RegistrierenRegistrieren   LoginLogin   FAQFAQ    SuchenSuchen   
Schrödingers Katze kein Witz - Teil III - Seite 4
Gehe zu Seite Zurück  1, 2, 3, 4 
Neue Frage »
Antworten »
    Foren-Übersicht -> Quantenphysik
Autor Nachricht
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 18. Feb 2021 20:11    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
Die Frage ist, ob es überhaupt eine Interpretation ist ;-)

Grob gesprochen werden Interpretationen aus zwei Gründen notwendig:
A) der Messprozess kann nicht quantenmechanisch betrachtet werden
B) der Messprozess kann zwar quantenmechanisch betrachtet werden, allerdings erfordern die Ergebnisse weitere Interpretation


Das sind eher die Gründe -- oder wenn man so will: Vorurteile --, aus denen Interpretationen der Quantenmechanik als schwierig gelten. Notwendig sind Interpretationen lediglich aus einem Grund: wir wollen ein klares Bild davon, was die Theorie über die Realität aussagt.

Zitat:

Neumaier ergänzt - zumindest verstehen wir dies so - eine Option

C) Für eine große Klasse relevanter Systeme findet eine Selektion eines eindeutigen Messergebnisses statt

Keine paradoxe Katze - kein Problem - keine Interpretation.


In der thermischen Interpretation gibt es ja gar keinen direkten Zusammenhang zwischen Meßwerten und Eigenwerten. Damit entfällt eine Hürde, den Meßprozeß als gewöhnliche physikalische Wechselwirkung aufzufassen. Nur aus diesem Grund erfordert dies ja gewöhnlich "weitere Interpretationen".

Zitat:

Ein Kern des Problems scheint im Maudlin-Trilemma zu liegen. Maudlin zeigt (?) dass die folgenden drei Aussagen zusammengenommen inkonsistent sind:
i) Der Zustandsvektor beschreibt das System vollständig (insbs. keine verborgenen Variablen)
ii) Der Zustandsvektor folgt immer einer linearen Zeitentwicklung (Schrödingergleichung).
iii) Messungen haben immer ein definiertes Ergebnis (im Sinne einer definierten Eigenschaft bzgl. einer Observablen)


Das ist nur dann ein Trilemma, wenn man voraussetzt, daß in jedem Einzelfall eine eins-zu-eins-Beziehung zwischen dem erhaltenen Meßwert und dem Eigenwert einer q-Observable bestehen muß. Genau dies bestreitet die TI ja. Es gibt nur einen (manchmal) stochastischen Zusammenhang zwischen den objektiven Eigenschaften eines mikroskopischen und eines makroskopischen Systems, z.B. einem q-Erwartungswert und einem Meßwert. Das Maudlin-Trilemma ist deshalb wohl ohne Bedeutung für die TI.

Zitat:

Unterschiedliche Interpretationen verzichten nun auf einen der drei genannten Punkte um das Messproblem zu lösen: de Broglie und Bohm verzichten auf (1); von Neumann et al. verzichten auf (2) und führen implizit einen Kollaps ein; Everett et al. verzichten auf (3), d.h. eine Messung führt nur scheinbar auf einen eindeutigen Messwert; tatsächlich bleiben alle quantenmechanisch angelegten Möglichkeiten realisiert.

Wenn wir Neumaier richtig verstehen, analysiert er den Begriff der Messung neu und folget - zumindest wir beide legen ihm das in den Mund - dass im Widerspruch zu (iii) für eine relevante Klasse von makroskopischen Systemen eindeutige Messergebnisse möglich sind, obwohl (i - ii) weiterhin gültig bleibt.


Ich würde eher sagen er verzichtet auf den traditionellen Zusammenhang zwischen Eigenwert und Meßwert. Und damit wird die Analyse des Meßprozesses konzeptionell deutlich einfacher. Eine zentrale Behauptung Neumaiers ist folglich auch, das Meßproblem aus dem Status eines unlösbaren philosophischen Rätsels in ein konkretes, wenn auch dynamisch kompliziertes, physikalisches Problem gehoben zu haben.

Ich sehe aber die neuen Aspekte in dieser Interpretation nicht spezifisch auf den Meßprozeß bezogen. Viele Interpretationen sind ja der Ansicht, daß man ihn als normale Wechselwirkung im Rahmen der QM verstehen muß.

Zitat:

Die eigentliche Ursache steckt dann - ich nehme mir die Freiheit, wieder mal auf eine Signatur zu verweisen - in dem erratischen Dogma, die Quantenmechanik nicht realistisch interpretieren zu wollen. Dies ist wahrscheinlich eines der folgenschwersten Hindernisse für weiteren Fortschritt gewesen, denn anstelle sich um die physikalische Fragestellung der korrekten Modellierung der Systeme zu kümmern, hat man die Zeit lieber in die unnötige Interpretation paradoxer Situationen investiert, die bei geeigneter Modellierung nicht auftreten.


Ich denke die Ursache ist nicht der Unwille die QM realistisch zu interpretieren, sondern die Schwierigkeiten, die der traditionelle Eigenwert-Meßwert-Zusammenhang einer realistischen Interpretation in den Weg legt.

Zitat:

Worauf ich bei meiner Frage, wie gedenkt man diese Aussage zu plausibilisieren und für eine große Klasse relevanter Systeme zu verallgemeinern, hinauswollte ist, dass Neumaier nicht einfach nur eine neue Variante der Interpretationen einführt, sondern dass er letztlich allen Interpretationen, Schulen und Dogmen vorwirft, an der falschen Stelle gearbeitet zu haben. Es gibt keine Interpretation, die sich nicht irgendwo mit Problemen herumzuschlagen hätte, die nach Neumaier schlicht nicht existieren; die einzige heute wirklich vollständige psi-optische Interpretation - die MWI - löst nach Neumaier ein Scheinproblem;


Ich denke sie geht lediglich von der falschen Voraussetzungen aus, daß nach einer Messung jeder Eigenwert, der vorher eine nichtverschwindende q-Wahrscheinlichkeit hatte, in der Realität repräsentiert sein müßte. Diese Annahme läßt sich direkt auf den Eigenwert-Meßwert-Zusammenhang zurückführen. Und nur weil es mehrere solcher Eigenwerte im selben Zustand geben kann, ist es notwendig in einem "weiteren Interpretationsschritt" ebenso viele Welten zu postulieren, die dieser Zustand repräsentiert. In der thermischen Interpretation ist das nicht nötig, weil es zu jeder q-Observable immer nur einen Wert gibt, sowohl vor als auch nach der Messung. Ich weiß nicht, ob das korrekt Neumaiers eigene Sichtweise wiedergibt. Er selbst äußert sich so gut wie gar nicht zur MWI. Aber das sind meine Schlußfolgerungen aus seiner Darstellung.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18066

Beitrag TomS Verfasst am: 18. Feb 2021 21:01    Titel: Antworten mit Zitat

Qubit hat Folgendes geschrieben:
Die TI liefert das nicht generisch, sie muss für den gemessenen Eigenzustand ein zusätzliches Modell bemühen. Und sie muss es auch abhängig von der Natur der "physikalischen Wechselwirkung" machen, um genau diesen gemessenen Eigenzustand zu erklären. In ihrem Modell kann sie das aber gar nicht. Sie ist da eben nicht schlüssig.

Sie muss das nicht generisch liefern, es ist ausreichend, wenn dies für alle praktisch relevanten Fälle gelingt. Ja, die TI ist da evtl. lückenhaft, sie lässt auch nach meinem Geschmack zu viel offen.

Aber man kann ja versuchen, diese Lücken zu schließen - oder beim Schließen die Lücken herausarbeiten.

_________________
Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18066

Beitrag TomS Verfasst am: 18. Feb 2021 22:25    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Ich denke sie geht lediglich von der falschen Voraussetzungen aus, daß nach einer Messung jeder Eigenwert, der vorher eine nichtverschwindende q-Wahrscheinlichkeit hatte, in der Realität repräsentiert sein müßte.

Das mag ursprünglich so gewesen sein. In der heutigen Variante ist es eher die Dekohärenz und die daraus folgende “Verzweigung”, zusammen mit der ontischen Auffassung des Zustandsvektors; einen eigenvector-eigenvalue-link kann ich nicht erkennen.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
In der thermischen Interpretation ist das nicht nötig, weil es zu jeder q-Observable immer nur einen Wert gibt, sowohl vor als auch nach der Messung.

Das scheint die wesentliche Behauptung zu sein. Ich bin mir diesbzgl. jedoch nicht wirklich sicher, da Neumaier hier nicht Klartext redet. Und wenn es so, ist ggw. offen, ob und wie man das für eine vernünftige Klasse von Modellen beweisen kann.

Wenn der Beweis nicht gelingt, wäre die Thermal Interpretation irgendwo in der Nähe der Consistent Histories zu verorten. Damit wäre sie natürlich nicht der große Wurf, jedoch sicher nicht wertlos.

Ich habe jedenfalls den neuen Thread gestartet, um die Konsequenz besser zu verstehen.

_________________
Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 19. Feb 2021 06:34    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
Ich denke sie geht lediglich von der falschen Voraussetzungen aus, daß nach einer Messung jeder Eigenwert, der vorher eine nichtverschwindende q-Wahrscheinlichkeit hatte, in der Realität repräsentiert sein müßte.

Das mag ursprünglich so gewesen sein. In der heutigen Variante ist es eher die Dekohärenz und die daraus folgende “Verzweigung”, zusammen mit der ontischen Auffassung des Zustandsvektors; einen eigenvector-eigenvalue-link kann ich nicht erkennen.


Auch in der heutigen Formulierung repräsentiert der relative Zustand doch einen Beobachter, der genau einen der möglichen Eigenwerte gemessen hat. Dekohärenz hat nur die Funktion das in dieser Interpretation auftretende Basisproblem zu lösen, daß der Endzustand nicht eindeutig definiert welche q-Observable überhaupt gemessen wurde. Ohne die Implikationen, daß gerade eine Messung einer bestimmten q-Observable stattgefunden hat, kann man einem reinen Zustand gar keine eindeutige Zweigstruktur zuordnen. Und ohne den Zusammenhang zwischen Eigenwerten und Meßwerten gibt es keinen Grund dazu. Wir wollen ja nicht erklären, warum makroskopische Objekte in Superpositionen landen können, denn wir haben (außer dem "Eigenwert-Link") keinen Grund anzunehmen, daß sie dies tun. Die MWI nimmt dies aber an und muß deshalb "erklären", daß es im Einzelfall nicht so aussieht. Ohne die Annahme gibt es hier aber auch nichts zu erklären.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
In der thermischen Interpretation ist das nicht nötig, weil es zu jeder q-Observable immer nur einen Wert gibt, sowohl vor als auch nach der Messung.

