geschrieben:
Der Wechsel vom geozentrischem zum heliozentrischem System erfolgte nicht aus dem Bedürfnis nach tieferem Verständnis, sondern aus praktischen Erwägungen.
Die (Voraus-)Berechnung der beobachtbaren Daten vereinfachte sich plötzlich deutlich.

War das historisch so? Ich denke nein.


Kommt wohl darauf an, wann man genau den Zeitpunkt des "Wechsels" festlegt und wie man in diesem Zusammenhang z.B. das Phänomen der Venusphasen bewertet. War es unmöglich oder nur sehr schwierig im Ptolemäischen System zu erklären? (Ich denke eine wirklich erfolgreiche Erklärung gibt es nicht.) Ich glaube der Konsens ist, daß Kopernikus nicht unbedingt schlagende Argumente für sein und gegen das Ptolemäische System hatte. Aber zu Zeiten Galileis sah das wohl schon anders aus.

Zitat:

Frankx hat Folgendes geschrieben:
Die Instrumentalisten weigern sich keineswegs, ihre Werkzeuge zu verbessern ... Sie weigern sich lediglich in die Werkzeuge mehr hineinzuinterpretieren, als sie sind, nämlich menschengemachte Werkzeuge.

Es gab tatsächlich eine massive Weigerung; die Veröffentlichung der Ergebnisse von Bell wurde von Kopenhagen massiv hintertrieben, da dazu seit von Neumanns falschem (!) Beweis nichts mehr zu sagen wäre ( suche gerne die Quellen raus).


Daran wäre ich interessiert. Von Neumanns Beweis ist nicht falsch. Aber es gibt m.E. Hinweise darauf, daß Bell die Behauptung falsch interpretiert und deshalb auch falsch kritisiert hat. Bohms Theorie ist auch kein Gegenbeispiel zur Behauptung von Neumanns, sondern im Gegenteil eine Bestätigung seiner Schlußfolgerungen. Einige Bemerkungen und Quellen dazu siehe hier und hier.

Wenn das stimmt, wäre das, abgesehen von finsteren Motiven, ein rationaler Grund zumindest eine unkorrigierte Version von Bells Arbeit abzulehnen; auch wenn ich dir zustimme, daß der Wert von Bells Artikel nicht wesentlich durch diese Fehlinterpretation geschmälert würde.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18078

Beitrag TomS Verfasst am: 07. Sep 2020 16:51    Titel: Antworten mit Zitat

Frankx hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Wat das historisch so? Ich denke nein.


Für Kepler ging es um die (mathematische) Anpassung der Berechnungen an die beobachteten Daten.

Woher hast du diese Darstellung?

Es ging den Astronomen nicht nur um eine Berechnung von Daten, sondern um das tatsächlich real existierende Sonnensystem.

Die Berechnung von Daten hätten Rom nicht gejuckt ;-)

Frankx hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Es gab tatsächlich eine massive Weigerung;.....

Es mag solche Einzelfälle gegeben haben. Die beruhen jedoch möglicherweise auf persönlichen Animositäten, politischen Einfluss, Kampf um wissenschaftliche Reputation, Ämter, Finanzierungen usw. Ich sehe das nicht als grundsätzliches Problem der Instrumentalisten. Das ist imho eine unzulässige Verallgemeinerung.

Es war - im 20 Jh. - ein Jahrzehnte dauernder Einzelfall ;-)

Frankx hat Folgendes geschrieben:
Wenn dem so wäre (wissenschafts- bzw. fortschrittsfeindlich), dürfte es gar keine neuen Erkenntnisse durch Instrumentalisten geben.

Das ist sicher zu pauschal.

Fakt ist jedoch, dass es über Jahrzehnte kaum Fortschritte bzgl. der Grundlagen der Quantenmechanik gab.

Es wurde behauptet, eine realistische Interpretation sei unmöglich, bzw. die Kopenhagener Interpretation sei die einzig mögliche - angeblicher Beweis von Neumanns. EPR, Bohm, Bell, Everett u.a. - insbs. auf Bell gehen fundamentale und experimentell überprüfbare Erkenntnisse zurück - waren allesamt keine Instrumentalisten.

Die Fakten sprechen m.M.n. für sich.

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Frankx



Anmeldungsdatum: 04.03.2015
Beiträge: 982

Beitrag Frankx Verfasst am: 07. Sep 2020 17:10    Titel: Antworten mit Zitat

Zitat:
Woher hast du diese Darstellung?


Zitat Wiki: "Die drei Keplerschen Gesetze sind die fundamentalen Gesetzmäßigkeiten des Umlaufs der Planeten um die Sonne. Johannes Kepler fand sie Anfang des 17. Jahrhunderts, als er das heliozentrische System nach Kopernikus an die genauen astronomischen Beobachtungen von Tycho Brahe anzupassen versuchte."

Zitat:
Es ging den Astronomen nicht nur um eine Berechnung von Daten, sondern um das tatsächlich real existierende Sonnensystem.


Wenn ich mich recht entsinne, betrachtete Kepler selbst seine Methode weniger als Abbild einer Realität, denn als einfachere mathematische Methode.
Deshalb blieb er auch von der Kirche relativ unbehelligt, im Gegensatz z.B. zu Galileo.

Womit wir auch wieder bei der Frage wären: "Was ist Realität?"
In der Realität bewegen sich die Planeten nicht auf Ellipsenbahnen.


.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18078

Beitrag TomS Verfasst am: 07. Sep 2020 22:45    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Kommt wohl darauf an, wann man genau den Zeitpunkt des "Wechsels" festlegt und wie man in diesem Zusammenhang z.B. das Phänomen der Venusphasen bewertet. War es unmöglich oder nur sehr schwierig im Ptolemäischen System zu erklären? (Ich denke eine wirklich erfolgreiche Erklärung gibt es nicht.) Ich glaube der Konsens ist, daß Kopernikus nicht unbedingt schlagende Argumente für sein und gegen das Ptolemäische System hatte. Aber zu Zeiten Galileis sah das wohl schon anders aus.

Ich denke, der wesentliche Punkt ist, das damals nicht zwischen Modell und Realität unterschieden wurde. Niemand hat - im instrumentalistischen Sinne - behauptet, Spähern, Epizyklen, Kreise oder Ellipsen wäre lediglich Modelle einer prinzipiell unerkennbaren Realität. Es wurde um “die” Realität bzw. “die eine Wahrheit” gerungen. Das mag aus heutiger Sicht seltsam erscheinen, aber man muss sich davor hüten - was ich dir keinesfalls vorwerfe - den Kollegen von damals instrumentalistische Ansichten zu unterstellen oder zu versuchen, ihre Modelle durch diese Brille zu sehen.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Aber es gibt m.E. Hinweise darauf, daß Bell die Behauptung falsch interpretiert und deshalb auch falsch kritisiert hat. Bohms Theorie ist auch kein Gegenbeispiel zur Behauptung von Neumanns, sondern im Gegenteil eine Bestätigung seiner Schlußfolgerungen.

Klingt nach intensivem Quellenstudium, das da zu betreiben ist.

Ich hatte Bell bzgl. seiner Kritik immer anders verstanden. Er weist ja explizit darauf hin, dass Bohm - entgegen der etablierten Ansicht - eine realistische Interpretation geliefert hatte.

https://cds.cern.ch/record/111654/files/vol1p195-200_001.pdf

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Wenn das stimmt, wäre das, abgesehen von finsteren Motiven, ein rationaler Grund zumindest eine unkorrigierte Version von Bells Arbeit abzulehnen; auch wenn ich dir zustimme, daß der Wert von Bells Artikel nicht wesentlich durch diese Fehlinterpretation geschmälert würde.

Das Hauptargument von Bell ist sicher - unabhängig von Kopenhagen bzw. im Artikel selbst nur eine kurze Bemerkung - seine mathematische Abhandlung.

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index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 11. Sep 2020 09:37    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
Kommt wohl darauf an, wann man genau den Zeitpunkt des "Wechsels" festlegt und wie man in diesem Zusammenhang z.B. das Phänomen der Venusphasen bewertet. War es unmöglich oder nur sehr schwierig im Ptolemäischen System zu erklären? (Ich denke eine wirklich erfolgreiche Erklärung gibt es nicht.) Ich glaube der Konsens ist, daß Kopernikus nicht unbedingt schlagende Argumente für sein und gegen das Ptolemäische System hatte. Aber zu Zeiten Galileis sah das wohl schon anders aus.

Ich denke, der wesentliche Punkt ist, das damals nicht zwischen Modell und Realität unterschieden wurde.


