RegistrierenRegistrieren   LoginLogin   FAQFAQ    SuchenSuchen   
Schrödingers Katze kein Witz - Teil III - Seite 3
Gehe zu Seite Zurück  1, 2, 3, 4  Weiter 
Neue Frage »
Antworten »
    Foren-Übersicht -> Quantenphysik
Autor Nachricht
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 12. Feb 2021 16:09    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
Ich sagte aber auch es resultiert eine klassische Verteilung von solchen Dichtematrizen, zumindest aus den üblichen stochastischen Verfahren, die zur Modellierung von offenen Quantensystemen verwendet werden können.

Die Interpretation dieser klassischen Verteilung ist sinngemäß dieselbe, wie in der klassischen Thermodynamik. Das heißt, es liegt in Wahrheit einer der Zustände vor -- jeder davon mit klassischen Eigenschaften --, man kann aber nicht exakt vorhersagen, welcher. Daß man nichts genaueres vorhersagen kann, liegt daran, daß die beteiligten Systeme makroskopisch viele Freiheitsgrade haben. Es ist also letztlich eine Folge des verwendeten physikalischen Modells und kein philosophisches Rätsel.

Anders formuliert: eine (bzgl. ausgezeichneter Basis) dekohärente Dichtematrix kannst du problemlos als klassisches Ensemble interpretieren. Das verursacht, genau wie in der Thermodynamik, keine besonderen philosophischen Kopfschmerzen.

Irgendwie kommst du nicht zum Punkt.

Natürlich kann ich eine dekohärente Dichtematrix problemlos als klassisches Ensemble interpretieren. Die Frage ist, ob ich das will, und was Neumaier will.


Der Punkt, zu dem ich hier kommen wollte, war zu erklären, daß -- entgegen deiner Behauptung -- keine "mathematisch unterschiedlichen" Vorhersagen zwischen TI und Dekohärenz bestehen. Welches Problem du ansonsten mit dem Argument hast, verstehe ich ehrlich gesagt nicht. Vielleicht erklärst du mir mal, wieso du nicht dieselben Probleme bei der Interpretation der klassischen statistischen Thermodynamik siehst. Die scheint mir nämlich vollkommen analog zu funktionieren. Und ich denke, genau darauf will Neumaier u.a. hinweisen.

Zitat:

Gegeben sei ein einziges Quantensystem, das mit einem einzigen makroskopischen System in Wechselwirkung tritt. Daraus resultiert ...
a) mathematisch nach Ausspuren eine reduzierte Dichtematrix, die eines Ensembles (eines Ensembles von Bällen)
b) phänomenologisch die Beobachtung eines einzelnen klassisch erscheinenden Systems (eines einzigen Balls)

Der mathematische Formalismus liefert die Struktur eines Ensembles, obwohl in der Realität kein Ensemble vorliegt. Das verlangt eine Erklärung.


Die klassische statistische Thermodynamik liefert für die Beschreibung eines einzelnen makroskopischen Körpers die mathematische Struktur eines Ensembles, obwohl in der Realität kein Ensemble vorliegt. Und wo ist da das Problem?

Zitat:

Wenn ich wissen will, wie ich die mathematische Struktur bzgl. eines einzelnen Systems interpretiere, dann habe ich zwei Möglichkeiten
1) ich kann bzw. will sie nicht diesbzgl. interpretieren, sondern bleibe auf der Ebene des Ensembles, von Wahrscheinlichkeiten, Erwartungswerten etc.
2) Ich will sie diesbzgl. interpretieren


Ich glaube du unterscheidest nicht zwischen den q-Wahrscheinlichkeiten einer Dichtematrix und einer klassischen Wahrscheinlichkeitsverteilung über einer Menge von Hilbertraumzuständen. Anders kann ich mir nicht erklären, warum plötzlich jedes Ensemble (auch klassische) für dich so ein großes Interpretationsproblem darstellt.

Zitat:

Die Frage ist, wie Neumaier seine Thermal Interpretation auffasst. Ich verstehe ihn so, dass in gewisser Weise zu einem Ensemble gelangt, dieses jedoch nicht realistisch interpretiert.


Doch, er will es realistisch interpretieren, nur eben anders als die MWI und stattdessen so wie in der klassischen Thermodynamik. (Deswegen ja auch der Name.) Ich habe manchmal den Eindruck "realistisch" und MWI sind für dich schon Synonyme.

Zitat:

Stattdessen sagt er soviel wie „eines dieser Elemente des Ensembles entspricht dem einen vorliegenden System“ - und mehr nicht.


Und warum genau soll er jetzt mehr sagen? Mir ist zumindest im Augenblick kein zwingender Grund bekannt diese Behauptung zu bezweifeln.

Zitat:

Für mich hat ‘t Hooft recht. Neumaier beantwortet die Frage, was bei einer Messung passiert, nicht (ebensowenig wie Bohr, Born, von Neumann, die Ensemble-Interpretation usw.). Er windet sich darum herum und verweist auf Beables wie Erwartungswerte etc. Nach einer Messung habe ich aber keine Erwartungswerte, sondern ein sichere Beobachtung: „die Katze lebt“. Aber dazu sagt er nichts, zumindest nicht so, dass ich es erkennen könnte.


Eine sichere Beobachtung kannst du nur haben, wenn die Größe, die du beobachtest eine relativ kleine Unsicherheit besitzt. Man muß also nur erklären, warum bestimmte makroskopische Größen (wie z.B. Indikatorvariablen bei Messungen) relativ geringe Schwankungen aufweisen. Genau dies tut die Thermodynamik.

Zitat:

Damit sage ich nicht, dass seine Thermal Interpretation wertlos wäre; ich sage lediglich, dies sie die wirklich interessante Frage schlicht ignoriert.


Du sagst abwechselnd sie sei völlig uninteressant oder sie mache unglaublich spektakuläre Behauptungen. Für mich deutet das noch auf ein Verständnisproblem hin.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18065

Beitrag TomS Verfasst am: 12. Feb 2021 16:12    Titel: Antworten mit Zitat

Aus dem o.g. Paper:

... According to the thermal interpretation, quantum physics is the basic framework for the description of objective reality (including everything reproducible studied in experimental physics), from the smallest to the largest scales ...

It seems that without having to introduce any change in the formal apparatus of quantum physics, the deterministic dynamics of the complete collection of q-expectations constructible from quantum fields, when restricted to the set of macroscopically relevant ones, already gives rise to all the stochastic features observed in practice.

The thermal interpretation ...

• has no explicit collapse – the latter emerges approximately in non-isolated subsystems.


Nach dem, was ich gelesen habe, muss Neumaier entweder die MWI anerkennen, oder diese Aussagen sind schlicht falsch:

Zu einer objektiven Realität gehört das Erscheinen exakt einer Katze - entweder lebendig oder tot. Ohne Änderung des Formalismus folgt jedoch eine Dichtematrix, die ein Ensemble zweier Katzen beschreibt, eine davon lebendig und eine tot, im Widerspruch zur Beobachtung. Und es folgt kein Kollaps dahingehend, dass eine Katze resultiert, lediglich ein Ensemble aus zwei Katzen, wobei die Erklärung, warum eine davon nicht sichtbar wird, fehlt.

Ich möchte keineswegs den Formalismus anzweifeln. Ich denke, er verwendet den Begriff objective reality nicht in dem Sinne, wie ihn viele Philosophen verwenden, er versteht ihn rein epistemisch, also im Sinne von objektiv übereinstimmenden Beobachtungen.

Damit ist die Thermal Interpretation als realistische Interpretation für mich vom Tisch.

_________________
Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18065

Beitrag TomS Verfasst am: 12. Feb 2021 16:26    Titel: Antworten mit Zitat

@index_razor:

Nein, MWI und realistische Betrachtung sind für mich keineswegs synonym. Allerdings scheinen die Physiker, die sich mit der MWI befassen, fast die einzigen zu sein, die sich darüber im klaren sind, was „Realismus“ bedeutet ;-)

Der Knackpunkt ist diese Aussage:

„Die klassische statistische Thermodynamik liefert für die Beschreibung eines einzelnen makroskopischen Körpers die mathematische Struktur eines Ensembles, obwohl in der Realität kein Ensemble vorliegt. Und wo ist da das Problem?“
Dabei gibt es überhaupt kein Problem, solange man sorgfältig klärt, was dann später mit „realistisch“ gemeint ist. Genau das tut Neumaier nicht.

https://de.wikipedia.org/wiki/Wissenschaftlicher_Realismus
Wissenschaftlicher Realismus
Der wissenschaftliche Realismus ist eine realistische Position in der Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie, die besagt, dass eine erkennbare Wirklichkeit existiert, die unabhängig vom menschlichen Denken ist, und dass die Bestätigung einer wissenschaftlichen Theorie die Annahme begründet, dass diese Wirklichkeit so aussieht, wie diese Theorie das aussagt. Insbesondere betrifft dies den Anspruch, dass die Entitäten, über die eine bestätigte Theorie spricht, objektiv existieren.
...
Der Wissenschaftliche Realismus sucht als Philosophie eine Begründung zu liefern dafür, dass die Meinung gerechtfertigt sei, dass wissenschaftliche Theorien in ihrer Anwendung eine praktisch brauchbare Beschreibung und Erklärung von Vorgängen und Strukturen liefern, wie sie in der Realität vorzufinden sind. Wenn eine wissenschaftliche Theorie gut bestätigt ist, dann rechtfertigt das die Annahme, dass die Realität so beschaffen ist, wie die Theorie es vorhersagt.

https://en.wikipedia.org/wiki/Scientific_realism
Scientific realism
Within philosophy of science, this view is often an answer to the question "how is the success of science to be explained?" The discussion on the success of science in this context centers primarily on the status of unobservable entities apparently talked about by scientific theories. Generally, those who are scientific realists assert that one can make valid claims about unobservables (viz., that they have the same ontological status) as observables, as opposed to instrumentalism.
...
The following claims are typical of those held by scientific realists ...
Scientific theories make genuine, existential claims.
Theoretical claims of scientific theories should be read literally and are definitively either true or false.
The degree of the predictive success of a theory is evidence of the referential success of its central terms.
The goal of science is an account of the physical world that is literally true.

Wenn ich also ein einziges real existierendes System mit einem einzigen mathematischen Objekt (Zustandsvektor, Dichteoperator, ...) beschreibe, und dieses mathematische Objekt eine Struktur aufweist, die ich als „Beschreibung eines Ensembles klassischer Systeme“ interpretiere - genau das trifft auf die Dekohärenz und wohl auch auf die Thermal Interpretation zu - dann habe ich genau zwei Möglichkeiten:
A) wenn ich die Theorie und damit ihre zentralen mathematischen Konstrukte gemäß des wissenschaftlicher Realismus interpretiere, muss ich die Teile Existenz eines Ensembles klassischer Systeme akzeptieren
B) wenn ich die Existenz eines Ensembles klassischer Systeme nicht akzeptiere, obwohl diese aus den mathematischen Strukturen der Theorie folgen, dann interpretiere ich die Theorie offenbar nicht im Sinne des wissenschaftlichen Realismus.

Das Problem bei Neumaier - und bei anderen Physikern, die mit philosophischen Begriffen um sich werfen - ist, dass sie die Begriffe nicht sorgfältig verwenden.

Der wissenschaftlicher Realismus fragt in der Physik nach der realistischen Beschreibung einer Messung eines Quantensystems mit einem Messgerät. Der Verweis auf ein Ensemble ist - auch wenn praktisch und epistemisch sinnvoll, schlicht nicht realistisch. Der Fehler liegt überhaupt nicht in der Physik, d.h. im Formalismus und dessen Anwendung im Rahmen der Experimente, sondern einzig darin, etwas als eine realistische Interpretation zu bezeichnen, was keine ist.

_________________
Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.


Zuletzt bearbeitet von TomS am 12. Feb 2021 17:14, insgesamt 3-mal bearbeitet
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 12. Feb 2021 16:37    Titel: Antworten mit Zitat

Shit - sorry - Ich habe deinen Beitrag editiert anstatt in zu zitieren. Das tut mir sehr leid!!

Mach nichts, war noch in der Browser-Historie.

TomS hat Folgendes geschrieben:
@index_razor:

Nein, MWI und realistische Betrachtung sind für mich keineswegs synonym. Allerdings scheinen die Physiker, die sich mit der MWI befassen, fast die einzigen zu sein, die sich darüber im klaren sind, was „Realismus“ bedeutet ;-)


Zumindest dürften die MWI-Fans unter allen Physikern diejenigen sein, die sich für philosophisch am meisten gebildet halten. ;-)

Zitat:

Der Knackpunkt ist diese Aussage:

„Die klassische statistische Thermodynamik liefert für die Beschreibung eines einzelnen makroskopischen Körpers die mathematische Struktur eines Ensembles, obwohl in der Realität kein Ensemble vorliegt. Und wo ist da das Problem?“
Dabei gibt es überhaupt kein Problem, solange man sorgfältig klärt, was dan später mit „realistisch“ gemeint ist. Das tut Neumaier nicht.


Doch, ich denke er versteht darunter im wesentlichen dasselbe, was deine Zitate auch ausdrücken.

Wenn du mit meiner obigen Aussage keine Probleme hast, bleibt von deiner Kritik an der TI aber m.E. auch nicht mehr viel übrig. Wenn du noch weiter diskutieren willst, können wir uns ja mal die Abschnitte 5.1, 5.2 aus dem Preprint vornehmen.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18065

Beitrag TomS Verfasst am: 12. Feb 2021 17:00    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Shit - sorry - Ich habe deinen Beitrag editiert anstatt in zu zitieren. Das tut mir sehr leid!!

Mach nichts, war noch in der Browser-Historie.

TomS hat Folgendes geschrieben:
@index_razor:

Nein, MWI und realistische Betrachtung sind für mich keineswegs synonym. Allerdings scheinen die Physiker, die sich mit der MWI befassen, fast die einzigen zu sein, die sich darüber im klaren sind, was „Realismus“ bedeutet ;-)


Zumindest dürften die MWI-Fans unter allen Physikern diejenigen sein, die sich für philosophisch am meisten gebildet halten. ;-)

Zitat:

Der Knackpunkt ist diese Aussage:

„Die klassische statistische Thermodynamik liefert für die Beschreibung eines einzelnen makroskopischen Körpers die mathematische Struktur eines Ensembles, obwohl in der Realität kein Ensemble vorliegt. Und wo ist da das Problem?“
Dabei gibt es überhaupt kein Problem, solange man sorgfältig klärt, was dan später mit „realistisch“ gemeint ist. Das tut Neumaier nicht.


Doch, ich denke er versteht darunter im wesentlichen dasselbe, was deine Zitate auch ausdrücken.

Wenn du mit meiner obigen Aussage keine Probleme hast, bleibt von deiner Kritik an der TI aber m.E. auch nicht mehr viel übrig. Wenn du noch weiter diskutieren willst, können wir uns ja mal die Abschnitte 5.1, 5.2 aus dem Preprint vornehmen.

Danke!

Er kann doch dies nicht im Sinne meiner Zitate verstehen, ohne automatisch zur MWI zu gelangen.

Ich kann doch nicht behaupten, X realistisch zu interpretieren, wenn ich X in kleine Teile zerlege, mir einen Teil x rauspicke, und dann f(x), g(x) ... interpretiere.

Wenn jemand sagt „Die Welt in Herr der Ringe entspricht der Realität“, dann ist das etwas anderes als die Aussage „die Luftmoleküle, die Erde, das Wasser ... in Herr der Ringe sind real“ - und Hobbits, Elfen, Drachen und Zauberer verschweigen wir lieber.

Die Interpretation von Neimaier ist ja nicht doof, nur eben nicht im o.g. Sinne realistisch.

Ansonsten würde mich interessieren, ob und wie Neumaier zu ähnlichen Aussahen gelangt wie die Dekohärenz, und in wie weit die beiden Ansätze sich unterscheiden - ohne dies zu interpretieren.

_________________
Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 12. Feb 2021 17:15    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:

Wenn ich also ein einziges real existierendes System mit einem einzigen mathematischen Objekt (Zustandsvektor, Dichteoperator, ...) beschreibe, und dieses mathematische Objekt eine Struktur aufweist, die ich als „Beschreibung eines Ensembles klassischer Systeme“ interpretiere - genau das trifft auf die Dekohärenz und wohl auch auf die Thermal Interpretation zu - dann habe ich genau zwei Möglichkeiten:


Genau dies ist der Punkt, den du m.E. falsch verstehst. Ein Meßprozeß oder allgemein ein offenes Quantensystem wird hier als stückweise determinsitischer stochastischer Prozeß modelliert. Das Resultat ist also nicht ein Zustandsvektor oder eine Dichtematrix, sondern eine klassische Wahrscheinlichkeitsverteilung über einer Menge von Zustandsvektoren, sagen wir . Zu dieser klassischen Verteilung gehört aber die Dichtematrix



die in der Basis dekohärent ist. Also hat man zumindest solange man nur dieses verwendet, keine unterschiedlichen Vorhersagen. Aber man kann das zugrundeliegende problemlos realistisch interpretieren.

Zitat:

A) wenn ich die Theorie und damit ihre zentralen mathematischen Konstrukte gemäß des wissenschaftlicher Realismus interpretiere, muss ich die Teile Existenz eines Ensembles klassischer Systeme akzeptieren
B) wenn ich die Existenz eines Ensembles klassischer Systeme nicht akzeptiere, obwohl diese aus den mathematischen Strukturen der Theorie folgen, dann interpretiere ich die Theorie offenbar nicht im Sinne des wissenschaftlichen Realismus.


Die zentralen mathematischen Konstrukte sind laut TI der Zustand oder seine Eigenschaften . Diese beschreiben, wiederum laut TI, keine Ensembles. Ein Ensemble wird z.B. durch die Verteilung weiter oben beschrieben. Aber das ist kein "zentrales Konzept" der Theorie, sondern lediglich ein Modell oder mathematisches Hilfsmittel zur Behandlung offener Quantensysteme mit unkontrollierten Freiheitsgraden. Zumindest verstehe ich das so.

Zitat:

Das Problem bei Neumaier - und bei anderen Physikern, die mit philosophischen Begriffen um sich werfen - ist, dass sie die Begriffe nicht sorgfältig verwenden.


Das ist lediglich deine Unterstellung, die ich nicht ganz nachvollziehen kann.

Zitat:

Der wissenschaftlicher Realismus fragt in der Physik nach der realistischen Beschreibung einer Messung eines Quantensystems mit einem Messgerät. Der Verweis auf ein Ensemble ist - auch wenn praktisch und epistemisch sinnvoll, schlicht nicht realistisch.


Wenn das so wäre, wäre die klassische Thermodynamik nicht realistisch. Vielleicht sehen das einige Philosophen so. Aber ich halte niemanden für ungebildet, nur weil er da anderer Ansicht ist.


Zuletzt bearbeitet von index_razor am 12. Feb 2021 18:41, insgesamt einmal bearbeitet
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 12. Feb 2021 17:57    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:

Er kann doch dies nicht im Sinne meiner Zitate verstehen, ohne automatisch zur MWI zu gelangen.


Doch, ich glaube, daß genau dieses Kunststück möglich ist. Realismus+QM führen nicht automatisch auf die MWI.

Zitat:

Ich kann doch nicht behaupten, X realistisch zu interpretieren, wenn ich X in kleine Teile zerlege, mir einen Teil x rauspicke, und dann f(x), g(x) ... interpretiere.

Wenn jemand sagt „Die Welt in Herr der Ringe entspricht der Realität“, dann ist das etwas anderes als die Aussage „die Luftmoleküle, die Erde, das Wasser ... in Herr der Ringe sind real“ - und Hobbits, Elfen, Drachen und Zauberer verschweigen wir lieber.


Ich glaube erstens nicht, daß es so eindeutig ist, wie du es darstellst. Realisten haben zum Beispiel kein Problem die klassische Elektrodynamik als realistisch einzustufen. (Ich zumindest nicht). Aber bei der Frage ob es die elektromagnetischen Potentiale oder andere eichabhängige Größen in der Realität ebenfalls gibt, können vermutlich einige Realisten uneinig sein.

Also erfordert Realismus nicht zwingend, daß jedes mathematisch Objekt der Theorie in der Realität existiert. Eine realistische Interpretation muß nur sagen, welche dieser Objekte existieren.

Zweitens -- und das ist der wichtigere Punkt -- trifft es gar nicht zu, daß die TI sich irgendwas wahllos aus dem Formalismus herauspickt. Sie betrachtet im wesentlichen dieselben Elemente der Theorie als real wie auch die MWI, insbesondere jeden Zustand und seine Eigenschaften . Ich kann mir kaum vorstellen, was man innerhalb des QM-Formalismus außerdem als real ansehen könnte.