Das scheint die wesentliche Behauptung zu sein. Ich bin mir diesbzgl. jedoch nicht wirklich sicher, da Neumaier hier nicht Klartext redet.


Diese Behauptung hat nicht das geringste mit der Modellierung eines Meßprozesses zu tun. Das ist die Grundaussage der Interpretation. Und die könnte m.E. nicht klarer sein. Ich verstehe immer noch nicht, welchen "Klartext" du vermißt. (Das verstehe ich allerdings auch nicht in Bezug auf das Meßproblem.)

Zitat:

Und wenn es so, ist ggw. offen, ob und wie man das für eine vernünftige Klasse von Modellen beweisen kann.

Wenn der Beweis nicht gelingt, wäre die Thermal Interpretation irgendwo in der Nähe der Consistent Histories zu verorten. Damit wäre sie natürlich nicht der große Wurf, jedoch sicher nicht wertlos.


Welche Aussage genau möchtest du bewiesen haben? Daß sich jedes System zu jedem Zeitpunkt in einem definitiven Zustand befindet? Das entspricht der physikalische Grundannahme, daß die QM (im wesentlichen) vollständig ist. Diese Annahme teilt sie nach meinem Verständnis mit der MWI.

Zitat:

Ich habe jedenfalls den neuen Thread gestartet, um die Konsequenz besser zu verstehen.


Ich habe deine Darstellung dort noch nicht verstanden. Ich lese sie mir nochmal in Ruhe durch. Vielleicht wird es mir noch klarer.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18066

Beitrag TomS Verfasst am: 19. Feb 2021 07:23    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
TomS hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
Ich denke sie geht lediglich von der falschen Voraussetzungen aus, daß nach einer Messung jeder Eigenwert, der vorher eine nichtverschwindende q-Wahrscheinlichkeit hatte, in der Realität repräsentiert sein müßte.

Das mag ursprünglich so gewesen sein. In der heutigen Variante ist es eher die Dekohärenz und die daraus folgende “Verzweigung”, zusammen mit der ontischen Auffassung des Zustandsvektors; einen eigenvector-eigenvalue-link kann ich nicht erkennen.

Ohne die Implikationen, daß gerade eine Messung einer bestimmten q-Observable stattgefunden hat, kann man einem reinen Zustand gar keine eindeutige Zweigstruktur zuordnen. Und ohne den Zusammenhang zwischen Eigenwerten und Meßwerten gibt es keinen Grund dazu.

Die MWI zeichnet in ihrer heutigen Formulierung die Eigenwerte nicht als Messwerte aus.

In ihrer schwächsten Formulierung besagt sie, dass sie das als real ansieht, was die unitäre Zeitentwicklung liefert. Und weil die unitäre Zeitentwicklung inklusive Dekohärenz plus Ausspuren behauptet, eine derartige Zweigstruktur zu liefern, muss sie diese interpretieren.

Es läuft natürlich auf das selbe Problem hinaus, hat aber eine andere Ursache, nämlich eine konkrete Herleitung dieser Zweigstruktur aus der Dekohärenz. Während man bei von Neumann noch von einem unpassenden Axiomensystem sprechen konnte, müsste man für die heutige Formulierung der MWI zeigen, dass die Zweigstruktur als Schlussfolgerung aus der Dekohärenz mathematisch falsch ist, oder zumindest nicht gut begründet - oder zumindest für eine große Klasse praktisch relevanter Systeme so nicht auftreten.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
In der thermischen Interpretation ist das nicht nötig, weil es zu jeder q-Observable immer nur einen Wert gibt, sowohl vor als auch nach der Messung.

Das scheint die wesentliche Behauptung zu sein. Ich bin mir diesbzgl. jedoch nicht wirklich sicher, da Neumaier hier nicht Klartext redet.

Diese Behauptung hat nicht das geringste mit der Modellierung eines Meßprozesses zu tun. Das ist die Grundaussage der Interpretation. Und die könnte m.E. nicht klarer sein. Ich verstehe immer noch nicht, welchen "Klartext" du vermißt.

Neumaier lässt so nebenher die Ansicht einfließen, dass die mathematische Betrachtung einer Messung im Rahmen der TI immer einen eindeutig definierten Wert liefert - zumindest interpretieren wir ihn so.

Das steht im Widerspruch zu von Neumann, Zeh u.v.a.m., und trotzdem sagt er dazu praktisch nichts.

Wenn irgendein mathematischer Formalismus diese makroskopische Superpositionen sich klassisch ausschließender Messwerte liefert, dann ist alles Folgende nur eine yet another interpretation.

Wenn ein mathematischer Formalismus dagegen für eine große Klasse makroskopischer Systeme keine derartige Superpositionen liefert, dann falsifiziert dies die Schlussfolgerungen aus dem Ausspuren gemäß Dekohärenz. Es wäre also angebracht, zu zeigen, wo diese falsch ist.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Welche Aussage genau möchtest du bewiesen haben?

Dass für eine große Klasse relevanter Systeme mathematisch bewiesen werden kann, wie aus dem immer eindeutigen Zustand ein eindeutiger Messwert folgt - im Widerspruch zur Aussage des Ausspurens gemäß Dekohärenz.

_________________
Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 19. Feb 2021 08:05    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
TomS hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
Ich denke sie geht lediglich von der falschen Voraussetzungen aus, daß nach einer Messung jeder Eigenwert, der vorher eine nichtverschwindende q-Wahrscheinlichkeit hatte, in der Realität repräsentiert sein müßte.

Das mag ursprünglich so gewesen sein. In der heutigen Variante ist es eher die Dekohärenz und die daraus folgende “Verzweigung”, zusammen mit der ontischen Auffassung des Zustandsvektors; einen eigenvector-eigenvalue-link kann ich nicht erkennen.

Ohne die Implikationen, daß gerade eine Messung einer bestimmten q-Observable stattgefunden hat, kann man einem reinen Zustand gar keine eindeutige Zweigstruktur zuordnen. Und ohne den Zusammenhang zwischen Eigenwerten und Meßwerten gibt es keinen Grund dazu.

Die MWI zeichnet in ihrer heutigen Formulierung die Eigenwerte nicht als Messwerte aus.


Sondern? Was sind denn Meßwerte in der MWI? Oder allgemeiner was sind die meßbaren, objektiven Eigenschaften eines Systems?

Zitat:

In ihrer schwächsten Formulierung besagt sie, dass sie das als real ansieht, was die unitäre Zeitentwicklung liefert.


Danach beinhaltet die schwächste Formulierung der MWI die thermische Interpretation. Das ist absolut keine sinnvolle Definition der MWI.

Zitat:

Und weil die unitäre Zeitentwicklung inklusive Dekohärenz plus Ausspuren behauptet, eine derartige Zweigstruktur zu liefern, muss sie diese interpretieren.


Aber die einzige im Kontext der Diskussion relevante Frage ist: Wieso interpretiert sie sie als Darstellung vieler Welten, je einer für jeden Eigenzustand , und nicht als eine Welt mit der objektiven Eigenschaft ? Dazu muß sie doch irgendeinen Grund haben. Bis jetzt hast du keinen genannt. Und alle Gründe, die mir einfallen, bestreitest du.

Zitat:

Es läuft natürlich auf das selbe Problem hinaus, hat aber eine andere Ursache, nämlich eine konkrete Herleitung dieser Zweigstruktur aus der Dekohärenz. Während man bei von Neumann noch von einem unpassenden Axiomensystem sprechen konnte, müsste man für die heutige Formulierung der MWI zeigen, dass die Zweigstruktur als Schlussfolgerung aus der Dekohärenz mathematisch falsch ist, oder zumindest nicht gut begründet - oder zumindest für eine große Klasse praktisch relevanter Systeme so nicht auftreten.


Ich dachte wir hätten schon geklärt, daß dies nicht der Fall ist. Ich bin ratlos. Man muß überhaupt nicht zeigen, daß das Ergebnis der Dekohärenz falsch ist oder nicht auftreten kann. Es gibt nämlich keinen Grund zu der Annahme, daß es etwas anders beschreibt als was im Mittel mit einem makroskopischen System passiert.

Übrigens drehst du hier allein auf Basis deiner Interpretation die Beweislast um. Wenn du behauptest ein realistisches Modell für einen realen Prozeß zu haben, dann mußt du doch beweisen, daß das stimmt. Aus meiner Sicht liefert, überspitzt formuliert, dein Modell eben keine realistische Aussage über ein System und die unrealistischen Eigenschaften des Endzustands werden anschließend einfach "hinweginterpretiert". Du siehst das natürlich genau andersrum. Aber die Basis dafür ist nur deine Interpretation.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
In der thermischen Interpretation ist das nicht nötig, weil es zu jeder q-Observable immer nur einen Wert gibt, sowohl vor als auch nach der Messung.

Das scheint die wesentliche Behauptung zu sein. Ich bin mir diesbzgl. jedoch nicht wirklich sicher, da Neumaier hier nicht Klartext redet.

Diese Behauptung hat nicht das geringste mit der Modellierung eines Meßprozesses zu tun. Das ist die Grundaussage der Interpretation. Und die könnte m.E. nicht klarer sein. Ich verstehe immer noch nicht, welchen "Klartext" du vermißt.

Neumaier lässt so nebenher die Ansicht einfließen, dass die mathematische Betrachtung einer Messung im Rahmen der TI immer einen eindeutig definierten Wert liefert - zumindest interpretieren wir ihn so.

Das steht im Widerspruch zu von Neumann, Zeh u.v.a.m., und trotzdem sagt er dazu praktisch nichts.


Das ist eine triviale Folgerung aus der Grundannahme, daß Meßergebnisse signifikante, objektive Eigenschaften von Detektoren sind.

Wozu genau soll dies im Widerspruch stehen? Du machst hier offenbar irgendwelche impliziten Annahmen und unterstellst, daß sie mir klar sind und ich ihnen zustimme.

Zitat:

Wenn irgendein mathematischer Formalismus diese makroskopische Superpositionen sich klassisch ausschließender Messwerte liefert, dann ist alles Folgende nur eine yet another interpretation.


Verstehe ich nicht. Wenn irgendein mathematischer Formalismus irgendeine Superposition liefert, heißt das noch nicht, daß dies irgendwas mit einem realen einzelnen System zu tun hat. Es könnte genau so gut sein, daß die Modellannahmen falsch sind oder daß das Model den Zustand nicht genau spezifiziert.

