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Physik und Philosophie - Seite 4
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TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18062

Beitrag TomS Verfasst am: 18. Jun 2019 11:36    Titel: Antworten mit Zitat

Frankx hat Folgendes geschrieben:
Wie kann man etwas entdecken, wozu man keinerlei empirischen Zugang hat?

Mathematiker haben einen "erkennenden" Zugang zur Mathematik; sie nehmen mathematische Strukturen wahr. Das kannst du dir jedoch nicht vorstellen, weil du kein Mathematiker bist (ich kann das übrigens auch nur ansatzweise nachvollziehen; ich kann diverse Methoden der höheren Mathematik anwenden, aber ich sehe nicht die gesamte mathematische Struktur an sich, ohne den schrittweisen Prozess des Berechnens; deswegen bin ich auch nur Physiker ;-)

Frankx hat Folgendes geschrieben:
Das erinnert mich an dein Beispiel des 2dim Bewohners. Wie sollte er jemals Zugang zum 3dim Reich finden? Wie sollte er jemals eine Kugel entdecken wenn ihm der empirische Zugang fehlt?

Das kann er nicht - und dennoch existiert die Kugel. Das ist der Witz dabei.

Du nimmst ständig die Rolle dieses 2-dim. Beobachters ein und negierst fortwährend die Möglichkeit, es gäbe 3-dim. Beobachter und Kugeln. Nur weil es außerhalb deines Vermögens liegt, die Kugeln zu erkennen oder zu denken, ist es nicht prinzipiell unmöglich; andere haben diese Fähigkeit.

Frankx hat Folgendes geschrieben:
Dann bliebe zumindest die Frage, welche der Sichtweisen im Sinne Ockhams zu bevorzugen ist.

Nach meiner Sichtweise kann man auf das Platonische Reich verzichten, ich benötige also weniger Voraussetzungen.

Ockham Razor ist eine Regel der Sparsamkeit bzgl. der zugrundeliegenden Annahmen. Die sparsamere Menge von Annahmen zur Erklärung eines Sachverhaltes wird der reichhaltigeren Menge von Annahmen bzw. der komplizierteren Erklärung vorgezogen.

Zunächst sollten wir dieses Prinzip auf die reine, nicht weiter interpretierte Mathematik anwenden; diese entspräche im Kern dem o.g. Formalismus. Dieser ist bzgl. der rein formalen Sachverhalte ausreichend. Der Formalismus besagt für sich betrachtet nichts - weder bzgl. der Mathematik als platonisches Reich, noch bzgl. der Mathematik als mentales Konstrukt; er ist sozusagen agnostisch.

Wenn schon, dann also der Formalismus!

Das ist - wie gesagt - für die Fragestellung der Physik ausreichend.

_________________
Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.


Zuletzt bearbeitet von TomS am 18. Jun 2019 11:58, insgesamt 3-mal bearbeitet
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 18. Jun 2019 11:47    Titel: Antworten mit Zitat

Frankx hat Folgendes geschrieben:

Dann bliebe zumindest die Frage, welche der Sichtweisen im Sinne Ockhams zu bevorzugen ist.

Nach meiner Sichtweise kann man auf das Platonische Reich verzichten, ich benötige also weniger Voraussetzungen.


Nein, umgekehrt. Ich muß nur die Existenz (im mathematischen Sinne) von einigen unendlichen Mengen akzeptieren. Du mußt außerdem behaupten, daß sie innerhalb des Universums und sogar irgendwie innerhalb unseres Geistes existieren. Das sind nicht nur mehr, sondern auch recht unplausible Zusatzannahmen.

Diesen Schlußfolgerungen kannst du m.E. nur entgehen, indem du Ockham auch noch einige weithin in der Mathematik und im Alltag verwendete Argumentationsweisen opferst, u.a. den Satz vom ausgeschlossenen Dritten.
Frankx



Anmeldungsdatum: 04.03.2015
Beiträge: 982

Beitrag Frankx Verfasst am: 18. Jun 2019 12:59    Titel: Antworten mit Zitat

Zitat:
Mathematiker haben einen "erkennenden" Zugang zur Mathematik; sie nehmen mathematische Strukturen wahr.

Mathematiker sind auch nur Menschen mit einem menschlichem Gehirn. Nur weil sie auf einem bestimmtem Gebiet etwas geübter, talentierter sind funktioniert ihr Hirn nicht prinzipiell anders. Vielleicht können sie schneller oder mehr oder komplexere Strukturen erfassen. Aber wenn es einen prinzipiellen "erkennenden" Zugang zum Platonischen Reich gäbe, müsste er bei allen Menschen zumindest in Grundzügen vorhanden sein. Das kann ich nicht sehen.

Zitat:
Das kann er nicht - und dennoch existiert die Kugel. Das ist der Witz dabei.

Du als Außenstehender kannst das ihm gegenüber behaupten. Aber du könntest auch ganz andere Dinge behaupten und er hätte keinerlei Möglichkeit zu unterscheiden welches davon Realität und welches davon Nichtrealität ist. Die Frage nach der Unterscheidung hast du mir noch nicht beantwortet.

Und wenn es so ist, wie du schreibst, dass beide Ansichtsweisen gleichberechtigt sind, man sie also je nach Geschmack wechseln kann, was bleibt dann von der Realität des Platonischen Reiches?
Wie real ist ein Reich, dessen Existenz ich je nach Geschmack annehmen oder ablehnen kann?


.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18062

Beitrag TomS Verfasst am: 18. Jun 2019 13:18    Titel: Antworten mit Zitat

Frankx hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Mathematiker haben einen "erkennenden" Zugang zur Mathematik; sie nehmen mathematische Strukturen wahr.

Mathematiker sind auch nur Menschen mit einem menschlichem Gehirn. Nur weil sie auf einem bestimmtem Gebiet etwas geübter, talentierter sind funktioniert ihr Hirn nicht prinzipiell anders.

Aber ihr Verstand *)

Sorry - das ist jetzt kein Angriff gegen dich - aber ich bezweifle, dass du da mitreden kannst, weil du nie selbst Mathematik betrieben hast.

Frankx hat Folgendes geschrieben:
Vielleicht können sie schneller oder mehr oder komplexere Strukturen erfassen. Aber wenn es einen prinzipiellen "erkennenden" Zugang zum Platonischen Reich gäbe, müsste er bei allen Menschen zumindest in Grundzügen vorhanden sein. Das kann ich nicht sehen.

Weil bei dir der handwerkliche Zugang über das elementare Rechnen diesen Erkenntnisprozess vollständig zudeckt. Du kannst dies evtl. erreichen, in dem du dich damit befasst. Ich selbst hatte das bewusst zum ersten mal im Grundstudium zur theoretischen Physik *)

Zitat:
Das kann er nicht - und dennoch existiert die Kugel. Das ist der Witz dabei.


Frankx hat Folgendes geschrieben:
Du als Außenstehender kannst das ihm gegenüber behaupten. Aber du könntest auch ganz andere Dinge behaupten und er hätte keinerlei Möglichkeit zu unterscheiden welches davon Realität und welches davon Nichtrealität ist.

Richtig, hat er nicht; ich als 3-dim. Wesen schon. Damit ist gezeigt, dass seine Erkenntnisfähigkeit unzureichend ist, um über die Existenz von 3-dim. Kugeln zu urteilen; meine nicht.

Grottenolme können auch keine Regenbögen erkennen.

Frankx hat Folgendes geschrieben:
Die Frage nach der Unterscheidung hast du mir noch nicht beantwortet.

Doch, mehrfach: Erkenntnisfähigkeit ist immer an die Perspektive des erkennenden Subjektes gebunden, autonome Existenz nicht.

Frankx hat Folgendes geschrieben:
Und wenn es so ist, wie du schreibst, dass beide Ansichtsweisen gleichberechtigt sind, man sie also je nach Geschmack wechseln kann, was bleibt dann von der Realität des Platonischen Reiches?
Wie real ist ein Reich, dessen Existenz ich je nach Geschmack annehmen oder ablehnen kann?

Ich habe nie behauptet, dass dieses Reich logisch ableitbar wäre, lediglich, dass es plausible Argumente dafür gibt. Ich denke auch nicht, dass heute irgendjemand etwas anderes behaupten würde.

Es kann bei dieser und vielen anderen Fragestellungen der Philosophie keine absolute Sicherheit geben; das ist kein Makel des platonischen Reiches und kein Makel der Mathematik.

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Frankx



Anmeldungsdatum: 04.03.2015
Beiträge: 982

Beitrag Frankx Verfasst am: 18. Jun 2019 13:51    Titel: Antworten mit Zitat

Zitat:
Doch, mehrfach: Erkenntnisfähigkeit ist immer an die Perspektive des erkennenden Subjektes gebunden, autonome Existenz nicht.


Damit bestätigst du, dass er (der 2dim Bewohner) keinerlei Möglichkeit hat, das eine vom anderen zu unterscheiden.

Du sprichst oft vom Perspektivwechsel. Versetze dich in die Situation des 2dim Bewohners. Wenn es für irgendetwas a priori keinerlei Möglichkeit gibt einen Unterschied zu finden, dann ist es identisch. Wenn aber Realität und Nichtrealität für ihn identisch sind, macht es keinen Sinn sich damit zu beschäftigen.
Transferiere das nun auf unsere Welt.


Ich denke, wir können hier vorerst abbrechen. Ich werde versuchen, eure Argumente noch mal in Ruhe nachzuvollziehen oder meine zu schärfen. Vielleicht kommen wir irgendwann noch mal darauf zurück.

Eventuell hat ja Deep Purple noch neue Ideen. Ich muss erst mal ein paar Körner verdienen.
Also danke und bis demnächst.


.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18062

Beitrag TomS Verfasst am: 18. Jun 2019 14:28    Titel: Antworten mit Zitat

Frankx hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Doch, mehrfach: Erkenntnisfähigkeit ist immer an die Perspektive des erkennenden Subjektes gebunden, autonome Existenz nicht.


Damit bestätigst du, dass er (der 2dim Bewohner) keinerlei Möglichkeit hat, das eine vom anderen zu unterscheiden.

Richtig, er kann es aus seiner Perspektive nicht empirisch unterscheiden.

Grottenolme können auch keine Regenbögen erkennen.

Frankx hat Folgendes geschrieben:
Du sprichst oft vom Perspektivwechsel. Versetze dich in die Situation des 2dim Bewohners. Wenn es für irgendetwas a priori keinerlei Möglichkeit gibt einen Unterschied zu finden, dann ist es identisch.

Sprachlich unpräzise und daher in der Sache falsch!

Es ist nicht identisch, es erscheint für ihn aus seiner Perspektive identisch.

Wenn dir der Unterschied bereits auf der sprachlichen Ebene unklar ist, dann ist jede weitere Diskussion Zeitverschwendung.

Frankx hat Folgendes geschrieben:
Wenn aber Realität und Nichtrealität für ihn identisch sind, macht es keinen Sinn sich damit zu beschäftigen.

Für wen macht es keinen Sinn? Für ihn? Nur wenn er kein Interesse hat.

Das heliozentrische Weltbild wurde entwickelt, Jahrhunderte bevor ein Mensch die Erde an Bord eines Raumschiffs verlassen hat. Aufgrund deiner Argumentation hätte es dafür keinen Grund gegeben, denn die Theorie der Epizyklen wäre erstens ausreichend und zweitens aus deiner Perspektive heraus die einzig sinnvolle gewesen, während die Ellipsenbahnen erst aus der Perspektive eines fernen Astronauten sichtbar werden könnten – auf der Erde sehen wir sicher keine Ellipsenbahnen.

Warum hat sich Kopernikus mit einem heliozentrische Weltbild befasst, das dann durch Kepler geometrisch vollendet wurde? Beide waren willens und in der Lage, einen Wechsel der Perspektive vorzunehmen, was sie letztlich zu erweiterter Erkenntnis zur Natur befähigt hat. Die wesentliche Einsicht war tatsächlich nicht-empirisch: sie basierte zwar auf empirisch gewonnen Daten, die jedoch aus der erdgebundenen Perspektive keine stichhaltige Unterscheidung zwischen Epizyklen und Ellipsen zulassen.

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Frankx



Anmeldungsdatum: 04.03.2015
Beiträge: 982

Beitrag Frankx Verfasst am: 18. Jun 2019 15:03    Titel: Antworten mit Zitat

Also doch noch mal kurz:

Zitat:
Es ist nicht identisch, es erscheint für ihn aus seiner Perspektive identisch.

Du willst Realität vom Subjekt völlig trennen, benötigst aber immer ein übergeordnetes Subjekt, welches entscheiden kann, was Schein und was Sein ist.

Zitat:
Das heliozentrische Weltbild wurde entwickelt, Jahrhunderte bevor ein Mensch die Erde an Bord eines Raumschiffs verlassen konnte. Aufgrund deiner Argumentation hätte es dafür keinen Grund gegeben, denn die Theorie der Epizyklen wäre erstens ausreichend und zweitens aus deiner Perspektive heraus sinnvoll gewesen, während die Ellipsenbahnen erst aus der Perspektive eines fernen Astronauten sichtbar werden könnten – auf der Erde sehen wir sicher keine Ellipsenbahnen.

Warum hat sich Kopernikus mit einem heliozentrische Weltbild befasst, das dann durch Kepler geometrisch vollendet wurde?


Wir diskutierten über Realität. Du führst hier aber verschiedene Theorien an. Der Unterschied sollte dir als Physiker klar sein.
Die Planeten bewegen sich weder heliozentrisch noch geozentrisch, weder auf Epizyklen noch auf Ellipsenbahnen. Sie eiern irgendwie, vom Rest des Universums und sich gegenseitig vielfältig beeinflussend durch die Gegend. Die Theorien gestatten uns aber, hinreichend genaue Voraussagen zu treffen, wo wir sie am Himmel vorzufinden erwarten können.

Ich habe keinerlei Problem damit irgendwelche neuen, fantastischen, originellen Theorien zu entwickeln. Dass wir dazu neigen, bestimmte sehr bewährte Theorien für Realität zu halten hatte ich schon erwähnt.


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TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18062

Beitrag TomS Verfasst am: 18. Jun 2019 15:49    Titel: Antworten mit Zitat

Frankx hat Folgendes geschrieben:
Also doch noch mal kurz:

Zitat:
Es ist nicht identisch, es erscheint für ihn aus seiner Perspektive identisch.

Du willst Realität vom Subjekt völlig trennen, benötigst aber immer ein übergeordnetes Subjekt, welches entscheiden kann, was Schein und was Sein ist.

Erstens findet keine völlige Trennung statt, denn jedes Subjekt kann die Realität in gewisser Weise bzw. aus einer gewissen Perspektive sowie in gewissen Teilen erkennen.

Zweitens benötige ich kein übergeordnetes Subjekt, lediglich mehrere Subjekte, die sich bzgl. ihrer Perspektive und Wahrnehmungen austauschen. Das müssen ja nicht übergeordnete oder qualitativ überlegene Perspektiven sein, anders geartete Perspektive reichen oft aus.

Ich fordere nicht die "idealisierte platonistische Welt"; ich stelle lediglich fest, dass es voreingenommen ist, sie auszuschließen. Die diskutierten Beispiele zeigen diese Voreingenommenheit anhand konkreter Subjekte, ohne auf einer Gott-Perspektive zurückgreifen zu müssen.

lessons learned: lass' uns einfach akzeptieren, dass die Natur für uns nicht vollumfänglich empirisch zugänglich ist.

Frankx hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Das heliozentrische Weltbild wurde entwickelt, Jahrhunderte bevor ein Mensch die Erde an Bord eines Raumschiffs verlassen konnte. Aufgrund deiner Argumentation hätte es dafür keinen Grund gegeben, denn die Theorie der Epizyklen wäre erstens ausreichend und zweitens aus deiner Perspektive heraus sinnvoll gewesen, während die Ellipsenbahnen erst aus der Perspektive eines fernen Astronauten sichtbar werden könnten – auf der Erde sehen wir sicher keine Ellipsenbahnen.

Warum hat sich Kopernikus mit einem heliozentrische Weltbild befasst, das dann durch Kepler geometrisch vollendet wurde?


Wir diskutierten über Realität. Du führst hier aber verschiedene Theorien an. Der Unterschied sollte dir als Physiker klar sein.
Die Planeten bewegen sich weder heliozentrisch noch geozentrisch, weder auf Epizyklen noch auf Ellipsenbahnen. Sie eiern irgendwie, vom Rest des Universums und sich gegenseitig vielfältig beeinflussend durch die Gegend. Die Theorien gestatten uns aber, hinreichend genaue Voraussagen zu treffen, wo wir sie am Himmel vorzufinden erwarten können.

Es ging um den Wechsel der Perspektive, dafür ist das ein perfektes Beispiel.

Du siehst das Argument nicht, weil du dich im Detail verlierst.

