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Wie "kommunizieren" zwei Dauermagnete elektromag.? - Seite 5
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Haudegen007
Gast





Beitrag Haudegen007 Verfasst am: 13. Jul 2022 20:48    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Haudegen007 hat Folgendes geschrieben:
@ index_razor

Für dich ist also die Ansicht Tegmarks unausweichlich richtig, wenn die Physik hinreichend korrekte Naturbeschreibungen liefert, oder wie ist das zu verstehen?


Nicht unausweichlich. Die Voraussetzung war "es gibt eine hinreichend formalisierbare TOE". Das ist nicht gerade unausweichlich. Ich denke aber auch ohne diese Voraussetzung sind die Indizien ziemlich stark (siehe meine zweite Antwort an Qubit weiter oben.)

Zitat:

Für dich gibt es so gesehen auch keine Materie, sondern alles ist wesensidentisch mit der Mathematik?


Zu diesem "wesensidentisch" siehe das P.S. aus meinem vorigen Beitrag (bzw. Abschnitt D im MUH-paper "The Mathematical Universe").

Die MUH (zumindest meine Auffassung davon) schließt nicht aus, daß es Materie gibt. Es schließt die Existenz von gar nichts aus. Wenn die Realität z.B. eine Substruktur für eine Quantenfeldtheorie enthält, dann könnte man Materie als "Konfiguration von Fermionenfeldern" o.ä. definieren.


    Ok. Um abschließend nochmal ganz blöd zu fragen: kann ich Tegmarks Thesen ablehnen und trotzdem ernsthaft Physik betreiben, ohne in Widersprüche zu geraten und die Korrektheit der Physik anzuzweifeln? Tut mir leid, dass ich hier so blöd frage, aber nach den ganzen Diskussionen bin ich doch irgendwie verunsichert.
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 13. Jul 2022 20:53    Titel: Antworten mit Zitat

Haudegen007 hat Folgendes geschrieben:

Ok. Um abschließend nochmal ganz blöd zu fragen: kann ich Tegmarks Thesen ablehnen und trotzdem ernsthaft Physik betreiben, ohne in Widersprüche zu geraten und die Korrektheit der Physik anzuzweifeln? Tut mir leid, dass ich hier so blöd frage, aber nach den ganzen Diskussionen bin ich doch irgendwie verunsichert.


Wenn du dir unsicher bist, warum willst du dich dann überhaupt für oder gegen eine These entscheiden? Viel wichtiger für das Betreiben von Wissenschaft scheint mir zu sein, mit Unsicherheit leben zu können.

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It is just this lack of connection to a concern with truth -- this indifference to how things really are -- that I regard as of the essence of bullshit. -- Harry G. Frankfurt
Haudegen007
Gast





Beitrag Haudegen007 Verfasst am: 13. Jul 2022 20:59    Titel: Antworten mit Zitat

Das unsicher bezog sich darauf, dass ich nicht genau weiß, b es möglich ist, trotz Ablehnung von Tegmarks Thesen gescheit Physik beschreiben zu können.
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 13. Jul 2022 21:07    Titel: Antworten mit Zitat

Haudegen007 hat Folgendes geschrieben:
Das unsicher bezog sich darauf, dass ich nicht genau weiß, b es möglich ist, trotz Ablehnung von Tegmarks Thesen gescheit Physik beschreiben zu können.


Was glaubst du was Physiker, wie Newton, Maxwell, Einstein, Heisenberg... vor der Formulierung der MUH getan haben?
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18062

Beitrag TomS Verfasst am: 13. Jul 2022 21:30    Titel: Antworten mit Zitat

Haudegen007 hat Folgendes geschrieben:
TomS hat Folgendes geschrieben:
1) Ich bin weiterhin der Meinung, dass Tegmark tatsächlich (zunächst) mathematische und physikalische Existenz identifiziert, d.h. alles das, was mathematisch existiert, existiert auch als physikalisch Realität. Beide Realitäten sind identisch: "Our external physical reality is a mathematical structure" - nicht: "Our external physical reality is represented as a mathematical structure". Sein Kriterium für mathematische und zugleich physikalische Existenz ist (zunächst) Widerspruchsfreiheit.
Alles klar, so hatte ich ihn nämlich auch verstanden. Ich denke mir, nur weil z.B. Materie mathematischen Strukturen unterliegt, müssen Materie und mathematische Struktur noch nicht identisch sein.

Müssen sie natürlich nicht, aber man kann das philosophisch annehmen.

Zitat:
Whereas the customary terminology in physics textbooks is that the external reality is described by mathematics, the MUH states that it is mathematics (more specifically, a mathe matical structure) … If a future physics textbook contains the TOE, then its equations are the complete description of the mathematical structure that is the external physical reality. We write is rather than corresponds to here, because if two structures are isomorphic, then there is no meaningful sense in which they are not one and the same. From the definition of a mathematical structure it follows that if there is an isomorphism between a mathematical structure and another structure (a one-to-one correspondence between the two that respects the relations), then they are one and the same. If our external physical reality is isomorphic to a mathematical structure, it therefore fits the definition of being a mathematical structure.


Das Problem ist, dass Tegmark irgendwie nicht zum Punkt kommt. Deswegen habe ich oben geschrieben „wesensidentisch“.

Du hast recht, „nur weil Materie mathematischen Strukturen unterliegt, müssen Materie und mathematische Struktur noch nicht identisch sein.“ Wenn man aber Tegmark zu Ende denkt, dann meint er genau das.

Tegmark geht von einer TOE aus, die alles erklärt, und von zwei mathematischen Strukturen - der TOE und der externen physikalischen Realität. Nun sagt er, dass wenn zwei Strukturen isomorph sind, dass sie dann die selbe Struktur bezeichnen, d.h. die externen physikalischen Realität ist identisch mit der mathematischen Struktur der TOE u.u.

Welche Möglichkeiten könnte es geben, dass die externen physikalischen Realität nicht identisch mit dieser mathematischen Struktur ist? Ich sehe keine.

Beide müssten eine unterschiedliche Seinsweise haben - was immer Seinsweise auch sein mag. Aber das kann nicht sein, denn die TOE ist eine TOE und beinhaltet damit auch die Seinsweise. Unterschiedliche Seinsweisen sind ausgeschlossen, da ja festgestellt wurde „then they are one and the same“.

