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Ende der Zeit/ Theorie der Inflation
 
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KawaZx
Gast





Beitrag KawaZx Verfasst am: 24. Dez 2023 07:53    Titel: Ende der Zeit/ Theorie der Inflation Antworten mit Zitat

Meine Frage:
Hallo,

ich hab mal eine kleine Frage an die Physikexperten hier. Und zwar habe ich folgendes Video auf Youtube gesehen: youtu.be/e94JMsQnOLU?feature=shared

Dort heißt es, die Inflationstheorie sagt voraus, dass die Zeit in 5 Milliarden Jahren einfach so enden wird. Irgendwie klingt das für mich alles recht merkwürdig, aber die Videos auf diesem Kanal wirken relativ professionell.
Deshalb meine ernst gemeinte Frage: Sind die in dem Video genannten Inhalte wirklich korrekt und gesichert oder handelt es sich hier um Spekulationen bzw gar keine ernsthaft betriebene Physik?

Meine Ideen:
Vielen Dank für eure Antworten und die Hilfe!
willyengland



Anmeldungsdatum: 01.05.2016
Beiträge: 678

Beitrag willyengland Verfasst am: 24. Dez 2023 11:16    Titel: Antworten mit Zitat

Das ist alles höchst spekulativ.

Inflation ist nur eine Hypothese, um die Homogenität im Universum zu erklären. Sie ist aber so sehr Mainstream geworden, dass fast alle Physiker sie einfach so als gegeben hinnehmen. Dabei ist sie schon extrem verrückt, oder?
Das Inflationsmodell hat Probleme mit der Erklärung der kosmologischen Konstante. Außerdem gibt es viele verschiedene Inflationsmodelle.

Multiversen und "ewige Inflation" sind auch nur Spekulation.

Damit will ich nicht sagen, dass man sich damit nicht befassen soll. So funktioniert ja Wissenschaft. Aber Fakten sind es nicht.
Also, es ist zwar "ernsthaft betriebene Physik", aber trotzdem z.Z. nicht gesichert, sondern reine Spekulation.

_________________
Gruß Willy
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18083

Beitrag TomS Verfasst am: 24. Dez 2023 15:15    Titel: Re: Ende der Zeit/ Theorie der Inflation Antworten mit Zitat

KawaZx hat Folgendes geschrieben:
…ich hab mal eine kleine Frage an die Physikexperten hier. Und zwar habe ich folgendes Video auf Youtube gesehen: youtu.be/e94JMsQnOLU?feature=shared

Ich finde nirgends einen Link zum veröffentlichten Artikel.

KawaZx hat Folgendes geschrieben:
Dort heißt es, die Inflationstheorie sagt voraus …

Ich würde es so formulieren: die unbestätigte Hypothese der Inflation sagt in einer ihrer Spielarten unter Zuhilfenahme weiterer unbestätigter Hypothesen voraus, dass die Möglichkeit besteht, dass …

_________________
Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
Aruna_Gast
Gast





Beitrag Aruna_Gast Verfasst am: 24. Dez 2023 15:40    Titel: Re: Ende der Zeit/ Theorie der Inflation Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:

Ich finde nirgends einen Link zum veröffentlichten Artikel.


arxiv.org/abs/1009.4698v1
Ich



Anmeldungsdatum: 11.05.2006
Beiträge: 913
Wohnort: Mintraching

Beitrag Ich Verfasst am: 24. Dez 2023 23:27    Titel: Antworten mit Zitat

Ganz unabhängig vom konkreten Thema, der Youtuber ist hochgradig inkompetent. Weil er Videos schneiden kann, scheint er aber ein recht erfolgreicher Bauernfänger zu sein.
KawaZx
Gast





Beitrag KawaZx Verfasst am: 25. Dez 2023 09:28    Titel: Antworten mit Zitat

Vielen Dank für eure Einschätzung!


Eigentlich wirklich erschreckend, dass solche YouTube Kanäle solch eine Reichweite haben, obwohl die Urheber nicht die Kompetenz haben, die sie dafür eigentlich bräuchten.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18083

Beitrag TomS Verfasst am: 25. Dez 2023 09:51    Titel: Antworten mit Zitat

Nach kurzem Querlesen des Artikels:

Vorgeschichte

Einige Probleme der Kosmologie – insbs. das Horizontproblem, das Flachheitsproblem, sowie das Problem, dass keine magnetischen Monopole beobachtet werden – werden durch die Hypothese der Inflation, d.h. einer exponentiellen Ausdehnung mit ganz bestimmten Charakteristika in der Frühphase des Universums gelöst (analog werden andere Probleme die Hypothese sogenannter Dunkler Materie geköpft).

