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Kollaps der Wellenfunktion und Heisenberg-Unschärferelation
 
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Daniel444



Anmeldungsdatum: 29.09.2022
Beiträge: 5

Beitrag Daniel444 Verfasst am: 06. Nov 2023 09:34    Titel: Kollaps der Wellenfunktion und Heisenberg-Unschärferelation Antworten mit Zitat

Wir wissen, dass nach der Messung (Wechselwirkung) das Objekt einen Zustand einnimmt, der den gerade gemessenen Wert eindeutig festlegt (Eigenzustand). Meine Fragen:

1. Eigenzustand von welchem Operator wird eingenommen? Impuls, Ort, Energie, Bahndrehimpuls?

2. Wie passt das mit der Heisenbergschen Unschärferelation zusammen? Die besagt ja, dass es unter anderem möglich ist Impuls und Ort zu messen, sodass das Produkt ihrer Unschärfen gleich h/2pi ist. Bedeutet dass, das sich weder Ortsoperator noch Impulsoperator in ihren Eigenzuständen befinden?
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18083

Beitrag TomS Verfasst am: 06. Nov 2023 13:31    Titel: Re: Kollaps der Wellenfunktion und Heisenberg Unschärferelat Antworten mit Zitat

Daniel444 hat Folgendes geschrieben:
Wir wissen, dass nach der Messung (Wechselwirkung) das Objekt einen Zustand einnimmt, der den gerade gemessenen Wert eindeutig festlegt (Eigenzustand).

Nein, das wissen wir nicht.

Tatsächlich ist das Kollapspostulat umstritten; es gibt diverse Interpretationen ohne Kollaps. Wir wissen sicher, dass es nicht allgemeingültig sein kann, da der Messbegriff nach von Neumann, der Identität von Eigenwert und Messwert sowie den Kollaps postuliert, im Allgemeinen falsch ist.

Beispiele:

1) bei einer Ortsmessung eines Photons mittels Photoplatte resultiert ein chemisch verändertes Molekül, d.h. die Messung liefert immer eine Ortsunschärfe von der Größenordnung eines Moleküls (oder Atoms), es liegt kein scharfer Ortseigenwert vor; insbs. liegt kein Ortseigenzustand des Photons vor, da dieses absorbiert wurde und gar nicht mehr existiert

2) bei der Ortsmessung in der Nebelkammer verhält es sich ähnlich; wendet man das Kollapspostulat auf ein Tröpfchen an, resultieren zunächst die Probleme aus (1); ignoriert man dies und postuliert einen Ortseigenzustand, so ist dieser symmetrisch um den Eigenwert d.h. isotrop im Orts- und im Impulsraum, die nachfolgende Spur in der Nebelkammer ist jedoch anisotrop; daher ist auch das oft zu lesende Argument, das Kollapspostulat werde explizit aufgrund wiederholter Messungen benötigt, falsch (Mott hat dies bereits vor über 90 Jahren ohne Kollaps analysiert; die naheliegende Idee, eine Photoplatte mit einer Teilchenspur als eine Messung anzusehen, ist mit keinem mir bekannten Messbegriff der QM vereinbar)

Es gibt weitere Beispiele.

Daniel444 hat Folgendes geschrieben:
1. Eigenzustand von welchem Operator wird eingenommen? Impuls, Ort, Energie, Bahndrehimpuls?

Laut QM-Lehrbüchern und anderen Darstellungen immer der Zustand der gemessenen Observablen, d.h. bei Impulsmessung der des Impulsoperators.

Nächstes Beispiel:

3) gemessen werde theoretisch der Impuls eines geladenen Teilchens (bekannter Masse und Ladung) durch Ablenkung in einem magnetischen Feld; im Experiment tatsächlich gemessen wird jedoch wiederum der Ort; aus diesem schließt man auf den Impuls; und jetzt?

Daniel444 hat Folgendes geschrieben:
Die [Heisenbergschen Unschärferelation] besagt ja, dass es ... möglich ist Impuls und Ort zu messen, sodass das Produkt ihrer Unschärfen gleich h/2pi ist.

Du meinst größer oder gleich.

Auch das kann man oft so lesen, es ist jedoch falsch. Die Heisenbergsche Unschärferelation sagt nichts zu einer Messung; sie besagt lediglich, dass es im Formalismus der Quantenmechanik mathematisch unmöglich ist, zwei nicht vertauschenden Observablen gleichzeitig einen scharfen Wert zuzuweisen. Eiern Aussage zu Messergebnissen erfordert eine genaue Analyse des jeweiligen Messapparates und -prozesses; dies wird in den meisten Darstellungen ignoriert.

Daniel444 hat Folgendes geschrieben:
Bedeutet das ...

