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Von Neumann Messung: Eigentlich physikalisch falsch?
 
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manuel459



Anmeldungsdatum: 11.10.2016
Beiträge: 263

Beitrag manuel459 Verfasst am: 24. Apr 2022 19:02    Titel: Von Neumann Messung: Eigentlich physikalisch falsch? Antworten mit Zitat

Hi,

bei der Von-Neumann-Messung wird bekanntlich angenommen, dass der Zustand des Systems, falls sich das System in einem Eigenzustand der betrachteten Observable befindet, nicht verändert. Dies wird meist mit dem "idealen" Charakter dieser Messung in Verbindung gebracht. Auf Wikipedia habe ich bisher (nach einiger Recherche) das einzige Kommentar zu diesem Umstand gefunden. Dort wird gesagt, dass diese Annahme zwar in der Realität kaum zutreffe, aber als Modellvorstellung "günstig" ist.

Warum wird die Von-Neumannsche Theorie der Messung als Stand der Dinge betrachtet, wenn sie so einen drastischen Fehler enthält?
Aruna



Anmeldungsdatum: 28.07.2021
Beiträge: 795

Beitrag Aruna Verfasst am: 24. Apr 2022 19:22    Titel: Re: Von Neumann Messung: Eigentlich physikalisch falsch? Antworten mit Zitat

manuel459 hat Folgendes geschrieben:
Hi,

bei der Von-Neumann-Messung wird bekanntlich angenommen, dass der Zustand des Systems, falls sich das System in einem Eigenzustand der betrachteten Observable befindet, nicht verändert. Dies wird meist mit dem "idealen" Charakter dieser Messung in Verbindung gebracht. Auf Wikipedia habe ich bisher (nach einiger Recherche) das einzige Kommentar zu diesem Umstand gefunden. Dort wird gesagt, dass diese Annahme zwar in der Realität kaum zutreffe, aber als Modellvorstellung "günstig" ist.


Was trifft in der Realität kaum zu?
Dass sich das System in einem Eigenzustand befindet, oder dass es sich, wenn es sich in einem Eigenzustand befindet, bei der Messung nicht verändert?
manuel459



Anmeldungsdatum: 11.10.2016
Beiträge: 263

Beitrag manuel459 Verfasst am: 24. Apr 2022 19:47    Titel: Antworten mit Zitat

Sorry für die Verwirrung. Wikipedia schreibt Folgendes:

Zitat:
Das Objekt selbst, wenn es schon in einem Eigenzustand zum betreffenden Operator ist, verändert sich im Messprozess nach von Neumann nicht. Die Voraussetzung ist in der Realität selten gegeben, ist aber als Modellvorstellung hilfreich.
Aruna



Anmeldungsdatum: 28.07.2021
Beiträge: 795

Beitrag Aruna Verfasst am: 24. Apr 2022 21:24    Titel: Antworten mit Zitat

manuel459 hat Folgendes geschrieben:
Sorry für die Verwirrung. Wikipedia schreibt Folgendes:

Zitat:
Das Objekt selbst, wenn es schon in einem Eigenzustand zum betreffenden Operator ist, verändert sich im Messprozess nach von Neumann nicht. Die Voraussetzung ist in der Realität selten gegeben, ist aber als Modellvorstellung hilfreich.


Okay, das geht weiter:

Zitat:
Im interessierenden Fall ist das System nicht vor der Messung schon in einem Eigenzustand des Messoperators, sondern in einer aus verschiedenen Eigenzuständen gebildeten Linearkombination


Das interpretiere ich jetzt so, dass der Fall, dass das System in einem Eigenzustand des Operators vorliegt, nur selten vorkommt, nicht dass die Aussage, dass sich in diesen seltenen Fällen die Zustandsfunktion durch die Messung nicht ändert falsch sei.
Das ist also IMO kein drastischer bzw. gar kein Fehler, nur eine ideale Messung kommt eben in der Realität selten vor.
manuel459



Anmeldungsdatum: 11.10.2016
Beiträge: 263

Beitrag manuel459 Verfasst am: 24. Apr 2022 21:38    Titel: Antworten mit Zitat

Ach herrje. Du hast natürlich vollkommen Recht. Da wollte ich wohl, dass genau das dasteht, was ich mir gedacht habe. Vielen Dank.
manuel459



Anmeldungsdatum: 11.10.2016
Beiträge: 263

Beitrag manuel459 Verfasst am: 24. Apr 2022 23:23    Titel: Antworten mit Zitat

Ich muss nochmal darauf zurückkommen.