Man kann allenfalls sprachliche Ausflüchte suchen, und tatsächlich ist Tegmark gerade hier unpräzise.

Nehmen wir an, es gäbe diese mathematische Struktur S. Nun erweitern wir diese zu S* = (S, b), wobei b eine boolsche Variable b = 0,1 ist. Nun betrachten wir S*[1] = (S,1) und S*[0] = (S, 0) analog. Sind beide isomorph? Ja. Sind sie verschieden? Auch ja. Evtl. begehe ich hier einen mathematischen Fehler, aber weiter: interpretieren wir b als den Schalter, dass b=1: die Struktur physikalisch existiert, oder b=0: die Struktur nicht physikalisch existiert. Was sagt Tegmark dazu?

Wir haben S* durch Ankleben eines Attributs b aus S erzeugt. Die eigentliche TOE war S. Nun existieren jedoch alle (konsistenten) Strukturen - sorry für die erneute Verwendung - d.h. neben S auch S*. Da b nichts mit S zu tun hat, ist auch S* konsistent. Als Beispiel wäre das S = („natürliche Zahlen“, +, •) und S* = („natürliche Zahlen“, +, •, „uiuiuiuiuiui“). Was sagt Tegmark dazu?

Wenn ich mit meiner Idee recht habe, dann kann ich diesen Schalter natürlich erneut einführen, d.h. S**[0,1] = ((S,0),1), was besagt, dass physikalisch existiert, dass S nicht physikalisch existiert. Was sagt Tegmark dazu?

Gestartet sind wir mit der Idee, S wäre die mathematische Struktur der TOE. Nun haben wir aber S* usw. konstruiert, woraus neue Aussagen folgen. Inwiefern kann dann S der TOE entsprechen? ad infinitum … Was sagt Tegmark dazu?

Übersehe ich etwas, oder Tegmark?

Wie oben schon erwähnt, halte ich die Idee, dass die physikalische Realität zu einer mathematischen Struktur isomorph ist, für wenig originell; da wir die Natur mittels Mathematik effizient beschreiben können, ist sie naheliegend. Umgekehrt wäre es extrem erstaunlich, aber natürlich nicht unmöglich, dass die Mathematik etwas effizient beschreibt, was nicht zu einer mathematischen Struktur isomorph ist.

Also ist die für mich wirken spannende Frage die philosophische.

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Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.


Zuletzt bearbeitet von TomS am 13. Jul 2022 22:02, insgesamt 2-mal bearbeitet
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18062

Beitrag TomS Verfasst am: 13. Jul 2022 21:55    Titel: Antworten mit Zitat

Haudegen007 hat Folgendes geschrieben:
Um abschließend nochmal ganz blöd zu fragen: kann ich Tegmarks Thesen ablehnen und trotzdem ernsthaft Physik betreiben, ohne in Widersprüche zu geraten und die Korrektheit der Physik anzuzweifeln?

Kurze Antwort: Ja!

Längere Antwort: Ja, und du befindest dich in guter Gesellschaft:
- kaum ein Physiker befasst sich damit
- die meisten sehen Physik als praktisch zutreffende Beschreibung der Natur an
- viele lehnen derartige philosophische Diskussionen als irrelevant ab
- die Haltung zu Tegmark hat keinen Einfluss auf die Praxis
- der Glaube, Realität sei identisch mit Mathematik, ist und bleibt ein Glaube

Physics is not about how the world is, it is about what we can say about the world
(Bohr)

Dabei sollte man ergänzen, dass Bohr insbs. physikalisch überprüfbare Aussagen meinte.

Betrachten wir zwei Hypothesen:
1) die Realität ist eine mathematische Struktur
2) die Realität ist keine mathematische Struktur, es entsteht lediglich der falsche Anschein, dass es so wäre

Wie sehen Experimente aus, die zwischen (1) und (2) unterscheiden können? Da Physik eine empirische Wissenschaft ist, sind (1) und (2) solange keine physikalischen Hypothese, solange kein Experiment zumindest prinzipiell denkbar ist, das dies diese Unterscheidung liefert.

Ein empirisch-wissenschaftliches System muss an der Erfahrung scheitern können.
(Popper)
Also ist die MUH nicht Gegenstand eines empirisch-wissenschaftliches Systems; sie ist Metaphysik, d.h. Philosophie (was nicht abwertend gemeint ist).

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Zuletzt bearbeitet von TomS am 13. Jul 2022 22:46, insgesamt 2-mal bearbeitet
Haudegen007
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Beitrag Haudegen007 Verfasst am: 13. Jul 2022 22:26    Titel: Antworten mit Zitat

Alles klar, vielen Dank für die Antwort!
Haudegen007
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Beitrag Haudegen007 Verfasst am: 13. Jul 2022 22:43    Titel: Antworten mit Zitat

Die Frage kam auch nur deshalb auch, weil ich index_razor am Samstag so verstanden habe, dass die Natur eine mathematische Struktur sein muss (wahrscheinlich im Sinne Tegmarks), oder ansonsten die Physik falsch ist. Dann hatte ich aber vermutlich etwas missverstanden.
TomS
Moderator


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Beiträge: 18062

Beitrag TomS Verfasst am: 13. Jul 2022 22:48    Titel: Antworten mit Zitat

Haudegen007 hat Folgendes geschrieben:
Die Frage kam auch nur deshalb auch, weil ich index_razor am Samstag so verstanden habe, dass die Natur eine mathematische Struktur sein muss (wahrscheinlich im Sinne Tegmarks), oder ansonsten die Physik falsch ist. Dann hatte ich aber vermutlich etwas missverstanden.

Schrieb er „muss“? Und sind wir uns einig, was „im Sinne Tegmarks“ genau bedeutet?

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Haudegen007
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Beitrag Haudegen007 Verfasst am: 13. Jul 2022 22:58    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Haudegen007 hat Folgendes geschrieben:
Hast du denn ein streng logisches Argument, dass es so ist? smile


Du hast eingangs ein Argument von mir zitiert, bist aber inhaltlich gar nicht darauf eingegangen.

EDIT: Um mich mal selbst zu kritisieren: Ich glaube die Hauptschwäche besteht in diesem Teil des Arguments

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Also kann man entweder gar keine sinnvollen und zutreffenden Aussagen über die Realität machen (dann wäre Wissenschaft vermutlich unmöglich)


Und zwar genauer gesagt in dem Teil in Klammern. Ich halte es für denkbar, aber äußerst unplausibel, daß die Wissenschaft nur falsche Aussagen produziert. Sie wäre dann möglich, verrät einem aber nichts über die Struktur der Realität.


