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FAQ - Spontane Symmetriebrechung in der klassischen Mechanik
 
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TomS
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Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18083

Beitrag TomS Verfasst am: 31. Jul 2023 17:25    Titel: FAQ - Spontane Symmetriebrechung in der klassischen Mechanik Antworten mit Zitat

Aus aktuellem Anlass hier ein Beispiel zur spontanen Symmetriebrechung in der klassischen Mechanik.

Vorab: i) das Beispiel ist auch aus anderen Gründen rein mathematisch problematisch, aber das soll hier nicht das Thema sein; ii) ich betrachte den 1-dim. Fall, der sich jedoch leicht auf 3 Dimensionen verallgemeinern lässt; iii) ich verzichte auf diverse physikalische Konstanten.


Problemstellung und Lösung

Ich betrachte das Gravitationspotential phi einer unendlichen, konstanten d.h. homogenen Materieverteilung rho als Lösung der Poisson-Gleichung



Die allgemeine Lösung lautet



mit zwei beliebigen Integrationskonstanten.

Man findet die Bewegungsgleichung für Beobachter



mit der Lösung





für festes und über alle Lösungen der Bewegungsgleichung identisches a, sowie der Kreisfrequenz



sowie wiederum beliebigen Integrationskonstanten A, delta, die je Beobachter durch Anfangsbedingungen festzulegen sind.

Für die Orbits zweier Beobachter n=1,2 definiert man die Abstände



wobei die aus dem Potential stammende Integrationskonstante a herausfällt.


Symmetriebrechung

Die o.g. Lösung führt für Testbeobachter, die sich in diesem Potential bewegen, zu beobachtbaren Effekten einer spontanen Symmetriebrechung. Eine Schar von Beobachtern in diesem Potential kann durch wechselweise Beobachtung zwar nicht den Ort des Minimums x=a des Potentials bestimmen, jedoch die Tatsache, dass - im Gegensatz zur kräftefreien Bewegung





für sie keine lineare sondern eine oszillierende Bewegung mit entsprechenden Abständen



und damit ein entsprechendes Potential vorliegt.

Spontane Symmetriebrechung bedeutet, dass - ausgehend von einer translationsinvarianten Problemstellung, der homogenen Materieverteilung - beobachtbare Effekte auf der Menge aller Lösungen



existieren.

Translationsinvarianz erlaubt zwar, den Punkt a beliebig zu verschieben, allerdings stellen die Beobachter eben dennoch fest, dass ihre Orbits nicht Geraden, sondern Lösungen des harmonischen Oszillators entsprechen.

Man vergleiche dies mit Beobachtern im Keplerpotential eines dunklen Zentralkörpers: hier liegt bereits aufgrund der Materieverteilung des Zentralkörpers eine explizite Symmetriebrechung vor, im Falle der homogene Materieverteilung ist die Symmetrie auf Ebene der Poisson-Gleichung gültig und wird erst von deren Lösung gebrochen.

Eine etwas formalere Betrachtung erfolgt im nächsten Beitrag.

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Zuletzt bearbeitet von TomS am 10. Nov 2023 08:54, insgesamt 7-mal bearbeitet
TomS
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Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18083

Beitrag TomS Verfasst am: 31. Jul 2023 17:45    Titel: Antworten mit Zitat

Wir betrachten im Folgenden die Menge aller Lösungen X einer Bewegungsgleichung sowie die sogenannten Orbits Omega unter der Wirkung der Gruppe der Translationen in einer Dimension.


1. kräftefreie Bewegung







Letzteres bedeutet, dass der Orbit der Translationsgruppe einer ausgewählten Lösung x = das Bild dieser Lösung x unter der Gesamtheit aller Translationen mit der Menge aller Lösungen identisch ist.

Insbs. gilt




2. Das vorliegende Problem





Für Translationen gilt nun





also



Damit erzeugt der Orbit der Translationsgruppe einer ausgewählten Lösung x gerade nicht die Menge aller Lösungen für dieses a.

Die Symmetrie wird erst hergestellt, wenn Translationen des Potentials und der Orbits je Potential gemeinsam betrachtet werden, d.h.



und





Das Vorliegen dieser Zerlegung der Lösungsmenge X entspricht gerade der durch das Potential verursachten Symmetriebrechung.

Siehe auch https://en.wikipedia.org/wiki/Superselection#Superselection_Sectors


Als ein bestimmter Beobachter für festes a sehe ich mittels physikalischer Beobachtungen (so wie alle anderen für dasselbe a auch), dass meine (unsere) Schar die Translationsinvarianz bricht, denn alle Beobachter der Schar folgenden oszillierenden Orbits; niemand folgt einer Geraden, was die erwartete Lösung für ein translationsinvariantes Problem wäre.