(EDIT: Ich bin mir jetzt nicht mal sicher ob die MWI die Größen tatsächlich als Elemente der Realität ansieht. Falls nicht, gebe ich den Einwand aber gern zurück.)

Zitat:

Ansonsten würde mich interessieren, ob und wie Neumaier zu ähnlichen Aussahen gelangt wie die Dekohärenz, und in wie weit die beiden Ansätze sich unterscheiden - ohne dies zu interpretieren.


Ich denke dazu müssen wir uns genauer die Dynamik von offenen Quantensystem vornehmen. Das Thema interessiert mich, aber ich habe es noch nicht sehr ausführlich studiert.
Qubit



Anmeldungsdatum: 17.10.2019
Beiträge: 829

Beitrag Qubit Verfasst am: 12. Feb 2021 18:27    Titel: Antworten mit Zitat

@index_razor

Da du etwas tiefer mit der TI vertraut bist, interessiert mich mal da:
welche Rolle spielen die Eigenzustände zu einer Observablen? Sind das nach der TI reale Zustände eines QM-Systems? Und wann ist dann ein QM-System in einem solchen Zustand?
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 12. Feb 2021 19:01    Titel: Antworten mit Zitat

Qubit hat Folgendes geschrieben:

Da du etwas tiefer mit der TI vertraut bist, interessiert mich mal da:
welche Rolle spielen die Eigenzustände zu einer Observablen?


Eine besondere Rolle fällt mir da nicht ein. Sie beschreiben natürlich Zustände, in denen eine bestimmte Größe objektiv scharfe Werte hat. Als Observable könnte sie im Prinzip also beliebig genau gemessen werden, wenn es ein entsprechendes Meßgerät gibt, das dies leistet. Ansonsten haben Eigenzustände, denke ich, keine besondere Bedeutung. Sie sind allerdings, so wie alle reinen Zustände, nur Idealisierungen.

Zitat:

Sind das nach der TI reale Zustände eines QM-Systems? Und wann ist dann ein QM-System in einem solchen Zustand?


Sie sind im Prinzip so real wie jeder andere Zustand, allerdings besitzt nicht jedes QM-System überhaupt reine Zustände. Das scheint eine nicht sehr bekannte Tatsache aus der algebraischen QFT zu sein. Aber darüber weiß ich sonst nichts. Allerdings bedeutet das zumindest, daß reine Zustände keine fundamentale Bedeutung haben können.

Wann sich ein System in einem Eigenzustand befindet, kann man so allgemein nicht beantworten. Ein abgeschlossenes System folgt innerhalb der TI zu jedem Zeitpunkt der Schrödingergleichung. Also lautet die banale Antwort: wann immer sich aus der Schrödingergleichung ein solcher Zustand ergibt.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18065

Beitrag TomS Verfasst am: 12. Feb 2021 22:07    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Ich glaube erstens nicht, daß es so eindeutig ist, wie du es darstellst. Realisten haben zum Beispiel kein Problem die klassische Elektrodynamik als realistisch einzustufen. (Ich zumindest nicht). Aber bei der Frage ob es die elektromagnetischen Potentiale oder andere eichabhängige Größen in der Realität ebenfalls gibt, können vermutlich einige Realisten uneinig sein.

Also erfordert Realismus nicht zwingend, daß jedes mathematisch Objekt der Theorie in der Realität existiert. Eine realistische Interpretation muß nur sagen, welche dieser Objekte existieren.

Grundsätzlich hast du recht. In der Elektrodynamik würde ich Äquivalenzklassen vom Eichfeldern bzgl. der Eichsymmetrie als Elemente der Realität ansehen, aber eindeutig ist das nicht.

In der Quantenmechanik ist es m.E. zunächst der Zustandsvektor plus der Hamiltonian plus eine Observablenalgebra (wiederum modulo Eichsymmetrien). Im Gegensatz zur klassischen Physik tragen letztere keine Eigenschaften. Bzgl. weiterer abgeleiteter Größen kann man diskutieren.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zweitens -- und das ist der wichtigere Punkt -- trifft es gar nicht zu, daß die TI sich irgendwas wahllos aus dem Formalismus herauspickt. Sie betrachtet im wesentlichen dieselben Elemente der Theorie als real wie auch die MWI, insbesondere jeden Zustand und seine Eigenschaften . Ich kann mir kaum vorstellen, was man innerhalb des QM-Formalismus außerdem als real ansehen könnte.

Womit wir wieder bei dem Punkt sind, dass die Zeitentwicklung des Zustandes in der TI mit der der MWI übereinstimmen muss, und ich deswegen nicht sehe, dass ich einmal den gesamten Zustand realistisch interpretieren kann und ein anders mal nur eine von mehreren möglichen Projektionen; letzteres erschiene mir künstlich und würde eine realistische Interpretation des Zustandes ausschließen. Alternative, man akzeptiert immer den gesamten Zustand, aber damit wäre die TI identisch zur MWI.

Das Problem ist, dass ich genau dazu nichts bei Neumaier lese, was irgendwie weiterhilft.

_________________
Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18065

Beitrag TomS Verfasst am: 13. Feb 2021 08:25    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
... allerdings besitzt nicht jedes QM-System überhaupt reine Zustände. Das scheint eine nicht sehr bekannte Tatsache aus der algebraischen QFT zu sein. Aber darüber weiß ich sonst nichts. Allerdings bedeutet das zumindest, daß reine Zustände keine fundamentale Bedeutung haben können.

Gilt das auch für abgeschlossene Systeme??

_________________
Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 13. Feb 2021 11:44    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zweitens -- und das ist der wichtigere Punkt -- trifft es gar nicht zu, daß die TI sich irgendwas wahllos aus dem Formalismus herauspickt. Sie betrachtet im wesentlichen dieselben Elemente der Theorie als real wie auch die MWI, insbesondere jeden Zustand und seine Eigenschaften . Ich kann mir kaum vorstellen, was man innerhalb des QM-Formalismus außerdem als real ansehen könnte.

Womit wir wieder bei dem Punkt sind, dass die Zeitentwicklung des Zustandes in der TI mit der der MWI übereinstimmen muss,


Ja, und das ist auch definitiv der Fall.

Zitat:

und ich deswegen nicht sehe, dass ich einmal den gesamten Zustand realistisch interpretieren kann und ein anders mal nur eine von mehreren möglichen Projektionen;


Das tut die Thermische Interpretation auch nicht. Sie interpretiert alle Zustände gleich, egal durch welchen Prozeß sie entstanden sind.

(Es scheint immer noch nicht ganz angekommen zu sein, daß ich von einem Wahrscheinlichkeitsmaß auf dem Hilbertraum sprach, nicht von einer Dichtematrix. Es fallen also nicht plötzlich irgendwelche Projektionen eines Zustands aus der Realität.)

Zitat:

letzteres erschiene mir künstlich und würde eine realistische Interpretation des Zustandes ausschließen - außer dass man doch die MWI akzeptiert.


Die Frage was der Zustand mit der Realität zu tun hat, wird von der Thermischen Interpretation völlig unabhängig vom Meßproblem behandelt. Und die Antwort ist selbstverständlich nicht dieselbe wie in der MWI.

Zitat:

Das Problem ist, das sich genau dazu nichts bei Neumaier lese, was irgendwie weiterhilft.


Ich glaube eher das Problem ist, daß du eine falsche Vorstellung hast, was in der Thermischen Interpretation eine Messung ist und wie sie den Meßprozeß physikalisch modelliert. Du denkst anscheinend sie würde das genauso sehen wie die MWI. Das ist aber nicht so. (Was laut TI eine Messung ist und welche Eigenschaften sie hat, wird in dem früher diskutierten Preprint besprochen.)

"Messung", "Meßgerät", Meßprozeß" sind alles Begriffe außerhalb des mathematischen Formalismus der Quantenmechanik. Es ist also durchaus natürlich, daß hier der größte Spielraum für Interpretationsunterschiede ist. (Vermutlich sind diese Begriffe sogar die einzige Basis für Interpretationsstreits.) Die thermische Interpretation weicht in diesem Punkt am weitesten von allen traditionellen Interpretation ab. Sie bestreitet nicht nur die fundamentale Bedeutung der Bornschen Regel, sondern auch daß Meßergebnisse immer Eigenwerte von Operatoren sind. Letzteres unterscheidet sie meines Wissens selbst von der MWI. Das scheint aber nicht der einzige Unterschied zu sein.
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 13. Feb 2021 11:48    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
... allerdings besitzt nicht jedes QM-System überhaupt reine Zustände. Das scheint eine nicht sehr bekannte Tatsache aus der algebraischen QFT zu sein. Aber darüber weiß ich sonst nichts. Allerdings bedeutet das zumindest, daß reine Zustände keine fundamentale Bedeutung haben können.

Gilt das auch für abgeschlossene Systeme??


Ja, die Tatsache hat rein mathematische (algebraische) Gründe, keine physikalischen. Es gibt Observablenalgebren, die keine nichttrivialen Projektoren auf einen Hilbertraum enthalten. Dies gilt bemerkenswerter Weise, soweit ich verstehe, für alle lokalen Observablenalgebren, die von wechselwirkenden Quantenfeldern auf einem nichtleeren Schnitt aus Vorwärts- und Rückwärtslichtkegel erzeugt werden. Dies betrifft also praktisch alle "kausal zugänglichen" Observablen aus allen "interessanten" Quantenfeldtheorien. (Ich bin sicher, diese Darstellung enthält Schnitzer. Wie gesagt, ich weiß darüber so gut wie gar nichts.)

Nicht jede Dichtematrix ist also der Zustand eines offenen Systems, die durch partielle Spurbildung aus einem reinen Zustand erhalten wird. Es sind eher umgekehrt Dichtematrizen die fundamentalen Zustände auch von abgeschlossenen Quantensystemen, und reine Zustände sind nur Idealisierungen für den Fall das ihre Dichtematrix als Projektor aufgefaßt werden kann. Die interessante Konsequenz für die Interpretation der Quantenmechanik ist wohl die Hinfälligkeit der Bornschen Regel. Ohne Projektoren gibt es auch keine "Übergangswahrscheinlichkeiten" .
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18065

Beitrag TomS Verfasst am: 13. Feb 2021 12:04    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
TomS hat Folgendes geschrieben:

Womit wir wieder bei dem Punkt sind, dass die Zeitentwicklung des Zustandes in der TI mit der der MWI übereinstimmen muss,

Ja, und das ist auch definitiv der Fall.

Gut.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Es scheint immer noch nicht ganz angekommen zu sein, daß ich von einem Wahrscheinlichkeitsmaß auf dem Hilbertraum sprach, nicht von einer Dichtematrix. Es fallen also nicht plötzlich irgendwelche Projektionen eines Zustands aus der Realität.

Letzteres ist klar. Sie fallen erst dann heraus, wenn man - warum auch immer - ein Projektionspostulat, d.h. Kollaps o.ä. fordert. Neumaier tut das nicht.

Ersteres ist nicht klar. Du sprachst oben von einem Zustand rho. Ich rede nur über diesen Zustand, noch nicht über das Wahrscheinlichkeitsmaß.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Die Frage was der Zustand mit der Realität zu tun hat, wird von der Thermischen Interpretation völlig unabhängig vom Meßproblem behandelt. Und die Antwort ist selbstverständlich nicht dieselbe wie in der MWI.

Ich glaube eher das Problem ist, daß du eine falsche Vorstellung hast, was in der Thermischen Interpretation eine Messung ist und wie sie den Meßprozeß physikalisch modelliert. Du denkst anscheinend sie würde das genauso sehen wie die MWI. Das ist aber nicht so. (Was laut TI eine Messung ist und welche Eigenschaften sie hat, wird in dem früher diskutierten Preprint besprochen.)

Ok, dann lese ich gerade das falsche Paper ;-)

index_razor hat Folgendes geschrieben:
"Messung", "Meßgerät", Meßprozeß" sind alles Begriffe außerhalb des mathematischen Formalismus der Quantenmechanik. Es ist also durchaus natürlich, daß hier der größte Spielraum für Interpretationsunterschiede ist. (Vermutlich sind diese Begriffe sogar die einzige Basis für Interpretationsstreits.)

Letzteres nein. Du sagtest selbst, eine Interpretation bestünde darin, im Formalismus zu identifizieren, welche mathematischen Artefakte welchen realen Entitäten entsprechen und welche keine Entsprechung haben; außerdem muss man umgekehrt für reale Objekte und Prozesse das Gegenstück in der Mathematik identifizieren. Da stimme ich dir zu. Im Sinne einer realistischen Interpretation empfände ich es als künstlich, nur Wahrscheinlichkeiten, Erwartungswerten, Korrelationen etc. eine Entsprechung in der Realität zuzuordnen, aber genau das ist letztlich Geschmacksache. Ich möchte nur erst mal genau verstehen, ob und wie Neumaier diese Entsprechungen definiert.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Die thermische Interpretation weicht in diesem Punkt am weitesten von allen traditionellen Interpretation ab. Sie bestreitet nicht nur die fundamentale Bedeutung der Bornschen Regel, sondern auch daß Meßergebnisse immer Eigenwerte von Operatoren sind. Letzteres unterscheidet sie meines Wissens selbst von der MWI. Das scheint aber nicht der einzige Unterschied zu sein.

Ich denke, hier sind sich TI um MWI einig. Zumindest fordert die MWI die Entsprechung von Eigenwert und Messwert nicht, sie gesteht jedoch zu, dass dies praktisch relevant ist und deswegen erklärt werden muss.

_________________
Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 13. Feb 2021 14:42    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
TomS hat Folgendes geschrieben:

Womit wir wieder bei dem Punkt sind, dass die Zeitentwicklung des Zustandes in der TI mit der der MWI übereinstimmen muss,

Ja, und das ist auch definitiv der Fall.

Gut.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Es scheint immer noch nicht ganz angekommen zu sein, daß ich von einem Wahrscheinlichkeitsmaß auf dem Hilbertraum sprach, nicht von einer Dichtematrix. Es fallen also nicht plötzlich irgendwelche Projektionen eines Zustands aus der Realität.

Letzteres ist klar. Sie fallen erst dann heraus, wenn man - warum auch immer - ein Projektionspostulat, d.h. Kollaps o.ä. fordert. Neumaier tut das nicht.


In der Tat. Das ist auch der Grund, daß die Zeitentwicklung in der TI und MWI immer denselben Zustand ergibt, natürlich auch während einer Messung.

Zitat:

Ersteres ist nicht klar. Du sprachst oben von einem Zustand rho. Ich rede nur über diesen Zustand, noch nicht über das Wahrscheinlichkeitsmaß.


Im Zusammenhang von Messung sprach ich von einem stochastischen Prozeß. Ein solcher regelt nicht die Zeitentwicklung eines Zustands, sondern einer Wahrscheinlichkeitsverteilung von Zuständen. Bei einer realen Messung ist im Anschluß natürlich immer ein spezifischer Zustand des Meßgeräts realisiert. Und dieser realisierte Zustand beschreibt, laut TI, immer ein Meßgerät mit scharfer Indikatorvariable (also zumindest kleiner q-Unsicherheit), nicht eine Überlagerung von makroskopisch unterscheidbaren Zuständen. Jetzt scheinst du zu glauben, diese Behauptung sei, falls wahr, die Sensation des Jahrhunderts weil sie der Dekohärenz widerspreche oder sowas in der Art. Und das kann ich überhaupt nicht nachvollziehen.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Die Frage was der Zustand mit der Realität zu tun hat, wird von der Thermischen Interpretation völlig unabhängig vom Meßproblem behandelt. Und die Antwort ist selbstverständlich nicht dieselbe wie in der MWI.

Ich glaube eher das Problem ist, daß du eine falsche Vorstellung hast, was in der Thermischen Interpretation eine Messung ist und wie sie den Meßprozeß physikalisch modelliert. Du denkst anscheinend sie würde das genauso sehen wie die MWI. Das ist aber nicht so. (Was laut TI eine Messung ist und welche Eigenschaften sie hat, wird in dem früher diskutierten Preprint besprochen.)

Ok, dann lese ich gerade das falsche Paper ;-)


Welches liest du denn? In Foundations of Quantum Physics, III und IV steht dazu doch eine Menge.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
"Messung", "Meßgerät", Meßprozeß" sind alles Begriffe außerhalb des mathematischen Formalismus der Quantenmechanik. Es ist also durchaus natürlich, daß hier der größte Spielraum für Interpretationsunterschiede ist. (Vermutlich sind diese Begriffe sogar die einzige Basis für Interpretationsstreits.)

Letzteres nein. Du sagtest selbst, eine Interpretation bestünde darin, im Formalismus zu identifizieren, welche mathematischen Artefakte welchen realen Entitäten entsprechen und welche keine Entsprechung haben;


Ja, natürlich. Aber wie wir im Fall der klassischen Physik gesehen haben, gründen sich allein wegen solcher Fragen noch nicht verschiedene Denkschulen, die Glaubenskriege untereinander austragen. Das liegt daran, daß die verwendeten Begriffe alle mathematisch präzise und Bedeutungsnuancen deshalb weitgehend irrelevant sind. Auf den Begriff "Messung" trifft das nicht zu. Der ist vollkommen vage und die Interpretation einer Theorie, die ihn die ihre Grundaussagen aufnimmt ist deshalb ebenfalls vage. Was eine Messung ist, definiert sich letztendlich nur über erfolgreiche Anwendungen der Theorie.

Zitat:

außerdem muss man umgekehrt für reale Objekte und Prozesse das Gegenstück in der Mathematik identifizieren. Da stimme ich dir zu. Im Sinne einer realistischen Interpretation empfände ich es als künstlich, nur Wahrscheinlichkeiten, Erwartungswerten, Korrelationen etc. eine Entsprechung in der Realität zuzuordnen, aber genau das ist letztlich Geschmacksache. Ich möchte nur erst mal genau verstehen, ob und wie Neumaier diese Entsprechungen definiert.


Er ordnet den quantenmechanischen "Erwartungswerten" und "Korrelationen" Entsprechungen in der Realität zu. Aber er interpretiert sie natürlich nicht als statistische Größen, sondern als die objektiven Eigenschaften individueller Systeme. Diese Eigenschaften haben zunächst mal nichts mit Messungen und Meßwerten zu tun. Man könnte sie deshalb einfach als "physikalische Größen" bezeichnen. Diese Zuordnung ist für mich so klar und genauso vollständig, wie die entsprechende Zuordnung in der klassischen Physik. Für dich nicht?

Als nächstes kann man sich dann natürlich fragen welche Implikationen diese Interpretation für reale Messungen hat.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Die thermische Interpretation weicht in diesem Punkt am weitesten von allen traditionellen Interpretation ab. Sie bestreitet nicht nur die fundamentale Bedeutung der Bornschen Regel, sondern auch daß Meßergebnisse immer Eigenwerte von Operatoren sind. Letzteres unterscheidet sie meines Wissens selbst von der MWI. Das scheint aber nicht der einzige Unterschied zu sein.

Ich denke, hier sind sich TI um MWI einig. Zumindest fordert die MWI die Entsprechung von Eigenwert und Messwert nicht, sie gesteht jedoch zu, dass dies praktisch relevant ist und deswegen erklärt werden muss.


Das wäre immer noch ein großer Unterschied zur thermischen Interpretation.

Entscheidend ist, daß die MWI behauptet (oder zumindest impliziert), daß alle Eigenwerte in einer Superposition aus entsprechenden Eigenvektoren Elemente der Realität seien. Wenn dies nicht der Fall wäre, müßte die Realität ja nicht aus je einer "Welt" für jeden Eigenwert bestehen. In der TI ist nur der q-Erwartungswert real. Also existiert in jedem Zustand für jede q-Observable auch nur genau ein einzelner Wert. Deswegen existiert keine Notwendigkeit für viele Welten.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18065

Beitrag TomS Verfasst am: 15. Feb 2021 09:55    Titel: Antworten mit Zitat

Danke, das Folgende macht es klar.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Das [dass die Zeitentwicklung des Zustandes in der TI mit der der MWI übereinstimmen muss] ist auch der Grund, daß die Zeitentwicklung in der TI und MWI immer denselben Zustand ergibt, natürlich auch während einer Messung.

Im Zusammenhang von Messung sprach ich von einem stochastischen Prozeß. Ein solcher regelt nicht die Zeitentwicklung eines Zustands, sondern einer Wahrscheinlichkeitsverteilung von Zuständen. Bei einer realen Messung ist im Anschluß natürlich immer ein spezifischer Zustand des Meßgeräts realisiert. Und dieser realisierte Zustand beschreibt, laut TI, immer ein Meßgerät mit scharfer Indikatorvariable (also zumindest kleiner q-Unsicherheit), nicht eine Überlagerung von makroskopisch unterscheidbaren Zuständen.