Mein Argument bzgl. des Wechsels der Perspektive, was die Erkenntnis von Kepler erst ermöglich, funktioniert natürlich sowohl für ideale als auch für reale = gestörte Bahnen: man kann erst durch den Wechsel der Perspektive erkennen, dass Planeten auf exakten (gestörten) Ellipsenbahnen mit der Sonne (näherungsweise) im Brennpunkt umlaufen. Diese Beschreibung ist im Sinne von Ockham einfacher, da sie ein einziges geometrisches Gesetz (die Ellipsenbahnen), später verbessert durch die dynamischen Newtonschen Gesetze erfordert, während man ohne diesen Wechsel der Perspektive bei den Epizyklen bleibt und dabei für neue Himmelskörper neue Gesetze = neue Epizyklen einführen muss.

Frankx hat Folgendes geschrieben:
Ich habe keinerlei Problem damit irgendwelche neuen, fantastischen, originellen Theorien zu entwickeln.

Ich schon; fantastische und zugleich funktionierende Theorien gab es in der Vergangenheit noch nie, und ich erwarte nicht, dass sich das ändern wird.

Frankx hat Folgendes geschrieben:
Dass wir dazu neigen, bestimmte sehr bewährte Theorien für Realität zu halten hatte ich schon erwähnt.

Dass dies nicht zutrifft, und dass die Physiker sehr sorgfältig zwischen Realität und Theorie unterscheiden, habe ich mehrfach erwähnt.

Es findet keine "zufällige Verwechslung von Theorie und Realität" statt; in der Physik existiert zunächst eine klare Trennung zwischen Theorie und Realität; anschließend kann ein philosophischer Diskurs stattfinden, und es kann eine - dann bewusst getroffene - Entscheidung je eines Physikers stattfinden, welche Interpretation bzw. philosophische Position zur Verbindung zwischen Theorie und Realität er jeweils einnimmt.

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Zuletzt bearbeitet von TomS am 18. Jun 2019 18:19, insgesamt 2-mal bearbeitet
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18062

Beitrag TomS Verfasst am: 18. Jun 2019 17:20    Titel: Antworten mit Zitat

ich würde gerne bei Deep Purple und mit dem eigentlichen Thema des Threads weitermachen
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Deep Purple



Anmeldungsdatum: 06.05.2019
Beiträge: 44

Beitrag Deep Purple Verfasst am: 19. Jun 2019 11:59    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
ich würde gerne bei Deep Purple und mit dem eigentlichen Thema des Threads weitermachen

Das können wir gerne machen. Was schlägst du vor, wie und an welcher Stelle?
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18062

Beitrag TomS Verfasst am: 19. Jun 2019 12:13    Titel: Antworten mit Zitat

Bei deinem letzten Post und meiner dazugehörigen Antwort.
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Deep Purple



Anmeldungsdatum: 06.05.2019
Beiträge: 44

Beitrag Deep Purple Verfasst am: 19. Jun 2019 20:59    Titel: Antworten mit Zitat

"TomS hat folgendes geschrieben:[/b]"]
Deep Purple hat Folgendes geschrieben:
Zitat:

1. Wir nehmen empirische Daten in unser Bewusstsein auf
2. Das setzt eine vom Bewusstsein unabhängige Außenwelt voraus (if not landen wir im Solipsismus: indiskutabel).
3. Von dieser Außenwelt wissen wir zunächst nicht mehr als diese konkreten Daten, die als Bewusstseinsinhalte vorliegen.
4. Diese Bewusstseinsinhalte werden erkenntnistheoretisch verarbeitet; dazu systematisieren wir, bilden Systeme und entwickeln mehr oder weniger unabhängig eine Mathematik (incl. Regeln hins. Logik und Konsistenz) und stellen Relationen zw. den B.-Inhalten her (zB Kausalität, u a).
5. Wir erhalten eine in sich konsistente Theorie, wissen aber noch nicht, ob sie mit der Außenwelt kongruent ist.
6. Wir transferieren diese Theorie in die Außenwelt und überprüfen sie empirisch (auch über Prognostik).
Erst hier sind wir (jedenfalls prinzipiell) in der Lage, zu entscheiden, welche Elemente der Theorie ein reales Äquivalent in der Außenwelt haben, welche Elemente irreale Hilfsgrößen sind, wie das Verhältnis Natur/Mathematik beschaffen ist u.a.
Methodisch ist es im Grunde ein empiristisch-rationalistischer Cyclus, der auf immer höherer Stufenleiter durchlaufen wird.


Einige Anmerkungen:
Zu 4.: als Physiker würde ich - auch um Überschneidungen und Missverständnisse zu vermeiden - nicht von „entwickeln“ sondern von „anwenden“bsprechen.

Ich weiß, du willst dir ein Hintertürchen offenhalten Augenzwinkern, aber "anwenden" setzt Anzuwendendes voraus; damit bin ich nicht so glücklich. Erzeugen?

Zitat:
Zu 5.: wir wissen sicher, ob sie mit den bekannten Daten der Außenwelt konsistent ist, da wir sie ja anhand dieser Daten gewinnen; in 6. kommen dann Prognosen und neue Daten ins Spiel

Richtig. Da hast du Recht.

Zitat:
Nach 6.: Das sind wir letztlich heute noch nicht, zumindest besteht darüber keinerlei Einigkeit. Letztlich liegt das Problem darin, dass das Verhältnis zwischen Daten einerseits sowie mathematischen Strukturen andererseits extrem indirekt ist.

Es scheint, als seien wir noch schwer auf einem Blindflug unterwegs.

Zitat:
(kennst du z.B. den Weg von der Lagrangefunktion der QCD bis hin zu den berechneten Streuquerschnitten? was schätzt du, wie viel Prozent der mathematischen Ausdrücke in einem Lehrbuch zur QFT eine phänomenologische Entsprechung haben?)

Gibt es da eine Hausnummer?

Zitat:
Eine Entsprechung von Elementen der Theorie zu realen Äquivalent in der Außenwelt können wir für empirisch zugängliche Entitäten feststellen, für die allermeisten Entität der Theorie jedoch nicht bzw. nicht direkt und eben sicher nicht empirisch.

Wie erklärst du dir das?
Aber dann muss der Bock in 4.) sitzen. Wie kommt ein über „die bekannten Daten der Außenwelt“ (nach 5) hinausreichendes Kontingent an mathematischen Entitäten zustande? Warum muss epistemisch mehr zur Verfügung stehen als ontologisch erforderlich wäre? Vllt. sollten wir das mal näher anschauen.

Zitat:
Daher bleibt die Schlussfolgerung, dass ein rein empirischer Zugang zu dem Gehalt moderner physikalischer Theorie immer an der Oberfläche bleibt und die Tiefen der Theorie nicht auslotet kann Ontologischen Schlussfolgerungen aus einem rein empirischen Zugang sind letztlich unmöglich und bleiben daher Metaphysik, jenseits der Empirie; tut mir leid, moderne Theorien und deren grundlegende mathematischen Strukturen sind so, wie sie sind.

Nun, den Schluss würde ich so schnell nicht ziehen; es sieht erstmal so aus, als ob (kennst du Vaihinger?). Aber ich sehe da schon einen diesbzgl. qualitativen Unterschied z.B. zw. der „agnostischen“ Superposition der KI und der Bohms, du nicht?
Aber ich weiß, was du meinst: Quasi-Blindflug.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18062

Beitrag TomS Verfasst am: 20. Jun 2019 00:10    Titel: Antworten mit Zitat

Deep Purple hat Folgendes geschrieben:
"Ich weiß, du willst dir ein Hintertürchen offenhalten ;), aber "anwenden" setzt Anzuwendendes voraus; damit bin ich nicht so glücklich. Erzeugen?

Es geht mir nicht um meine philosophische Sicht auf die Mathematik, sondern wirklich nur um die Methode der Physik selbst.

Erzeugt der Bankkaufmann die Grundrechenarten und die Exponentialfunktion? Nein, er wendet sie an.

Das gilt auch für die Physiker; die wenigsten haben neue Mathematik entdeckt oder entwickelt. Newton war sicher eine Ausnahme, aber z.B. Einstein hat ausschließlich auf etablierte Mathematik zurückgegriffen.

Deep Purple hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Nach 6.: Das sind wir letztlich heute noch nicht, zumindest besteht darüber keinerlei Einigkeit. Letztlich liegt das Problem darin, dass das Verhältnis zwischen Daten einerseits sowie mathematischen Strukturen andererseits extrem indirekt ist.

Es scheint, als seien wir noch schwer auf einem Blindflug unterwegs.

Blindflug bzgl. der philosophischen Sichtweise? Na ja, wir können nie wirklich über den Realitätsbezug mathematischer Entitäten in der Physik urteilen, wenn wir dazu keine empirischen Erkenntnisse gewinnen können.

Das unterscheidet die Physik aber nicht wesentlich von anderen Disziplinen. Wo in der Natur existiert eine reale Entität, die isomorph zu einer Operatoralgebra ist? Wo existiert ein reale Entität, die der „Güte“ entspricht? Wo ist die „Kultur“?

Es geht hier nicht um Einzelheiten, sondern ganz grundsätzlich darum, dass wir in ganz unterschiedlichen Disziplinen abstrakte Begriffe verwenden, die keine direkte Entsprechung in den empirisch zugänglichen Phänomenen haben (wie schon Platon anhand seines Lehrers Sokrates erklärt, können wir Güte nie direkt wahrnehmen, sondern immer nur eine konkrete gute Handlung).

Der wesentliche Unterschied zwischen der Operatoralgebra und der Güte ist jedoch, dass wir letztere immer im nominalistischen Sinne als Abstraktion zu den konkreten guten Handlungen interpretieren können, während das für erstere nicht möglich ist. Die Operatoralgebra ist keine Abstraktion von irgendetwas empirisch fassbaren.

Deep Purple hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
(kennst du z.B. den Weg von der Lagrangefunktion der QCD bis hin zu den berechneten Streuquerschnitten? was schätzt du, wie viel Prozent der mathematischen Ausdrücke in einem Lehrbuch zur QFT eine phänomenologische Entsprechung haben?)

Gibt es da eine Hausnummer?

Ich werde mal grob zählen. Mein Bauchgefühl sagt ein Prozent.

Deep Purple hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Eine Entsprechung von Elementen der Theorie zu realen Äquivalent in der Außenwelt können wir für empirisch zugängliche Entitäten feststellen, für die allermeisten Entität der Theorie jedoch nicht bzw. nicht direkt und eben sicher nicht empirisch.

Wie erklärst du dir das?
Aber dann muss der Bock in 4.) sitzen. Wie kommt ein über „die bekannten Daten der Außenwelt“ (nach 5) hinausreichendes Kontingent an mathematischen Entitäten zustande?

Zunächst mal, warum ein Bock? Essentiell ist, dass es empirisch überprüfbar funktioniert. Und die Physiker haben ja nicht gerne darauf verzichtet, ihre Theorien auf Basis direkt phänomenologisch zugänglicher Entitäten zu formulieren und diese direkt mathematisch abzubilden. Im Gegenteil, das war jeweils ein großer Kampf.

Wenn du die Entwicklung der SRT von 1905 mit der der ART bis 1915 vergleichst, dann kann man bei der SRT praktisch vollständig mit Größen arbeiten, die direkt messbar sind. Bei der ART ist es vergleichsweise kompliziert, Observable zu definieren; und in der Lehrbuchdarstellung der ART sind die fundamentalen mathematischen Größen nie beobachtbar!

Deep Purple hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Daher bleibt die Schlussfolgerung, dass ein rein empirischer Zugang zu dem Gehalt moderner physikalischer Theorie immer an der Oberfläche bleibt und die Tiefen der Theorie nicht auslotet kann. Ontologische Schlussfolgerungen aus einem rein empirischen Zugang sind letztlich unmöglich und bleiben daher Metaphysik, jenseits der Empirie; tut mir leid, moderne Theorien und deren grundlegende mathematischen Strukturen sind so, wie sie sind.

Nun, den Schluss würde ich so schnell nicht ziehen; es sieht erstmal so aus, als ob (kennst du Vaihinger?). Aber ich sehe da schon einen diesbzgl. qualitativen Unterschied z.B. zw. der „agnostischen“ Superposition der KI und der Bohms, du nicht?

Irgendwas klingelt bei Vaihinger.

Bei der Quantenmechanik hast du natürlich einen völlig neuen Aspekt, nämlich die Möglichkeit, eine formal identische Theorie völlig unterschiedlich zu interpretieren. Man gelangt mit den selben Formeln zu völlig unterschiedlichen ontologischen Schlussfolgerungen (bzw. umgekehrt, man gelangt von unterschiedlichen ontologischen Positionen zu unterschiedlichen Interpretationen der selben Formeln.

Darüberhinaus hast du das Problem, dass eine Sichtweise, die die mathematischen Entitäten als Repräsentanten der Natur auffasst, zu den „vielen Welten“ führt, während du umgekehrt mit der Ablehnung der „vielen Welten“ auch den Realitätsanspruch aufgeben musst.

Diesen Bruch in der modernen Physik kann man gar nicht unterschätzen. Ich denke, die „vielen Welten“ als logische Konsequenz aus einer konsistenten realistischen Interpretation der Quantenmechanik sind der einzige wesentliche Grund, den man heute gegen eine solche realistischen Interpretation anführen kann.

Ich würde dieses Thema zunächst ausblenden und ein anderes Argument gegen eine realistische Interpretation des Formalismus diskutieren wollen: bei der Entwicklung neuer Theorien wird teilweise der zugrundeliegende Formalismus der Vorgängertheorie vollständig verworfen; letztere erscheint jedoch als Näherung der Nachfolgertheorie. Nachdem wir heute sicher nicht die endgültige theory of everything in den Händen halten, ist es fraglich ob wir die heute verwendeten mathematischen Strukturen realistisch interpretieren sollten; in einer ToE sind es ja evtl. völlig andere.

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Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 20. Jun 2019 08:35    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
Der wesentliche Unterschied zwischen der Operatoralgebra und der Güte ist jedoch, dass wir letztere immer im nominalistischen Sinne als Abstraktion zu den konkreten guten Handlungen interpretieren können, während das für erstere nicht möglich ist. Die Operatoralgebra ist keine Abstraktion von irgendetwas empirisch fassbaren.


Wieso nicht? Warum sind Größen wie und Beziehungen zwischen ihnen nicht "empirisch faßbar"? Auch die algebraische Struktur spielt in diesen Zusammenhängen eine Rolle.

Zitat:

Deep Purple hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
(kennst du z.B. den Weg von der Lagrangefunktion der QCD bis hin zu den berechneten Streuquerschnitten? was schätzt du, wie viel Prozent der mathematischen Ausdrücke in einem Lehrbuch zur QFT eine phänomenologische Entsprechung haben?)

Gibt es da eine Hausnummer?

Ich werde mal grob zählen. Mein Bauchgefühl sagt ein Prozent.


Und du hast keine Bedenken, daß diese Zahl äußerst schlecht definiert ist (nicht nur schwer zu berechnen)? Vor einigen Tagen schienen wir uns noch einig zu sein, daß es unmöglich ist eine scharfe Grenze zwischen empirischen und nichtempirischen Objekten zu ziehen. Jetzt scheinst du das anders zu sehen. Ein Prozent erscheint mir genauso plausibel, wie 0 Prozent oder 100 Prozent. Wenn man seinen Skeptizismus aufs äußerste treibt, haben ja selbst "Massenpunkt", "Kraft" und "Masse" keine phänomenologisch Entsprechung. Zumindest sind es sicher irgendwie Abstraktionen von realen Körpern (selten punktförmig) und deren Eigenschaften. Wie würde so eine Zählung prinzipiell aussehen, so daß das Ergebnis nicht vollkommen willkürlich ist?

Zitat:

Deep Purple hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Eine Entsprechung von Elementen der Theorie zu realen Äquivalent in der Außenwelt können wir für empirisch zugängliche Entitäten feststellen, für die allermeisten Entität der Theorie jedoch nicht bzw. nicht direkt und eben sicher nicht empirisch.

Wie erklärst du dir das?
Aber dann muss der Bock in 4.) sitzen. Wie kommt ein über „die bekannten Daten der Außenwelt“ (nach 5) hinausreichendes Kontingent an mathematischen Entitäten zustande?

Zunächst mal, warum ein Bock? Essentiell ist, dass es empirisch überprüfbar funktioniert. Und die Physiker haben ja nicht gerne darauf verzichtet, ihre Theorien auf Basis direkt phänomenologisch zugänglicher Entitäten zu formulieren und diese direkt mathematisch abzubilden. Im Gegenteil, das war jeweils ein großer Kampf.


Es ist doch nicht so, daß wir, praktisch nach Feierabend, wenn wir mit der Katalogisierung unserer Beobachtungen schon fertig sind, einfach noch aus platonistischer Neigung irgendwelche abstrakten Größen in die Theorie einführen. Wir tun dies nur für solche Größen, über die wir Hypothesen formulieren können, die eine möglichst hohe Erklärungskraft haben. Das haben sie natürlich nur, wenn sie bei der Ableitung von (möglichst vielen) Beobachtungsaussagen irgendeine Rolle spielen. In dem Sinne sind sie und die Objekte, über die sie etwas behaupten, auch beobachtbar.

