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Angriffspunkt der Gravitation
 
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borromeus



Anmeldungsdatum: 29.12.2014
Beiträge: 509

Beitrag borromeus Verfasst am: 29. Dez 2014 13:26    Titel: Angriffspunkt der Gravitation Antworten mit Zitat

Hallo!

Mein Name ist Karl, ich bin Elektrotechniker.
Seit ein paar Tagen plagt mich ein Gedanke, den ich nicht lösen kann:

Folgende Voraussetzungen:
"Erde" mit homogener Dichte!
Eine Masse m, sagen wir mal 1m über der Erdoberfläche über dem Nordpol.

Ich verstehe nun nicht, warum der Angriffspunkt der Gravitation im Schwerpunkt (=Mittelpunkt) der Erde liegt/ liegen soll.
Eine Mehrzahl der Erd- Masse ist ja viel näher zu m und die Gravitationskraft nimmt mit dem Quadrat der Entfernung ab- sprich die nördliche Halbkugel wirkt ja stärker als die südliche. Daher müsste sich der Angriffspunkt der Gravitation Richtung Nordpol verschieben.

Weitergedacht: ein (knapp) an der Erde vorbeifliegendes Objekt würde dann anders abgelenkt werden als man es eigentlich erwarten würde.

Mir ist klar, dass ich einen Irrtum begehe, bitte daher um Aufklärung.

Gruß
Karl
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18193

Beitrag TomS Verfasst am: 29. Dez 2014 13:47    Titel: Antworten mit Zitat

Man kann das exakt mathematisch herleiten.

Nehmen wir zunächst eine Punktmasse am Ort r = 0. Diese erzeugt das bekannte Gravitationspotential ~ 1/r, das daraus resultierende Gravitationsfeld und die entsprechende Gravitationskraft (die auf die Testmasse m wirkt).

Nun überlegen wir uns, dass wie eine homogene Kugel der Masse M durch derartige Punktmassen zusammengesetzt denken. D.h. wir nehmen unendlich viele Punktmassen an allen Orten r innerhalb der Kugel und integrieren über alle Orte r. Diese Integration können wir vornehmen für Potential, Feld und Kraft, d.h. wir dürfen uns insbs. vorstellen, dass wir es mit unendlich vielen Kräften auf die Testmasse m zu tun haben, die wir alle exakt berechnen können, und über die wir nun (vektoriell) integrieren (so wie man im Falle endlich vieler Kräfte diese vektoriell addiert, also eine Summe bildet).

Führt man dies durch, dann stellt man tatsächlich fest, dass Potential, Feld und resultierende Kraft auf die Testmasse m sich exakt so verhalten, wie wenn nur eine Punktmasse M bei r = 0 vorläge.

Wenn dich die exakte Rechnung interessiert (das ist anspruchsvoller als Schulmathematik) dann kann ich das vorführen bzw. auf eine geeignete Quelle verweisen (ist ein Standardproblem in einführenden Vorlesungen bzw. Übungen an der Uni).

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Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
borromeus



Anmeldungsdatum: 29.12.2014
Beiträge: 509

Beitrag borromeus Verfasst am: 29. Dez 2014 14:01    Titel: Antworten mit Zitat

Danke TomS!

Für eine Quelle wäre ich sehr dankbar!

Lieben Gruß
Karl
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18193

Beitrag TomS Verfasst am: 29. Dez 2014 14:20    Titel: Antworten mit Zitat

Siehe hier: http://de.wikipedia.org/wiki/Multipolentwicklung#Sph.C3.A4rische_Multipolentwicklung

(lass' dich nicht dadurch verwirren, dass von Elektrostatik die Rede ist; mathematisch relevant ist nur das 1/r Verhalten, und das ist für Gravitations- und Coulomb-Potential identisch).

Wenn du möchtest, kann ich einzelne Rechenschritte erklären.

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borromeus



Anmeldungsdatum: 29.12.2014
Beiträge: 509

Beitrag borromeus Verfasst am: 29. Dez 2014 14:59    Titel: Antworten mit Zitat

Nochmal vielen Dank TomS.

Eine Erläuterung dazu sprengt in Anbetracht meiner mathematischen Kenntnisse den Rahmen.
;-)

Ich nehme zur Kenntnis, dass sich das der Mann mit dem weissen Bart alles gut überlegt hat und kann wieder ruhig schlafen.