Zitat:

Wenn ein mathematischer Formalismus dagegen für eine große Klasse makroskopischer Systeme keine derartige Superpositionen liefert, dann falsifiziert dies die Schlussfolgerungen aus dem Ausspuren gemäß Dekohärenz. Es wäre also angebracht, zu zeigen, wo diese falsch ist.


Nichts wird falsifiziert. Die Tatsache, daß du beim Würfeln niemals 3.5 Augen siehst, falsifiziert nicht, daß dies der Mittelwert ist.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Welche Aussage genau möchtest du bewiesen haben?

Dass für eine große Klasse relevanter Systeme mathematisch bewiesen werden kann, wie aus dem immer eindeutigen Zustand ein eindeutiger Messwert folgt - im Widerspruch zur Aussage des Ausspurens gemäß Dekohärenz.


Erstens sind Meßwerte objektive Eigenschaften des Detektors. Dieser Teil ist also trivial. Zweitens ist das kein Widerspruch zur Dekohärenz.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18066

Beitrag TomS Verfasst am: 20. Feb 2021 09:15    Titel: Antworten mit Zitat

Jetzt sind wir wieder ganz am Anfang. Ich denke, du verstehst meine Diskussion zur TI nicht, weil du die MWI nicht wirklich verstehst.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Wenn irgendein mathematischer Formalismus irgendeine Superposition liefert, heißt das noch nicht, daß dies irgendwas mit einem realen einzelnen System zu tun hat.

Das folgt natürlich nicht zwingend aus dem Formalismus, aber es ist eine zulässige Interpretation. Das solltest du akzeptieren können.

Bis zur Quantenmechanik gab es keine physikalische Theorie die das anders gesehen hätte. Die statistische Mechanik zählt nicht, da sie explizit über die Betrachtung von Ensembles entwickelt wurde.

Dies war bei der Quantenmechanik nicht der Fall, sie wurde nicht als statistische Theorie entwickelt, insbs. die Schrödingergleichung wurde anhand des klassischen Formalismus eines einzelnen Systems hergeleitet bzw. motiviert. Es gibt überhaupt keinen Grund zu der Annahme, dass Schrödinger etwas anderes im Sinn gehabt hätte - im Gegenteil. Die Quantenmechanik wurde dann nach kurzer Zeit als statistische Theorie von Ensembles umgedeutet. Dieser Schritt Borns folgt aber ebenfalls nicht aus dem Formalismus.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Es gibt nämlich keinen Grund zu der Annahme, daß es [das Ergebnis der Dekohärenz] etwas anders beschreibt als was im Mittel mit einem makroskopischen System passiert.]

Doch, es gibt diesen Grund, auch wenn du ihn bestreiten oder ignorieren magst.

Wenn wir zur Auffassung Schrödingers zurückkehren und die Wellenfunktion als Repräsentanten der Realität in einem einzelnen Quantensystem auffassen, dann liefert auch die Dekohärenz keine statistische Interpretation über Systeme im Mittel, sie liefert eine Näherung für ein einzelnes Quantensystem. Es gibt keinen Schritt im Formalismus der Dekohärenz, der dich zwingt, anzunehmen, würden über ein Ensemble oder eine Mittelung reden. Diese Sichtweise schleicht sich ein, weil viele es gewohnt sind, Dichtematrizen als Analoga zu klassischen Ensemble und klassische Wahrscheinlichkeiten aufzufassen; das ist eine mögliche Interpretation, aber sie ist erst dann naheliegend, wenn du vorher bereits den Schritt zu einer statistischen Interpretation gegangen bist.

Die MWI geht ihn einfach nicht; sie bleibt bei Schrödinger. Das solltest du akzeptieren, und zwar als notwendige Voraussetzung, um die MWI verstehen und kritisieren zu können; das macht dich noch nicht zu einem Anhänger der MWI.

Vergleiche das mit einer klassischen Theorie. Gemäß der Newtonschen Mechanik magst du die Dynamik einzelner Punktteilchen als reale Beschreibung eines einzelnen Teilchens auffassen. Wenn du den Übergang zur Hydrodynamik vollziehst, mittelst du die Körnigkeit der Materie heraus, aber du vollzieht damit keineswegs einen Übergang zu einer statistischen Betrachtung; die Navier-Stokes-Gleichungen beschrieben kein Ensemble von Flüssen, sie beschreiben exakt einen Fluss und exakt das, was in diesem einen Fluss real passiert.

Nichts anderes leistet die Dekohärenz aus Sicht der MWI - die näherungsweise Beschreibung eines einzelnen makroskopischen Systems nach den Regeln der Quantenmechanik. Die Annahme, das Ausspuren der Umgebung wäre identisch zu einer Mitteilung über alle Umgebungen und führe zu “Aussagen im Mittel” ist ein Vorurteil und bedarf einer Begründung. Diese stammt eigentlich nicht aus der Dekohärenz, sondern m.M.n. bereits aus der grundlegenden Sichtweise, die Quantenmechanik mache ohnehin nur statistische Aussagen.

D.h., wenn man den Schritt von Schrödinger zu Born nicht mitgeht, dann ist die Sichtweise auf die Dekohärenz, diese liefere eine näherungsweise Beschreibung eines einzelnen makroskopischen Systems, naheliegend.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Aber die einzige im Kontext der Diskussion relevante Frage ist: Wieso interpretiert sie sie als Darstellung vieler Welten, je einer für jeden Eigenzustand , und nicht als eine Welt mit der objektiven Eigenschaft ? Dazu muß sie doch irgendeinen Grund haben. Bis jetzt hast du keinen genannt.

Letzteres ist schlicht nicht wahr. Ich habe die eben genannten Gründe hier und in anderen Diskussionen mehrfach genannt. Ich versuch’s gerne nochmal.

Gemäß der MWI beschreibt eine Wellenfunktion oder ein Zustandsvektor ein einzelnes Quantensystem - egal ob mikroskopisch oder makroskopisch - und eine Welt. Auch die partielle Dichtematrix beschreibt ein einzelnes System in einer Welt - keine Mitteilung über Systeme, keine Ensembles. Und die Beschreibung ist realistisch und vollständig, d.h. alles, was wir über dieses eine System sagen können, ist in diesem Zustand kodiert, und alles was in diesem Zustand kodiert ist, ist eine reale Eigenschaft dieses einen Systems. Auch das solltest du akzeptieren, wieder als notwendige Voraussetzung, um die MWI verstehen und kritisieren zu können.

Was leistet die Dekohärenz für die MWI? Letztlich etwas recht einfaches: gemäß der Betrachtung des Messprozesses nach von Neumann ist der Zeiger bzw. der Zeigerzustand ein reines Symbol. Da wird ein Etwas eingeführt, das in den Gleichungen wie der Repräsentant eines quantenmechanischen Systems behandelt wird, obwohl wir wissen, dass es der Repräsentant eines makroskopischen Systems ist, über dessen Dynamik gemäß der Quantenmechanik von Neumann noch nichts wusste, und das nach der Meinung Bohrs et al. überhaupt nicht quantenmechansich behandelt werden sollte. Von Neumanns Darstellung hängt konzeptionell in der Luft.

Die Dekohärenz leistet nun etwas erstaunliches, sie zeigt nämlich, dass sich die seitens von Neumann (und auch Everett) postulierte Struktur des Messprozesses tatsächlich aus der Betrachtung makroskopischer Systeme nach den Regeln der Quantenmechanik ableiten lässt, in dem man die Freiheitsgrade der Umgebung betrachtet und ausspurt (keine Mitteilung, kein Ensemble, keine Statistik, einfach nur mathematische Gleichungen). Kurz: Zeh liefert etwas, was nach Bohr unnötig und unmöglich war.

Die Anhänger der MWI haben nun Gleichungen vor sich, die Ihnen eine Überlagerung makroskopischer Zeigerzustände liefern, und diese interpretieren sie als “für ein einzelnes Quantensystem in einer einzelnen Welt tatsächlich realisiert”. Zeh et al. haben also nicht anderes geleistet, als einige Postulate von Neumanns und die Sichtweise Everetts auf eine solide mathematische Grundlage gestellt.

Woher kommen nun die vielen Welten? Zunächst mal ist das ein sprachlicher Missgriff deWitts, der die Diskussion der folgenden Jahrzehnte überlagert.

Die Idee ist recht einfach: Aus der Dekohärenz folgt das, was Zurek als Einselection bezeichnet, d.h. Environmental induced Superselection. Die einzelnen Zweige sind robust und bleiben stabil, sie beeinflussen sich gegenseitig nicht. Daher ist in einem Zweig epistemisch das vorhanden, was aus der entsprechenden Komponente der Dichtematrix folgt, und epistemisch das nicht vorhanden, was in den anderen Komponenten beschrieben wird.

Die MWI interpretiert diese Struktur also in zweifacher Hinsicht, nämlich
1) als eine real existierende Welt, die von einem Gesamtzustand repräsentiert wird, sowie
2) eine Menge von Zweigen, die den robusten Komponenten des Gesamtzustandes entsprechen, wobei jeder Zweig bzgl. der Zweig-lokalen Wahrnehmung durch Zweig-lokale Beobachter epistemisch als je eigene Welt erscheint.

Es ist also schlicht nicht sinnvoll, als Beobachter innerhalb eines Zweiges einen Erwartungswert über alle Zweige zu berechnen, weil dies nicht dem entspricht, was je Zweig wahrgenommen wird. Ein Beobachter je Zweig berechnet den Erwartungswert innerhalb seines Zweiges.

Der hypothetische Beobachter, der die Realität aller Zweige kennt, kann den Erwartungswert über alle Zweige berechnen, aber auch das ist nicht sinnvoll. Wenn du zwei Autos siehst, eines fährt nach links, eines nach rechts, dann kannst du den Mittelwert ihrer Geschwindigkeiten berechnen; da du aber beide Autos als einzelne Objekte in der Struktur deiner Gleichung erkennst, wirst du zwei Erwartungswerte berechnen, je Auto einen. Und dir ist bewusst, dass ein Fahrer, der das andere Auto nicht sieht, dies nicht tun wird.

Diese Interpretation ist an sich absolut trivial. Sie erscheint dir nur deswegen heikel, weil du die Quantenmechanik anders gelernt hast und weil du die Konsequenzen kennst, z.B. dieses Katzenparadoxon. Denk dir das alles weg, dann bleibt eine naheliegende Interpretation übrig, letztlich genauso einfach wie die der Maxwellschen Gleichungen.

Die MWI tut nichts dazu, sie nimmt nichts weg, sie interpretiert nur das, was mathematisch hergeleitet wurde. Die MWI hat einen Zustand, den sie als Repräsentant einer Welt (im Kleinen eines Systems) auffasst. Dieser Zustand hat - Dekohärenz für makroskopisch Systeme vorausgesetzt - eine Struktur, die die MWI als Superselection Sectors auffasst, die sich wechselweise nicht beeinflussen und bzgl. der weiteren Zeitentwicklung robust sind.