Zur Illustration dieser Logik reicht m.E. die klassische Mechanik aus: Wir können empirisch grob drei Arten von Bahnkurven von Himmelskörpern unterscheiden: Ellipsen, Hyperbeln und Parabeln. Wie erklären wir das? Wir führen das Kraftgesetz



ein, aus dem wir das Vorkommen aller dieser Kurven unter den geeigneten Anfangsbedingungen ableiten können. Und wir können nun noch mehr: Wir können vorhersagen, daß dies die einzigen möglichen Bahnformen in einem System aus zwei massiven Körpern sind.

Damit hat der Kraftbegriff mehr Erklärungskraft als lediglich eine Katalogisierung aller möglichen Bahnkurven aller bekannter Himmelskörper. Auch wenn Kräfte nun wahrscheinlich nicht so direkt beobachtbar sind, wie Planeten oder ihre Bahnen. Aber da wir verstehen wollen, warum die Natur ist wie sie ist (und nicht nur katalogisieren wie sie ist), verzichten wir zugunsten von Erklärungskraft äußerst gern auf die ausschließliche Verwendung von "direkt phänomenologisch zugänglichen Entitäten" (die ohnehin schwierig vom Rest abzugrenzen sind).

An diesem Vorgehen hat sich m.E. nie prinzipiell irgendwas geändert, auch nicht in der QM oder QCD.
TomS
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Beitrag TomS Verfasst am: 20. Jun 2019 12:23    Titel: Antworten mit Zitat

Eine exakte Abgrenzung wird es sicher nicht geben.

In der klassischen Mechanik sind die mathematischen Objekte F, m, M und r im Newtonschen Gravitationsgesetz direkt beobachtbare Größen, denen man direkt Werte zuordnen kann. Das Newtonsche Kraftgesetz enthält daher keine bzw. beschreibt keine nicht direkt empirisch zugänglichen Entitäten.

In der QCD sind die mathematischen Objekte A und ψ in der Lagrangefunktion nicht direkt empirisch zugänglich, genauso die (eichfixierten) Objekte E und A im Hamiltonian H sowie wiederum ψ und H selbst, da es sich um Operatoren handelt. Die Zustände |u> sind als Elemente eines Hilbertraumes ebenfalls nicht direkt beobachtbar. Erst daraus abgeleitete Größen können gemessen werden.

Bzgl. weiterer Punkten will ich dir gar nicht widersprechen, aber sie gehen an der Frage vorbei:

Repräsentieren mathematische Objekte die Realität?

Bzgl. der Newtonschen Mechanik ein klares „ja“; die o.g. Objekte entsprechen direkt empirisch zugänglichen Größen, ein naiver Realismus, in dem wir sie direkt mit Eigenschaften von Körpern (im Raum) assoziieren, ist zumindest möglich.

Bzgl. der QCD ein klares „?“; die o.g. fundamentalen Objekte entsprechen nicht direkt empirisch zugänglichen Größen, ein naiver Realismus, in dem wir sie direkt mit Eigenschaften von realen Objekten assoziieren, ist zumindest schwierig, insbs. da wir auch zu den realen Objekten - anders als in der klassischen Mechanik - selbst keinen direkten empirischen Zugang haben; wenn wir von „Quark“ sprechen, dann ist das kein Objekt, das man jemals „gesehen“ hätte, sondern eine hypothetische Entität, die sehr indirekt mit beobachtbaren Phänomenen in Zusammenhang steht.

Schauen wir uns mal Aussagen an, die von fundamentalen mathematischen Objekten sprechen: bei Newton können wir von den Werten der Größen r, v, m, M und F sprechen, wir können insbs. auf von t sowie r(t) sprechen, und wir können die Aussagen direkt auf die realen Objekte übertragen.

Der Mond bewegt sich mit einer Geschwindigkeit v(t) auf einer Bahnkurve r(t) und die Erde“.

Versuche doch mal, einen solchen Satz für die QCD am Beispiel von DIS zu formulieren.

Ein Elektron mit Impuls k und Spin s streut am elektromagnetischen Strom J eines Protons mit Impuls P und Spin S“.

k, s sowie P, S sind experimentell bestimmbar, jedoch kein Bestandteil des fundamentalen Formalismus; sie erscheinen lediglich in speziellen Situationen als geeignete Größen (z.B. ist es sinnlos, von P zu reden, wenn das Proton in einem Kern gebunden ist).

Was sind „Elektron“ und „Proton“? Wir haben zwar einen Zustandvektor als mathematisches Objek in einem abstrakten Hilbertraum, jedoch keine direkte phänomenologische Anschauung. Was ist der „elektromagnetische Strom“ J? Ein Operator, also lediglich eine Abbildungsvorschrift, kein „Objekt“. Wo sind die „Quarks“? Sie stecken zum einen als Feldoperatoren ψ in J, d.h. wiederum liegen nur Abbildungsvorschriften vor. Zum anderen stecken sie natürlich irgendwie im „Proton“, was irgendwie im Zustandsvektor kodiert ist. Aber zu nichts davon haben ihr einen direkten Zugang.

Das ist jetzt alles sprachlich ziemlich schlampig formuliert, man muss letztlich viel sorgfältiger vorgehen. Fakt ist jedenfalls, dass die Idee der klassischen Mechanik, reale Objekte und deren Eigenschaften direkt zur Formulierung einer Theorie wie der QCD zu nutzen, aus mehreren Gründen scheitert:
1) wir kennen die realen Objekte selbst nicht, wir haben keinen phänomenologischen Zugang
2) die messbaren Größen als „Eigenschafen dieser Objekte“ spielen bei der Formulierung der Theorie zunächst keine Rolle; außerdem ist es natürlich schwierig, Objekten Eigenschaften zuzuordnen, wenn bereits die Objekte selbst schwierig zu fassen sind
3) die mathematischen Objekte, die zur Formulierung der Theorie verwendet werden, haben keine direkte phänomenologische Entsprechung
4) Sätze über das reale Verhalten eines realen Systems können nicht einfach in Sätze über die mathematische Struktur der Theorie übersetzt werden

Conclusio:

Der einfachste Ausweg ist, den Anspruch des Realismus vollständig aufzugeben. Ich würde das als „dogmatischen Mainstream“ in der Physik bezeichnen, d.h. letztlich die Weigerung, über diese Fragen überhaupt zu reden oder nachzudenken und stattdessen das Mantra der „Vorhersage experimentell überprüfbarer Messergebnisse“ als einzigem Gehalt der Physik runterzubeten. Die Physik verweigert sich damit jeglicher ontologischer Fragestellung. Wir wissen nicht, was tatsächlich existiert und was sich abspielt; wir sehen eine Oberfläche von Phänomenen, die wir berechnen können - und das auch nur statistisch.

Man stelle sich vor, die Astronomen würden sich darauf beschränken, die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Kratern zu berechnen, jedoch nicht über die Erde, die Meteoriten, die Bahnkurven etc. reden bzw. uns immerzu erklären, dass die Frage, was ein Meteorit eigentlich ist, unphysikalisch sei.

Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job [of interpreting quantum theory] was done 50 years ago.
(1969 Nobel Laureate Murray Gell-Mann)

Der schwierige Ausweg ist, zu versuchen, aus dem o.g. dennoch einen ontologischen Gehalt herauszudestillieren, d.h. zu versuchen, zum einen über die Existenzweise der „realen Objekte“ jenseits bzw. ohne Phänomene und Beobachtung zu sprechen, sowie andererseits zu verstehen, wie diese realen Objekte durch mathematische Objekte repräsentiert werden; oder umgekehrt die platonistische Hypothese anzusetzen, dass einige (welche?) mathematischen Objekte die realen Objekte direkt repräsentieren, z.B. dass der Zustandsvektor eine Darstellung des „realen Protons“ ist, sozusagen als quantenfeldtheoretische Verallgemeinerung der klassischen Vorgehensweise, die das reale Objekt „Mond“ als Summe aller ihm zuschreibbaren Eigenschaften repräsentiert (Masse, Impuls, Drehimpuls, geometrische From, lokale Dichte, lokale chemische Zusammensetzung, ...).

Einige interessante Ansätze sind der sogenannte Strukturenrealismus (in verschiedenen Spielarten) oder ein eher naiver Realismus nach Wallace, der den quantenmechanischen Zustandsvektor im Kontext der Everett-Interpretation als mathematischen Repräsentant eines realen Systems auffasst.

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Beitrag TomS Verfasst am: 20. Jun 2019 14:44    Titel: Antworten mit Zitat

Ein sehr guter kleiner Sammelband, der diverse Themen und Ansätze enthält, ist

https://www.suhrkamp.de/buecher/philosophie_der_physik-michael_esfeld_29633.html
Philosophie der Physik
Herausgegeben von Michael Esfeld
Inhalt
Seit ihren Anfängen bei den Vorsokratikern sind Philosophie und Physik eng miteinander verbunden. Kappt man diese Verbindung, gibt man die Kernaufgabe der Physik – zu Wissen über die Natur zu gelangen – ebenso auf wie die der Philosophie, die grundlegenden Charakteristika der Welt zu erforschen. Dieser Band soll die Vielfalt und Lebendigkeit der philosophischen Auseinandersetzung mit der Physik im deutschsprachigen Raum heute aufzeigen. Er setzt den Schwerpunkt auf die Interpretation der fundamentalen physikalischen Theorien, also die Quantentheorie und die allgemeine Relativitätstheorie, einschließlich der Quantengravitation und der Quantenfeldtheorie.

Bis auf einen Beitrag haben die Philosophen die Physik recht gut verstanden.


Speziell zur Quantenmechanik wäre ein allererster Einstieg, der naturgemäß an der Oberfläche bleiben muss

https://www.springer.com/de/book/9783662542750
Philosophie der Quantenphysik
Zentrale Begriffe, Probleme, Positionen
Autoren: Friebe, C., Kuhlmann, M., Lyre, H., Näger, P., Passon, O., Stöckler, M.
Zum Inhalt
Dieses Buch liefert dem Leser eine aktuelle und fundierte Einführung in die Philosophie der Quantenphysik. Obwohl sich die Quantentheorie durch spektakuläre empirische Erfolge auszeichnet, wird bis heute kontrovers diskutiert, wie sie zu verstehen ist. In diesem Werk geben die Autoren einen Überblick über die zahlreichen philosophischen Herausforderungen: Verletzen Quantenobjekte das Prinzip der Kausalität? Sind gleichartige Teilchen ununterscheidbar und daher keine Individuen? Behalten Quantenobjekte in der zeitlichen Entwicklung ihre Identität? Wie verhält sich ein zusammengesetztes Quantensystem zu seinen Teilen? Diese Fragen werden im Rahmen verschiedener Deutungsansätze der Quantentheorie diskutiert. Ein Ausblick in die Quantenfeldtheorie verschärft das Hauptproblem der Nichtlokalität.
Philosophie der Quantenphysik richtet sich an Philosophiestudierende mit Interesse für Physik, macht Physikerinnen und Physiker mit den philosophischen Fragen ihres Faches vertraut und liefert Lehramtsstudierenden und Lehrern Anregungen für den gymnasialen Physik-Unterricht. Das Buch schließt damit eine Lücke zwischen populären Einführungen und spezialisierten Monografien zur Philosophie der Quantenphysik im deutschsprachigen Lehrbuchmarkt. In der vorliegenden zweiten Auflage wurde das Kapitel zu Verschränkung und Nicht-Lokalität deutlich erweitert und jedes Kapitel mit Übungsaufgaben und Musterlösungen ergänzt.

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Deep Purple



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Beitrag Deep Purple Verfasst am: 20. Jun 2019 14:50    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
Ich würde dieses Thema zunächst ausblenden und ein anderes Argument gegen eine realistische Interpretation des Formalismus diskutieren wollen: bei der Entwicklung neuer Theorien wird teilweise der zugrundeliegende Formalismus der Vorgängertheorie vollständig verworfen; letztere erscheint jedoch als Näherung der Nachfolgertheorie.

Ob der Verwurf per sé eine generelle Methode und zudem so vollständig ist, wie du schreibst, und nicht aus konkreten Gründen mal erforderlich ist, möchte ich bezweifeln; aber mal unterstellt, es wäre so, dann weist doch die Näherung auf den verbliebenen Zusammenhang hin, möglw. über einen anderen oder neu entdeckten (oder zu postulierenden) Parameter.

Zitat:
Nachdem wir heute sicher nicht die endgültige theory of everything in den Händen halten, ist es fraglich ob wir die heute verwendeten mathematischen Strukturen realistisch interpretieren sollten;

Du schreibst an anderer Stelle:
In der Physik existiert zunächst eine klare Trennung zwischen Theorie und Realität; anschließend kann ein philosophischer Diskurs stattfinden, und es kann eine - dann bewusst getroffene - Entscheidung je eines Physikers stattfinden, welche Interpretation bzw. philosophische Position zur Verbindung zwischen Theorie und Realität er jeweils einnimmt.“

So klar kann die Trennung offensichtlich nicht sein, wenn das Verhältnis Theorie/Realität eine Angelegenheit der philosophischen Position ist (s. dänische vllt. auch alle Quantentheorien).
Auch ist der Begriff „real, realistisch“ (im Allg.) ziemlich diffus: Platons Ideen sind real, die Gattungsbegriffe des Realismus des MA sind real, mathematische Strukturen sind real, etc. Hier wäre mE dein (manchmal etwas überscharfes) logisches Skalpell angebracht: mE ist Realität das und nur das, was außerhalb und unabhängig vom erkennenden Bewusstseins existiert und da die einzige Verbindung zw, dieser Realität und dem Bewusstsein die Empirie ist, kann nur über diese die Übereinstimmung oder besser Entsprechung hergestellt werden – gegen den Preis einer absoluten Sicherheit (die auch aus anderen Gründen nie realisiert werden kann). Wenn es eine Frage der Einstellung ist, ob ein Zustandsvektor "real" ist, dann dürfte er höchstens realoid aber nicht real genannt werden.
Ich denke, der philosophische Nachteil einer instrumentalistischen Auffassung ist, dass innerhalb dieser der Formalismus dem begrifflichen Instrumentarium zur Beschreibung der Realität davonläuft wie i_razor das im letzten Beitrag demonstriert: für ihn (bzw. Newton) hat der Kraftbegriff seine Erklärungskraft durch den Formalismus, aber die Kraft selbst bleibt ein Mysterium (aber gegenüber den a-dynamischen Epizykeln natürlich ein Fortschritt). Man könnte es auch so ausdrücken, dass die formalisierende Physik der erklärenden Philosophie davongelaufen ist.

Zitat:
… ; in einer ToE sind es ja evtl. völlig andere.

Möglich. Sogar wahrscheinlich. Wir können aber eben nur das zugrunde legen, was wir momentan haben. Und wenn wir heute in der Lage sind, aufgrund einer Atom- oder Orbitalkonzeption zB Holmium-Atome und das Elektronenpaar des Heliums wirklich beobachten und manipulieren zu können, dann können wir morgen vllt. genauer erkennen, was ein Spin, die Gravitation oder Flavour & Co sind.
TomS
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Beitrag TomS Verfasst am: 20. Jun 2019 15:57    Titel: Antworten mit Zitat

Deep Purple hat Folgendes geschrieben:
TomS hat Folgendes geschrieben:
Ich würde dieses Thema zunächst ausblenden und ein anderes Argument gegen eine realistische Interpretation des Formalismus diskutieren wollen: bei der Entwicklung neuer Theorien wird teilweise der zugrundeliegende Formalismus der Vorgängertheorie vollständig verworfen; letztere erscheint jedoch als Näherung der Nachfolgertheorie.

Ob der Verwurf per sé eine generelle Methode und zudem so vollständig ist, wie du schreibst, und nicht aus konkreten Gründen mal erforderlich ist, möchte ich bezweifeln; aber mal unterstellt, es wäre so, dann weist doch die Näherung auf den verbliebenen Zusammenhang hin, möglw. über einen anderen oder neu entdeckten (oder zu postulierenden) Parameter.

Um das zu verdeutlichen: nehmen wir an, wir hätten eine recht präzise, realistische Ontologie der klassischen Welt ausgearbeitet und dabei die Repräsentation der realen Objekte in der Theorie der klassischen Mechanik geklärt. Damit hätten wir für Entitäten wie Orts- und Impulsvektoren, den Phasenraum u.a. die Relation zur realen Entitäten geklärt.

Nun erfolgt der Sprung zur Quantenmechanik: damit müssten wir den letzten Punkt vollständig verwerfen und stattdessen Entitäten wie Operatoren sowie den Hilbertraum und Hilbertraumvektoren betrachten. Zwei Entitäten, die mathematisch identisch behandelt werden können, wären der Ortsvektor und die Zeit; dies zwingt uns jedoch, den Impulsvektor vollständig zu verwerfenden stattdessen den Impulsoperator zu betrachten, den es so in der klassischen Physik nicht gibt.

Die klassische Ontologie wäre also überholt, weil die mathematischen Objekte völlig neu entwickelt werden, und weil die realen Objekte schlichtweg andere sind.

Deep Purple hat Folgendes geschrieben:
Du schreibst an anderer Stelle:
In der Physik existiert zunächst eine klare Trennung zwischen Theorie und Realität; anschließend kann ein philosophischer Diskurs stattfinden, und es kann eine - dann bewusst getroffene - Entscheidung je eines Physikers stattfinden, welche Interpretation bzw. philosophische Position zur Verbindung zwischen Theorie und Realität er jeweils einnimmt.“

So klar kann die Trennung offensichtlich nicht sein, wenn das Verhältnis Theorie/Realität eine Angelegenheit der philosophischen Position ist (s. dänische vllt. auch alle Quantentheorien).