Das ist der Teil, aus dem ich es interpretiert habe und weshalb ich auf die Frage kam.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18062

Beitrag TomS Verfasst am: 13. Jul 2022 23:05    Titel: Antworten mit Zitat

Ich habe index_razor so verstanden, dass er die MUH nicht so hart ontisch versteht, wie ich es oben ausführe. Aber ich führe ja auch aus, dass ich mit nicht sicher bin, wie Tegmark zu verstehen ist.

Außerdem interpretiere ich ihn so, dass er ähnlich wie ich die Hypothese, die Natur sei / entspräche / werde beschrieben durch eine mathematische Struktur, für sehr plausibel hält; von „muss“ im streng logischen Sinne, kann m.E. keine Rede sein.

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index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 14. Jul 2022 06:58    Titel: Antworten mit Zitat

Haudegen007 hat Folgendes geschrieben:
Die Frage kam auch nur deshalb auch, weil ich index_razor am Samstag so verstanden habe, dass die Natur eine mathematische Struktur sein muss (wahrscheinlich im Sinne Tegmarks), oder ansonsten die Physik falsch ist. Dann hatte ich aber vermutlich etwas missverstanden.


Ich sagte, ich kann mir kaum vorstellen kann, daß die MUH falsch ist. Ich bin mir ziemlich sicher, daß ich die Begriffe "mathematische Struktur" und "externe objektive Realität" genauso verstehe wie Tegmark (trotz gelegentlicher seltsamer Formulierungen) und denke deshalb, daß ich auch die MUH genauso verstehe, wie sie gemeint ist.

Warum ich die MUH für wahr halte, habe ich schon ein paar mal erklärt: Jede Tatsache, die wir über die Natur herausfinden, läßt sich mathematisch präzisieren (nehme ich an). Also haben wir eine Menge mathematisch präziser und zutreffender Aussagen über die Natur. Alle Folgerung aus diesen Aussagen bilden eine mathematische Theorie und jedes Modell dieser Theorie ist eine mathematische Struktur, von denen die Realität folglich eine ist. Ich weiß nicht ob das Argument wirklich unklar ist oder ob dir nur die Schlußfolgerung nicht gefällt. Ich selbst sehe aber höchstens zwei Alternativen: entweder bilden wir uns die ganze Zeit nur ein, wahre Aussagen über die Realität zu formulieren, weil es z.B. gar keine (externe, objektive) Realität gibt. Oder es gibt eine Tatsache, die sich nicht mathematisch präzise formulieren läßt, und deren Beschreibung deshalb nicht so einfach interpretierbar ist, wie mathematische Theorien. Aber wie gesagt, kann ich mir beides nur sehr schwer vorstellen.

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Haudegen007
Gast





Beitrag Haudegen007 Verfasst am: 14. Jul 2022 08:19    Titel: Antworten mit Zitat

Ok, danke für deine Antwort.
Eine externe, objektive Realität will ich gar nicht in Frage stellen. Ob wir die erkennen können, weiß ich allerdings nicht wirklich (Instrumentalismus vs. Realismus wiss. Theorien).

Ob die Realität wirklich zu 100% mathematisch beschrieben werden kann, steht an anderer Frage. Vielleicht gibt es ja neben den berechenbaren Elementen der Realität auch solche, die von uns kaum bis gar nicht erfasst werden können und sich auch nicht mathematisch formulieren lassen? Halte zumindest nicht für ausgeschlossen.....

Aber nochmal, was ist denn so falsch an meiner Ansicht, wenn ich sage, die Materie unterliegt mathematischen Strukturen, aber beides ist nicht identisch (auch wenn man das zusätzlich annehmen kann?)?

@TomS: Wie ist denn deine persönliche Meinung zu Tegmark und seiner MUH? Teilst du die Idee oder stehst du ihr eher skeptisch/ablehnend gegenüber? (falls du was dazu sagen magst)
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 14. Jul 2022 10:21    Titel: Antworten mit Zitat

Haudegen007 hat Folgendes geschrieben:
Ok, danke für deine Antwort.
Eine externe, objektive Realität will ich gar nicht in Frage stellen. Ob wir die erkennen können, weiß ich allerdings nicht wirklich (Instrumentalismus vs. Realismus wiss. Theorien).


Unser gegenwärtiger Erkenntnisstand liefert m.E. schon reichlich Evidenz für die MUH. Wie genau Instrumentalisten der These entgehen wollen, ist mir allerdings auch nicht klar. Selbst sie müssen irgendwelche Aussagen über die Realität akzeptieren, um nützliche von nutzlosen Theorien zu unterscheiden. Dabei wird es sich vermutlich im eine Art von Protokollsätzen handeln. Aber auch solche sind im Prinzip mathematisch präzisierbar, und das genügt, denke ich.

Zitat:

Ob die Realität wirklich zu 100% mathematisch beschrieben werden kann, steht an anderer Frage.


Ja, das ist eine andere Frage. Aber wenn es eine Tatsache gäbe, die sich nicht mathematisch formulieren ließe, dann wüßte ich nicht, wie wir sie überhaupt formulieren, geschweige denn begreifen könnten. Es ist also genau umgekehrt: Wenn die Realität keine mathematische Struktur ist, dann werden wir das vermutlich nie erkennen. Wenn sie eine ist, haben wir zumindest eine Chance.

Zitat:

Vielleicht gibt es ja neben den berechenbaren Elementen der Realität auch solche, die von uns kaum bis gar nicht erfasst werden können und sich auch nicht mathematisch formulieren lassen?


Das ist vermutlich ein Mißverständnis. Ich habe nichts von "Berechenbarkeit" gesagt. Ich weiß Tegmark redet darüber, aber den Teil seiner These halte ich für eher uninteressant. Ich bin mir nicht mal sicher ob er überhaupt Sinn ergibt.

Zitat:

Aber nochmal, was ist denn so falsch an meiner Ansicht, wenn ich sage, die Materie unterliegt mathematischen Strukturen, aber beides ist nicht identisch (auch wenn man das zusätzlich annehmen kann?)?


