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Realität des Gehirns - Seite 3
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TomS
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Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 17896

Beitrag TomS Verfasst am: 18. Okt 2021 23:02    Titel: Antworten mit Zitat

Hier nachbringt Artikel, der diese Sichtweise darstellt.

http://vhs.g21.de/text/Bieri-was_macht_das_Bewusstsein_zu_einem_Raetsel.pdf
Was macht Bewußtsein zu einem Rätsel?
Bieri, Peter. In W. Singer (Hrsg.) 1994: Gehirn und Bewusstsein. Heidelberg, Spektrum. S.172-180

Selbst wenn wir in einem menschlichen Gehirn wie in einer Fabrik herumlaufen und es auf jeder Ebene der Abstraktion erforschen könnten, verstünden wir immer noch nicht, wie Erleben zustande kommt. Das bedeutet auch, daß wir noch nicht verstehen, wie unser Erleben unser Tun bestimmen kann.

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Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
TomS
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Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 17896

Beitrag TomS Verfasst am: 18. Okt 2021 23:40    Titel: Antworten mit Zitat

Ich habe inzwischen einige Artikel zu Dennets Multiple Drafts Model gelesen.

Dazu drei Kritikpunkte:

Die Kritik am sog. Cartesianischen Theater ist ein Strohmann-Argument. Das ist nicht das zentrale Problem, ich halte z.B. eine derartige Instanz für unnötig, dennoch sehe ich eine Erklärungslücke, die ich jedoch nicht naiv mit irgendeiner Instanz fülle; ich konstatiere lediglich die Existenz dieser Lücke.

Dennets Theorie mag zutreffend sein, sie liefert dennoch kein Verständnis, wie es sich anfühlt, einen bestimmten Bewusstseinsinhalt zu haben. Siehe oben - um Jazz zu hören muss ich Jazz hören, ein Buch über Jazz ist nicht ausreichend.

Mir scheint, Dennet tappt in die übliche funktionalistische Falle: zuerst werden bestimmte Punkte ausgeblendet, anschließend eine Theorie konstruiert; zuletzt wird ignoriert, dass die Theorie konstruktionsbedingt bestimmte Aspekte nicht erklären kann. Das ist eigtl. eine recht triviale Erkenntnis, dazu muss man keinen dualistischen Standpunkt einnehmen.

Ich habe bisher nicht erkennen können, wie Dennet den bekannten Argumenten begegnet.

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index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 19. Okt 2021 07:49    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Ich teile diese deine Meinung "dass Bewusstsein im wesentlichen eine Menge miteinander interagierender Funktion speziell organisierter Materie ist" für zutreffend, und ich halte dies "auch im Hinblick auf den evolutionären Ursprung von Bewusstsein für die sinnvollste Ausgangshypothese".

Aber die Erklärungslücke bleibt, denn selbst wenn uns die Konstruktion einer derartigen Theorie gelänge, würde sie nicht das Wesen des Bewusstseins erklären, was es für mich (oder dich) zu meinem (oder deinem) Bewusstsein macht, wie sich Jazz anhört oder wie Schweinebraten schmeckt.

Wenn das deine Meinung ist, ist kein Wunder, daß ich sie nicht verstehe. Das ist vollkommen inkonsistent. Entweder gibt es außer den Funktionen nichts zu erklären, dann hinterläßt eine solche Theorie auch keine Erklärungslücke. Oder es bleibt eine Lücke, und dann muß es "ein Wesen des Bewußtseins" jenseits der reinen Funktionen geben.

So, jetzt sind wir nach Monaten endlich beim Kern des Problems unserer Diskussion angelangt. Es ist wohl genau der, auf den ich schon seit langem hinweise; offenbar habe ich das aber nicht klar formulieren; sorry.

Meine Haltung
1) Ich teile deine Meinung, dass Bewusstsein im Wesentlichen eine Menge miteinander interagierender Funktion speziell organisierter Materie ist.
2) Die Erklärungslücke bleibt, denn selbst wenn eine derartigen Theorie vorläge, würde sie uns nicht das Wesen des Bewusstseins erklären, z.B. wie sich Jazz anhört.


Das ist nur eine Wiederholung deiner beiden inkonsistenten Thesen, macht sie aber nicht klarer. Einerseits besteht das Wesen in den Funktionen, andererseits besagen die Funktionen nichts über das Wesen.

Zitat:

Es ist außerdem keineswegs klar, dass das Bewusstsein in der Lage ist, eine vollumfängliche Theorie seinerselbst vollumfängliche zu erfassen. D.h die Existenz einer derartigen Theorie impliziert keineswegs unser Verständnis einer derartigen Theorie.


Das trifft auch auf jede Theorie zu, ist also völlig irrelevant. Niemand hat vorausgesetzt, daß wir in der Lage sind eine bestimmte Theorie zu verstehen.

Zitat:
Eine mathematisch formulierte Theorie des Jazz-Hörens ist nicht identisch mit Jazzhören. Die Theorie eines Sterns ist auch nicht identisch mit dem Stern selbst, sie ist nicht heiß, sie ist nicht hell … sie beschreibt diese Phänomene und Prozesse lediglich. Die Verwechslung der Theorie des Bewusstseins mit dem Bewusstsein selbst ist ein klassischer Kategoriefehler.


Was soll das? Niemand hat behauptet eine Theorie des Bewußtseins wäre mit Bewußtsein identisch. (A propos "Strohmannargumente")

Zitat:

Eine mathematisch formulierte Theorie kann konsistent sein, jedoch Aussagen enthalten, die dieser mathematischen Theorie nicht zugänglich sind (Gödel). Darüberhinaus basiert jede mathematisch formulierte Theorie auf Entitäten, die durch die Theorie selbst nicht erklärt werden (Axiome). Eine physikalische Theorie wie die QCD mag möglicherweise den Aufbau und die Eigenschaften von Nukleonen Atomkernen vollständig erklären können, sie kann jedoch nicht erklären, was ein Quark ist – nicht als mathematische, sondern als reale Entität.


Daß sich deine Kritik nicht nur gegen eine Theorie des Bewußtseins, sondern gegen jede Theorie richtet, inklusive mathematischer und physikalischer, ist mir neu. Das ist immerhin konsequent.

Zitat:

D.h. eine Theorie des Bewusstseins mag in der Lage sein, Strukturen, Relationen, Wirkungen etc. zwischen Bewusstseinsinhalten zu erfassen. Die Kenntnis der Theorie führt dazu, dass ich verstehe, warum ich unter bestimmten Randbedingungen, bei gewissen externen Reizen, ausgestattet mit bestimmten Erlebnissen in meiner Vergangenheit bestimmte Gefühle entwickle. Was mir die Theorie aber weiterhin nicht sagt, ist, wie es sich anfühlt, Jazz zu hören. Dazu muss ich die Stereoanlage anschalten und hören; auch nach vollständigem Verständnis der QCD – ich bin weit davonentfernt – weiß ich nicht, wie es sich anfühlt, ein Quark zu sein.


Ich weiß ehrlich gesagt gerade nicht, ob ich diesen Vergleich mit der QCD ernst nehmen soll. Aber ich stimme dir gern so weit zu: Eine Theorie des Bewußtseins wird uns nicht mehr über das Wesen des Bewußtseins verraten, als die QCD über das Wesen der Quarks oder die QED über das Wesen des elektromagnetischen Feldes. Wenn du in all dem dieselbe "Erklärungslücke" siehst, obwohl du nicht in der Lage bist, sie präzise zu beschreiben (das "Wesen" ist im Prinzip nur eine Worthülse), dann werden wir es wohl bei dieser Feststellung belassen müssen.
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 19. Okt 2021 08:07    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
Ich habe inzwischen einige Artikel zu Dennets Multiple Drafts Model gelesen.

Dazu drei Kritikpunkte:

Die Kritik am sog. Cartesianischen Theater ist ein Strohmann-Argument.


Nein, sein Punkt ist nicht, daß diese These von jemandem explizit vertreten wird. Es geht eher um die Suggestionskraft dieser Vorstellung, die sich in der Formulierung vieler Scheinprobleme und Scheinlösungen niederschlägt. Dafür nennt er unzählige Beispiele.

Der Einfluß dieses kartesischen Theaters ist m.E. sogar in einigen Äußerungen weiter oben im Thread spürbar, z.B. in der Vorstellung, das Gehirn würde unter normalen Bedingungen fehlende visuelle Information "auffüllen" oder "ergänzen". Wozu sollte es das tun? Es sieht ja keiner, daß etwas fehlt.

Zitat:

Das ist nicht das zentrale Problem, ich halte z.B. eine derartige Instanz für unnötig, dennoch sehe ich eine Erklärungslücke, die ich jedoch nicht naiv mit irgendeiner Instanz fülle; ich konstatiere lediglich die Existenz dieser Lücke.


Schön für dich. Es hat dir auch niemand vorgeworfen du würdest an die Existenz des kartesischen Theaters glauben. Das tut wohl niemand. Dein Einwand verfehlt einfach das Thema.

Zitat:

Dennets Theorie mag zutreffend sein, sie liefert dennoch kein Verständnis, wie es sich anfühlt, einen bestimmten Bewusstseinsinhalt zu haben. Siehe oben - um Jazz zu hören muss ich Jazz hören, ein Buch über Jazz ist nicht ausreichend.


Ein Buch über Jazz enthält auch nicht denselben Informationsgehalt, wie das Hören von Jazz. Du selbst widerlegst hier gerade Strohmänner.

