RegistrierenRegistrieren   LoginLogin   FAQFAQ    SuchenSuchen   
Schrödinger Zitat kurz vor seinem Tod
Gehe zu Seite 1, 2  Weiter 
Neue Frage »
Antworten »
    Foren-Übersicht -> Off-Topic
Autor Nachricht
Azkaenion



Anmeldungsdatum: 21.06.2020
Beiträge: 301

Beitrag Azkaenion Verfasst am: 13. Aug 2020 12:08    Titel: Schrödinger Zitat kurz vor seinem Tod Antworten mit Zitat

"Durch die Geburt werde ich nicht erschaffen,
sondern gleichsam nur wie aus einem tiefen Schlaf geholt.
So erscheint mir dann mein Hofen und Streben, Bangen und Sorgen
als dasselbe wie von tausenden die vor mir gelebt haben,
und ich darf glauben, das ich auch nach tausenden von Jahren noch Erfüllung finden kann, das ich vor Jahrtausenden zum ersten mal erfleht habe.
Kein Gedanke keimt in mir auf, der nicht die Vortsetzung eines Ahnen
und darum in Warheit kein junger Keim ist,
sondern die Weiterentfaltung eines Triebes am uralten heiligen Baum des Lebens wäre.

Kennt jemand dieses Zitat?
Was bedeutet es genau?
Ich verstehe es im bezug auf die Quantenmechanik so, das das was wir den Geist nennen zwar unsterblich ist und ewig weiter exsistiert, aber das wie als Ich aufhören zu exsistieren wenn wir sterben und nur die Energei dieses Geistes dann irgendwann in einem neuen Körper wieder geboren wird.
War Schrödinger Buddhist?
Steffen Bühler
Moderator


Anmeldungsdatum: 13.01.2012
Beiträge: 7232

Beitrag Steffen Bühler Verfasst am: 13. Aug 2020 12:37    Titel: Re: Schrödinger Zitat kurz vor seinem Tod Antworten mit Zitat

Azkaenion hat Folgendes geschrieben:
War Schrödinger Buddhist?

Eher Hinduist. Im Spiegel war zu lesen:
Zitat:
Die uns zugänglichen biografischen Bedingungen für die Ausprägung von Erwin Schrödingers Denken legen Skepsis gegenüber der Wirksamkeit von groß angelegter und also notwendig kostenintensiver Forschungsförderung nahe. Es gab lange Phasen in seinem Leben, wo er die meiste Arbeitszeit mit der leidenschaftlichen, aber keinesfalls fachmännischen Lektüre philosophischer Texte verbrachte, vor allem mit den Werken Schopenhauers, mit indischen Weisheitslehren, aber auch mit dem Werk seines Lehrers Ernst Mach und mit Edmund Husserls Phänomenologie.

Viele Grüße
Steffen
Azkaenion



Anmeldungsdatum: 21.06.2020
Beiträge: 301

Beitrag Azkaenion Verfasst am: 13. Aug 2020 12:52    Titel: Antworten mit Zitat

Es gibt ja unterschiedliche Artikel mittlerweile. Die Einen sagen das die Quantenphysik den Gott Beweis erbringt.
Die Anderen behaupten genau das Gegenteil.
Einmal heißt es die Seele ist nur ein Teil eines größeren Ganzen und verschwindet darin wieder und einmal heißt es, sie lebt ewig weiter.
Die Quantenphysik ist an sich extrem spannend.
Aber auch sie wird letzten Endes nicht sagen können, ob wir eine Seele haben und was damit passieren wird.
Thomasius



Anmeldungsdatum: 15.10.2019
Beiträge: 28

Beitrag Thomasius Verfasst am: 30. Aug 2020 18:28    Titel: Antworten mit Zitat

Die Quantenphysik wohl nicht, aber Biologie, Neurophysiologie, Gehirnforschung, Evolutionswissenschaften und dergleichen. Im Prinzip ist die Psyche schon ganz gut erklärt, in jedem Detail natürlich noch nicht. Aber so ist es mit jeder Wissenschaft.

Nur eins können wir schon als erledigt abhaken: Dass die Psyche nach unserem Tod noch irgendwo herumspukt. Herumspuken tut sie noch kurze Zeit in den Erinnerungen von Bekannten und manchmal eine Weile länger in den Artikeln, Büchern, Gemälden, Songs, die jemand geschrieben oder auf andere Weise geschaffen hat.

Die Neigung mancher Physiker zu Hinduismus, Mystik u.dgl. („Das Tao der Physik“) hat wohl mit dem hohen Abstraktionsgrad grade der modernen Physik zu tun. Man wirft mit den Quantenfeldern, Quarks und Bosonen sozusagen einen Blick in die Ewigkeit. Je zusammengesetzter Systeme allerdings sind, also je komplexer, desto vergänglicher sind sie auch. Hochkomplexe Systeme wie Lebewesen sind einerseits extrem abhängig von einfacheren Systemen und dazu noch sehr kurzlebig.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18001

Beitrag TomS Verfasst am: 31. Aug 2020 12:30    Titel: Antworten mit Zitat

Die überwiegende Mehrheit der Physiker ist sich - unabhängig von ihrer persönlichen Einstellung zu Religion und Glaubensfragen - der Tatsache bewusst, dass die Physik zu diesen Themen nichts beitragen kann.

Konkret heißt das, Physik, aber Biologie, Neurowissenschaften u.a. können die Existenz einer Seele o.ä. weder belegen noch widerlegen. Es ist bekannt, dass Neurowissenschaftler gerne die Ansicht vertreten, Seele, mentale Zustände o.ä. wären rein biochemische Epiphänonene. Diese Meinung ist jedoch - unabhängig davon, wie oft man sie publiziert- kein handfestes wissenschaftliches Argument, sondern eine nicht wissenschaftlich überprüfbare, rein metaphysische Haltung.

_________________
Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 31. Aug 2020 15:48    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:

Konkret heißt das, Physik, aber Biologie, Neurowissenschaften u.a. können die Existenz einer Seele o.ä. weder belegen noch widerlegen. Es ist bekannt, dass Neurowissenschaftler gerne die Ansicht vertreten, Seele, mentale Zustände o.ä. wären rein biochemische Epiphänonene. Diese Meinung ist jedoch - unabhängig davon, wie oft man sie publiziert- kein handfestes wissenschaftliches Argument, sondern eine nicht wissenschaftlich überprüfbare, rein metaphysische Haltung.


Kannst du etwas genauer deine Kriterien erläutern, nach denen du die Reduktion von mentalen Zuständen auf Biochemie als "Metaphysik" einordnest? Die Vorstellung, daß biochemische Prozesse neuronale Netze implementieren, die wiederum die Funktionen von Bewußtsein erfüllen, erscheint mir jedenfalls prinzipiell der empirischen Prüfung zugänglich zu sein.
Brillant



Anmeldungsdatum: 12.02.2013
Beiträge: 1973
Wohnort: Hessen

Beitrag Brillant Verfasst am: 31. Aug 2020 16:06    Titel: Antworten mit Zitat

Thomasius hat Folgendes geschrieben:
Nur eins können wir schon als erledigt abhaken: Dass die Psyche nach unserem Tod noch irgendwo herumspukt. Herumspuken tut sie noch kurze Zeit in den Erinnerungen von Bekannten und manchmal eine Weile länger in den Artikeln, Büchern, Gemälden, Songs, die jemand geschrieben oder auf andere Weise geschaffen hat.


Die „Psyche“ ist ein recht nebliger Begriff und schon dadurch schlecht greifbar.

Wenn wir verschiedene menschliche Strukturen (Religionen, Staatsgebilde) betrachten, ist die Lebensweise in so einer Struktur doch wohl das Ergebnis der vorangegangenen Generationen und deren Wertevorstellungen (Psyche).

Archäologen versuchen, aus gefundenen Gegenständen wie Knochen, Steinhaufen (Tempel, Pyramiden) und anderem Material, was auf ehemaliges menschliches Leben schließen lässt, die „Psyche“ zu erkennen.

Ich meine damit nicht die Frage, wie das gebaut wurde, sondern warum. Die Motivation menschlichen Handelns dürfte wohl etwas mit der Psyche zu tun haben und noch Jahrtausende nach dem Ableben und ohne Hinterbliebene Gegenstand der Forschung sein.

Oft wohl falsch gedeutet. Viele Dinge, deren Zweck unbekannt ist, werden als „kultische“ Gegenstände / Opfergaben erklärt auf dem Weg zum „Warum“.

_________________
Glaubt nicht dem Hörensagen ... oder eingewurzelten Anschauungen, auch nicht den Worten eines verehrten Meisters; sondern was ihr selbst gründlich geprüft und als euch selbst und anderen zum Wohle dienend erkannt habt, das nehmt an. Siddhartha Gautama
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18001

Beitrag TomS Verfasst am: 31. Aug 2020 17:19    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Kannst du etwas genauer deine Kriterien erläutern, nach denen du die Reduktion von mentalen Zuständen auf Biochemie als "Metaphysik" einordnest? Die Vorstellung, daß biochemische Prozesse neuronale Netze implementieren, die wiederum die Funktionen von Bewußtsein erfüllen, erscheint mir jedenfalls prinzipiell der empirischen Prüfung zugänglich zu sein.

Zunächst: Ich halte den Reduktionismus oder konkret den eliminativen Materialismus aus einer rein naturwissenschaftlichen Perspektive selbstverständlich für plausibel, aber diese Haltung entzieht sich meiner Meinung nach dennoch der experimentellen Überprüfung. Formulieren wir mal eine Hypothese, die dann experimentell zu testen d.h. zu falsifizieren wäre:

Mentale Zustände und Prozesse 1) sind vollständig auf neuronale und damit biochemische Prozesse reduzierbar 2)

1) Damit sind u.a. Qualia = subjektive Erlebnisinhalte mentaler Zustände wie z.B. das Erleben von Gefühlen gemeint.
2) Damit ist z.B. gemeint, dass ein neuronales Netz, das einen Text oder einen Film z.B. gemäß Turing-Test vollständig versteht, damit auch den selben mentalen Zustand hat, d.h. genauso fühlt wie ein Mensch, der den Text liest (Horrorfilm: Angst, Tragödie: Trauer, ...).