Mit dieser klären Trennung meine ich lediglich, dass es keine voreilige Verwechslung zwischen Theorie und Realität gibt, wie Frankx angedeutet hat.

Einem Physiker ist deutlich bewusst, dass seine Theorie eine Modell für eine Realität ist.

Nun nimmt er eine philosophische Position und überlegt - ohne die Theorie im Kern mathematisch zu verändern - was er unter Realität versteht und welche Entitäten der Theorie welche Aspekte der Realität wie repräsentieren.

Z.B. könnte er eine Postion einnehmen, in der er nur Phänomenen einen ontologischen Status zuspricht und eine dahinterliegende Realiät ablehnt. Demzufolge würden einige wenige mathematische Größen die Phänomene repräsentieren, alle weiteren wären Hilfsgrößen ohne Entsprechung in der Natur.

Z.B. würde man in der Quantenmechanik einen selbstadjungierten Operator A als reine Hilfsgröße betrachten, seine Eigenwerte a als zulässige Werte, die als Messwerte in einem durchzuführenden Experiment auftreten können. Kein Physiker würde jedoch a mit einem Messwert identifizieren; der Messwert steht auf dem Display, a dagegen auf dem Papier.

Deep Purple hat Folgendes geschrieben:
Ich denke, der philosophische Nachteil einer instrumentalistischen Auffassung ist, dass innerhalb dieser der Formalismus dem begrifflichen Instrumentarium zur Beschreibung der Realität davonläuft wie i_razor das im letzten Beitrag demonstriert: für ihn (bzw. Newton) hat der Kraftbegriff seine Erklärungskraft durch den Formalismus, aber die Kraft selbst bleibt ein Mysterium (aber gegenüber den a-dynamischen Epizykeln natürlich ein Fortschritt). Man könnte es auch so ausdrücken, dass die formalisierende Physik der erklärenden Philosophie davongelaufen ist.

Ich halte das für den zentralen Nachteil der instrumentalistischen Auffassung - und diese ganze Auffassung letztlich für eine riesengroße Ausrede: „real ist, was das Messgerät anzeigt“, „jede weitere Diskussion über den Realitätsbegriff ist unphysikalisch“ „Physik befasst sich ausschließlich mit der Vorhersage bzw. Berechnung von Messergebnissen sowie natürlich den Experimenten“, ... Auf die Frage, warum denn ein Formalismus wie Quantenmechanik funktioniert, für die wir weder einen epistemischen Zugang haben - außer über klassische Messungen - noch einen Zugang zu den abstrakten mathematischen Größen, bekommen wir zur Antwort „weil nur dies physikalisch ist“. Mehr Denkverbote geht nicht.

Gib dem selben Physiker eine riesige, unverständliche Formel, die jedoch alle Ergebnisse der QM, ART, QED, ... reproduziert, und sage ihm, seine Arbeit wäre nun abgeschlossen, die Formel wäre die ToE, und warum sie funktioniere, brauche ihn nicht weiter zu kümmern ...

Diese Haltung ist völlig absurd. Noch absurder ist aber, dass sich Physiker weigern, sich dies dies einzugestehen.

Deutsch führt das an einer Stelle schön aus, in dem er erklärt, dass Physiker sich natürlich dafür interessieren, wie die Natur funktioniert, dass sie natürlich ständig nach Erklärungen suchen, warum etwas so ist wie es ist. Das tun sogar die Physiker, die behaupten, man dürfe das als guter Physiker nicht tun ;-)

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Beitrag index_razor Verfasst am: 20. Jun 2019 17:34    Titel: Antworten mit Zitat

Ok, fangen wir mal mit der eigentlichen Frage an.

Zitat:

Repräsentieren mathematische Objekte die Realität?


Diese Frage habe ich m.E. schon mal beantwortet. Ich denke, daß irgendwelche mathematischen Objekte die Realität "sicher" repräsentieren. (So sicher oder unsicher, wie man sich über irgendwas sein kann.) Meine Begründung war im Prinzip wie folgt: Über alles, worüber man überhaupt sinnvolle, zutreffende Aussagen machen kann, kann man auch mathematisch "präzise" Aussagen machen, also solche, die in eine formale Sprache übersetzt werden können. Ich setze voraus, daß über die Natur sinnvolle und zutreffende Aussagen möglich sind. Die Behauptung über Formalisierbarkeit habe ich nicht begründet, finde sie aber recht plausibel. Auf jeden Fall trifft dies für die Teile der natürlichen Sprache zu, die ich für relevant halte, also z.B. Prädikation, logische Verknüpfungen, Referenz (=Pronomina). Dann kann ich aber auch mit den üblichen mathematischen Methoden zeigen, daß diese Aussagen von einer mathematischen Struktur erfüllt werden. Dies ist nach meinem Dafürhalten der übliche Zusammenhang zwischen Realität und mathematischem Modell, und er ergibt sich ganz zwanglos. Natürlich gehe ich hier nicht ganz ohne Hintergrundannahmen heran, z.B. akzeptiere ich übliche Argumentationsweisen der Mathematik. Aber wenn ich das nicht täte, wäre der Sinn der Ausgangsfrage für mich auch völlig unklar.

Nun meine erste Frage: Gibt es an meiner Interpretation der Frage oder an meiner Antwort irgendwas zu beanstanden?

Die Antwort klärt jedenfalls noch nicht, welche konkreten mathematischen Strukturen, die Realität repräsentieren. Aber das scheint auch nicht die Frage zu sein, die du weiter unten in Bezug auf die Newtonsche Mechanik mit einem "klaren ja" beantwortest. Für mich ist ebenso klar, daß die Strukturen der Newtonschen Mechanik die Realität nicht repräsentieren. Ansonsten müßten wir in der Lage sein jegliche Beobachtung mit Massenpunkten und den auf sie wirkenden Kräften zu erklären.

Die Frage "Welche konkreten mathematischen Strukturen?" ist also m.E. noch offen. Sie ist auch nicht mit philosophischen Überlegung zu beantworten. Meine Bemerkung aus dem letzen Abschnitt weist aber in die Richtung, in der ich nach einer Antwort suchen würde. Ich denke die Strukturen einer wahren Theorie mit maximaler Erklärungskraft wären gute Kandidaten für "Repräsentanten der Realität". Die maximale Erklärungskraft ist ein Tribut an Ockhams Rasiermesser, denn es bedeutet nur, daß wir keine Behauptungen hinzufügen, die an der Menge der Falsifikationsmöglichkeiten nichts ändern, erst recht nicht, wenn diese Aussagen, die Existenz irgendwelcher weiteren Dinge behaupten. Trotzdem ist klar, das wir selbst mit empirischen Methoden diese Frage nicht sicher beantworten können, weil wir Theorien nicht verifizieren können, also nicht wissen ob sie wahr sind.

TomS hat Folgendes geschrieben:
Eine exakte Abgrenzung wird es sicher nicht geben.

In der klassischen Mechanik sind die mathematischen Objekte F, m, M und r im Newtonschen Gravitationsgesetz direkt beobachtbare Größen, denen man direkt Werte zuordnen kann. Das Newtonsche Kraftgesetz enthält daher keine bzw. beschreibt keine nicht direkt empirisch zugänglichen Entitäten.

In der QCD sind die mathematischen Objekte A und ψ in der Lagrangefunktion nicht direkt empirisch zugänglich, genauso die (eichfixierten) Objekte E und A im Hamiltonian H sowie wiederum ψ und H selbst, da es sich um Operatoren handelt.


Diese Antwort läßt mich absolut ratlos. Es sieht so aus, als würdest du die Grenze zwischen "direkt" und "indirekt" empirisch zugänglichen Dingen einfach willkürlich zwischen klassischer Mechanik und Quantenmechanik ziehen wollen. Gerade hast du behauptet, eine solche Abgrenzung existiert nicht und jetzt tust du so, als ob jede deiner Aussagen über die "empirische Zugänglichkeit" absolut offensichtlich sei. Daß die "Operatorhaftigkeit" irgendwelcher Größen etwas damit zu tun haben soll, wie direkt sie beobachtbar sind, macht das Ganze noch rätselhafter für mich.

Zitat:

Bzgl. weiterer Punkten will ich dir gar nicht widersprechen, aber sie gehen an der Frage vorbei:

Repräsentieren mathematische Objekte die Realität?

Bzgl. der Newtonschen Mechanik ein klares „ja“; die o.g. Objekte entsprechen direkt empirisch zugänglichen Größen, ein naiver Realismus, in dem wir sie direkt mit Eigenschaften von Körpern (im Raum) assoziieren, ist zumindest möglich.

Bzgl. der QCD ein klares „?“; die o.g. fundamentalen Objekte entsprechen nicht direkt empirisch zugänglichen Größen, ein naiver Realismus, in dem wir sie direkt mit Eigenschaften von realen Objekten assoziieren, ist zumindest schwierig, insbs. da wir auch zu den realen Objekten - anders als in der klassischen Mechanik - selbst keinen direkten empirischen Zugang haben; wenn wir von „Quark“ sprechen, dann ist das kein Objekt, das man jemals „gesehen“ hätte, sondern eine hypothetische Entität, die sehr indirekt mit beobachtbaren Phänomenen in Zusammenhang steht.


Wieder eine völlig willkürliche Unterscheidung in "direkt" und "indirekt empirisch zugänglich", zwischen denen höchstens ein gradueller Unterschied besteht. Ich habe auch keine Kraft oder Masse je gesehen. Alles was ich sehe, sind irgendwelche Reize auf der Netzhaut, die ich nach meinem realistischen Vorurteil objektiven Ursachen zuschreibe. "Kraft", "Masse", "Quark", "Elektron", "Hilbertraumvektor" sind allesamt theoretische Begriffe, deren Zusammenhang zu empirisch evidenten Aussagen ("Ich sehe eine Nebelspur in der Kammer", "Dort ist eine weißer Punkt am Himmel zu sehen.") mehr oder weniger kompliziert ist.

Diese apodiktischen Aussagen über den Unterschied zwischen direktem und indirektem phänomenologischen Zugang ziehen sich durch den ganzen Rest deines Beitrages, weswegen ich damit leider nicht viel anfangen kann. Auf einige Punkte versuche ich gleich noch einzugehen, aber ich weiß nicht ob ich damit viel zur Klärung beitragen kann. Ich habe den Eindruck ich verstehe überhaupt nicht, worauf du hinaus willst.

Zitat:

Schauen wir uns mal Aussagen an, die von fundamentalen mathematischen Objekten sprechen: bei Newton können wir von den Werten der Größen r, v, m, M und F sprechen, wir können insbs. auf von t sowie r(t) sprechen, und wir können die Aussagen direkt auf die realen Objekte übertragen.

Der Mond bewegt sich mit einer Geschwindigkeit v(t) auf einer Bahnkurve r(t) und die Erde“.

Versuche doch mal, einen solchen Satz für die QCD am Beispiel von DIS zu formulieren.


Was ist "ein solcher" Satz? Wie wäre es mit "Das Elektronenfeld hat den Wert im Heisenbergbild"? Das ist sicher nicht direkt beobachtbar und auch nicht einmal exakt aus QCD + QED ableitbar. Aber das habe ich ja auch gar nicht behauptet. (und für Aussagen über die Mondbahn gilt auch dasselbe.) Aber wenn die beiden Theorien ungefähr stimmten, hätte er m.E. ungefähr soviel mit der Realität zu tun, wie deine Aussage über den Mond. Wiederum beantwortet dies alles nicht die Frage, welche Elemente es in der Realität nun wirklich gibt. Aber um das zu beantworten müßten wir, wie gesagt, wissen, welche Theorie exakt stimmt.

Zitat:

Ein Elektron mit Impuls k und Spin s streut am elektromagnetischen Strom J eines Protons mit Impuls P und Spin S“.

k, s sowie P, S sind experimentell bestimmbar, jedoch kein Bestandteil des fundamentalen Formalismus; sie erscheinen lediglich in speziellen Situationen als geeignete Größen (z.B. ist es sinnlos, von P zu reden, wenn das Proton in einem Kern gebunden ist).


Ich habe doch gar nicht behauptet, daß alle experimentell bestimmbaren Größen zum fundamentalen Formalismus der Theorie gehören müssen. Ich verstehe deshalb nicht, wogegen dies ein Argument sein soll.

Zitat:

Was sind „Elektron“ und „Proton“?


Das sind idealisierte theoretische Objekte, über die man Aussagen aus der Quantenfeldtheorie ableiten kann, die näherungsweise das Verhalten realer Systeme in bestimmten Situationen beschreiben. Selbst wenn die Theorie exakt stimmt, handelt es sich vermutlich also um ontologisch entbehrliche Objekte. Real wären dann vielleicht nur die Quantenfelder, deren asymptotisches Verhalten z.B. bei Streuexperimenten man in Form von Teilchen, wie Elektronen und Protonen beschreiben kann.

Die restlichen Fragen, die in eine ähnliche Richtung zielen, übergehe ich mal, bis mir klar wird worauf du damit hinauswillst.

Zitat:

Conclusio:


Dem folgenden stimme ich dem Wortlaut nach wohl zum großen Teil zu. Sicherlich gibt es in der QM besondere Interpretationsprobleme. Ich sehe allerdings keinen überzeugenden Grund für die Behauptung, die Theorie liefere keine Grundlage für eine klare und verständliche Ontologie. Sicherlich ist es nicht dieselbe Ontologie wie die der klassischen Mechanik und wenn man über zu viele "klassische Dinge" redet, gerät man schnell in Widersprüche. Aber das ist auch der Fall wenn man Teile der Ontologie der klassischen Mechanik in die Relativitätstheorie mitnehmen will (absolute Zeit).

Zitat:

Der schwierige Ausweg ist, zu versuchen, aus dem o.g. dennoch einen ontologischen Gehalt herauszudestillieren, d.h. zu versuchen, zum einen über die Existenzweise der „realen Objekte“ jenseits bzw. ohne Phänomene und Beobachtung zu sprechen, sowie andererseits zu verstehen, wie diese realen Objekte durch mathematische Objekte repräsentiert werden; oder umgekehrt die platonistische Hypothese anzusetzen, dass einige (welche?) mathematischen Objekte die realen Objekte direkt repräsentieren, z.B. dass der Zustandsvektor eine Darstellung des „realen Protons“ ist,


Das nimmt einige Ergebnisse dieses Destillationsvorganges bereits vorweg, nämlich, daß Protonen real sind, was fraglich ist. Das gilt für alle "Teilchen" in der Quantenfeldtheorie. Sie tauchen hier und da in Idealsituationen mal als Eigenschaften von Quantenfeldern auf, aber mehr auch nicht. Ansonsten stimme ich zu: Es ist schwierig eine Ontologie herauszudestillieren, aber es gibt gute Gründe anzunehmen, daß dies möglich ist.

Und die Frage welche mathematischen Objekte wir der Realität unterstellen dürfen, können wir ganz ohne Platonismus so gut beantworten wie jede Frage in der Wissenschaft: Wir nehmen einen Minimalsatz an Objekten (z.B Quantenfelder), aus deren Beschreibungen wir alle uns zugänglichen Beobachtungen ableiten können. Diese "Beschreibungen", also alle Aussagen über diese Objekte (Quantenfelder), stellen unsere Theorie über die Realität dar, und von den Objekten selber behaupten wir, sie seien real. Natürlich wissen wir das nicht mit Sicherheit, weil wir gar nichts mit Sicherheit wissen, auch nicht ob unsere Theorie wahr ist. Wir wissen nur, wenn sie wahr ist, dann gibt es auch die Dinge, deren Existenz sie behauptet.


Zuletzt bearbeitet von index_razor am 20. Jun 2019 18:38, insgesamt 8-mal bearbeitet
Deep Purple



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Beitrag Deep Purple Verfasst am: 20. Jun 2019 18:02    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
Der schwierige Ausweg ist, zu versuchen, aus dem o.g. dennoch einen ontologischen Gehalt herauszudestillieren, d.h. zu versuchen, zum einen über die Existenzweise der „realen Objekte“ jenseits bzw. ohne Phänomene und Beobachtung zu sprechen, sowie andererseits zu verstehen, wie diese realen Objekte durch mathematische Objekte repräsentiert werden; oder umgekehrt die platonistische Hypothese anzusetzen, dass einige (welche?) mathematischen Objekte die realen Objekte direkt repräsentieren, z.B. dass der Zustandsvektor eine Darstellung des „realen Protons“ ist, sozusagen als quantenfeldtheoretische Verallgemeinerung der klassischen Vorgehensweise, die das reale Objekt „Mond“ als Summe aller ihm zuschreibbaren Eigenschaften repräsentiert (Masse, Impuls, Drehimpuls, geometrische From, lokale Dichte, lokale chemische Zusammensetzung, ...).