Zitat:

Mir scheint, Dennet tappt in die übliche funktionalistische Falle: zuerst werden bestimmte Punkte ausgeblendet, anschließend eine Theorie konstruiert;


Hier wieder diese Punkte, die angeblich ausgeblendet werden ohne auch nur konkret zu sagen, welche Punkte das sein sollen. Glaubst du ernsthaft Dennetts Modell würde den Unterschied zwischen dem Hören von Jazz und dem Lesen eines Buches über Jazz leugnen?

Zitat:

zuletzt wird ignoriert, dass die Theorie konstruktionsbedingt bestimmte Aspekte nicht erklären kann. Das ist eigtl. eine recht triviale Erkenntnis,


Nein, das ist keine Erkenntnis, sondern nur eine Unterstellung. Was wird ausgeblendet? Das "Wesen"? Aha, sehr aufschlußreich.
Aruna



Anmeldungsdatum: 28.07.2021
Beiträge: 787

Beitrag Aruna Verfasst am: 19. Okt 2021 08:43    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:

Der Einfluß dieses kartesischen Theaters ist m.E. sogar in einigen Äußerungen weiter oben im Thread spürbar, z.B. in der Vorstellung, das Gehirn würde unter normalen Bedingungen fehlende visuelle Information "auffüllen" oder "ergänzen". Wozu sollte es das tun? Es sieht ja keiner, daß etwas fehlt.


Wozu sollte ein Universum entstehen?
Es sieht ja keiner, dass etwas fehlt, wenn es nicht entstünde.

Menschen haben in ihrem Sehfeld aufgrund einer ungünstigen Konstruktion
des Auges einen blinden Fleck.
Den bemerkt man aber nicht, weil das Gehirn die Lücke üblicherweise rausrechnet.
Sehen muss man erst lernen. Z.B. dass Dinge nicht wirklich verschwinden, wenn die
von anderen Dingen verdeckt werden.

index_razor hat Folgendes geschrieben:

Zitat:

Dennets Theorie mag zutreffend sein, sie liefert dennoch kein Verständnis, wie es sich anfühlt, einen bestimmten Bewusstseinsinhalt zu haben. Siehe oben - um Jazz zu hören muss ich Jazz hören, ein Buch über Jazz ist nicht ausreichend.


Ein Buch über Jazz enthält auch nicht denselben Informationsgehalt, wie das Hören von Jazz. Du selbst widerlegst hier gerade Strohmänner.


Hat eine digitale Aufnahme von Jazz den gleichen Informationsgehalt, wie das Hören dieser digitalen Aufnahme?
Hat eine heiße Herdplatte den gleichen Informationsgehalt, wie das Drauffassen durch a.) einen P-Zombie, b.) ein bewusstes Wesen?
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 19. Okt 2021 09:11    Titel: Antworten mit Zitat

Aruna hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:

Der Einfluß dieses kartesischen Theaters ist m.E. sogar in einigen Äußerungen weiter oben im Thread spürbar, z.B. in der Vorstellung, das Gehirn würde unter normalen Bedingungen fehlende visuelle Information "auffüllen" oder "ergänzen". Wozu sollte es das tun? Es sieht ja keiner, daß etwas fehlt.


Wozu sollte ein Universum entstehen?
Es sieht ja keiner, dass etwas fehlt, wenn es nicht entstünde.


Mein Punkt war nicht, daß im Gehirn niemals überflüssige Prozesse ablaufen. Mein Punkt war nur, daß dieser spezielle Prozeß des "Informationsergänzen" überflüssig ist, weil er keine Funktion hat. Das macht seine Existenz allerdings auch unplausibel, denn das Gehirn hat keine Ressourcen für überflüssige Rechnungen zu verschwenden.

Zitat:

Menschen haben in ihrem Sehfeld aufgrund einer ungünstigen Konstruktion
des Auges einen blinden Fleck.
Den bemerkt man aber nicht, weil das Gehirn die Lücke üblicherweise rausrechnet.


Unter normalen Bedingungen merkt man ihn nicht, weil es nichts im Gehirn gibt, was die entsprechende Information erwartet, also auch nichts, dem sie "fehlt". Irgendeine Rechnung ist also keineswegs notwendig, um die Art unserer Wahrnehmung zu erklären. Sie ist nur scheinbar nötig, um den fiktiven Betrachter im kartesischen Theater zufriedenzustellen.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:

Zitat:

Dennets Theorie mag zutreffend sein, sie liefert dennoch kein Verständnis, wie es sich anfühlt, einen bestimmten Bewusstseinsinhalt zu haben. Siehe oben - um Jazz zu hören muss ich Jazz hören, ein Buch über Jazz ist nicht ausreichend.


Ein Buch über Jazz enthält auch nicht denselben Informationsgehalt, wie das Hören von Jazz. Du selbst widerlegst hier gerade Strohmänner.


Hat eine digitale Aufnahme von Jazz den gleichen Informationsgehalt, wie das Hören dieser digitalen Aufnahme?


Ich vermute nicht. Warum?

Zitat:

Hat eine heiße Herdplatte den gleichen Informationsgehalt, wie das Drauffassen durch a.) einen P-Zombie, b.) ein bewusstes Wesen?


Ich glaube ich verstehe den Sinn dieser Fragen nicht. Das Drauffassen vermittelt eine gewisse Information über die Herdplatte, deinen Körper und die Beziehung zwischen beiden. Dieser Informationsgehalt ist derselbe für P-Zombie und Person. Ansonsten könnte der P-Zombie nicht genauso funktionieren wie die Person.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 17896

Beitrag TomS Verfasst am: 19. Okt 2021 10:43    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
1) Ich teile deine Meinung, dass Bewusstsein im Wesentlichen eine Menge miteinander interagierender Funktion speziell organisierter Materie ist.
2) Die Erklärungslücke bleibt, denn selbst wenn eine derartigen Theorie vorläge, würde sie uns nicht das Wesen des Bewusstseins erklären, z.B. wie sich Jazz anhört.

Das ist nur eine Wiederholung deiner beiden inkonsistenten Thesen, macht sie aber nicht klarer. Einerseits besteht das Wesen in den Funktionen, andererseits besagen die Funktionen nichts über das Wesen.

Die Inkonsistenz führst du dadurch ein, dass du eine Identifizierung vornimmst, nicht ich ("Wesen" steht im ersten Satz nicht da).

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Es ist außerdem keineswegs klar, dass das Bewusstsein in der Lage ist, eine vollumfängliche Theorie seinerselbst vollumfängliche zu erfassen. D.h die Existenz einer derartigen Theorie impliziert keineswegs unser Verständnis einer derartigen Theorie.

Das trifft auch auf jede Theorie zu, ist also völlig irrelevant. Niemand hat vorausgesetzt, daß wir in der Lage sind eine bestimmte Theorie zu verstehen.

Ui.

Also ich verstehe für mich persönlich, wie es sich anfühlt, Musik zu hören. Wenn eine Theorie mir dies nicht erklären kann, dann leistet die Theorie dies entweder nicht, oder ich verstehe die Theorie nicht. In beiden Fällen bleibt eine Lücke.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Eine mathematisch formulierte Theorie kann konsistent sein, jedoch Aussagen enthalten, die dieser mathematischen Theorie nicht zugänglich sind (Gödel). Darüberhinaus basiert jede mathematisch formulierte Theorie auf Entitäten, die durch die Theorie selbst nicht erklärt werden (Axiome). Eine physikalische Theorie wie die QCD mag möglicherweise den Aufbau und die Eigenschaften von Nukleonen Atomkernen vollständig erklären können, sie kann jedoch nicht erklären, was ein Quark ist – nicht als mathematische, sondern als reale Entität.

Daß sich deine Kritik nicht nur gegen eine Theorie des Bewußtseins, sondern gegen jede Theorie richtet, inklusive mathematischer und physikalischer, ist mir neu. Das ist immerhin konsequent.

Diese Kritik ist bzgl. des Wesens von Quarks ziemlich irrelevant; es ist schlicht nicht das, was man von der QCD erwartet oder was man bei ihr vermisst.

Im Falle des Bewusstseins ist es hochgradig relevant.

Es gibt letztlich zwei Fragenkomplexe zum Bewusstsein:
A) wie entstehen Bewusstseinsinhalte auf Basis des Substrats des Gehirns, wie hängen Bewusstseinsinhalte voneinander ab, wie wirken sie aufeinander - entweder auf Ebene der Bewusstseinsinhalte oder auf einer tieferen Ebene?
B) wie fühlt sich ein bestimmter Bewusstseinsinhalt für mich an?

(B) ist natürlich für das Bewusstsein relevant, für das Quark nicht. Es scheint mir, dass du (B) vollständig aus deiner Theorie des Bewusstseins ausklammern möchtest. Damit klammerst du die Erklärungslücke aus.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Ich weiß ehrlich gesagt gerade nicht, ob ich diesen Vergleich mit der QCD ernst nehmen soll.

Bitte, er steht nicht umsonst da.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Aber ich stimme dir gern so weit zu: Eine Theorie des Bewußtseins wird uns nicht mehr über das Wesen des Bewußtseins verraten, als die QCD über das Wesen der Quarks oder die QED über das Wesen des elektromagnetischen Feldes.

Gut.

Wenn wir uns jetzt auf deine Formulierung einigen können, dass "eine Theorie des Bewusstseins nicht mehr über das Wesen des Bewusstseins verraten wird als die QCD über das Wesen der Quarks", dann ist das doch das erste konkrete Ergebnis, bei dem wir uns explizit einig sind.