Wie sähe ein Experiment aus, das diese Hypothese widerlegen könnte, das also die Existenz eines mess- und objektivierbaren Phänomens belegen könnte, welches nachweislich nicht mittels rein biochemischer Prozesse erklärbar wäre?

Es geht noch gar nicht um die Durchführung, lediglich um das Prinzip.


Da Gefühle nach meinem subjektiven Erleben nicht zu 100% über mein Verhalten rekonstruiert werden können, kann niemand meine Qualia zuverlässig und vollständig ermitteln, geschweige denn mit den Qualia anderer Menschen, Aliens, KIs o.a. vergleichen. Das ist meine Sicht auf mich.

Wenn ein neuronales Netz auf die Frage, ob es sich durch die szenische Darstellung eines Sexualaktes "erregt fühlt", sehr anschaulich seine Erregung schildert, bleiben dennoch Zweifel ...

Zwei Behavioristen haben Sex. Danach meint der eine: "Na, wie war's für mich?"

_________________
Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
Qubit



Anmeldungsdatum: 17.10.2019
Beiträge: 829

Beitrag Qubit Verfasst am: 31. Aug 2020 18:15    Titel: Antworten mit Zitat

Wenn Religion als menschliche Vorstellung einem Zweck dient, dann vielleicht "dem Ganzen" einen Sinn zu geben. Seit Aristoteles wissen wir, dass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile. Naturwissenschaft ist sicher nicht das Ganze. Daher bleibt einerseits Platz, den Sinn des Ganzen anders zu füllen, eben doch Religiösität. Anderseits muss man aber in einem naturalistisch geprägten Weltbild, und das fordern Naturwissenschaften letztlich, darauf bestehen, dass Naturgesetze absolut gegeben sind. Das bedeutet unerbittlich, dass in der Natur alles "natürlich" ist, also keine übernatürlichen Ursachen wirken.
Wenn man das miteinander vereinen kann, dann kann man m.E. auch wissenschaftlich und religiös zugleich denken.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18001

Beitrag TomS Verfasst am: 31. Aug 2020 18:26    Titel: Antworten mit Zitat

Ich halte dieses Spannungsverhältnis nach meinem Dafürhalten für unauflösbar und bewege mich - sozusagen schizophren - in beiden Welten.

1) Ja, ein absolut naturwissenschaftliches Weltbild würde sämtliche Qualia etc. zu Epiphänomenen biochemischer Prozesse reduzieren, die sich z.B., durch Selektionsdruck herausgebildet haben

2) Ein - nicht unbedingt religiös begründeter - "Sinn" überlebt diese Reduktion jedoch nicht. Heißt: wenn ich (1) glaube, dann muss ich nach (1) auch glauben, dass "Sinn" nur ein Epiphänomen ist. Die Bedeutung von "Sinn" ist aber gerade etwas anderes als ein Epiphänomen.

_________________
Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 31. Aug 2020 18:55    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
Kannst du etwas genauer deine Kriterien erläutern, nach denen du die Reduktion von mentalen Zuständen auf Biochemie als "Metaphysik" einordnest? Die Vorstellung, daß biochemische Prozesse neuronale Netze implementieren, die wiederum die Funktionen von Bewußtsein erfüllen, erscheint mir jedenfalls prinzipiell der empirischen Prüfung zugänglich zu sein.

Zunächst: Ich halte den Reduktionismus oder konkret den eliminativen Materialismus aus einer rein naturwissenschaftlichen Perspektive selbstverständlich für plausibel, aber diese Haltung entzieht sich meiner Meinung nach dennoch der experimentellen Überprüfung. Formulieren wir mal eine Hypothese, die dann experimentell zu testen d.h. zu falsifizieren wäre:

Mentale Zustände und Prozesse 1) sind vollständig auf neuronale und damit biochemische Prozesse reduzierbar 2)

1) Damit sind u.a. Qualia = subjektive Erlebnisinhalte mentaler Zustände wie z.B. das Erleben von Gefühlen gemeint.


Das es soetwas wie irreduzible (also nicht auf Hirnfunktionen zurückführbare) Qualia gibt, ist doch hier die metaphysische These. Wie willst du das empirisch belegen?

Zitat:

2) Damit ist z.B. gemeint, dass ein neuronales Netz, das einen Text oder einen Film z.B. gemäß Turing-Test vollständig versteht, damit auch den selben mentalen Zustand hat, d.h. genauso fühlt wie ein Mensch, der den Text liest (Horrorfilm: Angst, Tragödie: Trauer, ...).


Man kann nicht mal beweisen, daß zwei Menschen dasselbe fühlen, wenn sie dasselbe lesen. Außer man fragt sie und beurteilt was sie sagen oder wie sie sich verhalten. Du legst die Meßlatte also viel zu hoch.

Zitat:

Wie sähe ein Experiment aus, das diese Hypothese widerlegen könnte, das also die Existenz eines mess- und objektivierbaren Phänomens belegen könnte, welches nachweislich nicht mittels rein biochemischer Prozesse erklärbar wäre?

Es geht noch gar nicht um die Durchführung, lediglich um das Prinzip.

Da Gefühle nach meinem subjektiven Erleben nicht zu 100% über mein Verhalten rekonstruiert werden können, kann niemand meine Qualia zuverlässig und vollständig ermitteln, geschweige denn mit den Qualia anderer Menschen, Aliens, KIs o.a. vergleichen. Das ist meine Sicht auf mich.


Das denken viele. Der Hintergrund ist die unbelegte Ansicht, daß man irgendeinen privilegierten Zugang zu seinen eigenen mentalen Prozessen hat. Das ist aber sehr unwahrscheinlich. Niemand garantiert dir, daß die Vorstellungen, du dir über die Fähigkeiten deines eigenen Bewußtseins machst, mehr sind als bloße Konfabulationen. Es gibt m.E. auch empirische Hinweise darauf, daß wir sehr anfällig für solche Konfabulationen sind. Dennett in "Consciousness Explained" liefert einige faszinierende Beschreibungen, zum Beispiel für Phänomene wie "blindness denial" u.ä. (Es gibt noch mehr, aber ich zitiere im Augenblick aus dem Gedächtnis und es ist schon eine Weile her.) Kritik am Konzept der Qualia findet sich übrigens auch irgndwo bei Dennett. Ich glaube es war "Intuition Pumps".

Zitat:

Wenn ein neuronales Netz auf die Frage, ob es sich durch die szenische Darstellung eines Sexualaktes "erregt fühlt", sehr anschaulich seine Erregung schildert, bleiben dennoch Zweifel ...


Du redest hier im Prinzip über den Unterschied zwischen dir und einem Zombie und dem "Hard Problem" of Consciousness. Die Voraussetzungen dieses Gedankenexperiments sind aber erst recht metaphysisch. Es gibt keinen empirischen Hinweis darauf, daß irgendein normaler Mensch kein "Zombie" ist. Daß du glaubst Qualia zu besitzen, ist kein empirischer Beweis, denn das glaubt der Zombie auch. Daß es bei ihm im Gegensatz zu dir nicht stimmt, ist nur deine metaphysische Behauptung.
Thomasius



Anmeldungsdatum: 15.10.2019
Beiträge: 28

Beitrag Thomasius Verfasst am: 31. Aug 2020 19:07    Titel: Antworten mit Zitat

Ups, wieviel da inzwischen dazugekommen ist! Ich will gar nicht auf alles eingehen, sondern nur mein obiges Geschreibsel noch ein bisschen erläutern.

Ich habe bewusst „Psyche“ geschrieben, weil der Begriff „Seele“ noch nebelhafter ist. Psyche als die Gesamtheit der Gedanken und Gefühle eines Menschen. Selbstverständlich lässt sich die Psyche nicht auf das Nervensystem von Neuronen, Synapsen, Gliazellen, Neurotransmittern, biochemischen Prozessen usw. reduzieren. Ernsthafte Biologen und Neurophysiologen behaupten das heute auch nicht mehr. Die Psyche ist sozusagen die „Innenseite“, das innere Erleben dieser Strukturen und Prozesse.

Allerdings sind beide, das objektive „Außen“ der Nervenzellen und elektrochemischen Prozesse und das subjektive „Innen“ eng miteinander verbunden. Wenn das Nervensystem verändert wird, ob nun durch eine Hirnläsion oder durch Einnahme eines Schmerzmittels oder von einem Glas Whisky, verändert sich auch das subjektive Innen. Und wenn die Neuronen sämtlich keine elektrischen Reize mehr aufnehmen und weiterleiten, etwa weil das Herz aufgehört hat, Blut und Nährstoffe durch den Körper zu pumpen, erlischt auch das Innen. Unser innerer Bildschirm wird schwarz.

Das genügt mir eigentlich für meine Weltsicht. Eine Seele, die nach meinem Tod irgendwo herumschwebt, bleibt da nicht übrig. Etwas wissenschaftlicher gesagt: Es gibt kein „Innen“ ohne „Außen“, keinen Geist und keine Gefühle ohne objektiv vorhandene und experimentell messbare Dinge und Prozesse.
Qubit



Anmeldungsdatum: 17.10.2019
Beiträge: 829

Beitrag Qubit Verfasst am: 31. Aug 2020 19:25    Titel: Antworten mit Zitat

Thomasius hat Folgendes geschrieben:

Das genügt mir eigentlich für meine Weltsicht. Eine Seele, die nach meinem Tod irgendwo herumschwebt, bleibt da nicht übrig. Etwas wissenschaftlicher gesagt: Es gibt kein „Innen“ ohne „Außen“, keinen Geist und keine Gefühle ohne objektiv vorhandene und experimentell messbare Dinge und Prozesse.