Nun verhält es sich jedoch so, dass eine Hypothese, die sich ausschließlich dadurch bestätigen lässt, dass sie die Probleme löst, die sie lösen soll, zugleich jedoch neue Probleme einführt, wissenschaftlich betrachtet ziemlich unbefriedigend ist. Konkret bedarf es für die Inflation eines recht präzise konstruierten Modells auf Basis eines Inflatonfeldes mit ganz speziellen Eigenschaft, ohne dass es für dieses Inflatonfeld irgendeinen unabhängigen Nachweis gäbe (analog existiert kein unabhängiger Nachweis für die Dunkle Materie).

Der Ausweg bestand nun darin, dass es natürlich schien, dass Inflation sozusagen typisch und unausweichlich ist:
1. Dass es letztlich nur dann "große" Universen gibt, wenn es zuvor Inflation gab. M.a.W., alleine die Existenz unseres Universums ist ein sehr starkes Indiz für die Inflation, ohne diese gäbe es unser Universu und uns nicht.
2. Dass wenn Inflation möglich ist, sie nicht genau einmal sondern immer wieder stattfindet, unendlich oft, in immer neuen Universen.

Mit dieser ewigen Inflation wurde man ein gewisses Fine-Tuning los. Man muss keine exakten Eigenschaften der Inflation mehr kennen, denn die Inflation bringt sozusagen alle möglichen ihrer Spielarten hervor, u.a. auch solche, die zu unseren Universum bzw. ähnlichen Universen führt.

Man beachte, dass dies weiterer Hypothesen bedarf, ohne dass es dafür unabhängige Bestätigungen gäbe.

Das antropische Prinzip besagt nun, dass die Frage, warum wir gerade in diesem Universum leben, so sinnlos ist, wie die Frage, warum Dromedare ausgerechnet in der Wüste leben; weil sie eben angepasst sind. Damit argumentiert die Wissenschaft nach Meinung Vieler unredlich, weil das Hinterfragen ihrer Methoden und Hypothesen untersagt: "natürlich könnte es ganz anders sein, und in einem anderen Universum ist es das auch, aber hier muss es sich so verhalten wie es sich verhält; alleine die Tatsache, dass du existierst und diese Frage stellst, bestätigt meine Hypothese."

Zum Kernproblem

Das eigentliche Problem ist das sogenannte Maßproblem. Es geht darum, dass einige Wissenschaftler sich nicht entmutigen lassen und versuchen, zumindest theoretisch präzise Vorsagen abzuleiten, auch wenn diese praktisch nie testbar sein werden. Eine Frage ist z.B., inwiefern ist unser Universum im Rahmen der ewigen Inflation typisch? D.h. für dieses Alter, diese beobachtbare Größe, diesen Hubble-Parameter, diese Hintergrundstrahlung …: wie groß ist die Wahrscheinlichkeit für dieses Universum im Rahmen aller gemäß der Inflation möglichen Universen?

Man beachte, dass dies diverser weiterer Hypothesen bedarf, u.a. irgendwelcher Gesetze, wie Inflation Universen mit andern Parametern hervorbringt. Ideen stammen aus der Stringtheorie – die ihrerseits nur eine Sammlung von Hypothesen darstellt.

Die Beantwortung der Frage nach der Wahrscheinlichkeit für unser Universum wäre für sich betrachtet noch nicht mal so viel wert. Selbst wenn die Wahrscheinlichkeit winzig ist, würde das bei unendlich vielen Universen insgs. immer noch auf unendlich viele Universen ähnlich dem unseren hinauslaufen.

Das Problem ist, dass die Wahrscheinlichkeit zunächst mathematische undefiniert ist. Die Frage ist mathematisch völlig sinnlos.


Betrachten wir dazu folgende Frage: hier habe ich eine natürliche Zahl n; weil ich sie habe, ist ihre Wahrscheinlichkeit größer Null; wie groß ist ihre Wahrscheinlichkeit, bzw. die anderer natürlicher Zahlen?