Die Frage wäre dann, ob wir das als relevant erachten.

Während ich es im Falle der QCD aktuell für ziemlich irrelevant halte (und dabei die Möglichkeit einer Substruktur der Quarks ausblende), ist es bei einer Theorie des Bewusstseins für hochgradig relevant; ich wüsste nicht, welche Frage zugleich einfacher zu stellen als auch schwieriger zu beantworten ist als „wie kann eine Theorie des Bewusstseins erklären, wie die Substanz des Gehirns die mir erscheinen Phänomene hervorbringt und wie sich diese Phänomene für mich anfühlen“.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Wenn du in all dem dieselbe "Erklärungslücke" siehst, obwohl du nicht in der Lage bist, sie präzise zu beschreiben (das "Wesen" ist im Prinzip nur eine Worthülse), dann werden wir es wohl bei dieser Feststellung belassen müssen.

Zum Thema Worthülse: ja, natürlich; es ist eine Bezeichnung für etwas, wozu wir zwar subjektiv Zugang haben, das wir jedoch objektiv nicht fassen können. Die Worthülse steht also für das, was wir nicht verstehen. Du magst mit der Wirthülse oder der Formulierung unglücklich sein, aber dadurch verschwindet die offene Frage nicht.

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Zuletzt bearbeitet von TomS am 19. Okt 2021 12:21, insgesamt einmal bearbeitet
schnudl
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Beitrag schnudl Verfasst am: 19. Okt 2021 10:55    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
Ich habe inzwischen einige Artikel zu Dennets Multiple Drafts Model gelesen.

Dazu drei Kritikpunkte:

Die Kritik am sog. Cartesianischen Theater ist ein Strohmann-Argument. Das ist nicht das zentrale Problem, ich halte z.B. eine derartige Instanz für unnötig, dennoch sehe ich eine Erklärungslücke, die ich jedoch nicht naiv mit irgendeiner Instanz fülle; ich konstatiere lediglich die Existenz dieser Lücke.

Dennets Theorie mag zutreffend sein, sie liefert dennoch kein Verständnis, wie es sich anfühlt, einen bestimmten Bewusstseinsinhalt zu haben. Siehe oben - um Jazz zu hören muss ich Jazz hören, ein Buch über Jazz ist nicht ausreichend.

Mir scheint, Dennet tappt in die übliche funktionalistische Falle: zuerst werden bestimmte Punkte ausgeblendet, anschließend eine Theorie konstruiert; zuletzt wird ignoriert, dass die Theorie konstruktionsbedingt bestimmte Aspekte nicht erklären kann. Das ist eigtl. eine recht triviale Erkenntnis, dazu muss man keinen dualistischen Standpunkt einnehmen.

Ich habe bisher nicht erkennen können, wie Dennet den bekannten Argumenten begegnet.


Nur falls es jemanden interessiert:

Mich erinnert das hier gebrachte Jazz Argument an Mary, ein Gedankeneperiment von Jackson:

https://courses.physics.illinois.edu/phys419/sp2021/Jackson1986_WhatMaryDidntKnow.pdf

Die Gegenargumentation von Dennett kann man hier nachlesen:

https://ase.tufts.edu/cogstud/dennett/papers/RoboMaryfinal.htm

Was mich an der Argumentation etwas irritiert, ist das Herumreiten auf "vollständiger Information", die aber - so würde ich es verstehen - wiederum nur physikalischer Natur ist. "Wie es sich anfühlt" Farben zu sehen, darum geht es bei diesem "umfänglichen Wissen über das Sehen" nicht.

Ich muss leider zugeben, dass die Originalarbeit von Dennett, "Consciousness Explained" nicht nur mein philosophisches Niveau überschreitet, sondern auch meine Fähigkeiten im lesen von "blumig ausformulierten" englischen Texten einigermaßen überstrapaziert...die Deutsche Version hätte mich interessiert, habe ich aber nicht.
LOL Hammer

Es steht mir daher nicht zu, hier auf diesem Niveau mitreden zu dürfen, aber zumindest habe ich das laienhafte Gefühl, dass man bei all diesen Diskussionen nur mehr "in Worten kramt" und durch einen ausgefeilten Sprachegebrauch das eigentliche "Problem" beiseite schiebt, ohne dass man eigentlich klar zu definieren vermag, worüber man spricht.

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Zuletzt bearbeitet von schnudl am 19. Okt 2021 11:02, insgesamt einmal bearbeitet
TomS
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Beitrag TomS Verfasst am: 19. Okt 2021 11:00    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Hier wieder diese Punkte, die angeblich ausgeblendet werden ohne auch nur konkret zu sagen, welche Punkte das sein sollen. Glaubst du ernsthaft Dennetts Modell würde den Unterschied zwischen dem Hören von Jazz und dem Lesen eines Buches über Jazz leugnen?

Wenn es ihn nicht leugnet, dann führt das letztlich auf eine Lücke.

Eine Theorie des Bewusstseins sollte erklären können, wie es sich für mich anfühlt, Jazz zu hören.

Ist das im Scope von Dennets Theorie oder nicht?

Nach allem was ich gelesen habe, vertreibt er sämtliche Strohmänner - "Qualia", "wie es sich anfühlt" ... - so dass letztlich ein Konstrukt übrig bleibt, das diese essentielle Frage nach dem "wie es sich anfühlt" nicht beantwortet.

Mein Vorwurf ist nicht, dass diese Frage nicht beantwortet wird, mein Vorwurf ist, dass die Frage eliminiert oder als unzulässig dargestellt wird (und mit dem Vorwurf des Cartesianismus oder Dualismus verknüpft wird).

Andersherum wäre eine sehr einfache und ehrliche Lösung, diese nicht weiter reduzible subjektive Wahrnehmungen "wie es sich für mich anfühlt wenn X" als Elemente in die Theorie einzuführen, so wie Quarks in die QCD. Damit haben sie ihren Platz, man kann ihre Abhängigkeiten und wechselweisen Verursachungen diskutieren, ihre Beziehung zu oder Verortungen im materiellen Substrat und den Prozesses des Gehirns usw.

Aber das Ablehnen einer Frage mit der Beantwortung der Frage zu verwechseln ist schon strange.

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Beitrag schnudl Verfasst am: 19. Okt 2021 11:09    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
Eine Theorie des Bewusstseins sollte erklären können, wie es sich für mich anfühlt, Jazz zu hören.


Kann man sich erwarten, dass dies überhaupt möglich wäre? Wie könnte man in einer fiktiven wissenschaftlichen Arbeit niederschreiben, wie sich etwas anfühlt? Das überstiege ja die Möglichkeiten des Sprachgebrauchs - oder?

Sollte man nicht vorsichtiger formulieren:" Eine Theorie des Bewusstseins sollte erklären können, warum es sich überhaupt irgendwie anfühlen kann, Jazz zu hören"?

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TomS
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Beitrag TomS Verfasst am: 19. Okt 2021 11:13    Titel: Antworten mit Zitat

schnudl hat Folgendes geschrieben:
Was mich an der Argumentation etwas irritiert, ist das Herumreiten auf "vollständiger Information", die aber - so würde ich es verstehen - wiederum nur physikalischer Natur ist. "Wie es sich anfühlt" Farben zu sehen, darum geht es bei diesem "umfänglichen Wissen über das Sehen" nicht.

Ich glaube, da verstehe ich dich nicht. Kannst du das nochmal anders darstellen?

schnudl hat Folgendes geschrieben:
... aber zumindest habe ich das laienhafte Gefühl, dass man bei all diesen Diskussionen nur mehr "in Worten kramt" und durch einen ausgefeilten Sprachegebrauch das eigentliche "Problem" beiseite schiebt, ohne dass man eigentlich klar zu definieren vermag, worüber man spricht.

Das ist auch mein Gefühl, ich versuche es zu vermeiden, aber das ist nicht einfach.

Der Hinweis auf scheinbare logische Brüche, auf fehlende oder schwammige Begriffe usw. ist für mich ein erster ernst zunehmender Hinweis, dass da ein Problem existiert - unabhängig davon, ob ich schon genau identifizieren kann.

Eigentlich ist es für mich sehr einfach: ich selbst habe einen subjektiven Zugang zum Phänomen des Musikhörens; ich weiß, wie sich das für mich anfühlt, kann es aber nicht in Worte fassen.

Die Frage lautet: was sagt eine Theorie des Bewusstseins zu dem "wie es sich anfühlt?"

Meine Vermutung: nichts. Dann gibt es da offenbar eine Fragestellung zum Bewusstsein, die die Theorie nicht beantworten kann. Das ist nicht schlimm, ich habe nie erwartet, dass diese Frage beantwortet werden kann. Ich halte es dennoch für eine zulässige Frage (wenn auch nicht im Kontext mancher Theorien des Bewusstseins; das ist dann aber deren Mangel, nicht das der Fragestellung).

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schnudl
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Beitrag schnudl Verfasst am: 19. Okt 2021 11:31    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:

Ich glaube, da verstehe ich dich nicht. Kannst du das nochmal anders darstellen?