Du hängst im Umkreis des "Leib/Seele-Körper/Geist-Problems".
Das ist uralt, aber ohne Auflösung.
Vielleicht gibt es eine Lösung, wenn man beides (Physik und Psyche) zugleich konsistent beschreiben könnte. Davon sind wir noch weit entfernt. Beides sind Entitäten verschiedener Erfahrungen und Wissenschaften.
Als Schlüsselrolle könnte hier der Begriff der "Information" dienen. Aber Raum&Zeit und Materie als reine Information zu beschreiben ist schwierig. Psyche als Zustände dieser reinen "physikalischen Information" ebenfalls. Aber undenkbar ist es nicht.
Brillant



Anmeldungsdatum: 12.02.2013
Beiträge: 1973
Wohnort: Hessen

Beitrag Brillant Verfasst am: 31. Aug 2020 19:41    Titel: Antworten mit Zitat

Qubit hat Folgendes geschrieben:
... fordern Naturwissenschaften letztlich, darauf bestehen, dass Naturgesetze absolut gegeben sind
Ich übertreibe etwas, aber nur etwas: Das ist Größenwahn.

Astrophysiker linsen durch ein Schlüsselloch *) und das erst seit 400 Jahren (Erfindung des Fernrohrs) und meinen, die Entstehung der Welt (vor 13,8 Milliarden Jahren) erklären zu können. Ich kann das nachvollziehen, wie sollte man sonst Theorien aufstellen und auf Basis dieser Theorien wieder das Lugen durchs Schlüsselloch als vollwertige Beobachtung ausgeben?

*) Mit Schlüsselloch meine ich den Engpass, dass wir nur elektromagnetische Informationen bekommen, die die Erde freiwillig erreichen (inzwischen auch durch ein paar Sonden außerhalb der Erdbahn). Gut, es hat ein paar (zweimal?) Gravitationswellen gegeben und zufällig fällt auch mal ein Meteorit zu, der angefasst und untersucht werden kann. Und Nachbarplaneten wurden wohl auch schon aktiv mit Radarwellen befragt.

Für mich ist Harald Lesch ein Vertreter der Schulbuch-Lobby. Was in den Schulbüchern nicht steht, kann nicht sein. Ein Video zum Thema „Urknall“ muss ich mir nicht ansehen, er schwabuliert wortreich JA. Ohne Alternative.

Dagegen fragt Josef M. Gaßner „Geht's auch ohne Urknall? Lichtermüdung und statisches Universum", eine Frage, die mich interessiert.

Oder Hans-Peter Dürr: „Der ganze Urknall ist alte Physik“.

Ich mag diejenigen, die mich teilhaben lassen an ihren Zweifeln. Ich zweifle ja selbst auch beim Bemühen, die Welt und die Menschen zu verstehen.

Bertrand Russel:

„Es ist ein Jammer, dass die Dummköpfe so selbstsicher sind und die Klugen so voller Zweifel.“

Dem kann ich nichts hinzufügen.

_________________
Glaubt nicht dem Hörensagen ... oder eingewurzelten Anschauungen, auch nicht den Worten eines verehrten Meisters; sondern was ihr selbst gründlich geprüft und als euch selbst und anderen zum Wohle dienend erkannt habt, das nehmt an. Siddhartha Gautama
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18001

Beitrag TomS Verfasst am: 31. Aug 2020 19:54    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Das es soetwas wie irreduzible (also nicht auf Hirnfunktionen zurückführbare) Qualia gibt, ist doch hier die metaphysische These. Wie willst du das empirisch belegen?

Ich will hier gar nichts empirisch belegen, das habe ich auch an keiner Stelle behauptet - im Gegenteil:

TomS hat Folgendes geschrieben:
Die überwiegende Mehrheit der Physiker ist sich - unabhängig von ihrer persönlichen Einstellung zu Religion und Glaubensfragen - der Tatsache bewusst, dass die Physik zu diesen Themen nichts beitragen kann.

Konkret heißt das, Physik, aber Biologie, Neurowissenschaften u.a. können die Existenz einer Seele o.ä. weder belegen noch widerlegen.



Ich will zeigen, dass empirische Belege unmöglich zu erbringen sind, weder These noch Antithese sind falsifizierbar sind, im strengen Sinne einer empirische Wissenschaft dieser daher nicht zugänglich.

Dass einige Naturwissenschaftler trotzdem meinen, sie hätten als Naturwissenschaftler etwas zum "Leib-Seele-Problem" und verwandten Fragestellungen sagen, halte ich für absurd.

_________________
Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.


Zuletzt bearbeitet von TomS am 31. Aug 2020 20:05, insgesamt 2-mal bearbeitet
Qubit



Anmeldungsdatum: 17.10.2019
Beiträge: 829

Beitrag Qubit Verfasst am: 31. Aug 2020 19:56    Titel: Antworten mit Zitat

Brillant hat Folgendes geschrieben:

Ich mag diejenigen, die mich teilhaben lassen an ihren Zweifeln. Ich zweifle ja selbst auch beim Bemühen, die Welt und die Menschen zu verstehen.


Ich kenne keine grösseren Zweifler als Naturwissenschaftler.
Es gibt keinen Königsweg zur Erkenntnis, es gibt aber auch keinen erfolgreicheren als die Naturwissenschaft.
Wenn man sich rational mit Naturerkenntnis beschäftigt, und das unterstelle ich auch dir, dann gibt es nicht mehr (rationale) Erkenntnis als die Naturwissenschaften liefern, insbesondere die Physik über den Kosmos.
Aber alle diese Erkenntnis hat eine Grundvoraussetzung: die Gültigkeit von Naturgesetzen.
Und es gibt keine Erfahrungstatsache, die freilich im wissenschaftlichem Sinne diesem widerspricht. Das Weltbild der Naturwissenschaften, ein naturalistisches Weltbild ohne übernatürliche Ursachen, ist Basis allen unseres intellektuellen Verständnis der Natur. Wir kennen nichts besseres.
Oder kennst du etwas besseres?
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18001

Beitrag TomS Verfasst am: 31. Aug 2020 20:04    Titel: Antworten mit Zitat

Thomasius hat Folgendes geschrieben:
Selbstverständlich lässt sich die Psyche nicht auf das Nervensystem von Neuronen, Synapsen, Gliazellen, Neurotransmittern, biochemischen Prozessen usw. reduzieren. Ernsthafte Biologen und Neurophysiologen behaupten das heute auch nicht mehr.

Es gibt Behauptungen in beide Richtungen, jeweils von - in ihrem eigentlichen Fachgebiet - durchaus ernstzunehmenden Wissenschaftlern.

Wie gesagt, naturwissenschaftlich sind diese Fragestellungen nicht zugänglich.

Thomasius hat Folgendes geschrieben:
Allerdings sind beide, das objektive „Außen“ der Nervenzellen und elektrochemischen Prozesse und das subjektive „Innen“ eng miteinander verbunden. Wenn das Nervensystem verändert wird, ob nun durch eine Hirnläsion oder durch Einnahme eines Schmerzmittels oder von einem Glas Whisky, verändert sich auch das subjektive Innen. Und wenn die Neuronen sämtlich keine elektrischen Reize mehr aufnehmen und weiterleiten, etwa weil das Herz aufgehört hat, Blut und Nährstoffe durch den Körper zu pumpen, erlischt auch das Innen. Unser innerer Bildschirm wird schwarz.

Was nicht beweisbar ist, da man Tote nicht fragen kann (bzw. weil man aus dem Ausbleiben einer Antwort keine weiteren Schlussfolgerung ziehen kann, die nicht letztlich das voraussetzen, was man belegen möchte).

Thomasius hat Folgendes geschrieben:
Eine Seele, die nach meinem Tod irgendwo herumschwebt, bleibt da nicht übrig. Etwas wissenschaftlicher gesagt: Es gibt kein „Innen“ ohne „Außen“, keinen Geist und keine Gefühle ohne objektiv vorhandene und experimentell messbare Dinge und Prozesse.

Ich teile deine Ansicht, bin jedoch - wie gesagt - der Meinung, dass es sich dabei um keine naturwissenschaftliche Ansicht handelt, weil die Hypothese nicht naturwissenschaftlich untersucht werden kann.

Welches Experiment könnte die Existenz einer Seele nach dem Tod belegen? Welches Experiment könnte sie widerlegen?

_________________
Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
Qubit



Anmeldungsdatum: 17.10.2019
Beiträge: 829

Beitrag Qubit Verfasst am: 31. Aug 2020 20:29    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:

Welches Experiment könnte die Existenz einer Seele nach dem Tod belegen? Welches Experiment könnte sie widerlegen?


Das ist gewissermassen ja der andere Ankerpunkt religiösen Denkens:
was ist der Sinn des Ganzen und welchen Sinn hat die Vergänglichkeit des eigenen Ichs?

Darauf liefern Naturwissenschaften freilich keine Antworten.
Also derzeit, könnten sie Antworten liefern?

Wer weiss, vielleicht ist das "ich" so subjektiv wie die Qualia, eine reine subjektive Interpretation, ohne objektives Korrelat.
Das menschliche "Ich" sieht sich ja gewissermassen isoliert, Ich und der Rest.
Vielleicht ist das falsch, vielleicht ist dieses "Ich" ja nur ein (ja vielleicht notwendiger) Teil des ganzen Kosmos, eine "transiente Daseinsform" als Teil des Ganzen. Dann ist man aber nicht mehr isoliert und vergänglich, sondern man ist im stetigen Wechsel des Ganzen verwoben. Wenn alles mit allem zusammenhängt, ist das keine so abstruse Vorstellung wie es klingt.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18001

Beitrag TomS Verfasst am: 31. Aug 2020 21:25    Titel: Antworten mit Zitat

Qubit hat Folgendes geschrieben:
Darauf liefern Naturwissenschaften freilich keine Antworten.

Danke, auf mehr wollte ich erst mal nicht hinaus ;-)

Nicht dass wir uns falsch verstehen: ich halte derartige Diskussionen für keineswegs überflüssig. Ich wollte lediglich klarstellen, dass die Naturwissenschaften dazu nichts beitragen kann - was nicht ausschließt, dass einzelne Naturwissenschaftler dazu eine persönliche Meinung haben.

