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Vierpol, Lineare Systeme in der Energietechnik?
 
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Fourier
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Beitrag Fourier Verfasst am: 28. Jun 2021 23:34    Titel: Vierpol, Lineare Systeme in der Energietechnik? Antworten mit Zitat

Habe im E-Technik Studium Lineare Systeme, Vierpoltheorie, Zweitore und Fourier-Transformationen kennen gelernt. Doch der eigentliche Anwendungszweck erschließ sich mir noch nicht so ganz...
Wird das nicht auch eher in der Microcontroller-Welt benötigt, als in der Energietechnik?


Will nach dem Studium lieber in der Energietechnik arbeiten als in der Nachrichten- oder Informatikbranche. Wird der Stoff da überhaupt gebaucht? Wenn ja, in welchem Umfang?
schnudl
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Beitrag schnudl Verfasst am: 29. Jun 2021 06:45    Titel: Antworten mit Zitat

Was haben diese Themengebiete mit Mikrocontrollern zu tun?

Natürlich sind lineare Systeme in der Energietechnik von immenser Bedeutung. Die Vierpoltheorie ist ein Rahmenwerk, das man als Elektrotechniker einfach kennen sollte. So werden elektrische Leitungen zweckmäßigerweise durch Vierpolgleichunghen beschrieben. Die konkrete Anwendung davon ist die Leitungstheorie. Obwohl die Wellenlänge meist sehr viel größer ist als die Leitungslänge, gibt es Zusammenhänge in der Energietechnik, die sich einem ohne die Theorie der Leitungen nicht erschließen (Anpassung, natürliche Leistung, Blindleistung, Kompensationsverfahren). Da man es darüberhinaus auch noch mit Drehstromsystemen zu tun hat, kann die Modellierung sehr komplex werden (unsymmetrische Systeme, symmetrische Komponenten, unsymmetrische Lastflussanalyse: Hier werden i.A. die Vierpolparameter der Übertragungsstrecken verwendet).

Einschwingvorgänge, wie sie bei transienten Schaltvorgängen auftreten erfordern meist die Anwendung der Laplace-Transformation, welche ich als ein nützliches Handwerkszeug für Techniker betrachte. Und um diese zu verstehen, geht man meist zunächst über die Fourier Transformation. Ich hatte mal mit einem Simulationsprogramm für Energienetzte zu tun. Die verwendeten Modelle (insbesondere jene der Maschinen waren äußerst (!) anspruchsvoll und der Geschäftsführer gestand mir, dass er davon auch nur einen kleinen Teil verstand und er Mathematiker hat, die die Modelle konkret ausarbeiten (ich selbst stieg im Detail ebenfalls aus und hätte mir nicht gedacht, wie komplex das werden kann). Netzbetreiber verlassen sich immer mehr auf solche Softwarepakete für die Planung großer Systeme.

Ein sehr wichtiger Teil der Energietechnik ist - last but nut least - die Regelungstechnik, schließlich müssen in einem Netz Wirk- und Blindleistung separat geregelt werden, um Frequenz und Spannung im richtigen Bereich zu halten. Auch diese höherdimensionalen Regelmodelle sind nicht gerade trivial, da sie in mehreren Zeitbereichen verzahnt sind. Mit 0815-Regelungstechnik aus einem zehnstündigen Schnellsiedekurs kommt man da nicht weit. Und Regelungstechnik ohne Laplace Transformation geht nicht. Für Ingenieure, die damit zu tun haben sind Lineare Systeme und die Laplace Transformation das tägliche Brot. Ohne eine entsprechende Ausbildung auf diesem Gebiet kann man in dem Bereich kaum arbeiten.

Und selbst "Fourier" wird benötigt, denn es gibt zunemend mehr Verzerrungen in Netzen aufgrund moderner Umrichtertechnologie, Solareinspeisungen, Schaltnetzteilen, etc, die zum Teil gravierende Probleme verursachen. Stromzähler müssen Oberwellen bis zu hoher Ordnung erfassen können, um eichtechnisch zgelassen zu werden.
Deine Ansichten sind daher meiner Meinung nach etwas unbegründet. Auch wenn du Software nicht schreiben wirst/magst, muss man sie richtig anwenden können. Das ist ohne das Hintergrundwissen unmöglich. Heutzutage wirst du ohne IT Hilfsmittel kaum auskommen, es sei denn, du magst Monteur werden - da brauchst du aber kein Studium (und selbst da wird viel logistische Software benötigt...).