Einige interessante Ansätze sind der sogenannte Strukturenrealismus (in verschiedenen Spielarten) oder ein eher naiver Realismus nach Wallace, der den quantenmechanischen Zustandsvektor im Kontext der Everett-Interpretation als mathematischen Repräsentant eines realen Systems auffasst.


Zitat:
Um das zu verdeutlichen:..."
(und ff)

Wir scheinen uns einig bzgl. des Grundes der Schwierigkeiten (u.a. der Instrumentalismus) und dem Ziel (Klärung des Verhältnisses formal. Physik/Realität), aber offensichtlich finden wir noch keinen gemeinsamen Ansatzpunkt für einen Lösungsweg (und welche Rolle die Empirie dabei spielt).

Rein intuitiv habe ich den Verdacht, dass dir irgendetwas im Wege steht, was mit deinem Schema A) bis C) und mit dem o.a. unterstrichenen Satz zu tun hat - kann aber noch nicht sagen, was. Muss ich nochmal überschlafen.

(Analoges gilt natürlich auch für mich).
Deep Purple



Anmeldungsdatum: 06.05.2019
Beiträge: 44

Beitrag Deep Purple Verfasst am: 20. Jun 2019 20:00    Titel: Antworten mit Zitat

@ TomS
Schau' dir mal das Video an. Ich denke, das ist 'was für dich.
https://www.youtube.com/watch?v=oZiKj7pfYSk
TomS
Moderator


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Beiträge: 18062

Beitrag TomS Verfasst am: 20. Jun 2019 21:11    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Repräsentieren mathematische Objekte die Realität?


Diese Frage habe ich m.E. schon mal beantwortet. Ich denke, daß irgendwelche mathematischen Objekte die Realität "sicher" repräsentieren ...

Nun meine erste Frage: Gibt es an meiner Interpretation der Frage oder an meiner Antwort irgendwas zu beanstanden?

Ich gehe diese Überlegung mit.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Die Antwort klärt jedenfalls noch nicht, welche konkreten mathematischen Strukturen, die Realität repräsentieren.

Stimmt.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Für mich ist ebenso klar, daß die Strukturen der Newtonschen Mechanik die Realität nicht repräsentieren.

Die Newtonsche Mechanik dient lediglich Beispiel, um einen naiven Realismus zu erläutern. Er funktioniert natürlich nicht - aufgrund des von dir genannten Einwandes.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Die Frage "Welche konkreten mathematischen Strukturen?" ist also m.E. noch offen. Sie ist auch nicht mit philosophischen Überlegung zu beantworten.

Stimmt.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Ich denke die Strukturen einer wahren Theorie mit maximaler Erklärungskraft wären gute Kandidaten für "Repräsentanten der Realität". Die maximale Erklärungskraft ist ein Tribut an Ockhams Rasiermesser, denn es bedeutet nur, daß wir keine Behauptungen hinzufügen, die an der Menge der Falsifikationsmöglichkeiten nichts ändern, erst recht nicht, wenn diese Aussagen, die Existenz irgendwelcher weiteren Dinge behaupten. Trotzdem ist klar, das wir selbst mit empirischen Methoden diese Frage nicht sicher beantworten können, weil wir Theorien nicht verifizieren können, also nicht wissen ob sie wahr sind.

Jetzt kommen wir zu den spannenderen Einwänden, die du noch nicht nachvollziehen kannst oder wo du mich missverstehst.
Selbst wenn wir die Theorie verifizieren könnten, hätten wir immer noch keinen Zugang zu den fundamentalen Objekten - z.B. Quarks, wenn wir mal die QCD als wahr ansehen - und es gäbe mathematische Strukturen in der Theorie, die wir nicht in unseren Eperimenten wiederfinden - z.B. den Zustansvektor.

Wäre deine Meinung nach der Zustandsvektor ein geeigneter Repräsentant?

index_razor hat Folgendes geschrieben:

Der Mond bewegt sich mit einer Geschwindigkeit v(t) auf einer Bahnkurve r(t) und die Erde“.


Was ist "ein solcher" Satz? Wie wäre es mit "Das Elektronenfeld hat den Wert im Heisenbergbild"? [/quote]
Ein guter Kandidat, aber selbst beim Zutreffen der Theorie bleiben immer noch Fragen offen. Wie verhält es sich bei Einfeldern und der Eichfixierung? Wie verhä8es sich mit dem Zustansvektor - angesichts der unterschiedlichen Interpretationen der Quantenmechanik?

Ich gehe ja deine Überlegungen und derartige Aussagen mit, aber es sollte klar sein, dass selbst wenn die Theorie wahr im bisherigen Sinne der empirischen Überprüfbarkeit wäre, diese Aussagen immer noch nicht überprüfbar wären.

Der Erwartungswert <F²> in mehreren Experimenten ist beobachtbar, A oder |ψ> jedoch nicht.

D.h. der Satz „Bei Präparation eines Zustandes ... werden wir mittels Messung ... im Mittel den Erwartungswert <F²> erhalten“ ist empirisch überprüfbar. Eine analoge Aussage ist für A oder |ψ> anstelle von <F²> nicht formulierbar.

D.h. nun nicht, dass ich deine Überlegungen nicht mitgehe. Ich weise lediglich darauf hin, dass sie nicht empirisch nachprüfbar sind, weil dies eben zwar für <F²> funktioniert, nicht jedoch für A oder |ψ>.

Darüberhinaus hinaus müssten wir die Aussage noch verschärfen, denn zur Repräsentation einer Realität in einem Experiment ist der Erwartungswert natürlich ungeeignet; |ψ><ψ| wäre ein guter Kandidat.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Real wären dann vielleicht nur die Quantenfelder, deren asymptotisches Verhalten z.B. bei Streuexperimenten man in Form von Teilchen, wie Elektronen und Protonen beschreiben kann.

So ähnlich sehe ich das auch.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:

Conclusio:


Dem folgenden stimme ich dem Wortlaut nach wohl zum großen Teil zu.

Dann sind wir uns einig ;-)

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Sicherlich gibt es in der QM besondere Interpretationsprobleme. Ich sehe allerdings keinen überzeugenden Grund für die Behauptung, die Theorie liefere keine Grundlage für eine klare und verständliche Ontologie.

Nun ja, wenn du an die Ensemble-Interpretation glaubst, dann repräsentiert |ψ> kein Element der Realität. Wenn du an eine Kollapsinterpretation glaubst, dann kann |ψ> kein Element der Realität repräsentieren, da die KI m.E. an dieser Stelle logisch inkonsistent ist; erstens erklärt sie nicht, was eine Messung ist; und zweitens existieren zwei sich widersprechende Dynamiken, einerseits die unitäre, andererseits der Kollaps. Wenn du Everett folgst, glaubst du an die vielen Welten.

Dies zeigt, dass der selbe oder zumindest ähnliche Formalismus je nach Interpretation völlig unterschiedliche ontologische Sichtweisen zulässt - oder in bestimmten Interpretationen sogar ontologische Sichtweisen verbietet. macht.


index_razor hat Folgendes geschrieben:
Das nimmt einige Ergebnisse dieses Destillationsvorganges bereits vorweg, nämlich, daß Protonen real sind, was fraglich ist. Das gilt für alle "Teilchen" in der Quantenfeldtheorie. Sie tauchen hier und da in Idealsituationen mal als Eigenschaften von Quantenfeldern auf, aber mehr auch nicht. Ansonsten stimme ich zu: Es ist schwierig eine Ontologie herauszudestillieren, aber es gibt gute Gründe anzunehmen, daß dies möglich ist.

Zustimmung.

Und natürlich kann „das Proton“ nicht der Kern der Ontologie sein - sicher nicht im Atomkern - sondern eben der Zustandsvektor.

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Beitrag TomS Verfasst am: 20. Jun 2019 21:19    Titel: Antworten mit Zitat

Deep Purple hat Folgendes geschrieben:
Wir scheinen uns einig bzgl. des Grundes der Schwierigkeiten (u.a. der Instrumentalismus) und dem Ziel (Klärung des Verhältnisses formal. Physik/Realität) ...

Ja.

Deep Purple hat Folgendes geschrieben:
... aber offensichtlich finden wir noch keinen gemeinsamen Ansatzpunkt für einen Lösungsweg (und welche Rolle die Empirie dabei spielt).

Ein naiver Realismus auf Basis der Entitäten der Quantenfeldteorie ist momentan das beste, was ich sehe - trotz Everett, dessen Schlussfolgerungen ich akzeptieren kann. Ich denke jedoch nicht, dass das die endgültige Lösung sein kann, weil die Quantenfeldteorie nichts zur Raumzeit sagt, und weil wir gleichzeit wissen, dass die ART dies zwar tut, jedoch die Kombination von ART und Quantenfeldteorie sicher inkonsistent ist.

Daher glaube ich, dass der heutige Status der Physik - so wie der Status zur Zeit Newtons - kein Wegweiser zu einer Ontologie sein kann.

Deep Purple hat Folgendes geschrieben:
Rein intuitiv habe ich den Verdacht, dass dir irgendetwas im Wege steht, was mit deinem Schema A) bis C) und mit dem o.a. unterstrichenen Satz zu tun hat ...

(A - C) diente nur zur Strukturierung der Diskussion und steht mir nicht im Weg.

Der unterstrichene Satz besagt lediglich, dass die Empirie hier nicht weiterhelfen wird, d.h. dass ontologische Aussagen zur Physik im Wesentlichen nicht-empirischen Charakter haben und sich einer empirischen Überprüfung entziehen.



Wenn du einen Startpunkt sicher, dann gehe doch vom Formalismus der Quantenfeldtheorie aus.

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Beitrag index_razor Verfasst am: 21. Jun 2019 10:20    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Ich denke die Strukturen einer wahren Theorie mit maximaler Erklärungskraft wären gute Kandidaten für "Repräsentanten der Realität". Die maximale Erklärungskraft ist ein Tribut an Ockhams Rasiermesser, denn es bedeutet nur, daß wir keine Behauptungen hinzufügen, die an der Menge der Falsifikationsmöglichkeiten nichts ändern, erst recht nicht, wenn diese Aussagen, die Existenz irgendwelcher weiteren Dinge behaupten. Trotzdem ist klar, das wir selbst mit empirischen Methoden diese Frage nicht sicher beantworten können, weil wir Theorien nicht verifizieren können, also nicht wissen ob sie wahr sind.

Jetzt kommen wir zu den spannenderen Einwänden, die du noch nicht nachvollziehen kannst oder wo du mich missverstehst.
Selbst wenn wir die Theorie verifizieren könnten, hätten wir immer noch keinen Zugang zu den fundamentalen Objekten - z.B. Quarks, wenn wir mal die QCD als wahr ansehen - und es gäbe mathematische Strukturen in der Theorie, die wir nicht in unseren Eperimenten wiederfinden - z.B. den Zustansvektor.

Wäre deine Meinung nach der Zustandsvektor ein geeigneter Repräsentant?


Ja, oder allgemeiner der Operator und alle seine Eigenschaften. Dazu zähle ich z.B. alle Größen . Ich sehe ein, daß von diesen nicht alle empirisch zugänglich sind. Allerdings erwarte ich das ohnehin nicht von allen Elementen der Realität. Ich dachte dies ist auch dein Argument. Hier sieht es aber so aus, als würdest du die Unbeobachtbarkeit als Problem für die Ontologie ansehen. (Es ist sicher ein Problem für unsere Entscheidung für eine Ontologie, aber wir können von einer empirischen Wissenschaft nicht erwarten, daß solche Entscheidungen eindeutig sind, siehe auch unten.)

Kandidaten für empirisch zugängliche Größen sind solche mit geringer Varianz, die sich hinreichend langsam ändern. Für diese liefert die QM zumindest definitive Aussagen, deren Beobachtbarkeit nur noch die Konstruktion eines geeigneten Meßgeräts, also nur praktische Probleme, im Wege stehen. Auch diese Größen ergeben sich mit Hilfe des Zustands. Also verstehe ich auch nicht, warum du sagst, wir fänden ihn in unseren Beobachtungen nicht wieder. Wir machen doch recht definitive Aussagen über den Zustandsvektor auf Basis von Beobachtungen.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:

Zitat:

Der Mond bewegt sich mit einer Geschwindigkeit v(t) auf einer Bahnkurve r(t) und die Erde“.


Was ist "ein solcher" Satz? Wie wäre es mit "Das Elektronenfeld hat den Wert im Heisenbergbild"?

Ein guter Kandidat, aber selbst beim Zutreffen der Theorie bleiben immer noch Fragen offen. Wie verhält es sich bei Einfeldern und der Eichfixierung? Wie verhä8es sich mit dem Zustansvektor - angesichts der unterschiedlichen Interpretationen der Quantenmechanik?


Ich denke das sind zwei verschiedene Probleme mit ganz unterschiedlichen Antworten.

Zunächst zum Zustandsvektor. Ich halte es für durchaus möglich, daß ein und dieselbe physikalische Theorie keine eindeutige Ontologie liefert. Ich denke, das ist gewissermaßen auch bei der klassischen Mechanik schon der Fall. Sicher kann man sich dort darauf einigen, daß Teilchen, deren Orte und Impulse zur Realität gehören, aber bei Potentialen oder Energie sieht das schon anders aus. So ungefähr wie der physikalische Gehalt der Theorie durch die Erfahrung unterbestimmt bleibt, so bleibt vielleicht auch die Ontologie durch die Theorie unterbestimmt.

Zu den Eichfeldern. Ich vermute, das Problem, welches man hier sehen könnte, ist deren Unterbestimmtheit auf Grund der Eichfreiheit. Ich glaube aber nicht, daß man um die Eichpotentiale als real anzusehen, behaupten muß es gäbe eine ausgezeichnete Eichung. Die Behauptung die Zeit sei eine reale Größe impliziert ja auch nicht, daß es eine absolute Zeit gibt. So wie Zeit relativ zu einem gegebenen Bezugssystem in der Raumzeit ist, ist das Eichpotential relativ zu einer lokalen Trivialisierung meines Hauptfaserbündels. Wem das immer noch zu beliebig ist, der faßt einfach alle diese Potentiale zu einer Größe, dem Zusammenhang auf dem gegebenen Hauptfaserbündel zusammen. Das ist wiederum eine Stufe abstrakter, aber Abstraktheit ist für mich kein Ausschlußkriterium für real.

Insofern halte ich es, trotz Eichfreiheit, zumindest für möglich, genau die Eichfelder als die Elemente der Realität zu betrachten. Möglicherweise erhöht dies sogar den empirischen Gehalt der Theorie, wenn wir fordern, daß alle Feldstärken die Ableitungen von Eichpotentialen sind. Denn damit behaupten wir zumindest, daß nicht nur eine Näherung ist. Wenn dies stimmt, wäre nach meinem Kriterium sogar als Element der Realität gegenüber zu bevorzugen.

Zitat:

Ich gehe ja deine Überlegungen und derartige Aussagen mit, aber es sollte klar sein, dass selbst wenn die Theorie wahr im bisherigen Sinne der empirischen Überprüfbarkeit wäre, diese Aussagen immer noch nicht überprüfbar wären.


Also zunächst mal spreche ich ja nicht von "wahr" im empirischen Sinne, sondern in dem alltäglichen Sinne, nach dem der Satz "Das Gras ist grün." äquivalent ist zu "Der Satz 'Das Gras ist grün' ist wahr.", der von Tarski präzisiert wurde und von dem Popper behauptet, daß man ihn entweder akzeptiert oder nicht verstanden hat. Jedenfalls hat dies nichts damit zu tun, ob ich Gras beobachten kann.

Außerdem scheinst du hier "prüfbar" mit "definitiv entscheidbar" gleichzusetzen. Die Prüfung einer Theorie erfolgt natürlich durch Vergleich ihrer Vorhersagen mit akzeptierten Beobachtungsaussagen. Diese Prüfung fällt nie definitiv zugunsten der Theorie aus. Fällt sie negativ aus, so betrifft dieses Urteil die Gesamtheit aller zur Ableitung der falschen Vorhersage verwendeten Behauptungen der Theorie. Dazu können auch gewisse Existenzbehauptungen gehören. Zumindest können wir uns entscheiden zur Korrektur der Theorie einige dieser Existenzaussagen aufzugeben. In diesem Sinne ist die Ontologie der Theorie empirisch prüfbar, und es ist m.E. derselbe Sinn, in dem jede wissenschaftlich begründete Aussage prüfbar ist. (Das heißt nie endgültig affirmativ, aber möglicherweise negativ.)

Genau diese Situation haben wir auch mit der Quantenmechanik erlebt. Nämlich in Bezug auf die Unmöglichkeit der realen Existenz lokaler verborgener Variablen. Dies ist ein empirischer Fakt gestützt durch die experimentell bestätigte Verletzung der Bellschen Ungleichungen. (Allerdings ein verneinendes Ergebnis, wie immer.)

Zitat:

Der Erwartungswert <F²> in mehreren Experimenten ist beobachtbar, A oder |ψ> jedoch nicht.


Das mag ja sein, aber wir reden immer noch von "real", nicht von "beobachtbar", oder? In letzter Zeit vermischt du beides auf recht untypische Weise. Das macht mich gerade wieder etwas stutzig.