Mary hat laut Voraussetzung das komplette physikalische Wissen über das Farbsehen:

Zitat:
Mary is confined to a black-and-white room, is educated
through black-and-white books and through lectures relayed on black-and-white television. In this way she learns
everything there is to know about the physical nature of the world.
She knows all the physical facts about us and our environment, in a
wide sense of 'physical' which includes everything in completed physics, chemistry, and neurophysiology, and there is to know about
the causal and relational facts consequent upon this, including of
course functional roles


Wie gesagt, ich kann hier nichts kritisieren, aber mir kommt vor, dass die Argumentation von Dennett weiederum nur auf das äußere Verhalten eingeht, wie z.B. die Disposition von Mary, beim Anblick einer blauen Banane eine ablehnende Haltung hervorzurufen. Was Mary hier aber empfindet, wird (meiner Meinung nach) ausgeblendet. Die Frage, der hier nachgegangen wird ist doch aber gerade dieses innere Empfinden und nicht das verhalten nach außen. Letzteres kann durch eine bildverarbeitende Software mit Sensoren ebenfalls realisiert werden, aber es wäre absurd zu behaupten, dieses Gerät hätte ein Farbempfinden. Natürlich kann auch Mary diese Maschine zu 100% verstehen, aber darum geht es doch nicht- oder?

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Zuletzt bearbeitet von schnudl am 19. Okt 2021 11:46, insgesamt einmal bearbeitet
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
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Beitrag index_razor Verfasst am: 19. Okt 2021 11:31    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
1) Ich teile deine Meinung, dass Bewusstsein im Wesentlichen eine Menge miteinander interagierender Funktion speziell organisierter Materie ist.
2) Die Erklärungslücke bleibt, denn selbst wenn eine derartigen Theorie vorläge, würde sie uns nicht das Wesen des Bewusstseins erklären, z.B. wie sich Jazz anhört.

Das ist nur eine Wiederholung deiner beiden inkonsistenten Thesen, macht sie aber nicht klarer. Einerseits besteht das Wesen in den Funktionen, andererseits besagen die Funktionen nichts über das Wesen.

Die Inkonsistenz führst du dadurch ein, dass du eine Identifizierung vornimmst, nicht ich ("Wesen" steht im ersten Satz nicht da).


Da steht "im Wesentlichen", was dasselbe bedeutet. Aber dann hätten wir wohl zumindest geklärt, daß du meiner These 1) keineswegs zustimmst.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Es ist außerdem keineswegs klar, dass das Bewusstsein in der Lage ist, eine vollumfängliche Theorie seinerselbst vollumfängliche zu erfassen. D.h die Existenz einer derartigen Theorie impliziert keineswegs unser Verständnis einer derartigen Theorie.

Das trifft auch auf jede Theorie zu, ist also völlig irrelevant. Niemand hat vorausgesetzt, daß wir in der Lage sind eine bestimmte Theorie zu verstehen.

Ui.

Also ich verstehe für mich persönlich, wie es sich anfühlt, Musik zu hören. Wenn eine Theorie mir dies nicht erklären kann, dann leistet die Theorie dies entweder nicht, oder ich verstehe die Theorie nicht. In beiden Fällen bleibt eine Lücke.


Das bestreite ich nicht (abgesehen davon, daß ich es für irrelevant halte, ob du eine Theorie verstehst). Ich bestreite nur, daß du Argumente vorgebracht hast, die belegen, daß jede funktionalistische Theorie eine Erklärungslücke besitzt.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Eine mathematisch formulierte Theorie kann konsistent sein, jedoch Aussagen enthalten, die dieser mathematischen Theorie nicht zugänglich sind (Gödel). Darüberhinaus basiert jede mathematisch formulierte Theorie auf Entitäten, die durch die Theorie selbst nicht erklärt werden (Axiome). Eine physikalische Theorie wie die QCD mag möglicherweise den Aufbau und die Eigenschaften von Nukleonen Atomkernen vollständig erklären können, sie kann jedoch nicht erklären, was ein Quark ist – nicht als mathematische, sondern als reale Entität.

Daß sich deine Kritik nicht nur gegen eine Theorie des Bewußtseins, sondern gegen jede Theorie richtet, inklusive mathematischer und physikalischer, ist mir neu. Das ist immerhin konsequent.

Diese Kritik ist bzgl. des Wesens von Quarks ziemlich irrelevant; es ist schlicht nicht das, was man von der QCD erwartet oder was man bei ihr vermisst.

Im Falle des Bewusstseins ist es hochgradig relevant.

Es gibt letztlich zwei Fragenkomplexe zum Bewusstsein:
A) wie entstehen Bewusstseinsinhalte auf Basis des Substrats des Gehirns, wie hängen Bewusstseinsinhalte voneinander ab, wie wirken sie aufeinander - entweder auf Ebene der Bewusstseinsinhalte oder auf einer tieferen Ebene?
B) wie fühlt sich ein bestimmter Bewusstseinsinhalt für mich an?

(B) ist natürlich für das Bewusstsein relevant, für das Quark nicht. Es scheint mir, dass du (B) vollständig aus deiner Theorie des Bewusstseins ausklammern möchtest. Damit klammerst du die Erklärungslücke aus.


Nochmal, ich will das nicht ausklammern und ich denke, daß ich es nicht ausklammere. Wie ich bereits weiter oben geschrieben habe, berücksichtige ich alle Äußerung darüber, wie sich etwas für dich anfühlt. Ich betrachte dich sogar gewissermaßen als Autorität in dieser Frage. Ich betrachte dich deswegen aber noch nicht als Autorität in der Beurteilung von Theorien des Bewußtseins. Ein Bewußstein zu haben reicht dafür genausowenig, wie lebendig zu sein ausreicht, um dich zu einem Experten für Biologie zu machen.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Wenn du in all dem dieselbe "Erklärungslücke" siehst, obwohl du nicht in der Lage bist, sie präzise zu beschreiben (das "Wesen" ist im Prinzip nur eine Worthülse), dann werden wir es wohl bei dieser Feststellung belassen müssen.

Zum Thema Worthülse: ja, natürlich; es ist eine Bezeichnung für etwas, wozu wir zwar subjektiv Zugang haben, das wir jedoch objektiv nicht fassen können. Die Worthülse steht also für das, was wir nicht verstehen. Du magst mit der Wirthülse oder der Formulierung unglücklich sein, aber dadurch verschwindet die offene Frage nicht.


Eine offene Frage entsteht aber auch nicht dadurch, daß du ein unbeschreibliches "Wesen" von etwas einführst, weder in der QCD noch in irgendeiner anderen Theorie. Zur angeblichen subjektiven unmittelbaren Zugänglichkeit der "Qualia", bei ihrer gleichzeitigen "Unbeschreibbarkeit" will ich nochmal auf das Paper "Quining Qualia" von oben verweisen.
index_razor



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Beitrag index_razor Verfasst am: 19. Okt 2021 11:46    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
Hier wieder diese Punkte, die angeblich ausgeblendet werden ohne auch nur konkret zu sagen, welche Punkte das sein sollen. Glaubst du ernsthaft Dennetts Modell würde den Unterschied zwischen dem Hören von Jazz und dem Lesen eines Buches über Jazz leugnen?

Wenn es ihn nicht leugnet, dann führt das letztlich auf eine Lücke.

Eine Theorie des Bewusstseins sollte erklären können, wie es sich für mich anfühlt, Jazz zu hören.

Ist das im Scope von Dennets Theorie oder nicht?


Ja. Damit führt es also nicht auf eine Lücke. (Es ist aber natürlich denkbar, daß irgendeine Lücke bleibt. So wie das bei jeder Theorie "denkbar" ist.)

Zitat:

Nach allem was ich gelesen habe, vertreibt er sämtliche Strohmänner - "Qualia", "wie es sich anfühlt" ... - so dass letztlich ein Konstrukt übrig bleibt, das diese essentielle Frage nach dem "wie es sich anfühlt" nicht beantwortet.


Er vertreibt Qualia nicht ersatzlos. Das ist der Punkt. Damit vertreibt er nur ein inkonsistentes Konzept, was von vornherein ungeeignet ist, die Eigenschaften des "Sich-irgendwie-Anfühlens" theoretisch abzubilden. Seine Alternative führt auf eine Theorie des "Sich-soundso-Anfühlens" (die es natürlich noch nicht vollständig gibt), die frei von konzeptionellen Problemen ist.


Zitat:

Mein Vorwurf ist nicht, dass diese Frage nicht beantwortet wird, mein Vorwurf ist, dass die Frage eliminiert oder als unzulässig dargestellt wird (und mit dem Vorwurf des Cartesianismus oder Dualismus verknüpft wird).


Eliminiert werden nur die Probleme, die das Qualia-Konzept besitzt.

Zitat:

Andersherum wäre eine sehr einfache und ehrliche Lösung, diese nicht weiter reduzible subjektive Wahrnehmungen "wie es sich für mich anfühlt wenn X" als Elemente in die Theorie einzuführen, so wie Quarks in die QCD.


Wenn Dennett recht hat ist das völlig unnötig. Man muß nur erklären, warum bestimmte Aspekte subjektiver Wahrnehmungen sich "irreduzibel" anfühlen. Man muß deswegen nicht akzeptieren, daß es etwas prinzipiell irreduzibles gibt.

Zitat:

Aber das Ablehnen einer Frage mit der Beantwortung der Frage zu verwechseln ist schon strange.