Kannst du das etwas ausführen? Wann ist "damals"? Die Zeit von Kopernikus oder Galilei und Kepler? Handelte es sich um einen allgemeinen Irrtum? Worin genau bestand er und welche historischen Hinweise gibt es für sein Bestehen?

Zitat:

Niemand hat - im instrumentalistischen Sinne - behauptet, Spähern, Epizyklen, Kreise oder Ellipsen wäre lediglich Modelle einer prinzipiell unerkennbaren Realität. Es wurde um “die” Realität bzw. “die eine Wahrheit” gerungen. Das mag aus heutiger Sicht seltsam erscheinen, aber man muss sich davor hüten - was ich dir keinesfalls vorwerfe - den Kollegen von damals instrumentalistische Ansichten zu unterstellen oder zu versuchen, ihre Modelle durch diese Brille zu sehen.


Ich glaube tatsächlich nicht, daß es irgendeinen Beleg dafür gibt, daß die Kopernikanische Wende aus instrumentalistischen Motiven heraus vollzogen wurde. Wieso Frankx sein Wikipedia-Zitat als Beleg für seine Behauptung ansieht, ist mir schleierhaft. Hier ein Wikipedia-Zitat über Kepler, in dem tatsächlich auf diese Frage eingegangen wird:

"As he indicated in the title [von Keplers Werk Mysterium Cosmographicum], Kepler thought he had revealed God's geometrical plan for the universe. Much of Kepler's enthusiasm for the Copernican system stemmed from his theological convictions about the connection between the physical and the spiritual; the universe itself was an image of God, with the Sun corresponding to the Father, the stellar sphere to the Son, and the intervening space between to the Holy Spirit. His first manuscript of Mysterium contained an extensive chapter reconciling heliocentrism with biblical passages that seemed to support geocentrism."

Keplers Akzeptanz des Kopernikanischen Systems scheint also zu einem Großteil auf obskure Metaphysik zurückzuführen zu sein, nicht auf den Wunsch einfachere Berechnungen durchzuführen. Die Gesetze der Planetenbewegung waren nur der Versuch dieses metaphysisch motivierte Weltbild mit der Realität in Einklang zu bringen.

Galileis Eintreten für das Kopernikanische System beruhte anscheinend zumindest teilweise auf seinen Beobachtungen der Jupitermonde und der Venusphasen.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Aber es gibt m.E. Hinweise darauf, daß Bell die Behauptung falsch interpretiert und deshalb auch falsch kritisiert hat. Bohms Theorie ist auch kein Gegenbeispiel zur Behauptung von Neumanns, sondern im Gegenteil eine Bestätigung seiner Schlußfolgerungen.

Klingt nach intensivem Quellenstudium, das da zu betreiben ist.

Ich hatte Bell bzgl. seiner Kritik immer anders verstanden. Er weist ja explizit darauf hin, dass Bohm - entgegen der etablierten Ansicht - eine realistische Interpretation geliefert hatte.

https://cds.cern.ch/record/111654/files/vol1p195-200_001.pdf


Aber was hat das mit von Neumanns Beweis zu tun?

von Neumann zeigt, daß verborgene Parameter das "Quantenprinzip" (nicht von Neumanns Terminologie) verletzen, d.h. daß nicht dieselbe eineindeutige Zuordnung von physikalischen Größen auf hermitesche Operatoren bestehen kann, wie von der Quantenmechanik angenommen. von Neumann genügt die Voraussetzung, daß diese Zuordnung beliebige Funktionen einer einzigen und Summen beliebiger physikalischer Größen respektiert. Insbesondere gilt also: Wenn , dann . Dies ist bei von Neumann Bedingung II.

Dieses Prinzip verletzten die verborgenen Teilchenorte der Bohmschen Mechanik ebenfalls, und sie ist deshalb kein Gegenbeispiel. Bell mißversteht anscheinend diese Behauptung aber dahingehend, daß verborgene Variablen im Widerspruch zu den empirischen Voraussagen der Quantenmechanik stünden. Der Abschnitt über von Neumanns Argument in "On the Problem of Hidden Variables in Quantum Mechanics" schließt mit:

"It was not the objective measurable predictions of quantum mechanics which ruled out hidden variables. It was the arbitrary assumption of a particular (and impossible) relation between the results of incompatible measurements either of which might be made on a given occasion but only one of which can in fact be made."

Die "willkürliche Annahme" ist für beliebige Größen und . (von Neumann nennt dies Annahme B'.) Dazu schreibt Bell:

"[von Neumann's] essential assumption is: Any real linear combination of any two Hermitian operators represents an observable, and the same linear combination of expectation values is the expection value of the combination. This is true for quantum mechanical states; it is required by von Neumann of the hypothetical dispersion free states also."

Für von Neumann ist B' aber lediglich eine operationale Definition von aus den entsprechenden Definitionen von und , keine Annahme über die Eigenschaften dispersionsfreier (oder anderer) Zustände. Sie hat auch nichts mit hermiteschen Operatoren zu tun. Aus dieser Definition folgt entweder oder eben die Verletzung des Quantenprinzips. Bell vermengt also B' und II zu einer einzigen Voraussetzung, deren Trennung ein wesentlicher Punkt in von Neumanns Argument war. Und das ist genau das Problem mit seiner Kritik.
TomS
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Beitrag TomS Verfasst am: 11. Sep 2020 13:23    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
TomS hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
Kommt wohl darauf an, wann man genau den Zeitpunkt des "Wechsels" festlegt und wie man in diesem Zusammenhang z.B. das Phänomen der Venusphasen bewertet. War es unmöglich oder nur sehr schwierig im Ptolemäischen System zu erklären? (Ich denke eine wirklich erfolgreiche Erklärung gibt es nicht.) Ich glaube der Konsens ist, daß Kopernikus nicht unbedingt schlagende Argumente für sein und gegen das Ptolemäische System hatte. Aber zu Zeiten Galileis sah das wohl schon anders aus.

Ich denke, der wesentliche Punkt ist, das damals nicht zwischen Modell und Realität unterschieden wurde.

Kannst du das etwas ausführen? Wann ist "damals"? Die Zeit von Kopernikus oder Galilei und Kepler? Handelte es sich um einen allgemeinen Irrtum? Worin genau bestand er und welche historischen Hinweise gibt es für sein Bestehen?

So wie das geschrieben und zitiert wird, hat das tatsächlich wenig miteinander zu tun. Der eigtl. Punkt ist ...

index_razor hat Folgendes geschrieben:
TomS hat Folgendes geschrieben:
Niemand hat - im instrumentalistischen Sinne - behauptet, Spähern, Epizyklen, Kreise oder Ellipsen wäre lediglich Modelle einer prinzipiell unerkennbaren Realität. Es wurde um “die” Realität bzw. “die eine Wahrheit” gerungen. Das mag aus heutiger Sicht seltsam erscheinen, aber man muss sich davor hüten - was ich dir keinesfalls vorwerfe - den Kollegen von damals instrumentalistische Ansichten zu unterstellen oder zu versuchen, ihre Modelle durch diese Brille zu sehen.

Ich glaube tatsächlich nicht, daß es irgendeinen Beleg dafür gibt, daß die Kopernikanische Wende aus instrumentalistischen Motiven heraus vollzogen wurde. Wieso Frankx sein Wikipedia-Zitat als Beleg für seine Behauptung ansieht, ist mir schleierhaft.

Genau.

Zunächst mal war den Astronomen klar, dass sie die Beobachtungen korrekt erklären mussten. Dazu benötigt man irgendein Bild, in der Renaissance bereits ein recht präzises geometrisches Modell.

Natürlich funktionieren zunächst sowohl geo- als auch heliozentrisches Modell quantitativ. Ab wann ersteres dann tatsächlich durch Beobachtungen zunehmend in Schwierigkeiten gerät, kann ich nicht sagen.

Darauf wollte ich aber gar nicht hinaus.

Der Begriff des Modells hat sich seither gewandelt, und man darf sicher nicht unterstellen, die Wissenschaftler und Philosophen der Renaissance und folgender Jahrhunderte vor Kant und später insbs. den Positivisten etc. hätten bereits deren Modellverständnis gehabt. Sie sind nicht nur dafür eingetreten, dass sie ein funktionierendes Modell hätten, sondern dass das Modell wahr wäre. Diese Position wurde unterschiedlich deutlich vertreten - sicher sehr deutlich durch Galilelei - aber zumeist eben doch gewissermaßen “ontologisch”. Andere philosophische Richtungen fallen mir nur wenig ein - Ockham möglicherweise. Dadurch war natürlich ein Konflikt mit der Kirche vorprogrammiert. Ich denke auch, dass dies nach der Reformation nicht an die große Glocke gehängt werden musste; viele Wissenschaftler konnten ja in nicht-katholische Länder ausweichen.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Keplers Akzeptanz des Kopernikanischen Systems scheint also zu einem Großteil auf obskure Metaphysik zurückzuführen zu sein, nicht auf den Wunsch einfachere Berechnungen durchzuführen.