_________________
Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
Thomasius



Anmeldungsdatum: 15.10.2019
Beiträge: 28

Beitrag Thomasius Verfasst am: 31. Aug 2020 22:13    Titel: Antworten mit Zitat

Ich hab solche Diskussionen manchmal ganz gern, obwohl meist nicht viel dabei herauskommt. Aber sie können den Kopf klären.

TomS hat Folgendes geschrieben:
Ich will zeigen, dass empirische Belege unmöglich zu erbringen sind, weder These noch Antithese sind falsifizierbar, im strengen Sinne einer empirische Wissenschaft dieser daher nicht zugänglich. Dass einige Naturwissenschaftler trotzdem meinen, sie hätten als Naturwissenschaftler etwas zum "Leib-Seele-Problem" und verwandten Fragestellungen sagen, halte ich für absurd.

Selbstverständlich können die Wissenschaften etwas zu diesen und verwandten Problemen sagen, jedenfalls die Wissenschaften in ihrer Gesamtheit von Natur- bis Geistes-, Sozial- und Geschichtswissenschaften. Niemand anders kann das.

Und eigentlich sind solche Probleme auch schon geklärt. Eine gewiss löbliche Toleranz gegen andere Haltungen und Gefühle hindert oft nur, das klar auszusprechen. Die Argumente, sich zu drücken, laufen dann meist auf so etwas hinaus wie ein lasches: Die Existenz eines fliegenden Spaghettimonsters ist der Wissenschaft nicht zugänglich. Kein wissenschaftliches Experiment kann beweisen oder widerlegen, dass nicht irgendwo in den Weiten des Alls ein fliegendes Spaghettimonster existiert.
Augenzwinkern
Brillant



Anmeldungsdatum: 12.02.2013
Beiträge: 1973
Wohnort: Hessen

Beitrag Brillant Verfasst am: 31. Aug 2020 22:25    Titel: Antworten mit Zitat

Qubit hat Folgendes geschrieben:
Es gibt keinen Königsweg zur Erkenntnis, es gibt aber auch keinen erfolgreicheren als die Naturwissenschaft.
Ich bin Agnostiker, komme damit klar, wenn es Götter gibt oder nur einen oder gar keinen.

Aber ich erkenne an, dass Menschen von ihrer Bildung, aber auch von ihrer Zeit nicht alles selbst prüfen und erkennen können.

Jede Religion strebt zur Erkenntnis, Erleuchtung, Seligkeit, ... und meint, nur ihre Sicht sei die einzig richtige. Wer sich davon einfangen läßt, wird zum Geführten.

Wer frei ist, hat es nicht leichter. Da liegen Religionen, Esoterik, Naturwissenschaften auf dem Tisch und buhlen um Aufmerksamkeit, schließen sich auch gegenseitig aus.

Der Mensch ist aber nicht nur ein Gehirn, ein Herz, eine Niere, ... Schon die Medizin zerfällt in dutzende Fachgebiete und die Naturwissenschaften sprechen nur das Gehirn an. Mir sagte mal ein Freund: Was interessiert dich Astrophysik, Quantenlehre, ... Du kannst mit niemandem darüber sprechen und bleibst allein.

Er hat leider Recht. Wissenschaft ist nicht Alles.

_________________
Glaubt nicht dem Hörensagen ... oder eingewurzelten Anschauungen, auch nicht den Worten eines verehrten Meisters; sondern was ihr selbst gründlich geprüft und als euch selbst und anderen zum Wohle dienend erkannt habt, das nehmt an. Siddhartha Gautama
Qubit



Anmeldungsdatum: 17.10.2019
Beiträge: 829

Beitrag Qubit Verfasst am: 31. Aug 2020 22:31    Titel: Antworten mit Zitat

Brillant hat Folgendes geschrieben:
Qubit hat Folgendes geschrieben:
Es gibt keinen Königsweg zur Erkenntnis, es gibt aber auch keinen erfolgreicheren als die Naturwissenschaft.
Ich bin Agnostiker, komme damit klar, wenn es Götter gibt oder nur einen oder gar keinen.

Aber ich erkenne an, dass Menschen von ihrer Bildung, aber auch von ihrer Zeit nicht alles selbst prüfen und erkennen können.

Jede Religion strebt zur Erkenntnis, Erleuchtung, Seligkeit, ... und meint, nur ihre Sicht sei die einzig richtige. Wer sich davon einfangen läßt, wird zum Geführten.

Wer frei ist, hat es nicht leichter. Da liegen Religionen, Esoterik, Naturwissenschaften auf dem Tisch und buhlen um Aufmerksamkeit, schließen sich auch gegenseitig aus.

Der Mensch ist aber nicht nur ein Gehirn, ein Herz, eine Niere, ... Schon die Medizin zerfällt in dutzende Fachgebiete und die Naturwissenschaften sprechen nur das Gehirn an. Mir sagte mal ein Freund: Was interessiert dich Astrophysik, Quantenlehre, ... Du kannst mit niemandem darüber sprechen und bleibst allein.

Er hat leider Recht. Wissenschaft ist nicht Alles.


Das mag ja alles sein.
Aber wenn du im Spiel der rationalen(!) Erkenntnis von der Natur mitspielen willst, dann musst du Naturwissenschaft verstehen.
Wenn du etwas besseres weisst, dann sag es.
Wenn nicht, dann musst du dich an die Spielregeln halten.
Du solltest verstehen, dass wir nicht da stünden, wo wir sind, wenn jeder einfach daher redet, was er möchte. Wir stehen hier, weil viele sich gemeinsam in diesen Regeln bemüht haben. Wenn du alles besser weisst als diese vielen, dann sag es. Ansonsten schweig! :-)
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18001

Beitrag TomS Verfasst am: 31. Aug 2020 23:45    Titel: Antworten mit Zitat

Thomasius hat Folgendes geschrieben:
Ich hab solche Diskussionen manchmal ganz gern, obwohl meist nicht viel dabei herauskommt. Aber sie können den Kopf klären.

TomS hat Folgendes geschrieben:
Ich will zeigen, dass empirische Belege unmöglich zu erbringen sind, weder These noch Antithese sind falsifizierbar, im strengen Sinne einer empirische Wissenschaft dieser daher nicht zugänglich. Dass einige Naturwissenschaftler trotzdem meinen, sie hätten als Naturwissenschaftler etwas zum "Leib-Seele-Problem" und verwandten Fragestellungen sagen, halte ich für absurd.

Selbstverständlich können die Wissenschaften etwas zu diesen und verwandten Problemen sagen, jedenfalls die Wissenschaften in ihrer Gesamtheit von Natur- bis Geistes-, Sozial- und Geschichtswissenschaften. Niemand anders kann das.

Dann sag' doch bitte klipp und klar, welche naturwissenschaftliche und damit empirisch testbare d.h. insbs. auch experimentell falsifizierbare Aussage du bzgl. Existenz oder Nicht-Existenz der Seele für zulässig hältst.

Nochmal: Ich halte diese Diskussionen keineswegs für sinnlos. Man muss jedoch klarstellen, welche Disziplin vernünftigerweise welche Aussagen wozu treffen kann.

Wenn du einen konkreten Vorschlag hast, dann können wir den gerne diskutieren.

_________________
Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
Thomasius



Anmeldungsdatum: 15.10.2019
Beiträge: 28

Beitrag Thomasius Verfasst am: 01. Sep 2020 01:27    Titel: Antworten mit Zitat

Ich halte solche Probleme für recht einfach. Bleiben wir bei meinem Beispiel vom fliegenden Spaghettimonster: Kein ernsthafter Wissenschaftler hat jemals ein fliegendes Spaghettimonster nachweisen können. Die Frage nach seiner Existenz erledigt sich von selbst, wir können sie unter den Tisch fallen lassen.

Dito die Frage nach einer Seele außerhalb eines Körpers. Kein ernsthafter Wissenschaftler hat jemals so etwas zeigen oder beweisen können, die Frage können wir ebenfalls abhaken.

Im letzteren Fall kann die Wissenschaft sogar noch mehr tun. Sie kann als Geistes- und Gesellschaftswissenschaft aufzeigen, wie solche Vorstellungen entstanden sind, sich entwickelt haben, wie sie psychologisch erklärbar werden, welcher psychischen Bedürfnisse sie erfüllen usw. Die Frage nach einer Seele außerhalb des Körpers ist für mich als (wie ich hoffe) wissenschaftlich denkenden Menschen unsinnig. Religionsgeschichte kann für mein (hoffentlich) wissenschaftliches Denken hochinteressant sein.

So etwa meine ich das.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18001

Beitrag TomS Verfasst am: 01. Sep 2020 07:50    Titel: Antworten mit Zitat

Thomasius hat Folgendes geschrieben:
Ich halte solche Probleme für recht einfach ... Kein ernsthafter Wissenschaftler hat jemals so etwas [Seele außerhalb eines Körpers.] zeigen oder beweisen können, die Frage können wir ebenfalls abhaken.

Das ist eine gut begründete Meinung, damit jedoch noch keine naturwissenschaftliche Herangehensweise. Naturwissenschaft (insbs. Physik, aber natürlich auch Chemie und Biologie) befasst sich mit experimentell überprüfbaren Hypothesen. Wenn du nicht in der Lage bist, eine derartige Hypothese aufzustellen, kannst du sie auch nicht überprüfen, d.h. insbs. nicht falsifizieren.

https://de.m.wikipedia.org/wiki/Falsifikationismus

Thomasius hat Folgendes geschrieben:
Die Frage nach einer Seele außerhalb des Körpers ist für mich als (wie ich hoffe) wissenschaftlich denkenden Menschen unsinnig.

Das ist deine - durchaus gut begründete - Meinung eines wissenschaftlich denkenden Menschen, damit jedoch noch keine naturwissenschaftliche Hypothese.