Du unterscheidest ebenfalls nicht zwischen Theorien und mathematischen Strukturen. Damit ist es m.E. praktisch unmöglich die MUH richtig zu verstehen. Man kann sagen, daß die Realität bestimmten mathematischen Gesetzen, also Theorien in einem recht allgemeinen Sinne, "unterliegt", nämlich wenn diese Gesetz auf die Realität zutreffen. Wenn das der Fall ist, dann kann es sich bei der Realität um eine mathematische Struktur handeln. Wenn sie nur mathematischen Gesetzen unterliegt, kann es fast nichts anderes sein. Mit Materie hat das erstmal gar nichts zu tun. Welche Elemente der Realität als "Materie" bezeichnet werden, kann die Theorie allerdings festlegen. In dem Fall unterliegt auch die Materie in der Struktur mathematischen Gesetzen. Aber es ergibt keinen Sinn zu behaupten, daß Materie einer mathematischen Struktur unterliege.

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Zuletzt bearbeitet von index_razor am 14. Jul 2022 12:28, insgesamt einmal bearbeitet
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18062

Beitrag TomS Verfasst am: 14. Jul 2022 12:07    Titel: Antworten mit Zitat

Haudegen007 hat Folgendes geschrieben:
Aber nochmal, was ist denn so falsch an meiner Ansicht, wenn ich sage, die Materie unterliegt mathematischen Strukturen, aber beides ist nicht identisch?

Was genau meinst du mit „identisch“? Meinst du, dass es an Materie tatsächlich nichts gibt, was nicht mathematisch wäre? Das ist das, was ich mit wesensidentisch bezeichne.

Bsp. Dualismus nach Descartes: Geist (res cogitans) und Körper / Stoff (res extensa) sind wesensverschieden, in gewisser Weise unabhängig (unsterbliche, immaterielle Seele ...).

Bsp. Monismus und insbs. eliminativer Materialismus: alles, insbs. Geist / Seele / Bewusstsein ... und Körper / Materie / Stoff sind wesensidentisch (der Verstand ist ein bestimmter physikalisch-chemischer Prozess im stofflichen Gehirn; mit dem, TZod stierbt auch die Seele, es gibt buchstäblich nichts, was überlebt).

Die MUH in ihrer ontischen strengen Form besagt, dass all das - Geist, Seele etc. sowie Materie, Stoff ... reine Mathematik ist; es gibt nichts anderes als diese mathematsche Struktur.

Wie gesagt, das ist eine philosophische Haltung, keine physikalische und insbs. keine überprüfbare Frage.

Haudegen007 hat Folgendes geschrieben:
@TomS: Wie ist denn deine persönliche Meinung zu Tegmark und seiner MUH? Teilst du die Idee oder stehst du ihr eher skeptisch/ablehnend gegenüber?

Als Naturwissenschaftler halte ich die zunächst für sehr attraktiv. Als philosophisch interessierter Mensch, und als Skeptiker bzgl. endgültiger metaphysischer und ontologischer Aussagen bin ich eher skeptisch. Insgs. ist das noch nicht ausdiskutiert - siehe meine Punkte oben.

Die MUH ist an einer Stelle hochgradig spekulativ: wir wissen überhaupt nicht, was es bedeutet, dass eine mathematische Struktur existiert! Wirt können sie nicht sehe, fühlen, räumlich oder verorten ... sie entzieht sich allen unseren Sinnen - außer dem abstrakten Denken. Platon hat die Universalien wie Güte, Schönheit etc. als die oberste Seinsebene betrachtet; bereits Aristoteles hat dies kritisiert und sie eher als menschengemachte Abstraktionen angesehen, denen unabhängig von den realen existierenden Dingen (der gute Mensch, die gute Tat ..., die schöne Landschaft) keine Existenz zukommt. Platon hätte die reale, ewige und von uns unabhängige Existenz mathematischer Strukturen evtl. akzeptiert; viele Mathematiker tun dies heute. Intuitionisten denken jedoch, das Mathematik mathematische Strukturen vom menschlichen Verstand geschaffenen und vom Kollektiv am leben gehaltene Abstraktionen sind.

Wenn wir uns in dieser Hinsicht nicht mal einig sind, was es bedeutet, dass abstrakte Begriffe existieren, und wie eine mathematische Struktur existiert, wie können wir uns dann sicher sein, das Alles, was überhaupt existiert, mit einer existierenden mathematischen Struktur identisch ist?

Diese Seinsweisen müssten von der TOE natürlich ebenfalls erklärt werden ...

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index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 15. Jul 2022 22:19    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:

Die MUH ist an einer Stelle hochgradig spekulativ: wir wissen überhaupt nicht, was es bedeutet, dass eine mathematische Struktur existiert! Wirt können sie nicht sehe, fühlen, räumlich oder verorten ... sie entzieht sich allen unseren Sinnen - außer dem abstrakten Denken.


Wir wissen allerdings genauso gut was es bedeutet, daß eine mathematische Struktur existiert, wie wir wissen was irgendeine andere mathematische Aussage bedeutet. Denn Modelltheorie ist selbst ein Teilgebiet der Mathematik mit denselben Standards an Rigorosität. Das kann man nicht gerade als "hochgradig spekulativ" bezeichnen.

Vielleicht meintest du stattdessen aber, daß wir uns weniger sicher über die Existenz mathematischer Objekte (im allgemeinen, nicht nur Strukturen) sein können, als z.B. über die Existenz von konkreten Gegenständen des Alltags. Dies hat aber nichts mit der Bedeutung von Existenzaussagen zu tun, sondern mit deren Erkenntnis. Es ist also kein semantisches Problem, sondern ein erkenntnistheoretisches. Die Rolle der Wahrnehmung besteht allerdings auch weniger in der Rechtfertigung oder Begründung von Erkenntnissen (machen diese also nicht sicherer), sondern in der Prüfung von Theorien. Das halte ich für einleuchtend, denn um als Begründung für irgendwas dienen zu können, müßte man die Sinnesdaten erstmal in Aussagen in einer verständlichen Sprache formulieren. Solche Aussagen enthalten aber mit Sicherheit eine Menge von theoretischen Konzepten, also Abstraktionen. (Die wir gar nicht so einfach abschütteln können, da sie z.T. schon im visuellen Kortex repräsentiert werden, lange bevor wir sie überhaupt verbalisieren können, auch wenn dieser Abstraktionsgrad natürlich noch nicht viel mit Mathematik zu tun hat.) Zum anderen ist aber Wahrnehmung keineswegs weniger fehlbar als abstraktes Denken auf mathematischem Niveau. Wahrnehmungsprozesse inklusive Feedback und Fehlerkorrektur sind lediglich viel schneller, als mathematische Denkprozesse, aber es gibt m.E. keinen Grund zu der Annahme sie seien zuverlässiger.