Danke und einen guten Rutsch!

Karl
borromeus



Anmeldungsdatum: 29.12.2014
Beiträge: 509

Beitrag borromeus Verfasst am: 29. Dez 2014 19:18    Titel: Antworten mit Zitat

Nochmal guten Abend lieber TomS.

Kann ich mir das Formelwerk- das verstehe ich nämlich nicht- auch irgendwie vorstellen?
Für mich ist ja die Masse der oberen Halbkugel näher und daher relevanter (da 1/r²) als die Masse der unteren Halbkugel.

Gibt es ein Gedankenmodell, das mir das klarer macht?

Gruß
Karl
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18193

Beitrag TomS Verfasst am: 29. Dez 2014 23:05    Titel: Antworten mit Zitat

Ja, natürlich.

1) Ausgangspunkt = erste Formel im Wikipedia-Artikel, Abschnitt "Sphärische Multipolentwicklung" ist die eingangs beschriebene Idee, das Gravitationspotential Phi als Integral über punktförmige Massen, d.h. als Integral über die Massendichte darzustellen:





Die Massendichte rho(r') bei r' erzeugt dabei am Ort r ein Gravitationspotential ~ 1 / |r-r'|. Das ist letztlich nur das Newtonsche Gravitationsgesetz. Nun wird über alle Orte r' und damit alle Beiträge zu Phi integriert.

Die nächsten Schritte sind eine mathematische Umformung des Nenners |r - r'|.

Das Ergebnis ist die sogenannte Multipoldarstellung





Dabei wird die Massendichte rho bzw. ihr Beitrag zum Potential in einzelne Beiträge, die sogenannten Multipolmomente q_lm zerlegt. Das entspricht in etwa einer Fourierreihe, wobei hier keine harmonischen Sinus- und Cosinus-Schwingungen addiert werden, sondern Kugelflächenfunktionen Y. Jedes Multipolmoment "misst" den Beitrag einer bestimmten durch Y definierten "Form".

Das Ergebnis ist die Darstellung des Potentials Phi als Summe über alle Multipolmomente q_lm, wobei l = 0,1,2,... und m = -l,...,+l.

Folgende Beobachtungen sind wichtig:
A) Ein Multipolmoment q_lm trägt zum Potential mit 1 / r^(l+1) bei, d.h. für größere l finden wir einen stärkeren Abfall mit wachsendem Radius. Die Reihe beginnt bei l = 0 für q_0m mit 1/r.
B) Für sphärisch symmetrische Dichten rho trägt nur das nullte Multipolmoment q_00 bei, alle anderen Multipolmomente sind Null!

Betrachten wir mal die Kugelflächenfunktionen

http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/0/0e/Harmoniki.png/300px-Harmoniki.png

Die rote Kugel in der ersten Zeile entspricht lm = 00; das Multipolmoment q_00 "misst" vereinfacht gesprochen den Beitrag der Massendichte, der diese sphärische Symmetrie mit exakter Homogenität aufweist.

Die rot-grünen Ellipsoidenpaare in der Zeile darunter entsprechen l=0 und m=-1,0,+1. Die Multipolmomente messen die einfachste Deformation der Massendichte, wo im Bereich des roten Ellipsoids etwas Massendichte fehlt, dafür im grünen Bereich etwas Massendichte zuviel (ggü. der exakt homogenen Vollkugel) existiert.

Die weiteren Zeilen beschreiben kompliziertere Formen der Massendichte.

Im Fall einer homogenen Vollkugel existiert keine Deformationen, d.h. alle Beiträge ab der zweiten Zeile sind exakt Null.

Wenn wir dies nun verwenden, dann folgt zunächst, dass von der unendlichen Summe nur der erste Term q_00 beiträgt. Und wenn wir diesen Beitrag ausrechnen, dann verwenden wir, dass die erste Kugelflächenfunktion zu l=0 den exakt homogenen Anteil misst, und das entspricht exakt der Masse selbst.

D.h. dass die unendliche Reihe über alle lm immer mit dem Term ~ M/r beginnt (und dass alle weiteren Terme aus Deformationen der Massendichte ggü. der Homogenität resultieren). Das Multipolmoment zu l=0 ist also gerade die Masse selbst, und für das resultierende Potential sieht es so aus, als ob diese Masse punktförmig exakt im Zentrum sitzen würde.

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