Ja, aber eben doch auf Metaphysik - wenn auch in diesem Falle obskure. Das ist genau das, was ich meine.

Natürlich war den Wissenschaftlern klar - allerspätestens seit Newton - dass ihre Modelle nicht eins-zu-eins mit der Realität identisch sein würden. Aber das hinderte sie doch nicht daran, sie als Schlüssel oder einen Weg hin zum Verständnis der Realität aufzufassen.

Die Idee, mathematische Modelle würden schlichtweg nichts bedeuten, war eine philosophische Episode insbs. der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts.


Den Rest muss ich mir nochmal in Ruhe anschauen.

Hast du evtl. eine online-Quelle für von Neumanns Originalarbeit? Ich befürchte, andere Bücher verzerren seine Intention.

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Frankx



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Beitrag Frankx Verfasst am: 11. Sep 2020 16:15    Titel: Antworten mit Zitat

Zitat:
ch glaube tatsächlich nicht, daß es irgendeinen Beleg dafür gibt, daß die Kopernikanische Wende aus instrumentalistischen Motiven heraus vollzogen wurde. Wieso Frankx sein Wikipedia-Zitat als Beleg für seine Behauptung ansieht, ist mir schleierhaft.


Ich muss mich hier entschuldigen. Ich hatte das nur dunkel Erinnerung und nicht noch mal überprüft.

Offensichtlich hatte ich dabei nicht Kepler, sondern Kopernikus im Sinn, über den ich vor vielen Jahren mal ein Buch gelesen habe.

Bei Wiki findet man dazu:
"Der Reformator Andreas Osiander hatte zudem eigenmächtig und anonym ein Vorwort hinzugefügt, in dem das neue Weltbild als bloßes Rechenhilfsmittel dargestellt wird, als mathematische Hilfskonstruktion zur einfacheren Berechnung der Planetenbahnen."

Demnach entspricht das auch nicht seiner Meinung, sondern wurde ihm zugesprochen. Leider habe ich das Buch nicht mehr und kann nicht nachschauen, wie das dort formuliert war.


.
index_razor



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Beitrag index_razor Verfasst am: 11. Sep 2020 16:50    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:

Der Begriff des Modells hat sich seither gewandelt, und man darf sicher nicht unterstellen, die Wissenschaftler und Philosophen der Renaissance und folgender Jahrhunderte vor Kant und später insbs. den Positivisten etc. hätten bereits deren Modellverständnis gehabt. Sie sind nicht nur dafür eingetreten, dass sie ein funktionierendes Modell hätten, sondern dass das Modell wahr wäre.

[...]

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Keplers Akzeptanz des Kopernikanischen Systems scheint also zu einem Großteil auf obskure Metaphysik zurückzuführen zu sein, nicht auf den Wunsch einfachere Berechnungen durchzuführen.

Ja, aber eben doch auf Metaphysik - wenn auch in diesem Falle obskure. Das ist genau das, was ich meine.


Ich halte deinen Standpunkt auch für absolut plausibel. Ich wollte lediglich noch ein paar Belege beisteuern.

Zitat:

Natürlich war den Wissenschaftlern klar - allerspätestens seit Newton - dass ihre Modelle nicht eins-zu-eins mit der Realität identisch sein würden. Aber das hinderte sie doch nicht daran, sie als Schlüssel oder einen Weg hin zum Verständnis der Realität aufzufassen.

Die Idee, mathematische Modelle würden schlichtweg nichts bedeuten, war eine philosophische Episode insbs. der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts.


Das ist auch der Grund, weshalb mir diese instrumentalistische Deutung fraglich vorkommt. Instrumentalismus, wie wir ihn auffassen, ist meines Wissens eine recht neue Erfindung aus dem späten 19. oder frühen 20. Jahrhundert, jedenfalls nichts, dessen Einfluß man ohne weiteres in die Renaissance oder selbst das 17. Jahrhundert verlegen kann.

Zitat:

Den Rest muss ich mir nochmal in Ruhe anschauen.

Hast du evtl. eine online-Quelle für von Neumanns Originalarbeit?


Ja, zufällig gerade gefunden (ist leider nicht gerade angenehm zu lesen, zumindest in meinem Browser):

https://gdz.sub.uni-goettingen.de/id/PPN379400774?tify=%7B%22view%22:%22toc%22%7D

von Neumanns Buch "Mathematische Grundlagen der Quantenmechanik" ist auch die Quelle, auf die Bell sich in "On the Problem of Hidden Variables in Quantum Mechanics" bezieht und gegen die er seine Kritik richtet.

Relevant sind in diesem Zusammenhang die Abschnitte IV.1 und IV.2.
TomS
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Beitrag TomS Verfasst am: 12. Sep 2020 10:21    Titel: Antworten mit Zitat

Schwierig mir der alten Literatur.

In seinem bekannten Paper

https://cds.cern.ch/record/111654/files/vol1p195-200_001.pdf
On the Einstein Podolsky Rosen Paradox

schreibt Bell lediglich in der Einleitung, dass die Argumente aus [3] d.h. von Neumann’s Buch

https://gdz.sub.uni-goettingen.de/id/PPN379400774?tify=%7B%22view%22:%22toc%22%7D
Mathematische Grundlagen der Quantenmechanik

gegen verborgene Variablen - auch ohne Separabilität bzw. Lokalität - lückenhaft (“wanting”) sind

Im weiteren geht nicht nicht auf diese Probleme ein, sondern verweist auf [4], d.h

https://people.isy.liu.se/jalar/kurser/QF/references/Bell1966.pdf
On the problem of hidden variables in quantum mechanics

Dort zitiert er in Fußnote 9 eine englische Ausgabe des o.g. Buchs.

Ich gehe aber davon aus, es handelt sich um die von dir genannten Abschnitte IV.1 - IV.2, insbs. die Schlussfolgerungen an Seite 170 ff.

Dort schreibt von Neumann “... weil die streuungsfreien Gesamtheit, die den wirklichen Zuständen entsprechen müssten [...] gar nicht existieren [...] Es würde nicht genügen, wenn außer der bekannten, in der Quantenmechanik durch Operatoren repräsentierten physikalischen Größen, noch weitere, bisher unentdeckte, existierten [...] Es handelt sich also gar nicht [...] um eine Interpretationsfrage der Quantenmechanik, vielmehr müsste dieselbe [die Quantenmechanik] objektiv falsch sein, damit ein anderes Verhalten der Elementarprozesse als das statistische möglich wird.”

So, und das ist nun bekanntermaßen falsch.

Die Idee Bells bestand ja darin, diese Schlussfolgerungen von Neumanns anzugreifen. In der Folge stellte sich heraus, dass es u.a. Kausalität bzw. Separabilität sind, wo der “Beweis” lückenhaft ist. Die Bohmsche Quantenmechanik liefert eine Version (oder Interpretation?) der Quantenmechanik, die die Teilchenorte als verborgene Parameter enthält und die eine zumindest gedankliche Separation in diesbzgl. streuungsfreie Ensembles zulässt - auch wenn diese nicht experimentell präparieren oder messen können. Das freilich um den Preis der Lokalität.

Ein weiterer oft geäußerter Kritikpunkt an von Neumanns Beweis ist das Postulat, der Linearität von Messgrößen und Erwartungswerten - siehe deine Anmerkungen oben. Das ist m.E. schon ein gewichtiger Einwand, der auch von anderen kritisiert wird.

Grete Hermann:
Die naturphilosophischen Grundlagen der Quantenmechanik
§7 Der Zirkel in Neumanns Beweis

Ich sehe jedoch nicht, dass er in irgendeiner Form für die Kritik an von Neumanns oben zitierter Schlussfolgerung relevant ist.

Man muss m.E. unterscheiden: Prinzipielle Lücken in von Neumanns Beweis insbs. im Umfeld der von dir genannten Annahme sowie explizites Gegenbeispiel nach Bohm.

