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Dekohärenz und Messproblem
 
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schnudl
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Anmeldungsdatum: 15.11.2005
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Beitrag schnudl Verfasst am: 06. Apr 2015 21:43    Titel: Dekohärenz und Messproblem Antworten mit Zitat

Ich bin gerade im zweiten Kapitel von "Schlossauer: Decoherence and quantum to classical transition" und glaube, nun ein paar Dinge besser zu verstehen, insbesondere, was mit dem Begriff Dekohärenz gemeint sein könnte.

Trotzdem habe ich immer noch Probleme, zwischen den Zeilen lesend zu erkennen, wie dadurch das Messproblem konkret gelöst, oder zumindest besser verstanden wird:

Scheinbar ist es von grundsätzlicher Bedeutung für den Messprozess, dass sich ein anfangs unverschränkter Gesamtzustand von Objekt S und Mess-Umgebung M nach und nach in einen hochgradig verschränkten Zustand wandelt, wo Intereferenzeffekte nur noch global, jedoch nicht mehr im betrachteten System beobachtet werden können. Insbesondere liegt es daran, dass verschiedene Zeigerzustände nach der Wechselwirkung immer mehr orthogonal werden und dadurch keine Interferenzterme im reduzierten Dichteoperator mehr auftreten.

Habe ich das bis jetzt richtig verstanden? Das wäre ja ganz normale Quantenmechnik ohne irgendeinen Hokuspokus.

Trotzdem habe ich aber bisher keinen Anhaltspunkt gefunden, wie es letztlich zu einer Reduktion kommt, bzw. wie Dekohärenz dazu beiträgt, dieses Phänomen überhaupt zu verstehen: Die verschiednenen Zustände des Systems S sind nach der Wechselwirkung mit einem makroskopischen System M hochgradig verschränkt. Ist es einfach die Erfahrungstatsache, dass es keine Superpositionen im Makrobereich geben kann, die hier zusätzlich und stillschweigend einfließt?

Und was hat es mit dem Begriff "preferred Base" auf sich? Soweit ich lose verstanden habe, geht es hier um die Frage, wieso bei einer Messung M ausgerechnet bestimmte "Eigenzustände" gemessen werden, und nicht irgendwelche anderen, die ebenfalls eine vollständige Basis in S bilden. Sehe ich das richtig? Dann frage ich mich aber, wie ein Messaparat überhaupt beschaffen sein muss, um irgendetwas zu messen: Wann findet denn ein Kollaps statt, und wann darf sich das Gesamtsystem weiterhin einer Superposition erfreuen? Kann man sagen, dass ein Kollaps immer dann stattfindet, wenn eine Verschränkung des Systems mit orthogonalen "Zeigerzuständen" vorhanden ist? Das wäre aber auch der Fall, wenn man eine beliebige Basis annimmt. Die Frage erscheint vielleicht trivial, aber was wieso misst man beim Stern Gerlach Versuch ausgerechnet die z-Komponente des Spins. Man kann das zeitliche Verhalten ja genau so gut nach den Spin Eigenzuständen in y-Richtung entwickeln und bekommt den gleichen Zustand....Im Buch wird argumentiert, dass die Auswahl der Basiszustände nach dem Prinzip der maximalen Dekohärenz erfolgt. Welches Ausmaß die Dekohärenz aber letztendlich erreicht, steht ja erst nach hinreichend langer Zeit fest (auch wenn es sehr schnell geht) - die Messung muss diese Zeit doch aber nicht abwarten - oder etwa doch?

Ich muss zugeben, dass ich das Buch als "Laie" ziemlich anspruchsvoll finde - diesmal nicht wegen einer komplizierten Mathematik, sondern aufgrund der überwältigenden Textfülle samt Fremdreferenzen, aus der ich den roten Faden nicht mehr so leicht entnehmen kann.

Vielleicht kann mir hier jemand auf die Sprünge helfen?