Es wird nichts verwechselt und es wird nichts wichtiges abgelehnt. Das ist meine Behauptung.
roycy



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Beitrag roycy Verfasst am: 19. Okt 2021 13:11    Titel: Antworten mit Zitat

Vollständig zitiertes sinnloses Gequatsche gelöscht. Steffen

Für mich ist das alles sinnloses Gequatsche.
index_razor



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Beitrag index_razor Verfasst am: 19. Okt 2021 18:47    Titel: Antworten mit Zitat

schnudl hat Folgendes geschrieben:

Wie gesagt, ich kann hier nichts kritisieren, aber mir kommt vor, dass die Argumentation von Dennett weiederum nur auf das äußere Verhalten eingeht, wie z.B. die Disposition von Mary, beim Anblick einer blauen Banane eine ablehnende Haltung hervorzurufen. Was Mary hier aber empfindet, wird (meiner Meinung nach) ausgeblendet.


Zitat aus "What RoboMary knows":

"What was I saying? I was saying that Mary had figured out, using her vast knowledge of color science, exactly what it would be like for her to see something red, something yellow, something blue in advance of having those experiences. I asserted this flat out--in your face, as it were--in order to expose to view the fact that people normally assume that this is impossible on the basis of no evidence or theory or argument, but just on the basis of ancient philosophical tradition going back at least to John Locke."


Du darfst natürlich der Ansicht sein, daß Dennetts Kritik an dem Gedankenexperiment nicht erfolgreich ist. Aber der Vorwurf er würde etwas "ausblenden" zieht einfach nicht.
TomS
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Beitrag TomS Verfasst am: 19. Okt 2021 19:44    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
"What was I saying? I was saying that Mary had figured out, using her vast knowledge of color science, exactly what it would be like for her to see something red, something yellow, something blue in advance of having those experiences. I asserted this flat out--in your face, as it were--in order to expose to view the fact that people normally assume that this is impossible on the basis of no evidence or theory or argument, but just on the basis of ancient philosophical tradition going back at least to John Locke."

Du darfst natürlich der Ansicht sein, daß Dennetts Kritik an dem Gedankenexperiment nicht erfolgreich ist. Aber der Vorwurf er würde etwas "ausblenden" zieht einfach nicht.

Das Argument von Dennett ist natürlich keines.

Zum ersten ist es schlicht falsch, dass es keine Argumente gäbe - es gibt sie natürlich - auf beiden Seiten - seit Jahrhunderten. Dass seine Philosophie nicht ganz so ancient ist, macht sie erst mal nicht richtiger. Je mehr ich lese, desto stärker wird mein Eindruck, dass er sehr vehement eine vorgefasste philosophische Haltung vertritt, während die wissenschaftliche Basis (Theorie) mehr als dünn ist. Spaßig ist, dass er genau das der Gegenseitig auch vorwirft ;-)

Mir ist bei der ganzen Sache jedenfalls zu viel Polemik im Spiel.


Meine Meinung habe ich bereits öfters dargestellt:
1) ich akzeptiere die grundsätzliche Möglichkeit, dass Bewusstsein ein reines Epiphänomen biochemischer Prozesse ist
2) ich akzeptiere die grundsätzliche Möglichkeit, eine Theorie dergestalt zu entwerfen, dass sie das subjektive Phänomen Bewusstsein ausgehend von (1) umfassend genug beschreibt, um auf Basis dieser Theorie zu einem Verständnis mentaler Zustände wie "enttäuscht sein über jemanden" zu gelangen, so dass der mentale Zustand "verstehen, was es bedeutet, 'enttäuscht zu sein über jemanden''' so beschaffen ist, dass er das "wie es sich anfühlt 'enttäuscht sein über jemanden'" tatsächlich liefert
3) meine Kernaussage ist - für den Materialismus / Physikalismus und gegen den Dualismus - dass zugleich (1) zutreffend sowie (2) prinzipiell unzutreffend sein kann, ohne dass man gezwungen wäre, eine über- oder nicht-materielle, wesensverschiedene Entität einzuführen; Begriffe wie Qualia ua.m. sind dann lediglich Platzhalter für eine mittels (2) noch zu erklärende Entität, die jedoch auf (1) reduzibel ist)
3b) das prinzipielle Scheitern von (2) liegt nicht darin begründet, dass (1) unzutreffend wäre, sondern lediglich darin, dass unser menschliches Bewusstsein zum vollständigen Verständnis des menschlichen Bewusstseins nicht in der Lage ist, d.h. dass (2) zwar prinzipiell möglich, jedoch für uns unmöglich ist (d.h. dass selbst wenn eine vollumfängliche Theorie des menschlichen Bewusstseins vorgelegt würde - von wem auch immer - sie für uns (2) nicht leisten könnte; aquch dann sind die o.g. Platzhalter relevant)
4) ich tendiere persönlich tatsächlich zu der Ansicht (3), dass (1) zutreffend und (2) unmöglich ist, habe aber natürlich kein prinzipielles Argument

Wenn ich die Literatur so ansehe, fühle ich mich bei den Vertretern einer Erklärungslücke jedoch besser aufgehoben, da sie zumindest versuchen, diese zu konkretisieren, während ich bei vielen eingefleischten Materialisten immer den Eindruck habe, mir soll diese Frage verboten werden.

(1) und (2) zusammen erlauben mir es jedenfalls, diese Position (3) ganz entspannt als Naturwissenschaftler und ohne jeden Mythos oder Dogmatismus zu vertreten.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Wenn Dennett recht hat ist das [diese nicht weiter reduzible subjektive Wahrnehmungen] völlig unnötig. Man muß nur erklären, warum bestimmte Aspekte subjektiver Wahrnehmungen sich "irreduzibel" anfühlen. Man muß deswegen nicht akzeptieren, daß es etwas prinzipiell irreduzibles gibt.

Je öfter ich das lese, desto besser gefällt es mir. Es könnte ein Schlüssel sein, um (1 - 2) zusammenzubringen, evtl. auch (3). Danke.

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Zuletzt bearbeitet von TomS am 19. Okt 2021 20:43, insgesamt einmal bearbeitet
index_razor



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Beitrag index_razor Verfasst am: 19. Okt 2021 20:31    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
"What was I saying? I was saying that Mary had figured out, using her vast knowledge of color science, exactly what it would be like for her to see something red, something yellow, something blue in advance of having those experiences. I asserted this flat out--in your face, as it were--in order to expose to view the fact that people normally assume that this is impossible on the basis of no evidence or theory or argument, but just on the basis of ancient philosophical tradition going back at least to John Locke."

Du darfst natürlich der Ansicht sein, daß Dennetts Kritik an dem Gedankenexperiment nicht erfolgreich ist. Aber der Vorwurf er würde etwas "ausblenden" zieht einfach nicht.

Das Argument von Dennett ist natürlich keines.

Zum ersten ist es schlicht falsch, dass es keine Argumente gäbe - es gibt sie natürlich - auf beiden Seiten - seit Jahrhunderten.


Lies doch mal was da steht, anstatt zu kritisieren, was du denkst das gemeint ist. Leute nehmen normalerweise an, daß Dennetts alternativer Ausgang des Gedankenexperiments unmöglich ist. Diese Annahme basiert auf Vorurteilen und einer (hier irrelevanten) philosophischen Tradition, anstatt der explizit genannten Voraussetzungen des Gedankenexperiments, die sich sowieso niemand vorstellen kann. Bestreitest du das? Kannst du beweisen, wozu jemand in der Lage wäre oder nicht wäre, wenn er sämtliches Wissen über die Physik von Farben hätte? Kannst du ausschließen, daß Mary genau den Beweis führt, den Dennett unterstellt? schnudl hat oben Dennetts Punkt eigentlich gut illustriert:

schnudl hat Folgendes geschrieben:
Was mich an der Argumentation etwas irritiert, ist das Herumreiten auf "vollständiger Information", die aber - so würde ich es verstehen - wiederum nur physikalischer Natur ist. "Wie es sich anfühlt" Farben zu sehen, darum geht es bei diesem "umfänglichen Wissen über das Sehen" nicht.


Offensichtlich spielt also die einzige essentielle Voraussetzung der vollständigen physikalischen Information überhaupt keine Rolle in der Schlußfolgerung. (Was an sich nicht verwunderlich ist, denn aus Voraussetzungen, die man sich nicht vorstellen kann kann man auch nichts schließen.) Worauf basiert dann wohl die Überzeugungskraft des Gedankenexperiments? Wenn man schon weiß welche Schlüsse man ziehen möchte, können einem die Voraussetzungen natürlich egal sein.

Zitat:

Je mehr ich lese, desto stärker wird mein Eindruck, dass er sehr vehement eine vorgefasste philosophische Haltung vertritt, während die wissenschaftliche Basis (Theorie) mehr als dünn ist. Spaßig ist, dass er genau das der Gegenseitig auch vorwirft ;-)

Mir ist bei der ganzen Sache jedenfalls zu viel Polemik im Spiel.


Naja, wenn die Art zu Lesen, die du gerade an dem Abschnitt oben demonstriert hast, exemplarisch ist, kann das natürlich niemanden wundern.

Übrigens mangelt es dir scheinbar an Selbstwahrnehmung. Oder hältst du diesen Angriff auf Dennett für etwas besseres als Polemik?
TomS
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Beitrag TomS Verfasst am: 19. Okt 2021 20:57    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Das Argument von Dennett ist natürlich keines.

Zum ersten ist es schlicht falsch, dass es keine Argumente gäbe - es gibt sie natürlich - auf beiden Seiten - seit Jahrhunderten.

Lies doch mal was da steht, anstatt zu kritisieren, was du denkst das gemeint ist.

Das tue ich:

"... that people normally assume that this is impossible on the basis of no evidence or theory or argument, but just on the basis of ancient philosophical tradition going back at least to John Locke."