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Beitrag TomS Verfasst am: 12. Sep 2020 11:17    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Das ist auch der Grund, weshalb mir diese instrumentalistische Deutung fraglich vorkommt. Instrumentalismus, wie wir ihn auffassen, ist meines Wissens eine recht neue Erfindung aus dem späten 19. oder frühen 20. Jahrhundert, jedenfalls nichts, dessen Einfluß man ohne weiteres in die Renaissance oder selbst das 17. Jahrhundert verlegen kann.

Genau.

Und man muss sich verdeutlichen, warum dieser Instrumentalismus gerade in der Physik des 20. Jh. so erfolgreich sein konnte:

1) Eine “neue Quantenmechanik”, die mit der gesamten Tradition der Erklärung der Natur, der Kausalität sowie der Kohärenz der Theorie (Mikro- und Makrokosmos inkl. Experiment) bricht. Instrumentalismus war eine Verteidigungshaltung in den Sinne “wir müssen nichts verstehen, solange wir es nur vorausberechnen können”. Historisch betrachtet ein weiser Schachzug der Kopenhagener, denn - mit Ausnahme der Everettschen Quantenmechanik - kennen wir bis heute keine Variante, die ein echtes “Verstehen” ermöglicht - und bzgl. Everett ist die Ablehnung naturgemäß groß. Es ging Bohr et al. letztlich darum, die Theorie zu etablieren, und da wären philosophische Diskussionen schädlich gewesen.

2) Die Geisteshaltung nach dem zweiten Weltkrieg: eine zerstörte bzw. diskreditierte Physik in Deutschland und Teilen Europas, eine anti-philosophische Haltung in den USA, wo es nie wirklich eine Verzahnung von Physik und Philosophie gab (siehe Feynman, exemplarisch für viele), sowie eine zum Einen anti-wissenschaftliche Entwicklung der Philosophie in Europa, zum Anderen eine zwar wissenschaftliche jedoch positivistische Richtung. Sprich: das geistige Umfeld bzgl. metaphysischer Diskussionen zwischen Physik und Philosophie war ausgetrocknet, der Kommunikationsfaden zwischen beiden Disziplinen abgerissen.

Historisch betrachtet ist das m.E. nur eine Episode. Viele Physiker, die sich selbst als Instrumentalisten bezeichnen, sind gar keine solchen; sie haben lediglich kein tieferes Interesse oder Verständnis an bzw. für diese Diskussionen. Und diejenigen Physiker, die daran Interesse haben, sind nur selten Instrumentalisten. Deswegen halte ich den Instrumentalismus für eine Verengung der Diskussion, die jeder einzelne für sich wählen kann und schon immer konnte, ohne dass dies für diejenigen, die diese Verengung nicht mitgehen, irgendeine Bedeutung hätte.

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Beitrag Qubit Verfasst am: 12. Sep 2020 11:46    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:

Und man muss sich verdeutlichen, warum dieser Instrumentalismus gerade in der Physik des 20. Jh. so erfolgreich sein konnte:


Grosse theoretische Revolutionen (in etwa Sinne Kuhns) sind historisch immer auch mit Personen naturphilosophischer Anschauungen verbunden gewesen (was man auch immer davon im konkreten Fall halten mag).
Andererseits ist erstaunlich, dass der physikalische Fortschritt defacto davon unabhängig ist, die naturphilosophische Anschauung wird da zweitrangig.
Was die Quantenmechanik angeht, gibt es da eine Wucherung von Vorstellungen.
z.B. (als Auswahl):
Zitat:

Copenhagen Interpretations
Bohr, Heisenberg, Pauli, von Weizsäcker, Peierls,
Wheeler (they're actually all different!)

Nonlocal Hidden Variables
de Broglie, Bohm, Bub (early on), Maudlin, Goldstein,
Valentini, Norsen, Hardy

Stochastic Mechanics
Nelson, Smolin (Lee)

Modal Interpretations
Kochen, Dieks, van Fraassen, Bub (later on), Healey (for
a time), Spekkens & Sipe (briefly)

Quantum Logics
Birkhoff & von Neumann, Mackey, Jauch, Piron, Finkelstein,
Putnam

Consciousness-Induced Collapse Theories
Wigner, von Neumann

Objective Collapse Models
Ghirardi-Rimini-Weber, Pearl, Penrose, Frigg, Gisin,
Tumulka, Albert

Consistent Histories
Griffiths, Omnes

Transactional Interpretation
Cramer, Kastner

Relational Interpretations
Rovelli, Spekkens (TBA)

Ensemble Interpretation
Einstein (?), Ballentine

Informational Interpretations
Zeilinger, Brukner, Bub (presently)

Superdeterminism
Bell (as a joke), 't Hooft (in full seriousness)

Many-Worlds Interpretations
Everett, Albert & Loewer, Barbour, Coleman,
Deutsch (early version), Deutsch (later version), DeWitt, Gell-Mann & Hartle, Ge­roch, Graham, Greaves, Lockwood, Papineau, Saunders, Smolin (John), Tegmark, Vaidman, Wallace, Zurek ...

This list is far from exhaustive, and as already hinted abundantly, two authors listed under the same bullet may well disagree on significant issues(1).

(1) Over the years, the many-worlders in particular have done a remarkably poor job of agreeing with one another about what specifically there are supposed to be many of.


(nach Fuchs, Stacey: "QBism: Quantum theory as a hero's handbook" [Foundations of Quantum Theory])
Qubit



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Beiträge: 829

Beitrag Qubit Verfasst am: 12. Sep 2020 12:52    Titel: Antworten mit Zitat

Es gibt übrigens noch weitere (eher unbekannte) Ansätze die stochastische Natur der QM zu erklären:

Walter Weizel (Prof. der theoretischen Physik Bonn, Autor bekannter damaliger Lehrbücher) hat eine "Zeronentheorie" (~Nullteilchen) begründet:

danach kann man die Quantenstatistik konform nach der Quantenmechanik bekommen, wenn man ein Feld von "Zeronen" postuliert, die ein QM-System kontinuierlich(!) Energie- und Impulsbilanzfrei permanent stört. Dieses Quantenfeld wirkt mithin kontinuierlich von allen Richtungen, sorgt aber auch gleichzeitig für eine Energie- und Impulssumme der Wirkung von Null der QM-Teilchen.
Das erstaunliche ist, dass diese Art von kontinuierlicher(!) Störung konform mit der Quantenstatistik ist. Es ist auch mit den Bellschen-Ungleichungen im Einklang, weil es eine "externe" Störung ist, also keine Eigenschaft des QM-Systems selbst ist.

https://rd.springer.com/article/10.1007/BF01338947

Siehe auch: "Das Problem der Kausalität in der Physik" (Walter Weizel) in
"ARBEITSGEMEINSCHAFT FüR FORSCHUNG
DES LANDES NORDRHEIN -WESTFALEN
HEFT 43"
index_razor



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Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 12. Sep 2020 15:55    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:

Dort schreibt von Neumann “... weil die streuungsfreien Gesamtheit, die den wirklichen Zuständen entsprechen müssten [...] gar nicht existieren [...] Es würde nicht genügen, wenn außer der bekannten, in der Quantenmechanik durch Operatoren repräsentierten physikalischen Größen, noch weitere, bisher unentdeckte, existierten [...] Es handelt sich also gar nicht [...] um eine Interpretationsfrage der Quantenmechanik, vielmehr müsste dieselbe [die Quantenmechanik] objektiv falsch sein, damit ein anderes Verhalten der Elementarprozesse als das statistische möglich wird.”


Hier hast du nun gerade sämtliche Verweise auf das "Quantenprinzip", d.h. auf von Neumanns Bedingungen I und II, außer acht gelassen. Das ist genau der Teil, den ich die ganze Zeit betone und ohne den man diese Aussage nicht richtig versteht. Natürlich hat von Neumann nicht sämtliche Möglichkeiten verborgener Parameter, die das Quantenprinzip verletzen mit seinem Beweis erschlagen. Das behauptet er auch nicht.

Er geht an mehreren Stellen auf die Möglichkeit verborgener Parameter ein. Aus dem Kontext geht m.E. recht deutlich hervor, daß die Unmöglichkeit nur im Rahmen des Quantenprinzips behauptet wird. In III.2 auf S. 109 steht z.B. im Vorgriff auf den oben von dir zitierten Abschnitt: "Wir werden später (IV.2.) zeigen, daß eine Einführung von verborgenen Parametern gewiß nicht möglich ist, ohne die gegenwärtige Theorie wesentlich zu ändern." Innerhalb des von dir zitierten Abschnitts steht außerdem die Bemerkung: "Man beachte, daß wir hier gar nicht näher auf die Einzelheiten des Mechanismus der "verborgenen Parameter" eingehen mußten: die sichergestellten Resultate der Quantenmechanik können mit ihrer Hilfe keinesfalls wiedergewonnen werden, ja es ist sogar ausgeschlossen, daß dieselben physikalischen Größen mit denselben Verknüpfungen vorhanden sind (d. i. daß I., II. gelten), wenn neben der Wellenfunktion noch andere Bestimmungsstücke ("verborgene Parameter") existieren sollen." (jeweils meine Hervorhebung)

Das drückt es doch recht klar aus. Das Quantenprinzip ist das wesentliche an der ganzen Sache.