Zitat:

D.h. der Satz „Bei Präparation eines Zustandes ... werden wir mittels Messung ... im Mittel den Erwartungswert <F²> erhalten“ ist empirisch überprüfbar. Eine analoge Aussage ist für A oder |ψ> anstelle von <F²> nicht formulierbar.

D.h. nun nicht, dass ich deine Überlegungen nicht mitgehe. Ich weise lediglich darauf hin, dass sie nicht empirisch nachprüfbar sind, weil dies eben zwar für <F²> funktioniert, nicht jedoch für A oder |ψ>.

Darüberhinaus hinaus müssten wir die Aussage noch verschärfen, denn zur Repräsentation einer Realität in einem Experiment ist der Erwartungswert natürlich ungeeignet; |ψ><ψ| wäre ein guter Kandidat.


"Erwartungswert" ist eine konkrete Interpretation von , die mehr oder weniger von der Bornschen Regel und der statistischen Interpretation ausgeht. Bezeichne einfach als "objektiven Wert" von im Zustand . Dieser Wert kann unter Umständen nicht in einem einzigen Experiment mit aussagekräftiger Genauigkeit gemessen werden, sondern erfordert vielleicht viele Experimente. Aber spricht das schon dagegen, daß er die Realität repräsentiert? Ich denke eigentlich nicht.

(Ich behaupte auch nicht das sei eine ausgegorene Ontologie der QM, aber es erscheint mir im Augenblick als recht vielversprechende Möglichkeit.)

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Sicherlich gibt es in der QM besondere Interpretationsprobleme. Ich sehe allerdings keinen überzeugenden Grund für die Behauptung, die Theorie liefere keine Grundlage für eine klare und verständliche Ontologie.

Nun ja, wenn du an die Ensemble-Interpretation glaubst, dann repräsentiert |ψ> kein Element der Realität. Wenn du an eine Kollapsinterpretation glaubst, dann kann |ψ> kein Element der Realität repräsentieren, da die KI m.E. an dieser Stelle logisch inkonsistent ist; erstens erklärt sie nicht, was eine Messung ist; und zweitens existieren zwei sich widersprechende Dynamiken, einerseits die unitäre, andererseits der Kollaps. Wenn du Everett folgst, glaubst du an die vielen Welten.

Dies zeigt, dass der selbe oder zumindest ähnliche Formalismus je nach Interpretation völlig unterschiedliche ontologische Sichtweisen zulässt - oder in bestimmten Interpretationen sogar ontologische Sichtweisen verbietet. macht.


Absolut korrekt. Das halte ich für möglich. (Allerdings nicht nur in der QM, siehe auch meine eigenen Gedanken dazu oben.) Wir scheinen uns nur nicht einig zu sein, welche Schlüsse man daraus ziehen sollte. Für mich folgt daraus höchstens, daß wir die Frage nach der Ontologie nie definitiv entscheiden können. Aber überrascht uns das? Wir erwarten doch auch sonst kein unfehlbares Wissen von der Physik. Warum sollten wir ausgerechnet in ontologischen Fragen etwas anderes erwarten?

Und daß die Empirie uns hier gar keinen Anhaltspunkt liefern kann, sehe ich nicht so. Sie schränkt die Möglichkeiten ein, aber legt sie nicht auf eine eindeutige Lösung fest.
TomS
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Beitrag TomS Verfasst am: 22. Jun 2019 08:18    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
TomS hat Folgendes geschrieben:
Wäre deine Meinung nach der Zustandsvektor ein geeigneter Repräsentant?


Ja, oder allgemeiner der Operator und alle seine Eigenschaften. Dazu zähle ich z.B. alle Größen . Ich sehe ein, daß von diesen nicht alle empirisch zugänglich sind. Allerdings erwarte ich das ohnehin nicht von allen Elementen der Realität.

Zustimmung.

Der Zustandsvektor alleine ist ja ein bedeutungsloses Gebilde in einem strukturlosen Hilbertraum; Bedeutung erlangt er erst durch ein spezielles U(t) sowie die weitere Operatoralgebra des Systems.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Hier sieht es aber so aus, als würdest du die Unbeobachtbarkeit als Problem für die Ontologie ansehen. (Es ist sicher ein Problem für unsere Entscheidung für eine Ontologie, aber wir können von einer empirischen Wissenschaft nicht erwarten, daß solche Entscheidungen eindeutig sind, siehe auch unten.)

Nein, ich sehe - genau wie du - die Unbeobachtbarkeit als Problem für die Entscheidung bzw. Bewertung bzgl. einer Ontologie.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
... Auch diese Größen ergeben sich mit Hilfe des Zustands. Also verstehe ich auch nicht, warum du sagst, wir fänden ihn in unseren Beobachtungen nicht wieder. Wir machen doch recht definitive Aussagen über den Zustandsvektor auf Basis von Beobachtungen.

Das ist sekundär im Sinne der Bewertung der Ontologie. Aber wir beobachten nun mal nicht den Zustandsvektor direkt, sondern lediglich die Eigenschaften eines Systems, die mittels Zustandsvektor plus Observablen formuliert werden.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Wie verhält es sich bei Eichfelder und der Eichfixierung? Wie verhält es sich mit dem Zustansvektor - angesichts der unterschiedlichen Interpretationen der Quantenmechanik?


Ich denke das sind zwei verschiedene Probleme mit ganz unterschiedlichen Antworten.

Zunächst zum Zustandsvektor. Ich halte es für durchaus möglich, daß ein und dieselbe physikalische Theorie keine eindeutige Ontologie liefert.

Zustimmung.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zu den Eichfeldern. Ich vermute, das Problem, welches man hier sehen könnte, ist deren Unterbestimmtheit auf Grund der Eichfreiheit. Ich glaube aber nicht, daß man um die Eichpotentiale als real anzusehen, behaupten muß es gäbe eine ausgezeichnete Eichung.

Zustimmung.

Mir schwebt so etwas wie die Äquivalenzklassen der Felder modulo Eichtransformation vor, aber so kann man das nur im Pfadintegral formulieren, und auch da mathematisch nicht sauber.

Evtl. liefert BRST mehr, aber da kenne ich mich zu wenig aus.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Nun ja, wenn du an die Ensemble-Interpretation glaubst, dann repräsentiert |ψ> kein Element der Realität. Wenn du an eine Kollapsinterpretation glaubst, dann kann |ψ> kein Element der Realität repräsentieren, da die KI m.E. an dieser Stelle logisch inkonsistent ist; erstens erklärt sie nicht, was eine Messung ist; und zweitens existieren zwei sich widersprechende Dynamiken, einerseits die unitäre, andererseits der Kollaps. Wenn du Everett folgst, glaubst du an die vielen Welten.

Dies zeigt, dass der selbe oder zumindest ähnliche Formalismus je nach Interpretation völlig unterschiedliche ontologische Sichtweisen zulässt - oder in bestimmten Interpretationen sogar ontologische Sichtweisen verbietet.


Absolut korrekt. Das halte ich für möglich. (Allerdings nicht nur in der QM, siehe auch meine eigenen Gedanken dazu oben.) Wir scheinen uns nur nicht einig zu sein, welche Schlüsse man daraus ziehen sollte. Für mich folgt daraus höchstens, daß wir die Frage nach der Ontologie nie definitiv entscheiden können. Aber überrascht uns das? Wir erwarten doch auch sonst kein unfehlbares Wissen von der Physik. Warum sollten wir ausgerechnet in ontologischen Fragen etwas anderes erwarten?

Wir sind und da einig, ich wollte lediglich darauf aufmerksam machen.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Und daß die Empirie uns hier gar keinen Anhaltspunkt liefern kann, sehe ich nicht so. Sie schränkt die Möglichkeiten ein, aber legt sie nicht auf eine eindeutige Lösung fest.

Die Empirie liefert uns bzgl. der ontologischen Fragen keine weiteren Anhaltspunkte; sie schränkt die Möglichkeiten der physikalischen Theorie gemäß Popper ein und lässt uns dann mit deren ontologischen Interpretationen alleine.

Frage: du scheinst den kanonischen Formalismus anstelle des Pfadintegrals zu bevorzugen; warum?

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Beitrag index_razor Verfasst am: 22. Jun 2019 10:34    Titel: Antworten mit Zitat

Es ist zunächst mal erfreulich, daß so viel Übereinstimmung besteht.

TomS hat Folgendes geschrieben:

Das ist sekundär im Sinne der Bewertung der Ontologie. Aber wir beobachten nun mal nicht den Zustandsvektor direkt, sondern lediglich die Eigenschaften eines Systems, die man mittels Zustandsvektor plus Observablen formuliert.

[...]

Die Empirie liefert uns bzgl. der ontologischen Fragen keine weiteren Anhaltspunkte; sie schränkt die Möglichkeiten der physikalischen Theorie gemäß Popper ein und lässt uns dann mit deren ontologischen Interpretationen alleine.


Hier muß ich nochmal nachfragen, denn ich verstehe deinen Standpunkt immer noch nicht. Zunächst nochmal eine Zusammenfassung meiner Auffassung:

Eine Ontologie ist eine Menge von Behauptungen darüber, was existiert. Ich denke davon enthält jede physikalische Theorie eine Menge. Wir müssen uns, eine konkrete Theorie vorausgesetzt, nur noch entscheiden welche ihrer Objekte wir als Bestandteile der Realität ansehen und welche lediglich "bequeme Sprechweisen" sind, um gewissermaßen zum Preis "komplexer Gebilde" einfachere Aussagen formulieren zu können.*)

Entscheiden müssen wir uns wahrscheinlich deshalb, da unsere Ontologie sonst überbevölkert wird von redundanten "Dingen". Nur diese Entscheidung wird uns nicht abgenommen. Aber das ist in jeder Theorie der Fall, nicht nur in der QM. Deswegen habe ich vorgeschlagen an dieser Stelle Ockham um Rat zu fragen und einen Minimalsatz solcher Dinge zu verwenden.

__________
*) Extrembeispiel: Wenn wir alles mit Hilfe direkter Sinneswahrnehmungen formulieren, werden unsere Aussagen komplex und nicht nachvollziehbar. Also "erfinden" wir Objekte, die die Zeit zwischen zwei Wahrnehmungen existieren und für deren Kohärenz sorgen. Dann können wir z.B. einfach sagen "Der blaue Ball bewegt sich nach links", anstatt "Blaues erscheint zusammen mit Rundem am rechten Rand des Gesichtsfeldes, später erscheint Blaues und Rundes am linken Rand des Gesichtsfeldes und das Blaue überdeckt in beiden Fällen das Runde vollständig."

***

Physikalisches Beispiel zur Erläuterung meines Prinzips: Wir können die E-Dynamik als komplexe Existenzaussage für den Tensor F formulieren:

"Es existiert eine 2-Form F auf der Raumzeit, die hinreichend glatt ist und die die beiden Gleichungen und erfüllt." (M)

(Andere Aussagen über Existenz und Eigenschaften von , sowie eine Beschreibung der Raumzeit muß es in einer vollständigen Theorie natürlich auch noch geben.)

Wenn wir bei (M) bleiben, und die Theorie korrekt ist, dann existiert also (siehe Tarski) ein Ding X auf irgendeinem anderen Ding Y, welches eine Eigenschaft G hat. Eine mögliche Interpretation ist nun Y=reales Ding, welches wir als "Raumzeit" beschreiben, X=reales Ding, welches wir als "EM-Feld" beschreiben und G=reale Eigenschaften, die wir als '... ist glatt und erfüllt die Maxwellgleichungen' beschreiben. Das ist die Ontologie der Theorie.

Nun können wir aber die Theorie noch weiter untersuchen, und unter bestimmten Voraussetzungen weiteres ableiten, z.B.

"Es existiert eine 1-Form auf der Raumzeit, so daß , etc."

("Etc." steht für eine Liste von Eigenschaften, die wir über A aus (M) ableiten können.)

Wir erhalten dann eine Theorie über A, die physikalisch äquivalent ist zur Theorie über F. Lediglich der Fokus liegt in beiden Varianten auf jeweils anderen Objekten. Wir können empirisch nicht zwischen beiden Varianten unterscheiden. Es sei denn, wir interpretieren irgendeinen Erfahrung dahingehend, daß sie uns an unseren Argumenten bzgl. der Äquivalenz der beiden Varianten zweifeln läßt. Da dies hauptsächlich mathematische Argumente waren, ist das unwahrscheinlich, aber nicht logisch unmöglich. Schließen wir diese Möglichkeit mal aus, brauchen wir an dieser Stelle also andere Kriterien wie Einfachheit.

Vielleicht ist A einfacher, weil es nur 4 Komponenten minus Eichfreiheitsgrad enthält, anstatt 16 Komponenten, von denen nur 6 unabhängig sind. Oder vielleicht ist A komplizierter, weil es nicht so schöne Gleichungen erfüllt. Das ist zugegebenermaßen nicht trivial definitiv zu entscheiden.

Nun meine Fragen:

1) Stimmst du zu, daß dies die einzige Art von "ontologischen Fragen" sind, über die uns die Theorie keine weiteren Anhaltspunkte liefert? Denn mir kommt die Frage ob A oder F existiert nur als recht unbedeutender Teilaspekt der eigentlichen Frage vor, die lautet "Was existiert?". Wenn wir bereits die Erkenntnis hätten (wie du in einem vorigen Beitrag vorausgesetzt hast), daß mindestens eines dieser mit A und F gleichwertigen Dinge existiert, weil die Theorie korrekt ist, dann hätten wir den Großteil der Frage schon beantwortet.

Findest du stattdessen die Frage, welche der Dinge in einer korrekten Theorie existieren wichtiger als die Frage welche einander widersprechenden Existenzbehauptungen aus unterschiedlichen Theorien stimmen? Wenn nicht verstehe ich nicht, wie du behaupten kannst die Empirie lasse uns "mit der ontologischen Interpretation alleine". Ich kann das nur so verstehen, daß du tatsächlich die Entscheidung zwischen A und F für wichtiger hältst, als die Erkenntnis, daß A oder F (oder gleichwertiges) existieren. Und das kommt mir äußerst eigenartig vor. (Ich habe gerade den starken Eindruck, daß sich unsere Diskussion genau um diesen Punkt dreht.)

2) Siehst du in Bezug auf die nichtentscheidbaren ontologischen Fragen einen fundamentalen Unterschied zwischen der klassischen Physik, wie oben am Beispiel der Elektrodynamik, und der Quantentheorie? Ich nämlich nicht. Die Aussage "Wir beobachten nun mal nicht den Zustandsvektor direkt, sondern lediglich die Eigenschaften eines Systems, die man mittels Zustandsvektor plus Observablen formuliert." kann man 1-zu-1 auf jede klassische Theorie übersetzen:

a) "Wir beobachten nunmal nicht F (den Feldstärketensor) direkt, sondern lediglich die Eigenschaften eines Systems, die man mittels F plus j formuliert."

b) "Wir beobachten nunmal nicht die Kraft direkt, sondern lediglich die Eigenschaften eines Systems, die man mittels Kraft plus Masse und Anfangsbedingungen formuliert."

Aber wir waren uns einig, daß der Unterschied zwischen "direkt" und "indirekt" beobachtbar nicht scharf definiert werden kann. Je nachdem was man also unter "direkt beobachtbar" versteht, kann man es sicher einrichten, daß alle diese Aussagen stimmen oder nur einige von ihnen oder gar keine. Deswegen bezweifle ich, daß deine Aussage über den Zustandsvektor irgendeine Relevanz hat.

3) Wenn du meine Ansicht in diesen Punkten nicht teilst, welche Möglichkeit siehst du überhaupt, die offenen ontologischen Fragen zu diskutieren? Es erscheint mir so, als würdest du die Frage schon so formulieren wollen, daß eine Antwort entweder unmöglich ist oder jede Antwort so gut erscheint wie jede andere. Du hast ja auch an mehreren Stellen behauptet, daß die verschiedenen Standpunkte eigentlich unhinterfragbar sind. Wenn dies deine Ansicht ist, bleibt doch eigentlich nichts von Interesse zum Diskutieren übrig.

4) Habe ich etwas übersehen?
index_razor



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Beitrag index_razor Verfasst am: 22. Jun 2019 12:28    Titel: Antworten mit Zitat

PS. Einige deiner Bemerkungen hatte ich offenbar beim erste Lesen übsersehen oder du hast sie ergänzt als ich gerade schon beim Schreiben war. Deswegen noch ein paar Ergänzungen.


TomS hat Folgendes geschrieben:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zu den Eichfeldern. Ich vermute, das Problem, welches man hier sehen könnte, ist deren Unterbestimmtheit auf Grund der Eichfreiheit. Ich glaube aber nicht, daß man um die Eichpotentiale als real anzusehen, behaupten muß es gäbe eine ausgezeichnete Eichung.

Zustimmung.

Mir schwebt so etwas wie die Äquivalenzklassen der Felder modulo Eichtransformation vor, aber so kann man das nur im Pfadintegral formulieren, und auch da mathematisch nicht sauber.

Evtl. liefert BRST mehr, aber da kenne ich mich zu wenig aus.