Das ist ein argumentum ad hominem. Wenn doch eines in der Sache existiert, dann jedenfalls nicht in dem zitierten Text.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Kannst du beweisen, wozu jemand in der Lage wäre oder nicht wäre ...? Kannst du ausschließen ...?

Nein. Steht oben in meinen Punkten (1 - 4)

Kann umgekehrt Dennett das? Auch nein.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Je mehr ich lese, desto stärker wird mein Eindruck, dass er sehr vehement eine vorgefasste philosophische Haltung vertritt, während die wissenschaftliche Basis (Theorie) mehr als dünn ist. Spaßig ist, dass er genau das der Gegenseitig auch vorwirft ;-)

Mir ist bei der ganzen Sache jedenfalls zu viel Polemik im Spiel.

Naja, wenn die Art zu Lesen, die du gerade an dem Abschnitt oben demonstriert hast, exemplarisch ist, kann das natürlich niemanden wundern.

Was ärgert dich so? Dass ich ein Argument von dir nutze, um es zu meiner Position hinzuzufügen, so dass deine und meine offenbar noch etwas besser zusammenpassen als gedacht? Oder das ich mich anmaße, Dennett zu kritisieren?

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Übrigens mangelt es dir scheinbar an Selbstwahrnehmung. Oder hältst du diesen Angriff auf Dennett für etwas besseres als Polemik?

Ja, scheinbar, d.h. nur auf den ersten Blick :-)

Meinst du ernsthaft, mir wäre das nicht aufgefallen?

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index_razor



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Beitrag index_razor Verfasst am: 19. Okt 2021 21:30    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Das Argument von Dennett ist natürlich keines.

Zum ersten ist es schlicht falsch, dass es keine Argumente gäbe - es gibt sie natürlich - auf beiden Seiten - seit Jahrhunderten.

Lies doch mal was da steht, anstatt zu kritisieren, was du denkst das gemeint ist.

Das tue ich:

"... that people normally assume that this is impossible on the basis of no evidence or theory or argument, but just on the basis of ancient philosophical tradition going back at least to John Locke."

Das ist einfach ein Pauschalurteil gegen alle, die anderer Meinung sind, kein Argument. Wenn doch eines ist, dann jedenfalls nicht in dem zitierten Text.


Das Argument steht nicht in dem zitierten Text, weil ich ihn aus einem völlig anderen Grund zitiert habe, nämlich die Behauptung zu wiederlegen Dennetts Argumente würden Empfindungen ausblenden. Wenn du Dennett "Pauschalurteile" nachweisen willst, wirst du das schon auf Basis des kompletten Artikels tun müssen.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Kannst du beweisen, wozu jemand in der Lage wäre oder nicht wäre ...? Kannst du ausschließen ...?

Nein. Steht oben in meinen Punkten (1 - 4)


Dann bleibt Dennetts Kritik am Gedankenexperiment -- so komplett unbekannt sie dir auch noch immer ist -- bestehen.

Zitat:

Kann umgekehrt Dennett das? Auch nein.


Ist auch nicht nötig. Zitat: "My variant was intended to bring out the fact that, absent any persuasive argument that this could not be how Mary would respond, my telling of the tale had the same status as Jackson’s: two little fantasies pulling in opposite directions, neither with any demonstrated authority. "

Setz dich doch einfach beim nächsten mal mit dem Argument auseinander, bevor du ahnungslos vor dich hinpolemisierst.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Je mehr ich lese, desto stärker wird mein Eindruck, dass er sehr vehement eine vorgefasste philosophische Haltung vertritt, während die wissenschaftliche Basis (Theorie) mehr als dünn ist. Spaßig ist, dass er genau das der Gegenseitig auch vorwirft ;-)

Mir ist bei der ganzen Sache jedenfalls zu viel Polemik im Spiel.

Naja, wenn die Art zu Lesen, die du gerade an dem Abschnitt oben demonstriert hast, exemplarisch ist, kann das natürlich niemanden wundern.

Was ärgert dich so? Dass ich ein Argument von dir nutze, um es zu meiner Position hinzuzufügen, so dass deine und meine offenbar noch etwas besser zusammenpassen als gedacht?


Wie kommst du darauf, daß mich das ärgert? Ich bin sogar froh, daß du diesen Punkt endlich ausdrücklich zur Kenntnis nimmst. Ich habe ihn nämlich schon öfter vorgebracht, weil ich ihn für wichtig halte.

Zitat:

Oder das ich mich anmaße, Dennett zu kritisieren?


Ich bedauere nur die Qualität deiner Kritik, die den größten Teil der Diskussion aus Mißverständnissen bestand und die du nun anscheinend mit Polemik zu beenden gedenkst.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Übrigens mangelt es dir scheinbar an Selbstwahrnehmung. Oder hältst du diesen Angriff auf Dennett für etwas besseres als Polemik?

Ja, scheinbar, d.h. nur auf den ersten Blick :-)

Meinst du ernsthaft, mir wäre das nicht aufgefallen?


Ich wollte dir lediglich nicht gleich Heuchelei unterstellen. Aber du scheinst das ja nicht für ein Manko zu halten.


Zuletzt bearbeitet von index_razor am 20. Okt 2021 12:23, insgesamt einmal bearbeitet
TomS
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Beitrag TomS Verfasst am: 19. Okt 2021 23:18    Titel: Antworten mit Zitat

Und jetzt beruhigen wir uns beide wieder, oder? Und wir werfen uns auch nicht gegenseitig Missverständnisse oder mangelnde Qualität vor, denn erstens gehören dazu immer zwei, zweitens ist auch deine Argumentation nicht immer perfekt, und drittens ist nichts davon persönlich gemeint.

Zur Sache: mir gefällt das Gedankenexperiment auch nicht; nicht nur, weil es von vollständiger Informationen abhängt, sondern insbs., weil es von einer hypothetischen Theorie abhängig ist; die Theorie erscheint mir für das Argument notwendig. Eine Theorie ist für keine der beiden Seiten hilfreich, denn sie kann nur hypothetisch sein; die Argumente hängen daher meist in der Luft.

Im Gegensatz dazu gibt es Argumente, die nicht von einer derartigen Theorie abhängig sind. Ich halte zum Beispiel die Darstellung von Nagel für geeigneter.

https://warwick.ac.uk/fac/cross_fac/iatl/study/ugmodules/humananimalstudies/lectures/32/nagel_bat.pdf
What is it like to be a bat?
Author(s): Thomas Nagel
Source: The Philosophical Review, Vol. 83, No. 4 (Oct., 1974)

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Aruna



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Beitrag Aruna Verfasst am: 20. Okt 2021 08:25    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:

Mein Punkt war nur, daß dieser spezielle Prozeß des "Informationsergänzen" überflüssig ist, weil er keine Funktion hat.


Das ist zunächst mal eine Behauptung.

index_razor hat Folgendes geschrieben:

Das macht seine Existenz allerdings auch unplausibel, denn das Gehirn hat keine Ressourcen für überflüssige Rechnungen zu verschwenden.


Wenn etwas existiert, ist es unwesentlich, ob das jemand für unplausibel hält.

index_razor hat Folgendes geschrieben:

Zitat:

Menschen haben in ihrem Sehfeld aufgrund einer ungünstigen Konstruktion
des Auges einen blinden Fleck.
Den bemerkt man aber nicht, weil das Gehirn die Lücke üblicherweise rausrechnet.


Unter normalen Bedingungen merkt man ihn nicht, weil es nichts im Gehirn gibt, was die entsprechende Information erwartet, also auch nichts, dem sie "fehlt". Irgendeine Rechnung ist also keineswegs notwendig, um die Art unserer Wahrnehmung zu erklären. Sie ist nur scheinbar nötig, um den fiktiven Betrachter im kartesischen Theater zufriedenzustellen.


A=>A

Zitat:
In vision, filling-in phenomena are those responsible for the completion of missing information across the physiological blind spot, and across natural and artificial scotomata. There is also evidence for similar mechanisms of completion in normal visual analysis.

https://en.wikipedia.org/wiki/Filling-in



index_razor hat Folgendes geschrieben:

Zitat:

Hat eine digitale Aufnahme von Jazz den gleichen Informationsgehalt, wie das Hören dieser digitalen Aufnahme?


Ich vermute nicht. Warum?


Dann stellt sich die Frage, wo diese zusätzliche Information herkommt.


index_razor hat Folgendes geschrieben:

Zitat:

Hat eine heiße Herdplatte den gleichen Informationsgehalt, wie das Drauffassen durch a.) einen P-Zombie, b.) ein bewusstes Wesen?


Ich glaube ich verstehe den Sinn dieser Fragen nicht. Das Drauffassen vermittelt eine gewisse Information über die Herdplatte, deinen Körper und die Beziehung zwischen beiden. Dieser Informationsgehalt ist derselbe für P-Zombie und Person. Ansonsten könnte der P-Zombie nicht genauso funktionieren wie die Person.


Wenn der P-Zombie kein bewusstes inneres Erleben des Schmerzes hat,
ist die Reaktion nicht die Gleiche, auch wenn das von außen schwer feststellbar ist.
index_razor



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Beitrag index_razor Verfasst am: 20. Okt 2021 09:24    Titel: Antworten mit Zitat

Aruna hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:

Mein Punkt war nur, daß dieser spezielle Prozeß des "Informationsergänzen" überflüssig ist, weil er keine Funktion hat.


Das ist zunächst mal eine Behauptung.