Thomasius hat Folgendes geschrieben:
Religionsgeschichte kann für mein (hoffentlich) wissenschaftliches Denken hochinteressant sein. Sie [die Wissenschaft] kann als Geistes- und Gesellschaftswissenschaft aufzeigen, wie solche Vorstellungen entstanden sind, sich entwickelt haben, wie sie psychologisch erklärbar werden, welcher psychischen Bedürfnisse sie erfüllen usw.

Deswegen ist das Konzept einer Seele auch nicht sinnlos. Es kann lediglich nicht Gegenstand einer Naturwissenschaft sein, die der o.g. Falsifizierbarkeit genügen sollte.


Nochmal zu den Hypothesen.

1) Eine dualistische Hyothese wäre, dass „Geist“ nicht im Sinne eines Epiphänomens auf rein biochemische Prozesse reduzierbar ist, sondern dass dem Geist eine ggü. der Materie des Gehirns autonome Existenzweise zukommt.

2) Eine eliminativ-materialistische Hypothese wäre, dass „Geist“ vollständig auf biochemische Prozesse reduzierbar ist und somit lediglich ein Epiphänomen dieser Prozesse darstellt.

Aus (2) folgt, dass „Geist“ an biochemische Prozesse gebunden ist und zusammen mit diesen beim Sterben eines Menschen verschwindet. Aus (1) folgt, das die fortdauernde Existenz von Geist (Seele, ...) nach dem Tod nicht logisch ausgeschlossen werden kann.

Keine der beiden Hypothesen definiert, was „Geist“ letztlich ist; damit ist es auch schwierig, gezielt danach zu suchen.

Als Naturwissenschaftler wären wir gefordert, diese Hypothesen so zu formulieren, dass wir Experimente oder Beobachtungen angeben können, die eine Falsifikation dieser Hypothesen bzw. eine Klärung bzgl. des Wahrheitsgehaltes von (1) und (2) erlauben. Bisher habe ich dazu noch keinen Vorschlag eines Experimentes gesehen; ich kann mir selbst auch keines vorstellen. Und damit bleibt es für mich dabei, dass Naturwissenschaftler zwar (2) vernünftig vertreten, jedoch nicht streng naturwissenschaftlich überprüfen können.

_________________
Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
Thomasius



Anmeldungsdatum: 15.10.2019
Beiträge: 28

Beitrag Thomasius Verfasst am: 01. Sep 2020 09:52    Titel: Antworten mit Zitat

Schon recht. Im Grunde sind wir ja einer Meinung. Mit der strengen Falsifizierbarkeit sind allerdings auch hunderte und tausende anderer Aussagen nicht zu widerlegen. Nicht nur mein geliebtes Spaghettimonster, sondern auch parapsychologische Phänomene, Ufos und Gespenster um Mitternacht. Im Allgemeinen geht die Wissenschaft über so etwas mit einem Achselzucken hinweg. Nur bei religiösen Aussagen, jedenfalls bei den Aussagen weit verbreiteter Religionen mit großer Anhängerschaft, wird sie plötzlich munter und sagt: „Ja ja, aber die Falsifizierbarkeit …“

Ist ja okay und auch historisch und sozial erklärbar.

Jedenfalls haben wir unsere Gedanken jetzt etwas geklärt. Und das ist ja auch nicht schlecht.
smile
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18001

Beitrag TomS Verfasst am: 01. Sep 2020 10:08    Titel: Antworten mit Zitat

Thomasius hat Folgendes geschrieben:
Im Grunde sind wir ja einer Meinung.

Sehe ich auch so ;-)

Thomasius hat Folgendes geschrieben:
Im
Mit der strengen Falsifizierbarkeit sind allerdings auch hunderte und tausende anderer Aussagen nicht zu widerlegen ... im Allgemeinen geht die Wissenschaft über so etwas mit einem Achselzucken hinweg. Nur bei religiösen Aussagen, jedenfalls bei den Aussagen weit verbreiteter Religionen mit großer Anhängerschaft, wird sie plötzlich munter ...

Das ist doch gar nicht der Punkt!

Es geht mir nicht darum, dass die Wissenschaft diese Kriterien von anderen einfordert, sondern darum, dass sie sich an diese - ihre eigenen - Kriterien hält und - falls dies nicht möglich ist - keine oder zumindest keine unzutreffenden angeblich wissenschaftlichen Aussagen zur nicht-Existenz derartiger Entitäten trifft.

Seriös: Nach derzeitigem Wissenstand liegen keinerlei naturwissenschaftliche Belege für die Existenz eines von biochemischen Prozessen unabhängigen oder ggü. diesen autonomen Geist vor.

Unseriös: Die moderne Physik (Neurobiologie, ...) zeigt, dass der sogenannte Geist vollständig biochemischen Prozessen entspricht und daher letztlich eine Illusion darstellt.

Dazwischen ist ein weites Feld.

_________________
Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18001

Beitrag TomS Verfasst am: 01. Sep 2020 10:24    Titel: Antworten mit Zitat

Ein Beispiel:

„Es zeigt sich, dass bestimmte Bewusstseinszustände und bestimmte Hirnvorgänge untrennbar miteinander verbunden sind, angefangen von einfachen Wahrnehmungsprozessen bis hin zu Zuständen des Dafürhaltens und Wissens. Ebenso lässt sich zeigen, dass allen Bewusstseinszuständen bestimmten unbewusste Prozesse zeitlich (200 Millisekunden oder länger) und in systematischer Weise vorhergehen.“
S. 332

„Warum aber sehen wir Geist überhaupt als physikalischen Zustand an und sind nicht einfach Dualisten, für die sich Geist grundlegend vom Materiell-Physikalischen unterscheidet? Der Grund hierfür ist, dass Geist - welcher physikalischen Natur er auch immer ist - eindeutig im Rahmen der Naturgesetze auftritt und unabdingbar an physikalische und im engeren Sinne an chemische und physiologische Gesetzmäßigkeiten gebunden ist. Dies ist mit einem Dualismus unvereinbar. Wie oben bereits beschrieben, geht geistige Aktivität im Gehirn mit einem hohen Sauerstoff- und Glukoseverbrauch und vielen anderen neuroelektrischen und neurochemischen Prozessen einher, und nach bisheriger Kenntnis sind die Beziehungen mehr oder weniger linear; d.h. je intensiver die geistigen Beziehungen, desto höher der Hinrstoffwechsel, der Transmitterausstoß, die Entladungsraten der Neurone usw. Hinzu kommt, dass es keine Eigenschaft geistiger Zustände gibt, die den Zuständen eklatant widersprechen. Dies wäre vor allem dann der Fall, wenn geistige Zustände überhaupt nicht an neuronale Prozesse gebunden wären.“
S. 339.

Gerhard Roth „Physik und Physiologie des Geistes“, 2011

Ich halte den Absolutheitsanspruch - meine Hervorhebungen in kursiv - für völlig verfehlt. Das kann Roth nicht wissenschaftlich belegen.

Absence of evidence is not evidence of absence.

_________________
Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 01. Sep 2020 11:19    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
Das es soetwas wie irreduzible (also nicht auf Hirnfunktionen zurückführbare) Qualia gibt, ist doch hier die metaphysische These. Wie willst du das empirisch belegen?

Ich will hier gar nichts empirisch belegen, das habe ich auch an keiner Stelle behauptet - im Gegenteil:

TomS hat Folgendes geschrieben:
Die überwiegende Mehrheit der Physiker ist sich - unabhängig von ihrer persönlichen Einstellung zu Religion und Glaubensfragen - der Tatsache bewusst, dass die Physik zu diesen Themen nichts beitragen kann.

Konkret heißt das, Physik, aber Biologie, Neurowissenschaften u.a. können die Existenz einer Seele o.ä. weder belegen noch widerlegen.



Also ist deine Behauptung über die Existenz von Qualia für dich eine Glaubensfrage? Mich interessiert schon genauer wie du dies meinst. Es kann sich natürlich jeder sein privates Glaubenssystem aufbauen und dann gegen empirische Prüfung immunisieren. Die Behauptung "die Wissenschaft" könne dieses System dann nicht mehr widerlegen, stimmt natürlich vom rein formalen Standpunkt aus. Aber ich halte das noch nicht für ein metaphysisches Problem, sondern zunächst einfach für schlechte Methodik.

Noch bemerkenswerter fand ich allerdings die folgende Behauptung:

Zitat:
Es ist bekannt, dass Neurowissenschaftler gerne die Ansicht vertreten, Seele, mentale Zustände o.ä. wären rein biochemische Epiphänonene. Diese Meinung ist jedoch - unabhängig davon, wie oft man sie publiziert- kein handfestes wissenschaftliches Argument, sondern eine nicht wissenschaftlich überprüfbare, rein metaphysische Haltung.


Warum ist das Metaphysik? Änderungen der Biochemie können das subjektive Erlebnis von Bewußtsein beeinflussen. Warum zählt das nicht als empirisches Indiz, daß (menschliches) Bewußtsein zumindest auch ein biochemisches Phänomen ist? Natürlich ist die Biochemie vielleicht eher ein Implementierungsdetail spezieller neuronaler Netze (eben derjenigen, die durch Evolution auf der Erde entstanden sind) und kann durch andere physikalische Mechanismen ausgetauscht werden. Aber die Frage ob es sich bei der obigen Aussage um Metaphysik handelt, bleibt davon m.E. im wesentlichen unberührt.

Zitat:

Ich will zeigen, dass empirische Belege unmöglich zu erbringen sind, weder These noch Antithese sind falsifizierbar sind, im strengen Sinne einer empirische Wissenschaft dieser daher nicht zugänglich.


Die These, daß Bewußtsein die Funktion neuronaler Netze ist, ist aber nicht metaphysisch. Aus ihr folgt ja die Beobachtung, daß sich einige neuronale Netze so verhalten werden, wie bewußte Individuen. Natürlich ist die genaue Klasse solcher Netze nicht bekannt, aber das macht die These noch nicht metaphysisch. Daß die beobachtbaren Phänomene von Bewußtsein abhängig von der Struktur des neuronalen Netzes sind, das es hervorbringt, ist auch empirisch gut gesichert. Auch der subjektive Glaube Qualia zu besitzen, gehört mit in diese Reihe von Phänomenen, ist also prinzipiell empirisch analysierbar.