Die MWI tut mehrere Dinge nicht:
1) sie zeichnet die Messung nicht aus; meine gesamte Argumentation kommt ohne den Begriff der Messung aus. Man kann und muss sich natürlich überlegen, ob das, was wir als Messung praktisch durchführen, mathematisch und argumentativ in das o.g. Konzept passt
2) sie führt keine Ensembles oder Wahrscheinlichkeiten ein. Auch hier muss man natürlich untersuchen, in wie weit wahrgenommene Wahrscheinlichkeiten aus der o.g. Interpretation ableitbar oder zumindest mit dieser verträglich sind.

Die MWI hat zwei Klassen von Probleme, wobei die ersten eigentlich trivial, jedoch in den meisten Diskussion immer die schwierigeren sind, so dass man zur zweiten und wichtigen oft gar nicht kommt.
1) die MWI wird häufig missverstanden (da viele in den Denkmustern der Orthodoxie nach Bohr und von Neumann gefangen sind)
2) die MWI postuliert weniger und muss mehr erklären (ich halte das für das Merkmal einer guten Theorie oder Hypothese)

_________________
Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 21. Feb 2021 08:39    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
Jetzt sind wir wieder ganz am Anfang. Ich denke, du verstehst meine Diskussion zur TI nicht, weil du die MWI nicht wirklich verstehst.


Das halte ich für äußerst unwahrscheinlich. Nicht, weil ich glaube die MWI zu verstehen (obwohl ich glaube zu verstehen, daß deine Auffassung im Widerspruch zu der anderer Vertreter, wie Wallace steht), sondern weil es schlicht nicht notwendig ist, die MWI zu verstehen um deine Aussagen zur TI zu beurteilen. Dazu muß ich selbstverständlich nur die TI verstehen. Und zwischen beiden Interpretationen besteht nicht der geringste Zusammenhang (außer, daß man sie beide als "psi-ontisch" bezeichnen könnte.)

Der Hauptgegenstand der Diskussion sollte aber gerade längst nicht mehr die eigentliche Interpretation sein, sondern die Frage, wie eine realistische (nicht im philosophischen Sinne) Modellierung makroskopischer Systeme aussieht. Und ein Grundproblem sehe ich darin, daß du einige Aussagen zu konkreten physikalischen Modellen, die in diesem Zusammenhang stehen immer mit den Grundaussagen der Interpretation durcheinanderbringst und anscheinend nicht wahrnimmst, daß das Meßproblem in der TI lediglich zu einem Problem der makroskopischen Dynamik geworden ist. Das daraus abgeleitet Problem ist, daß wir beide anscheinend von der Physik offener Quantensysteme, die hierfür relevant ist, so gut wie gar nichts verstehen.

Über folgendes scheint mir aber außerdem noch nicht genug Klarheit zu herrschen: Die TI hat gar kein Problem damit einen Zustand wie



zu interpretieren. Es handelt sich einfach um ein Objekt, dessen Lebenszeichen eine objektiv große Unschärfe haben. Fertig. Die Frage ist nun nur noch, ob so ein Zustand tatsächlich auftreten kann. Und das ist eine rein physikalische Frage, die ein realistisches (wieder nicht im philosophischen Sinne) Modell für die Vitalzeichen eines Lebewesens erfordert.

Und du kannst mit deinen abstrakten Dekohärenzschemata, die nicht die geringste Spur eines physikalischen Modells enthalten, nicht beweisen, daß dieser Zustand auftritt. Das ist gerade der einzig relevante Punkt. Ich wiederhole es deshalb nochmal: Die TI kann dir jeden Dichteoperator realistisch (diesmal im philosophischen Sinne) interpretieren, auch (K). Darum geht es aber einfach nicht. Deswegen ist leider der Großteil deiner Ausführungen weiter unten über Ensembles, Schrödinger vs. Born etc. aus meiner Sicht vollkommen irrelevant. Dies trifft auch auf deine Belehrungen über die MWI zu, die für mich wenig neues enthielten. Ich gehe deshalb nur kurz darauf ein.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Wenn irgendein mathematischer Formalismus irgendeine Superposition liefert, heißt das noch nicht, daß dies irgendwas mit einem realen einzelnen System zu tun hat.

Das folgt natürlich nicht zwingend aus dem Formalismus, aber es ist eine zulässige Interpretation. Das solltest du akzeptieren können.


Es geht an dieser Stelle nicht mehr um die Interpretation des Formalismus. Die ist längst erledigt. Die TI hat dazu festgelegt, was aus ihrer Sicht die physikalischen (realen) Eigenschaften eines einzelnen Systems sind. Alles was wir im Rahmen der TI nun noch klären müssen, ist, welche physikalischen Eigenschaften konkrete Systeme tatsächlich haben.

Zitat:

Die Quantenmechanik wurde dann nach kurzer Zeit als statistische Theorie von Ensembles umgedeutet. Dieser Schritt Borns folgt aber ebenfalls nicht aus dem Formalismus.


Warum fängst du jetzt eigentlich mit der statistischen Interpretation an? Keiner behauptet Statistik oder Ensembles folgen aus dem Formalismus. q-Wahrscheinlichkeiten und q-Ensembles folgen allerdings schon daraus, aber die spielen keine Rolle in meiner Argumentation.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Es gibt nämlich keinen Grund zu der Annahme, daß es [das Ergebnis der Dekohärenz] etwas anders beschreibt als was im Mittel mit einem makroskopischen System passiert.]

Doch, es gibt diesen Grund, auch wenn du ihn bestreiten oder ignorieren magst.

Wenn wir zur Auffassung Schrödingers zurückkehren und die Wellenfunktion als Repräsentanten der Realität in einem einzelnen Quantensystem auffassen, dann liefert auch die Dekohärenz keine statistische Interpretation über Systeme im Mittel, sie liefert eine Näherung für ein einzelnes Quantensystem. Es gibt keinen Schritt im Formalismus der Dekohärenz, der dich zwingt, anzunehmen, würden über ein Ensemble oder eine Mittelung reden.


Es tut mir leid, aber du bist hier einfach komplett auf dem Holzweg. Ich rede nicht davon, daß mir die Dekohärenz eine "statistische Interpretation" liefert. Ich rede von einer Modellierung offener Systeme mittels stochastischer Dynamik auf dem Hilbertraum. Diese wird formuliert durch Evolutionsgleichungen für eine klassische Wahrscheinlichkeitsverteilung über reine Zustände oder Dichtematrizen. Sie beschreiben also von vornherein ein Ensemble.

Dem gegenüber stehen die Modelle über umgebungsinduzierte Dekohärenz, die die Zeitentwicklung eines offenen Systems in einem makroskopischen Reservoir (kanonischem Ensemble o.ä.) mittels Quantenmastergleichung beschreiben. Nur über solche Situationen reden wir, und bereits hier steckt eine Art Gibbssches Ensemble in Form eines makroskopischen Systems drin, wenn auch beschrieben durch eine einzelne Dichtmatrix. Aber das ist gar nicht mein Punkt.

Nun läßt sich für eben diese Klasse von Modellen zeigen, daß sich die entsprechende Mastergleichung genau als Mittel eines stückweise deterministischen Prozesses auf dem Hilbertraum erhalten läßt. Das ist ein Fakt. Ich muß da nichts interpretieren. Natürlich kannst du diesen Zusammenhang auch ignorieren und annehmen die Mastergleichung für deine Dichtematrix beschreibe stets den kompletten Zustand eines individuelles System. Ich finde das angesichts des physikalischen Kontexts, in dem sie auftritt zwar reichlich bizarr. Aber ich will dich davon gar nicht abhalten, wenn es dich zusammen mit der MWI glücklich macht. Du kannst allerdings nicht diese Interpretation aus physikalischen Gründen oder aus "dem Formalismus der Dekohärenz" heraus rechtfertigen, und nur darauf kommt es mir gerade an. Deine Interpretation folgt auch nicht einfach "wenn wir zur Auffassung Schrödingers zurückkehren". Denn diese Auffassung ist sehr wohl kompatibel mit stochastischer Dynamik auf dem Hilbertraum.

Zitat:

Diese Sichtweise schleicht sich ein, weil viele es gewohnt sind, Dichtematrizen als Analoga zu klassischen Ensemble und klassische Wahrscheinlichkeiten aufzufassen;


Du hast immer noch nicht verstanden in welchem Zusammenhang hier ausschließlich von Ensembles die Rede ist. Dabei geht es nur um die Dynamik offener Systeme. Die wird standardmäßig als stochastischer Prozeß modelliert, z.B. als Quanten-Markov-Prozeß. Dabei kommen zufällige Einflüsse auf den Systemzustand in Form von diskontinuierlichen Sprüngen vor. Das liegt aber ausschließlich daran, daß nicht das gesamte System modelliert wird. Und hier "schleicht" sich nichts ein. Das ist explizite Modellannahme. Auch Dekohärenz in makroskopischen Umgebungen wird so modelliert.

Zitat:

Die MWI geht ihn einfach nicht; sie bleibt bei Schrödinger. Das solltest du akzeptieren, und zwar als notwendige Voraussetzung, um die MWI verstehen und kritisieren zu können; das macht dich noch nicht zu einem Anhänger der MWI.


Das habe ich längst akzeptiert und ich habe in letzter Zeit auch nichts gegenteiliges behauptet. (Ich würde sogar soweit gehen, daß ich noch nie etwas gegenteiliges behauptet habe.) Ein Anhänger der MWI bin ich aus ganz anderen Gründen nicht, die dir offenbar nicht ganz klar sind.

Zitat:

Vergleiche das mit einer klassischen Theorie. Gemäß der Newtonschen Mechanik magst du die Dynamik einzelner Punktteilchen als reale Beschreibung eines einzelnen Teilchens auffassen. Wenn du den Übergang zur Hydrodynamik vollziehst, mittelst du die Körnigkeit der Materie heraus, aber du vollzieht damit keineswegs einen Übergang zu einer statistischen Betrachtung; die Navier-Stokes-Gleichungen beschrieben kein Ensemble von Flüssen, sie beschreiben exakt einen Fluss und exakt das, was in diesem einen Fluss real passiert.


Ich habe auch nicht behauptet, daß jedes makroskopische Modell ein Ensemble beinhaltet. Du argumentierst unlogisch.

Zitat:

Nichts anderes leistet die Dekohärenz aus Sicht der MWI - die näherungsweise Beschreibung eines einzelnen makroskopischen Systems nach den Regeln der Quantenmechanik. Die Annahme, das Ausspuren der Umgebung wäre identisch zu einer Mitteilung über alle Umgebungen und führe zu “Aussagen im Mittel” ist ein Vorurteil und bedarf einer Begründung.