Die Frage was der Zustand mit der Realität zu tun hat, wird von der Thermischen Interpretation völlig unabhängig vom Meßproblem behandelt. Und die Antwort ist selbstverständlich nicht dieselbe wie in der MWI.

Die zwei Punkte beinhalten vermeintliche eine Lösung, m.E. jedoch einen logischen Bruch.

Warum sollte es natürlich sein, dass immer nur ein spezifischer Zustand des Meßgeräts realisiert ist? Es erscheint allen Physikern, die im weitesten Sinne rein epistemisch argumentieren und daher - wieder im weitesten Sinne - eine Zustandsreduktion annehmen - „natürlich“. Aber gerade dieser Punkt ist eben nicht natürlich, sondern bedarf einer Begründung (oder bei Fehlen einer Begründung einen Rückzug auf den Postivismus unter dem expliziten Ausschluss einer Begründung).

Die Antwort ist also nicht selbstverständlich eine andere wie die der MWI. Ja, sie ist eine andere, aber nach dem was ich bisher gelesen habe, schweigt die Thermal Interpretation sich dazu aus. Ich bin weiterhin bei ‘t Hooft, Neumaier bleibt diese Antwort schuldig.

_________________
Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 15. Feb 2021 11:37    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Das [dass die Zeitentwicklung des Zustandes in der TI mit der der MWI übereinstimmen muss] ist auch der Grund, daß die Zeitentwicklung in der TI und MWI immer denselben Zustand ergibt, natürlich auch während einer Messung.

Im Zusammenhang von Messung sprach ich von einem stochastischen Prozeß. Ein solcher regelt nicht die Zeitentwicklung eines Zustands, sondern einer Wahrscheinlichkeitsverteilung von Zuständen. Bei einer realen Messung ist im Anschluß natürlich immer ein spezifischer Zustand des Meßgeräts realisiert. Und dieser realisierte Zustand beschreibt, laut TI, immer ein Meßgerät mit scharfer Indikatorvariable (also zumindest kleiner q-Unsicherheit), nicht eine Überlagerung von makroskopisch unterscheidbaren Zuständen.

Die Frage was der Zustand mit der Realität zu tun hat, wird von der Thermischen Interpretation völlig unabhängig vom Meßproblem behandelt. Und die Antwort ist selbstverständlich nicht dieselbe wie in der MWI.

Die zwei Punkte beinhalten vermeintliche eine Lösung, m.E. jedoch einen logischen Bruch.

Warum sollte es natürlich sein, dass immer nur ein spezifischer Zustand des Meßgeräts realisiert ist? Es erscheint allen Physikern, die im weitesten Sinne rein epistemisch argumentieren und daher - wieder im weitesten Sinne - eine Zustandsreduktion annehmen - „natürlich“. Aber gerade dieser Punkt ist eben nicht natürlich, sondern bedarf einer Begründung (oder bei Fehlen einer Begründung einen Rückzug auf den Postivismus unter dem expliziten Ausschluss einer Begründung).


Verstehe ich nicht. Daß jeder Prozeß einen eindeutigen Zustand ergibt, würde man von jeder deterministischen Theorie erwarten. Gerade wenn ich sie realistisch interpretieren will, ist das aber eine absolute Notwendigkeit. Wie sollte denn ein mehrdeutiger Zustand der Realität aussehen? Das ganze hat auch erstmal gar nichts mit Zustandsreduktion zu tun. Auch der nichtreduzierte Zustand ist eindeutig.

Die Frage in bezug auf Meßgeräte ist nur, warum ihr Zustand eine Indikatorvariable mit geringer Unsicherheit ergibt. Das ist eine rein physikalische Frage. (Die makroskopische Anzahl an Freiheitsgraden eines Meßgeräts dürfte hierbei eine besondere Rolle spielen.)

Zitat:

Die Antwort ist also nicht selbstverständlich eine andere wie die der MWI. Ja, sie ist eine andere, aber nach dem was ich bisher gelesen habe, schweigt die Thermal Interpretation sich dazu aus. Ich bin weiterhin bei ‘t Hooft, Neumaier bleibt diese Antwort schuldig.


Welche Antwort denn? Wozu schweigt sie sich aus? Ich dachte es geht um die Frage, was laut TI, der quantenmechanische Zustand mit der Realität zu tun hat. Mit "selbstverständlich" meine ich, daß Neumaier ganz offensichtlich dazu eine andere Antwort vorschlägt als die MWI. Aber die Antwort, die er gibt, ist m.E. ganz eindeutig und verständlich. (Aus meiner Sicht sogar deutlich verständlicher als die MWI.)
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18065

Beitrag TomS Verfasst am: 15. Feb 2021 13:51    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
... die Antwort, die er gibt, ist m.E. ganz eindeutig und verständlich.

Leider gelingt es dir nicht, das rüberzubringen :-(

An der Verwirrung bzgl. eines eindeutigen Zustandes bin aber wohl ich mit schuld.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Daß jeder Prozeß einen eindeutigen Zustand ergibt, würde man von jeder deterministischen Theorie erwarten.

Die Frage in bezug auf Meßgeräte ist nur, warum ihr Zustand eine Indikatorvariable mit geringer Unsicherheit ergibt.

Einerseits sagst du, der Zustand rho zeige in der TI die selbe Zeitentwicklung wie in der MWI (bzw. die in der zugrundeliegenden Dekohärenz), andererseits sagst du, der Zustand habe eine Indikatorvariable mit geringer Unsicherheit. Letzteres steht aber im expliziten Widerspruch zur Dekohärenz. Begründung:

In dem von mir mehrfach genannten Experiment werde ein ein-Photon-Zustand mittels Strahlteiler in zwei räumlich separierte Wellenpakete zerlegt; eine Detektion bei Detektor A bzw. B werde in ein makroskopisches Messergebnis umgewandelt, nämlich

Detektion bei A => Ball mit Impuls +k fliegt in positive x-Richtung
Detektion bei B => Ball mit Impuls -k fliegt in negative x-Richtung

Die reduzierte Dichtematrix gemäß Dekohärenz lautet dann



Da hat zunächst keine relevante Indikatorvariable eine geringer Unsicherheit. Es liegt ein makroskopischer Zustand vor, der zwei Bälle enthält, einer fliegt immer weiter nach links, einer immer weiter nach rechts.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Das ganze hat auch erstmal gar nichts mit Zustandsreduktion zu tun.

Doch, hat es.

Entweder bleiben wir bei diesem Zustand , dann hat keine relevante Indikatorvariable eine geringe Unsicherheit. Oder wir haben eine Indikatorvariable mit geringer Unsicherheit, dann müssen wir uns auf eine der beiden Komponenten für einen der beiden Bälle festlegen.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Wozu schweigt sie sich aus? Ich dachte es geht um die Frage, was laut TI der quantenmechanische Zustand mit der Realität zu tun hat.

Das, was ich bisher gelesen habe, schweigt sich dazu aus - oder ich habe es einfach nicht verstanden - wie und warum man im Zuge einer Beobachtung eines Systems mit zu gelangt, d.h. wieso nur eine Komponente betrachtet wird, beispielsweise für +k.

Kannst du mir auf die Sprünge helfen und den konkreten Absatz zitieren?

_________________
Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
Qubit



Anmeldungsdatum: 17.10.2019
Beiträge: 829

Beitrag Qubit Verfasst am: 15. Feb 2021 17:14    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:

Die Frage in bezug auf Meßgeräte ist nur, warum ihr Zustand eine Indikatorvariable mit geringer Unsicherheit ergibt. Das ist eine rein physikalische Frage. (Die makroskopische Anzahl an Freiheitsgraden eines Meßgeräts dürfte hierbei eine besondere Rolle spielen.)


Soweit ich TI verstehe (aber ich habe mich auch noch nicht sehr intensiv damit beschäftigt), scheint es mir durchaus legitim, den Dichteoperator auch real zu interpretieren. Vor der Messung sagt dies nicht mehr, aber auch nicht weniger aus, was in der minimalen Interpretation gefordert ist. Hier gibt es keinen Widerspruch, hier lässt sich empirisch ja auch gar keine Entscheidung treffen.
Aber in deiner zitierten Aussage sehe ich einen Knackpunkt.
Wenn man die Überlagerung reiner Zustände betrachtet, dann ist dies wiederum ein reiner Zustand. Nach Standardinterpretation gibt es zu diesem reinen Zustand eine von Neumannsche-Projektion auf den gemessenen Eigenzustand. Dies kann man sich vorstellen als Filter auf den Eigenzustand (gemäß der Wahrscheinlichkeit) in Folge einer Messung, völlig unabhängig von Modellen von Wechselwirkungen mit dem Messapparat.
Nun lässt sich zwar auch die Formulierung eines reinen Zustandes mit der Dichtematrix als Kombination von Eigenzuständen betrachten, aber hier gibt es keinen von Neumannschen-Projektor, der in Zuge der Messung eine Reduktion auf den gemessenen Eigenzustand darstellt. Andererseits ist die Darstellung der Messung in der Dichtematrix gerade dieser Eigenzustand. Meines Erachtens ist dann, wenn man die Dichtematrix real interpretiert und nicht nur als Statistik für Ensembles sieht, notwendig, dass man auch einen konkreten Mechanismus für die Wechselwirkung mit der Messapparatur fordern muss und zwar gerade so, dass die Messung einen der Eigenzustände liefert, und dies konform mit der Erfahrung unabhängig von der Natur der Wechselwirkung mit dem Messapparat. Wie auch immer diese Wechselwirkung konkret physikalisch sein mag, sie muss einen Eigenzustand der Uberlagerung der reinen Zustände liefern.
Wenn man Dekoherärenz so betrachtet, dass sie gerade diesen Eigenzustand herausfiltert, so sehe ich doch auch Schwierigkeiten, diesen Mechanismus unabhängig von der Natur der Wechselwirkung mit dem Messapparat auch für die TI durchzuführen. Ich denke vielmehr, ohne auf die physikalische Natur dieser Wechselwirkung einzugehen, ist keine schlüssige Interpretation mit der TI möglich.
Wie sonst willst du erklären, dass der Dichteoperator vor und nach der Messung keine Abbildung aufeinander haben?
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 15. Feb 2021 19:18    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
... die Antwort, die er gibt, ist m.E. ganz eindeutig und verständlich.

Leider gelingt es dir nicht, das rüberzubringen :-(


Ich bin davon ausgegangen, daß dir die Antwort schon bekannt ist. Alles was ich dazu sagen kann, steht hier: https://arxiv.org/abs/1902.10779

Darauf basierte meine ursprüngliche Antwort (an Qubit):

index_razor hat Folgendes geschrieben:

Sie [die Realität] besteht aus Dingen (auf fundamentaler Ebene Quantenfelder) beschrieben durch einen Zustand , dessen Eigenschaften durch die Größen



quantifiziert werden. In der Einteilchenquantenmechanik nennen wir diese Dinge eben "Teilchen" und ihre Eigenschaften sind



Konkreter ist die klassische Mechanik auch nicht. Da sagen wir auch nicht mehr, als daß wir es mit Dingen zu tun haben, denen wir objektive Eigenschaften wie Ort und Impuls zuordnen können.


Ich verstehe immer noch nicht was daran unklar ist. Diese Aussage ist erstmal unabhängig vom Meßproblem. Natürlich ist nicht so offensichtlich, welche Implikationen sie für das Meßproblem hat. Aber dafür hat Neumaier ja auch ein (weiteres) langes Paper geschrieben.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Daß jeder Prozeß einen eindeutigen Zustand ergibt, würde man von jeder deterministischen Theorie erwarten.

Die Frage in bezug auf Meßgeräte ist nur, warum ihr Zustand eine Indikatorvariable mit geringer Unsicherheit ergibt.

Einerseits sagst du, der Zustand rho zeige in der TI die selbe Zeitentwicklung wie in der MWI (bzw. die in der zugrundeliegenden Dekohärenz), andererseits sagst du, der Zustand habe eine Indikatorvariable mit geringer Unsicherheit. Letzteres steht aber im expliziten Widerspruch zur Dekohärenz. Begründung:

In dem von mir mehrfach genannten Experiment werde ein ein-Photon-Zustand mittels Strahlteiler in zwei räumlich separierte Wellenpakete zerlegt; eine Detektion bei Detektor A bzw. B werde in ein makroskopisches Messergebnis umgewandelt, nämlich

Detektion bei A => Ball mit Impuls +k fliegt in positive x-Richtung
Detektion bei B => Ball mit Impuls -k fliegt in negative x-Richtung

Die reduzierte Dichtematrix gemäß Dekohärenz lautet dann




Dieser Zustand beschreibt laut TI nicht den Endzustand eines individuellen Meßgeräts nach einer einzelnen Messung, sondern den mittleren Zustand nach einer Reihe von Messungen an identisch präparierten Systemen in einer verrauschten (oder thermischen) Umgebung, d.h.



In einer einzelnen Messung entsteht jeweils nur einer dieser Zustände . Das ist kein Widerspruch zur Dekohärenz. Sie liefert nur keine vollständige Beschreibung der Situation.


Zitat:

Da hat zunächst keine relevante Indikatorvariable eine geringer Unsicherheit. Es liegt ein makroskopischer Zustand vor, der zwei Bälle enthält, einer fliegt immer weiter nach links, einer immer weiter nach rechts.


Das ist wahr. Es gibt aber auch keinen Grund anzunehmen, daß der Zustand eines individuellen makroskopischen Meßgeräts ist. Wie würdest du das denn prüfen? In der Realität zeigt es ja nun mal immer genau einen der Werte mit großer Sicherheit an. Also kann man nicht so ohne weiteres behaupten dieses liefere eine realistische Beschreibung dieses Meßgeräts. (Um dies trotzdem zu behaupten, muß ja die MWI extra mehere Welten einführen.)

Die Frage lautet jetzt also: Wie kann man physikalisch begründen, daß es nur einen wohldefinierten Wert anzeigt? Oder anders formuliert: wie modelliert man auf realistische Weise, was während einer Messung mit dem Meßgerät passiert?

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Das ganze hat auch erstmal gar nichts mit Zustandsreduktion zu tun.

Doch, hat es.

Entweder bleiben wir bei diesem Zustand , dann hat keine relevante Indikatorvariable eine geringe Unsicherheit. Oder wir haben eine Indikatorvariable mit geringer Unsicherheit, dann müssen wir uns auf eine der beiden Komponenten für einen der beiden Bälle festlegen.


Ja, und letzteres passiert laut TI, d.h. das makroskopische Meßgerät legt sich auf einen definitiven Wert für die Indikatorvariable fest. Das passiert mittels chaotischer, dissipativer, stochastischer Prozesse, aber innerhalb der unitären Dynamik des Gesamtsystems. Mittels welcher Mechanismen solche Prozesse ablaufen können, wird recht grob in Paper III und IV skizziert. Neumaier bezieht sich hauptsächlich auf die Dynamik offener Quantensysteme (mittels stochastischer Gleichungen), einer Analyse von Allahverdyan et al. https://arxiv.org/abs/cond-mat/0203460 und noch einige andere mehr. Ich habe natürlich keinen kompletten Überblick über die gesamte Literatur, nicht mal über einen winzigen Bruchteil davon. Also kann ich dir zu den Einzelheiten nichts sagen. Neumaiers Zusammenfassung klingt aber absolut plausibel für mich.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Wozu schweigt sie sich aus? Ich dachte es geht um die Frage, was laut TI der quantenmechanische Zustand mit der Realität zu tun hat.

Das, was ich bisher gelesen habe, schweigt sich dazu aus - oder ich habe es einfach nicht verstanden - wie und warum man im Zuge einer Beobachtung eines Systems mit zu gelangt, d.h. wieso nur eine Komponente betrachtet wird, beispielsweise für +k.

Kannst du mir auf die Sprünge helfen und den konkreten Absatz zitieren?


Wie und warum etwas passiert ist Frage an ein konkretes Modell. An solchen Modellen entscheidet sich letztlich ob die Interpretation korrekt sein kann, aber sie sind nicht Grundlage ihrer Definition. (Und diese Definition steht im wesentlichen ganz oben in diesem Beitrag.) Neumaier diskutiert selbst auch keine solchen Modelle in aller Ausführlichkeit. Er begründet aber (bezugnehmend auf Resultate anderer Autoren) warum die Eigenschaften von Meßprozessen, innerhalb der TI, vollkommen konsistent mit unseren klassischen Erwartungen sein können.

Ich kann keine konkreten Absätze zitieren, aber die Abschnitte angeben, die ich relevant finde. Leider sind Preprints und Buch ganz unterschiedlich organisiert und in den Preprints fehlen wohl auch einige Kapitel.

Im Buch relevant fand ich: 11.6 Chaos, Randomness, and Quantum measurement, 11.7 The statistical mechanics of definite, discrete events, 11.8 Dissipation, bistability, and Born's rule. Außerdem 10.1 Objective properties and their measurement, 10.3 A single qubit as a subsystem of the universe, 10.4 The emergence of Born's rule (beschreibt ein Experiment ganz ähnlich zu deinem), 10.5 Relations to decoherence (existiert glaube ich in den Preprints nicht. Aber das wesentliche kann man sich aus dem Inhalt von 10.4 erschließen)

Ich gucke nochmal ob die Überschriften übereinstimmen. Aber die aus Kap 11. sind glaube ich alle leicht im Paper III zu finden, inklusive der oben genannten Quellen.
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 15. Feb 2021 19:49    Titel: Antworten mit Zitat

Qubit hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:

Die Frage in bezug auf Meßgeräte ist nur, warum ihr Zustand eine Indikatorvariable mit geringer Unsicherheit ergibt. Das ist eine rein physikalische Frage. (Die makroskopische Anzahl an Freiheitsgraden eines Meßgeräts dürfte hierbei eine besondere Rolle spielen.)


Soweit ich TI verstehe (aber ich habe mich auch noch nicht sehr intensiv damit beschäftigt), scheint es mir durchaus legitim, den Dichteoperator auch real zu interpretieren.


Ja das ist sicher legitim. Schließlich ist er es, der alle objektiven Eigenschaften hat.

Zitat:

Vor der Messung sagt dies nicht mehr, aber auch nicht weniger aus, was in der minimalen Interpretation gefordert ist.


Die minimale Interpretation behauptet nicht, daß q-Erwartungswerte reale Eigenschaften individueller Systeme sind. Die TI behauptet genau das. Laut minimaler Interpretation liefert jede Messung eine gute Approximation eines Eigenwerts einer q-Observablen. Laut TI liefert eine Messung i.a. nur eine schlechte Approximation des q-Erwartungswertes einer q-Observablen.

Zitat:

Hier gibt es keinen Widerspruch, hier lässt sich empirisch ja auch gar keine Entscheidung treffen.


Trotzdem gibt es sehr viele Widersprüche zwischen TI und orthodoxer Interpretation.

Zitat:

Aber in deiner zitierten Aussage sehe ich einen Knackpunkt.
Wenn man die Überlagerung reiner Zustände betrachtet, dann ist dies wiederum ein reiner Zustand. Nach Standardinterpretation gibt es zu diesem reinen Zustand eine von Neumannsche-Projektion auf den gemessenen Eigenzustand. Dies kann man sich vorstellen als Filter auf den Eigenzustand (gemäß der Wahrscheinlichkeit) in Folge einer Messung, völlig unabhängig von Modellen von Wechselwirkungen mit dem Messapparat.


Ob irgendetwas als "Filter" fungiert ist doch nicht unabhängig von Modellen von Wechselwirkungen.

Zitat:

Nun lässt sich zwar auch die Formulierung eines reinen Zustandes mit der Dichtematrix als Kombination von Eigenzuständen betrachten, aber hier gibt es keinen von Neumannschen-Projektor, der in Zuge der Messung eine Reduktion auf den gemessenen Eigenzustand darstellt. Andererseits ist die Darstellung der Messung in der Dichtematrix gerade dieser Eigenzustand.


Ich verstehe leider überhaupt nicht, was diese beiden Sätze bedeuten sollen.

Zitat:

Meines Erachtens ist dann, wenn man die Dichtematrix real interpretiert und nicht nur als Statistik für Ensembles sieht, notwendig, dass man auch einen konkreten Mechanismus für die Wechselwirkung mit der Messapparatur fordern muss und zwar gerade so,


Nein, das muß man nur, wenn man den Meßprozeß beschreiben will, nicht um den Zustand zu interpretieren.

Zitat:

dass die Messung einen der Eigenzustände liefert, und dies konform mit der Erfahrung unabhängig von der Natur der Wechselwirkung mit dem Messapparat.