Zitat:

So, und das ist nun bekanntermaßen falsch.

Die Idee Bells bestand ja darin, diese Schlussfolgerungen von Neumanns anzugreifen. In der Folge stellte sich heraus, dass es u.a. Kausalität bzw. Separabilität sind, wo der “Beweis” lückenhaft ist. Die Bohmsche Quantenmechanik liefert eine Version (oder Interpretation?) der Quantenmechanik, die die Teilchenorte als verborgene Parameter enthält und die eine zumindest gedankliche Separation in diesbzgl. streuungsfreie Ensembles zulässt - auch wenn diese nicht experimentell präparieren oder messen können.


Die Nichtkausalität bzw. die Nichtexistenz dispersionsfreier Zustände folgt aus dem Quantenprinzip (Eigenschaften I. und II.). Die verborgenen Parameter der Bohmschen Mechanik verletzen das Quantenprinzip. Insbesondere gibt es keinen Operator für das Quantenpotential . Die Bewegungsgleichung für die Quantentrajektorien läßt sich in der Form



umschreiben. Nach dem Quantenprinzip gilt aber für die zugehörigen Operatoren



was zugleich ein "sichergestelltes Resultat der Quantenmechanik" ist. Also sind hier nicht "dieselben physikalischen Größen mit denselben Verknüpfungen vorhanden", genau wie behauptet.

Was genau soll also falsch sein?

Zitat:

Ein weiterer oft geäußerter Kritikpunkt an von Neumanns Beweis ist das Postulat, der Linearität von Messgrößen und Erwartungswerten - siehe deine Anmerkungen oben. Das ist m.E. schon ein gewichtiger Einwand, der auch von anderen kritisiert wird.


Die "Meßgrößen" um die es da geht, sind nichts weiter als Erwartungswerte von statistischen Gesamtheiten. Diese kann man logischerweise immer bilden, egal mit welcher Art von System und zugrundeliegenden Zuständen man es zu tun hat. Es handelt sich auch immer um objektive Eigenschaften der Gesamtheit, da man die Störung der Gesamtheit im Zuge der Meßreihe beliebig klein halten kann.

Dieser Teil des Arguments läßt auch explizit offen, ob diese Gesamtheiten Gemische von dispersionfreien Zuständen sind. Es geht lediglich darum, zu definieren, was für zwei solcher Größen bedeutet, ohne die Observablenalgebra der Quantenmechanik vorauszusetzen. Natürlich ist ebenfalls Teil der "sichergestellten Resultate der Quantenmechanik", wann immer es eine unabhängige Meßvorschrift für gibt.

Zitat:

Grete Hermann:
Die naturphilosophischen Grundlagen der Quantenmechanik
§7 Der Zirkel in Neumanns Beweis


Ich kenne das Argument von Hermann nicht aus erster Hand. Aber in dem Thread, auf den ich oben verwiesen habe, ging es u.a. auch um ihre Einwände. Der Artikel von Dennis Dieks, den ich dort erwähne, behandelt ihre Argumente auch. Die Details habe ich aber vergessen.

Zitat:

Man muss m.E. unterscheiden: Prinzipielle Lücken in von Neumanns Beweis insbs. im Umfeld der von dir genannten Annahme sowie explizites Gegenbeispiel nach Bohm.


Hm, ja. Also ich bin der Meinung, daß der Beweis keine Lücken enthält und daß die Bohmsche Mechanik auch kein Gegenbeispiel darstellt; selbst nicht für die eher informellen Bemerkungen von Neumanns im Anschluß an seinen Beweis, wenn man diese im Kontext (insbesondere seiner Voraussetzungen I. und II.) liest und nicht zuviel in sie hineininterpretiert.
index_razor



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Beitrag index_razor Verfasst am: 12. Sep 2020 17:06    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:

Ich kenne das Argument von Hermann nicht aus erster Hand. Aber in dem Thread, auf den ich oben verwiesen habe, ging es u.a. auch um ihre Einwände. Der Artikel von Dennis Dieks, den ich dort erwähne, behandelt ihre Argumente auch. Die Details habe ich aber vergessen.


Aus Anlaß unserer Diskussion lese ich gerade noch mal den Artikel von Dieks. Ich bin noch über folgende interessante Bemerkung in der Einleitung gestolpert:

"Finally, we review some contemporary observations (from the nineteenfifties) on how von Neumann’s proof relates to the hidden-variables theories of Bohm and de Broglie. As will become clear, both major Copenhagenists and prominent hidden variables proponents understood what had actually been proved by von Neumann. If anything, it appears that a clear rhetorical use of von Neumann’s result was first of all made by opponents of Copenhagen, who used the alleged obvious fallacy in the proof to cast doubt on the scientific judgment of the Copenhagen circle (or clique), thus discrediting the Copenhagen interpretation itself by implication."

Das ist praktisch die exakte Umkehrung deiner Behauptung, die Anhänger der Kopenhagener Interpretation hätten sich hinter dem falschen Beweis von Neumanns verschanzt. Die Belege in dem Artikel müßten also für dich von einigem Interesse sein.
TomS
Moderator


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Beitrag TomS Verfasst am: 12. Sep 2020 18:39    Titel: Antworten mit Zitat

EDIT: erster Teil gelöscht - Missverständnis meinerseits


index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Grete Hermann:
Die naturphilosophischen Grundlagen der Quantenmechanik
§7 Der Zirkel in Neumanns Beweis


Ich kenne das Argument von Hermann nicht aus erster Hand. Aber in dem Thread, auf den ich oben verwiesen habe, ging es u.a. auch um ihre Einwände. Der Artikel von Dennis Dieks, den ich dort erwähne, behandelt ihre Argumente auch. Die Details habe ich aber vergessen.

Ich muss das nochmal lesen., insbs. auch das zweite o.g. Paper von Bell.

Aber nach unserer Diskussion hier bin ich immer mehr davon überzeugt, dass - wenn überhaupt dieser Einwand des logischen Zirkels gilt - er bisher praktisch irrelevant war, da ich nur zwei in der Essenz im Widerspruch zu “Kopenhagen” stehende Interpretationen kenne - Bohm und Everett - die jedoch beide im Kern jeweils an anderen Stellen ansetzen.

Bohm nimmt gerade weitere Bestimmungsstücke hinzu, bei ihm ist der Träger der physikalischen Größen genau nicht die Wellenfunktionen, und Everett (und moderne Varianten) betrachten gerade keine stochastische Theorie - und haben genau deswegen das Problem, dies wieder einzuführen. Insofern bewegen sie sich m.M.n. außerhalb des von Neumannschen Kontextes.

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Zuletzt bearbeitet von TomS am 13. Sep 2020 10:01, insgesamt 4-mal bearbeitet
TomS
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Beitrag TomS Verfasst am: 12. Sep 2020 20:35    Titel: Antworten mit Zitat

Qubit hat Folgendes geschrieben:
Grosse theoretische Revolutionen (in etwa Sinne Kuhns) sind historisch immer auch mit Personen naturphilosophischer Anschauungen verbunden gewesen.

Ja, ich denke, da hast du recht.

Das wird auch daran liegen, dass man sich mit einem herrschenden Paradigma eine gewisse Zeit recht gemütlich einrichten kann. Irgendwann ist dann aber Schluss, auf eingefahrenen Gleisen kommt man nicht weiter.

Damit gehen physikalische und naturphilosophische Umstürze mehr oder weniger Hand in Hand.

Qubit hat Folgendes geschrieben:
Andererseits ist erstaunlich, dass der physikalische Fortschritt defacto davon unabhängig ist, die naturphilosophische Anschauung wird da zweitrangig.

Bisher offenbar ja, wobei m.E. jedoch eine Verlangsamung eintritt. An den Grundlagen der Quantenmechanik wurde z.B. jahrzehntelang kaum gearbeitet - es gab ja genug anderes zu tun.