Ich habe ebenfalls nicht behauptet, partielle Spurbildung sei identisch zu einer Mittelung. Also bedarf dies aus meiner Sicht auch keiner Begründung.

Von einer Mittelung spreche ich nur, wenn mein Modell irgendeine Verteilung beinhaltet, die ich irgendwo weiter oben mal eingeführt habe. Zur Begründung meiner tatsächlichen Behauptung siehe oben.

Zitat:

Diese stammt eigentlich nicht aus der Dekohärenz, sondern m.M.n. bereits aus der grundlegenden Sichtweise, die Quantenmechanik mache ohnehin nur statistische Aussagen.


Das hast du falsch verstanden. Diese Mittelung kam nur aus einem statistischen Modell über den Einfluß der Umgebung auf mein System, nicht aus einer "grundlegenden Sichtweise" auf die QM.

Zitat:

D.h., wenn man den Schritt von Schrödinger zu Born nicht mitgeht, dann ist die Sichtweise auf die Dekohärenz, diese liefere eine näherungsweise Beschreibung eines einzelnen makroskopischen Systems, naheliegend.


Ob du ihn mitgehst oder nicht, es bleibt m.E. ultimativ eine physikalische Frage.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Aber die einzige im Kontext der Diskussion relevante Frage ist: Wieso interpretiert sie sie als Darstellung vieler Welten, je einer für jeden Eigenzustand , und nicht als eine Welt mit der objektiven Eigenschaft ? Dazu muß sie doch irgendeinen Grund haben. Bis jetzt hast du keinen genannt.

Letzteres ist schlicht nicht wahr. Ich habe die eben genannten Gründe hier und in anderen Diskussionen mehrfach genannt. Ich versuch’s gerne nochmal.


Ich denke du hast meine Aussage über die MWI komplett falsch aufgefaßt. Vielleicht unterstellst du ja deshalb, ich hätte sie nicht verstanden.

Meine Behauptung war, daß, vereinfacht gesagt, die MWI jedes Element a des Spektrums von A mit zu einer objektiven Eigenschaft des Systems im Zustand erklärt.

Dies impliziert nicht im geringsten die Behauptung beschreibe ein Ensemble, die du mir anscheinend im folgenden austreiben wolltest. Es hat ebenfalls nichts mit solchen semantischen Spitzfindigkeiten zu tun, ob man nun als den Zustand "einer" Welt mit mehreren Zweigen (TomS) oder jeden dieser Zweige als eine Welt und als den Zustand eines "Multiversums" aus "vielen Welten" (Wallace) bezeichnet.

Zitat:

Woher kommen nun die vielen Welten? Zunächst mal ist das ein sprachlicher Missgriff deWitts, der die Diskussion der folgenden Jahrzehnte überlagert.

Die Idee ist recht einfach: Aus der Dekohärenz folgt das, was Zurek als Einselection bezeichnet, d.h. Environmental induced Superselection. Die einzelnen Zweige sind robust und bleiben stabil, sie beeinflussen sich gegenseitig nicht. Daher ist in einem Zweig epistemisch das vorhanden, was aus der entsprechenden Komponente der Dichtematrix folgt, und epistemisch das nicht vorhanden, was in den anderen Komponenten beschrieben wird.


Ich halte es ehrlich gesagt für Kauderwelsch, daß etwas "epistemisch" vorhanden oder nicht vorhanden sein soll. Entweder ist es vorhanden (Teil der Ontologie) oder nicht. Und entweder kann ich etwas vorhandenes erkennen oder nicht. So wie ich die Aussagen von Wallace verstehe sind die Zweige objektiv vorhanden. Und was sind die objektiven Eigenschaften dieser Zweige? Unter anderem die spektralen Werte (p,q) aus einem Intervall mit der Eigenschaft für ein geeignetes POVM . Laut Wallace instanziiert der Zustand in diesem Fall ein reales Teilchen mit Ort und Impuls in dem genannten Intervall. Das läuft auf meine obige Aussage hinaus (die lediglich einen vereinfachten Spezialfall darstellt).
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18066

Beitrag TomS Verfasst am: 21. Feb 2021 09:44    Titel: Antworten mit Zitat

Du fragst zur MWI und wundest dich, dass ich dann zur MWI antworte?

Ich denke nicht, dass ich Wallace u.a. (z.B. Carroll) falsch verstehe oder interpretiere. Ich denke auch nicht, dass ich Physik und Interpretation durcheinander bringe; ich trenne Dekohärenz (Formalismus) und MWI o.a. sprachlich sehr genau.

Ob man nun die TI als "psi-ontisch" bezeichnen kann, gilt es herauszufinden, das ist die zentrale Frage. Neumaier äußert sich dazu nicht klar.

Dass ich “anscheinend nicht wahrnehme, daß das Meßproblem in der TI lediglich zu einem Problem der makroskopischen Dynamik geworden ist und ... wir beide die Physik offener Quantensysteme, die hierfür relevant ist, so gut wie gar nichts verstehen” ist so nicht richtig. Ich nehme diese Meinung sehr wohl wahr, ich bin mir jedoch nicht sicher, ob sie zutrifft.

Es ist zunächst mal eine Behauptung, die mir nach Neumaiers Aussagen zumindest für mich nicht offensichtlich klar ist. Dann ist insbs. die Behauptung, es hätte etwas mit offenen Quantensystemen zu tun, nicht gut begründet. Wenn die TI psi-ontisch ist, dann ist sie das bitte auch bzgl. geschlossener Quantensysteme. Ich will wissen, was die TI zu dieser einen Katze im Universum zu sagen hat. Wenn sie das nicht kann, hat sie m.E. ein Problem.

Dass “mein abstraktes Dekohärenzschemata nicht die geringste Spur eines physikalischen Modells enthält und ich nicht beweisen kann, daß dieser Zustand auftritt” ist nicht der einzig relevante Punkt. Zunächst mal ist die Dekohärenz weitgehend akzeptiert, Neumaiers TI nicht. Dann kann ich das Argument einfach umdrehen, dass Neumaier nämlich nicht allgemein widerlegen kann, dass dieser Zustand auftritt. Und zuletzt enthalten Neumaiers Artikel ebenfalls keine konkreten Modelle.

Meine “Belehrungen” zu Ensembles, Schrödinger vs. Born ist nicht irrelevant - allenfalls bekannt. Es geht ganz einfach darum, klarzustellen, dass eine "psi-ontische" Sicht bitte nicht über Ensembles und Wahrscheinlichkeiten als fundamentale Entitäten redet, weil sie dann nicht psi-ontische wäre. Wenn wir uns darüber einig sind, dann ist’s ja gut.

Wenn du aber sagst “du redest von einer Modellierung offener Systeme mittels stochastischer Dynamik auf dem Hilbertraum”, “diese wird formuliert durch Evolutionsgleichungen für eine klassische Wahrscheinlichkeitsverteilung über reine Zustände oder Dichtematrizen” und “Sie beschreiben also von vornherein ein Ensemble” dann frage ich mich, wo das hinführen soll.

Wer ist “Sie”? Was beschreibt von vornherein ein Ensemble? Offene Systeme? Warum? Und warum überhaupt offene Systeme? s.o.

Oder meinst du mit “Sie”? die Dichtematrizen? Nein, Dichtematrizen beschreiben nicht von vorne herein Ensembles. Eine partielle Dichtematrix gewonnen mittels Ausspuren beschreibt zunächst eine Näherung an ein einzelnes System. Wenn du das als Ensemble interpretieren möchtest, kannst du das tun, es ist aber nicht logisch zwingend.

Nach dem was du weiter unten schreibst, sind wir uns zur MWI dann doch in etwa einig, aber das ist hier auch nicht der Punkt.

Zur eigentlichen Frage der TI später mehr ...

_________________
Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 21. Feb 2021 10:39    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
Du fragst zur MWI und wundest dich, dass ich dann zur MWI antworte?


Ich wundere mich doch gar nicht darüber. Ich hatte lediglich den Eindruck du hast meine Frage (oder eine meiner Behauptungen) falsch verstanden und deswegen erschien mir deine Antwort zum Großteil nicht relevant.

Zitat:

Ich denke nicht, dass ich Wallace u.a. (z.B. Carroll) falsch verstehe oder interpretiere. Ich denke auch nicht, dass ich Physik und Interpretation durcheinander bringe; ich trenne Dekohärenz (Formalismus) und MWI o.a. sprachlich sehr genau.


Du bringst nur Aussagen über konkrete physikalische Modelle im Kontext der TI mit Grundaussagen der TI durcheinander. Du tust das natürlich nicht generell.

Zitat:

Ob man nun die TI als "psi-ontisch" bezeichnen kann, gilt es herauszufinden, das ist die zentrale Frage. Neumaier äußert sich dazu nicht klar.


Ich denke schon. Und ich denke auch, daß dies eine offensichtliche Eigenschaft seiner Interpretation ist. Er redet von individuellen Systemen im Zustand und allen aus berechenbaren Größen als objektiven Eigenschaften dieser Systeme. Ich weiß nicht wie es noch psi-ontischer (oder "rho-ontischer") sein könnte.

Zitat:

Dass ich “anscheinend nicht wahrnehme, daß das Meßproblem in der TI lediglich zu einem Problem der makroskopischen Dynamik geworden ist und ... wir beide die Physik offener Quantensysteme, die hierfür relevant ist, so gut wie gar nichts verstehen” ist so nicht richtig. Ich nehme diese Meinung sehr wohl wahr, ich bin mir jedoch nicht sicher, ob sie zutrifft.


Dann sollten wir uns vielleicht mal auf diesen Punkt konzentrieren. Ich halte das nämlich für relativ klar. Eine ganz andere Frage ist natürlich, ob sie mit dieser Sichtweise letztlich Erfolg haben kann. Aber so wie die TI dargelegt ist, sind physikalische Probleme das einzige was am Meßproblem prinzipiell offen ist.

Zitat:

Es ist zunächst mal eine Behauptung, die mir nach Neumaiers Aussagen zumindest für mich nicht offensichtlich klar ist. Dann ist insbs. die Behauptung, es hätte etwas mit offenen Quantensystemen zu tun, nicht gut begründet.


Ich finde schon. Es scheint mir eine offensichtliche Konsequenz daraus zu sein, daß reale Detektoren, deren Eigenschaften uns interessieren, makroskopische Objekte sind, die wir nicht in allen Einzelheiten beschreiben, sondern lediglich mittels einiger weniger Parameter.