Ich sprach an dieser Stelle eigentlich nur von klassischen Eichfeldern. Pfadintegrale benötige ich da also nicht, sondern nur einen Zusammenhang auf einem Hauptfaserbündel. (Das ist im wesentlichen dasselbe wie die Äquivalenzklasse von Eichfeldern modulo Eichtransformation.)

Die ganzen Herausforderungen bei der Quantisierung von Eichtheorien sind meinem Eindruck nach technischer Natur, die wohl wenig direkten Einfluß auf die Ontologie der Theorie haben können. Oder siehst du das anders? Wenn die Theorie aus irgendwelchen Gründen nicht mal mathematisch wohldefiniert ist, ist die Frage nach ihrer Ontologie eher zweitrangig.


Zitat:

Frage: du scheinst den kanonischen Formalismus anstelle des Pfadintegrals zu bevorzugen; warum?


Nein eigentlich nicht, wie kommst du darauf?
TomS
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Anmeldungsdatum: 20.03.2009
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Beitrag TomS Verfasst am: 22. Jun 2019 13:30    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Die ganzen Herausforderungen bei der Quantisierung von Eichtheorien sind meinem Eindruck nach technischer Natur, die wohl wenig direkten Einfluß auf die Ontologie der Theorie haben können. Oder siehst du das anders?

Nun, es ist schon ein Unterschied, ob du zwei physikalische Polarisationen der Eichfelder hast, oder eben auch unphysikalische plus „Geister“.

index_razor hat Folgendes geschrieben:

Zitat:
Frage: du scheinst den kanonischen Formalismus anstelle des Pfadintegrals zu bevorzugen; warum?


Nein eigentlich nicht, wie kommst du darauf?

Weil du - genau wie ich - immer im kanonischen Formalismus argumentierst.

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Deep Purple



Anmeldungsdatum: 06.05.2019
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Beitrag Deep Purple Verfasst am: 22. Jun 2019 21:23    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
Ein naiver Realismus auf Basis der Entitäten der Quantenfeldteorie ist momentan das beste, was ich sehe - trotz Everett, dessen Schlussfolgerungen ich akzeptieren kann. Ich denke jedoch nicht, dass das die endgültige Lösung sein kann, weil die Quantenfeldteorie nichts zur Raumzeit sagt, und weil wir gleichzeit wissen, dass die ART dies zwar tut, jedoch die Kombination von ART und Quantenfeldteorie sicher inkonsistent ist.

Ich würde naiven durch konstruktiven Realismus ersetzen, denn angesichts der Tatsache, dass es einen Unterschied macht, ob wir von einem Zustand an sich sprechen oder von dessen Beschreibung per Zustandsvektor, unterscheiden wir ja zw. Realität und ihrer Re-Konstruktion und wollen deren Beziehung zueinander klären.

Ja, die QFT ist nochmal eine Nummer härter, obwohl ich da nicht wirklich mehr durchblicke. Allein die Entstehung war ja schon abenteuerlich.

Aber eines der Themen scheint wohl die Fundamentalität zu sein, das ich sehr spannend finde.
Einstein hat mal sinngemäß geschrieben, dass in einer Feldphysik „ein durch die Luft geworfener Stein, nichts anderes ist, als eine Felderregung mit der höchsten Feldstärke“.
Das scheint mir eine schöne Vorstellung zu sein, weil sie die Synthese, die Lösung des Teilchen-oder-Feld - Widerspruchs sein könnte, bin mir aber nicht sicher, ob man das aus der QFT so ohne weiteres ableiten kann. Außerdem wissen wir ja von S. Hossenfelder, dass richtige Glg. nicht schön sein müssen!

Offensichtlich kann man hier mit klassischen Begriffen nicht mehr viel ausrichten, z.B. müsste klar sein, was wir unter Teilchen verstehen wollen.
Aber vllt. kannst du mal einen kurzen Abriss deiner Sicht auf die QFT geben und worum es dir geht?
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 23. Jun 2019 08:25    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
Die ganzen Herausforderungen bei der Quantisierung von Eichtheorien sind meinem Eindruck nach technischer Natur, die wohl wenig direkten Einfluß auf die Ontologie der Theorie haben können. Oder siehst du das anders?

Nun, es ist schon ein Unterschied, ob du zwei physikalische Polarisationen der Eichfelder hast, oder eben auch unphysikalische plus „Geister“.


Ja, das ist ein Unterschied. Aber die Theorie behauptet ja nicht, daß unphysikalische Freiheitsgrade existieren, sondern daß sie nicht existieren. (Deswegen sind sie ja unphysikalisch.) Die Geister sind lediglich ein Artefakt, um diesen Sachverhalt in jeder Ordnung Störungstheorie manifest zu machen. Wenn du keine Feynmanregeln aufstellen willst, mußt du m.E auch keine Geisterfelder einführen. Damit sind sie nicht realer als virtuelle Teilchen.

Zitat:

Weil du - genau wie ich - immer im kanonischen Formalismus argumentierst.


Also normalerweise würde ich wohl nicht auf Pfadintegrale zurückgreifen, wenn es nicht aus irgendwelchen Gründen notwendig wäre. Das heißt dann wohl, daß ich wirklich andere Formulierungen bevorzuge. Aber einen tieferen Grund gibt es dafür nicht, das ist nur persönlicher Geschmack.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18062

Beitrag TomS Verfasst am: 23. Jun 2019 09:10    Titel: Antworten mit Zitat

Deep Purple hat Folgendes geschrieben:
TomS hat Folgendes geschrieben:
Ein naiver Realismus auf Basis der Entitäten der Quantenfeldteorie ist momentan das beste, was ich sehe - trotz Everett, dessen Schlussfolgerungen ich akzeptieren kann. Ich denke jedoch nicht, dass das die endgültige Lösung sein kann, weil die Quantenfeldteorie nichts zur Raumzeit sagt, und weil wir gleichzeit wissen, dass die ART dies zwar tut, jedoch die Kombination von ART und Quantenfeldteorie sicher inkonsistent ist.

Ich würde naiven durch konstruktiven Realismus ersetzen, denn angesichts der Tatsache, dass es einen Unterschied macht, ob wir von einem Zustand an sich sprechen oder von dessen Beschreibung per Zustandsvektor, unterscheiden wir ja zw. Realität und ihrer Re-Konstruktion und wollen deren Beziehung zueinander klären.

Ok, der Begriff ist evtl. nicht glücklich gewählt.

Ich hatte das als Analogon zur Newtonschen Mechanik verstanden: in der Realität existieren Massenpunkte in einem absoluten Raum; die Newtonschen Mechanik beschreibt Massenpunkte mittels Punkten (Vektoren) in einem Vektorraum. Alles recht anschaulich.

In der QM oder QFT ist das nicht so einfach, da man weder einen direkten und anschaulichen Zugang zu den Phänomenen hat, noch einen anschaulichen Zugang zu den mathematischen Strukturen. Jetzt dennoch letztere als direkte Repräsentanten der Natur aufzufassen erscheint zunächst recht naiv; man muss eigtl. ziemlich viel Gehirnschmalz in diese ontologische Diskussion reinstecken - aber welcher Physiker tut das schon?

Deep Purple hat Folgendes geschrieben:
Ja, die QFT ist nochmal eine Nummer härter, obwohl ich da nicht wirklich mehr durchblicke. Allein die Entstehung war ja schon abenteuerlich.

Die QFT ist bzgl. der ontologischen Diskussion sogar einfacher als die QM; sie kann bzgl. der quantenmechanischen Strukturen identisch zur QM betrachtet werden, enthält jedoch ein einfaches Bild der Raumzeit entsprechend der SRT bzw. ART.

Die Entstehung der QFT sollte nicht die finale Struktur verschleiern. Und die oft gewählte Darstellung mittels Feynmandiagrammen ist insofern irreführend, als zumeist übersehen wird, dass es sich dabei lediglich um eine Näherung handelt, die nur in Spezialfällen zutreffend ist, und deren einzelne Terme daher ein schlechter Ansatzpunkt für eine Ontologie sind.

Deep Purple hat Folgendes geschrieben:
Einstein hat mal sinngemäß geschrieben, dass in einer Feldphysik „ein durch die Luft geworfener Stein, nichts anderes ist, als eine Felderregung mit der höchsten Feldstärke“.
Das scheint mir eine schöne Vorstellung zu sein, weil sie die Synthese, die Lösung des Teilchen-oder-Feld - Widerspruchs sein könnte, bin mir aber nicht sicher, ob man das aus der QFT so ohne weiteres ableiten kann.

Dummerweise hilft diese auf der klassischen Feldtheorie beruhende Idee absolut nicht weiter *)

Deep Purple hat Folgendes geschrieben:
Aber vllt. kannst du mal einen kurzen Abriss deiner Sicht auf die QFT geben und worum es dir geht?

Nur ganz kurz: im Rahmen der QFT ist es wiederum der Zustandsvektor im Hilbertraum, die die Gesamtheit der „Eigenschaften“ eines physikalischen Systems kodiert. Auch die Zeitentwicklung kann formal mittels einer Schrödingergleichung bzw. des Zeitentwicklungsoperators U(t) = exp[-iHt] formuliert werden. „Teilchen“ werden lediglich durch spezielle Zustandsvektoren beschrieben, nämlich solche, in denen verschiedene Größen (hinreichend) scharfe Werte haben.

*) Die wesentliche Schwierigkeit bzw. das wesentliche Missverständnis bei einer ontologischen Interpretation steckt im Feldbegriff. In der Maxwellschen Elektrodynamik wird die Feldverteilung mit allen daraus ableitbaren Eigenschaften wir Energie, Impuls, Drehimpuls, ... z.B. durch das Eichfeld A(x,t) kodiert. In der Quantenelektrodynamik wird der Zustand durch einen Zustandsvektor |ψ> kodiert, aus dem in nullter = klassischer Näherung die Feldverteilung mit den o.g. Eigenschaften abgeleitet werden kann. Weitere nicht-klassische Eigenschaften würden z.B. in (unendlich vielen) Korrelationsfunktionen stecken, die wiederum aus dem Zustandsvektor |ψ> abgeleitet werden können. Ontologisch sparsamer ist es natürlich, |ψ> selbst als Repräsentant der Realität aufzufassen. Damit ist der Feldbegriff mit der Feldverteilung und den Korrelationsfunktionen auf der fundamentalen Ebene verschwunden. Das Eichfeld A(x,t) wird - die Problematik der Eichfixierung klammere ich zunächst aus - in ein mathematisches Gebilde namens Feldoperator A(x,t) übersetzt; dieser Feldoperator trägt jedoch keinerlei Eigenschaften eines Zustandes sondern ist - unabhängig vom konkret realisierten Zustand - immer der selbe!

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Beitrag TomS Verfasst am: 23. Jun 2019 09:19    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Die Geister sind lediglich ein Artefakt ...

Du hast recht.

Worauf ich hinauswollte ist, dass es keine einheitliche oder universelle Ontologie gibt, sondern dass man je Eichung unterschiedliche Ontologien erhält, und zwar sowohl im kanonischen als auch im Pfadintegralformalismus. Das Bild „Faserbündel“ bzw. „Äquivalenzklasse modulo Eichsymmetrie“ kann man in der QFT - im Gegensatz zur klassischen Feldtheorie - in keinem Formalismus wirklich durchhalten, man muss eben immer die Eichung fixieren und konkret arbeiten zu können.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Also normalerweise würde ich wohl nicht auf Pfadintegrale zurückgreifen, wenn es nicht aus irgendwelchen Gründen notwendig wäre. Das heißt dann wohl, daß ich wirklich andere Formulierungen bevorzuge. Aber einen tieferen Grund gibt es dafür nicht, das ist nur persönlicher Geschmack.

Ich kenne keine fundamentale Diskussion der QM oder ihrer Interpretationen im Pfadintegralformalismus. Ich sehe letzteren rein als Rechenwerkzeug.

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Beitrag index_razor Verfasst am: 23. Jun 2019 10:45    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
Die Geister sind lediglich ein Artefakt ...

Du hast recht.

Worauf ich hinauswollte ist, dass es keine einheitliche oder universelle Ontologie gibt, sondern dass man je Eichung unterschiedliche Ontologien erhält, und zwar sowohl im kanonischen als auch im Pfadintegralformalismus.


Ich wollte ja zunächst nur eichinvariante Größen wie den Tensor F in die Ontologie stecken. Dies ist, denke ich, auch die naive Interpretation der klassischen Eichtheorie: real sind nur Feldstärken, die Eichpotentiale sind lediglich "Rechengrößen". Ich denke diese Sichtweise ist genauso gut in der klassischen, wie in der Quantenfeldtheorie möglich. Mit "genauso gut möglich" meine ich allerdings nicht unbedingt, daß es überhaupt möglich ist.

Mein eigener Ausgangsunkt war ja, lediglich die Existenzbehauptungen der Theorie ernst zu nehmen. Wenn ich eine ernst nehme, muß ich aber -- Ockham hin oder her -- auch alle ernst nehmen, die logisch aus ihr folgen, ob das nun redundant ist oder nicht. Das schließt unter geeigneten topologischen Voraussetzungen auch die Existenz der Eichfelder mit ein. Das ist die schlechteste Lösung des ontologischen Problems mit Ausnahme aller Alternativen, die mir einfallen.

Zitat:

Das Bild „Faserbündel“ bzw. „Äquivalenzklasse modulo Eichsymmetrie“ kann man in der QFT - im Gegensatz zur klassischen Feldtheorie - in keinem Formalismus wirklich durchhalten, man muss eben immer die Eichung fixieren und konkret arbeiten zu können.


Das ist richtig. Genauso richtig ist aber, daß man immer ein generalisiertes Koordinatensystem wählen muß um konkret mit der klassischen Lagrange-Mechanik arbeiten zu können. Das bedeutet nicht, das Lagrange-Mechanik irgendetwas anderes ist, als Differentialgeometrie auf dem Tangentialbündel des Konfigurationsraums.

Die Möglichkeit eine Eichung zu wählen gehört mit zur Grundausstattung von Hauptfaserbündeln (dort als "lokaler Schnitt" bekannt). Ich verstehe nicht, warum die praktische Notwendigkeit für eine solche Wahl gegen das Faserbündel sprechen sollte.

Zitat:

Ich kenne keine fundamentale Diskussion der QM oder ihrer Interpretationen im Pfadintegralformalismus. Ich sehe letzteren rein als Rechenwerkzeug.


Ja, ich auch.


Zuletzt bearbeitet von index_razor am 23. Jun 2019 11:21, insgesamt einmal bearbeitet
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Beitrag index_razor Verfasst am: 23. Jun 2019 11:01    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:

*) Die wesentliche Schwierigkeit bzw. das wesentliche Missverständnis bei einer ontologischen Interpretation steckt im Feldbegriff. In der Maxwellschen Elektrodynamik wird die Feldverteilung mit allen daraus ableitbaren Eigenschaften wir Energie, Impuls, Drehimpuls, ... z.B. durch das Eichfeld A(x,t) kodiert. In der Quantenelektrodynamik wird der Zustand durch einen Zustandsvektor |ψ> kodiert, aus dem in nullter = klassischer Näherung die Feldverteilung mit den o.g. Eigenschaften abgeleitet werden kann. Weitere nicht-klassische Eigenschaften würden z.B. in (unendlich vielen) Korrelationsfunktionen stecken, die wiederum aus dem Zustandsvektor |ψ> abgeleitet werden können. Ontologisch sparsamer ist es natürlich, |ψ> selbst als Repräsentant der Realität aufzufassen. Damit ist der Feldbegriff mit der Feldverteilung und den Korrelationsfunktionen auf der fundamentalen Ebene verschwunden.


Du benötigst immer Zustand und Feld zusammen. Jede der beiden Größen ist bildabhängig und hat für sich allein genommen nicht viel Bedeutung. Deswegen scheinen mir etc. geeignetere Kandidaten für quantenfeldtheoretische "Beables" (sprich: "physikalische Größen") zu sein, nicht Feld oder Zustand allein.
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Beitrag TomS Verfasst am: 23. Jun 2019 18:56    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Ich wollte ja zunächst nur eichinvariante Größen wie den Tensor F in die Ontologie stecken ... [damit] meine ich allerdings nicht unbedingt, daß es überhaupt möglich ist.

Ich halte es - nach allem was wir heute wissen - für unmöglich.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Das schließt unter geeigneten topologischen Voraussetzungen auch die Existenz der Eichfelder mit ein. Das ist die schlechteste Lösung des ontologischen Problems mit Ausnahme aller Alternativen, die mir einfallen... die Möglichkeit eine Eichung zu wählen gehört mit zur Grundausstattung von Hauptfaserbündeln (dort als "lokaler Schnitt" bekannt). Ich verstehe nicht, warum die praktische Notwendigkeit für eine solche Wahl gegen das Faserbündel sprechen sollte.

Ich halte diese Lösung für naheliegend, ich sehe nur keine quantenfeldtheoretische Entsprechung für die „Menge aller Äquivalenzklasse über den Eichfeldern“. Es ist ja nicht nur so wie in der klassischen Feldtheorie, dass man „Schnitte“ durch das Faserbündel definiert, man ändert den konkreten Gehalt der Felder und insbs. die Form des eichfixierten Hamiltonians. Das ist das einzige, was mich stört.