Nach etwas Bedenkzeit bin ich zum Schluss gekommen, dass im Wikipedia Artikel mit dem markierten Text (siehe die ursprüngliche Frage) gemeint ist, dass sich der Zustand des Systems bei der Interaktion zwischen System und Messgerät nicht ändert (beim unitär beschreibbaren Teil des Messprozesses). ((Für Superpositionszustände des Systems führt diese Interaktion zu einem verschränkten System-Messgerät Zustand, auf den noch der Kollaps folgt, im Zuge dessen sich der Zustand des Systems sehr wohl ändert.))

Ich formuliere meine Frage auf Basis dieser Überlegungen neu: Warum ist es "sinnvoll" oder richtig anzunehmen, dass die Interaktion den Systemzustand nicht ändert? Wie begründet sich das? Bei Von-Neumann-Messungen wird das nie erklärt (meiner Meinung nach).
Aruna



Anmeldungsdatum: 28.07.2021
Beiträge: 795

Beitrag Aruna Verfasst am: 25. Apr 2022 07:42    Titel: Antworten mit Zitat

manuel459 hat Folgendes geschrieben:

Ich formuliere meine Frage auf Basis dieser Überlegungen neu: Warum ist es "sinnvoll" oder richtig anzunehmen, dass die Interaktion den Systemzustand nicht ändert? Wie begründet sich das? Bei Von-Neumann-Messungen wird das nie erklärt (meiner Meinung nach).


Es geht um den Zustand des zu messenden Objekts, das ist vor der Messung z.B. laut dem von Dir zitierten Wikipediaartikel [https://de.wikipedia.org/wiki/Quantenmechanische_Messung#Wechselwirkung_erzeugt_Verschr%C3%A4nkung_mit_dem_Messapparat] in dem Zustand
Das Gesamtsytem aus Objekt und Messgerät ist vor der Messung in
dem Zustand



wobei den Zustand der Zustand des Messgeräts vor der Messung ist.

durch die Messung geht das Gesamtsystem in den Zustand



über
D.h. das Objekt ist immer noch in dem Zustand , nur der Zustand des Messgeräts hat sich verändert, von nach . das ist sinnvoll, weil das Messgerät ja den Zustand des zu messenden Objekts messen bzw. anzeigen soll und das Messgerät soll entsprechend konstruiert.
manuel459



Anmeldungsdatum: 11.10.2016
Beiträge: 263

Beitrag manuel459 Verfasst am: 25. Apr 2022 11:42    Titel: Antworten mit Zitat

Okay Danke. Das bedeutet, es ist eine schlichte Modelannahme, die man genau mit dem naiven Gedanken (System sollte sich nicht ändern) begründet. Es stecken keine weiteren Gedanken hinsichtlich realer Messprozesse dahinter.

Ich meine nur - für große Objekte (die man messen will) ist das ja noch nachvollziehbar, aber für kleine nicht. Wenn ich ein tiefgefrorenes Thermometer in ein Glas Wasser halte, ändert sich ja auch die Wassertemperatur (ungewollt).
Aruna



Anmeldungsdatum: 28.07.2021
Beiträge: 795

Beitrag Aruna Verfasst am: 26. Apr 2022 05:42    Titel: Antworten mit Zitat

manuel459 hat Folgendes geschrieben:
Okay Danke. Das bedeutet, es ist eine schlichte Modelannahme, die man genau mit dem naiven Gedanken (System sollte sich nicht ändern) begründet. Es stecken keine weiteren Gedanken hinsichtlich realer Messprozesse dahinter.