Danke+liebe Grüße,
Michael

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jh8979
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Beitrag jh8979 Verfasst am: 07. Apr 2015 02:13    Titel: Re: Dekohärenz und Messproblem Antworten mit Zitat

schnudl hat Folgendes geschrieben:


Scheinbar ist es von grundsätzlicher Bedeutung für den Messprozess, dass sich ein anfangs unverschränkter Gesamtzustand von Objekt S und Mess-Umgebung M nach und nach in einen hochgradig verschränkten Zustand wandelt, wo Intereferenzeffekte nur noch global, jedoch nicht mehr im betrachteten System beobachtet werden können. Insbesondere liegt es daran, dass verschiedene Zeigerzustände nach der Wechselwirkung immer mehr orthogonal werden und dadurch keine Interferenzterme im reduzierten Dichteoperator mehr auftreten.

Habe ich das bis jetzt richtig verstanden? Das wäre ja ganz normale Quantenmechnik ohne irgendeinen Hokuspokus.

Richtig. Dekoharenz ist reine QM ohne Hokuspokus.
Zitat:

Trotzdem habe ich aber bisher keinen Anhaltspunkt gefunden, wie es letztlich zu einer Reduktion kommt,...

Dazu hat Dekohaerenz auch nichts zu sagen (zumindest in erster Naeherung). Siehe Problem 3 auf Seite 50 im Schlosshauer.
TomS
Moderator


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Beitrag TomS Verfasst am: 07. Apr 2015 09:08    Titel: Re: Dekohärenz und Messproblem Antworten mit Zitat

schnudl hat Folgendes geschrieben:
Ich bin gerade im zweiten Kapitel von "Schlossauer: Decoherence and quantum to classical transition" und glaube, nun ein paar Dinge besser zu verstehen, insbesondere, was mit dem Begriff Dekohärenz gemeint sein könnte.

Trotzdem habe ich immer noch Probleme, zwischen den Zeilen lesend zu erkennen, wie dadurch das Messproblem konkret gelöst, oder zumindest besser verstanden wird ...

Das sind interessante Fragen. Mich irritiert, dass du sie nach der Lektüre dieses Buches noch stellen musst. Ich habe bisher nur verschiedene Artikel gelesen, das Buch jedoch nicht, und bin davon ausgegangen, dass all diese Fragen danach beantwortet wären ...

schnudl hat Folgendes geschrieben:
Scheinbar ist es von grundsätzlicher Bedeutung für den Messprozess, dass sich ein anfangs unverschränkter Gesamtzustand von Objekt S und Mess-Umgebung M nach und nach in einen hochgradig verschränkten Zustand wandelt, wo Intereferenzeffekte nur noch global, jedoch nicht mehr im betrachteten System beobachtet werden können. Insbesondere liegt es daran, dass verschiedene Zeigerzustände nach der Wechselwirkung immer mehr orthogonal werden und dadurch keine Interferenzterme im reduzierten Dichteoperator mehr auftreten.

Ja


schnudl hat Folgendes geschrieben:
Habe ich das bis jetzt richtig verstanden? Das wäre ja ganz normale Quantenmechnik ohne irgendeinen Hokuspokus.

Ja

schnudl hat Folgendes geschrieben:
Trotzdem habe ich aber bisher keinen Anhaltspunkt gefunden, wie es letztlich zu einer Reduktion kommt, bzw. wie Dekohärenz dazu beiträgt, dieses Phänomen überhaupt zu verstehen: Die verschiednenen Zustände des Systems S sind nach der Wechselwirkung mit einem makroskopischen System M hochgradig verschränkt. Ist es einfach die Erfahrungstatsache, dass es keine Superpositionen im Makrobereich geben kann, die hier zusätzlich und stillschweigend einfließt?