Das könnte ein Modell vielleicht so ergeben. Aber notwendig ist das nicht. Notwendig ist nur, daß der Zustand eine signifikante Indikatorvariable besitzt. Das kann z.B. die Temperatur im Zustand sein. Dieser ist aber kein Eigenzustand zu irgendeinem Temperaturoperator.


Zitat:

Wie auch immer diese Wechselwirkung konkret physikalisch sein mag, sie muss einen Eigenzustand der Uberlagerung der reinen Zustände liefern.


Was soll ein "Eigenzustand der Überlagerung der reinen Zustände sein"? Und wieso muß eine Wechselwirkung ihn ergeben?

Zitat:

Wenn man Dekoherärenz so betrachtet, dass sie gerade diesen Eigenzustand herausfiltert, so sehe ich doch auch Schwierigkeiten, diesen Mechanismus unabhängig von der Natur der Wechselwirkung mit dem Messapparat auch für die TI durchzuführen. Ich denke vielmehr, ohne auf die physikalische Natur dieser Wechselwirkung einzugehen, ist keine schlüssige Interpretation mit der TI möglich.
Wie sonst willst du erklären, dass der Dichteoperator vor und nach der Messung keine Abbildung aufeinander haben?


Ich verstehe absolut nicht, was das alles bedeuten soll. Deswegen kann ich die Frage nicht sinnvoll beantworten.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18065

Beitrag TomS Verfasst am: 16. Feb 2021 08:42    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Detektion bei A => Ball mit Impuls +k fliegt in positive x-Richtung
Detektion bei B => Ball mit Impuls -k fliegt in negative x-Richtung

Die reduzierte Dichtematrix gemäß Dekohärenz lautet dann



Dieser Zustand beschreibt laut TI nicht den Endzustand eines individuellen Meßgeräts nach einer einzelnen Messung, sondern den mittleren Zustand nach einer Reihe von Messungen an identisch präparierten Systemen in einer verrauschten (oder thermischen) Umgebung, d.h.



In einer einzelnen Messung entsteht jeweils nur einer dieser Zustände . Das ist kein Widerspruch zur Dekohärenz. Sie liefert nur keine vollständige Beschreibung der Situation.

Es gibt aber ... keinen Grund anzunehmen, daß der Zustand eines individuellen makroskopischen Meßgeräts ist. Wie würdest du das denn prüfen? In der Realität zeigt es ja nun mal immer genau einen der Werte mit großer Sicherheit an. Also kann man nicht so ohne weiteres behaupten dieses liefere eine realistische Beschreibung dieses Meßgeräts. (Um dies trotzdem zu behaupten, muß ja die MWI extra mehere Welten einführen.)

Wenn du mit einer im weitesten Sinne stochastischen oder Ensemble-artigen Erklärung zufrieden bist, dann ist dazu natürlich nichts weiter zu sagen. Das folgende bezieht sich daher ausschließen auf Kritikpunkte, die entstehen, wenn man damit nicht zufrieden ist.


Es ist eine Tatsache, dass dies [Ensemble-artige Interpretationen] eben genau keine vollständige und realistische Beschreibung eines einzelnen Systems liefert, obwohl wir es in der Praxis auch mit einzelnen Systemen zu tun haben.

In gewisser Weise beinhalten beide Zugänge jeweils eine ad hoc Annahme:
A) man kann ein singuläres System inklusive Messprozess quantenmechanisch und realistisch beschreiben; der Zustandsvektor (der Dichteoperator) beschreibt in zutreffender Weise Vorgänge in diesem einen System.
B) man kann ein singuläres System inklusive Messprozess nicht vollumfänglich quantenmechanisch und zugleich realistisch beschreiben; der resultierende Zustandsvektor (oder Dichteoperator) beschreibt lediglich ein Ensemble; die Auswahl der im Einzelfall zutreffenden Komponente wird nicht vom Formalismus determiniert.

(A) führt zur Many-Worlds-Interpretation mit all ihren Problemen.
(B) führt zu Ensemble-artigen Interpretationen, mithin nicht zu einer vollständigen und realistischen Beschreibung einzelner Systeme.

“Um dies trotzdem zu behaupten, muß ja die MWI extra mehere Welten einführen” ist genau nicht das wesentliche Problem der MWI, denn sie führt diese Welten nicht ein, sie akzeptiert lediglich, dass der Formalismus diese Komponenten vorhersagt. Und zum Vermeiden der vielen Welten müssen andere Interpretation Komponenten ignorieren. Beides sind letztlich nicht weiter hinterfragbare Annahmen; erstere ist Zustands-ontologisch motiviert, letztere epistemisch.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Ja, und letzteres passiert laut TI, d.h. das makroskopische Meßgerät legt sich auf einen definitiven Wert für die Indikatorvariable fest.

Es ist schon klar, dass das - sehr interessante - Paper https://arxiv.org/abs/cond-mat/0203460 alleine dies nicht zeigt. Das Resultat der “stochastischen Prozesse ... innerhalb der unitären Dynamik des Gesamtsystems” in diesem Paper ist eine Dichtematrix mit mehreren Komponenten.

Das Paper analysiert sehr schön die Struktur der einzelnen Komponenten in (2) sowie das Verschwinden der nicht-klassischen Terme. Zuletzt bleibt jedenfalls (2) übrig. Nun führt der Physiker eine Messung durch, liest das Ergebnis ab, und wählt daraufhin die Komponente in (2) aus, die dem Messergebnis entspricht. Der Formalismus leistet dies nicht, er erklärt also genau nicht, dass und wie eine einzelne Komponente resultiert. Insofern ja “das makroskopische Meßgerät legt sich auf einen definitiven Wert für die Indikatorvariable fest”, jedoch erklärt der Formalismus nicht, wie das erfolgt; er erklärt lediglich, welches Ensemble zulässig ist.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Die Frage lautet jetzt also: Wie kann man physikalisch begründen, daß es nur einen wohldefinierten Wert anzeigt? Oder anders formuliert: wie modelliert man auf realistische Weise, was während einer Messung mit dem Meßgerät passiert?

Genau das ist die Frage, und genau darauf bietet das Paper keine Antwort. Und ich verstehe dich so, dass die TI in Summe auch nicht mehr leistet als in diesem Paper exemplarisch gezeigt wird. Das bedeutet insbs., dass die TI nicht begründet, dass das Messgerät nur einen wohldefinierten Wert anzeigt - nicht mehr als von Neumann. Ob man dann behaupten kann, sie würde in realistischer Weise modellieren, was während einer Messung mit dem Meßgerät passiert, ist ebenfalls fraglich. Es hat sicher den Anschein, aber wenn die TI die Selektion eines wohldefinierten Wertes gerade nicht modelliert, dann ist sie zumindest in dieser Hinsicht nicht realistisch.

Man könnte das Paper übrigens problemlos im Sinne der MWI interpretieren.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Das ganze hat auch erstmal gar nichts mit Zustandsreduktion zu tun.

Doch, hat es.

Der Physiker reduziert den Zustand (2) nach Messung auf eine ausgewählte Komponente aus (2) um sagen zu können, dass diese das Ergebnis dieser einen singulären Messung beschreibt. Oder anders formuliert: Der Physiker wählt nach Messung eine Komponente aus den “Ensemble” (2) ...

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Wozu schweigt sie sich aus? Ich dachte es geht um die Frage, was laut TI der quantenmechanische Zustand mit der Realität zu tun hat.

Sie schweigt sich dazu aus, was in der Realität mit einem einzelnen System - nicht mit einem Ensemble - tatsächlich geschieht. Bzw. sie schweigt sich dazu aus, wie die Selektion der Komponente anders erklärt wird als “der Physiker wählt sie anhand des Messergebnisses aus”. In wie weit also der Dichteoperator im Rahmen einer Ensemble-artigen TI etwas mit dem realen Zustand eines einzelnen Systems zu tun hat, bleibt im Wesentlichen offen.

Zwar funktioniert dies bzgl. der mathematischen Details anders als beim von Neumannschen Kollaps, im Kern hat sich jedoch nichts geändert: nicht der Formalismus erklärt, welches einzelne Messergebnis wir warum messen und welchen Zustand wir erhalten, sondern nur die reale Messung zeigt Messergebnis, der Physiker ist verantwortlich für die Wahl des zugehörigen Endzustandes.

Die TI präzisiert den skizzenhaften Ansatz von Neumanns deutlich, aber sie lässt diesen entscheidenden Punkt offen.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Wie und warum etwas passiert ist Frage an ein konkretes Modell. An solchen Modellen entscheidet sich letztlich ob die Interpretation korrekt sein kann, aber sie sind nicht Grundlage ihrer Definition. (Und diese Definition steht im wesentlichen ganz oben in diesem Beitrag.) Neumaier diskutiert selbst auch keine solchen Modelle in aller Ausführlichkeit. Er begründet aber (bezugnehmend auf Resultate anderer Autoren) warum die Eigenschaften von Meßprozessen, innerhalb der TI, vollkommen konsistent mit unseren klassischen Erwartungen sein können.

Wenn man die Anwendung der QM im o.g. Sinn auf Ensembles beschränkt, dann ist das natürlich völlig in Ordnung.

Ich sehe übrigens keinen prinzipiellen Unterschied zur Dekohärenz, für mich erscheint das eher ein technisches Detail zu sein. Möglicherweise übersehe ich jedoch etwas wesentliches. Andererseits sollte dies für unsere Diskussion keine große Rolle spielen.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Im Buch relevant fand ich: 11.6 Chaos, Randomness, and Quantum measurement, 11.7 The statistical mechanics of definite, discrete events, 11.8 Dissipation, bistability, and Born's rule. Außerdem 10.1 Objective properties and their measurement, 10.3 A single qubit as a subsystem of the universe, 10.4 The emergence of Born's rule (beschreibt ein Experiment ganz ähnlich zu deinem), 10.5 Relations to decoherence (existiert glaube ich in den Preprints nicht. Aber das wesentliche kann man sich aus dem Inhalt von 10.4 erschließen)

Ich gehe davon aus, dass alle diese Beispiele im o.g. Sinne für Ensembles zutreffen, jedoch keine weitere Erklärung für den von mir genannten offenen Punkt bereithalten, richtig?

Yes, I know how to calculate the most likely results of any experiment if someone gives me the Hamiltonian. But what is it that actually happened [in one single experiment]. That’s the dodged question.
Gerard t'Hooft

_________________
Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
Feymann
Gast





Beitrag Feymann Verfasst am: 16. Feb 2021 12:29    Titel: Antworten mit Zitat

Da hab ich ja was losgetreten mit meiner Frage im ersten Thema Big Laugh

3 Themen mit Seiten voller Fachidioten die anscheinend sehr viel Freizeit haben.

Aber sehr interessant, die Diskussion zu überfliegen.

Dann werfe ich jetzt erneut in den Raum:

Schrödingers Katze ist ein Witz!
Um die Absurdität der Quantenwelt zu veranschaulichen, hat Schrödinger diesen Vergleich herangezogen. Nicht mehr, nicht weniger. Alles was tiefer geht, verstehen wir doch heute nicht mal richtig.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18065

Beitrag TomS Verfasst am: 16. Feb 2021 13:41    Titel: Antworten mit Zitat

Nun, wir - die Fachidioten - d.h. nicht unbedingt du - ... - verstehen inzwischen sehr gut, dass beide, d.h. Bohr und Schrödinger bzgl. der Bewertung des Gedankenexperimentes ein Stück weit falsch lagen.

Es ist durchaus lehrreich, sich den Dialog zwischen Schrödinger und Bohr mal durchzulesen. Bohr feste Überzeugung - die die Debatte ca. drei bis vier Jahrzehnte gedeckelt hat - nämlich dass die Quantenmechanik prinzipiell nichts über die Messung und die dabei beobachteten Größen aussagen könne, ist schlicht falsch. Das zeigt die Dekohärenz nach Zeh, Zurek et al. sowie offenbar auch andere Ansätze wir die Thermal Interpretation. Dabei müssen wir das Problem noch nicht mal vollständig verstanden haben, um zu erkennen, wo Bohr sicher falsch lag.

D.h. aber auch, dass Schrödinger gewissermaßen erfolgreich war - wenn auch anders als von ihm beabsichtigt. Sein Gedankenexperiment ist immer noch relevant, wenn es darum geht, Interpretationen der Quantenmechanik einordnen oder bewerten zu können.

Insofern danke für deinen provokanten Beitrag, der sich sowohl einmal im Ton vergreift als auch sachlich nicht zutreffend ist.

_________________
Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 16. Feb 2021 19:02    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:

Dieser Zustand beschreibt laut TI nicht den Endzustand eines individuellen Meßgeräts nach einer einzelnen Messung, sondern den mittleren Zustand nach einer Reihe von Messungen an identisch präparierten Systemen in einer verrauschten (oder thermischen) Umgebung, d.h.



In einer einzelnen Messung entsteht jeweils nur einer dieser Zustände . Das ist kein Widerspruch zur Dekohärenz. Sie liefert nur keine vollständige Beschreibung der Situation.

Es gibt aber ... keinen Grund anzunehmen, daß der Zustand eines individuellen makroskopischen Meßgeräts ist. Wie würdest du das denn prüfen? In der Realität zeigt es ja nun mal immer genau einen der Werte mit großer Sicherheit an. Also kann man nicht so ohne weiteres behaupten dieses liefere eine realistische Beschreibung dieses Meßgeräts. (Um dies trotzdem zu behaupten, muß ja die MWI extra mehere Welten einführen.)

Wenn du mit einer im weitesten Sinne stochastischen oder Ensemble-artigen Erklärung zufrieden bist, dann ist dazu natürlich nichts weiter zu sagen. Das folgende bezieht sich daher ausschließen auf Kritikpunkte, die entstehen, wenn man damit nicht zufrieden ist.


Ich bin nicht mit einer "im weitesten Sinne" stochastischen Erklärung zufrieden. Nur mit einer, die das reale stochastische Verhalten von makroskopischen Systemen beschreibt.

Ich denke du hast schon eine völlig verkehrte Sicht auf das Problem. Deswegen erkennst du nicht, wie eine mögliche Lösung aussehen kann. Es geht gar nicht darum zu erklären, wie ein makroskopisches System in einem eindeutigen Zustand landet. Denn dazu müßte man von einem eindeutigen Anfangszustand und vollständiger Kenntnis der Dynamik ausgehen. Beides ist aber nicht vorhanden, und zwar aus Gründen, die nicht das geringste mit der Interpretation zu tun haben. (Der Zustand des Meßgeräts ist nur durch relativ wenige makroskopischer Parameter spezifiziert. Alle mit diesen Parametern verträglichen Mikrozustände definieren ein klassisches Ensemble.)

Was wir tatsächlich erklären müssen, ist das stochastische Verhalten realer Meßgeräte unter den Bedingungen, die wir tatsächlich im Experiment kontrollieren können. Und das ist möglich, selbst unter der Annahme, daß das System zu jedem Zeitpunkt in einem wohldefinierten Zustand ist. Das ist ganz offensichtlich, denn genau dasselbe tun wir ja auch in der klassischen Theorie.

Das einzige, was wir dann noch zeigen müssen, ist, daß jeder dieser möglichen Zustände einen scharfen Wert für eine Variable aufweist, die zuverlässig mit der zu messenden Eigenschaft korreliert. (Das ist, denke ich, aus Neumaiers Sicht das Hauptresultat von Allahverdyan et al.)

Zitat:

Es ist eine Tatsache, dass dies [Ensemble-artige Interpretationen] eben genau keine vollständige und realistische Beschreibung eines einzelnen Systems liefert, obwohl wir es in der Praxis auch mit einzelnen Systemen zu tun haben.


Die Tatsache ist irrelevant, weil wir nicht von einer "ensembleartigen Interpretation" sprechen. Wir dürfen aber trotzdem im Rahmen eines konkreten Modells Ensembles benutzen ohne deshalb unseren Anspruch an Realismus aufgeben zu müssen. Darum geht es. Es ist überhaupt nicht erforderlich, daß diese, ich nenne sie mal, "realistischen Ensembles" eine vollständige Beschreibung des Systems liefern, wenn die tatsächlich beobachteten (stochastischen) Eigenschaften dieser Systeme gerade zum Teil auf unsere unvollständigen Kenntnisse ihres Zustands zurückzuführen sind.

Zitat:

In gewisser Weise beinhalten beide Zugänge jeweils eine ad hoc Annahme:
A) man kann ein singuläres System inklusive Messprozess quantenmechanisch und realistisch beschreiben; der Zustandsvektor (der Dichteoperator) beschreibt in zutreffender Weise Vorgänge in diesem einen System.
B) man kann ein singuläres System inklusive Messprozess nicht vollumfänglich quantenmechanisch und zugleich realistisch beschreiben; der resultierende Zustandsvektor (oder Dichteoperator) beschreibt lediglich ein Ensemble; die Auswahl der im Einzelfall zutreffenden Komponente wird nicht vom Formalismus determiniert.

(A) führt zur Many-Worlds-Interpretation mit all ihren Problemen.


Nicht zwangsläufig, zumindest soviel steht fest. Die TI ist nicht schlechter definiert als die MWI. Und sie interpretiert die Quantenmechanik als realistische Beschreibung einzelner Systeme. Man kann natürlich nicht beweisen, daß alle ihre Behauptungen stimmen und alle offenen Probleme lösbar sind, aber das kann die MWI auch nicht. Die offensichtlichen Probleme, die du ihr andichtest, hat sie aber nicht.

Zitat:

(B) führt zu Ensemble-artigen Interpretationen, mithin nicht zu einer vollständigen und realistischen Beschreibung einzelner Systeme.

“Um dies trotzdem zu behaupten, muß ja die MWI extra mehere Welten einführen” ist genau nicht das wesentliche Problem der MWI, denn sie führt diese Welten nicht ein, sie akzeptiert lediglich, dass der Formalismus diese Komponenten vorhersagt. Und zum Vermeiden der vielen Welten müssen andere Interpretation Komponenten ignorieren.


Die TI ignoriert keine Komponenten des quantenmechanischen Zustands. Und sie interpretiert diesen Zustand nicht als Beschreibung eines Ensembles. Bitte akzeptiere mal für die folgende Diskussion diesen beiden Axiome und behaupte nicht, daß sie irgendwelche Komponenten ignorieren muß.

Daraus folgt nun anscheinend für dich, daß sie nicht in der Lage ist, den Meßprozeß richtig zu beschreiben, weil du offenbar davon ausgehst "aus dem Formalismus" folge, daß der Endzustand des Meßgeräts in jedem Einzelfall, und nicht nur im Mittel die Form



hat. Die ganze Basis für diese Behauptung ist aber, daß du diesen Zustand so postuliert hast. Es besteht natürlich keine Frage, daß man diesen Zustand aus einigen Modellen ableiten kann. Aber es ist zweifelhaft, daß diese Modelle alle wesentlichen Eigenschaften realer makroskopischer Körper beinhalten. Dein Modell ist nicht mal detailliert genug um zu erkennen, daß das an das Photon gekoppelte System tatsächlich ein makroskopischer Ball ist. Wenn du es nicht gesagt hättest, wüßte man es gar nicht und es könnte auch einfach ein weiteres mikroskopisches Teilchen sein. Die Behauptung alle deine Aussagen folgen allein "aus dem Formalismus" ist damit hinfällig.

Zitat:

Beides sind letztlich nicht weiter hinterfragbare Annahmen; erstere ist Zustands-ontologisch motiviert, letztere epistemisch.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Ja, und letzteres passiert laut TI, d.h. das makroskopische Meßgerät legt sich auf einen definitiven Wert für die Indikatorvariable fest.

Es ist schon klar, dass das - sehr interessante - Paper https://arxiv.org/abs/cond-mat/0203460 alleine dies nicht zeigt.


Das soll es doch auch nicht zeigen. Das ist eine mögliche Interpretation dieses Ergebnisses. Es ist nicht selbstverständlich, daß es solche Interpretationen gibt.

Zitat:

Das Resultat der “stochastischen Prozesse ... innerhalb der unitären Dynamik des Gesamtsystems” in diesem Paper ist eine Dichtematrix mit mehreren Komponenten.


Das Resultat eines stochastischen Prozesses ist eine Wahrscheinlichkeitsverteilung über Zustände. Nur der mittlere Zustand ist eine Dichtematrix. Ich habe keine Ahnung, was du erwartest. Ein "Ensemble" mit delta-förmiger Wahrscheinlichkeit und nur einem eindeutigen Endzustand? Das könnte doch gar nicht korrekt sein. (Denn es beschreibt ein "Meßgerät", das immer denselben Wert anzeigt.) Es geht nur darum, daß wir dieses Ensemble so interpretieren können, daß jedes reale Meßgerät in einem der möglichen Zustände ist. Das ist nicht selbstverständlich.