Ich meine nur - für große Objekte (die man messen will) ist das ja noch nachvollziehbar, aber für kleine nicht. Wenn ich ein tiefgefrorenes Thermometer in ein Glas Wasser halte, ändert sich ja auch die Wassertemperatur (ungewollt).


Ach so.
Es geht Dir um konkrete Messungen bei denen anzunehmen ist, dass das Messobjekt durch die Wechselwirkung bei der Messung beeinflusst wird.
Um die Intention von von Neumann zu verstehen, müsste man eventuell die Originalarbeiten lesen.
Ich verstehe das so:
Der Formalismus mit der der Messprozess abgebildet wird, ist eine Abstraktion von der konkreten Messung. In der allgemeinen Form auch von der konkreten Messgröße.
Und es geht - zumindest zunächst - eher darum, eine Vorhersage machen zu können, was bei einer Messung als Ergebnis rauskommt, als darum, in welchem Zustand das Messobjekt nach der Messung ist.
Für Letzteres müsste man ja die Wechselwirkung der konkreten Messung explizit beschreiben.
Die Störung kann ja bei unterschiedlichen Messgrößen aber auch bei unterschiedlichen Methoden die gleiche Messgröße zu bestimmen, bei konkreten Messungen erheblich abweichen.
Beim Doppelspaltexperiment mit Photonen wird bei der Ortsmessung am Schirm das Messobjekt zerstört.
Wenn man mittels Photonenstreuung bestimmt, durch welchen Spalt ein Elektron geflogen ist, ist die Störung kleiner oder bei einem AlphaTeilchen in einer Nebelkammer (die Spur ist dann auch eine wiederholte Ortsmessung)
Für wiederholte Messungen am gleichen System wird oft eine Spin-Messung wie im Stern-Gerlach Versuch als Beispiel angeführt.
z.B.: https://www.forphys.de/Website/qm/gloss/spin.html

Wenn man dann von der konkreten Messung abstrahieren will, um eine grundlegendes Modell zu finden, kann man dann von der Störung durch die Wechselwirkung, die auch klassisch erwartbar ist, abstrahieren und eben Messungen durch die Anwendung von Operatoren auf Vektoren darstellen.
Siehe auch hier:

https://homepage.univie.ac.at/franz.embacher/Quantentheorie/Dekohaerenz/

Zitat:
Trifft das Photon auf den Körper, wird es nach unten reflektiert. Wir nehmen dabei an, dass es sehr viel leichter als der Körper ist und diesen nicht beeinflusst.
[...]
Dieser Effekt, den die Wechselwirkung mit der Umgebung bewirkt hat, heißt Dekohärenz. Mit ihr haben wir möglicherweise den Hauptgrund dafür gefunden, warum die Welt um uns herum so "klassisch" aussieht. Bei näherer Betrachtung erscheint die Situation, die wir gerade analysiert haben, reichlich paradox: Einerseits ist es die Umgebung (und der Verzicht darauf, an ihr Messungen vorzunehmen), die die makroskopische Superposition unbeobachtbar macht. Andererseits haben wir die Wechselwirkung gerade so gewählt, dass sie den Körper nicht beeinflusst! Alle ExperimentatorInnen wünschen sich, dass die Umgebung die von ihnen betrachteten Systeme so wenig wie möglich stört – und doch gibt es da eine Wirkung, die sich prinzipiell nicht abschalten läßt: den effektiven Verlust der Superpositionseigenschaft (oder der "Kohärenz", wie es im Fachjargon heißt – daher auch der Name "Dekohärenz").