Eine Antwort könnte die Binomial-Verteilung liefern, eine andere die Poisson-Verteilung usw. Man beachte, dass diese Wahrscheinlichkeitsverteilung gewisse Voraussetzungen haben und verschiedene Zahlen (kleine Zahlen) bevorzugen. Man muss also etwas wissen, um entscheiden zu können, welche Wahrscheinlichkeitsverteilung für das jeweilige Problem die jeweils richtige ist.

Bei der ewigen Inflation wissen wir jedoch nichts. Also ist die einzige vernünftige Annahme – solange wir nicht mehr wissen – dass alle Zahlen irgendwie gleichwahrscheinlich sind. Sei also die Wahrscheinlichkeit für jede natürliche Zahl gleich groß, d.h.



Nun wissen wir, dass die Summe über alle Wahrscheinlichkeiten sich gegenseitig ausschließender Ereignisse gleich Eins ist



Im Falle von Münze und Würfel also





Im Falle der natürlichen Zahlen mit jeweils gleicher Wahrscheinlichkeit wäre das



Diese Zahl p gibt es aber nicht. Setzt man p > 0, so ist die Summe unendlich, setzt man p = 0, so ist die Summe Null.

Übertragen auf die ewige Inflation, ist die Frage, ob unser Universum typisch ist, nicht beantwortbar – mathematische noch nicht mal formulierbar.

Cut-Offs, Regulatoren

Manche Physiker sind auch jetzt immer noch der Meinung, es handele sich um sinnvolle Fragen und lösbare Probleme. Sie versuchen, eine mathematisch wohldefinierte und zugleich physikalisch sinnvolle Antwort zu geben. Im vorliegenden Fall wäre das vergleichbar damit, dass man die o.g. Summe auf endlich viele Zahlen einschränkt





und zugleich begründet, inwiefern dies physikalisch sinnvoll ist.

In meinen Trivialbeispiel ist es das sicher nicht. Nehmen wir wieder an, ich wüsste nichts, soll die Wahrscheinlichkeit einer nur dir bekannten Zahl berechnen und muss dazu zunächst die Summe auf N einzuschränken. Ich wähle N = 100, du deckst deine zuvor verborgene Zahl auf, es ist 217. Also ist nach meiner Methode p = 0, was offensichtlich einen Widerspruch darstellt.

Die ganze Argumentation in dem Artikel dreht sich darum, dass es dennoch möglich ist, derartige Wahrscheinlichkeiten zu konstruieren und daraus konkrete Schlüsse für unser Universum abzuleiten.

Ich bin ehrlich, ich kann die Argumente im Einzelnen nicht bewerten, aber ich bin für mich persönlich ohnehin der Meinung, man ist schon viel früher falsch abgebogen. Wenn man gerade mit einem Fiat 500 auf die Niagarafälle zutreibt, findet man Ursache und Lösung des Problems nicht in der Bedienungsanleitung des Autos.

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KawaZx
Gast





Beitrag KawaZx Verfasst am: 25. Dez 2023 11:23    Titel: Antworten mit Zitat

Vielen Dank für deinen Beitrag und deine Mühe!

Entnehme ich dem also, dass diese Betrachtung auch ins Leere führt?

Generell habe ich den Eindruck, dass Hypothesen wie Inflation und Multiversum nie testbar sein werden...
TomS
Moderator


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Beitrag TomS Verfasst am: 25. Dez 2023 11:47    Titel: Antworten mit Zitat

Erst mal Danke an Aruna für den Link zum Paper.

Ja, das ist auch meine prinzipielle Sorge.

Es gäbe schon Auswege. Wenn z.B. eine noch zu konstruierende Theorie ohne eigenes Fine Tuning auskommt und nur eine einzige Spielart der Inflation voraussagt, ohne dass dies bereits das Ziel bei der Konstruktion der Theorie war, und wenn diese Theorie andere überprüfbare Vorhersagen macht, dann dürfte das Vertrauen zurecht deutlich höher ausfallen.

Deswegen meine ich ja auch, man ist ganz grundsätzlich falsch abgebogen.

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Aruna_Gast
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Beitrag Aruna_Gast Verfasst am: 25. Dez 2023 12:32    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
Erst mal Danke an Aruna für den Link zum Paper.