Es bedeutet, dass das Messproblem bis heute nicht zufriedenstellend gelöst ist, dass viele Darstellungen dies jedoch ignorieren und stark vereinfachte bis falsche Aussagen treffen.

In vielen Fällen kann das Kollapspostulat einfach ignorieren und lediglich die Bornsche Regel anwenden, dass nämlich die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten eines Messwertes a als Eigenwert einer Operators A nach Präparation eines Zustandes psi gegeben ist durch



Dabei ist E der Projektor auf den Eigenzustand, d.h.





ohne dass dabei eine Aussage getroffen würde, in welchem Zustand sich das Subsystem nach der Messung befindet.

Das ist letztlich eine minimale statistische Interpretation der Quantenmechanik, auf die sich die meisten heute verständigen können. Uneinigkeit herrscht erst dann, wenn man darüberhinausgehen und beschreiben möchte, wie genau sich ein einzelnes (gemessenes) Subsystem verhält und warum.

Man hat außerdem einen allgemeineren Messbegriff entwickelt, der sowohl unscharfe Messungen zulässt, d.h. keine scharfen Eigenwerte mehr fordert, als auch gemischte Zustände berücksichtigt, z.B. thermische Zustände.

Darüberhinaus zeigt der Mechanismus der Dekohärenz, wie genau klassisch erscheinende Zustände entstehen, wenn man die praktisch nie erreichbare Idealisierung vollständig isolierter Systeme aufgibt und eine Wechselwirkung und daher Verschränkung mit der Umgebung (Restgas, thermische Photonen ...) berücksichtigt.

Das Messproblem ist dadurch deutlich teilweise gelöst, jedoch keineswegs vollständig.

_________________
Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
Daniel444



Anmeldungsdatum: 29.09.2022
Beiträge: 5

Beitrag Daniel444 Verfasst am: 07. Nov 2023 08:21    Titel: Re: Kollaps der Wellenfunktion und Heisenberg Unschärferelat Antworten mit Zitat

TomS, vielen herzlichen Dank für eine detaillierte Antwort!

Mir bleibt jedoch unklar, wie das Quantenobjekt "erkennt" ob wir den Ort oder den Impuls messen. Und wenn das Objekt nach der Messung den Ortseigenwert einnimmt, würde das doch bedeuten, dass er sich danach gar nicht bewegen müsste, da wenn ein Eigenzustand einmal eingenommen wurde, muss er ja erhalten bleiben.

Du sagst noch
Zitat:
Laut QM-Lehrbüchern und anderen Darstellungen immer der Zustand der gemessenen Observablen, d.h. bei Impulsmessung der des Impulsoperators.


Aber wir können ja Impuls und Ort gleichzeitig messen? Der Zustand welcher Observable ergibt sich dann? Oder lege ich was falsch?
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18083

Beitrag TomS Verfasst am: 07. Nov 2023 09:21    Titel: Re: Kollaps der Wellenfunktion und Heisenberg Unschärferelat Antworten mit Zitat

Daniel444 hat Folgendes geschrieben:
Mir bleibt jedoch unklar, wie das Quantenobjekt "erkennt" ob wir den Ort oder den Impuls messen.

Hier muss man unterscheiden.

Die "orthodoxe" Quantenmechanik und dabei allen voran Bohr und die Kopenhagener Schule lehnen ein Verständnis des Messprozesses im Rahmen der Quantenmechanik explizit ab. Was Bohr dazu geschrieben hat ist oft etwas konfus, es läuft letztlich darauf hinaus, dass man die bekannten Postulate einschließlich Kollaps akzeptiert, und dass eine Messung rein klassisch beschrieben wird. D.h., deine Frage kann in diesem Rahmen nicht beantwortet werden. Bleibt man bei dieser Haltung, läuft es auf die o.g. minimale stochastische Interpretation hinaus: die Quantenmechanik erlaubt uns die Berechnung von Erwartungswerten, die experimentell bestätigt werden - job done.

Heute sind jedoch viele Physiker damit nicht mehr einverstanden und gehen davon aus, dass man den Messprozess explizit quantenmechanisch verstehen muss. Dieses Unterfangen ist bis heute nicht gelöst.


Daniel444 hat Folgendes geschrieben:
Und wenn das Objekt nach der Messung den Ortseigenwert einnimmt, würde das doch bedeuten, dass er sich danach gar nicht bewegen müsste, da wenn ein Eigenzustand einmal eingenommen wurde, muss er ja erhalten bleiben.

Nein, ein Ortseigenzustand bliebe nicht erhalten.

Die Zeitentwicklung eines Zustandes wird durch die Schrödingergleichung bestimmt, d.h.