Also weder für die Interpretation noch für die Begründung von Existenzbehauptungen nimmt die Wahrnehmung irgendeine autoritative Position ein. Sie ist genauso fehlbar wie untrennbar mit dem abstrakten Denken verknüpft.

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Haudegen007
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Beitrag Haudegen007 Verfasst am: 16. Jul 2022 10:37    Titel: Antworten mit Zitat

Hallo, ich habe nochmal versucht über das Thema nachzudenken, aber es fällt mir ehrlich gesagt nicht ganz so leicht (habe aber auch keine philosophische Vorbildung).

@TomS: Genau das meine ich mit identisch. Eigentlich ging es ganz gut aus deinem Beispiel von letztem Sonntag mit der Eichsymmetrie hervor. Wie sehen dann eigentlich Realisten die Realität an, die Tegmarks Thesen ablehnen? Und ist die Schlussfolgerung zum mathematischen Multiversum eigentlich zwingend? Das wäre ja auch wieder etwas, was nicht falsifizierbar wäre. Ebenso wenn wir eine TOE im Sinne Tegmarks hätten. Überprüfbar würden die zahlreichen metaphysischen Aussagen ja nicht sein, man müsste sie halt glauben bzw die Haltung annehmen (ähnlich wie bei den diversen Interpretationen der Quantenmechanik).

@index_razor: Du hattest ja behauptet, dass die gesamte Wissenschaft falsch bzw unmöglich wäre, wenn die Realität keine mathematische Struktur ist. Nun betreiben wir aber seit langer Zeit sehr erfolgreich Wissenschaften wie Physik. Wir können, jetzt nur zum Beispiel, erfolgreich die Flugbahn einer Kugel berechnen. Somit sehen wir ja, dass die Wissenschaft nicht falsch ist. Zählt dann das Argument überhaupt?
TomS
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Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18062

Beitrag TomS Verfasst am: 16. Jul 2022 11:22    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
TomS hat Folgendes geschrieben:
Die MUH ist an einer Stelle hochgradig spekulativ: wir wissen überhaupt nicht, was es bedeutet, dass eine mathematische Struktur existiert! Wirt können sie nicht sehe, fühlen, räumlich oder verorten ... sie entzieht sich allen unseren Sinnen - außer dem abstrakten Denken.

Wir wissen allerdings genauso gut was es bedeutet, daß eine mathematische Struktur existiert, wie wir wissen was irgendeine andere mathematische Aussage bedeutet. Denn Modelltheorie ist selbst ein Teilgebiet der Mathematik mit denselben Standards an Rigorosität. Das kann man nicht gerade als "hochgradig spekulativ" bezeichnen.

Es gibt evtl. einen Minimalkonsens bzgl. mathematischer Existenz. Allerdings gibt es auch in der Mathematik verschiedene Ansichten - Platonismus, Formalismus, Konstruktivismus (Intuitionismus) - und daher eben keine allgemein akzeptierte Meinung, was es bedeutet, dass eine mathematische Struktur existiert. Das ist der erste Punkt.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Es ist also kein semantisches Problem, sondern ein erkenntnistheoretisches. Die Rolle der Wahrnehmung besteht allerdings auch weniger in der Rechtfertigung oder Begründung von Erkenntnissen (machen diese also nicht sicherer), sondern in der Prüfung von Theorien.

Zustimmung.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zum anderen ist aber Wahrnehmung keineswegs weniger fehlbar als abstraktes Denken auf mathematischem Niveau. Wahrnehmungsprozesse inklusive Feedback und Fehlerkorrektur sind lediglich viel schneller, als mathematische Denkprozesse, aber es gibt m.E. keinen Grund zu der Annahme sie seien zuverlässiger.

Es geht auch nicht darum, dass sie zuverlässiger wären, sondern darum, dass der Bezug zwischen Existenz einer mathematischen Struktur und Sinneswahrnehmung schlicht nicht gegeben ist.

Und das ist etwas anderes, als das, was Naturwissenschaftler normalerweise tun. Sie befassen sich nicht mit der Existenz und Existenzweise einer mathematischen Struktur, sie nutzen eine mathematischen Struktur - ohne über ihre Existenz nachzudenken - um Phänomene zu strukturieren und zu beschreiben und Theorien zu entwickeln.

Das ist in etwa so, wie wenn du den Schuster bemühst, um die Existenz von Leder zu begründen. Es ist eine Beobachtung, dass die praktische Anwendung von Mathematik existiert. Aber das ist etwas anderes als die von jeglicher Praxis losgelöste rein mathematische Existenz.

Natürlich legt der Erfolg der theoretischen Physik nahe, dass das, worauf sie beruht, mathematisch existent und konsistent ist, aber streng logischer Beweis ist das nicht.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Also weder für die Interpretation noch für die Begründung von Existenzbehauptungen nimmt die Wahrnehmung irgendeine autoritative Position ein. Sie ist genauso fehlbar wie untrennbar mit dem abstrakten Denken verknüpft.

Doch, aber im negativen Sinne.

Nicht im Sinne einer logischen oder metaphysischen Begründung, da gebe ich dir recht - siehe oben.

Jedoch sehr wohl im Sinne einer wissenschaftlich-kritischen Methode. Die Behauptungen, dass eine bestimmte mathematische Struktur existiert, und dass sie mit der uns durch Phänomene erscheinende Realität identisch ist, entzieht sich gerade der wissenschaftlichen Methode.

Ich kann sehr wohl eine Theorie aufstellen und daraus abgeleitete Aussagen experimentell verifizieren bzw. falsifizieren, dass in einem bestimmten Experiment ein bestimmtes Phänomen auftritt - und dieses Phänomen als solches existiert. Oder ich kann umgekehrt feststellen, dass es nicht existiert. Ich kann jedoch kein Experiment durchführen, das die Existenz einer dahinterstehenden „Realität“ beweist oder widerlegt, geschweige denn ein Experiment, das für die Existenzweise einer Realität einen Bezug zur Existenz einer mathematischen Struktur herstellt.