Naturphilosophische Anschauung werden jedoch in der Zukunft stärker in den Vordergrund drängen, weil das Poppersche Paradigma — siehe Logik der Forschung, 1934 — gewissermaßen zahnlos wird. Wir sehen an vielen Stellen, dass die experimentellen Leitplanken unzureichend werden oder ganz verschwinden, z.B. in der Kosmologie, der Elementarteilchenphysik oder insbs. der Quantengravitation.

Damit steht zum einen Poppers Paradigma unter Beschuss, zum anderen werden alternative Erklärungsansätze wie das anthropische Prinzip hoffähig. Dass dies für sich genommen tatsächlich zu einem Fortschritt führt, glaube ich persönlich nicht; Naturphilosophie ersetzt keine Physik.

Der Fortschritt scheitert natürlich weniger an diesen Ansichten als im Kern an den unzureichenden experimentellen Leitplanken; die Ansichten trösten aber den einen oder anderen darüber hinweg.

Qubit hat Folgendes geschrieben:
Was die Quantenmechanik angeht, gibt es da eine Wucherung von Vorstellungen ...

Es wäre mal interessant, diese Interpretationen oder Theorien anhand ihres Verwandtschaftsgrades auf einer Art Landkarte darzustellen. Vieles ist ja nur Kopenhagen 2.0, manches eine völlig neue Theorie (objective collapse), einiges zwar bzgl. des Weltbildes revolutionär, im Kern jedoch konservativ (many worlds).

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TomS
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Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18078

Beitrag TomS Verfasst am: 13. Sep 2020 10:08    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Der Artikel von Dennis Dieks ...

Der Artikel ist sehr aufschlussreich, danke!

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index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 13. Sep 2020 17:43    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:

Bohm nimmt gerade weitere Bestimmungsstücke hinzu, bei ihm ist der Träger der physikalischen Größen genau nicht die Wellenfunktionen, und Everett (und moderne Varianten) betrachten gerade keine stochastische Theorie - und haben genau deswegen das Problem, dies wieder einzuführen. Insofern bewegen sie sich m.M.n. außerhalb des von Neumannschen Kontextes.


Das verstehe ich nicht. Everett führt natürlich keine verborgenen Parameter ein und deshalb hat von Neumanns Beweis hier keine Relevanz.

Bohm erlaubt trotz verborgener Parameter aber die Betrachtung statistischer Ensembles. Dafür ist ja explizit die Hypothese des Quantengleichgewichts gedacht, nach welcher "Wahrscheinlichkeitsdichte der verborgenen Orte = Betragsquadrat der Wellenfunktion". Damit gilt für die Bohmsche Theorie alles was von Neumann über die Erwartungswerte in IV.1 schreibt. Wenn es also eine unabhängige Meßvorschrift für die Größe A + B gibt, dann kann nicht sowohl

1)

als auch

2) sein.

(Ich weiche hier aus Übersichtlichkeit von von Neumanns Notation ab. Physikalische Größen werden durch normale Buchstaben bezeichnet, die zugehörigen Operatoren mit Querstrich darüber.) Das ist genau die Eigenschaft, die die Bohmsche Mechanik hat. Selbstverständlich gilt in ihr 1) sofern es sich um ein "gesichertes Resultat" der Quantenmachanik handelt, also eines, daß man an statistischen Gesamtheiten jederzeit prüfen kann. In diesem Fall gilt aber nicht 2), wie man am Beispiel



sehen kann. Das ist der ganze Punkt an von Neumanns Beweis: physikalische Größen innerhalb von Theorien verborgener Parameter lassen sich nicht im Rahmen des "Quantenprinzips" formulieren. Diese Aussage ist ebenfalls relevant für die Bohmsche Mechanik.
TomS
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Beitrag TomS Verfasst am: 13. Sep 2020 21:46    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Das verstehe ich nicht. Everett führt natürlich keine verborgenen Parameter ein und deshalb hat von Neumanns Beweis hier keine Relevanz.

Aus mehreren Gründen: keine verborgenen Parameter, dennoch ist die Quantenmechanik nach Everett vollständig; keine fundamentalen Wahrscheinlichkeiten; keine eindeutigen Messergebnisse bzw. klassische Eigenschaften.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Bohm erlaubt trotz verborgener Parameter aber die Betrachtung statistischer Ensembles ... Damit gilt für die Bohmsche Theorie alles was von Neumann über die Erwartungswerte in IV.1 schreibt.

Bohm erlaubt statistische Ensembles. Darüberhinaus existieren jedoch auch “dispersionsfreie Zustände”, nämlich die Phasenraumzustände der klassischen Teilchen, die natürlich nicht im Hilbertraum definiert sind.

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index_razor



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Beitrag index_razor Verfasst am: 13. Sep 2020 22:06    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
Das verstehe ich nicht. Everett führt natürlich keine verborgenen Parameter ein und deshalb hat von Neumanns Beweis hier keine Relevanz.

Aus mehreren Gründen: keine verborgenen Parameter, dennoch ist die Quantenmechanik nach Everett vollständig; keine fundamentalen Wahrscheinlichkeiten; keine eindeutigen Messergebnisse bzw. klassische Eigenschaften.


Aber nur die verborgenen Parameter haben einen Bezug zu von Neumanns Behauptung. Der Rest spielt keine Rolle. Für die Voraussetzungen Erw(A+B) = Erw(A)+Erw(B) etc. ist explizit egal, ob die Wahrscheinlichkeiten "fundamental" sind oder nicht.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Bohm erlaubt trotz verborgener Parameter aber die Betrachtung statistischer Ensembles ... Damit gilt für die Bohmsche Theorie alles was von Neumann über die Erwartungswerte in IV.1 schreibt.

Bohm erlaubt statistische Ensembles. Darüberhinaus existieren jedoch auch “dispersionsfreie Zustände”, nämlich die Phasenraumzustände der klassischen Teilchen, die natürlich nicht im Hilbertraum definiert sind.


Ja, die Ensembles der Bohmschen Mechanik sind Gemische dispersionsfreier Zustände. Aus diesem Grund verletzt die Bohmsche Mechanik die Bedingungen I und II, aus denen von Neumann die Nichtexistenz dispersionsfreier Zustände beweist. Siehst du darin nun noch irgendein Problem mit von Neumanns Beweis?
TomS
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Beitrag TomS Verfasst am: 14. Sep 2020 00:07    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Aber nur die verborgenen Parameter haben einen Bezug zu von Neumanns Behauptung. Der Rest spielt keine Rolle. Für die Voraussetzungen Erw(A+B) = Erw(A)+Erw(B) etc. ist explizit egal, ob die Wahrscheinlichkeiten "fundamental" sind oder nicht.

Rein mathematisch hast du völlig recht. Ich wollte nur kurz anmerken, dass in diesem Fall ein sehr ähnlicher - nicht identischer - Formalismus zu völlig anderen Schlussfolgerungen führt. Von Neumann hatte dies natürlich nicht im Blick.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Ja, die Ensembles der Bohmschen Mechanik sind Gemische dispersionsfreier Zustände. Aus diesem Grund verletzt die Bohmsche Mechanik die Bedingungen I und II, aus denen von Neumann die Nichtexistenz dispersionsfreier Zustände beweist. Siehst du darin nun noch irgendein Problem mit von Neumanns Beweis?

Mit dem Beweis nicht, jedoch mit dem Glauben einiger Physiker, was der Beweis insgs. besagt bzw. warum Bohm nicht recht haben kann.

In beiden Fällen scheint mir das selbe Muster vorzuliegen: der Beweis wurde teilweise überinterpretiert, es war und ist vielen nicht klar, was der Beweis im Kern besagt und was nicht. Ich bin gerade dabei, einige Zitate zusammenzusuchen.

Ich habe inzwischen das von dir oben verlinkte Paper gelesen. Die Missverständnisse um von Neumanns Beweis werden ziemlich klar.

Wenn ich jedoch Bells Paper

https://people.isy.liu.se/jalar/kurser/QF/references/Bell1966.pdf
On the problem of hidden variables in quantum mechanics

lese, habe ich schon den Eindruck, dass er sehr klar verstanden hat, was von Neumanns Beweis besagt; er kritisiert ja nicht den Beweis, sondern dessen Voraussetzungen sowie die vermeintliche Tragweite:

Zitat:
The realization that von Neumann’s proof is of limited relevance has been gaining ground since the 1952 work of Bohm.

His [von Neumann’s] essential assumption is: “Any real linear combination of any too Hermitian operators represents an observable, and the same linear combination of expectation values is the expectation value of the combination.” This is true for quantum mechanical states; it is required by von Neumann of the hypothetical dispersion free states also.