Dank zurück, dafür, dass Du es hier besprichst

TomS hat Folgendes geschrieben:

Die ganze Argumentation in dem Artikel dreht sich darum, dass es dennoch möglich ist, derartige Wahrscheinlichkeiten zu konstruieren und daraus konkrete Schlüsse für unser Universum abzuleiten.


Wenn ich das richtig verstanden habe, sagen die Autoren, dass durch den Cutoff selbst das Ende der Zeit wahrscheinlich (mit einer von Null verschiedenen Wahrscheinlichkeit) wird, weil es bei unendlich vielen Beobachtern auch eine von null verschiedene Anzahl geben wird, die nur wegen des Cutoffs ein Ergeignis nicht mehr erleben, obwohl sonst nix dagegen spricht.
Das erscheint mir auf den ersten Blick abstrus, ungefähr so, wie wenn man in Deinem Zahlbeispiel sagte, dem anderen wäre es nicht möglich, eine 217 zu nennen, weil man das ja ausgeschlossen habe....
TomS
Moderator


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Beitrag TomS Verfasst am: 25. Dez 2023 12:44    Titel: Antworten mit Zitat

Ungefähr bis zu dem Punkt bin ich mit meinen Verständnis des Papers auch gekommen. Nun überlege ich, ob es sich lohnt, weiterzumachen.

Im Falle des Fiat 500 sicher nicht …

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antaris



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Beitrag antaris Verfasst am: 26. Dez 2023 21:23    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:

Die Beantwortung der Frage nach der Wahrscheinlichkeit für unser Universum wäre für sich betrachtet noch nicht mal so viel wert. Selbst wenn die Wahrscheinlichkeit winzig ist, würde das bei unendlich vielen Universen insgs. immer noch auf unendlich viele Universen ähnlich dem unseren hinauslaufen.

Das Problem ist, dass die Wahrscheinlichkeit zunächst mathematische undefiniert ist. Die Frage ist mathematisch völlig sinnlos.


Für die Entstehung unendlicher koexistierenden Raumzeiten würde aber auch eine unendlich lange Entstehungszeit benötigt. Wenn die Zeit bei 0 anfängt und sich der Zeitpunkt der Gegenwart unendlich lange in Richtung Zukunft bewegt, so ist dennoch jeder Zeitpunkt der sich bewegenden Gegenwart ein endlicher Wert und somit kann es auch nur eine endliche Anzahl an koexistierenden Raumzeiten geben.
Das Problem hat man nur, wenn ein Zeitpunkt der Gegenwart betrachtet wird, der unendlich weit in der Zukunft liegt.
TomS
Moderator


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Beitrag TomS Verfasst am: 26. Dez 2023 22:28    Titel: Antworten mit Zitat

antaris hat Folgendes geschrieben:
Für die Entstehung unendlicher koexistierenden Raumzeiten würde aber auch eine unendlich lange Entstehungszeit benötigt.

Im Kontext der "eternal inflation" entstehen unendlich viele Tochteruniversen sozusagen gleichzeitig.

Das Problem ist aber nicht die Zeit, sondern bereits die einfache Frage nach dem Wahrscheinlichkeitsmaß.

Wir groß ist die Wahrscheinlichkeit, unter den positiven natürlichen Zahlen eine geraden Zahl zu finden?

Betrachtet man dies für die ersten N Zahlen in

1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8

und den Grenzfall



so scheint alles in Ordnung.

Betrachtet man jedoch die ersten N Zahlen in

1, 2, 4, 3, 6, 8, 5, 10, 12, 7, 14, 16

so gilt für den Grenzfall



Im Kontext der Inflation bedeutet dies, dass für eine einfache Frage wie "wie groß ist der Anteil der Universen, in dem die Messgröße X einen Wert zwischen a und b hat?" nicht sinnvoll definierbar. Damit wird die Idee der Inflation jedoch sinnlos, da sie keine Vorhersagekraft hat.

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Beitrag antaris Verfasst am: 26. Dez 2023 23:33    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
Im Kontext der Inflation bedeutet dies, dass für eine einfache Frage wie "wie groß ist der Anteil der Universen, in dem die Messgröße X einen Wert zwischen a und b hat?" nicht sinnvoll definierbar. Damit wird die Idee der Inflation jedoch sinnlos, da sie keine Vorhersagekraft hat.


Warum nicht sinnvoll definierbar? Weil unendlich viele Tochteruniversen während der begrenzten Zeit der Inflation entstehen?