Das ist eine Frage zwischen Metamathematik und Methaphysik. Und da wir in beiden Fällen nicht mal ansatzweise eine allgemein akzeptierte Sichtweise haben, ist die MUH extrem spekulativ: einerseits epistemisch nicht zugänglich, andererseits philosophisch in einer zweifachen Nische.

Was bleibt ist wohl der Minimalkonsens, dass wir beide es dennoch für plausibel halten, dass ein Bezug zwischen Realität und mathematischen Strukturen existiert.

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Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18062

Beitrag TomS Verfasst am: 16. Jul 2022 11:45    Titel: Antworten mit Zitat

Haudegen007 hat Folgendes geschrieben:
Wie sehen dann eigentlich Realisten die Realität an, die Tegmarks Thesen ablehnen?

Dazu können wir ja beide mal recherchieren.

Ich würde es als Grundkonsens der Realisten ansehen, dass die Realität mathematischen Gesetzen gehorcht und mathematisch erfassbar ist.

Haudegen007 hat Folgendes geschrieben:
Und ist die Schlussfolgerung zum mathematischen Multiversum eigentlich zwingend?

Siehe meine Diskussion mit index_razor. M.E. in mehrfacher Hinsicht „nein“: nicht mathematisch, nicht philosophisch und nicht entsprechend der physikalischen, empirischen und kritischen Methode bzw. Praxis.

Haudegen007 hat Folgendes geschrieben:
… wäre ja auch wieder etwas, was nicht falsifizierbar wäre. Ebenso wenn wir eine TOE im Sinne Tegmarks hätten. Überprüfbar würden die zahlreichen metaphysischen Aussagen ja nicht sein, man müsste sie halt glauben bzw die Haltung annehmen (ähnlich wie bei den diversen Interpretationen der Quantenmechanik).

Ja, so sehe ich das auch.

Wobei gerade die Quantenmechanik und die Eichsymmetrie starke Argumente für Spielarten der MUH sind, da die verwendete Mathematik eben gerade nicht die Ebene der Phänomene strukturiert.

Wenn ich die Existenz von etwas behaupte, was ich sehe, und wenn ich eine trivialerweise gegebene Isomorphie postuliere, dann ist das irgendwie langweilig. Wenn ich die Existenz von etwas völlig Abstrakten postuliere, das phänomenologisch an sich unzugänglich ist, daraus jedoch experimentell überprüfbare und nicht falsifizierte Vorhersagen ableiten kann, dann ist das schon ein starkes Argument.

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Beitrag index_razor Verfasst am: 16. Jul 2022 17:01    Titel: Antworten mit Zitat

Haudegen007 hat Folgendes geschrieben:

@index_razor: Du hattest ja behauptet, dass die gesamte Wissenschaft falsch bzw unmöglich wäre, wenn die Realität keine mathematische Struktur ist. Nun betreiben wir aber seit langer Zeit sehr erfolgreich Wissenschaften wie Physik. Wir können, jetzt nur zum Beispiel, erfolgreich die Flugbahn einer Kugel berechnen. Somit sehen wir ja, dass die Wissenschaft nicht falsch ist. Zählt dann das Argument überhaupt?


Aber genau das ist doch das Argument. (Genauer gesagt ein Teil davon.)

Wenn die Realität keine mathematische Struktur wäre, könnten wir keine Wissenschaft (=das Aufstellen mathematisch präziser und zutreffender Theorien) betreiben (A->B). Wir können aber Wissenschaft betreiben (~B). Folglich ist die Realität eine mathematische Struktur. (~A, nach modus tollens)

Natürlich ist die einzige Schwachstelle im Argument die Implikation A->B. Deswegen habe ich versucht plausibel zu machen, daß sie die Hürde nicht gerade sehr hoch legt. Die Theorien müssen z.B. keineswegs vollständig sein, was die Theorien über die natürlichen Zahlen auch nicht sind. (Trotzdem besteht kein Zweifel, daß die natürlichen Zahlen eine mathematische Struktur sind.) Sie müssen auch nicht besonders allgemein sein: Eine Aufzählung aller empirische Fakten reicht aus. Meine Behauptung ist: egal worin diese Fakten bestehen, wir können sie immer in Form mathematisch präziser Aussagen formulieren. All dies läßt vollkommen offen um welche mathematische Struktur es sich handelt (dazu benötigten wir eine vollständige Theorie). Aber die Frage war nicht welche mathematische Struktur, sondern ob überhaupt eine.

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Beitrag Haudegen007 Verfasst am: 16. Jul 2022 17:38    Titel: Antworten mit Zitat

Ich habe mich wahrscheinlich wieder falsch ausgedrückt bzw blöd angestellt. Dein Beweismuster hatte ich genau so im Kopf. Vielmehr wollte ich damit eigentlich fragen: Ist das jetzt ein logisch strenger Beweis, der belegt, dass die Natur eine mathematische Struktur ist?
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Beitrag index_razor Verfasst am: 16. Jul 2022 17:52    Titel: Antworten mit Zitat

Haudegen007 hat Folgendes geschrieben:
Ich habe mich wahrscheinlich wieder falsch ausgedrückt bzw blöd angestellt. Dein Beweismuster hatte ich genau so im Kopf. Vielmehr wollte ich damit eigentlich fragen: Ist das jetzt ein logisch strenger Beweis, der belegt, dass die Natur eine mathematische Struktur ist?


Ich bin ratlos. Das ist ein logisch strenger Beweis. (Er hat sogar einen Namen, "modus tollens") Logisch strenge Beweise für irgendeine beliebige Aussage (egal ob wahr oder falsch) zu finden, ist nie besonders schwer und deshalb meistens, für sich betrachtet, auch nicht besonders interessant. Die einzige Frage ist, ob du die Prämissen akzeptierst oder nicht. Ich vermute mal du akzeptierst die Prämisse "Wenn die Realität keine mathemathematische Struktur ist, ist Wissenschaft unmöglich" nicht. Folglich akzeptierst du auch die Gründe, die ich, zuletzt in meiner letzten Antwort, genannt habe nicht. Nun würde mich genauer interessieren warum du sie nicht akzeptierst.