D.h. wenn man annimmt, dass man theoretisch die Störung des Objekts durch die Messung (hier Wechselwirkung mit der Umgebung) minimieren kann, bleibt aufgrund des Formalismus der Quantenmechanik immer noch die Dekohärenz oder eben die Projektion der Superposition aus mehreren Eigenvektoren auf einen aus Sicht eines lokalen Beobachters.
Wenn das zu messende System schon in einem Eigenvektor vorliegt, gibt es keine Superposition die verloren geht.
Aber der "interessante Fall" (siehe Wikipedia) ist eben, wenn das System in einer Superposition vorliegt, was ja die Quantenmechanik von der klassischen Mechanik unterscheidet und dann zu dem Messproblem führt, bzw. der Frage, was denn bei der Messung mit den anderen Komponenten der Superposition passiert.

P.S.:
Da Du Dich wohl für Dekohärenz und Alternativen zu von Neumann interessierst, ist vielleicht auch dieser Artikel für Dich interessant:

http://www.rzuser.uni-heidelberg.de/~as3/KarlsruheText.pdf

Dort wird die Interpretation des Messprozesses von von Neumann von anderen durch die Setzung des Heisenbergeschnitts unterschieden, also den Übergang von der Quantenwelt in die klassische Welt bei der Messung.
Von Neumann setzt den danach hinter den Messapparat, d.h. der Messapparat wird mit dem Messobjekt verschränkt und dann erfolgt der "Kollaps" des verschränkten Systems in eine Komponente der Superposition des verschränkten Systems.
Wigner (siehe den anderen Thead über Wigners Freund) legt den in das Bewusstsein des Beobachters, und Everett verzichtet ganz auf den Kollaps was dann zur Viele Welten Theorie führt.
Der Formalismus vor dem Kollaps ist allerdings der Gleiche.
manuel459



Anmeldungsdatum: 11.10.2016
Beiträge: 263

Beitrag manuel459 Verfasst am: 26. Apr 2022 15:41    Titel: Antworten mit Zitat

Wow! Vielen vielen Dank für diese ausführliche Antwort. Sie hat mir gleich in mehrerlei Hinsicht "die Augen geöffnet" und mich endlich mal weiter denken lassen, als bis zur Hürde, die zu dieser Frage im Forum geführt hat. Für mich ist die Frage nun mehr als beantwortet Big Laugh

Vielen vielen Dank! smile

Eine Frage, die dazu passt, würde ich dir noch gerne stellen - da du grad in der Materie drin bist...

In anderen Büchern steht statt der Formulierung "keine Rückwirkung auf das System durch die (unitäre) Interaktion" auch Folgendes:

"Befindet sich das System in einem Eigenzustand der Mess-Observable, verändert sich der Zustand des Systems durch die gesamte Messung [wohl also inklusive Kollaps] nicht."

Liege ich damit richtig, dass diese beiden Formulierungen für die mathematische Beschreibung völlig identisch sind - man also das eine in das Andere überführen kann?
Aruna



Anmeldungsdatum: 28.07.2021
Beiträge: 795

Beitrag Aruna Verfasst am: 28. Apr 2022 04:57    Titel: Antworten mit Zitat

manuel459 hat Folgendes geschrieben:

In anderen Büchern steht statt der Formulierung "keine Rückwirkung auf das System durch die (unitäre) Interaktion" auch Folgendes:

"Befindet sich das System in einem Eigenzustand der Mess-Observable, verändert sich der Zustand des Systems durch die gesamte Messung [wohl also inklusive Kollaps] nicht."

Liege ich damit richtig, dass diese beiden Formulierungen für die mathematische Beschreibung völlig identisch sind - man also das eine in das Andere überführen kann?


Die Beantwortung dieser Frage fällt mir schwer.
Das Erste ist ein Teilsatz ohne (zumindest für mich) klaren Bezug, das Zweite ist ein relativ klar formulierter Konditionalsatz.
Zumindest der Kollaps ist wohl nicht Teil einer "unitären Interaktion"*.
Also eher nein.


*) siehe auch diesen Thread:

https://www.physikerboard.de/topic,64690,-messproblem-und-allgemein-messungen-in-der-quantenmechanik.html
manuel459



Anmeldungsdatum: 11.10.2016
Beiträge: 263

Beitrag manuel459 Verfasst am: 03. Mai 2022 14:08    Titel: Antworten mit Zitat

Danke!
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