Setzt man den Ortseigenzustand ein, so erkennt man, dass dieser "zerfließt", d.h. ein freies Teilchen, das einmal exakt lokalisiert wäre, bleibt nicht lokalisiert. Allerdings bliebe der Schwerpunkt erhalten.

Nochmal grundsätzlich zur Messung: Entweder akzeptiert man, was die orthodoxe Quantenmechanik sagt, und hört auf Fragen zu stellen, oder man stellt Fragen, aber dann ist das Problem deutlich tiefgehender.

1. Die orthodoxe Beschreibung der Messung ist völlig unzureichend, da sie für viele relevante Messungen schlicht nicht zutrifft.
2. Da wir im Zuge von Einzelmessungen immer eindeutige Messergebnisse und lokalisierte Elementarteilchen an eindeutigen Orten beobachten, ist irgendeine Art "scheinbarer Kollaps" zwingend notwendig.
3. Ein Verständnis der Messung = einer Wechselwirkung eines Quantensystems mit einem Messgerät nach den Regeln der Quantenmechanik ist unvereinbar mit der Annahme des Kollapses.


Der Reihe nach:

1. Betrachtung wir die Messung der Energie eines einzelnen Photons mittels eines Photomultipliers. Die Behauptung ist, das Photon befände sich nach der Messung in einem Energieeigenzustand; tatsächlich wurde es jedoch bereits zu Beginn absorbiert und ist völlig verschwunden. Die Absorption des Photons kann quantenmechanisch ziemlich exakt berechnet werden, und im Widerspruch zu Bohr liegt ein detaillierter quantenmechanischer Prozess vor, ohne dessen Verständnis wir gar keinen Photomultiplier konstruieren könnten

2. Trotzdem haben wir hier ein Problem: nehmen wir ein Photon sehr scharf definierter Energie E, das wir in einen Superpositionszustand zwischen

"Photon befindet sich links" und "Photon befindet sich rechts"

bringen. In beiden Lichtwegen stehe je ein Photomultiplier; diese benutzen wir nun einfach als Detektor für "Photon befindet sich links" und "Photon befindet sich rechts". Die Quantenmechanik besagt mathematisch, dass aus dem Superpositionszustand des Photons ein solcher der Photomultiplier entsteht, also

"Energie E wurde links gemessen" und "Energie E wurde rechts gemessen"

was offensichtlich nicht der Realität entspricht, denn wir messen das Photon entweder links oder rechts, und wir messen für ein Photon immer E in einem Photomultiplier, nie E/2 in beiden. D.h. es muss einen Effekt geben, der das im Labor makroskopisch delokalisierte Photon "links und rechts" im Zuge der Messung in genau einem der beiden Photomultiplier lokalisiert.

Ein derartiger quantenmechanischer Effekt ist völlig unbekannt!!

Wir haben groß0e Fortschritte bzgl. des Verständnisses des Messprozesses gemacht (Stichwort Dekohärenz), aber diesen Punkt hat noch niemand verstanden.

3. Betrachten wir den Kollaps nach der orthodoxen Lesart, so stellen wir fest, dass dieser der o.g. Schrödingergleichung explizit widerspricht: die Schrödingergleichung kann man auch rückwärts in der Zeit lösen, d.h. aus dem Endzustand den Anfangszustand bestimmen; dies ist für den Kollaps unmöglich. Betrachten wir dazu einen allgemeineren Zustand

a * "Photon befindet sich links" und b * "Photon befindet sich rechts"

wobei



Wir sprechen also von unendlich vielen möglichen Superpositionen, beschrieben durch a, b.

Nach einem Kollaps haben wir aber nur genau einen Zustand, z.B.

"Photon befindet sich rechts"

woraus wir a, b gerade nicht rekonstruieren können.

Der Kollaps nach der orthodoxen Lesart widerspricht also der Schrödingergleichung. D.h., wenn wir die Messung quantenmechanisch verstehen wollen, dürfen wir diesen Kollaps nicht verwenden. Da wir jedoch irgend etwas in der Art benötigen, fehlt offensichtlich ein entscheidender Punkt beim Verständnis der Quantenmechanik (es gibt schon Ideen, aber die möchte ich noch zurückstellen).

Daniel444 hat Folgendes geschrieben:
Du sagst noch
Zitat:
Laut QM-Lehrbüchern und anderen Darstellungen immer der Zustand der gemessenen Observablen, d.h. bei Impulsmessung der des Impulsoperators.


Aber wir können ja Impuls und Ort gleichzeitig messen? Der Zustand welcher Observable ergibt sich dann? Oder lege ich was falsch?

Das ist recht mathematisch: https://en.wikipedia.org/wiki/POVM

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