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"Wigners Freund" Gedankenexperiment und Dekohärenz
 
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manuel459



Anmeldungsdatum: 11.10.2016
Beiträge: 263

Beitrag manuel459 Verfasst am: 16. Mai 2021 17:11    Titel: "Wigners Freund" Gedankenexperiment und Dekohärenz Antworten mit Zitat

Hallo,

ich beschäftige mich erst seit kurzem mit diesem Thema und möchte etwaige offensichtlichen Denkfehlermeinerseits entschuldigen. Trotzdem möchte ich gerne eine Frage stellen:

Mithilfe der Dekohärenz wird ja die Umgebung berücksichtigt - eine Verschränkung zwischen einem Quantenobjekt mit der Umgebung führt dazu, dass das Quantenobjekt als "klassisch" beobachtet wird.

Nehmen wir Schrödingers Katze. Durch die "Messung" (also die In-Verbindung-Bringung mit der Umwelt) ergibt sich wegen der Größe des Systems "Katze" (kleine Dekohärenzzeiten), dass wir sie praktisch sofort als entweder tot oder lebendig erkennen. Dabei hat sich das System Katze mit der Umgebung verschränkt.

Betrachten wir nun Wigners Freund in einem von uns beobachteten System. Nach dem Dekohärenzprogramm ist Wigners Freund mit der Katze verschränkt, sodass dieser die Katze als entweder tot oder lebendig sieht. Sobald wir mit dem System "Katze und Wigners Freund" irgendwie interagieren, werden auch wir "mitverschränkt". Zuvor aber könnte man sagen, dass Wigners Freund (jetzt als Zustand) gleichzeitig "Katze ist tot" und "Katze lebt" denkt. Wigners Freund selbst aber weiß bereits, dass die Katze entweder tot oder lebendig ist.

Damit verlangt (wenn man die Verschränkung mit der Umwelt berücksichtigt) das Dekohärenzprogramm aber doch folgende Interpretation oder?: Kollapse von Wellenfunktionen sind relativ zum Beobachter.

Denn Wigners Freund sieht das Messergebnis "früher".

Gleichzeitig scheint die Erklärung "ist Zustand mit Umgebung Verschränkt beobachtet man ihn als klassischen Zustand" zu meinen, dass der Kollaps der Wellenfunktion durch Dekohärenz(zeiten) beschrieben werden kann oder? Gleichzeitig habe ich aber irgendwo gelesen, dass Dekohärenz das Messproblem nicht löst grübelnd

Stimmt das so? Bin um jede Anmerkung froh. Danke!
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 17897

Beitrag TomS Verfasst am: 16. Mai 2021 17:24    Titel: Antworten mit Zitat

Du bist schon auf der richtigen Fährte; Wigners Freund löst das Problem nicht, es wird nur verschoben.

Die Dekohärenz alleine liefert keinen Kollaps der Wellenfunktion; sie löst das Messproblem tatsächlich nicht löst.

Die Dekohärenz liefert lediglich eine Superposition einzelner Zweige, wobei jeder für sich betrachtet klassische Züge aufweist, d.h. in jedem liegt ein (hinreichend scharfes) klassisches Messergebnis vor.

Es gibt letztlich drei Auswege: eine Spielart der Kollaps-Interpretation, wobei dieser explizit zusätzlich postuliert werden muss, oder eine Spielart der Viele-Welten-Interpretation, wobei zu erklären ist, inwiefern diese tatsächlich real existieren; eine dritte Variante ist eine Ensemble-Interpretation, die von vorneherein nicht den Anspruch erhebt, etwas über ein einzelnes System aussagen zu können.

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Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
manuel459



Anmeldungsdatum: 11.10.2016
Beiträge: 263

Beitrag manuel459 Verfasst am: 16. Mai 2021 17:37    Titel: Antworten mit Zitat

Aber wenn Dekohärenz nun verschiedene Zweige beschreibt von denen wir nur einen wahrnehmen, muss die Wellenfunktion doch gar nicht mehr kollabieren oder? Demnach wäre der Gedanke des Kollaps überflüssig. Außer man möchte unbedingt annehmen, dass (auch wenn schließlich alles verschränkt ist) ein solcher Kollaps stattfindet.

Für mich deutet das doch viel eher (und sogar ziemlich zwingend) darauf hin, dass Dekohärenz die viele Welten Interpretation notwendig macht.

Edit: Ist es denn aus Sicht der Kopenhagener Deutung akzeptiert, dass der Kollaps (nach Wigners Freund) nicht absolut ist?
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 17897

Beitrag TomS Verfasst am: 16. Mai 2021 17:52    Titel: Antworten mit Zitat

manuel459 hat Folgendes geschrieben:
Aber wenn Dekohärenz nun verschiedene Zweige beschreibt von denen wir nur einen wahrnehmen, muss die Wellenfunktion doch gar nicht mehr kollabieren oder? Demnach wäre der Gedanke des Kollaps überflüssig.