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Zuletzt bearbeitet von TomS am 23. Jun 2019 22:15, insgesamt einmal bearbeitet
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Beitrag TomS Verfasst am: 23. Jun 2019 19:06    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Du benötigst immer Zustand und Feld zusammen. Jede der beiden Größen ist bildabhängig und hat für sich allein genommen nicht viel Bedeutung. Deswegen scheinen mir etc. geeignetere Kandidaten für quantenfeldtheoretische "Beables" (sprich: "physikalische Größen") zu sein, nicht Feld oder Zustand allein.

Jetzt lehne ich mich mal aus dem Fenster.

Ich denke, die Everettsche Interpretation löst das Problem zu einem großen Teil.

Alle von dir eingeführten „Beables“ sind abgeleitete Größen. In der Everettsche Interpretation fallen jedoch die Eigenzustände von Observablen nicht vom Himmel, sondern es handelt sich um spezielle, „stabile Verzweigungen“ im Zuge einer Messung, die vollständig durch U(t) = exp[-iHt] ausgedrückt wird. D.h. bei Everett existiert fundamental nur der Zustand - und der ist strukturlos bzw. generisch - und der Hamiltonian.

(Ich gebe natürlich zu, dass hier keineswegs Einigkeit bzgl. Everett besteht)

Wenn ich ganz naiv einen Würfel aus Silber als existent ansehe, dann muss ich ihm nicht die Eigenschaft „silbern“ zusätzlich „aufkleben“; diese ist ja in „Würfel aus Silber“ und in einer fundamentalen Ontologie implizit enthalten.

Dein Ansatz erinnert an die Haltung von A. Neumaier und seine „thermische Interpretation“ der QM.

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Beitrag Deep Purple Verfasst am: 25. Jun 2019 13:57    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
Nur ganz kurz: im Rahmen der QFT ist es wiederum der Zustandsvektor im Hilbertraum, die die Gesamtheit der „Eigenschaften“ eines physikalischen Systems kodiert. Auch die Zeitentwicklung kann formal mittels einer Schrödingergleichung bzw. des Zeitentwicklungsoperators U(t) = exp[-iHt] formuliert werden. „Teilchen“ werden lediglich durch spezielle Zustandsvektoren beschrieben, nämlich solche, in denen verschiedene Größen (hinreichend) scharfe Werte haben.
Die wesentliche Schwierigkeit bzw. das wesentliche Missverständnis bei einer ontologischen Interpretation steckt im Feldbegriff. In der Maxwellschen Elektrodynamik wird die Feldverteilung mit allen daraus ableitbaren Eigenschaften wir Energie, Impuls, Drehimpuls, ... z.B. durch das Eichfeld A(x,t) kodiert. In der Quantenelektrodynamik wird der Zustand durch einen Zustandsvektor |ψ> kodiert, aus dem in nullter = klassischer Näherung die Feldverteilung mit den o.g. Eigenschaften abgeleitet werden kann. Weitere nicht-klassische Eigenschaften würden z.B. in (unendlich vielen) Korrelationsfunktionen stecken, die wiederum aus dem Zustandsvektor |ψ> abgeleitet werden können. Ontologisch sparsamer ist es natürlich, |ψ> selbst als Repräsentant der Realität aufzufassen. Damit ist der Feldbegriff mit der Feldverteilung und den Korrelationsfunktionen auf der fundamentalen Ebene verschwunden. Das Eichfeld A(x,t) wird - die Problematik der Eichfixierung klammere ich zunächst aus - in ein mathematisches Gebilde namens Feldoperator A(x,t) übersetzt; dieser Feldoperator trägt jedoch keinerlei Eigenschaften eines Zustandes sondern ist - unabhängig vom konkret realisierten Zustand - immer der selbe!

Die diffusen Ontologien sind bei der QFT nicht überraschend, sondern auch eine Konsequenz dessen, dass man eine konsistente Ontologie schon in der konvent. QM vermisst. Da ist der ungeduldige instrumentalistische Geist dem klärenden philosophischen wieder davongelaufen ohne aufzuräumen.

Wenn ich recht verstanden habe, geht es u.a. um folgendes:
In der QFT sind die den Raumzeit-Punkten (x, t) zugeordneten „Feldwerte“ φ(x, t) Operatoren, weshalb sie keine definiten messbaren Eigenschaften mehr sein können, wie etwa die elektromagnetische Feldstärke. Um zu bestimmten Größen zu gelangen, die konkret gemessen werden können, müssen die operatorwertigen Quantenfelder auf Zustände wirken.
Die klassische Feldkonzeption verliert in der QFT aufgrund der Operatorwertigkeit der Quantenfelder ihren Sinn: Die Feldoperatoren können den Raumzeit-Punkten keine bestimmten physikalischen Eigenschaften zuschreiben.

Man kann sich dem Verhältnis von Formalismus/Natur jetzt auf unterschiedlichen Wegen nähern, wobei ich das Problem nochmal spezifizieren möchte:
1. Wigners Frage nach dem Grund der Anwendbarkeit der reinen Formalismen in der konkreten Welt und
2. Wheelers Kontingenzproblem, die Frage nach dem Grund der Auszeichnung einer bestimmten Klasse von Gleichungen.

Mögliche Lösungen:
- weich-platonische Sicht: die an sich existierenden Formen liegen sozus. in einer besonderen Seins-Sphäre bereit, man muss sie nur richtig anwenden (erinnern?).

- hardcore-platonisch: 2-Teilung der Welt in Ideenhimmel und profaner Kosmos

- evolutionäre Sicht: das Gehirn hat eine Evolution durchlaufen, die es ihm ermöglicht, die physikalische Welt zu erschließen, es sollte daher nicht allzu sehr verwundern, dass es eine Sprache – die Mathematik – entwickelt hat, die für diesen Zweck sehr gut geeignet ist, wobei die Evolutionskriterien auch auf den mathem. Formalismus zutreffen.

- Bueno und Colyvan (2011) und auch Janich (1997) meinen: ein vorgefundenes oder hergestelltes empirical setup wird mit einer mathematical structure verknüpft. Dieser Prozess (immersion) ist dabei kreativ und in gewisser Weise willkürlich, auf der Seite der Mathematik wird durch derivation, also durch Anwendung der üblichen Schlussregeln eine neue mathematical structure erzeugt, die dann durch interpretation ein zunächst hypothetisches empirical setup vorhersagt.
Man könnte also sagen, die Mathematik passt so gut auf die Natur, weil nur das mathematisch Beschreibbare als Gegenstand der Physik ausgewählt wird („Physikerbrille“) oder weil dieses Beschreibbare (experimentell) hergestellt, die Natur also präpariert wird (Konstruktion mathematisch beschreibbarer Entitäten).

- der Strukturenrealismus: hier lösen sich die beiden Schwierigkeiten nur auf den ersten Blick auf, und zwar dadurch, dass aus der wignerschen Anwendungsfrage die ontologische Dualität verschwindet, weil es ja nur mehr mathematische Strukturen gibt und Wheelers Frage wird durch die verborgene Selektionswirkung jener mathematischen Unterstruktur erklärt, die in der Lage ist, eine Erkenntnisfunktion zu entwickeln.

- Den interessantesten Beitrag finde ich von Dummett: den Sinn einer Aussage erklären wir nicht dadurch, dass wir ihren Wahrheitswert durch Angabe der Wahrheitswerte ihrer Bestandteile festlegen, sondern dadurch, dass wir bestimmen, wann sie behauptet werden kann, indem wir die Bedingungen angeben, unter denen ihre Bestandteile behauptet werden können. Mit anderen Worten: Die Bedeutung einer Aussage erschließt sich aus ihrem Zusammenhang.

Und – so möchte ich hinzufügen – der Zusammenhang ist nicht linearer, sondern dialektischer, wechselseitiger Art.
Das bedeutet mE für die Klärung einer Ontologie, dass die Bedingungen der Anwendung einzelner Terme/Ausdrücke und deren Stellung im Gefüge des Formalismus analysiert und geklärt werden müssten.
index_razor



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Beitrag index_razor Verfasst am: 25. Jun 2019 14:53    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
Ich wollte ja zunächst nur eichinvariante Größen wie den Tensor F in die Ontologie stecken ... [damit] meine ich allerdings nicht unbedingt, daß es überhaupt möglich ist.

Ich halte es - nach allem was wir heute wissen - für unmöglich.


Heißt das du hältst eine Ontologie mit F für unmöglich oder eine mit F, aber ohne A? Ich behaupte nur letzteres ist nicht ohne weiteres möglich. Aber F und A und alle sonst ableitbaren Größen können von mir aus real sein.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Das schließt unter geeigneten topologischen Voraussetzungen auch die Existenz der Eichfelder mit ein. Das ist die schlechteste Lösung des ontologischen Problems mit Ausnahme aller Alternativen, die mir einfallen... die Möglichkeit eine Eichung zu wählen gehört mit zur Grundausstattung von Hauptfaserbündeln (dort als "lokaler Schnitt" bekannt). Ich verstehe nicht, warum die praktische Notwendigkeit für eine solche Wahl gegen das Faserbündel sprechen sollte.

Ich halte diese Lösung für naheliegend. Ich sehe nur keine quantenfeldtheoretische Entsprechung für die „Menge aller Äquivalenzklasse über den Eichfeldern“.


Warum nicht? Die Eichtransformationen sind doch in der Quantenmechanik dieselben. Und ich kann genauso zwei Eichfelder als äquivalent ansehen, wenn sie mit einer Eichtransformation ineinander überführt werden können. Was sollte mich daran hindern?

Zitat:

Es ist ja nicht nur so wie in der klassischen Feldtheorie, dass man „Schnitte“ durch das Faserbündel definiert, man ändert den konkreten Gehalt der Felder und insbs. die Form des Hamiltonians. Das ist das einzige, was mich stört.


Du redest anscheinend von der Formulierung einer Eichtheorie als Hamiltonsches System mit Nebenbedingungen. Inwiefern ist hier die quantentheoretische Beschreibung anders als die klassische?
TomS
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Beitrag TomS Verfasst am: 25. Jun 2019 16:02    Titel: Antworten mit Zitat

Das folgende sind drei verschiedene Problemstellungen:

Deep Purple hat Folgendes geschrieben:
Die diffusen Ontologien sind bei der QFT nicht überraschend, sondern auch eine Konsequenz dessen, dass man eine konsistente Ontologie schon in der konvent. QM vermisst. Da ist der ungeduldige instrumentalistische Geist dem klärenden philosophischen wieder davongelaufen ohne aufzuräumen.

1) Der Instrumentalismus verweigert sich einer ontologischen Betrachtung. Damit löst er keine Probleme, sondern leugnet ihre Existenz. Wenn die Sackgasse dann zu offensichtlich wird, verbietet er die weitere Diskussion. Interessanterweise haben das einige Menschen als Fortschritt empfunden.

2) Dass die QM keine allgemein akzeptierte konsistente Ontologie anbieten kann, ist zudem der Tatsache geschuldet ist, dass es tatsächlich sehr schwierig ist, eine derartige zu finden – selbst wenn man für diese Fragestellung offen ist. Nehmen wir einfach mal an, alle mathematischen Ausdrücke der QM wären treue Repräsentationen der tatsächlich existierenden Objekte, Prozesse etc. in der Natur
Kollapsinterpretation: diese erklärt nicht, was eine Messung ist, verwendet den Begriff der Messung jedoch dazu, zwischen unitärer Zeitentwicklung der Wellenfunktion ohne Messung sowie nicht-unitärem Kollaps der Wellenfunktion im Zuge der Messung zu unterscheiden; ich denke, der Widerspruch ist offensichtlich
deBroglie-Bohm: neben der Tatsache, dass keine Formulierung für die Quantenfeldtheorie bekannt ist, ist die Ontologie sehr „barock“: es gibt klassische Teilchen und die Wellenfunktion; Teilchen tragen klassische Eigenschaften wie Energie, Impuls, Bahndrehimpuls; Teilchen tragen jedoch nicht die Eigenschaften wie Spin etc.; nach der Meinung vieler Physiker ist das eine Sackgasse
Everettsche bzw. Viele-Welten-Interpretation: vermeidet das Problem der Kollapsinterpretation – zu dem Preis, dass man eine von der Theorie vorhergesagte Wirklichkeit akzeptieren muss, in der makroskopische Objekte wie z.B. Katzen in ständig sich weiter verzweigenden Superpositionen existieren, deren "Zweige" alle tatsächlich realisiert sind, die jedoch wechselweise füreinander unsichtbar bleiben


Deep Purple hat Folgendes geschrieben:
Wenn ich recht verstanden habe, geht es u.a. um folgendes:
In der QFT sind die den Raumzeit-Punkten (x, t) zugeordneten „Feldwerte“ φ(x, t) Operatoren, weshalb sie keine definiten messbaren Eigenschaften mehr sein können, wie etwa die elektromagnetische Feldstärke. Um zu bestimmten Größen zu gelangen, die konkret gemessen werden können, müssen die operatorwertigen Quantenfelder auf Zustände wirken.
Die klassische Feldkonzeption verliert in der QFT aufgrund der Operatorwertigkeit der Quantenfelder ihren Sinn: Die Feldoperatoren können den Raumzeit-Punkten keine bestimmten physikalischen Eigenschaften zuschreiben.

Geht in die richtige Richtung.

Ich versuche das wesentliche Problem anhand der QM anstelle der QFT zu erklären

3) Betrachten wir die klassische Mechanik. Es existieren
a) die Raumzeit, repräsentiert durch eine Mannigfaltigkeit M, sowie
b) Teilchen bzw. Massenpunkte, repräsentiert durch deren Ortsvektoren r(t), die jedem Raumzeitpunkt t den Ort r(t) zuordnen, an dem sich das Teilchen gerade befindet.
Darüber hinaus folgen aus r(t) weitere Größen wie Geschwindigkeit v(t) = dr(t) / dt, Impuls, Drehimpuls etc.

Betrachten wir die Quantenmechanik. Es existieren
a) die Raumzeit, repräsentiert durch eine Mannigfaltigkeit M, sowie
b) ein quantenmechanisches System mit allen seinen Eigenschaften, repräsentiert durch den Zustandsvektor |ψ(t)>, sowie
c) Operatoren - ohne Entsprechung in der Natur - die keinen physikalischen Eigenschaften entsprechen, die es jedoch erlauben, diese aus |ψ(t)> zu berechnen.

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Zuletzt bearbeitet von TomS am 25. Jun 2019 17:38, insgesamt 4-mal bearbeitet
TomS
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Beitrag TomS Verfasst am: 25. Jun 2019 16:41    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Heißt das du hältst eine Ontologie mit F für unmöglich oder eine mit F, aber ohne A? Ich behaupte nur letzteres ist nicht ohne weiteres möglich. Aber F und A und alle sonst ableitbaren Größen können von mir aus real sein.

Wenn man auf den kanonischen Formalismus schaut, dann sollte die Ontologie auf A und E basieren, wobei die elektrischen Felder E den kanonisch konjugierten Impulsen zu A entsprechen.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
Das schließt unter geeigneten topologischen Voraussetzungen auch die Existenz der Eichfelder mit ein. Das ist die schlechteste Lösung des ontologischen Problems mit Ausnahme aller Alternativen, die mir einfallen... die Möglichkeit eine Eichung zu wählen gehört mit zur Grundausstattung von Hauptfaserbündeln (dort als "lokaler Schnitt" bekannt). Ich verstehe nicht, warum die praktische Notwendigkeit für eine solche Wahl gegen das Faserbündel sprechen sollte.

Ich halte diese Lösung für naheliegend. Ich sehe nur keine quantenfeldtheoretische Entsprechung für die „Menge aller Äquivalenzklasse über den Eichfeldern“.

Warum nicht? Die Eichtransformationen sind doch in der Quantenmechanik dieselben. Und ich kann genauso zwei Eichfelder als äquivalent ansehen, wenn sie mit einer Eichtransformation ineinander überführt werden können. Was sollte mich daran hindern?



Du redest anscheinend von der Formulierung einer Eichtheorie als Hamiltonsches System mit Nebenbedingungen. Inwiefern ist hier die quantentheoretische Beschreibung anders als die klassische?

Das Problem ist, dass du in der klassischen Feldtheorie nicht zwingend eine Eichfixierung benötigst, in der QFT jedoch schon; wenn du jedoch die Eichfixierung durchführst, dann änderst du den Hamiltonian sowie alle weiteren Operatoren, du änderst den Hilbertraum, d.h. du änderst den ontologischen Gehalt der Theorie.

Klassisch kannst du einfach umeichen.

In der QFT musst du neben dem Umeichen alle möglichen Operatoren ändern. Auf Basis der eichfixierten Theorie ist „die Menge aller Äquivalenzklasse über den Eichfeldoperatoren“ m.E. nicht mathematisch formulierbar; ich wüsste zumindest nicht, wie.

Demzufolge müsste man entweder mit einer nicht-eichfixierten Theorie arbeiten, wobei ich wiederum nicht weiß, wie dies in der QFT aussieht, oder mit einem vollständig anderen Formalismus wie BRST, den ich zu wenig kenne.

Im Pfadintegral kann man das sehr generisch darstellen:




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