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Beitrag Haudegen007 Verfasst am: 16. Jul 2022 18:05    Titel: Antworten mit Zitat

Sorry das ich nicht in deiner Liga spiele....und dich ratlos mache.

Ich hätte eher den Grundkonsens von TomS unterschrieben, dass die Realität mathematischen Gesetzen gehorcht und darüber erfassbar ist. [/i]
index_razor



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Beitrag index_razor Verfasst am: 16. Jul 2022 18:13    Titel: Antworten mit Zitat

Haudegen007 hat Folgendes geschrieben:
Sorry das ich nicht in deiner Liga spiele....und dich ratlos mache.


Warum erklärst du mir nicht einfach endlich mal, welchen Teil des Arguments du nicht verstehst? Oder welchem du aus welchen Gründen nicht zustimmst? Wenn du immer nur deine Zustimmung zum "Grundkonsens" wiederholst, bringt uns das natürlich nicht weiter.

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Beitrag TomS Verfasst am: 16. Jul 2022 18:27    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Aber genau das ist doch das Argument. (Genauer gesagt ein Teil davon.)

Wenn die Realität keine mathematische Struktur wäre, könnten wir keine Wissenschaft (=das Aufstellen mathematisch präziser und zutreffender Theorien) betreiben (A->B). Wir können aber Wissenschaft betreiben (~B). Folglich ist die Realität eine mathematische Struktur. (~A, nach modus tollens)

Natürlich ist die einzige Schwachstelle im Argument die Implikation A->B.

Das Argument zunächst mal sehr stark.

Die Schwachstelle ist nicht nur die Implikation, sondern eine versteckte Annahme bzgl. „der Realität“. Es kann sich nur um die der Physik zugängliche Realität handeln; ob das ein vollständiger Realitätsbegriff ist, ist eine unüberprüfbare Annahme, für einen Physiker aber natürlich vernünftig.

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Beitrag Haudegen007 Verfasst am: 16. Jul 2022 18:29    Titel: Antworten mit Zitat

Nein wir werden auch nicht weiter kommen....mir gefällt halt einfach die Muh These mit der Konsequenz, dass alles Mathematik ist, nicht. Ganz einfache ehrliche Antwort.

Mich würde auch interessieren, was denn am Minimalkonsens, dass die Natur mathematischen Gesetzen gehorcht, so falsch ist. Vielleicht schreibt ja TomS nochmal was dazu.
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Beitrag index_razor Verfasst am: 16. Jul 2022 19:15    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
Aber genau das ist doch das Argument. (Genauer gesagt ein Teil davon.)

Wenn die Realität keine mathematische Struktur wäre, könnten wir keine Wissenschaft (=das Aufstellen mathematisch präziser und zutreffender Theorien) betreiben (A->B). Wir können aber Wissenschaft betreiben (~B). Folglich ist die Realität eine mathematische Struktur. (~A, nach modus tollens)

Natürlich ist die einzige Schwachstelle im Argument die Implikation A->B.

Das Argument zunächst mal sehr stark.

Die Schwachstelle ist nicht nur die Implikation, sondern eine versteckte Annahme bzgl. „der Realität“.


Die war nicht versteckt, sondern weiter oben formuliert: "Oder es gibt eine Tatsache, die sich nicht mathematisch präzise formulieren läßt, und deren Beschreibung deshalb nicht so einfach interpretierbar ist, wie mathematische Theorien." (Aber dies betrifft auch nur die Wahrheit dieser Implikation, nicht die logische Struktur des Arguments, die selbstverständlich nicht angreifbar ist.) Aber wie gesagt, ich glaube kaum, daß wir in der Lage wären eine solche Tatsache überhaupt zu begreifen. Das heißt natürlich nicht, daß es sie nicht geben könnte. Aber es erscheint mit auch müßig darüber zu spekulieren.

An dieser Stelle wollte ich aber eigentlich nur das Argument auf das wesentliche reduzieren, um es für Haudegen007 verständlicher zu machen. (Da war mir noch nicht klar, daß er gar kein Interesse an Argumenten hat, außer vielleicht, wenn er die Schlußfolgerung ohnehin glauben will.)

Zitat:

Es kann sich nur um die der Physik zugängliche Realität handeln;


Es kann sich um die sämtlicher Erkenntnis zugängliche Realität handeln. Das schließt Methoden aller Naturwissenschaften, sowie von Mathematik und Logik mit ein.

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Beitrag Haudegen007 Verfasst am: 16. Jul 2022 19:29    Titel: Antworten mit Zitat

Ich habe schon Interesse an den Argumenten, habe dir aber nur ganz offen und ehrlich gesagt, warum ich die MUH nicht mag.

Und wie gesagt, dass die Natur mathematischen Gesetzmäßigkeiten gehorcht, will ich gar nicht in Frage stellen. Nur ob wirklich die gesamte Realität reine Mathematik ist, da binich mir unsicher....(ebenfalls glaube ich auch nicht an Tegmarks mathematisches Multiversum).
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Beitrag index_razor Verfasst am: 16. Jul 2022 19:38    Titel: Antworten mit Zitat

Haudegen007 hat Folgendes geschrieben:
Ich habe schon Interesse an den Argumenten, habe dir aber nur ganz offen und ehrlich gesagt, warum ich die MUH nicht mag.


Und warum erklärst du mir dann nicht, was du an meinem Argument nicht verstehst oder akzeptierst? Bis jetzt hast du mir nur mitgeteilt, daß dir die Schlußfolgerung nicht paßt, aber nicht warum nicht.

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Beitrag Haudegen007 Verfasst am: 16. Jul 2022 19:44    Titel: Antworten mit Zitat

Haudegen007 hat Folgendes geschrieben:

Und wie gesagt, dass die Natur mathematischen Gesetzmäßigkeiten gehorcht, will ich gar nicht in Frage stellen. Nur ob wirklich die gesamte Realität reine Mathematik ist, da bin ich mir unsicher....

Da habe ich es doch geschrieben. Vielleicht können wir einfach gar nicht die gesamte Realität erfassen und womöglich gibt es auch Bestandteile, die nicht mathematisch fassbar sind.....
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Beitrag index_razor Verfasst am: 16. Jul 2022 19:52    Titel: Antworten mit Zitat

Haudegen007 hat Folgendes geschrieben:
Haudegen007 hat Folgendes geschrieben:

Und wie gesagt, dass die Natur mathematischen Gesetzmäßigkeiten gehorcht, will ich gar nicht in Frage stellen. Nur ob wirklich die gesamte Realität reine Mathematik ist, da bin ich mir unsicher....