Für mich deutet das doch viel eher darauf hin, dass Dekohärenz die viele Welten Interpretation notwendig macht.

Du denkst hier ziemlich genau in die Richtung von Everett, Zeh, Carroll u.a.

Aufgrund der Dekohärenz besteht zunächst keine Notwendigkeit, den Kollaps zu postulieren, um die makroskopischen Beobachtungen zu erklären (allerdings bleiben tatsächlich einige bis heute nicht endgültig verstandene Probleme). Im Gegenteil, die Dekohärenz sowie einige weitere Erkenntnisse (Finkelstein-Hartle Frequency Operator sowie Gleason’s Theorem) legen es nahe, sowohl auf den Kollaps zu verzichten als auch die Bornsche Regel als Theorem abzuleiten (was zu den wesentlichen offenen Fragen führt).

Bis hierher könnte man dies alles recht gelassen sehen. Die spannende Frage ist jedoch, ob du die Wellenfunktion tatsächlich als treues Abbild der Realität verstehen möchtest, oder lediglich als mathematisches Werkzeug. Wenn letzteres der Fall ist, dann ist auch der Kollaps als Rechenregel akzeptabel; wenn jedoch ersteres, dann akzeptierst du tatsächlich die reale Existenz all dieser Welten.

Wie du dich entscheidest ist letztlich eine philosophische Frage.

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manuel459



Anmeldungsdatum: 11.10.2016
Beiträge: 263

Beitrag manuel459 Verfasst am: 16. Mai 2021 17:55    Titel: Antworten mit Zitat

Jetzt verstehe ich. Das bedeutet aber gleichzeitig, dass man (wenn man die Wellenfunktion nicht als "real" verstehen willl wie Zeh und co.) in einem gedanklich oftmals verschachtelten Wigners Freund Gedankenexperiment irgendwo (vermutlich willkürlich) sagen muss, dass nun doch nicht alles verschränkt ist (nämlich Freund 1 mit Freund 2 mit Freund 3 usw.) sondern irgendwo doch ein Kollaps passiert. Oder?
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 17897

Beitrag TomS Verfasst am: 16. Mai 2021 18:14    Titel: Antworten mit Zitat

Ja, so sehe ich das, und das halte ich für die größte Schwäche dieser Herangehensweise. Ich mag den pragmatischen Ansatz, der letztlich alle Probleme unter den Teppich kehrt, solange nur die Beobachtungen passen, grundsätzlich nicht.

Siehe meine Signatur.

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manuel459



Anmeldungsdatum: 11.10.2016
Beiträge: 263

Beitrag manuel459 Verfasst am: 16. Mai 2021 18:18    Titel: Antworten mit Zitat

Alles klar. Danke, das hat mir sehr geholfen! smile
willyengland



Anmeldungsdatum: 01.05.2016
Beiträge: 673

Beitrag willyengland Verfasst am: 17. Mai 2021 12:14    Titel: Antworten mit Zitat

Es gibt dazu eine neue Publikation:

Philippe Allard Guérin, Veronika Baumann, Flavio Del Santo & Časlav Brukner:
A no-go theorem for the persistent reality of Wigner’s friend’s perception.
Communications Physics, 2021.
DOI: 10.1038/s42005-021-00589-1

https://www.nature.com/articles/s42005-021-00589-1

Abstract
The notorious Wigner’s friend thought experiment (and modifications thereof) has received renewed interest especially due to new arguments that force us to question some of the fundamental assumptions of quantum theory. In this paper, we formulate a no-go theorem for the persistent reality of Wigner’s friend’s perception, which allows us to conclude that the perceptions that the friend has of her own measurement outcomes at different times cannot “share the same reality”, if seemingly natural quantum mechanical assumptions are met. More formally, this means that, in a Wigner’s friend scenario, there is no joint probability distribution for the friend’s perceived measurement outcomes at two different times, that depends linearly on the initial state of the measured system and whose marginals reproduce the predictions of unitary quantum theory.
This theorem entails that one must either
(1) propose a nonlinear modification of the Born rule for two-time predictions,
(2) sometimes prohibit the use of present information to predict the future—thereby reducing the predictive power of quantum theory—or
(3) deny that unitary quantum mechanics makes valid single-time predictions for all observers.
We briefly discuss which of the theorem’s assumptions are more likely to be dropped within various popular interpretations of quantum mechanics.

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Gruß Willy
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 17897

Beitrag TomS Verfasst am: 19. Mai 2021 16:19    Titel: Antworten mit Zitat

Vielen Dank; ich bin gerade dabei, das zu lesen und zu verstehen.
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