Wie es zur Reduktion kommt ist eine andere Frage als die des Verschwindens der Superposition im Makrobereich. Letztere erklärt die Dekohärenz (und ich hoffe auch das Buch ;-) erstere dagegen erklärt sie nicht. Du hast auch mit Dekohärenz weiterhin die Wahl, ob die effektive Dichtematrix in einen Unterraum kollabiert, oder ob gemäß Everett alle Zweige weiterexistieren.

schnudl hat Folgendes geschrieben:
Und was hat es mit dem Begriff "preferred Base" auf sich? Soweit ich lose verstanden habe, geht es hier um die Frage, wieso bei einer Messung M ausgerechnet bestimmte "Eigenzustände" gemessen werden, und nicht irgendwelche anderen, die ebenfalls eine vollständige Basis in S bilden. Sehe ich das richtig?

Ja

schnudl hat Folgendes geschrieben:
Dann frage ich mich aber, wie ein Messaparat überhaupt beschaffen sein muss, um irgendetwas zu messen: Wann findet denn ein Kollaps statt, und wann darf sich das Gesamtsystem weiterhin einer Superposition erfreuen? Kann man sagen, dass ein Kollaps immer dann stattfindet, wenn eine Verschränkung des Systems mit orthogonalen "Zeigerzuständen" vorhanden ist? Das wäre aber auch der Fall, wenn man eine beliebige Basis annimmt. Die Frage erscheint vielleicht trivial, aber was wieso misst man beim Stern Gerlach Versuch ausgerechnet die z-Komponente des Spins. Man kann das zeitliche Verhalten ja genau so gut nach den Spin Eigenzuständen in y-Richtung entwickeln und bekommt den gleichen Zustand....Im Buch wird argumentiert, dass die Auswahl der Basiszustände nach dem Prinzip der maximalen Dekohärenz erfolgt. Welches Ausmaß die Dekohärenz aber letztendlich erreicht, steht ja erst nach hinreichend langer Zeit fest (auch wenn es sehr schnell geht) - die Messung muss diese Zeit doch aber nicht abwarten - oder etwa doch?

Da hätte ich jetzt erwartet, dass das Buch genau diese Fragen klärt.

schnudl hat Folgendes geschrieben:
Ich muss zugeben, dass ich das Buch als "Laie" ziemlich anspruchsvoll finde - diesmal nicht wegen einer komplizierten Mathematik, sondern aufgrund der überwältigenden Textfülle samt Fremdreferenzen, aus der ich den roten Faden nicht mehr so leicht entnehmen kann.

Wo finde ich denn die konkreten Berechnungen, wenn nicht in diesem Buch?

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Beitrag schnudl Verfasst am: 07. Apr 2015 12:48    Titel: Re: Dekohärenz und Messproblem Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:

Wo finde ich denn die konkreten Berechnungen, wenn nicht in diesem Buch?


Bin ja erst im zweiten Kapitel. Wie ein Messaparat beschaffen sein muss, kommt vielleicht noch. Bis jetzt ging es "nur" um Dekohärenz, die ich im Ansatz scheinbar verstanden habe.

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Beitrag TomS Verfasst am: 07. Apr 2015 17:05    Titel: Antworten mit Zitat

Die Idee hast du verstanden ;-)
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Beitrag schnudl Verfasst am: 12. Apr 2015 11:49    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
Die Idee hast du verstanden ;-)

Dein kleines Smilie verrät schon, dass du das selbst nicht glaubst Augenzwinkern

Ich versuche meine Gedanken ein wenig zu ordnen. Dabei komme ich aber schon mit dem Grundlegendsten nicht klar:

Der Neumann'sche Messprozess basiert auf einem Modell



Die meist zitierte Behauptung, dass



ist, fällt jedoch aus meiner Sicht vom Himmel: Ist das nicht eine eher empirische Tatsache, die als solche in die Vorausetzungen zurückfließt?