Es funktioniert z.B. in deinem Beispiel nicht, wenn die selektierte Basis wäre. Daß dieser Fall nicht auftritt, hast du natürlich nicht gezeigt, sondern einfach postuliert.

Zitat:

Das Paper analysiert sehr schön die Struktur der einzelnen Komponenten in (2) sowie das Verschwinden der nicht-klassischen Terme. Zuletzt bleibt jedenfalls (2) übrig. Nun führt der Physiker eine Messung durch, liest das Ergebnis ab, und wählt daraufhin die Komponente in (2) aus, die dem Messergebnis entspricht. Der Formalismus leistet dies nicht, er erklärt also genau nicht, dass und wie eine einzelne Komponente resultiert. Insofern ja “das makroskopische Meßgerät legt sich auf einen definitiven Wert für die Indikatorvariable fest”, jedoch erklärt der Formalismus nicht, wie das erfolgt; er erklärt lediglich, welches Ensemble zulässig ist.


Also damit ich das richtig verstehe: Du bist erst zufrieden, wenn dir jemand detailliert in einem realistischen Modell eines makroskopischen Meßprozesses vorrechnet, wie aus der Dynamik des Meßgeräts ein einzelner Zustand mit der Eigenschaft "auf der Anzeige steht der Wert 42" herauspurzelt? Und das vermutlich noch für jeden möglichen Meßwert.

Du erwartest also die komplette Spezifikation des Initialzustandes und eine komplette Berücksichtigung aller Freiheitsgrade eines makroskopischen Systems, anstatt, wie sonst in diesem Fall üblich, eine stochastische Beschreibung des Anfangszustands mittels einer Wahrscheinlichkeitsverteilung, coarse-graining über hochfrequente Moden etc.?

Und solange dies nicht vorliegt, behauptest du einfach "der Formalismus" leiste dies nicht.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Die Frage lautet jetzt also: Wie kann man physikalisch begründen, daß es nur einen wohldefinierten Wert anzeigt? Oder anders formuliert: wie modelliert man auf realistische Weise, was während einer Messung mit dem Meßgerät passiert?

Genau das ist die Frage, und genau darauf bietet das Paper keine Antwort.


Ich hatte schon bereut, dieses spezielle Paper erwähnt zu haben, weil ich genau befürchtet hatte, daß du nun annimmst alle Antworten stünden darin (auf 5 Seiten). Nein, das Argument steht nicht vollständig in dem Paper. (Das wäre auch seltsam, wenn Neumaier selbst knapp 40 Seiten dafür benötigt.) Es steht m.E. ziemlich vollständig in den gestern von mir angegebenen Abschnitten. Allerdings wird dort für viele unbewiesene Aussagen auf weitere Literatur verwiesen. (Auf das Paper lediglich für einen relevanten Aspekt.)

Zitat:

Und ich verstehe dich so, dass die TI in Summe auch nicht mehr leistet als in diesem Paper exemplarisch gezeigt wird. Das bedeutet insbs., dass die TI nicht begründet, dass das Messgerät nur einen wohldefinierten Wert anzeigt - nicht mehr als von Neumann.


Doch, sie begründet, daß es nur einen einzigen Wert anzeigt. Aber kein realistisches Modell kann dir bei der Messung einer unsicheren Größe vorhersagen, welcher Wert das sein wird. Das ist genausowenig ein philosophisches Problem, wie die Unzuverlässigkeit der Wettervorhersage. Und letzteres ist mit Sicherheit kein Problem für die Interpretation der klassischen Mechanik.

Zitat:

Ob man dann behaupten kann, sie würde in realistischer Weise modellieren, was während einer Messung mit dem Meßgerät passiert, ist ebenfalls fraglich. Es hat sicher den Anschein, aber wenn die TI die Selektion eines wohldefinierten Wertes gerade nicht modelliert, dann ist sie zumindest in dieser Hinsicht nicht realistisch.


Da wir hier über Modelle makroskopischer Systeme reden, ist das ein völlig unhaltbarer Standpunkt.

Zitat:

Man könnte das Paper übrigens problemlos im Sinne der MWI interpretieren.


Und das bezweifelt keiner.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Das ganze hat auch erstmal gar nichts mit Zustandsreduktion zu tun.

Doch, hat es.

Der Physiker reduziert den Zustand (2) nach Messung auf eine ausgewählte Komponente aus (2) um sagen zu können, dass diese das Ergebnis dieser einen singulären Messung beschreibt. Oder anders formuliert: Der Physiker wählt nach Messung eine Komponente aus den “Ensemble” (2) ...


Ich vermute mal, das ist eine metaphorische Beschreibung und du meinst nicht wörtlich, daß irgendein Physiker hier etwas "auswählt". Allerdings ist mir auch die metaphorische Bedeutung unklar. "Der Physiker" hat mit dem ganzen nämlich gar nichts zu tun.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Wozu schweigt sie sich aus? Ich dachte es geht um die Frage, was laut TI der quantenmechanische Zustand mit der Realität zu tun hat.

Sie schweigt sich dazu aus, was in der Realität mit einem einzelnen System - nicht mit einem Ensemble - tatsächlich geschieht.


Du verwechselst einige Aussagen über die Behandlung makroskopischer Systeme mit den Grundaussagen der Interpretation. Das macht die Diskussion unglaublich schwierig. In den Grundaussagen kommen keine Ensembles vor. Sie kommen nur da vor, wo sie ohnehin benötigt werden: bei makroskopischen Systemen.

Wenn das tatsächlich ein Problem wäre, dann wäre es auch eins für die MWI. Dekohärenzeffekte basieren doch auch auf zufälligen Umgebungseinflüssen, also auf einem Ensemble von möglichen Umgebungszuständen.

Zitat:

Bzw. sie schweigt sich dazu aus, wie die Selektion der Komponente anders erklärt wird als “der Physiker wählt sie anhand des Messergebnisses aus”. In wie weit also der Dichteoperator im Rahmen einer Ensemble-artigen TI etwas mit dem realen Zustand eines einzelnen Systems zu tun hat, bleibt im Wesentlichen offen.


Nochmal, dieser Dichteoperator beschreibt den mittleren Zustand eines klassischen Ensembles. Und ein solches Ensemble hat dasselbe mit einem einzelnen System zu tun, wie z.B. das kanonische Ensemble mit einem einzelnen Gasbehälter. Was ist denn daran so schwer zu begreifen? Ich habe dich schonmal gefragt ob du die klassische statistische Thermodynamik auch nicht realistisch findest. Ich glaube das hast du verneint. Warum soll also plötzlich in der Quantenmechanik eine völlig analoge Beschreibung nicht mehr realistisch sein?

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Wie und warum etwas passiert ist Frage an ein konkretes Modell. An solchen Modellen entscheidet sich letztlich ob die Interpretation korrekt sein kann, aber sie sind nicht Grundlage ihrer Definition. (Und diese Definition steht im wesentlichen ganz oben in diesem Beitrag.) Neumaier diskutiert selbst auch keine solchen Modelle in aller Ausführlichkeit. Er begründet aber (bezugnehmend auf Resultate anderer Autoren) warum die Eigenschaften von Meßprozessen, innerhalb der TI, vollkommen konsistent mit unseren klassischen Erwartungen sein können.

Wenn man die Anwendung der QM im o.g. Sinn auf Ensembles beschränkt, dann ist das natürlich völlig in Ordnung.


Wenn du meinst die TI würde sich auf Ensembles beschränken, dann können wir wohl die Diskussion des Meßprozesses vorerst vergessen. Es hat einfach keinen Sinn über die Implikation der TI für ein so kompliziertes Problem zu reden, wenn dir die Grundaussagen dieser Interpretation völlig unklar sind. Vielleicht ist es ja besser, wir konzentrierten uns zunächst auf die Definition dieser Interpretation und verschieben das Meßproblem.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Im Buch relevant fand ich: 11.6 Chaos, Randomness, and Quantum measurement, 11.7 The statistical mechanics of definite, discrete events, 11.8 Dissipation, bistability, and Born's rule. Außerdem 10.1 Objective properties and their measurement, 10.3 A single qubit as a subsystem of the universe, 10.4 The emergence of Born's rule (beschreibt ein Experiment ganz ähnlich zu deinem), 10.5 Relations to decoherence (existiert glaube ich in den Preprints nicht. Aber das wesentliche kann man sich aus dem Inhalt von 10.4 erschließen)

Ich gehe davon aus, dass alle diese Beispiele im o.g. Sinne für Ensembles zutreffen, jedoch keine weitere Erklärung für den von mir genannten offenen Punkt bereithalten, richtig?


Aus meiner Sicht hast du keine relevanten Punkte angesprochen, und ich versuche noch immer dir zu erklären, warum ich deinen offenen Punkt für irrelevant halte. Ich weiß nicht, ob das aus einem der zitierten Abschnitte deutlich wird. (Aber ich mußte sie auch mehrmals lesen, bevor ich der Meinung war einigermaßen begriffen zu haben, worum es geht.) Um das herauszufinden schlage ich vor, du liest sie einfach selbst. Dann mußt du von gar nichts ausgehen, und wir können hinterher darüber diskutieren wofür sie Erklärungen bereithalten und wofür nicht.

Zitat:

Yes, I know how to calculate the most likely results of any experiment if someone gives me the Hamiltonian. But what is it that actually happened [in one single experiment]. That’s the dodged question.
Gerard t'Hooft


Und wenn du das noch 10mal zitierst und 20 Nobelpreisträger unterschreiben läßt, es bleibt nur ein Autoritätsargument.
Qubit



Anmeldungsdatum: 17.10.2019
Beiträge: 829

Beitrag Qubit Verfasst am: 16. Feb 2021 22:08    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:

Ich verstehe absolut nicht, was das alles bedeuten soll. Deswegen kann ich die Frage nicht sinnvoll beantworten.


Okay, lass es mich durch ein (semi-) klassisches Bild verdeutlichen. Ich weiss, dass dieses Bild hier und da in dem Zusammenhang Schwächen hat, aber es geht mir erstmal darum, dass Grundproblem, das ich sehe, zu verdeutlichen.

Nehmen wir den Wurf eines (Quanten-) Würfels, der hat 6 Seiten (also Eigenzustände bezüglich der Observablen "Zahl oben").

Wir präperieren den Wurf so, dass der Zustand des Würfels ein reiner Zustand ist. Klassisch könnten wir theoretisch den Ausgang der Messung (Wechselwirkung mit dem Tisch, Würfelseite oben) vollständig berechnen, wir müssten nur alle Randbedingungen kennen. Quantenmechanisch können wir das nicht, da Bell+Co. gezeigt haben, dass es keine verborgene Parameter gibt, die den Zustand des Würfels determinieren.

In der Flugphase dieses Quantenwürfels im reinen Zustand haben wir mehere Interpretationen:

i) wir können sagen, dass sich alle Eigenzustände 1-6 überlagern. Wir können aber nicht "real" sagen, wie der Zustand des Würfels dabei ist. Das können wir erst nach der Messung. (Kopenhagen).

ii) wir können sagen, dass sich alle Eigenzustände 1-6 überlagern. Aber "real" ist nur ein Zustand, den wir dann messen. Die anderen Zustände sind "real" in anderen "Welten" (MWI)

iii) wir können sagen, dass sich alle Eigenzustände 1-6 überlagern. Aber "real" können wir nur den "Erwartungswert" 3.5 dem Würfel zuordnen. Das ist ja schliesslich auch das, was wir dann "statistisch" messen (Messungen unterliegen selbst einer [thermischen] Statistik und wir können "makroskopische" Aussagen letztlich nur statistisch am Ensemble prüfen, da es (immer) eine Wechselwirkung zwischen Messapparatur und "Würfel" gibt). (TI)

Wir haben also einen reinen Zustand des "Würfels" mit unterschiedlichen Interpretationen, was wir "real" bezeichnen können. Empirisch lässt sich da keine Entscheidung treffen.

Jetzt zur Messung (Wechselwirkung mit der Tischplatte):

(i) Einer der Eigenzustände wird (stochastisch) herausgefiltert. Wir wissen nicht welcher und warum, aber wir können es beschreiben als Projektion des Zustandes vor der Messung auf einen Eigenzustand nach der Messung. Diesen Eigenzustand können wir nur als "real" annehmen.

(ii) Einer der Eigenzustände wird relativ zum Beobachter/Messappartur herausgefiltert. Wir wissen nicht welcher und warum, aber wir können es beschreiben als Projekt des Zustandes vor der Messung auf einen Eigenzustand relativ zum Beobachter nach der Messung. Diesen Eigenzustand können wir nur als "real" annehmen bezüglich dem Beobachter, die anderen Eigenzustände sind aber "real" zu Beobachter in anderen "Welten".

(iii) Einer der Eigenzustände wird (stochastisch nach der "thermalen" Interaktion mit der Messapparatur) festgelegt. Wir wissen nicht welcher und warum, aber es hängt mit der "thermischen" Umgebung und mit der Wechselwirkung der Messapparatur zusammen. Allerdings gibt es keine Projektion des Zustandes vor der Messung auf einen Eigenzustand nach der Messung.

bei (iii) kannst du nun behaupten, der Messzustand lässt sich generell nur stochastisch interpretieren, weil es eine "thermische" Koppelung mit der Messapparatur gibt. Der Eigenzustand ergibt sich durch Qm-Zustand+Messapparatur, daher können wir auch hier nur den "Erwartungswert" real interpretieren.

Die Kritik davon unabhängig an der TI ist aber:
Wir messen nun mal einen Eigenzustand einer Observablen an einem einzelnen QM-System. Und in der Interpretation der TI gibt es keine Abbildung des reinen Zustandes vor auf den reinen Zustand nach der Messung. Hierzu ist ein weiterer Mechanismus notwendig, die konkrete Koppelung von Messapparatur und QM-System, eine "physikalische Wechselwirkung".

Die Standardinterpretation und auch die Empirie zeigen aber, dass völlig unabhängig von der konkreten "physikalischen Wechselwirkung" immer nur einer der Eigenzustände vor der Messung in der Messung eines QM-Systems festgestellt wird/werden kann. Diese Information geht aber nach der TI verloren und muss "rekonstruiert" werden. Im "realen" Zustand vor der Messung muss aber also in gewisser Weise dieser gemessene Eigenzustand schon integriert sein.
Qubit



Anmeldungsdatum: 17.10.2019
Beiträge: 829

Beitrag Qubit Verfasst am: 16. Feb 2021 22:59    Titel: Antworten mit Zitat

Und um noch mal den Würfel zu bemühen:

Klassisch wäre es sogar im unwahrscheinlichen Fall denkbar, dass er auf einer Kante landete (vielleicht unter Vakuumbedingungen). Für den quantenmechanischen Würfel ist dieser Zustand aber nicht möglich, da er kein Eigenzustand des Würfels ist.
Die Standardinterpretation und die MWI schliessen diesen Zustand per se aus, es gibt keine Projektion darauf, nur auf Eigenzustände.

Nach der TI müsstest du aber gerade die "physikalische Wechselwirkung" mit dem Messapparat so beschreiben, dass dieser Zustand nicht möglich ist.
Du musst für jede Messung ein konkretes Bild der "physikalischen Wechselwirkung" mit dem Messapparatur bemühen, um dann zu zeigen, dass doch nur einer der Eigenzustände für ein einzelnes QM-System gemessen wird. Und zwar genau nach den quantenmechanischen Wahrscheinlichkeiten.
Interpretierst du es aber nur statistisch mit quantenmechanischen Ensembles, hast du das Problem nicht. Denn dann ist es reine Statistik, ohne "reale" Aussagen über einzelne Zustände.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18065

Beitrag TomS Verfasst am: 17. Feb 2021 00:23    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Ich denke du hast schon eine völlig verkehrte Sicht auf das Problem. Deswegen erkennst du nicht, wie eine mögliche Lösung aussehen kann. Es geht gar nicht darum zu erklären, wie ein makroskopisches System in einem eindeutigen Zustand landet.

Es gibt hier keine “richtige” oder “falsche” Sicht auf diese Probleme; und natürlich erkenne ich mögliche Lösungen. Allerdings gibt es bei Diskussionen zu Interpretationen der Quantenmechanik verschiedene Sichtweisen bzgl. der Relevanz der Probleme und der Schlüssigkeit der Lösungen. Da haben wir eben unterschiedliche Ansichten.

Und ja, es muss tatsächlich nicht darum gehen, ob und wie ein makroskopisches System in einem eindeutigen Zustand landet. Ich neige zum Beispiel der Many-Worlds-Interpretation zu, habe mit Mehrdeutigkeit also kein Problem. Nur - die Thermal Interpretation behauptet von sich selbst, dass sie genau dazu eine Lösung anzubieten habe. Aus Teil III:

Zitat:
The thermal interpretation ... has no explicit collapse – the latter emerges approximately in non-isolated subsystems


Genau diesen Kollaps, der für ein System zu einem eindeutigen Zustand führt - das ist die übliche Bedeutung von Kollaps - erklärt die Thermal Interpretation offenbar nicht; ich sehe keine Gleichung, aus der “the [collaps] emerges approximately in non-isolated subsystems” folgen würde.

Ich habe diese Forderung nicht aufgestellt, sie stammt aus der Thermal Interpretation selbst; ich konstatiere lediglich, dass sie an dieser Stelle nicht leistet, was sie zu leisten behauptet.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Es ist eine Tatsache, dass dies [Ensemble-artige Interpretationen] eben genau keine vollständige und realistische Beschreibung eines einzelnen Systems liefert, obwohl wir es in der Praxis auch mit einzelnen Systemen zu tun haben.

Die Tatsache ist irrelevant, weil wir nicht von einer "ensembleartigen Interpretation" sprechen. Wir dürfen aber trotzdem im Rahmen eines konkreten Modells Ensembles benutzen ohne deshalb unseren Anspruch an Realismus aufgeben zu müssen. Darum geht es. Es ist überhaupt nicht erforderlich, daß diese, ich nenne sie mal, "realistischen Ensembles" eine vollständige Beschreibung des Systems liefern, wenn die tatsächlich beobachteten (stochastischen) Eigenschaften dieser Systeme gerade zum Teil auf unsere unvollständigen Kenntnisse ihres Zustands zurückzuführen sind.

Das magst du als irrelevant ansehen, das ist Ok; ich sehe es nicht als irrelevant an. Die Thermal Interpretation behauptet, auf einzelne Systeme anwendbar zu sein, liefert jedoch eine Beschreibung von Ensembles; deswegen ist der Anspruch - und auch der stammt nicht von mir - nach meiner Ansicht nicht erfüllt.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Die TI ist nicht schlechter definiert als die MWI. Und sie interpretiert die Quantenmechanik als realistische Beschreibung einzelner Systeme.

Ersteres habe ich nicht behauptet; von “besser” oder “schlechter” kann hier gar keine Rede sein.

Alles was ich feststelle ist, dass sie entgegen ihrer und deiner Behauptung keine realistische Beschreibung einzelner Systeme liefert, da sie schlicht nicht formal zeigt, wie welches einzelne System, das durch einen eindeutigen Endzustand repräsentiert werden sollte, aus dem Ensemble hervorgeht.

Das ist kein besonders tiefsinnigerEinwand meinerseits, das ist der Standardeinwand gegen jede Interpretation, die auf Ensembles - im weitesten Sinne - beruht.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Und sie interpretiert diesen Zustand nicht als Beschreibung eines Ensembles.

Neumaier erklärt ausführlich, wie Ensemble zu verstehen ist, und dass seine Interpretation auf fiktiven Ensembles beruht:

Zitat:
Therefore, the notion of q-ensemble is to be understood not as an actual repetition by repeated preparation. It should be understood instead in the sense of a fictitious collection of imagined copies of which only one is actually realized –, giving an intuitive excuse for using the statistical formalism for a single system.
The association of a ficticious ensemble to single thermal systems goes back to Gibbs, the founder of the ensemble approach to classical statistical mechanics. He was very aware that thermodynamics and hence statistical mechanics applies to single physical systems. His arguments are today as cogent as when he introduced them.


index_razor hat Folgendes geschrieben:
Daraus folgt nun anscheinend für dich, daß sie nicht in der Lage ist, den Meßprozeß richtig zu beschreiben, weil du offenbar davon ausgehst "aus dem Formalismus" folge, daß der Endzustand des Meßgeräts in jedem Einzelfall, und nicht nur im Mittel die Form



hat.

Du verstehst die Logik nicht.