Zitat:

Wenn die TI psi-ontisch ist, dann ist sie das bitte auch bzgl. geschlossener Quantensysteme.


Und schon wieder tust du es. Gerade ging es um die Frage wie man makroskopische Detektoren modelliert und du bringst das wieder mit der Frage durcheinander ob die TI psi-ontisch ist. Das scheint ganz unbewußt zu passieren.

Zitat:

Ich will wissen, was die TI zu dieser einen Katze im Universum zu sagen hat. Wenn sie das nicht kann, hat sie m.E. ein Problem.


Und dieses Problem hat sie offensichtlich nicht.

Zitat:

Dass “mein abstraktes Dekohärenzschemata nicht die geringste Spur eines physikalischen Modells enthält und ich nicht beweisen kann, daß dieser Zustand auftritt” ist nicht der einzig relevante Punkt.


Dann haben wir wohl noch keine gemeinsame Diskussionsgrundlage.

Zitat:

Zunächst mal ist die Dekohärenz weitgehend akzeptiert, Neumaiers TI nicht.


Irrelevant, weil keine Aussage der TI im Widerspruch zur Dekohärenz steht.

(Außerdem ist "weitgehende Akzeptanz" in diesem Zusammenhang ohnehin irrelevant für mich. Ich bin an Argumenten interessiert, nicht an Umfragen.)

Zitat:

Dann kann ich das Argument einfach umdrehen, dass Neumaier nämlich nicht allgemein widerlegen kann, dass dieser Zustand auftritt. Und zuletzt enthalten Neumaiers Artikel ebenfalls keine konkreten Modelle.


Nein, das kannst du nicht umdrehen. Er muß das nämlich nicht widerlegen. Er muß auch nicht widerlegen, daß sich eine Katze spontan in ein Einhorn verwandelt oder daß andere unwahrscheinliche Szenarien auftreten. Das hat nämlich mit der Interpretation der Theorie nichts mehr zu tun, sondern nur mit ihrem physikalischen Gehalt. Wir beobachten keine Katzen mit makroskopisch unbestimmten Lebenszeichen. Nur wenn wir meinen, unsere Modelle sagten solche Katzen vorher, müssen wir diese Eigenschaft irgendwie "hinweginterpretieren". Wenn unsere Modelle so etwas aber gar nicht vorhersagen, haben wir auch kein spezielles Interpretationsproblem.

Und konkrete Modelle zur Dekohärenz sowie ihr Zusammenhang zu stückweise deterministischen Prozessen auf dem Hilbertraum werden in Breuer, Petruccione diskutiert, auf das Neumaier verweist. Die Forderung Neumaier müßte das alles selbst vorrechnen, ist absurd.

Zitat:

Meine “Belehrungen” zu Ensembles, Schrödinger vs. Born ist nicht irrelevant - allenfalls bekannt. Es geht ganz einfach darum, klarzustellen, dass eine "psi-ontische" Sicht bitte nicht über Ensembles und Wahrscheinlichkeiten als fundamentale Entitäten redet, weil sie dann nicht psi-ontische wäre.


Und nochmal, das tut die TI auch nicht. Da kommen keine Ensembles und Wahrscheinlichkeiten als "fundamentale Entitäten" vor. Ich verstehe nicht, warum du immer wieder auf diesem Punkt rumreitest. Das sollte längst geklärt sein.

Zitat:

Wenn du aber sagst “du redest von einer Modellierung offener Systeme mittels stochastischer Dynamik auf dem Hilbertraum”, “diese wird formuliert durch Evolutionsgleichungen für eine klassische Wahrscheinlichkeitsverteilung über reine Zustände oder Dichtematrizen” und “Sie beschreiben also von vornherein ein Ensemble” dann frage ich mich, wo das hinführen soll.


Das soll zu konkreten physikalischen Modellen führen, die im Kontext des Meßprozesses relevant sind.

Zitat:

Wer ist “Sie”? Was beschreibt von vornherein ein Ensemble? Offene Systeme? Warum? Und warum überhaupt offene Systeme? s.o.


"Sie" sind die Modelle stochastischer Dynamik, aus denen man z.B. die Dekohärenz eines offenen Systems in makroskopischen Umgebungen erhält. Systeme, die an makroskopische Reservoire koppeln modelliert man als offene Systeme, weil es unmöglich ist das System und seine Umgebung als ein geschlossenes System zu modellieren. Wenn man also an physikalischen Aussagen interessiert ist, geht es nicht anders.

(EDIT: Die Frage "warum offene Systeme" erscheint mir im Nachhinein doch sehr rätselhaft. Du formulierst ja selbst Dekohärenz als Eigenschaft der reduzierten Dichtematrix nach partieller Spurbildung. Diese reduzierte Dichtematrix beschreibt aber den Zustand eines offenen Systems. Was sonst?)

Zitat:

Nach dem was du weiter unten schreibst, sind wir uns zur MWI dann doch in etwa einig, aber das ist hier auch nicht der Punkt.


Ok, aber es freut mich trotzdem, daß ich die MWI zumindest nicht komplett falsch verstanden habe.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18066

Beitrag TomS Verfasst am: 21. Feb 2021 12:09    Titel: Antworten mit Zitat

Ok, Ich sehe, wir kommen wieder zusammen - nicht bzgl. der Schlussfolgerungen, jedoch bzgl. der Diskussionspunkte.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Ob man nun die TI als "psi-ontisch" bezeichnen kann, gilt es herauszufinden, das ist die zentrale Frage. Neumaier äußert sich dazu nicht klar.

Ich denke schon. Und ich denke auch, daß dies eine offensichtliche Eigenschaft seiner Interpretation ist. Er redet von individuellen Systemen im Zustand und allen aus berechenbaren Größen als objektiven Eigenschaften dieser Systeme. Ich weiß nicht wie es noch psi-ontischer (oder "rho-ontischer") sein könnte.

Siehe weiter unten: was ich bei ihm sehe sind Behauptungen, die mir aber im Folgenden nicht offensichtlich klar werden.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Dass ich “anscheinend nicht wahrnehme, daß das Meßproblem in der TI lediglich zu einem Problem der makroskopischen Dynamik geworden ist und ... wir beide die Physik offener Quantensysteme, die hierfür relevant ist, so gut wie gar nichts verstehen” ist so nicht richtig. Ich nehme diese Meinung sehr wohl wahr, ich bin mir jedoch nicht sicher, ob sie zutrifft.

Dann sollten wir uns vielleicht mal auf diesen Punkt konzentrieren. Ich halte das nämlich für relativ klar. Eine ganz andere Frage ist natürlich, ob sie mit dieser Sichtweise letztlich Erfolg haben kann. Aber so wie die TI dargelegt ist, sind physikalische Probleme das einzige was am Meßproblem prinzipiell offen ist.

Es scheint mir eine offensichtliche Konsequenz daraus zu sein, daß reale Detektoren, deren Eigenschaften uns interessieren, makroskopische Objekte sind, die wir nicht in allen Einzelheiten beschreiben, sondern lediglich mittels einiger weniger Parameter.

Ok. Lass uns das diskutieren.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Wenn die TI psi-ontisch ist, dann ist sie das bitte auch bzgl. geschlossener Quantensysteme.

Und schon wieder tust du es. Gerade ging es um die Frage wie man makroskopische Detektoren modelliert und du bringst das wieder mit der Frage durcheinander ob die TI psi-ontisch ist. Das scheint ganz unbewußt zu passieren.

Jetzt verwirrst du mich.

Wenn eine Interpretation psi-ontisch ist, dann besagt das doch zunächst, dass der Zustand psi (oder rho) die Realität vollständig und zutreffend modelliert, und dass umgekehrt die Realität vollständig und zutreffend durch psi (rho) modelliert wird; daraus folgt, dass auch den aus psi (rho) abgeleiteten Größen diese Eigenschaft „ontischen“ zu sein, zukommt; anders gesagt, alle diese abgeleiteten Eigenschaften entsprechen realen Eigenschaft des Systems (das müssen nicht unbedingt Eigenschaften sein, die wir als klassische Eigenschaften kennen, und es müssen nicht unbedingt praktisch messbare Eigenschaften sein). Soweit einverstanden?

Damit eine kohärente Interpretation vorliegt, muss sie für alle Systeme zu in sich logisch konsistente Aussagen gelangen (Gegenbeispiel: diverse krude Versatzstücke der Kopenhagener Interpretation, wobei innere Logik so zurechtgebogen oder ignoriert wird, wie man‘s gerade braucht).

Was bedeutet nun „alle Systeme“? M.M.n. alle Systeme, die ich nach dem gültigen Formalismus der QM bzw. QFT konstruieren kann, unabhängig davon, ob sie real existieren mögen oder nicht. Möglicherweise auch nur diejenigen Systeme, die tatsächlich real auftreten können, wobei dies voraussetzt, dass mir jemand schlüssig erklärt, was dafür ein vernünftiges Kriterium ist und wie man mittels dieses Kriteriums praktisch entscheidet, ob ein konstruiertes System nicht egal existieren kann.

Warum also soll ich nicht nach dem „ontischen Gehalt des Universums sowie speziell bzgl. dieser einen Katze fragen“? Natürlich ist es nur ein Gedankenexperiment, praktisch relevant ist natürlich nur die Frage nach „dieser Katze in dieser luftgefüllten Kiste bei geschlossenem Deckel usw.“

Lass‘ uns diesen Punkt bzgl. offener Systeme diskutieren. Damit habe ich ein Problem; ich hoffe, es ist klar geworden, welchen.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Ich will wissen, was die TI zu dieser einen Katze im Universum zu sagen hat. Wenn sie das nicht kann, hat sie m.E. ein Problem.

Und dieses Problem hat sie offensichtlich nicht.

Ok, was genau hat die TI denn dazu - einen Katze im Universum - zu sagen oder nicht zu sagen?

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Dann kann ich das Argument einfach umdrehen, dass Neumaier nämlich nicht allgemein widerlegen kann, dass dieser Zustand auftritt. Und zuletzt enthalten Neumaiers Artikel ebenfalls keine konkreten Modelle.

Nein, das kannst du nicht umdrehen. Er muß das nämlich nicht widerlegen. Er muß auch nicht widerlegen, daß sich eine Katze spontan in ein Einhorn verwandelt oder daß andere unwahrscheinliche Szenarien auftreten. Das hat nämlich mit der Interpretation der Theorie nichts mehr zu tun, sondern nur mit ihrem physikalischen Gehalt. Wir beobachten keine Katzen mit makroskopisch unbestimmten Lebenszeichen. Nur wenn wir meinen, unsere Modelle sagten solche Katzen vorher, müssen wir diese Eigenschaft irgendwie "hinweginterpretieren". Wenn unsere Modelle so etwas aber gar nicht vorhersagen, haben wir auch kein spezielles Interpretationsproblem.