Und als Mathematiker schließe ich daraus, dass theoretisch andere Scharen für andere Werte von a denkbar sind, zu denen ich als physikalischer Beobachter für festes a jedoch keinen Zugang habe.

Wir können das mit Kepler-Bahnen vergleichen: Als Raketenpilot kann ich die Umlaufbahn, auf der ich mich befinde, verändern, so dass ich verschiedene Kepler-Bahnen um die Sonne erkunden kann. Aber ich kann die Position der Sonne nicht ändern. Der Unterschied zu unserem Fall besteht darin, dass die Massenverteilung der Sonne die Translationsinvarianz des ursprünglichen Problems explizit bricht, während hier die Symmetriebrechung ein Artefakt der Lösung für das Potential - ausgehend von einer translationsinvarianten Massenverteilung - ist. Die Konsequenz für einen physikalischen Beobachter ist jedoch die selbe.

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TomS
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Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18083

Beitrag TomS Verfasst am: 01. Aug 2023 14:17    Titel: Antworten mit Zitat

Beobachtete Isotropie und Brechung der Galilei-Invarianz in drei Dimensionen

Im Folgenden verwende ich den Skalenfaktor a(t) sowie den Hubble-Parameter



Man betrachtet Bewegungen von Testkörpern n; drückt man deren physikalische Koordinaten x durch konstante, mitbewegte Koordinaten xi sowie den Skalenfaktor a aus, so folgt



Wir werden sehen, dass bereits dieser Ansatz die Galilei-Invarianz bricht.


Für Abstände und Geschwindigkeiten gilt





Aus Sicht eines ausgewählten Ursprungs n=0



folgt für alle anderen Testkörper



d.h. die Bewegung erfolgt rein radial. Dies gilt natürlich ebenso für die Wahl anderer Testkörper n als Bezugspunkt; mittels Galilei-Boost folgt offensichtlich



Insofern erscheint eine derartige Lösung als unmittelbare Konsequenz von (1) allen mitbewegten Beobachter n isotrop: jeder Beobachter sieht sich im Zentrum, alle anderen Beobachter scheinen sich von ihm radial zu entfernen.


Läge Galilei-Invarianz vor, so müsste - ausgehend von einer speziellen Lösung - der Orbit der vollen Galilei-Gruppe wieder Lösungen erzeugen; dies trifft jedoch nicht zu.

Insbs. wären mittels Translation erzeugte Bewegungen der Form



zulässig.

Allerdings ist





d.h. die so transformierte Bewqegung verletzt (1).

Ausgehend von der vollen Galilei-Gruppe müssten auch beliebige Boosts neue Lösungen erzeugen. Im vorliegenden Fall erfüllt der Skalenfaktor jedoch eine spezielle Bewegungsgleichung, daher sind nur spezielle Geschwindigkeiten zulässig. Man findet natürlich auch ohne die spezielle Bewegungsgleichung wiederum eine Verletzung von (1), d.h. auch Boosts sind keine erlaubten Transformationen auf den Lösungen.


Zusammenfassend zum Begriff der Symmetrie

Sei ein Problem invariant unter der Wirkung von Transformationen einer Gruppe. Dann ist entweder
a) die Lösungsmenge unter der Symmetriegruppe abgeschlossen, d.h. Transformationen überführen Lösungen in Lösungen; oder
b) die Symmetrie ist (spontan) gebrochen.

Im vorliegenden Fall weist das ursprünglich grob formulierte Problem (eine homogene Masseverteilung unter dem Einfluss der eigenen Gravitation) die volle Galilei-Invarianz auf.

Allerdings bricht der Ansatz (1) aufgrund der Aussonderung spezieller Bewegungen und in der Folge die Lösungsmenge



die Galilei-Invarianz, weil diese Lösungsmenge unter Galilei-Transformationen nicht abgeschlossen ist, d.h.




EDIT:

Man muss zwischen zwei verschiedenen Anwendungen der Galilei-Transformationen unterscheiden:

1) Koordinatentransformationen für alle Bewegungen, z.B. Translationen



2) Die alleinige Transformation einer speziellen Lösung m zur Generierung einer einzigen neuen Bewegung:



(1) ist natürlich eine Symmetrietransformation, (2) erzeugt dagegen keine mit der eingangs postulierten Lösungsmenge X verträgliche Bewegungen. Insofern bricht die Schar der eingangs konstruierten Lösungen die Symmetrie (2), d.h.



Im feld- und kräftefreien Raum mit geradlinig gleichförmigen Bewegungen ist dagegen (2) ebenfalls eine Symmetrie auf der Lösungsmenge:




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