Nur die objektive Existenz dieser irreduziblen Qualia ist rein metaphysisch. Aus ihr folgt definitionsgemäß nichts beobachtbares, da sich jeder Zombie laut Voraussetzung identisch verhalten würde, aber keine Qualia besitzt.

Zitat:

Dass einige Naturwissenschaftler trotzdem meinen, sie hätten als Naturwissenschaftler etwas zum "Leib-Seele-Problem" und verwandten Fragestellungen sagen, halte ich für absurd.


Sobald du dich natürlich auf den Standpunkt stellst "Seele" sei genau der Aspekt von Bewußtsein, über den man keine empirischen Aussagen machen kann, hast du dieses Problem nicht nur der wissenschaftlichen Methodik entzogen, sondern es auch in ein Scheinproblem verwandelt.

Analog wie der "God of the gaps", den die Wissenschaft der Religion für Spekulationen abseits der Realität übrigläßt, ist dann die "Seele" nur eine Bezeichnung für alle Illusionen, die sich Menschen über die Fähigkeiten und Eigenschaften ihres eigenen Bewußtseins machen können.
Brillant



Anmeldungsdatum: 12.02.2013
Beiträge: 1973
Wohnort: Hessen

Beitrag Brillant Verfasst am: 01. Sep 2020 11:54    Titel: Antworten mit Zitat

Qubit hat Folgendes geschrieben:
Wenn du alles besser weisst als diese vielen, dann sag es.
Das Gegenteil ist der Fall, Eigenzitat:

„Aber ich erkenne an, dass Menschen von ihrer Bildung, aber auch von ihrer Zeit nicht alles selbst prüfen und erkennen können.“

Ich habe lediglich angedeutet, dass ich mich mit dem Nebeneinander von Religionen, Wissenschaften usw. arrangieren kann. Aus meiner Sicht schließt sich das nicht aus.

Bin selbst nicht religiös, aber daran interessiert, wie dadurch Kulturen geformt werden und Menschen denken / handeln. Da gibt es Pflichten und Tabus, das sind Gesetzbücher.

Ich kann vieles gar nicht besser wissen, aber ich bleibe kritisch. Als JA-Sager könnte ich wohl an keiner Diskussion teilnehmen. Da wäre ich ein Langweiler.

_________________
Glaubt nicht dem Hörensagen ... oder eingewurzelten Anschauungen, auch nicht den Worten eines verehrten Meisters; sondern was ihr selbst gründlich geprüft und als euch selbst und anderen zum Wohle dienend erkannt habt, das nehmt an. Siddhartha Gautama
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 01. Sep 2020 12:10    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:

Ich halte den Absolutheitsanspruch - meine Hervorhebungen in kursiv - für völlig verfehlt. Das kann Roth nicht wissenschaftlich belegen.

Absence of evidence is not evidence of absence.


Nicht immer, aber oft. Streng genommen gibt es überhaupt keine andere "evidence of absence" als eine beharrliche "absence of evidence" trotz intensiver Suche und Bemühungen Belege zu finden. Es handelt sich hier also in erster Linie um ein methodisches Problem.

Ich denke du führst hier unmöglich zu erfüllende Kriterien für wissenschaftliche Belege an. Danach wäre es selbst unmöglich wissenschaftlich zu belegen, daß es keine Magie gibt oder daß die Wunder aus der Bibel nicht stattgefunden haben.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18001

Beitrag TomS Verfasst am: 01. Sep 2020 14:20    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Es ist bekannt, dass Neurowissenschaftler gerne die Ansicht vertreten, Seele, mentale Zustände o.ä. wären rein biochemische Epiphänonene. Diese Meinung ist jedoch - unabhängig davon, wie oft man sie publiziert- kein handfestes wissenschaftliches Argument, sondern eine nicht wissenschaftlich überprüfbare, rein metaphysische Haltung.

Warum ist das Metaphysik? Änderungen der Biochemie können das subjektive Erlebnis von Bewußtsein beeinflussen. Warum zählt das nicht als empirisches Indiz, daß (menschliches) Bewußtsein zumindest auch ein biochemisches Phänomen ist? Natürlich ist die Biochemie vielleicht eher ein Implementierungsdetail spezieller neuronaler Netze (eben derjenigen, die durch Evolution auf der Erde entstanden sind) und kann durch andere physikalische Mechanismen ausgetauscht werden.

Du missverstehst mein Argument.

Selbstverständlich zählt das als empirisches Indiz, dass (menschliches) Bewußtsein zumindest auch ein biochemisches Phänomen ist.

Aber es zählt nicht als empirisches Indizes dafür, dass (menschliches) Bewußtsein ausschließlich ein rein biochemisches Epiphänomen ist. Diese Behauptung wird jedoch von einigen Naturwissenschaftlern vertreten, und sie ist genauso dogmatisch wie eine rein theologische Auffassung im Sinne eines Substanzdualismus.

Der Punkt ist dass einige Wissenschaftler im Eifer des Gefechts gegen unwissenschaftliche Dogmatiker selbst zu Dogmatikern werden.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Ich denke du führst hier unmöglich zu erfüllende Kriterien für wissenschaftliche Belege an. Danach wäre es selbst unmöglich wissenschaftlich zu belegen, daß es keine Magie gibt oder daß die Wunder aus der Bibel nicht stattgefunden haben.

Ich sehe dieses Problem auch, es hilft aber nicht, die Augen zu verschließen.

Wenn Wissenschaft für sich seriöses wissenschaftliches Vorgehen reklamiert und gleichzeitig der Gegenseite unwissenschaftliche oder pseudowissenschaftliche Argumente und Methoden vorwirft, dann sollte man doch kritisch hinterfragen, ob man selbst diesem eigenen Anspruch selbst gerecht wird.

_________________
Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 01. Sep 2020 16:34    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Es ist bekannt, dass Neurowissenschaftler gerne die Ansicht vertreten, Seele, mentale Zustände o.ä. wären rein biochemische Epiphänonene. Diese Meinung ist jedoch - unabhängig davon, wie oft man sie publiziert- kein handfestes wissenschaftliches Argument, sondern eine nicht wissenschaftlich überprüfbare, rein metaphysische Haltung.

Warum ist das Metaphysik? Änderungen der Biochemie können das subjektive Erlebnis von Bewußtsein beeinflussen. Warum zählt das nicht als empirisches Indiz, daß (menschliches) Bewußtsein zumindest auch ein biochemisches Phänomen ist? Natürlich ist die Biochemie vielleicht eher ein Implementierungsdetail spezieller neuronaler Netze (eben derjenigen, die durch Evolution auf der Erde entstanden sind) und kann durch andere physikalische Mechanismen ausgetauscht werden.

Du missverstehst mein Argument.

Selbstverständlich zählt das als empirisches Indiz, dass (menschliches) Bewußtsein zumindest auch ein biochemisches Phänomen ist.

Aber es zählt nicht als empirisches Indizes dafür, dass (menschliches) Bewußtsein ausschließlich ein rein biochemisches Epiphänomen ist.


An diesem "ausschließlich" bin ich beim Lesen durchaus eine Weile hängengeblieben. Aber wenn ich das wörtlich nehme, klingt es für mich verdächtig nach Strohmannargument. Dieselben (oder recht ähnliche) biochemischen Prozesse laufen natürlich auch in Nervensystemen ab, die kein Bewußtsein ausbilden, z.B. von Insekten. Selbst wenn man nur Teile, sagen wir 5000 Neuronen, des menschlichen Gehirns in Isolation betrachtet, hat man dieselbe Biochemie, aber kein Bewußtsein. Das wird sicher kein Wissenschaftler bestreiten. (Selbst wenn sie es bestritten, wäre das immer noch keine metaphysische Aussage, sondern schlicht falsch und m.E. empirisch widerlegt.)

Aus diesem Grund habe ich das biochemische Substrat des neuronalen Netzes extra als "Implementierungsdetail" bezeichnet, denn darauf kommt es gar nicht an. Es geht eigentlich darum, ob Bewußtsein mehr ist, als die Funktionen speziell organisierter Materie. Ich halte die Auffassung, daß es nicht mehr ist, weder für metaphysisch noch für dogmatisch.

Im Gegenteil, ich denke sie ist eine methodische Grundvoraussetzung, um bei der wissenschaftlichen Erforschung des Phänomens Bewußtsein überhaupt Fortschritte machen zu können; vergleichbar der impliziten Annahme, daß es keine Magie und nichts "Übernatürliches" in der Natur gibt, das mit normalen physikalischen Prozessen interferiert. Ohne diese Annahme könnte man Aberglauben nicht aus der Wissenschaft ausschließen.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Ich denke du führst hier unmöglich zu erfüllende Kriterien für wissenschaftliche Belege an. Danach wäre es selbst unmöglich wissenschaftlich zu belegen, daß es keine Magie gibt oder daß die Wunder aus der Bibel nicht stattgefunden haben.

Ich sehe dieses Problem auch, es hilft aber nicht, die Augen zu verschließen.

Wenn Wissenschaft für sich seriöses wissenschaftliches Vorgehen reklamiert und gleichzeitig der Gegenseite unwissenschaftliche oder pseudowissenschaftliche Argumente und Methoden vorwirft, dann sollte man doch kritisch hinterfragen, ob man selbst diesem eigenen Anspruch selbst gerecht wird.


Das versuche ich ja. Mir ist aber noch nicht ganz klar geworden, welchen Aussagen genau du zweifelhafte Methodik unterstellst.