Also, um von mir zu reden, in jenem Bereich der Energietechnik, wo ich einmal tätig war (das war nicht an der Front sondern bei einem Produzenten von Leitsystemen), hat man das alles benötigt. Natürlich hängt es ab, wo man am Ende landet, der Vorstandsvorsitzende eines Netzbetreibers oder ein Einkäufer im Büro wird kaum Laplace Transformation benötigen Big Laugh

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gast_free
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Beitrag gast_free Verfasst am: 29. Jun 2021 09:13    Titel: Re: Vierpol, Lineare Systeme in der Energietechnik? Antworten mit Zitat

Fourier hat Folgendes geschrieben:
Habe im E-Technik Studium Lineare Systeme, Vierpoltheorie, Zweitore und Fourier-Transformationen kennen gelernt. Doch der eigentliche Anwendungszweck erschließ sich mir noch nicht so ganz...
Wird das nicht auch eher in der Microcontroller-Welt benötigt, als in der Energietechnik?


Will nach dem Studium lieber in der Energietechnik arbeiten als in der Nachrichten- oder Informatikbranche. Wird der Stoff da überhaupt gebaucht? Wenn ja, in welchem Umfang?


Hand aufs Herz. Welcher Ingenieur benötigt solche Werkzeuge in der Praxis? Im Grunde doch nur sehr Wenige. Sollte man deswegen in der Ausbildung darauf verzichten? Ich meine nein, sollte man nicht. Es sind Methoden, die die Berechnung von elektrischen Netzwerken stark vereinfachen und teilweise auch erst ermöglichen.

Die lineare Theorie spielt eine außerordentliche Rolle und legt auch die Grundlage nichtlineare Systeme rechnerisch zu behandeln. Einmal durch die Auswahl geeigneter Arbeitspunkte und Aussteuerungen und auch durch die Anwendung geeigneter Funktionaltransformationen.

Es ist einfach "geil" ein komplexes Netzwerk von der Zeit in die Bildebene zu transformieren, dort ein lineares Gleichungssystem zu lösen um dann die Lösung wieder in die Zeitebene zurück zu transformieren bzw. in Sonderfällen über Grenzwertbetrachtungen Aussagen über das Zeitverhalten zu bekommen und sie sich Rücktransformation zu ersparen.

Hier greift Eins ins Andere. Zuerst Gleichstromlehre, dann Wechselstromlehre, Vierpoltheorie und die Fourier und Laplace-Transformationen. Was noch fehlt aber leider nicht immer gelehrt wird ist die klassische Feldtheorie zusammen mit den Maxwellschen Gleichungen.

Es gehört zu den Ingenieurgrundlagen. Dies Unterscheidet die Hochschul-Ingenieurausbildung von der Technikerausbildung. Wobei in der Praxis die Techniker durchaus die besseren Ingenieure sein können ohne diese ganze theoretische Grundlage.

Wenn man dies nicht mag ist eine Technikerausbildung vielleicht die bessere Wahl.
schnudl
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Beitrag schnudl Verfasst am: 29. Jun 2021 09:59    Titel: Antworten mit Zitat

Zitat:
Welcher Ingenieur benötigt solche Werkzeuge in der Praxis?


Ich habe im Laufe meines Berufslebens eigentlich immer wieder was davon gebraucht, manchmal mehr, manchmal weniger. Jemand der mit Regelungsalgorithmen zu tun hat, benötigt Laplace die ganze Zeit, andere brauchen das praktisch nie. Anderes Beispiel: Digitale Signalverarbeitung, ich hab da auch was gemacht und ohne die entsprechenden Kenntnisse der zeitdiskreten Theorie linearer Systeme wäre ich überfordert gewesen.