Darum ist?:
TomS hat Folgendes geschrieben:
Das Problem ist aber nicht die Zeit, sondern bereits die einfache Frage nach dem Wahrscheinlichkeitsmaß.


Ohne Inflationsmodell geht es nicht, mit aber auch nicht (zumindest nur unbefriedigend mit den etablierten Modellen)?
TomS
Moderator


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Beitrag TomS Verfasst am: 27. Dez 2023 17:45    Titel: Antworten mit Zitat

antaris hat Folgendes geschrieben:
TomS hat Folgendes geschrieben:
Im Kontext der Inflation bedeutet dies, dass für eine einfache Frage wie "wie groß ist der Anteil der Universen, in dem die Messgröße X einen Wert zwischen a und b hat?" nicht sinnvoll definierbar. Damit wird die Idee der Inflation jedoch sinnlos, da sie keine Vorhersagekraft hat.

Warum nicht sinnvoll definierbar? Weil unendlich viele Tochteruniversen während der begrenzten Zeit der Inflation entstehen?

Nein:
TomS hat Folgendes geschrieben:
Das Problem ist aber nicht die Zeit, sondern bereits die einfache Frage nach dem Wahrscheinlichkeitsmaß.

Siehe meine Rechnung. Dort sind Wahrscheinlichkeitsaussagen offenbar sinnlos, ohne dass die Zeit eine Rolle spielen würde. Genau das selbe gilt für einige Modelle der kosmischen Inflation, insbs. die ewige Inflation mit einem Multiversum.

Es gibt sogar mehrere derartige Defekte, die diese Modelle als unwissenschaftlich erscheinen lassen. Das sehen auch führende Wissenschaftler so, die früher selbst daran gearbeitet haben.

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antaris



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Beitrag antaris Verfasst am: 27. Dez 2023 19:58    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:

Es gibt sogar mehrere derartige Defekte, die diese Modelle als unwissenschaftlich erscheinen lassen. Das sehen auch führende Wissenschaftler so, die früher selbst daran gearbeitet haben.


Ich hatte immer eine Wahrscheinlichkeitsverteilung im Kopf, im Sinne von z.B. wie wahrscheinlich ist die Habitilität auf verschiedenen Exoplaneten, bei unterschiedlichen äußeren und inneren Bedingungen und Einflüssen. Der Unterschied wäre, dass wir in diesem Fall zumindest teilweise die Bedingungen und Einflüsse, welche die Habilität positiv oder negativ beeinflussen, studieren und somit eingrenzen können. Auf die Inflation übertragen wären demnach nicht der Wert von a bis b selbst interessant, sondern der Formalismus, wie der Wert bzw. dessen Grenzen (a bis b) zustande kommt.
Vielleicht habe ich auch ein falsches Bild.
Wo muss eine Alternative zu den Inflationsmodellen ansetzen?
TomS
Moderator


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Beitrag TomS Verfasst am: 28. Dez 2023 14:11    Titel: Antworten mit Zitat

antaris hat Folgendes geschrieben:
Ich hatte immer eine Wahrscheinlichkeitsverteilung im Kopf, im Sinne von z.B. wie wahrscheinlich ist die Habitilität auf verschiedenen Exoplaneten, bei unterschiedlichen äußeren und inneren Bedingungen und Einflüssen.

Bleib doch mal beim Thema.

Im Falle der ewigen Inflation wäre die erste Frage z.B., wie wahrscheinlich ist die Existenz von Planeten in unendlich vielen Universen. Ohne weitere Informationen kann man dazu nichts sagen.

Die zweite Frage wäre, die Existenz von Planeten vorausgesetzt, wie wahrscheinlich – in immer noch unendlich vielen Universen – ist das Vorliegen einer bestimmten Eigenschaft eines Planeten. Nehmen wir an, es gäbe nur zwei Arten von Planeten, Gesteins- und Gasplaneten. Wie groß ist dann die Wahrscheinlichkeit, dass ein bestimmter Planet ein Gasplanet ist? Evtl. kann man das für einen bestimmten Satz von Naturkonstanten berechnen.