Ist die Aussage, das Bewußtsein sei nichts anderes als Funktionen in organisierter Materie, zweifelhaft? Ich finde das nicht. Im Gegenteil, ich denke sie ist äquivalent zur Aussage, daß die Erklärung des Phänomens Bewußstein keine Magie erfordert. Oder in Dennetts Worten: "No Wonder Tissue allowed".
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18001

Beitrag TomS Verfasst am: 01. Sep 2020 22:49    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Warum ist das Metaphysik? ... Ich halte die Auffassung, daß es nichtmehr ist, weder für metaphysisch noch für dogmatisch ... Im Gegenteil, ich denke sie ist eine methodische Grundvoraussetzung, um bei der wissenschaftlichen Erforschung des Phänomens Bewußtsein überhaupt Fortschritte machen zu können.

Und weil es eine Grundvoraussetzung für die Physik und darauf aufbauender weiterer Naturwissenschaften ist, an die Gültigkeit der physikalische Methode - im Gegensatz zu irgendwelchem Humbug - zu glauben, ist es im ursprünglichen Sinne des Begriffs Meta-Physik, d.h. jenseits der physikalischen Methode.

Ich meine das keineswegs abwertend.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Das versuche ich ja. Mir ist aber noch nicht ganz klar geworden, welchen Aussagen genau du zweifelhafte Methodik unterstellst.

Ich unterstelle keineswegs eine zweifelhafte Methodik, sondern - zumindest in Teilen - die fehlende kritische Reflexion bzgl. der Annahme bzgl. der jeweiligen Methodik. Wenn diese Reflexion fehlt, dann ist dies dogmatisch - und dies beobachtet man leider auch in den Naturwissenschaften. Bohr ist ein unrühmliches Beispiel, und soweit ich mich erinnere, fehlt diese Reflexion auch bei Roth. Hier bei uns fehlt es daran offenbar nicht ;-)

Das ist nun durchaus wertend.

_________________
Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
Qubit



Anmeldungsdatum: 17.10.2019
Beiträge: 829

Beitrag Qubit Verfasst am: 02. Sep 2020 01:30    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:

Aus diesem Grund habe ich das biochemische Substrat des neuronalen Netzes extra als "Implementierungsdetail" bezeichnet, denn darauf kommt es gar nicht an. Es geht eigentlich darum, ob Bewußtsein mehr ist, als die Funktionen speziell organisierter Materie. Ich halte die Auffassung, daß es nicht mehr ist, weder für metaphysisch noch für dogmatisch.


Die (menschliche) Erfahrung ist aber jedoch erstmal schlicht die einer physischen (materiellen) Welt und einer anderen, psychischen (mentalen, seelischen) Welt und zwischen beiden besteht offenbar ein "gap". Das ist das Wesentliche am "Leib/Seele-Problem".
Freilich gibt es bekannte "Wirkursachen" von einem auf das andere. Dabei stellt sich die umgekehrte Fragestellung, die der Wirkung des Geistes auf materielle Vorgänge im Hirn sogar (auch für Physiker) spannendere Frage dar.
Es scheint dabei zur Klärung der Ontologie des Geistes jedoch keine Frage der wissenschaftlichen Methodik zu sein. "Hirnforscher" (Neurologen, Biochemiker, etc.) werden so letztlich immer "nur" von physischen Prozessen im Hirn sprechen können (mit Wirkungen auf die Psyche). Und andersherum werden Psychologen nach ihrer Methodik immer "nur" über psychische Phänomene in Korrelation mit neuronalen Systemen sprechen können. Metaphysisch bleibt das ein Substanzdualismus, Erkenntnistheoretisch könnte man auch hier von einer "Komplementarität" der Natur sprechen, insofern man auch psychische Zustände als (eigene) natürliche Zustände erklärt.
Wie man diesen Dualismus aufheben kann, ist ja gerade die grosse spannende Frage. Und ob Psyche so als "Epiphänomen" komplexer materieller (zB. neuronaler) Systeme beschrieben werden kann, mit der Dynamik nichtlinearer komplexer Systeme (Emergenz), ist natürlich ebenfalls eine spannende Frage. Aber im übrigen sind auch solche Theorien und Vorstellungen letztlich auch nur mentale Zustände. smile
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18001

Beitrag TomS Verfasst am: 02. Sep 2020 08:47    Titel: Antworten mit Zitat

Danke Prost

Und damit die Naturwissenschaften überhaupt vernünftig arbeiten können, müssen sie annehmen, dass kein Substanzdualismus vorliegt, dass also mentale Phänomene lediglich Epiphänomene sind und dass die Wirkung von der materiellen auf die mentale Welt u.u. durch die vorausgesetzte Identifizierung beider vermöge rein biochemischer und damit letztlich physikalisch erklärbarer Prozesse innerhalb der materiellen Welt vonstatten geht.

Das Problem mit dieser Annahme ist, dass sie nicht wirklich testbar ist.

Falls doch, würde ich mich freuen, hier einen Vorschlag zu lesen, z.B. anhand des mentalen Aktes der Entscheidung, Schweinebraten statt Nürnberger Bratwürste zu bestellen, dem dann der Sprechakt der Bestellung folgt.

_________________
Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 02. Sep 2020 09:37    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
Warum ist das Metaphysik? ... Ich halte die Auffassung, daß es nichtmehr ist, weder für metaphysisch noch für dogmatisch ... Im Gegenteil, ich denke sie ist eine methodische Grundvoraussetzung, um bei der wissenschaftlichen Erforschung des Phänomens Bewußtsein überhaupt Fortschritte machen zu können.

Und weil es eine Grundvoraussetzung für die Physik und darauf aufbauender weiterer Naturwissenschaften ist, an die Gültigkeit der physikalische Methode - im Gegensatz zu irgendwelchem Humbug - zu glauben, ist es im ursprünglichen Sinne des Begriffs Meta-Physik, d.h. jenseits der physikalischen Methode.


Der Glaube, daß man mit dieser Voraussetzung letztlich Erfolg haben wird, m.a.W. daß ein "Hard Problem of Consciousness" nicht existiert, ist sicher Metaphysik. Die Voraussetzung selbst, daß Bewußstein eine Funktion komplexer neuronaler Netze ist, ist es aber m.E. nicht. Welche Beobachtungen aus ihr meiner Ansicht nach folgen, habe ich ja schon angedeutet: Änderung des Bewußtseins durch Änderung der Funktionen des Netzes (dafür gibt es, denke ich, empirische Belege) bis hin zur Konstruktion von künstlicher Intelligenz mit eigenem Bewußtsein.

Aber gut, ich denke trotzdem, daß ich deine Aussage nun besser verstanden habe.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Das versuche ich ja. Mir ist aber noch nicht ganz klar geworden, welchen Aussagen genau du zweifelhafte Methodik unterstellst.

Ich unterstelle keineswegs eine zweifelhafte Methodik, sondern - zumindest in Teilen - die fehlende kritische Reflexion bzgl. der Annahme bzgl. der jeweiligen Methodik. Wenn diese Reflexion fehlt, dann ist dies dogmatisch - und dies beobachtet man leider auch in den Naturwissenschaften. Bohr ist ein unrühmliches Beispiel, und soweit ich mich erinnere, fehlt diese Reflexion auch bei Roth. Hier bei uns fehlt es daran offenbar nicht ;-)

Das ist nun durchaus wertend.


Weil du Roth nochmal erwähnst, den ich nicht kannte...

Ich habe mir nochmal die Passagen aus "Physik und Physiologie des Geistes" durchgelesen, die du oben kritisiert hast.

Im ersten Abschnitt hast du einen Satz mit den beiden Wörtern "alle" und "systematisch" als Aussage mit völlig verfehltem Absolutheitsanspruch moniert. Das verstehe ich nicht. Der Satz lautet: "Ebenso lässt sich zeigen, dass allen Bewusstseinszuständen bestimmten unbewusste Prozesse zeitlich (200 Millisekunden oder länger) und in systematischer Weise vorhergehen."

Zunächst kommt es mir so vor als ob wir in der Physik dauernd solche Aussagen machen, z.B. "Es läßt sch zeigen, daß sich alle Wellenfronten nicht schneller als c ausbreiten." Oder "daß das Senden eines Signals dem Empfangen desselben Signals in systematischer (=durch allgemeine Gesetze beschriebenen) Weise vorhergeht." Ich habe weder inhaltliche noch philosophische Bedenken gegen solche Behauptungen.

Du scheinst Anstoß daran zu nehmen, daß es sich um universelle Aussagen handelt, die keine unspezifizierten Ausnahmen in Betracht ziehen. Aber das ist das Charakteristikum von naturwissenschaftlichen Gesetzten, und es ist genau diese Eigenschaft, die sie falsifizierbar macht und damit von Metaphysik abgrenzt. Ein einziger Bewußtseinszustand, dem kein unbewußter Prozeß in "systematischer Weise" (was genau das bedeutet, muß natürlich klar sein) zeitlich vorausgeht und die Behauptung ist widerlegt. Das ist doch reine empirische Wissenschaft in bester Popperscher Tradition.
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 02. Sep 2020 09:41    Titel: Antworten mit Zitat

Qubit hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:

Aus diesem Grund habe ich das biochemische Substrat des neuronalen Netzes extra als "Implementierungsdetail" bezeichnet, denn darauf kommt es gar nicht an. Es geht eigentlich darum, ob Bewußtsein mehr ist, als die Funktionen speziell organisierter Materie. Ich halte die Auffassung, daß es nicht mehr ist, weder für metaphysisch noch für dogmatisch.


Die (menschliche) Erfahrung ist aber jedoch erstmal schlicht die einer physischen (materiellen) Welt und einer anderen, psychischen (mentalen, seelischen) Welt und zwischen beiden besteht offenbar ein "gap". Das ist das Wesentliche am "Leib/Seele-Problem".


Ich bestreite ja nicht, daß hier ein Problem vorliegt. Ich bezweifle aber, daß es das sogenannte "Hard Problem" gibt. Ich denke das Problem ist in erster Linie deshalb schwierig, weil es aus einer Unmenge "einfacher" Probleme besteht. Nach Lösung all dieser Probleme, von denen einige durchaus technisch schwierig sein können, ist das "Hard Problem" ebenfalls verschwunden.