Der Kern der Quantenmechanik ist der Zustand und dessen Zeitentwicklung; deswegen ist die Frage, was eine realistische Interpretation beschreibt, letztlich die Frage, auf welche real existierende Entität sich der Zustand bezieht. Und wenn die Interpretation behauptet, sie biete eine realistische Interpretation des Messprozesses für ein einzelnes System, dann muss sich die Zeitentwicklung des Zustandes auf einen einzelnen Messprozesses an einem einzelnen System beziehen. Im vorliegenden Fall bezieht sich der Zustand jedoch auf ein fiktives Ensemble, es sind noch alle möglichen Messergebnisse enthalten, obwohl nur eines tatsächlich realisiert wird. Die Zeitentwicklung des Zustandes liefert also gerade nicht die tatsächliche Zeitentwicklung des einzelnen Systems während einer Messung, sondern die eines fiktiven Ensembles.

Das ist der Kern meiner Argumentation - und letztlich das Argument gegen jede Ensemble-artige Interpretation, die behauptet, auf ein einzelnes System und eine einzelne Messung anwendbar zu sein.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Also damit ich das richtig verstehe: Du bist erst zufrieden, wenn dir jemand detailliert in einem realistischen Modell eines makroskopischen Meßprozesses vorrechnet, wie aus der Dynamik des Meßgeräts ein einzelner Zustand mit der Eigenschaft "auf der Anzeige steht der Wert 42" herauspurzelt? Und das vermutlich noch für jeden möglichen Meßwert.

Das wäre der Idealfall, aber das ist praktisch kaum erreichbar - evtl. sogar prinzipiell nicht erreichbar. Ich erwarte hier lediglich eine realistische Einschätzung dessen, was die Thermal Interpretation leisten kann.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Und solange dies nicht vorliegt, behauptest du einfach "der Formalismus" leiste dies nicht.

Nochmal: ich behaupte, dass die Thermal Interpretation weniger leistet als sie behauptet zu leisten.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
Die Frage lautet jetzt also: Wie kann man physikalisch begründen, daß es nur einen wohldefinierten Wert anzeigt? Oder anders formuliert: wie modelliert man auf realistische Weise, was während einer Messung mit dem Meßgerät passiert?

Genau das ist die Frage, und genau darauf bietet das Paper keine Antwort.

Ich hatte schon bereut, dieses spezielle Paper erwähnt zu haben, weil ich genau befürchtet hatte, daß du nun annimmst alle Antworten stünden darin.

Nein, das war nicht meine Erwartungshaltung. Ich habe erwartet - und nach meiner Ansicht bestätigt gefunden - dass die Thermal Interpretation eine Erklärungslücke beinhaltet bzw. unvollständig ist, insoweit sie behauptet, auf ein einzelnes System anwendbar zu sein.


index_razor hat Folgendes geschrieben:
Wenn das tatsächlich ein Problem wäre, dann wäre es auch eins für die MWI. Dekohärenzeffekte basieren doch auch auf zufälligen Umgebungseinflüssen, also auf einem Ensemble von möglichen Umgebungszuständen.

Nein, bei der MWI geht es gerade nicht um ein Ensemble von möglichen Umgebungszuständen, sondern um genau einen einzigen Zustand einschließlich der Umgebung im Zuge einer einzigen Messung.

Die MWI hat verstanden, dass die Behauptung, die Quantenmechanik liefere eine realistische Beschreibung eines einzelnen Systems, rein logisch bedeutet, alle im Endzustand repräsentierten Messergebnisse und insbs. diesen als Ganzes realistisch auffassen zu müssen.


index_razor hat Folgendes geschrieben:
Aus meiner Sicht hast du keine relevanten Punkte angesprochen, und ich versuche noch immer dir zu erklären, warum ich deinen offenen Punkt für irrelevant halte.

Hier trifft wieder mein Eingangsstatement zu: wir sind - und werden uns vermutlich - bzgl. der Relevanz einzelner Punkte nicht einig werden.

Das entwertet unsere Diskussion keineswegs. Ich habe verstanden, was die Thermal Interpretation leistet und was sie nicht leistet. Dass ich einige Punkte als defizitär bewerte, die du als irrelevant betrachtetet, ist bei der Diskussion über Interpretationen der Quantenmechanik nur natürlich.

Ich bin übrigens der Meinung, dass es nur wenige Punkte gibt, die an den Artikeln zu korrigieren wären: die Behauptungen, was die Thermal Interpretation angeblich leistet, sollten überarbeitet werden.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Yes, I know how to calculate the most likely results of any experiment if someone gives me the Hamiltonian. But what is it that actually happened [in one single experiment]. That’s the dodged question.
Gerard t'Hooft

Und wenn du das noch 10mal zitierst und 20 Nobelpreisträger unterschreiben läßt, es bleibt nur ein Autoritätsargument.

Ich habe es zitiert, weil es sehr pointiert zusammenfasst, worin ich das wesentliche Problem sehe. Mir ist sehr wohl bewusst, dass wahrscheinlich weit mehr Autoritäten gegenteiliger Ansicht sind; aber es gibt eben auch andere, die diese Meinung teilen.

Um nochmals auf den Titel des Threads zurückzukommen:

Die Thermal Interpretation liefert auf Basis des Formalismus eine schlüssige Erklärung für die Entstehung eines (fiktiven) Ensembles von Katzen; sie liefert keine realistische Erklärung, welche einzelne Katze im Zuge eines Experimentes übrig bleibt.

Das ist der Kern meiner Argumentation.

_________________
Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.


Zuletzt bearbeitet von TomS am 17. Feb 2021 08:51, insgesamt 13-mal bearbeitet
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18065

Beitrag TomS Verfasst am: 17. Feb 2021 00:44    Titel: Antworten mit Zitat

Qubit hat Folgendes geschrieben:
Klassisch wäre es sogar im unwahrscheinlichen Fall denkbar, dass er auf einer Kante landete (vielleicht unter Vakuumbedingungen). Für den quantenmechanischen Würfel ist dieser Zustand aber nicht möglich, da er kein Eigenzustand des Würfels ist.
Die Standardinterpretation und die MWI schliessen diesen Zustand per se aus, es gibt keine Projektion darauf, nur auf Eigenzustände.

Die Standardinterpretation schließt das per definitionem aus - insoweit du die Würfelflächen mit den Eigenzuständen assoziierst.

Die MWI schließt dies nicht per se aus, da sie in ihrer heutigen Axiomatik weder Eigenzustände noch Projektionen enthält; wenn du ein System konstruieren kannst, dessen dekohärente Zeitentwicklung einen derartigen finalen Zustand enthält, dann wird er gemäß der MWI auch auftreten.

Qubit hat Folgendes geschrieben:
Die Standardinterpretation und auch die Empirie zeigen aber, dass völlig unabhängig von der konkreten "physikalischen Wechselwirkung" immer nur einer der Eigenzustände vor der Messung in der Messung eines QM-Systems festgestellt wird/werden kann.

Das ist so nicht richtig.

index_razor hat im Verlauf der Diskussion auf Gegenbeispiele hingewiesen. Der eigenvalue-eigenvector-link spielt in vielen modernen Interpretationen keine Rolle mehr, die Standardinterpretation ist an einigen Stellen zu naiv. Und die Empire zeigt keineswegs, dass im Zuge von Messungen immer nur entsprechende Eigenzustände realisiert werden; ein einfaches Gegenbeispiel ist die Messung der Energie eines Photons, das nach der Messung nicht mehr existiert, also insbs. nicht in dem Eigenzustand vorliegt, zu dem die zugehörige Energie gemessen wurde.

Ich denke, wenn du deinen Text etwas umformulierst ...
Qubit hat Folgendes geschrieben:
Meines Erachtens ist dann, wenn man die Dichtematrix real interpretiert und nicht nur als Statistik für Ensembles sieht, notwendig, dass man auch einen Mechanismus für die Wechselwirkung mit der Messapparatur einführen muss und zwar gerade so, dass die Messung einen der Zustände liefert - konform mit der Erfahrung ... Wie auch immer diese Wechselwirkung konkret physikalisch sein mag, sie muss einen definierten Zustand ... liefern.

... dann landest du im wesentlichen bei meinem Einwand.

_________________
Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 17. Feb 2021 08:00    Titel: Antworten mit Zitat

Qubit hat Folgendes geschrieben:

Wir präperieren den Wurf so, dass der Zustand des Würfels ein reiner Zustand ist. Klassisch könnten wir theoretisch den Ausgang der Messung (Wechselwirkung mit dem Tisch, Würfelseite oben) vollständig berechnen, wir müssten nur alle Randbedingungen kennen. Quantenmechanisch können wir das nicht, da Bell+Co. gezeigt haben, dass es keine verborgene Parameter gibt, die den Zustand des Würfels determinieren.


Die Dichtematrix determiniert in der Quantenmechanik den Zustand, und seine Zeitentwicklung können wir auch ganz deterministisch mit der von-Neumann-Gleichung (oder einer entsprechenden Verallgemeinerung auf dissipative Systeme) beschreiben. Dafür brauchen wir keine verborgenen Parameter. Die Frage wäre also ob der Endzustand des Würfels für die "klassischen" Eigenschaften, wie oben liegende Augenzahl, einen scharfen Wert anzeigt. Das können wir praktisch klassisch genausowenig ausrechnen wie quantenmechanisch. Aber es scheint kein fundamentales Problem zu sein.

Zitat:

iii) wir können sagen, dass sich alle Eigenzustände 1-6 überlagern. Aber "real" können wir nur den "Erwartungswert" 3.5 dem Würfel zuordnen. Das ist ja schliesslich auch das, was wir dann "statistisch" messen (Messungen unterliegen selbst einer [thermischen] Statistik und wir können "makroskopische" Aussagen letztlich nur statistisch am Ensemble prüfen, da es (immer) eine Wechselwirkung zwischen Messapparatur und "Würfel" gibt). (TI)


Dein Vergleich mit der klassischen Mechanik hinkt aber, wenn du davon ausgehst, daß jeder Augenzahl genau ein reiner Zustand zugeordnet ist. Wieso beschreibst du den Würfel nicht als quantenmechanischen starren Körper? Das wäre der relevante (und interessantere) Vergleich.

Zitat:

(iii) Einer der Eigenzustände wird (stochastisch nach der "thermalen" Interaktion mit der Messapparatur) festgelegt. Wir wissen nicht welcher und warum, aber es hängt mit der "thermischen" Umgebung und mit der Wechselwirkung der Messapparatur zusammen. Allerdings gibt es keine Projektion des Zustandes vor der Messung auf einen Eigenzustand nach der Messung.


Das ist nicht die Situation in einem 6-Zustandssystem, wie du es beschrieben hast. Dort gibt es keine Stochastik und es wird bei einer Wechselwirkung kein Eigenzustand herausgefiltert. Die ganze Stochastik ist letztlich nur ein Effekt des coarse-graining in makroskopischen Systemen. Aber dies ist in deiner Beschreibung nicht vorhanden.

Zitat:

Die Kritik davon unabhängig an der TI ist aber:
Wir messen nun mal einen Eigenzustand einer Observablen an einem einzelnen QM-System.


Du kannst die TI nicht damit kritisieren, daß du ihr einfach eine Aussage entgegenhältst, die sie ausdrücklich bestreitet. Siehe z.B. auch die Kritik an der Bornschen Regel.

Zitat:

Und in der Interpretation der TI gibt es keine Abbildung des reinen Zustandes vor auf den reinen Zustand nach der Messung.


Doch den gibt es. In einem abgeschlossenen System ist dies einfach der unitäre Zeitentwicklungsoperator. Der Zustand nach der Messung muß kein Eigenzustand sein.

Zitat:

Hierzu ist ein weiterer Mechanismus notwendig, die konkrete Koppelung von Messapparatur und QM-System, eine "physikalische Wechselwirkung".

Die Standardinterpretation und auch die Empirie zeigen aber, dass völlig unabhängig von der konkreten "physikalischen Wechselwirkung" immer nur einer der Eigenzustände vor der Messung in der Messung eines QM-Systems festgestellt wird/werden kann.


Das zeigt die Emprie überhaupt nicht unabhängig von der Wechselwirkung. Im Gegenteil das gilt nur für einen sehr speziellen und idealisierten Fall (Filtermessung mit Projektormaßen). Reale Messungen messen oft nichtkommutierende und kontinuierliche Observablen (z.B. P und X) gleichzeitig und mit begrenzter Präzision. Dazu verwendet man positive operatorwertige Maße und das Ergebnis ist kein Eigenzustand.
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 17. Feb 2021 08:14    Titel: Antworten mit Zitat

Qubit hat Folgendes geschrieben:
Und um noch mal den Würfel zu bemühen:

Klassisch wäre es sogar im unwahrscheinlichen Fall denkbar, dass er auf einer Kante landete (vielleicht unter Vakuumbedingungen). Für den quantenmechanischen Würfel ist dieser Zustand aber nicht möglich, da er kein Eigenzustand des Würfels ist.
Die Standardinterpretation und die MWI schliessen diesen Zustand per se aus, es gibt keine Projektion darauf, nur auf Eigenzustände.


Das zeigt nochmal, daß der Vergleich hinkt. Du betrachtest einfach zwei unterschiedliche Systeme. Wenn du den Würfel in der klassischen Mechanik als (näherungsweise) starren Körper modellierst, der sogar auf einer Ecke stehen kann, dann mußt du dieselben Modellannahmen natürlich auch in der QM machen. Ob der Würfel dann auf der Ecke stehen kann oder nicht, muß aus dem Modell folgen, nicht aus irgendwelchen Postulaten.

Zitat:

Du musst für jede Messung ein konkretes Bild der "physikalischen Wechselwirkung" mit dem Messapparatur bemühen, um dann zu zeigen, dass doch nur einer der Eigenzustände für ein einzelnes QM-System gemessen wird. Und zwar genau nach den quantenmechanischen Wahrscheinlichkeiten.


Mit anderen Worten: man muß zeigen, daß unter geeigneten Bedingungen die Bornsche Regel für wiederholte Messungen gilt. Siehe dazu z.B. https://arxiv.org/abs/1904.12721


Zuletzt bearbeitet von index_razor am 17. Feb 2021 12:41, insgesamt einmal bearbeitet
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 17. Feb 2021 12:04    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:

Es gibt hier keine “richtige” oder “falsche” Sicht auf diese Probleme; und natürlich erkenne ich mögliche Lösungen. Allerdings gibt es bei Diskussionen zu Interpretationen der Quantenmechanik verschiedene Sichtweisen bzgl. der Relevanz der Probleme und der Schlüssigkeit der Lösungen. Da haben wir eben unterschiedliche Ansichten.


Ich denke es ist mehr als nur eine Bewertung der Relevanz. Aber sehen wir mal weiter.

Zitat:

Und ja, es muss tatsächlich nicht darum gehen, ob und wie ein makroskopisches System in einem eindeutigen Zustand landet. Ich neige zum Beispiel der Many-Worlds-Interpretation zu, habe mit Mehrdeutigkeit also kein Problem. Nur - die Thermal Interpretation behauptet von sich selbst, dass sie genau dazu eine Lösung anzubieten habe. Aus Teil III:

Zitat:
The thermal interpretation ... has no explicit collapse – the latter emerges approximately in non-isolated subsystems


Genau diesen Kollaps, der für ein System zu einem eindeutigen Zustand führt - das ist die übliche Bedeutung von Kollaps - erklärt die Thermal Interpretation offenbar nicht; ich sehe keine Gleichung, aus der “the [collaps] emerges approximately in non-isolated subsystems” folgen würde.


Sie erklärt das durch eine Bistabilität (oder im allgemeinen Fall müßte man wohl sagen "Multistabilität") des gesamten Aufbaus (System+ Detektor), der durch die Wechselwirkung in genau einen der möglichen Zustände getrieben wird und dort bleibt. Man muß aus Sicht der TI nur die Stochastizität und die Diskretheit der möglichen Endresultate erklären. Erstere ist eine Folge der Dissipation in dem System und des chaotischen Verhaltens der makroskopischen Variablen, letztere folgt daraus, daß die "slow manifold" in mehrere unzusammenhängende Komponenten zerfällt.

Diese Erklärung ist bei Neumaier natürlich nur qualitativ also ohne Formeln, aber m.E. plausibel. Daß Neumaier selbst keine Modelle detailliert durchrechnet, hatten wir schon vor Tagen festgestellt, um diesen Punkt hätten wir also nicht so lange herumdiskutieren müssen. Wenn du Formeln sehen willst, mußt du vermutlich die angegebene Literatur lesen. Ich habe zumindest vor, das irgendwann zu tun. Aber ich rechne natürlich damit, daß dort hauptsächlich stochastische Gleichungen zu finden sein werden, die du ja aus unerfindlichen Gründen in realistischen Theorien verbieten willst.

Zitat:

Ich habe diese Forderung nicht aufgestellt, sie stammt aus der Thermal Interpretation selbst; ich konstatiere lediglich, dass sie an dieser Stelle nicht leistet, was sie zu leisten behauptet.


Du bist mit keinem einzigen Wort auf die Argumente eingegangen. Wenn dein Einwand lediglich darauf beruht, daß da keine Formeln stehen, ist das m.E. etwas dürftig.

[EDIT: Ich meine hier konkret Neumaiers Argumente für seine Behauptung "The thermal interpretation ... has no explicit collapse – the latter emerges approximately in non-isolated subsystems". Ich meinte nicht, daß du generell auf keine Argumente eingegangen bist.]

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Es ist eine Tatsache, dass dies [Ensemble-artige Interpretationen] eben genau keine vollständige und realistische Beschreibung eines einzelnen Systems liefert, obwohl wir es in der Praxis auch mit einzelnen Systemen zu tun haben.

Die Tatsache ist irrelevant, weil wir nicht von einer "ensembleartigen Interpretation" sprechen. Wir dürfen aber trotzdem im Rahmen eines konkreten Modells Ensembles benutzen ohne deshalb unseren Anspruch an Realismus aufgeben zu müssen. Darum geht es. Es ist überhaupt nicht erforderlich, daß diese, ich nenne sie mal, "realistischen Ensembles" eine vollständige Beschreibung des Systems liefern, wenn die tatsächlich beobachteten (stochastischen) Eigenschaften dieser Systeme gerade zum Teil auf unsere unvollständigen Kenntnisse ihres Zustands zurückzuführen sind.

Das magst du als irrelevant ansehen, das ist Ok; ich sehe es nicht als irrelevant an. Die Thermal Interpretation behauptet, auf einzelne Systeme anwendbar zu sein, liefert jedoch eine Beschreibung von Ensembles; deswegen ist der Anspruch - und auch der stammt nicht von mir - nach meiner Ansicht nicht erfüllt.


Die Aussage ist irrelevant, sofern sie als Kritik an der TI gedacht ist, da sie nicht auf die TI zutrifft. Entweder behauptest du hier, die TI interpretiere jede Dichtematrix als Ensemble. Dann ist das schlicht eine falsche Behauptung über die TI. Die TI redet höchstens im Zusammenhang mit makroskopischen Systemen von Ensembles, genau wie jede andere uns bekannte realistische Theorie. Oder dein Einwand trifft eben auch auf Gibbssche Ensembles in der klassischen statistischen Thermodynamik zu, die folglich ihren Anspruch auf Realismus nicht erfüllen würde. Das wäre m.E. ebenso falsch, aber auch irrelevant. Die TI muß ja nicht "realistischer" sein, als die klassische Mechanik.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Die TI ist nicht schlechter definiert als die MWI. Und sie interpretiert die Quantenmechanik als realistische Beschreibung einzelner Systeme.

Ersteres habe ich nicht behauptet; von “besser” oder “schlechter” kann hier gar keine Rede sein.


Nein, hast du nicht behauptet. Aber irgendeinen Grund muß es ja geben, daß du annimmst die MWI sei eine (beinahe) logische Konsequenz aus Realismus und QM-Formalismus, obwohl die TI ein Gegenbeispiel ist.

Zitat:

Alles was ich feststelle ist, dass sie entgegen ihrer und deiner Behauptung keine realistische Beschreibung einzelner Systeme liefert, da sie schlicht nicht formal zeigt, wie welches einzelne System, das durch einen eindeutigen Endzustand repräsentiert werden sollte, auf dem Ensemble hervorgeht.


Daraus muß ich schließen, daß du Modelle makroskopischer Systeme schlechthin als nicht realistisch betrachtest, sondern nur Beschreibungen von mikroskopischen Systemen, in denen der komplette Initialzustand und die komplette Dynamik bekannt ist und gelöst wurde. Das ist natürlich absurd und in Wahrheit tust du das auch nicht. Ich vermute deshalb eher deine Feststellung beruht auf einem Mißverständnis.

Zitat:

Das ist kein besonders intelligenter Einwand meinerseits, das ist der Standardeinwand gegen jede Interpretation, die auf Ensembles - im weitesten Sinne - beruhte.


Nochmal, die TI beruht nicht auf Ensembles, genauso wenig wie die klassische Mechanik. Aber beide verwenden Ensembles in konkreten Modellen wenn es notwendig ist.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Und sie interpretiert diesen Zustand nicht als Beschreibung eines Ensembles.