Das im Schlosshauer zitierte einfache Modell (Kopplung von Spins), welches alleine auf der unitären Zeitentwicklung beruht, zeigt ja schon, dass diese Annahme nicht "automatisch" gegeben ist, sonder eine Konsequenz der Größe des Zustandsraums von E ist. Es ist extrem unwahrscheinlich signifikant von Null verschiedene Dekohärenzfaktoren zu finden. Irgendwie erinnert mich das an die Thermodynamik (die ich übrigens auch nie richtig verstanden habe). Braucht man die Gesetze des "Chaos" um Dekohärenz zu verstehen?

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Beitrag TomS Verfasst am: 12. Apr 2015 15:18    Titel: Antworten mit Zitat

schnudl hat Folgendes geschrieben:
Die meist zitierte Behauptung, dass



ist, fällt jedoch aus meiner Sicht vom Himmel: Ist das nicht eine eher empirische Tatsache, die als solche in die Vorausetzungen zurückfließt?

Das ist eine mathematische Folgerung aus der Tatsache, dass du eine Observable = einen selbstadjungierter Operator betrachtest. Dessen Eigenzstände sind orthogonal (das gilt nicht nur für den Hamiltonoperator). D.h. diese Tatsache ist eine intrinsische Eigenschaft des Formalismus' der QM.

schnudl hat Folgendes geschrieben:
Braucht man die Gesetze des "Chaos" um Dekohärenz zu verstehen?

Nein. "Chaos" ist ein klassischer Begriff, der auf Nichtlinearität beruht, die es in der QM so nicht gibt.

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Beitrag schnudl Verfasst am: 12. Apr 2015 18:25    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:

Das ist eine mathematische Folgerung aus der Tatsache, dass du eine Observable = einen selbstadjungierter Operator betrachtest. Dessen Eigenzstände sind orthogonal (das gilt nicht nur für den Hamiltonoperator). D.h. diese Tatsache ist eine intrinsische Eigenschaft des Formalismus' der QM.


Naja, du hast wahrscheinlich Recht, aber in dem zitierten Modellsystem sind die Zustände der "enviromental Spins" ja auch nicht streng orthogonal, sondern werden das erst nach hineichend langer Zeit. Siehe Auszug aus dem Buch. Das Gesamtsystem ist S(System)+E(Environent).

Der gesamte Hamiltonoperator ist



Hier sind die Eigenzustände des Systems S die Spin-Zustände |+> und |-> und somit natürlich orthogonal. Die Zeitentwicklung des Gesamtsystems ergibt bei den Systemzustände |+> und |-> einen unverschränkten Gesamt-Zustand, während ein allgemeiner, überlagerter Zustand zu einer Verschränkung von |+> und |-> mit |E1> und |E2> führt. Und letztere sind nicht streng orthogonal, sondern haben ein Skalarprodukt, welches für m<>n nur exponentiell mit der Zeit verschwindet. Darauf bezieht sich nun meine Frage: Ist es selbstverständlich anzunehmen, dass das Skalarprodukt jener environmental states, die in der Zeitentwicklung mit den Eigenzuständen der zu messenden Größe verschränkt werden, orthogonal sind?



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Beitrag TomS Verfasst am: 12. Apr 2015 18:30    Titel: Antworten mit Zitat

Na ja, du musst unterscheiden zwischen den Eigenzuständen eines Operators, und den Zuständen, die durch Zeitentwicklung resultieren. Wenn (und nur wenn) du die Zustände als Eigenzustände von H präparierst, bleiben sie auch Eigenzustände unter Zeitentwicklung mittels exp(-iHt).

Das interessante bei der Dekohärenz ist, dass die (näherungsweise) Orthogonalität verschiedener "Zweige" sozusagen ein dynamischer Efekt ist und dass er unabhängig von der Präparation eintritt.

Mich würde interessieren, für welches konkretes System + Umgebung man dies in einer vernünftigen Näherung oder ggf. auch exakt zeigen kann.