Da habe ich es doch geschrieben. Vielleicht können wir einfach gar nicht die gesamte Realität erfassen


Das ist irrelevant, zumindest für mein Argument.

Zitat:

und womöglich gibt es auch Bestandteile, die nicht mathematisch fassbar sind.....


Und genau darauf bin ich weiter oben eingegangen. Kannst du ein Beispiel eines Sachverhalts nennen (es muß nicht unbedingt eine Tatsache sein), der zwar "faßbar", aber nicht "mathematisch faßbar" ist? Einfach zu sagen "es könnte sowas geben" ist nicht besonders aufschlußreich.

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Beitrag index_razor Verfasst am: 16. Jul 2022 21:17    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
TomS hat Folgendes geschrieben:
Die MUH ist an einer Stelle hochgradig spekulativ: wir wissen überhaupt nicht, was es bedeutet, dass eine mathematische Struktur existiert! Wirt können sie nicht sehe, fühlen, räumlich oder verorten ... sie entzieht sich allen unseren Sinnen - außer dem abstrakten Denken.

Wir wissen allerdings genauso gut was es bedeutet, daß eine mathematische Struktur existiert, wie wir wissen was irgendeine andere mathematische Aussage bedeutet. Denn Modelltheorie ist selbst ein Teilgebiet der Mathematik mit denselben Standards an Rigorosität. Das kann man nicht gerade als "hochgradig spekulativ" bezeichnen.

Es gibt evtl. einen Minimalkonsens bzgl. mathematischer Existenz. Allerdings gibt es auch in der Mathematik verschiedene Ansichten - Platonismus, Formalismus, Konstruktivismus (Intuitionismus) - und daher eben keine allgemein akzeptierte Meinung, was es bedeutet, dass eine mathematische Struktur existiert. Das ist der erste Punkt.


Aber fast dieselben Unterschiede in der Auffassung von Theorien gibt es auch in der Physik in Form von "Realismus" und "Instrumentalismus". Von daher müßtest du eigentlich die Interpretation aller Aussagen als "hochgradig spekulativ" bezeichnen.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zum anderen ist aber Wahrnehmung keineswegs weniger fehlbar als abstraktes Denken auf mathematischem Niveau. Wahrnehmungsprozesse inklusive Feedback und Fehlerkorrektur sind lediglich viel schneller, als mathematische Denkprozesse, aber es gibt m.E. keinen Grund zu der Annahme sie seien zuverlässiger.

Es geht auch nicht darum, dass sie zuverlässiger wären, sondern darum, dass der Bezug zwischen Existenz einer mathematischen Struktur und Sinneswahrnehmung schlicht nicht gegeben ist.


Aber warum genau spielt das eine Rolle? Es macht weder die Bedeutung mathematischer Aussagen weniger klar, noch macht es die Aussagen weniger sicher. Also was dann?

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Also weder für die Interpretation noch für die Begründung von Existenzbehauptungen nimmt die Wahrnehmung irgendeine autoritative Position ein. Sie ist genauso fehlbar wie untrennbar mit dem abstrakten Denken verknüpft.

Doch, aber im negativen Sinne.

Nicht im Sinne einer logischen oder metaphysischen Begründung, da gebe ich dir recht - siehe oben.

Jedoch sehr wohl im Sinne einer wissenschaftlich-kritischen Methode.


Ja, genau das habe ich eigentlich gemeint. Die wissenschaftlich-kritische Methode, dient nicht dazu, über die Interpretation von Aussagen zu entscheiden und auch nicht zur Begründung von Aussagen, sondern lediglich zur Auslese von Theorien.

Zitat:

Die Behauptungen, dass eine bestimmte mathematische Struktur existiert, und dass sie mit der uns durch Phänomene erscheinende Realität identisch ist, entzieht sich gerade der wissenschaftlichen Methode.


Das ist auch nicht meine Behauptung und so verstehe ich auch nicht die MUH. Es geht nicht darum, die Existenz einer bestimmten mathematischen Struktur zu zeigen, sondern darum, daß die Realität alle Eigenschaften hat, die auf mathematische Strukturen zutreffen. Wenn das der Fall ist, ist es selbst eine mathematische Struktur.

Zitat:

Ich kann sehr wohl eine Theorie aufstellen und daraus abgeleitete Aussagen experimentell verifizieren bzw. falsifizieren, dass in einem bestimmten Experiment ein bestimmtes Phänomen auftritt - und dieses Phänomen als solches existiert. Oder ich kann umgekehrt feststellen, dass es nicht existiert. Ich kann jedoch kein Experiment durchführen, das die Existenz einer dahinterstehenden „Realität“ beweist oder widerlegt, geschweige denn ein Experiment, das für die Existenzweise einer Realität einen Bezug zur Existenz einer mathematischen Struktur herstellt.


Die Existenz irgendeiner Art von objektiver Realität nehme ich, genau wie Tegmark, als gegeben an. Ich nehme nicht von vornherein an, daß es eine mathematische Struktur ist. Ich behaupte auch nicht, daß sich empirisch entscheiden läßt, daß es eine mathematische Struktur ist. Ich behaupte aber, daß die erfolgreiche Anwendung mathematisch rigoroser Theorien ein Indiz dafür liefert.

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TomS
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Beitrag TomS Verfasst am: 17. Jul 2022 09:28    Titel: Antworten mit Zitat

Ich denke, wir sind uns weitgehend einig.

Wie du sagtest:

Zitat:
Es geht darum, daß die Realität alle Eigenschaften hat, die auf mathematische Strukturen zutreffen. Wenn das der Fall ist, ist sie selbst eine mathematische Struktur …

Wenn die Realität keine mathematische Struktur wäre, könnten wir keine Wissenschaft (=das Aufstellen mathematisch präziser und zutreffender Theorien) betreiben. Wir können aber Wissenschaft betreiben. Folglich ist die Realität eine mathematische Struktur.


Mit den - für mich offenen - Fragen nach Existenz, Seinsweise usw., aber damit gleiten wir ohnehin in die Metaphysik ab. Das umfasst auch die Bedeutung des „ist“ in „ist die Realität eine mathematische Struktur.“

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