Neumaier erklärt ausführlich, wie Ensemble zu verstehen ist, und dass seine Interpretation auf fiktiven Ensembles beruht:

Zitat:
Therefore, the notion of q-ensemble is to be understood not as an actual repetition by repeated preparation.



Wir sprechen aber gerade nicht von q-Ensembles, sondern von klassischen Ensembles aus Dichtematrizen. Du scheinst das einfach nicht auseinanderhalten zu wollen.

Zitat:

Zitat:
It should be understood instead in the sense of a fictitious collection of imagined copies of which only one is actually realized –, giving an intuitive excuse for using the statistical formalism for a single system.
The association of a ficticious ensemble to single thermal systems goes back to Gibbs, the founder of the ensemble approach to classical statistical mechanics. He was very aware that thermodynamics and hence statistical mechanics applies to single physical systems. His arguments are today as cogent as when he introduced them.



Das erklärt, daß ein q-Ensemble im wesentlichen dasselbe ist, wie ein Gibbssches Ensemble, m.a.W. die Repräsentation eines einzelnen Systems. Und was soll das jetzt beweisen, außer das, was ich die ganze Zeit behaupte? Du kannst die TI auch formulieren ohne den Begriff "q-Ensemble" überhaupt zu verwenden. Es reicht im Prinzip "q-Erwartungswert", was, im Gegensatz zu "q-Ensemble", ein präziser, fest im Formalismus verankerter Begriff ist. Das zeigt, daß die TI überhaupt nicht auf Ensembles basiert.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Daraus folgt nun anscheinend für dich, daß sie nicht in der Lage ist, den Meßprozeß richtig zu beschreiben, weil du offenbar davon ausgehst "aus dem Formalismus" folge, daß der Endzustand des Meßgeräts in jedem Einzelfall, und nicht nur im Mittel die Form



hat.

Du verstehst die Logik nicht.

Der Kern der Quantenmechanik ist der Zustand und dessen Zeitentwicklung; deswegen ist die Frage, was eine realistische Interpretation beschreibt, letztlich die Frage, auf welche real existierende Entität sich der Zustand bezieht. Und wenn die Interpretation behauptet, sie biete eine realistische Interpretation des Messprozesses für ein einzelnes System, dann muss sich die Zeitentwicklung des Zustandes auf einen einzelnen Messprozesses an einem einzelnen System beziehen.


Das tut sie auch, allerdings in diesem speziellen Fall natürlich nur im Rahmen stochastischer Differentialgleichungen, was an sich aber kein Widerspruch ist (siehe Gibbssches Ensemble).

Zitat:

Im vorliegenden Fall bezieht sich der Zustand jedoch auf ein fiktives Ensemble, es sind noch alle möglichen Messergebnisse enthalten, obwohl nur eines tatsächlich realisiert wird.


Genau wie in einem Gibbschen Ensemble alle Mikrozustände vorhanden sind, obwohl nur einer realisiert ist. Und wie wir gerade gesehen hatten, ist das überhaupt kein Problem für die Behauptung dieser Zustand beziehe sich auf ein einzelnes System.

Zitat:

Die Zeitentwicklung des Zustandes liefert also gerade nicht die tatsächliche Zeitentwicklung des einzelnen Systems während einer Messung, sondern die eines fiktiven Ensembles.


In diesem Modell wird die Zeitentwicklung eines einzelnen Zustands gar nicht modelliert. Das funktioniert nur für einfache abgeschlossene Systeme.

Zitat:

Das ist der Kern meiner Argumentation - und letztlich das Argument gegen jede Ensemble-artige Interpretation, die behauptet, auf ein einzelnes System und eine einzelne Messung anwendbar zu sein.


Daß die TI aus physikalischen Gründen in bestimmten Modellen Ensembles verwenden muß, macht sie aber noch nicht zu einer "ensembleartigen Interpretation". Ich behaupte immer noch, daß du die Grundaussagen der TI vollkommen mißverstanden hast.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Also damit ich das richtig verstehe: Du bist erst zufrieden, wenn dir jemand detailliert in einem realistischen Modell eines makroskopischen Meßprozesses vorrechnet, wie aus der Dynamik des Meßgeräts ein einzelner Zustand mit der Eigenschaft "auf der Anzeige steht der Wert 42" herauspurzelt? Und das vermutlich noch für jeden möglichen Meßwert.

Das wäre der Idealfall, aber das ist praktisch kaum erreichbar - evtl. sogar prinzipiell nicht erreichbar. Ich erwarte hier lediglich eine realistische Einschätzung dessen, was die Thermal Interpretation leisten kann.


Dann werde doch mal etwas konkreter. Wenn es praktisch kaum erreichbar ist (die Untertreibung des Jahrhunderts), welche Methoden und welche Art von Modellen würden wir denn praktischerweise stattdessen verwenden? Also wie würden wir auch nur anfangen ein konkretes Modell mit einem makroskopischen Meßgerät aufzustellen?

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Wenn das tatsächlich ein Problem wäre, dann wäre es auch eins für die MWI. Dekohärenzeffekte basieren doch auch auf zufälligen Umgebungseinflüssen, also auf einem Ensemble von möglichen Umgebungszuständen.

Nein, bei der MWI geht es gerade nicht um ein Ensemble von möglichen Umgebungszuständen, sondern um genau einen einzigen Zustand einschließlich der Umgebung im Zuge einer einzigen Messung.


Aber in Modellen für Dekohärenz geht es darum.

Zitat:

Die MWI hat verstanden, dass die Behauptung, die Quantenmechanik liefere eine realistische Beschreibung eines einzelnen Systems, rein logisch bedeutet, alle im Endzustand repräsentierten Messergebnisse und insbs. diesen als Ganzes realistisch auffassen zu müssen.


Die TI hat verstanden, daß der Endzustand eines einzelnen Systems nicht alle Meßergebnisse "repräsentiert", sondern lediglich einen einzelnen q-Erwartungswert pro q-Observable. "Rein logisch" ist da gar nichts. Schon in deine Voraussetzungen geht eine Menge Interpretation ein.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18065

Beitrag TomS Verfasst am: 17. Feb 2021 14:00    Titel: Antworten mit Zitat

Vermutlich verstehe ich die TI tatsächlich falsch, allerdings liegt das sicher auch an der Darstellung.

Meiner Meinung nach kehrt die Thermal Interpretation das wesentliche Problem unter den Teppich, und zwar hier: aus Teil III

Zitat:
According to the thermal interpretation, properties of the system to be measured are encoded in the state of the system and its dynamics. This state and what can be deduced from it are the only objective properties of the system. The measured value – a pointer reading, a sound, a counter value, etc. – is read off from the instrument, and hence is primarily a property of the measuring instrument and not one of the measured system. From the properties of the instrument (the instrument state), one can measure or compute the measurement results. Measurements are possible only if the microscopic laws imply quantitative relations between properties of the measured system (i.e., the system state) and the values read off from the measuring instrument (properties of the detector state).

(M) We say that a property P of a system S (encoded in its state) has been measured by another system, the detector D, if at the time of completion of the measurement and a short time thereafter (long enough that the information can be read by an observer) the detector state carries enough information about the state of the measured system S at the time when the measurement process begins to deduce with sufficient reliability the validity of property P at that time.

...

This is the essential part where the thermal interpretation differs from tradition. Indeed, from a single detection event, one can only glean very little information about the state of a microscopic system. Conversely, from the state of a microscopic system one can usually predict only probabilities for single detection events.

...

The historically unquestioned interpretation of such detection events as the measurement of a particle position is one of the reasons for the failure of traditional interpretations to give a satisfying solution of the measurement problem. The thermal interpretation is here more careful ... To obtain comprehensive information about the state of a single microscopic system is therefore impossible.
Thus in case of measurements on microscopic quantum systems, the quantitative relationship between measurement results and measured properties only takes the form of a statistical correlation. The reproducably observable items, and hence the carrier of scientific information, are statistical mean values and probabilities. These are indeed predictable by quantum physics. But – in contrast to the conventional terminology applied to single detection events for photons or electrons – the individual events no longer count as definite measurements of single system properties.
This characteristics of the thermal interpretation is an essential difference to traditional interpretations, for which each event is a definite measurement.


“... properties of the system to be measured are encoded in the state of the system and its dynamics. This state and what can be deduced from it are the only objective properties of the system” bedeutet, dass der Zustand eines Systems eine objektive Eigenschaft ist - letztlich die einzige relevante Eigenschaft, da alle weiteren objektiven Eigenschaften daraus ableitbar sind. Gut, mit den Ansatz habe ich zunächst keine Probleme.

“... from the state of a microscopic system one can usually predict only probabilities for single detection events” bedeutet, dass aus einem Zustand eines mikroskopischen Systems keine Aussage über einen eindeutigen Ausgang einer Messung gewonnen werden kann, lediglich statistische Aussagen. Dennoch bleibt der Zustand gemäß der zuvor getroffenen Aussage “the only objective properties of the system”, d.h. diese objektive Eigenschaft kommt dem einzelnen System ohne Zweifel zu und ich darf das für ein einzelnes System diskutieren, ohne auf Statistik Bezug nehmen zu müssen. Wenn ich nicht über ein einzelnes System sprechen dürfte, wäre der Anspruch, die vorliegende Information wäre auf einzelne Systeme anwendbar, ohnehin sofort gescheitert.

“... to obtain comprehensive information about the state of a single microscopic system is therefore impossible” bedeutet, dass Informationen im Zustand kodiert sein können, die man nicht erkennen kann. Gut, ich kann also bestimmte Informationen über den Zustand und gewisse Eigenschaften eines Systems, die diesem gemäß der obigen Argumentation objektiv zukommen, nicht anhand eines einzelnen Systems gewinnen. Das ist nicht unbedingt ein Problem, es bedeutet lediglich, dass ein einzelnes System objektive Eigenschaften haben kann, die ich an diesem einzelnen System nicht erkennen kann.

Die Argumentation wird jedoch problematisch, wenn ich diese Ausführungen für ein einzelnes System tatsächlich ernsthaft anwende. Es ist dann eine objektive Eigenschaft eines einzelnes System, dass dieses System sowohl eine lebende als auch eine tote Katze enthält, wenn der Zustand dies entsprechend der Dekohärenz so kodiert.

Dies hat zunächst wenig mit der Thermal Interpretation im Speziellen zu tun.

Wie wird Neumaier diese objektive Eigenschaft, dass ein einzelnes System sowohl eine lebende als auch eine tote Katze enthält, wieder los? Indem er die Aussage über ein einzelnes System vergisst und im Folgenden von Systemen (Plural), Statistik usw. redet. Das interessiert mich jedoch nicht, ich bleibe bei seinen ursprünglichen Aussagen, die explizit besagen, dass eine objektive Eigenschaft eines Systems im Zustandsvektor dieses einen Systems kodiert ist.

Er hat die zwei Katzen in einem System selbst eingeführt, jetzt kriegt er sie nur dadurch los, dass er diese Problematik bzgl. eines einzelnen Systems ignoriert und im wesentlichen statistische Aussagen macht. Natürlich darf er letzteres tun, und er wird die zwei Katzen damit tatsächlich los, aber eben nur um den Preis, dass er seine Aussage “this state and what can be deduced from it are the only objective properties of the system” nicht aufrecht erhalten kann; er müsste den Anspruch, der Zustand kodiere objektive Eigenschaften eines Systems, aufgeben; alternativ müsste er diskutieren, ob manche Eigenschaften, die dem Zustand zukommen, dennoch keine Eigenschaften des dadurch beschriebenen Systems entsprechen. Er verschweigt dieses von ihm in die Welt gesetzte Problem - mathematisch und verbal - und schleicht sich in eine Ensemble-artige Interpretation hinein.

(ein wesentlicher Unterschied zu Gibbs ist natürlich, dass bei Gibbs kein Zustandsvektor oder Dichteoperator im Spiel ist, der Aussagen wie die zu den Katzen kodieren könnte; sobald man ein Gibbssches Ensemble im Rahmen der Quantenmechanik betrachtet, muss man dieses Problem natürlich ebenfalls diskutieren)

EDIT: Kap. 5 in Teil III ist mir zu generisch.

Anyway: es ist common sense, dass die Dekohärenz nicht zu eindeutigen Messergebnissen führt, also muss die TI - wenn sie für sich reklamiert, dass dies der Fall sein soll - an entscheiden Stellen von der Argumentation der Dekohärenz abweichen muss; das wiederum hattest du mal abgestritten; ich sehe jedenfalls nicht, wie dies für einen Zustand des Gesamtuniversums funktionieren soll (ich werde aber weiterlesen, obwohl mich das Thema immer mehr frustriert).

_________________
Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18065

Beitrag TomS Verfasst am: 17. Feb 2021 18:09    Titel: Antworten mit Zitat

Wenn ich sie falsch verstanden habe, dann liegt die Lösung offenbar im Folgenden. Kannst du dazu noch etwas erhellendes beitragen?

index_razor hat Folgendes geschrieben:
1) Laut TI resultiert ein "asymmetrischer" Zustand, der durch Umgebungsrauschen selektiert wird ... Laut TI ergäbe sich ein vollkommen deterministisches Ergebnis ... wenn man alle Freiheitsgrade berücksichtigen würde und der makroskopische Zustand exakt bekannt wäre.


index_razor hat Folgendes geschrieben:
2) D.h. das makroskopische Meßgerät legt sich auf einen definitiven Wert für die Indikatorvariable fest. Das passiert mittels chaotischer, dissipativer, stochastischer Prozesse, aber innerhalb der unitären Dynamik des Gesamtsystems.


index_razor hat Folgendes geschrieben:
3) Der Punkt ... war zu erklären, daß -- entgegen deiner Behauptung -- keine "mathematisch unterschiedlichen" Vorhersagen zwischen TI und Dekohärenz bestehen.


Fangen wir von hinten an: für ein abgeschlossenes System folgt nach (3) sowohl gemäß Dekohärenz als auch TI, dass ein separabler, reiner Zustand eines abgeschlossenen Systems, bestehend aus den Subsystemen “nicht zerfallenem Atomkern”, “lebende Katze”, “Umgebung” und “Messgerät” durch Zeitentwicklung in einen verschränkten Zustand dieser Subsysteme übergeht. Durch Ausspuren unbeobachtbarer Freiheitsgrade nach unitärer Zeitentwicklung folgt ein gemischter Zustand der Subsysteme “Katze” und “Messgerät”, wobei zwei Dichtematrizen in der Form “lebende Katze und Messgerät zeigt lebende Katze” sowie “tote Katze und Messgerät zeigt tote Katze” mischen.

Aus (1) folgt, dass der finale Zustand in jedem Einzelfall eine eindeutige (wenn auch gemäß TI nicht exakt scharfe) Zeigerposition liefert. Die genannte Dichtematrix hat jedoch nicht diese Struktur, d.h. wir benötigen

(2), nämlich “chaotische, dissipative, stochastischer Prozesse innerhalb der unitären Dynamik des Gesamtsystems.”

Fragen:

Wie folgen trotz der unitären Dynamik eines prinzipiell abgeschlossenes und reines Systems chaotische, dissipative und stochastische Prozesse? Soll ich mir das z.B. wie beim Wetter vorstellen?

An welcher konkreten Stelle ist die gemäß der Dekohärenz folgende, allseits bekannte Argumentation falsch, das auf die inkohärente Überlagerung aus lebender und toter Katze geschlossen werden kann, und dass beide stabil bleiben?

_________________
Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 17. Feb 2021 18:23    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:

“... from the state of a microscopic system one can usually predict only probabilities for single detection events” bedeutet, dass aus einem Zustand eines mikroskopischen Systems keine Aussage über einen eindeutigen Ausgang einer Messung gewonnen werden kann, lediglich statistische Aussagen.


Im allgemeinen ja. Das Problem ist hierbei aber nicht, daß die jeweiligen Zustände von System oder Detektor irgendwie undefinierte Eigenschaften hätten, sondern lediglich, daß die Korrelation dieser beiden Eigenschaften ein stochastisches Element enthält. Das ist eben der Grund, warum ein einzelnes Detektorereignis (in diesem Fall) keine präzise Messung des individuellen Systems darstellt.

Zitat:

Dennoch bleibt der Zustand gemäß der zuvor getroffenen Aussage “the only objective properties of the system”, d.h. diese objektive Eigenschaft kommt dem einzelnen System ohne Zweifel zu und ich darf das für ein einzelnes System diskutieren, ohne auf Statistik Bezug nehmen zu müssen. Wenn ich nicht über ein einzelnes System sprechen dürfte, wäre der Anspruch, die vorliegende Information wäre auf einzelne Systeme anwendbar, ohnehin sofort gescheitert.


Ganz genau.

Zitat:

“... to obtain comprehensive information about the state of a single microscopic system is therefore impossible” bedeutet, dass Informationen im Zustand kodiert sein können, die man nicht erkennen kann.


Zumindest nicht in einem einzigen Detektorereignis. In vielen solchen Ereignissen an identisch präparierten u.U. System schon. Die TI hat auch kein prinzipielles Problem mit dieser Art von Ensembles.

Zitat:

Gut, ich kann also bestimmte Informationen über den Zustand und gewisse Eigenschaften eines Systems, die diesem gemäß der obigen Argumentation objektiv zukommen, nicht anhand eines einzelnen Systems gewinnen. Das ist nicht unbedingt ein Problem, es bedeutet lediglich, dass ein einzelnes System objektive Eigenschaften haben kann, die ich an diesem einzelnen System nicht erkennen kann.


Ja, genau.

Zitat:

Die Argumentation wird jedoch problematisch, wenn ich diese Ausführungen für ein einzelnes System tatsächlich ernsthaft anwende. Es ist dann eine objektive Eigenschaft eines einzelnes System, dass dieses System sowohl eine lebende als auch eine tote Katze enthält, wenn der Zustand dies entsprechend der Dekohärenz so kodiert.


So, und hier müssen wir jetzt nochmal ganz sorgfältig argumentieren. Also zuerst erinnern wir uns nochmal daran, daß die TI behauptet jedes einzelne System sei zu jedem Zeitpunkt in einem Zustand, der vollständig durch einen Dichteoperator definiert ist. Diese Behauptung wird im folgendem zu keinem Zeitpunkt aufgegeben. Aber, das heißt ja noch nicht, daß jeder Dichteoperator, der in irgendeinem Modell ausgerechnet wird, ebenfalls einen möglichen Zustand des individuellen Systems beschreibt, das modelliert wurde. Das kommt auf die Voraussetzungen des Modells an. Also: jedes individuelle System hat einen Dichteoperator als Zustand, aber nicht jeder Dichteoperator ist ein möglicher Zustand des modellierten Systems. Darauf komme ich gleich nochmal zurück.

Was die TI zu Schrödingers Katze sagen würde, ist denke ich folgendes: Das einzige "Problem" mit dem Zustand



ist, daß er eben nicht die ganze Wahrheit über eine individuelle Katze beschreibt. Und keiner hat je bewiesen, daß dies der Fall sein müßte. Im besten Fall folgt er aus Modellen zur Dekohärenz. Die sind aber von vornherein stochastisch, da sie den Umgebungszustand stochastisch modellieren. Es ist also überhaupt kein Wunder, daß am Ende auch nur stochastische Aussagen über den wahren Zustand der Katze herauskommen. Was also in diesen Modellen nicht passiert, ist, daß wir von einem definitiven Anfangszustand der Katze ausgehen und uns einen definitiven Endzustand (K) ausrechnen. Stattdessen haben wir einen unvollständig spezifizierten Zustand , d.h. eine Wahrscheinlichkeitsverteilung über einer Menge von Dichteoperatoren. Und wegen der Bistabilität, Dissipation etc. des Gesamtsystems, entwickelt sich diese Verteilung gemäß irgendeiner stochastischen Differentialgleichung in den Endzustand mit der Eigenschaft



In Wahrheit ist die Katze laut TI aber natürlich ganz realistisch am Ende in genau einem der beiden Zustände aus getrennten Komponenten der slow manifold. Wir können nur nicht vorhersagen in welchem, weil die objektive "Vitalität" und die objektive Eigenschaft des atomaren Systems, an die sie gekoppelt ist, eben nur stochastisch korreliert sind. Das hat also handfeste physikalisch, dynamische Gründe, die in unserem Modell begründet sind, bzw. begründet sein müssen.

Was hat das ganze mit (K) zu tun? Der Mittelwert von ist eine konvexe Kombination zweier Dichtematrizen und das ist wiederum eine Dichtematrix. (Das gilt für Ensembles im Phasenraum in der Form nicht.) Aber diese rein mathematische Tatsache ist kein Beweis dafür, daß dieser mittlere Zustand auch ein möglicher Zustand dieses Systems ist; genausowenig wie "3.5" eine mögliche Augenzahl eines klassischen Würfels ist. Mittelwerte beschreiben ein Ensemble eben nicht vollständig und wir können aus ihnen keine Rückschlüsse ziehen, welche Zustände überhaupt möglich sind.