The essential assumption can be criticized as follows ...

Thus the formal proof of von Neumann does not justify his informal conclusionIt is therefore not, as is often assumed, a question of reinterpretation of quantum mechanics — the present system of quantum mechanics would have to be objectively false in order that another description of the elementary process than the statistical one be possible.

It was not the objective measurable predictions of quantum mechanics which ruled out hidden variables. It was the arbitrary assumption of a particular (and impossible) relation between the results of incompatible measurements ...

(Hervorhebung von mir)

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Beitrag index_razor Verfasst am: 14. Sep 2020 11:09    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
Aber nur die verborgenen Parameter haben einen Bezug zu von Neumanns Behauptung. Der Rest spielt keine Rolle. Für die Voraussetzungen Erw(A+B) = Erw(A)+Erw(B) etc. ist explizit egal, ob die Wahrscheinlichkeiten "fundamental" sind oder nicht.

Rein mathematisch hast du völlig recht. Ich wollte nur kurz anmerken, dass in diesem Fall ein sehr ähnlicher - nicht identischer - Formalismus zu völlig anderen Schlussfolgerungen führt. Von Neumann hatte dies natürlich nicht im Blick.


Ach so, ich denke, jetzt verstehe ich, was du meinst. Weil Everetts Interpretation keine fundamentalen Wahrscheinlichkeiten einführt, kann von Neumanns Beweis der Formel



nicht anwendbar sein. Ich denke aber auch in der Everettschen Interpretation kann ich eine Gesamtheit von identischen Systemen, alle im Zutand , betrachten. Und diese Formel gilt dann für den Erwartungswert von in dieser Gesamtheit. (Wenn ich mich nicht täusche, finden sich solche Überlegungen bereits bei Everett selbst.) Natürlich hat sie keinen Sinn für ein einzelnes System im Zustand . Das trifft aber auch innerhalb der Kopenhagener Interpretation zu. Man kann es auch so sehen: der Unterschied zwischen der Kopenehagener und der Everettschen Interpretation liegt ja im wesentlichen im Kollaps. Die Annahme eines Kollaps spielt aber in dem Beweis von (Sp) keine Rolle. Sie motiviert höchstens die Betrachtung von Ensembles als Untersuchungsgegenstände, da deren Eigenschaften durch Messungen im Prinzip beliebig wenig geändert werden können (wenn das Ensemble groß genug ist).

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Ja, die Ensembles der Bohmschen Mechanik sind Gemische dispersionsfreier Zustände. Aus diesem Grund verletzt die Bohmsche Mechanik die Bedingungen I und II, aus denen von Neumann die Nichtexistenz dispersionsfreier Zustände beweist. Siehst du darin nun noch irgendein Problem mit von Neumanns Beweis?

Mit dem Beweis nicht, jedoch mit dem Glauben einiger Physiker, was der Beweis insgs. besagt bzw. warum Bohm nicht recht haben kann.

In beiden Fällen scheint mir das selbe Muster vorzuliegen: der Beweis wurde teilweise überinterpretiert, es war und ist vielen nicht klar, was der Beweis im Kern besagt und was nicht.


Ich glaube Dieks gibt die Schuld an der Verbreitung dieser Fehlinterpretation in erster Linie Bell. Das Desinteresse an verborgenen Variablen hat sich nach der Veröffentlichung von Bohms Paper nicht merklich verringert. Die Ursache scheint also nicht in dem verbreiteten Irrtum gelegen zu haben, von Neumanns Beweis würde die Existenz der Bohmschen Mechanik ausschließen. Tatsächlich gibt es wohl auch direkte Hinweise darauf, daß die meisten an der Diskussion beteiligten Physiker, inklusive Bohm, die Bedeutung des Beweises richtig (und anders als Bell) verstanden haben und daß die verbreitete Ablehnung verborgener Parameter auf diesem korrekten Verständnis beruht. Einstein z.B. kiritisiert die Kontextualität der Bohmschen Parameter, die ebenfalls eine notwendige Folge des von Neumannschen Beweises ist.

Interessant fand ich auch die Bemerkung, daß sich Bell erst einige Zeit nach seiner Bekanntschaft mit der Bohmschen Mechanik detailliert mit von Neumanns Beweis befaßt hat. Zu dem Zeitpunkt war er also schon eine Weile darauf vorbereitet, einen Fehler zu finden.

Wenn die Geschichte so stimmt, kann man von Neumann nicht mal vorwerfen ohne eigene Schuld eine Denkblockade errichtet zu haben, weil diese Denkblockade einfach niemals bestanden hat.

Zitat:

Ich bin gerade dabei, einige Zitate zusammenzusuchen.


Daran wäre ich sehr interessiert, insbesondere wenn es Zitate sind, die Dieks historischer Darstellung widersprechen.

Zitat:

Ich habe inzwischen das von dir oben verlinkte Paper gelesen. Die Missverständnisse um von Neumanns Beweis werden ziemlich klar.

Wenn ich jedoch Bells Paper

https://people.isy.liu.se/jalar/kurser/QF/references/Bell1966.pdf
On the problem of hidden variables in quantum mechanics

lese, habe ich schon den Eindruck, dass er sehr klar verstanden hat, was von Neumanns Beweis besagt; er kritisiert ja nicht den Beweis, sondern dessen Voraussetzungen sowie die vermeintliche Tragweite:


Interessant, ich habe genau den entgegengesetzten Eindruck. Seine Kritik an den Voraussetzungen ist ja genau das Problem. Ich habe am Ende meines Beitrags weiter oben schon etwas detaillierter beschrieben, wo ich seine Fehlinterpretation sehe.

Der Dreh- und Angelpunkt jeglicher Kritik (auch der Hermanns) scheint in der Bedingung B' zu liegen, daß zu je zwei Größen A und B eine weitere Größe S existiert, so daß Erw(S)=Erw(A) + Erw(B). Es wird einfach übersehen, daß dieses S nur eine operationale Definition der "Summe" von A und B ist und daß diese "Summe" nicht unbedingt der algebraischen Summe S=A+B entspricht (außer für gleichzeitig meßbare Größen). von Neumann schreibt das explizit im Anschluß an Eigenschaft E. (ein Vorläufer von B'), auch wenn er selbst im Falle nicht gleichzeitig meßbarer Größen für S das Symbol "A+B" verwendet. Trotzdem (oder eben deshalb) scheinen das weder Hermann, noch Bell noch Mermin und Schack (Homer nodded) klar zu sehen. (Mermin und Schack weigern sich sogar beinahe gewaltsam diesen Punkt einzusehen, was ihren Artikel äußerst frustrierend zu lesen macht.)


Zuletzt bearbeitet von index_razor am 14. Sep 2020 19:01, insgesamt einmal bearbeitet
TomS
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Beitrag TomS Verfasst am: 14. Sep 2020 16:22    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Weil Everetts Interpretation keine fundamentalen Wahrscheinlichkeiten einführt, kann von Neumanns Beweis nicht anwendbar sein. Ich denke aber auch in der Everettschen Interpretation kann ich eine Gesamtheit von identischen Systemen, alle im Zutand , betrachten. Und diese Formel gilt dann für den Erwartungswert von in dieser Gesamtheit

Ja.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Ich glaube Dieks gibt die Schuld an der Verbreitung dieser Fehlinterpretation in erster Linie Bell.

So habe ich Dieks auch verstanden.

Ich habe aber auch anderes gelesen und halte das im wesentlichen für eine Frage der Darstellung, der genutzten bzw. nicht-genutzten Zitate aus persönlichen Diskussionen, zwischenmenschlichen Faktoren, Interpretationen und vielen andern nicht wirklich physikalischen Fragestellung.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Das Desinteresse an verborgenen Variablen hat sich nach der Veröffentlichung von Bohms Paper nicht merklich verringert. Die Ursache scheint also nicht in dem verbreiteten Irrtum gelegen zu haben, von Neumanns Beweis würde die Existenz der Bohmschen Mechanik ausschließen.

Das sehe ich auch so. Bohm hatte mit einer Vielfalt an Problemen zu kämpfen, nicht zuletzt seine persönliche Situation.

Bohm wurde in der McCarthy-Ära festgenommen, in Princeton entlassen und musste die USA verlassen. Er war in der Folge teilweise isoliert.