Zitat:
Freilich gibt es bekannte "Wirkursachen" von einem auf das andere.
Dabei stellt sich die umgekehrte Fragestellung, die der Wirkung des Geistes auf materielle Vorgänge im Hirn sogar (auch für Physiker) spannendere Frage dar.


Das halte ich für äußerst unwahrscheinlich. Wie stellst du dir das vor -- ein Wechselwirkungsterm zwischen Quantenfeldern und Qualia im Lagrangian des Standardmodells? Die sogenannten Qualia sind in den Worten von TomS Epiphänomene.

Zitat:

Es scheint dabei zur Klärung der Ontologie des Geistes jedoch keine Frage der wissenschaftlichen Methodik zu sein. "Hirnforscher" (Neurologen, Biochemiker, etc.) werden so letztlich immer "nur" von physischen Prozessen im Hirn sprechen können (mit Wirkungen auf die Psyche). Und andersherum werden Psychologen nach ihrer Methodik immer "nur" über psychische Phänomene in Korrelation mit neuronalen Systemen sprechen können. Metaphysisch bleibt das ein Substanzdualismus, Erkenntnistheoretisch könnte man auch hier von einer "Komplementarität" der Natur sprechen, insofern man auch psychische Zustände als (eigene) natürliche Zustände erklärt.


Nein, das ist kein Substanzdualismus, das sind einfach unterschiedlich abstrakte Beschreibungen derselben "Substanz". Wir haben z.B. in der Physik einerseits die Kontinuumsmechanik und andererseits die Mechanik von Teilchen (als klassische oder Quantentheorie). Deswegen glauben wir aber noch längst nicht an einen Substanzdualismus von Teilchen und Fluiden. Fundamental ist das dieselbe Art von Materie, nur auf anderen Skalen beschrieben.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18001

Beitrag TomS Verfasst am: 02. Sep 2020 11:02    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Der Glaube, daß man mit dieser Voraussetzung letztlich Erfolg haben wird, m.a.W. daß ein "Hard Problem of Consciousness" nicht existiert, ist sicher Metaphysik.

Die Voraussetzung selbst, daß Bewußstein eine Funktion komplexer neuronaler Netze ist, ist es aber m.E. nicht. Welche Beobachtungen aus ihr meiner Ansicht nach folgen, habe ich ja schon angedeutet: Änderung des Bewußtseins durch Änderung der Funktionen des Netzes (dafür gibt es, denke ich, empirische Belege) bis hin zur Konstruktion von künstlicher Intelligenz mit eigenem Bewußtsein.

Aber gut, ich denke trotzdem, daß ich deine Aussage nun besser verstanden habe.

Prima.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Im ersten Abschnitt hast du einen Satz mit den beiden Wörtern "alle" und "systematisch" als Aussage mit völlig verfehltem Absolutheitsanspruch moniert. Das verstehe ich nicht. Der Satz lautet: "Ebenso lässt sich zeigen, dass allen Bewusstseinszuständen bestimmten unbewusste Prozesse zeitlich (200 Millisekunden oder länger) und in systematischer Weise vorhergehen."

Zunächst kommt es mir so vor als ob wir in der Physik dauernd solche Aussagen machen, z.B. "Es läßt sich zeigen, daß sich alle Wellenfronten nicht schneller als c ausbreiten."

Oder "daß das Senden eines Signals dem Empfangen desselben Signals in systematischer (=durch allgemeine Gesetze beschriebenen) Weise vorhergeht." Ich habe weder inhaltliche noch philosophische Bedenken gegen solche Behauptungen.

Die philosophischen Bedenken treffen nicht die Aussagen, sondern die Voraussetzung der Aussagen.

Bei der Voraussetzung, dass sich physikalisch formulierte Naturgesetze auf die physikalisch erfassbare Natur beziehen und diese umfassend beschreiben - was den Gegenstand der Untersuchung implizit dahingehend einengt, dass es sich gerade um das handelt, was der physikalischen Methode zugänglich ist - habe ich keine Bedenken.

Aber bei der Voraussetzung, dass dies auch für mentale Prozesse gelten soll, habe ich Probleme, da hier keine Einengung auf die der physikalische Methode zugänglichen Vorgänge erfolgt, sondern die implizite Annahme, dass diese Methode auf mentale Vorgänge ausgeweitet werden kann.

Man kann diese Annahme treffen, aber man muss das explizit tun und sich darüber Rechenschaft ablegen.

Machen wir das doch mal explizit.

Mittels physikalischer Theorien lässt sich zeigen, dass sich alle elektromagnetische Wellenfronten nicht schneller als c ausbreiten. In den bisher durchgeführten Experimenten erfolgte keine Beobachtung, die diese Theorien widerlegt.

???. Aus den bisher durchgeführten Experimenten folgt die Beobachtung, dass allen Bewusstseinszuständen bestimmte unbewusste Prozesse zeitlich in systematischer Weise vorausgehen.

Im ersten Fall beziehen sich alle Begriffe und Aussagen auf einen gemeinsamen Kontext, nämlich die mittels der physikalischen Methode zugänglichen Natur.

Im zweiten Fall fehlt zunächst das ???. Wir haben dazu nichts - außer der Annahme, dass dies alles "irgendwie physikalisch wäre". Dann bezieht sich der Begriff Bewusstseinszustände zunächst nicht auf den physikalischen sondern auf den mentalen Kontext. Ich kenne zumindest keine physikalische Theorie, die diesen Begriff auch nur ansatzweise definieren würde, lediglich die Annahme beide Kontexte seien identisch - was dennoch keine Definition meiner Bewusstseinszustände wie zum Beispiel "Ärger" liefert. Wir wissen in der Physik, wie kompliziert es ist, den Atomkern auf Basis der QCD zu verstehen; aber die Neurobiologie versteht angeblich "Ärger" auf Basis von Nervenimpulsen - phantastisch.

Dann schauen wir uns doch mal die sogenannten Libet-Experimente (nach Libet et al.) an, auf die sich Roth bezieht.

Zum ersten sind diese höchst umstritten. Zum zweiten sind es allenfalls einige wenige Indizien für die o.g. Meinung. Zum dritten steckt ein methodischer Fehler in der Argumentation, denn die Experimente müssen sich notwendigerweise auf physikalisch messbare oder anderweitig beobachtbare Akte beziehen, d.h. sie blenden alle mentalen Zustände aus, die nicht zu unmittelbar oder eindeutig definierten Akten führen.

Im Libet-Experiment geht es um den freien Willen, Knöpfchen zu drücken oder nicht zu drücken; meine wesentlichen mentalen Vorgänge und Willensentscheidungen handeln von anderen Dingen: heirate ich diese Frau? was wähle ich bei der nächsten Bundestagswahl? möchte ich zukünftig umweltbewusster leben? was empfinde ich bei dem Film "Alien" und warum fasziniert er mich?

Roth behauptet, man könne zeigen, dass allen Bewusstseinszuständen - also wohl auch den von mir genannten - unbewusste Prozesse in systematischer Weise vorhergehen.

Das ist für mich nicht empirische Wissenschaft in bester Popperscher Tradition, sondern so ziemlich das exakte Gegenteil: implizite Annahmen, methodische Schwächen, Dogmatik gepaart mit Hybris.

Wichtig: als Naturwissenschaftler teile ich die Annahme von Roth; aber ich bin mir explizit bewusst, dass sie möglicherweise der naturwissenschaftlichen Methode nicht zugänglich ist - genauso wie die Annahme einer vom Leib unabhängigen Seele.

Auch wichtig: es klingt so, als ob ich mich hier auf Roth eingeschossen hätte. Ich habe vor Jahren zwei seiner Bücher gelesen und da ist dieser Eindruck entstanden; das o.g. Zitat steht stellvertretend dafür. Mir ist klar, dass eine umfassende Diskussion zu moderateren Aussagen führen wird - seinerseits und meinerseits. Mir auch klar, dass er nicht für "die Neurobiologie" steht, sondern dass es da durchaus unterschiedliche und auch kritischere Strömungen gibt.

_________________
Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 02. Sep 2020 11:12    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:

Und damit die Naturwissenschaften überhaupt vernünftig arbeiten können, müssen sie annehmen, dass kein Substanzdualismus vorliegt, dass also mentale Phänomene lediglich Epiphänomene sind und dass die Wirkung von der materiellen auf die mentale Welt u.u. durch die vorausgesetzte Identifizierung beider vermöge rein biochemischer und damit letztlich physikalisch erklärbarer Prozesse innerhalb der materiellen Welt vonstatten geht.

Das Problem mit dieser Annahme ist, dass sie nicht wirklich testbar ist.


Du erklärst ihre Grundannahme zum Problem und schließt gleichzeitig aus, daß sie irgendeine Möglichkeit haben, diesem Problem zu entgehen, außer Aufgeben und gar nichts zu tun.

Kann es wirklich ein Problem sein, daß man von Annahmen ausgeht, ohne die man nicht vernünftig arbeiten kann? Was soll denn die Alternative sein; unvernünftiges Arbeiten?

Zitat:

Falls doch, würde ich mich freuen, hier einen Vorschlag zu lesen, z.B. anhand des mentalen Aktes der Entscheidung, Schweinebraten statt Nürnberger Bratwürste zu bestellen, dem dann der Sprechakt der Bestellung folgt.


Ich glaube, du mußt etwas konkreter werden, was genau hier getestet werden soll.

Ich habe immer noch den Eindruck, du verlangst von Wissenschaftlern entweder den Nachweis, daß bei der Entscheidung für Schweinebraten wirklich keine Magie im Spiel ist, sondern daß es sich ausschließlich um materielle Prozesse handelt oder das Eingeständnis, daß diese Annahme "problematisch" ist. Ich kann aber absolut kein Problem dabei erkennen.

Hast du dieselben Ansprüche an Physik? Sagen wir ab heute: "Wellenfronten breiten sich nicht schneller als Lichtgeschwindigkeit aus, es sei denn es geschieht ein Wunder"?
Neue Frage »
Antworten »
    Foren-Übersicht -> Off-Topic