Richtig - wenn unsere Modelle so etwas nicht vorhersagen, dann und nur dann haben wir kein spezielles Interpretationsproblem.

Nur, wir kennen nicht alle möglichen Modelle und wie können sie nicht alle diesbzgl. untersuchen. Dabei haben wir zwei Probleme: zum ersten alle Modelle an sich zu identifizieren, zum zweiten für jedes Modell die zulässigen oder vernünftigen Anfangsbedingung zu identifizieren, für die wir das konkrete Modell dann untersuchen.

Der andere wesentliche Punkt ist, dass die Modelle zur Dekohärenz dies sehr wohl vorhersagen - und wenn „keine Aussage der TI im Widerspruch zur Dekohärenz steht“, muss die TI die Dekohärenz durch eine verbesserte Methode oder Argumentation ersetzen, die eben entweder nicht zu derartigen Artefakten führt, oder die erklärt, warum es eben nur Artefakte sind.

Ich verstehe zunächst mal nicht, wie sich Neumaier von der Dekohärenz absetzen kann, wenn die TI ihr nicht widerspricht. Dann verstehe ich nicht, wie er sich von ihr absetzen will, wenn er sich nicht mit ihr befasst; nach meinem Verständnis ignoriert er sie.

Deine Anmerkung „wir beobachten keine Katzen mit makroskopisch unbestimmten Lebenszeichen“ ist war richtig, aber sie erklärt nichts. Von einer Interpretation erwarte ich doch, dass sie erklärt, warum wir sie nicht beobachten; oder wie wir sie loswerden, obwohl sie z.B. aus der Dekohärenz folgen; oder welche verbesserten Methoden oder Argumentationen sicherstellen, dass die Ergebnisse der Dekohärenz hier irrelevant sind.

Ich habe schon mehrfach darauf hingewiesen, dass die Ausführungen Neumaiers m.M.n. eine Erklärungslücke aufweisen. Er behauptet dies, ohne dass ich hier eine schlüssige Begründung erkenne (evtl. übersehe ich sie oder verstehe sie nicht; die o.g. Argumentation zu den offenen Systemen steht mir dabei sicher im Weg; zum einen kenne ich mich technisch nicht damit aus, zum anderen habe ich wie oben ausgeführt ein prinzipielles Problem damit, die Betrachtung auf offene Systeme zu beschränken).

Ich denke, die o.g. fett markierten Punkte sind die Knackpunkte.

_________________
Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 21. Feb 2021 17:06    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
Ok, Ich sehe, wir kommen wieder zusammen - nicht bzgl. der Schlussfolgerungen, jedoch bzgl. der Diskussionspunkte.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Ob man nun die TI als "psi-ontisch" bezeichnen kann, gilt es herauszufinden, das ist die zentrale Frage. Neumaier äußert sich dazu nicht klar.

Ich denke schon. Und ich denke auch, daß dies eine offensichtliche Eigenschaft seiner Interpretation ist. Er redet von individuellen Systemen im Zustand und allen aus berechenbaren Größen als objektiven Eigenschaften dieser Systeme. Ich weiß nicht wie es noch psi-ontischer (oder "rho-ontischer") sein könnte.

Siehe weiter unten: was ich bei ihm sehe sind Behauptungen, die mir aber im Folgenden nicht offensichtlich klar werden.


Meinst du seine Behauptungen sind wirklich unklar oder bezweifelst du lediglich ihre Korrektheit? Mit irgendwelchen Behauptungen muß jeder anfangen. Die Behauptungen, mit denen Neumaier anfängt, finde ich zumindest klar verständlich. Nicht offensichtlich ist, daß sie in allen Situationen stimmen können. Aber das muß er im voraus nicht beweisen. Und plausibel macht er es durchaus.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Dass ich “anscheinend nicht wahrnehme, daß das Meßproblem in der TI lediglich zu einem Problem der makroskopischen Dynamik geworden ist und ... wir beide die Physik offener Quantensysteme, die hierfür relevant ist, so gut wie gar nichts verstehen” ist so nicht richtig. Ich nehme diese Meinung sehr wohl wahr, ich bin mir jedoch nicht sicher, ob sie zutrifft.

Dann sollten wir uns vielleicht mal auf diesen Punkt konzentrieren. Ich halte das nämlich für relativ klar. Eine ganz andere Frage ist natürlich, ob sie mit dieser Sichtweise letztlich Erfolg haben kann. Aber so wie die TI dargelegt ist, sind physikalische Probleme das einzige was am Meßproblem prinzipiell offen ist.

Es scheint mir eine offensichtliche Konsequenz daraus zu sein, daß reale Detektoren, deren Eigenschaften uns interessieren, makroskopische Objekte sind, die wir nicht in allen Einzelheiten beschreiben, sondern lediglich mittels einiger weniger Parameter.

Ok. Lass uns das diskutieren.


Neumaier fängt damit an, daß objektive Eigenschaften einzelner Systeme genau die Größen sind, die man aus ihrem Zustand berechnen kann. Meßergebnisse sind insbesondere signifikante objektive Eigenschaften von Detektoren. Bleibt zu klären warum und unter welchen Umständen welche dieser objektiven Eigenschaften signifikant sind und was ihr Zusammenhang zu mikroskopischen Eigenschaften ist, die sie messen sollen. Das sind alles Fragen an konkrete physikalische Modelle.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Wenn die TI psi-ontisch ist, dann ist sie das bitte auch bzgl. geschlossener Quantensysteme.

Und schon wieder tust du es. Gerade ging es um die Frage wie man makroskopische Detektoren modelliert und du bringst das wieder mit der Frage durcheinander ob die TI psi-ontisch ist. Das scheint ganz unbewußt zu passieren.

Jetzt verwirrst du mich.

Wenn eine Interpretation psi-ontisch ist, dann besagt das doch zunächst, dass der Zustand psi (oder rho) die Realität vollständig und zutreffend modelliert, und dass umgekehrt die Realität vollständig und zutreffend durch psi (rho) modelliert wird;


Die zweite Aussage ist nicht "umgekehrt", sondern identisch zur ersten, nur in die Passivform umformuliert. Abgesehen davon, ja, das meine ich auch mit "psi-ontisch".

Zitat:

daraus folgt, dass auch den aus psi (rho) abgeleiteten Größen diese Eigenschaft „ontischen“ zu sein, zukommt; anders gesagt, alle diese abgeleiteten Eigenschaften entsprechen realen Eigenschaft des Systems (das müssen nicht unbedingt Eigenschaften sein, die wir als klassische Eigenschaften kennen, und es müssen nicht unbedingt praktisch messbare Eigenschaften sein). Soweit einverstanden?


Durchaus. Alle diese Aussage hättest du m.E. fast wörtlich von Neumaier abschreiben können.

Zitat:

Damit eine kohärente Interpretation vorliegt, muss sie für alle Systeme zu in sich logisch konsistente Aussagen gelangen (Gegenbeispiel: diverse krude Versatzstücke der Kopenhagener Interpretation, wobei innere Logik so zurechtgebogen oder ignoriert wird, wie man‘s gerade braucht).

Was bedeutet nun „alle Systeme“? M.M.n. alle Systeme, die ich nach dem gültigen Formalismus der QM bzw. QFT konstruieren kann, unabhängig davon, ob sie real existieren mögen oder nicht. Möglicherweise auch nur diejenigen Systeme, die tatsächlich real auftreten können, wobei dies voraussetzt, dass mir jemand schlüssig erklärt, was dafür ein vernünftiges Kriterium ist und wie man mittels dieses Kriteriums praktisch entscheidet, ob ein konstruiertes System nicht egal existieren kann.


Wir können uns auf "alle" einigen, egal ob sie in der Realität auftreten können oder nicht. Ein praktisches Kriterium dafür gäbe es aber trotzdem: sie werden von "realistischen" (d.h. bewährten) Theorien unter realistischen Anfangsbedingungen vorhergesagt.

Zitat:

Warum also soll ich nicht nach dem „ontischen Gehalt des Universums sowie speziell bzgl. dieser einen Katze fragen“? Natürlich ist es nur ein Gedankenexperiment, praktisch relevant ist natürlich nur die Frage nach „dieser Katze in dieser luftgefüllten Kiste bei geschlossenem Deckel usw.“


Wer sagt, daß du das nicht tun sollst? Neumaier nicht. Im Gegenteil er ermutigt dich geradezu dazu diese Frage zustellen. Er hat genau die Antwort die du dir oben selbst gegeben hast.

Diese Antwort scheint übrigens deiner Auffassung der MWI zu widersprechen. Denn der q-Erwartungswert ist zweifellos etwas, das man aus dem Zustand berechnen kann. Du hast aber letztens gerade behautet, daß es nicht sinnvoll wäre dies zu tun oder nur für einen "hypothetischen Beobachter, der die Realität aller Zweige kennt". Das ist wohl pragmatisch gesehen dasselbe wie "für niemanden sinnvoll". Und wenn es für niemanden sinnvoll ist eine Größe X auszurechnen, folgt daraus wohl, daß diese Größe nicht viel mit der Realität zu tun hat.

Einzelne Elemente des Spektrums sind hingegen keine Elemente der Realität, denn sie lassen sich nicht aus dem Zustand berechnen. (Nur ihre q-Wahrscheinlichkeiten lassen sich berechnen und sind Elemente der Realität.)

Zitat:

Lass‘ uns diesen Punkt bzgl. offener Systeme diskutieren. Damit habe ich ein Problem; ich hoffe, es ist klar geworden, welchen.


Leider noch nicht. Ich habe den Eindruck du unterstellst Neumaier nur eine ontische Interpretation für offene Systeme zu haben und bei geschlossenen Systeme auf eine "ensembleartige Interpretation" zurückzugreifen oder etwas in der Art.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Ich will wissen, was die TI zu dieser einen Katze im Universum zu sagen hat. Wenn sie das nicht kann, hat sie m.E. ein Problem.

Und dieses Problem hat sie offensichtlich nicht.

Ok, was genau hat die TI denn dazu - einen Katze im Universum - zu sagen oder nicht zu sagen?


Sie sagt, die Katze befindet sich in genau einem Zustand und alle aus berechenbaren Größen sind objektive Eigenschaften dieser Katze.

Nun stellt jemand ein Modell dieser Katze auf, aus dem folgt, daß der q-Erwartungswert ihres Pulses 60 und seine q-Unsicherheit ca. 60 Schläge pro Minute beträgt. Seltsam, laut google sind ca. 120 Schläge der Normalpuls einer lebenden Katze, und laut meinen medizinischen Fachkenntnissen sind 0 Schläge der Normalpuls einer toten Katze. Und beides sind meines Wissens Größen, die mit einer Unsicherheit von nicht weniger als ein paar Schlägen genau festgestellt werden können.