Aber für nahezu beliebige Universen mit unterschiedlichen Naturkonstanten müssten wir zunächst berechnen, wie wahrscheinlich das Vorliegen eines bestimmten Typs von Universum mit einem bestimmten Satz von Naturkonstanten ist. Das ist die Frage, die wirklich schwierig ist. Selbst wenn wir für jeden gegebenen Satz von Naturkonstanten berechnen könnten, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein zufällig ausgewählter Planet ein Gasplaneten ist, wissen wir nich nichts über die Wahrscheinlichkeit für die Naturkonstanten.

Einfaches Beispiel: Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass für einen bestimmten Lebensraum ein zufällig ausgewähltes Tier ein weißer Vogel ist? Nehmen wir an, wir könnten das für jeden Lebensraum berechnen: Tiefsee 0%, Wüste 0%, Dschungel 0% … Küstenregion 5%, Polarregion 5%. Jetzt stellt sich die Frage, wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein zufällig ausgewählter Bereich der Erdoberfläche Meer, Wüste, Dschungel … Küste … ist. Das hat sicher etwas mit dem jeweiligen Flächenanteil zu tun.

Jetzt zurück zum Multiversum: wie wahrscheinlich ist das Vorliegen eines bestimmten Typs von Universum übersetzen wir in wie groß ist Volumenanteil eines bestimmten Typs Universum im Multiversum?

Echt schwer. Keine Ahnung, wie das zu berechnen ist.

Also schauen wir uns was ganz einfaches an – s.o., bitte durchdenken: wie groß ist der Anteil der geraden Zahlen an den natürlichen Zahlen? Intuitiv sagst du bestimmt "50%", aber ich habe oben gezeigt, dass das nicht definierbar ist; ich kann verschiedene Einteilungen der natürlichen Zahlen vornehmen, keine davon ist besser als die andere, und für jede Einteilung erhalte ich ein anderes Ergebnis. Ist dir das klar?!


Wir vergleichen also die beiden Aufgabenstellungen:
1) wie groß ist der Anteil der geraden Zahlen an den natürlichen Zahlen?
2) wie groß ist der Volumenanteil eines bestimmten Typs Universum im Multiversum?
Im Fall (2) müssen wir evtl. etwas über die Entstehung eines Universums wissen, also wie oft entsteht ein bestimmter Typ? wir müssen etwas über die relativen Größen wissen – aber unendlich viele der Universen sind unendlich groß … Das ist sicher viel schwieriger als beim Fall (2) der natürlichen Zahlen. Aber nicht mal der ist lösbar!!

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Beitrag antaris Verfasst am: 28. Dez 2023 20:22    Titel: Antworten mit Zitat

Bei einer unendlichen Anzahl an "Tochter-Universen" ist die Wahrscheinlichkeit der Entstehung bei keinem einzigen irgendwie ausgezeichnet. Die Wahrscheinlichkeit für alle möglichen Universen ist also bei jedem einzelnen 1.

https://en.wikipedia.org/wiki/Eternal_inflation#Inflation,_eternal_inflation,_and_the_multiverse
Zitat:
Paul Steinhardt, who produced the first example of eternal inflation,[1] eventually became a strong and vocal opponent of the theory. He argued that the multiverse represented a breakdown of the inflationary theory, because, in a multiverse, any outcome is equally possible, so inflation makes no predictions and, hence, is untestable. Consequently, he argued, inflation fails a key condition for a scientific theory.


https://arxiv.org/abs/2108.07101
Paul Steinhardt bedient sich nun eines anderen Feldes (kein skalares Inflatonfeld -> Axionenfeld?) und hat so die Hypothese vom zyklischen Universum konstruiert?


Linde und Guth scheinen lt. dem o.g. Wikiartikel aber noch am Modell der eternal Inflation festzuhalten:

Zitat:
Both Linde and Guth, however, continued to support the inflationary theory and the multiverse. Guth declared:

It's hard to build models of inflation that don't lead to a multiverse. It's not impossible, so I think there's still certainly research that needs to be done. But most models of inflation do lead to a multiverse, and evidence for inflation will be pushing us in the direction of taking the idea of a multiverse seriously.



Hawking und Hertog scheinen einen Ausweg gefunden zu haben. Das Buch liegt hier aber hatte noch keine Zeit über die Einleitung hinaus zu lesen.