Allerdings mit Begründung: Dieselbe Art von Wahrnehmung wäre möglich ohne "Ausgleichsrechnung". Also hat die angenommene Ausgleichrechnung keine Funktion.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:

Das macht seine Existenz allerdings auch unplausibel, denn das Gehirn hat keine Ressourcen für überflüssige Rechnungen zu verschwenden.


Wenn etwas existiert, ist es unwesentlich, ob das jemand für unplausibel hält.


Die Existenz einer speziellen Ausgleichsrechnung zur Erhöhung der Information im Sichtfeld ist aber meines Wissens nicht belegt, nur das Phänomen. Eine Alternative steht sogar in dem Artikel, den du unten zitierst.

"An alternative hypothesis is that image information is transformed at the cortical level into an oriented feature representation. Form and colour would be derived at a subsequent stage, not as the result of an isomorphic filling-in process, but as an attribute of an object or proto-object. This theory is called the symbolic filling-in theory."

Es findet also keine spezielle "Ergänzung" oder "Ausgleich" fehlender Information statt, sondern lediglich normale Merkmalserkennung.

Weiter:

"In the alternative symbolic hypothesis, there is no spreading of activity, but all the information would be carried by the relevant features, that would be tagged with information on contrast polarity, colour and lightness of the surfaces they enclose. Despite the many attempts to verify the two different models by psychophysical and physiological experiments, the mechanisms of colour and lightness filling-in are still debated."

Es scheint also nicht klar zu sein, ob wirklich ein wörtliches "Auffüllen von Information" stattfindet.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:

Zitat:

Menschen haben in ihrem Sehfeld aufgrund einer ungünstigen Konstruktion
des Auges einen blinden Fleck.
Den bemerkt man aber nicht, weil das Gehirn die Lücke üblicherweise rausrechnet.


Unter normalen Bedingungen merkt man ihn nicht, weil es nichts im Gehirn gibt, was die entsprechende Information erwartet, also auch nichts, dem sie "fehlt". Irgendeine Rechnung ist also keineswegs notwendig, um die Art unserer Wahrnehmung zu erklären. Sie ist nur scheinbar nötig, um den fiktiven Betrachter im kartesischen Theater zufriedenzustellen.


A=>A


Was du mit A=>A sagen willst, verstehe ich nicht. Bei mir ist A: "Information wird nicht erwartet" und B: "nicht erwartete Information wird nicht aufgefüllt" => C: "Information wird nicht aufgefüllt".

Das kann falsch sein. Ich behaupte nur, daß die Falschheit nicht erwiesen ist.

Zitat:
In vision, filling-in phenomena are those responsible for the completion of missing information across the physiological blind spot, and across natural and artificial scotomata. There is also evidence for similar mechanisms of completion in normal visual analysis.

https://en.wikipedia.org/wiki/Filling-in


Ich kenne das Phänomen und auch diese Beschreibung. Meine Behauptung war, daß in ihr -- so suggestiv sie klingt -- der Einfluß des kartesischen Theaters spürbar ist. Das widerlegst du nicht dadurch, in dem du einfach die Beschreibung wiederholst. Ich bin zwar durchaus bereit zu akzeptieren, daß eine spezielle "Ausgleichsrechnung" stattfindet. Ich behaupte nur, es ist keinerlei Informationsergänzung notwendig, um z.B. zu erklären, daß wir nicht z.B. ein "Loch" im Sichtfeld haben. Natürlich kann man das "filling-in" auch weniger wörtlich nehmen (im Sinne der "symbolic filling-in"-Theorie.) Aber das ist nicht der Punkt. Der Punkt ist nur, daß solche symbolischen Alternativen überhaupt möglich sind, obwohl sie höchst kontraintuitiv erscheinen. Wir scheinen ja wirklich ein "ausgefülltes" Sichtfeld zu haben, nicht lediglich zu "schließen", daß Objekte oder Merkmale sich über den blinden Fleck hinaus ausdehnen müssen.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:

Zitat:

Hat eine digitale Aufnahme von Jazz den gleichen Informationsgehalt, wie das Hören dieser digitalen Aufnahme?


Ich vermute nicht. Warum?


Dann stellt sich die Frage, wo diese zusätzliche Information herkommt.


Mißverständnis. Ich vermute durch das Hören wird nicht mehr, sondern weniger Information übermittelt, als auf der digitalen Aufnahme gespeichert ist. Es kommt also nichts dazu.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:

Zitat:

Hat eine heiße Herdplatte den gleichen Informationsgehalt, wie das Drauffassen durch a.) einen P-Zombie, b.) ein bewusstes Wesen?


Ich glaube ich verstehe den Sinn dieser Fragen nicht. Das Drauffassen vermittelt eine gewisse Information über die Herdplatte, deinen Körper und die Beziehung zwischen beiden. Dieser Informationsgehalt ist derselbe für P-Zombie und Person. Ansonsten könnte der P-Zombie nicht genauso funktionieren wie die Person.


Wenn der P-Zombie kein bewusstes inneres Erleben des Schmerzes hat,
ist die Reaktion nicht die Gleiche, auch wenn das von außen schwer feststellbar ist.


Da steht auch nur, daß der Informationsgehalt derselbe ist. Alle physischen Reaktionen sind allerdings auch dieselben.
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Beitrag TomS Verfasst am: 20. Okt 2021 09:34    Titel: Antworten mit Zitat

Das P-Zombie-Argument läuft doch wiederum darauf hinaus, dass Meinungen ausgetauscht werden.

Zunächst mal hatte ich es für ein Vorurteil, zu behaupten, das P-Zombie-Argument zeige die Irreduzibilität des Bewusstseins und das Scheitern des Materialismus / Physikalismus, oder es zeige die Notwendigkeit eines Dualismus.

Die Gesamtheit aller Phänomene inkl. z.B. subjektiver Schmerzwahrnehmung ist nicht objektiv zugänglich. Damit folgt auf Basis rein objektiver Gegebenheiten aus dem P-Zombie-Argument rein logisch nichts für subjektive Phänomene.

Man kann es nun auf die eine oder andere Weise weiterdenken: in Richtung einer prinzipiellen Erklärungslücke, es gibt aktuell keine Erklärung sowie prinzipiell keine objektivierbare und experimentell überprüfbare Sicht auf den subjektiven Erlebnisgehalt d.h. die subjektive Schmerzwahrnehmung; oder gegen eine prinzipielle Erklärungslücke in dem Sinn, dass zwar heute keine vollumfängliche Theorie des Bewusstseins existiert, diese jedoch nicht ausgeschlossen ist, verbunden mit der plausiblen Idee, das Bewusstsein als Ergebnis biochemischer Prozesse und der Evolution zu verstehen.

M.m.n zeigt das Argument tatsächlich die Plausibilität einer Erklärungslücke - mehrfach diskutiert, in guter Gesellschaft - mehr aber auch nicht. Andere mögen das anders sehen, ihre Argumente haben mich bisher nicht überzeugt.

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TomS
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Anmeldungsdatum: 20.03.2009
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Beitrag TomS Verfasst am: 20. Okt 2021 09:41    Titel: Antworten mit Zitat

@index_razor:

Kann man Dennetts Argumentation darauf reduzieren, dass es plausibel ist anzunehmen, dass aus identischer Aktorik, Sensorik sowie Informationsgehalt und -verarbeitung auch identisches Bewusstsein inkl. subjektiver Wahrnehmung (= “das wie es sich anfühlt wenn …”) folgt?

Diese Meinung teile ich, ich bezweifle lediglich, dass jemals mehr als diese Plausibilitätsbetrachtung möglich sein wird.

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index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 24. Okt 2021 10:42    Titel: Antworten mit Zitat

Aruna hat Folgendes geschrieben:

Zitat:
In vision, filling-in phenomena are those responsible for the completion of missing information across the physiological blind spot, and across natural and artificial scotomata. There is also evidence for similar mechanisms of completion in normal visual analysis.

https://en.wikipedia.org/wiki/Filling-in



P.S. Meine Bemerkung über den Einfluß des kartesischen Theaters auf die Vorstellung eines "filling-in"-Prozesses wird übrigens im Abschitt über "symbolic filling-in" des Artikels ebenfalls ausformuliert:

"Dennett and Kinsbourne (Dennett 1992; Dennett and Kinsbourne 1992) opposed to the idea that an active filling-in process would take place in our brain on philosophical grounds. They argued that such an idea would be the result of the false belief that in our brain there is a spectator, a sort of homunculus similar to ourselves, needing a filled-in image representation. From a scientific viewpoint, Dennett's homunculus may correspond to higher-order scene representation or decision-making mechanisms. The question is whether or not such mechanisms need a filled in, gap free representation of the image to function optimally (Ramachandran 2003).

The symbolic filling-in theory postulates that such a "homunculus" need not exist, and that image information is transformed at the cortical level into an oriented feature representation. Surface form and colour are not coded at this stage, but would be derived only at a symbolic level of representation, as attributes of objects or proto-objects."