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Beitrag schnudl Verfasst am: 12. Apr 2015 18:45    Titel: Antworten mit Zitat

Und woraus sieht man, dass die verschiedenen Zweige immer orthogonal sind? Die Orthogonalität verschiedeer Zeigerzustände ist ja das wesentliche Argument, mit dem das Konzept der Deco steht und fällt. Man räumt aber scheinbar schon ein, dass diese Orthogonalität sich erst dynamisch mit der Zeit entwickelt und diese somit somit die auch nie 100%ig ausgeprägt ist. Für das Modellsystem verstehe ich das komplett - aber wie kann man von einem Modell auf die Allgemeinheit schließen? Ist es nicht eine Art von Zirkelschluss, wenn man orthogonale Zeigerzustände annimmt, und sich dann darüber freut, dass genau das erwartete rauskommt?

Aber davon unabhängig, sehe ich schon, dass meine Neugierde durch den Begriff "Dekohärenz" nicht befriedigt werden kann, da dieses den Kollaps ja nicht erklärt, sondern lediglich, wie der Name schon sagt, den Verlust von Kohärenz, die an die Umgebung abgegeben wird. Scheinbar hat das eine mit dem anderen nur wenig zu tun, und ich habe mich da verrannt.

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Beitrag TomS Verfasst am: 12. Apr 2015 19:19    Titel: Antworten mit Zitat

schnudl hat Folgendes geschrieben:
Und woraus sieht man, dass die verschiedenen Zweige immer orthogonal sind? Die Orthogonalität verschiedeer Zeigerzustände ist ja das wesentliche Argument, mit dem das Konzept der Deco steht und fällt. Man räumt aber scheinbar schon ein, dass diese Orthogonalität nicht perfekt ist, sondern diese sich erst dynamisch mit der Zeit entwickelt, und somit somit die Dekohärenz nicht 100%ig ausgeprägt ist. Für das Modellsystem verstehe ich das komplett ...

Das doch prima!

Man stellt doch die Hypothese der Entwicklung näherungsweise orthogonaler Zeigerzustände für hinreichend mit der Umgebung verschränkte Systeme auf - und dann zeigt man dies für Modellsysteme. Mehr kann man erst mal nicht erwarten. Dass dies nur näherungsweise gilt ist für mich kein Problem.

schnudl hat Folgendes geschrieben:
... wie kann man von einem Modell auf die Allgemeinheit schließen?

Ich befürchte, logisch gar nicht. Man muss einfach glauben, dass die Argumente auch für kompliziertere und komplexere Systeme gelten (aber das ist in der Physik eigtl. immer so: Niemand kann heute die quantenmechanische Lösung für beliebigs Systeme berechnen, immer nur für vereinfachte Modelle)

schnudl hat Folgendes geschrieben:
Ist es nicht eine Art von Zirkelschluss, wenn man orthogonale Zeigerzustände annimmt, und sich dann darüber freut, dass genau das erwartete rauskommt?

Ich denke nein. Die Orthogonalität muss natürlich für die Modelle gezeigt werden.

schnudl hat Folgendes geschrieben:
Aber davon unabhängig, sehe ich schon, dass meine Neugierde durch den Begriff "Dekohärenz" nicht befriedigt werden kann, da dieses den Kollaps ja nicht erklärt, sondern lediglich, wie der Name schon sagt, den Verlust von Kohärenz, die an die Umgebung abgegeben wird. Scheinbar hat das eine mit dem anderen nur wenig zu tun, und ich habe mich da verrannt.

Es hat viel miteinander zu tun.

Die Dekohärenz zeigt (zumindest ist das der Anspruch), dass genau die klassischen Zweige, die wir beobachten, tatsächlich durch die Theorie erklärt werden können und nicht postuliert werden müssen. D.h. sie löst das Problem der "preferred basis" und sie führt auf näherungsweise orthogonale Zweige (für diese "preferred basis").