Zitat:
In 2018 the late Stephen Hawking and Thomas Hertog published a paper in which the need for an infinite multiverse vanishes as Hawking describes their theory gives universes which are "reasonably smooth and globally finite".[22][23] The theory uses the holographic principle to define an 'exit plane' from the timeless state of eternal inflation, the universes which are generated on the plane are described using a redefinition of the no-boundary wavefunction, in fact the theory requires a boundary at the beginning of time.[24] Stated simply Hawking says that their findings "imply a significant reduction of the multiverse" which as the University of Cambridge points out, makes the theory "predictive and testable" using gravitational wave astronomy.


In diesem Bild wird die Definition "Multiversum" abgeschwächt bzw. "verschwindet" das Multiversum und anstelle dessen treten endliche aber nicht scharf begrenzte Abschnitte im Universum (individuelle Wellenfunktion) auf einer gemeinsamen "Fläche"?

Als dritten Zugang ist dann (mit Vorsicht) die LQG zu sehen, da die Inflation aus der quantisierten Raumzeit folgt?

https://arxiv.org/abs/1509.01833
Zitat:
Such models remain incomplete, and it is not clear whether loop quantum gravity can be consistent as a full theory. But some surprising effects appear to be generic and would drastically alter our understanding of space-time at large density. These new high-curvature phenomena are a consequence of a widening gap between quantum gravity and ordinary quantum-field theory on a background.
antaris



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Beitrag antaris Verfasst am: 29. Dez 2023 08:21    Titel: Antworten mit Zitat

Ich verstehe deine Rechnung und auch die Sinnlosigkeit der Definition von Wahrscheinlichkeiten in diesem Zusammenhang. Ich würde aber eigentlich nichts anders erwarten. In der Natur sind doch m.E. aber die Reihenfolge und die Regeln der Auswahl nicht willkürlich, sondern festgelegt.

Man kann das, stark vereinfacht, mittels eines normalen Würfels veranschaulichen, welcher 3 rote, 2 gelbe und 1 grüne Fläche hat.

    rot - Universum kann nicht existieren (zerfällt)
    gelb - Universum kann existieren ist aber zu instabil um Planetenbildung zu ermöglichen
    grün - das Universum hat lange stabile Phasen der Planetenbildung, welches die Grundlage für biologische Evolution ist

Die Wahrscheinlichkeit eine rote Fläche zu würfeln ist dann eben 3 mal höher als eine grüne Fläche. Zu untersuchen wäre die Ursache dafür, wie (warum) entweder rot, gelb oder grün "gewürfelt" wird. Würfeln ist vielleicht nicht die richtige Wortwahl, da die Auswahl nicht zufällig sein muss, sich nach Regeln abspielen kann und somit von physikalischen Größen abhängen könnte, die existieren bevor ein Tochteruniversum entsteht.

Da nun aber die Inflation innerhalb unseres sichtbaren Universum gestoppt hat, kann man diesem Raumzeitbereich immer eine rote Fläche des Würfels zuordnen. Hier ist die Inflation so schwach, dass sie keine neuen und vor allem stabile Universen hervorbringen kann. Damit ist die Kette der unendlichen Entstehung von Tochteruniversen innerhalb eines stabilen Universum unterbrochen.

Dennoch verstehe ich unter ewiger (unendlicher) Inflation aber schon, dass sich das "ewig" auf die (unendliche) Zeit bezieht und somit in einer endlichen Zeit auch nur endlich viele Tochter-Universen entstehen könnten. Das Argument eines Multiversums mit unendlich vielen Tochteruniversen ist m.E. rein hypothetisch.
TomS
Moderator


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Beitrag TomS Verfasst am: 29. Dez 2023 11:40    Titel: Antworten mit Zitat

antaris hat Folgendes geschrieben:
Bei einer unendlichen Anzahl an "Tochter-Universen" ist die Wahrscheinlichkeit der Entstehung bei keinem einzigen irgendwie ausgezeichnet. Die Wahrscheinlichkeit für alle möglichen Universen ist also bei jedem einzelnen 1.

Nein. Die Wahrscheinlichkeit ist mathematisch undefiniert.

antaris hat Folgendes geschrieben:
https://en.wikipedia.org/wiki/Eternal_inflation#Inflation,_eternal_inflation,_and_the_multiverse
Zitat:
Paul Steinhardt, who produced the first example of eternal inflation,[1] eventually became a strong and vocal opponent of the theory. He argued that the multiverse represented a breakdown of the inflationary theory, because, in a multiverse, any outcome is equally possible, so inflation makes no predictions and, hence, is untestable. Consequently, he argued, inflation fails a key condition for a scientific theory.