Allerdings verwischt dieser Abschnitt etwas den konzeptionellen Unterschied zwischen den beiden Alternativen. Eine abstrakte Repräsentation von Szenemerkmalen und Entscheidungsmechanismen haben wenig mit einem Homunkulus zu tun, der eine Repräsentation der Szene mit homogener Detailstufe benötigt. Alles was eine Erklärung des vorhandenen visuellen Eindrucks benötigt, ist eine Repräsentation des Urteils "homogene Details" (als Ergebnis eines entsprechenden "Entscheidungsmechanismus"), nicht die Repräsentation dieser Details selbst. Das ist kontraintuitiv und deshalb ein wichtiger Unterschied.
Aruna



Anmeldungsdatum: 28.07.2021
Beiträge: 787

Beitrag Aruna Verfasst am: 24. Okt 2021 11:06    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Eine abstrakte Repräsentation von Szenemerkmalen und Entscheidungsmechanismen haben wenig mit einem Homunkulus zu tun, der eine Repräsentation der Szene mit homogener Detailstufe benötigt. Alles was eine Erklärung des vorhandenen visuellen Eindrucks benötigt, ist eine Repräsentation des Urteils "homogene Details" (als Ergebnis eines entsprechenden "Entscheidungsmechanismus"), nicht die Repräsentation dieser Details selbst. Das ist kontraintuitiv und deshalb ein wichtiger Unterschied.


Kannst Du das genauer oder einfacher erklären?
Was ist diesbezüglich ein "Urteil "homogene Details"?
Offensichtlich wird die blinde Stelle ausgefüllt.
D.h. ich meine an der Stelle, wo ich nichts sehe, etwas zu sehen.
Damit habe ich weniger Informationen, als wenn ich bemerken würde, dass ich da nix sehe, denn dann wüsste ich, dass da eventuell was anderes ist, als ich zu sehen meine.
Hat im Laufe der Evolution aber wohl nicht all zu sehr geschadet.
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 25. Okt 2021 18:20    Titel: Antworten mit Zitat

Aruna hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
Eine abstrakte Repräsentation von Szenemerkmalen und Entscheidungsmechanismen haben wenig mit einem Homunkulus zu tun, der eine Repräsentation der Szene mit homogener Detailstufe benötigt. Alles was eine Erklärung des vorhandenen visuellen Eindrucks benötigt, ist eine Repräsentation des Urteils "homogene Details" (als Ergebnis eines entsprechenden "Entscheidungsmechanismus"), nicht die Repräsentation dieser Details selbst. Das ist kontraintuitiv und deshalb ein wichtiger Unterschied.


Kannst Du das genauer oder einfacher erklären?
Was ist diesbezüglich ein "Urteil "homogene Details"?
Offensichtlich wird die blinde Stelle ausgefüllt.
D.h. ich meine an der Stelle, wo ich nichts sehe, etwas zu sehen.


Die Frage ist, wie dieser Eindruck zustande kommt. Es ist glaube ich hilfreich dieses Problem etwas zu verallgemeinern. Wir wissen, daß wir von der Stelle des blinden Flecks keine Information erhalten. Aber auch über den Rest der Netzhaut sind Stäbchen und Zapfen nicht homogen verteilt. Der blinde Fleck ist nur ein Extremfall mit Rezeptordichte null. Wirklich detaillierte Information erhält man nur aus einem ziemlich kleinen Bereich des Blickfeldes. Trotzdem bemerken wir normalerweise keine Inhomogenitäten in der Detail- und Farbwahrnehumung.

Betrachten wir z.B. ein Tapetenmuster bestehend aus einem komplizierten Ornament in regelmäßiger (z.B. gitterförmiger) Anordnung (Beispiel von Dennett. Bei ihm ist es eine Tapete aus Marilyn-Monroe-Köpfen a la Andy Warhol.) Betritt man einen Raum mit dieser Tapete entsteht der instantane Eindruck gleichmäßiger Details im gesamten Sichtfeld, anstatt lediglich einer scharfen Ornamentinsel in einem Meer aus Verschwommenheit, obwohl das sicher eher der Datenqualität entspricht, die von der Netzhaut kommt. Von einigen Stellen kommt gar nichts und nennenswerte Details kommen nur von der Fovia Centralis.

Durch welchen Prozeß läßt sich dies erklären? Führt das Gehirn eine Art Copy-Paste-Operation der Daten von der Fovia Centralis in eine interne Repräsentation des Sichtfeldes durch, bevor diese an die Routinen für "bewußte Wahrnehmung" weitergeleitet werden? Das wäre die naivste Variante des filling-ins, nach der der visuelle Eindruck homogener Details nur durch eine Repräsentation dieser Details im Gehirn entstehen kann. Diese Logik ist aber nicht nur falsch. Sie ist exakt verkehrtherum.

Erstens muß das Gehirn ohnehin entscheiden, welche Operation es zum Auffüllen zu verwenden hat. Copy-Paste im Gittermuster ist zwar für die Tapete korrekt, aber natürlich nicht immer. Wenn wir eine einzelne Sonnenblume fokussieren, haben wir nicht plötzlich ein Gittermuster von Sonnenblumen im Sichtfeld. Das Gehirn muß also also in jedem Fall aus den vorhandenen Daten abstrakte Merkmale über geometrische Anordnungen, Farbverläufe, Bewegung etc., extrahieren und diese in irgendeiner Form repräsentieren. Im Fall der Tapete z.B. 1) "Ornament im Zentrum" und 2) "mehr von demselben in gitterförmiger Anordnung". Aussage 2) ist eine abstrakte (symbolische) Repräsentation eines geometrischen Merkmals der Szene.

Zweitens, wenn das Gehirn einmal entschieden hat, welche Merkmale in der Szene präsent sind, dann muß es nichts weiter tun. Es muß nicht auf Basis dieser Entscheidung eine vollständige detaillierte (informationsreiche) Repräsentation der Szene erzeugen, um die vorher getroffene Entscheidung erneut zu repräsentieren. Wer sollte davon profitieren? Mit anderen Worten, das Gehirn repräsentiert nicht die Szene in homogener Detailstufe. Es repräsentiert die Szene in inhomogener Detailstufe und, im Fall der Tapete, das Urteil, daß sich diese Details in regelmäßigen Abständen wiederholen.

Diese Repräsentation ist aber vollkommen hinreichend für diese Art von Eigenschaften unseres visuellen Eindrucks. Das naive filling-in enthält nur Zusatzprozesse, die völlig redundant sind. Nur die Intuition vom Betrachter im kartesischen Theater scheint dem zu widersprechen: kann man nicht ein Urteil über Wahrgenommenes von dem Wahrgenommenen selbst unterscheiden? Nein kann man nicht. Zumindest nicht ohne, daß irgendeine weitere Funktion im Nervensystem in der Lage ist Urteile über die gefällten Urteile zu repräsentieren, z.B. auf Basis weiterer Informationen. Wenn niemand da ist, der auf die Idee kommt, daß mit dem ursprünglichen Urteil etwas nicht stimmt, kommst auch "du" nicht auf diese Idee und es gibt schlicht keine Grundlage für irgendein von diesem Urteil abweichenden visuellen Eindruck. Aber auf genau diese Weise merken wir manchmal eben doch etwas vom blinden Fleck, z.B. indem wir dort nichts sehen wo wir aus sicherer Quelle wissen, daß sich unser Daumen befinden sollte etc.

Zitat:

Damit habe ich weniger Informationen, als wenn ich bemerken würde, dass ich da nix sehe, denn dann wüsste ich, dass da eventuell was anderes ist, als ich zu sehen meine.
Hat im Laufe der Evolution aber wohl nicht all zu sehr geschadet.



Hierin steckt doch m.E. eine wichtige Erkenntnis. Wie würden wir denn überhaupt bemerken, daß etwas fehlt? Der Mann im kartesischen Theater gibt die suggestive, falsche Antwort: was könnte offensichtlicher sein, als ein Loch in der Leinwand, die das Licht verschluckt? Und was könnte offensichtlicher sein als eine Stelle auf der Netzhaut, auf der einfallendes Licht keine Reize erzeugt? Beschreibt das nicht die offensichtlichste Ursache für Blindheit?

Natürlich ist schon der Ausgangspunkt dieser Überlegung falsch. In Wahrheit "fehlt" eine Menge Information in den von unserer Netzhaut ausgehenden Reizen; nicht nur die Fähigkeit einiger Vögel und Säugetiere eine ganze weitere Dimension von Farben zu unterschieden, die für uns alle nur gleichrot, gleichgrün oder gleichblau sind, sondern z.B. auch die Fähigkeit von Adlern Merkmale zu unterscheiden, wo wir nur unscharfe Kleckse erkennen. Aber all das erscheint uns natürlich nicht im geringsten ungewöhnlich oder erklärungsbedürftig. Eine Taube, die plötzlich nach dem Verlust einer ihrer Zapfenarten mit lediglich genauso vielen auskommen muß, wie ein Mensch, wäre sicher in der Lage ein Verschlechterung festzustellen. Aber ein Mensch hat keinerlei Grundlage (auch keine subjektive Grundlage) für die Feststellung, daß er Farben schlechter unterscheidet als Tauben. Und genauso wenig hat er eine Grundlage für die Feststellung, daß er auf dem blinden Fleck blind ist.

Wir wären überhaupt nur dann in der Lage ein Fehlen von Information festzustellen, wenn es eine Instanz im Gehirn gibt, die diese Information erwartet und in der Lage ist, ihr Ausbleiben zu repräsentieren. Denn wie sollte dieses Urteil sonst entstehen? Sicher nicht durch eine Instanz außerhalb des Gehirns. Im Fall des blinden Flecks gibt es aber keine solche Instanz, denn die Information war noch nie da. Also gibt es niemanden der von ihr profitieren und von ihrer Verarbeitung einen evolutionären Nutzen für den gesamten Organismus erzeugen könnte. Ein Neuron, das lediglich auf diese Information wartet, hätte vermutlich seit Millionen Jahren nichts informatives zu berichten. Eine ziemliche Ressourcenverschwendung.
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