Der letzte Schritt, ob nun diese klassischen Zweige allesamt weiterexistieren oder ob das System in genau einen davon kollabiert, löst die Dekohärenz tatsächlich nicht. Sie alleine erzeugt keinen Kollaps (der ja dem Formalismus der QM widerspricht, während die Dekohärenz exakt aus diesem Formalismus folgt). Die Dekohärenz ist ein starkes Argument für die "Vielen Welten", da sie nahelegt, dass die Zweige durchaus weiterexistieren können und dabei unbeobachtbar bleiben. Die Dekohärenz erzwingt jedoch die "Vielen Welten" nicht; du darfst weiterhin an den Kollaps glauben wie bisher, kannst jedoch nicht erwarten, dass er erklärbar wäre.

Ich habe mich entschieden ...

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Beitrag schnudl Verfasst am: 12. Apr 2015 19:34    Titel: Antworten mit Zitat

Inwiefern ist die VWT eigentlich besser als ein Kollaps? Man befindet sich ja immer in einer Welt-Ausprägung und kann wohl auch nie ein Experiment in einer anderen Welt als der eigenen durchführen.

Ich habe ein - wenn auch nicht sehr tiefgehendes - Gegenargument zur VWT gefunden, das ich hier frei zitiere (da ich nicht mehr weiß, wo ich es gelesen habe):

Es besteht immer eine bestimmt Wahrscheinlichkeit, dass ein Überlagerungszustand in einen Basiszustand kollabiert. In der VWT entspricht jedem möglichen Ausgang eine Welt. Da die Aufspaltung aber immer geschieht, kann man auch sagen, dass jede dieser Welten realisiert wird und somit eine Wahrscheinlichkeit von 1 hat, im Widerspruch zur Amplitude im Ausgangszustand.

Wie geht man damit um, oder ist das sowieso Quatsch?

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Beitrag TomS Verfasst am: 12. Apr 2015 22:14    Titel: Antworten mit Zitat

schnudl hat Folgendes geschrieben:
Inwiefern ist die VWT eigentlich besser als ein Kollaps?

Sie ist axiomatisch einfacher, denn sie verzichtet auf das Kollapspostulat. Und die orthodoxe Interpretation benötigt den Begriff der Messung, ohne ihn definieren zu können. D.h. gem. Ockham wäre die VWI die einfachere Alternative.

schnudl hat Folgendes geschrieben:
Man befindet sich ja immer in einer Weltausprägung und kann wohl auch nie ein Experiment in einer anderen Welt als der eigenen durchführen.

Man könnte prinzipiell - jedoch wohl nicht praktisch - ein Experiment zur Falsifizierung durchführen. Dazu müsste man eine Messung, in der der orthodoxen Interpretation zufolge ein Kollaps auftritt, zeitlich exakt rückwärts ablaufen lassen. Dazu müssten aber alle Freiheitsgrade berücksichtigt werden, die im Rahmen der Messung relevant sind.

schnudl hat Folgendes geschrieben:
Es besteht immer eine bestimmt Wahrscheinlichkeit, dass ein Überlagerungszustand in einen Basiszustand kollabiert. In der VWT entspricht jedem möglichen Ausgang eine Welt. Da die Aufspaltung aber immer geschieht, kann man auch sagen, dass jede dieser Welten realisiert wird und somit eine Wahrscheinlichkeit von 1 hat, im Widerspruch zur Amplitude im Ausgangszustand.

Mit dem Zitat kann ich wenig anfangen.

Gem. der orthodoxen Interpretation besteht die Wahrscheinlichkeit für einen Kollaps nicht immer, sondern nur im Rahmen einer Messung, wobei unklar bleibt, was eine Messung genau ist.

Im Rahmen der VWI ist tatsächlich jede mögliche Welt realisiert. Die Wahrscheinlichkeit, sich gem. der Bornschen Regel innerhalb einer bestimmten Welt wiederzufinden, muss im Rahmen der VWI als Theorem aus den Axiomen abgeleitet werden; ich denke, das ist heute der wesentliche offene Punkt.

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Beitrag schnudl Verfasst am: 12. Apr 2015 23:59    Titel: Antworten mit Zitat

danke einmal Augenzwinkern
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