Das ist mir etwas zu unscharf. Inflation hat zwei Probleme. Erstens, dass sie eines Inflatonfeldes bedarf, das es im Standardmodell nicht gibt, und zweitens, dass die Kombination mit der Stringtheorie im genannten Sinne unwissenschaftlich ist.

Also lässt man die Stringtheorie beiseite und sucht eine andere Erklärung für die Inflation.

antaris hat Folgendes geschrieben:
Linde und Guth scheinen lt. dem o.g. Wikiartikel aber noch am Modell der eternal Inflation festzuhalten:

Zitat:
Both Linde and Guth, however, continued to support the inflationary theory and the multiverse. Guth declared:

It's hard to build models of inflation that don't lead to a multiverse. It's not impossible, so I think there's still certainly research that needs to be done. But most models of inflation do lead to a multiverse, and evidence for inflation will be pushing us in the direction of taking the idea of a multiverse seriously.

Dazu müsste man die Voraussetzungen kennen, die Guth hier im Sinn hat. Hätte Guth recht, wäre das ein drittes und prinzipielles Problem. Ich glaube das aber nicht.

antaris hat Folgendes geschrieben:
Hawking und Hertog scheinen einen Ausweg gefunden zu haben. Das Buch liegt hier aber hatte noch keine Zeit über die Einleitung hinaus zu lesen.

Zitat:
In 2018 the late Stephen Hawking and Thomas Hertog published a paper in which the need for an infinite multiverse vanishes as Hawking describes their theory gives universes which are "reasonably smooth and globally finite".[22][23] The theory uses the holographic principle to define an 'exit plane' from the timeless state of eternal inflation, the universes which are generated on the plane are described using a redefinition of the no-boundary wavefunction, in fact the theory requires a boundary at the beginning of time.[24] Stated simply Hawking says that their findings "imply a significant reduction of the multiverse" which as the University of Cambridge points out, makes the theory "predictive and testable" using gravitational wave astronomy.

Klingt interessant, werde ich mir mal ansehen.

antaris hat Folgendes geschrieben:
Als dritten Zugang ist dann (mit Vorsicht) die LQG zu sehen, da die Inflation aus der quantisierten Raumzeit folgt?

https://arxiv.org/abs/1509.01833
Zitat:
Such models remain incomplete, and it is not clear whether loop quantum gravity can be consistent as a full theory. But some surprising effects appear to be generic and would drastically alter our understanding of space-time at large density. These new high-curvature phenomena are a consequence of a widening gap between quantum gravity and ordinary quantum-field theory on a background.

Die LQG hat einige gravierende Probleme; Bojowald nennt eines davon am Ende des Papers. Andere wie z.B. Rovelli sind deutlich optimistischer. Ich bin da nicht mehr auf dem Laufenden, muss mal wieder mehr lesen.

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Anmeldungsdatum: 12.12.2022
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Wohnort: In einem chaotischen Universum

Beitrag antaris Verfasst am: 29. Dez 2023 12:37    Titel: Antworten mit Zitat

Guth von 2014 https://arxiv.org/pdf/2108.01278.pdf
Zitat:
In the light of data from {\it Planck}(Planck-Satellit) as well as recent theoretical developments in the study of eternal inflation and the multiverse, we address recent criticisms of inflation by Ijjas, Steinhardt, and Loeb. We argue that their conclusions rest on several problematic assumptions, and we conclude that cosmic inflation is on a stronger footing than ever before.



Bezüglich Hertog geht es dann aber klar in Richtung String-Theorie und ebenso um Teilchen (Dilaton), welches das Standardmodell nicht beinhaltet.

Von 2022 https://arxiv.org/pdf/2108.01278.pdf
Zitat:
We consider multiverse models in two-dimensional linear dilaton-gravity theories as toy models of false vacuum eternal inflation. Coupling conformal matter we calculate the Von Neumann entropy of subregions. When these are sufficiently large we find that an island develops covering most of the rest of the multiverse, leading to a Page-like transition. This resonates with a description of multiverse models in semiclassical quantum cosmology, where a measure for local predictions is given by saddle point geometries which coarse-grain over any structure associated with eternal inflation beyond one’s patch.
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