Und genau das ist hier die Behauptung: das Dekohärenzargument, welches auf (K) führt, beschreibt nur was "im Mittel" passiert. Die TI, bzw. allgemeinere stochastische Modelle, beziehen sich aber immer auf Systeme in einem definitiven Zustand (auch wenn sie ihn mit stochastischen Methoden beschreiben.)

Zitat:

Dies hat zunächst wenig mit der Thermal Interpretation im Speziellen zu tun.

Wie wird Neumaier diese objektive Eigenschaft, dass ein einzelnes System sowohl eine lebende als auch eine tote Katze enthält, wieder los?


Das ist nun hoffentlich zumindest im Prinzip beantwortet. Er muß sie nicht loswerden, denn beide zusammen sind nie in dem Zustand des einzelnen Systems enthalten. Es sind lediglich zwei mögliche Zustände in .

Zitat:

Indem er die Aussage über ein einzelnes System vergisst und im Folgenden von Systemen (Plural), Statistik usw. redet. Das interessiert mich jedoch nicht, ich bleibe bei seinen ursprünglichen Aussagen, die explizit besagen, dass eine objektive Eigenschaft eines Systems im Zustandsvektor dieses einen Systems kodiert ist.

Er hat die zwei Katzen in einem System selbst eingeführt, jetzt kriegt er sie nur dadurch los, dass er diese Problematik bzgl. eines einzelnen Systems ignoriert und im wesentlichen statistische Aussagen macht.


Das ganze Modell ist von Anfang an statistisch. Das liegt nur daran, daß wir hier makroskopische Systeme mit wenigen Parametern modellieren und an nichts weiter.

Deswegen wird aber nicht die Aussage aufgeben, daß das System zu jedem Zeitpunkt in einem wohldefinierten (aber unvollständig spezifizierten) Zustand ist; genausowenig wie mit einem klassischen Gibbsschen Ensemble aufgegeben wird, daß sich das System zu jedem Zeitpunkt in genau einem Phasenraumpunkt befindet.


Zitat:

Anyway: es ist common sense, dass die Dekohärenz nicht zu eindeutigen Messergebnissen führt, also muss die TI - wenn sie für sich reklamiert, dass dies der Fall sein soll - an entscheiden Stellen von der Argumentation der Dekohärenz abweichen muss; das wiederum hattest du mal abgestritten;


Ich bestreite dies immer noch. Wenn die Dekohärenz den mittleren Zustand der Form (K) liefert (was, soweit ich verstehe, Neumaiers Behauptung ist), dann folgt daraus noch nicht, daß sich das System tatsächlich in diesem Zustand befinden kann. Andererseits sind alle Schlußfolgerungen, die ich aus (K) ziehe natürlich konsistent damit, daß sich das System in einem der beiden Zustände befindet. Ich sehe da absolut keinen Widerspruch.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18065

Beitrag TomS Verfasst am: 17. Feb 2021 20:34    Titel: Antworten mit Zitat

Ok, klar, Danke!

Wenn ich dich richtig verstehe, dann ist laut Neumaier das Problem mit Schrödingers Katze ein reines Scheinproblem, das aus einer unzureichenden Modellierung der Systeme und deren Dynamik folgt.

Zwar folgt eine entsprechend problematische Dichtematrix aus den Modellen der Dekohärenz, jedoch ist prinzipiell eine bessere / präzisere / realistischere Modellierung denkbar, so dass genau dieser Zustand tatsächlich nicht resultiert (oder zumindest nicht stabil bleibt).

Was heißt das nun genau? In welchem Schritt findet der entscheidende Fehler statt? Bei der Modellierung des inialen Zustandes? Bei der Zeitentwicklung? Beim Ausspuren?

Wenn das tatsächlich die Behauptung ist, dann ist das eine extrem starke Aussage. Die Quantenmechanik wäre seit einem Jahrhundert einem Scheinproblem aufgesessen, zunächst dem Scheinproblem, das aus der rein symbolischen Notation nach von Neumann folgt, um dann über Jahrzehnte einer unzureichenden Lösung dieses Scheinproblem auf den Leim zu gehen, die letztlich aus einer unzureichenden Modellbildung folgt.

Warum steht diese Aussage nirgendwo? Warum musst du schreiben “was die TI zu Schrödingers Katze sagen würde, ist denke ich folgendes ...” Warum muss man diese Aussage bei Neumaier suchen?

Nächster Punkt: Wie gedenkt man, eine Aussage zu plausibilisieren und für praktische alle Systeme zu verallgemeinern, die gerade auf die bessere und spezifische Modellierung einzelner Systeme abzielt?

_________________
Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.


Zuletzt bearbeitet von TomS am 17. Feb 2021 21:02, insgesamt einmal bearbeitet
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 17. Feb 2021 20:40    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
Wenn ich sie falsch verstanden habe, dann liegt die Lösung offenbar im Folgenden. Kannst du dazu noch etwas erhellendes beitragen?


Also ich fürchte ich kann dazu nichts substantielleres sagen, als was in Kap 5 in Preprint III (bzw. Kap 11 in Neumaiers Buch) steht. Ich kann aber versuchen zu erklären, wie ich die Aussagen verstanden habe.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
1) Laut TI resultiert ein "asymmetrischer" Zustand, der durch Umgebungsrauschen selektiert wird ... Laut TI ergäbe sich ein vollkommen deterministisches Ergebnis ... wenn man alle Freiheitsgrade berücksichtigen würde und der makroskopische Zustand exakt bekannt wäre.


index_razor hat Folgendes geschrieben:
2) D.h. das makroskopische Meßgerät legt sich auf einen definitiven Wert für die Indikatorvariable fest. Das passiert mittels chaotischer, dissipativer, stochastischer Prozesse, aber innerhalb der unitären Dynamik des Gesamtsystems.


index_razor hat Folgendes geschrieben:
3) Der Punkt ... war zu erklären, daß -- entgegen deiner Behauptung -- keine "mathematisch unterschiedlichen" Vorhersagen zwischen TI und Dekohärenz bestehen.


Fangen wir von hinten an: für ein abgeschlossenes System folgt nach (3) sowohl gemäß Dekohärenz als auch TI, dass ein separabler, reiner Zustand eines abgeschlossenen Systems, bestehend aus den Subsystemen “nicht zerfallenem Atomkern”, “lebende Katze”, “Umgebung” und “Messgerät” durch Zeitentwicklung in einen verschränkten Zustand dieser Subsysteme übergeht.


Ich denke, daß deine Voraussetzungen hier bereits nicht aufrechtzuerhalten sind. Zumindest nicht für reale Katzen. Aus welcher unitären Dynamik soll das alles folgen? Aus einem Hamiltonian mit Termen oder sowas in der Art? Das ist einfach nicht realistisch, aber davon hängt das ganze Paradoxon ja wesentlich ab. Sowas kann man für Systeme mit Spin-Spin-Kopplung fordern, und da ist es auch kein Problem, wenn am Ende zwei unsichere Spinwerte herauskommen. Aber für Katzen ergibt das natürlich nicht viel Sinn.


Zitat:

Aus (1) folgt, dass der finale Zustand in jedem Einzelfall eine eindeutige (wenn auch gemäß TI nicht exakt scharfe) Zeigerposition liefert. Die genannte Dichtematrix hat jedoch nicht diese Struktur, d.h. wir benötigen

(2), nämlich “chaotische, dissipative, stochastischer Prozesse innerhalb der unitären Dynamik des Gesamtsystems.”

Fragen:

Wie folgen trotz der unitären Dynamik eines prinzipiell abgeschlossenes und reines Systems chaotische, dissipative und stochastische Prozesse? Soll ich mir das z.B. wie beim Wetter vorstellen?


Ja, ich glaube schon. So wie ich das verstehe soll das aus dem coarse-graining folgen. Also die Dissipation findet natürlich in einem Teilsystem statt, nicht in dem abgeschlossenen System. Und Neumaier behauptet glaube ich irgendwo, daß bei sowas sehr oft chaotische Gleichungen für die q-Erwartungswerte folgen. Das ist schon fast die halbe Miete. Aber nicht ganz. Wir wollen ja nicht nur Chaos, sondern auch Multistabilität etc. Aber das sich sowas aus sinnvollen Modellen für reale makroskopische Systeme ergeben kann, finde ich jetzt auch nicht gerade unplausibel. Aber andererseits bin ich in dem Punkt ziemlich naiv und unwissend.

Zitat:

An welcher konkreten Stelle ist die gemäß der Dekohärenz folgende, allseits bekannte Argumentation falsch, das auf die inkohärente Überlagerung aus lebender und toter Katze geschlossen werden kann, und dass beide stabil bleiben?


Die ist an sich nicht falsch. Und es kann durchaus Systeme geben, in denen das passiert. Aber ich denke Neumaiers Behauptungen implizieren, daß das für realistische Detektoren und Katzen eben nicht der Fall ist, und das Argument höchstens das beschreibt, was im Mittel passiert. Wenn sich in einem vernünftigen Modell herausstellt, daß das gar nicht stimmt, hat die TI vermutlich ein Problem. (Aber ich finde es schwierig mir ein Modell vorzustellen, was dies zweifelsfrei belegt.)
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 17. Feb 2021 21:00    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
Ok, klar, Danke!

Wenn ich dich richtig verstehe, dann ist laut Neumaier das Problem mit Schrödingers Katze ein reines Scheinproblem, das aus einer unzureichenden Modellierung der Systeme und deren Dynamik folgt.


Also Schrödingers Katze ist ja im wesentlichen das Meßproblem. Das betrachtet Neumaier nun nicht gerade als Scheinproblem, aber er behauptet zumindest, daß es kein philosophisches Rätsel ist, sondern nur eine Frage der sinnvollen Modellierung der beteiligten Systeme. Zumindest verstehe ich ihn so.

Zitat:

Zwar folgt eine entsprechend problematische Dichtematrix aus den Modellen der Dekohärenz, jedoch ist prinzipiell eine bessere / präzisere / realistischere Modellierung denkbar, so dass genau dieser Zustand tatsächlich nicht resultiert (oder zumindest nicht stabil bleibt).


Ja, so ungefähr verstehe ich das.

Zitat:

Was heißt das nun genau? In welchem Schritt findet der entscheidende Fehler statt? Bei der Modellierung des inialen Zustandes? Bei der Zeitentwicklung? Beim Ausspuren?


Ich denke bei der Modellierung des initialen Zustands und bei dessen Dynamik. Nichts davon ist prinzipiell falsch, aber es trifft, salopp formuliert, einfach nicht auf die Systeme zu, bei denen wir das problematisch finden würden. Das ist natürlich nicht einfach nur eine billige Ausrede. Wie gesagt, ob es stimmt, ist im Prinzip ein physikalisches Problem, was im Einzelfall in konkreten Modellen untersucht werden muß.

Zitat:

Wenn das tatsächlich die Behauptung ist, dann ist das eine extrem starke Aussage. Die Quantenmechanik wäre seit einem Jahrhundert einem Scheinproblem aufgesessen, zunächst dem Scheinproblem, das aus der rein symbolischen Notation nach von Neumann folgt, um dann über Jahrzehnte einer unzureichenden Lösung dieses Scheinproblem auf den Leim zu gehen, die letztlich aus einer unzureichenden Modellbildung folgt.


Klar, er behauptet, daß er eine Lösung für das Meßrpoblem hat. Das ist schon stark. Aber er behauptet nicht ganz, daß es ein Scheinproblem ist, sondern daß seine Formulierung auf einer falschen Interpretation des QM-Formalismus beruht. Insbesondere auf der Behauptung eine Messung liefere Eigenwerte mit großer Präzision und der Bornschen Regel.

Zitat:

Warum steht diese Aussage nirgendwo? Warum musst du schreiben “was die TI zu Schrödingers Katze sagen würde, ist denke ich folgendes ...” Warum muss man diese Aussage bei Neumaier suchen?


Also ich denke einfach Neumaier sieht keinen Grund Schrödingers Katze eine Sonderbehandlung zu geben. Und ich eigentlich auch nicht. Wenn seine allgemeinen Aussagen über Messgeräte etc. zutreffen, dann kann man sich leicht vorstellen, daß sie auch für Katzen gelten.

Zitat:

Nächster Punkt: Wie gedenkt man, eine Aussage zu plausibilisieren und für praktische alle Systeme zu verallgemeinern, die gerade auf die bessere und spezifische Modellierung einzelner Systeme abzielt?
[/latex]


Ich denke als generellen Ansatzpunkt sieht er die Behandlung offener Quantensysteme mittels stochastischer Gleichungen. Insbesondere bezieht er sich dabei auf stückweise deterministische stochastische Prozesse, wie in Breuer, Petruccione, The Theory of Open Quantum Systems, Kap. 6, das mehrmals zitiert wird. Aber ich glaube prinzipiell muß man nicht unbedingt so allgemeine Aussagen finden, daß sie für praktisch alle Detektoren gelten. Das wäre ungefähr so als fragte man nach einer universellen Eigenschaft aller makroskopischen Systeme. (Sie haben halt viele Freiheitsgrade und ihre Dynamik ist kompliziert. Aber sonst?)
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18065

Beitrag TomS Verfasst am: 18. Feb 2021 08:20    Titel: Antworten mit Zitat

Die Frage ist, ob es überhaupt eine Interpretation ist ;-)

Grob gesprochen werden Interpretationen aus zwei Gründen notwendig:
A) der Messprozess kann nicht quantenmechanisch betrachtet werden
B) der Messprozess kann zwar quantenmechanisch betrachtet werden, allerdings erfordern die Ergebnisse weitere Interpretation

(A) ist old-fashioned orthodoxy und längst überholt - auch wenn sich das noch zu wenig rumgesprochen hat. (B) wird allgemein in der Dekohärenz aufgegriffen und on einigen modernen Interpretationen betrachtet; neben der Many-Worlds-Interpretation (B.1) ist sicher noch die Consistent-/Decoherent-Histories-Interpretation (B.2) zu nennen.

B.1) Es findet tatsächlich keine Selektion eines eindeutigen Messergebnisses statt; alle sind realisiert; insbs. das Auftreten von Wahrscheinlichkeiten erfordert eine Interpretation (die MWI ist weniger eine Interpretation denn eine Verteidigungsstrategie ob der Ergebnisse)
B.2) Es findet keine Selektion eines eindeutigen Messergebnisses statt; das Auftreten von Wahrscheinlichkeiten und die beobachtete Selektion eines Messergebnisses erfordert eine Interpretation

Interessanterweise werden die Interpretationen immer komplizierter, je besser die unterschiedlichen Ansätze den Messprozess verstehen.

Neumaier ergänzt - zumindest verstehen wir dies so - eine Option

C) Für eine große Klasse relevanter Systeme findet eine Selektion eines eindeutigen Messergebnisses statt

Keine paradoxe Katze - kein Problem - keine Interpretation.


Ein Kern des Problems scheint im Maudlin-Trilemma zu liegen. Maudlin zeigt (?) dass die folgenden drei Aussagen zusammengenommen inkonsistent sind:
i) Der Zustandsvektor beschreibt das System vollständig (insbs. keine verborgenen Variablen)
ii) Der Zustandsvektor folgt immer einer linearen Zeitentwicklung (Schrödingergleichung).
iii) Messungen haben immer ein definiertes Ergebnis (im Sinne einer definierten Eigenschaft bzgl. einer Observablen)
Unterschiedliche Interpretationen verzichten nun auf einen der drei genannten Punkte um das Messproblem zu lösen: de Broglie und Bohm verzichten auf (1); von Neumann et al. verzichten auf (2) und führen implizit einen Kollaps ein; Everett et al. verzichten auf (3), d.h. eine Messung führt nur scheinbar auf einen eindeutigen Messwert; tatsächlich bleiben alle quantenmechanisch angelegten Möglichkeiten realisiert.

Wenn wir Neumaier richtig verstehen, analysiert er den Begriff der Messung neu und folget - zumindest wir beide legen ihm das in den Mund - dass im Widerspruch zu (iii) für eine relevante Klasse von makroskopischen Systemen eindeutige Messergebnisse möglich sind, obwohl (i - ii) weiterhin gültig bleibt.

Die eigentliche Ursache steckt dann - ich nehme mir die Freiheit, wieder mal auf eine Signatur zu verweisen - in dem erratischen Dogma, die Quantenmechanik nicht realistisch interpretieren zu wollen. Dies ist wahrscheinlich eines der folgenschwersten Hindernisse für weiteren Fortschritt gewesen, denn anstelle sich um die physikalische Fragestellung der korrekten Modellierung der Systeme zu kümmern, hat man die Zeit lieber in die unnötige Interpretation paradoxer Situationen investiert, die bei geeigneter Modellierung nicht auftreten.


Worauf ich bei meiner Frage, wie gedenkt man diese Aussage zu plausibilisieren und für eine große Klasse relevanter Systeme zu verallgemeinern, hinauswollte ist, dass Neumaier nicht einfach nur eine neue Variante der Interpretationen einführt, sondern dass er letztlich allen Interpretationen, Schulen und Dogmen vorwirft, an der falschen Stelle gearbeitet zu haben. Es gibt keine Interpretation, die sich nicht irgendwo mit Problemen herumzuschlagen hätte, die nach Neumaier schlicht nicht existieren; die einzige heute wirklich vollständige psi-optische Interpretation - die MWI - löst nach Neumaier ein Scheinproblem; viele andere Interpretation folgen letztlich aus dem Bohrschen Denkverbot, aus dem Neumaier einen trivialen Ausweg findet.

Das ist schon starker Tobak.

_________________
Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
Qubit



Anmeldungsdatum: 17.10.2019
Beiträge: 829

Beitrag Qubit Verfasst am: 18. Feb 2021 19:24    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:

Aber er behauptet nicht ganz, daß es ein Scheinproblem ist, sondern daß seine Formulierung auf einer falschen Interpretation des QM-Formalismus beruht. Insbesondere auf der Behauptung eine Messung liefere Eigenwerte mit großer Präzision und der Bornschen Regel.


Um überhaupt (halbwegs) "realistische" Interpretationen liefern zu können, müssen wir doch erstmal darüber sprechen, was wir maximal über QM-Systeme wissen können.
Dazu gehören (präperierte) reine Zustände vor der Messung, die man bezüglich Observablen in Eigenzuständen entwickeln kann und Messungen, die einen dieser Eigenzustände stochastisch herausfiltern. Solche Zustände kann man auch empirisch bestätigen, das ist keine Spekulation.
Mehr kann man doch gar nicht (maximal) modellieren, alles andere sind leere Behauptungen. Natürlich entsprechen viele Messungen nicht diesem Ideal, aber die Ursachen dafür sind doch besonders zu begründen, dass kann man nicht innerhalb eines statistischen Modells von Koppelung von QM-System+Messapparat einfach erschlagen. Und man kann hier auch nicht behaupten, dass wir Initalzustände nicht adäquat beschreiben. Diese Beschreibung ist in diesem Falle maximal, da gibt es nicht mehr zu beschreiben.
Und wenn wir diesen experimentellen Situs voraussetzen, dann sehe ich bisher überhaupt kein Argument, wie die TI die Beschreibung vor der Messung auf die Beschreibung nach der Messung abbilden kann. Dazu ist - wie schon jetzt mehrfach gesagt - m.E. vielmehr ein konkretes Modell "physikalischer Wechselwirkung" von QM-System+Messapparatur notwendig. In diesem vorgegebenen Falle der Präparation liefert die Standardinterpretation aber immer ein richtiges Messergebnis, einen Eigenzustand nach der QM-Wahrscheinlichkeit unabhängig konkreter "physikalischer Wechselwirkungen" mit dem Messapparat. Das ist doch ein empirisches Faktum. Die TI liefert das nicht generisch, sie muss für den gemessenen Eigenzustand ein zusätzliches Modell bemühen. Und sie muss es auch abhängig von der Natur der "physikalischen Wechselwirkung" machen, um genau diesen gemessenen Eigenzustand zu erklären. In ihrem Modell kann sie das aber gar nicht. Sie ist da eben nicht schlüssig.
An diesem Punkt verabschiede ich mich auch aus der Diskussion, weil mir zuviele "Beahauptungen" über reale Zustände gemacht werden (wie zB. wir "modellieren" den Initialzustand nicht adäquat, etc.), was für mich aber schon längst ad acta ist. Ich diskutiere nicht über Schimären..
Neue Frage »
Antworten »
    Foren-Übersicht -> Quantenphysik