Bohm hatte die Schwachpunkte der Darstellung nach deBroglie aufzuarbeiten, was zwar gelang, was aber nicht sofort zu einem Stimmungswandel führte (deBroglie hatte die Diskussion auf einer Solvay-Konferenz mit Bohr, Pauli, Heisenberg u.a. zu führen; die waren 25 Jahre später nicht plötzlich Fans von Bohm :-)

Die Bohmsche Mechanik hat den Schwachpunkt, dass sie bei Spin-behafteten Teilchen ihren Charm verliert und - zumindest damals - in der Quantenfeldtheorie völlig ins Leere lief.

Und Einstein war natürlich kein Fan einer nicht-lokalen “Lösung” seines EPR-Problems.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
fand ich auch die Bemerkung, daß sich Bell erst einige Zeit nach seiner Bekanntschaft mit der Bohmschen Mechanik detailliert mit von Neumanns Beweis befaßt hat. Zu dem Zeitpunkt war er also schon eine Weile darauf vorbereitet, einen Fehler zu finden.

Bell kannte die Argumente, das Buch selbst war für ihn jedoch aufgrund der Sprachbarriere zunächst nicht zugänglich.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
die Geschichte so stimmt, kann man von Neumann nicht mal vorwerfen ohne eigene Schuld eine Denkblockade errichtet zu haben, weil diese Denkblockade einfach niemals bestanden hat.

Von Neumann hat nach meinem Kenntnisstand zu keinem Zeitpunkt eine Denkblockade errichtet.

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Qubit



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Beitrag Qubit Verfasst am: 14. Sep 2020 16:36    Titel: Antworten mit Zitat

Sind nicht gerade "Nicht-Lokalität" und "Quanten-Gleichgewichtsbedingung" die Voraussetzungen, warum die Bohmsche Mechanik nicht in Widerspruch zur Neumannschen Formulierung der QM gerät?

Am weitesten entfernt davon ist vermutlich die Wentzel-Dirac-Feynmansche Pfadintegralmethode. Das "Operator-Zustand"- Problem wird hier ganz anders angegangen.
TomS
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Beitrag TomS Verfasst am: 14. Sep 2020 18:17    Titel: Antworten mit Zitat

Qubit hat Folgendes geschrieben:
Sind nicht gerade "Nicht-Lokalität" und "Quanten-Gleichgewichtsbedingung" die Voraussetzungen, warum die Bohmsche Mechanik nicht in Widerspruch zur Neumannschen Formulierung der QM gerät?

Ja. Warum fragst du?

Qubit hat Folgendes geschrieben:
Am weitesten entfernt davon ist vermutlich die Wentzel-Dirac-Feynmansche Pfadintegralmethode. Das "Operator-Zustand"- Problem wird hier ganz anders angegangen.

Jein. Das Pfadintegral kann aus dem kanonischen Formalismus abgeleitet werden; die Herleitung ist allerdings hand-waving, für Physiker OK und im Rahmen der Quantenmechanik einigermaßen sauber; im Rahmen der Quantenfeldtheorie ist das eher hoffnungslos.

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TomS
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Beitrag TomS Verfasst am: 14. Sep 2020 18:31    Titel: Antworten mit Zitat

Zu Denkblockaden:

Zu Bell finde ich interessanterweise nichts, jedoch zu Bohm, Everett sowie Clauser, der als erster Bells Ergebnisse experimentell überprüft hat.

zu Bohm

We consider it juvenile deviationism.
No one had actually read the paper.
We don’t waste our time ... If we cannot disprove Bohm, then we must agree to ignore him
Oppenheimer nach dem Vortrag Bohms in Princeton, zitiert nach Max Dresden, aus David Peat (Biograf Oppenheimers)

https://arxiv.org/pdf/physics/0508184.pdf
Science and exile: David Bohm, the hot times of the Cold War, and his struggle for a new interpretation of quantum mechanics
Olival Freire Jr.
(nur überflogen)

zu Everett

http://jamesowenweatherall.com/SCPPRG/ByrnePeter2008Man_EverettWheelerOxon.doc

This work suffers from the fundamental misunderstanding which affects all attempts at ‘axiomatizing’ any part of physics. The ‘axiomatizers’ do not realize that every physical theory must necessarily make use of concepts which cannot in principle be further analyzed. … The fact, emphasized by Everett, that it is actually possible to set-up a wave function for the experimental apparatus and a Hamiltonian for the interaction between system and apparatus is perfectly trivial, but also terribly treacherous; in fact, it did mislead Everett to the conception that it might be possible to describe apparatus + atomic object as a closed system. … This, however, is an illusion.
(Rosenfeld to Bergmann, 1959)

With regard to Everett neither I nor even Niels Bohr could have any patience with him, when he visited us in Copenhagen more than 12 years ago in order to sell the hopelessly wrong ideas he had been encouraged, most unwisely, by Wheeler to develop. He was undescribably [sic] stupid and could not understand the simplest things in quantum mechanics.
(Rosenfeld to Belifante, 1972)

zu Clauser

https://www.aip.org/history-programs/niels-bohr-library/oral-histories/25096

He [Pat Thaddeus] thought this was a terrible waste of [my] time, and I was ruining my career. And in fact, at one point later on, even after I finished the experiment, he had written a recommendation for me, where basically someone said [to me], "Look, you can't send his recommendation in for a job application because he's totally panning you because he figures you're going to go off and do some more quantum mechanics experiments." [In the letter, Pat says] "Don't hire this guy if there's any chance that's what he's going to do, because it's all junk science." Since then, he's apologized for that, but you know, he has since then decided that there really was some interesting physics there. But even still, after I'd just finished the experiment with Stu Freedman, he thought this was all [junk]— "Well, of course you got exactly what you expected, what was the point?" And in fact, most of the physics faculty at Berkeley all said [the same thing]— Gene Commins had kind of a similar attitude. "What a pointless waste of time all of that was."
(Clauser 2002, in einem Interview zu Bromberg über Pat Thaddeus)

zu Zeh

https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1002/andp.201570056

At that juncture, Zeh's senior at Heidelberg, the Nobel Prize winner J. H. D. Jensen decided to ask Rosenfeld's advice on the paper. Rosenfeld's opinion was devastating. “I have all the reasons in the world to assume that such a concentrate of wildest nonsense [decoherence, Zeh’s re-discovery of many-worlds] is not being distributed around the world with your blessing, and I think to be of service to you by directing your attention to this misfortune.
(H‐D Zeh, Foundations of Physics, 1, 69–76 (1970). Rosenfeld to Jensen, 14 Feb 1968)

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Zuletzt bearbeitet von TomS am 14. Sep 2020 18:39, insgesamt 2-mal bearbeitet
Qubit



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Beitrag Qubit Verfasst am: 14. Sep 2020 18:37    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:

Ja. Warum fragst du?


Ich frage, weil ich nicht sicher bin, ob ich das Thema hier richtig verstehe.

Wenn Bell Kriterien formuliert (Bellsche-Ungleichungen), die eine - wie man sagt - lokale, realistische Theorie charakterisieren, welche somit im Widerspruch zur QM sind (da QM-Messungen sie verletzen), dann impliziert das doch keinen Widerspruch zur Neumannschen Formulierung (die gerade Voraussetzungen dieser Charakterisierungen sind). Dass die Bohmsche Mechanik nicht gegen diese Kriterien verstösst, liegt doch gerade daran, dass die Bohmsche Mechanik keine lokale, realistische Theorie ist. Bell zeigt hiermit indirekt, dass eine Bohmsche Mechanik möglich ist (entgegen den Voraussetzungen von EPR).

Mir ist da völlig unklar, inwiefern da die Neumannsche Axiomatik nun von Bell missverstanden wird. Beruhen die Bellschen Ungleichungen auf einem Fehlschluss? Sind lokale, realistische Theorien möglich?
index_razor



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Beitrag index_razor Verfasst am: 14. Sep 2020 18:41    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
Qubit hat Folgendes geschrieben:
Sind nicht gerade "Nicht-Lokalität" und "Quanten-Gleichgewichtsbedingung" die Voraussetzungen, warum die Bohmsche Mechanik nicht in Widerspruch zur Neumannschen Formulierung der QM gerät?

Ja. Warum fragst du?


Moment, es geht nicht um Nichtlokalität, sondern um Kontextualität. Nicht alle Messungen zeigen vordefinierte Eigenschaften individueller Systeme. Daran ändert auch die Bohmsche Mechanik nichts.

Bildet man z.B. aus ruhenden Teilchen ein Ensemble mit endlicher Ortstreuung, muß plötzlich trotzdem gelten.

Auf Grund solcher Eigenschaften ist die Bohmsche Mechanik kein Gegenbeispiel zu von Neumanns Beweis.
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