Aber dies sind trotzdem absolut ontische Behauptungen dieses Modells im Lichte der TI interpretiert. Der Puls dieser seltsamen Katze ist objektiv (!) 60 Schläge pro Minute und er besitzt eine objektive (!) Unsicherheit von 60 Schlägen pro Minute. Wiederlegt diesen Modell nun die thermische Interpretation? Absolut nicht. Viel wahrscheinlicher ist, daß dieses Modell bei weitem nicht präzise genug ist um die objektiven Eigenschaften von Katzen mit der Signifikanz vorherzusagen, wie wir sie tatsächlich beobachten.

So, unabhängig von konkreten Modellen hätten wir nun geklärt was die TI über eine einzelne Katze aussagt. Sind wir nun gezwungen in jedem Modell von Katzen ihren kompletten Zustand und seine Zeitentwicklung zu spezifizieren? Keineswegs. Das ist nicht nur praktisch unmöglich, sondern modelliert auch nicht alle interessanten Eigenschaften von Katzen, z.B. die emergenten Eigenschaften, die sich erst aus coarse-graining ergeben. (Der Puls ist klarerweise so eine Eigenschaft, denn Elementarteilchen haben selbstverständlich keinen.) Im ganzen ist die Katze ohnehin nicht als fixe Menge von Atomen definiert, sondern als Sammlung von solchen stabilen, emergenten Eigenschaften. Atome dürfen kommen und gehen. Wir müssen also schon aus physikalischen Gründen die Katze zwangsläufig als offenes System modellieren, und das können wir evtl. mit Hilfe eines klassischen Ensembles tun. Geben wir damit unseren Anspruch auf, eine einzelne Katze zu modellieren? Nein, genausowenig, wie wir unter Verwendung von Gibbsschen Ensembles in der Thermodynamik unseren Anspruch aufgeben, daß Temperatur, Entropie, etc. Eigenschaften eines einzelnen makroskopischen Körpers sind. Hat sich damit wieder eine "ensembleartige Interpretation" eingeschlichen? Nein, wir haben lediglich ein "ensembleartiges Modell" für eine einzelne Katze verwendet, völlig analog zur Thermodynamik. Die Katze selbst ist immer in einem wohldefinierten Mikrozustand, den wir lediglich nicht mitmodellieren.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Dann kann ich das Argument einfach umdrehen, dass Neumaier nämlich nicht allgemein widerlegen kann, dass dieser Zustand auftritt. Und zuletzt enthalten Neumaiers Artikel ebenfalls keine konkreten Modelle.

Nein, das kannst du nicht umdrehen. Er muß das nämlich nicht widerlegen. Er muß auch nicht widerlegen, daß sich eine Katze spontan in ein Einhorn verwandelt oder daß andere unwahrscheinliche Szenarien auftreten. Das hat nämlich mit der Interpretation der Theorie nichts mehr zu tun, sondern nur mit ihrem physikalischen Gehalt. Wir beobachten keine Katzen mit makroskopisch unbestimmten Lebenszeichen. Nur wenn wir meinen, unsere Modelle sagten solche Katzen vorher, müssen wir diese Eigenschaft irgendwie "hinweginterpretieren". Wenn unsere Modelle so etwas aber gar nicht vorhersagen, haben wir auch kein spezielles Interpretationsproblem.

Richtig - wenn unsere Modelle so etwas nicht vorhersagen, dann und nur dann haben wir kein spezielles Interpretationsproblem.


"Dann", aber nicht "nur dann". Wenn sie so etwas vorhersagen, können wir immer noch an den Modellen zweifeln. Wenn wir nicht von vornherein beschlossen haben den Formalismus so zu interpretieren, daß seltsame Katzen zwar existieren können, aber ihre Seltsamkeit ohnehin unbeobachtbar ist, dann hätten wir kaum einen Grund ein Modell über seltsame Katzen ernst zu nehmen. Es sei denn, es faßte wirklich unser gesamtes verfügbares Wissen über Katzen zusammen und es gäbe absolut nichts besseres. Aber wenn wir so ein Modell hätten, dann bezweifle ich, daß seine Vorhersagen uns seltsam erschienen, egal wie sie ausfallen. Tatsächlich ist das gerade das Paradoxe an Schrödingers Katze: ihre Eigenschaften sind seltsam, aber sie folgen anscheinend unausweichlich aus dem Formalismus. So unausweichlich ist das aber eben nicht. Es ist nichtmal ein Modell über Katzen. Es ist so abstrakt, daß jede Eigenschaft jedes makroskopischen Körpers für die Lebenszeichen der Katze eintreten könnte. Nichts an dem "Modell" ist spezifisch genug, um die Behauptung zu rechtfertigen es beschreibe irgendeine Eigenschaft des Mikrozustands einer realen einzelnen Katze.

Zitat:

Der andere wesentliche Punkt ist, dass die Modelle zur Dekohärenz dies sehr wohl vorhersagen - und wenn „keine Aussage der TI im Widerspruch zur Dekohärenz steht“, muss die TI die Dekohärenz durch eine verbesserte Methode oder Argumentation ersetzen, die eben entweder nicht zu derartigen Artefakten führt, oder die erklärt, warum es eben nur Artefakte sind.


Diese "verbesserte" Methode besteht z.B. in der Analyse von stückweise deterministischen Prozessen auf dem Hilbertraum. Aus diesen folgt Dekohärenz innerhalb bestimmter Modelle. Sie erklärt sogar, daß die erwähnten Artefakte nur daher kommen, daß man statt der vollständigen im Ensemble enthaltenen Information, nur deren Mittelwert modelliert. Damit sind die Ergebnisse der Dekohärenz vollkommen im Einklang mit der TI.

Zitat:

Ich verstehe zunächst mal nicht, wie sich Neumaier von der Dekohärenz absetzen kann, wenn die TI ihr nicht widerspricht. Dann verstehe ich nicht, wie er sich von ihr absetzen will, wenn er sich nicht mit ihr befasst; nach meinem Verständnis ignoriert er sie.


Er ignoriert sie nicht. Er behauptet sie beschreibe den Mittelwert einer Art Gibbsschen Ensembles. Die Basis für diese Behauptung ist die Analyse stückweise deterministischer Prozesse auf dem Hilbertraum. Er muß sich nicht von ihr absetzen, er will sich nicht von ihr absetzen. Er hat schlicht kein Problem mit Dekohärenz im Rahmen der TI.

Zitat:

Deine Anmerkung „wir beobachten keine Katzen mit makroskopisch unbestimmten Lebenszeichen“ ist war richtig, aber sie erklärt nichts.


Sie soll auch nur deutlich machen, daß wir keinen a priori Grund haben, Argumenten zu trauen, die kaum mehr tun, als solche Zustände zu postulieren. Einmal postuliert, interpretiert die TI sie natürlich genauso gut wie jeden anderen Zustand auch. Allerdings folgt daraus dann nicht mehr viel interessantes.

Zitat:

Von einer Interpretation erwarte ich doch, dass sie erklärt, warum wir sie nicht beobachten;


Von einer Interpretation erwarte ich nur eine Aussage über den Zusammenhang zwischen Theorie und Realität. Die Frage was wir beobachten können, beantwortet ein konkretes physikalisches Modell.

Zitat:

oder wie wir sie loswerden, obwohl sie z.B. aus der Dekohärenz folgen; oder welche verbesserten Methoden oder Argumentationen sicherstellen, dass die Ergebnisse der Dekohärenz hier irrelevant sind.


Das sind alles lediglich falsche Alternativen. Dekohärenz ist nicht irrelevant, weil Mittelwerte nicht irrelevant sind. Wir müssen auch keine der Vorhersagen der Dekohärenz "loswerden", genauso wenig wie wir die anderen nicht gewürfelten Zahlen wieder loswerden müssen, nachdem wir eine 6 gewürfelt haben.

Zitat:

Ich habe schon mehrfach darauf hingewiesen, dass die Ausführungen Neumaiers m.M.n. eine Erklärungslücke aufweisen. Er behauptet dies, ohne dass ich hier eine schlüssige Begründung erkenne (evtl. übersehe ich sie oder verstehe sie nicht; die o.g. Argumentation zu den offenen Systemen steht mir dabei sicher im Weg; zum einen kenne ich mich technisch nicht damit aus, zum anderen habe ich wie oben ausgeführt ein prinzipielles Problem damit, die Betrachtung auf offene Systeme zu beschränken).


Es wird auch nichts "beschränkt". Die Dynamik offener Systeme ist lediglich aus physikalischen Gründen für den Meßprozeß relevant. Diese Aussage hat aber nichts mit der Interpretation zu tun.
GVeverca



Anmeldungsdatum: 03.02.2017
Beiträge: 37

Beitrag GVeverca Verfasst am: 18. Apr 2021 14:06    Titel: Realität? Antworten mit Zitat

Ich versuche mal, die 3 (Anscheinend) unterschiedlichen Möglichkeiten zu definieren.

A.) Die Katze ist Tot.
B.) Die Katze lebt.
C.) Der Zustand der Katze kann beides sein.

Wenn ich jetzt den Behälter/die Kiste öffne um nachzusehen, verursache ich eine Messtechnisch erfassbare Veränderung.
Luftzirkulation, Wärmeaustausch etc. .
Bei A.) und B.) werde ich dementsprechend das dazu messbare Ergebnis erhalten, aber nicht bei C.).

Anstatt das jetzt mit einer Katze zu erklären, erkläre ich das lieber direkt mit einem Quant.

Wenn ein Quant den Zustand der Superposition innehaben kann, potentiell also an mehreren Orten sein kann oder gleichzeitig existent und nichtexistent, kann ich ohne Zweifel 1 von 2 möglichen Zuständen als gegeben annehmen.
Der 'Energiewert' des Quant existiert real an verschiedenen Orten und Manifestiert sich an einem der möglichen Orten zur Gänze, wobei ich dann einen Energietransport durch Raum und Zeit habe (Irgendwo existiert WENIGER Energie und irgendwo MEHR) oder die Energie Realisiert sich erst zum Zeitpunkt der Messung, hat vorher also nur potentiell existiert.

Beide Möglichkeiten sind meiner Meinung nach unvereinbar mit dem Kausalitätsprinzip oder dem Energieerhaltungsgesetzt.

Die sich daraus gegebenen Konsequenzen sehe ich nicht durch die uns umgebende Realität bestätigt.
Neue Frage »
Antworten »
    Foren-Übersicht -> Quantenphysik