Zu sagen, dass man dies alles aber sowieso nie benötigen würde ist sicher der falsche Ansatz, denn da könnte man sich ein Studium ja gleich ersparen, denn es gibt für alles schon eine Lösung, die andere erarbeitet haben...

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Fourier
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Beitrag Fourier Verfasst am: 29. Jun 2021 11:45    Titel: Antworten mit Zitat

Danke für eure Antworten.

Ab und zu sind Wörter wie digitale Signalverarbeitung etc. gefallen, wo ich die ganze Transformations-Theorie auch eher immer gesehen habe.

Aber mal rein von der Wahrscheinlichkeit her:
Wenn ich bei einem ÜNB arbeiten würde, bspw in der Regelung und Steuerung, dann brauche ich ja zu einem großen Anteil auch Regelungstechnik. Die basiert wiederum auf den Linearen Systemen, Fourier- Laplace-Tranformationen, Vierpoltheorie etc...
Richtig?

Also schon wichtig für die Energietechnik....
schnudl
Moderator


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Beitrag schnudl Verfasst am: 29. Jun 2021 12:01    Titel: Antworten mit Zitat

Das hängt ab, was du machst: Wenn du in einer Warte sitzt, wirst du Systeme nur bedienen. Ingenieuere haben aber die Aufgabe, Konzepte und Methoden zu entwickeln. Ja, und da wirst du diese Dinge brauchen. Die Anzahl von Ingenieuren, die hier gesucht werden und einen Job finden ist aber auch endenwollend. Abgesehen davon machen diese Konzepte i.d.R. externe Unternehmen, die die entsprechende Software für einen Netzbetreiber oder ein EVU entwickeln und zuliefern. Du musst also für einen möglichen zukünftigen Beruf möglichst breit aufgestellt sein, denn du musst nehmen, was du kriegst und kannst es dir normalerweise nicht aussuchen.

Ein studuierter Elektrotechniker, der aber von linearen Systemen nie was gehört hat, würde aber in jedem Fall nicht sehr gut ankommen... Big Laugh

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gast_free
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Beitrag gast_free Verfasst am: 30. Jun 2021 14:13    Titel: Antworten mit Zitat

Als Berufseinsteiger in der freien Wirtschaft hat man noch die meisten Chancen sich mit den interessanten Dingen zu beschäftigen. Soll heißen mathematische Modelle in Software zu gießen, Simulationsrechnungen durchzuführen oder experimentelle Untersuchungen im Labor vorzunehmen. Hierzu muss man sich auf die entsprechenden Stellen bewerben und flexibel sein.

Je länger man im Beruf ist und umso mehr man Geld verdienen möchte muss man sich vom Fachidiotentum verabschieden und sich zum Volldilettanten weiter entwickeln. Man muss sich über immer größere Gebiete einen Überblick verschaffen. Dazu gehören betriebswirtschaftliche, organisatorische, psychologische und ggf. rechtliche Aspekte. Die Fachidioten sind dann die Kamele mit denen man durch die Wüste reiten kann.

Ich hatte früher die Aufgabe für meinen Arbeitgeber, in Zusammenarbeit mit universitären Forschungseinrichtungen, neue bildgebende Diagnoseverfahren in bestimmte Produkte zu integrieren. Zugrunde lagen Theorien wie sie auch in der E-Technik oder Mechanik verwendet werden. Es handelte sich um sog. Impuls Response Methoden. Diese Verfahren sollten auf die Untersuchung von Organen angewendet werden. Hier war wirklich meine Ausbildung und mein Hintergrundwissen extrem nützlich. Das begründet die Notwendigkeit sich auch im Studium ein breites Wissen und bestimmte Methoden anzueignen. Auch dann, wenn man das Meiste vermutlich nie wieder braucht.
schnudl
Moderator


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Beitrag schnudl Verfasst am: 30. Jun 2021 14:35    Titel: Antworten mit Zitat

Off Topic:

gast_free hat Folgendes geschrieben:


Je länger man im Beruf ist und umso mehr man Geld verdienen möchte muss man sich vom Fachidiotentum verabschieden und sich zum Volldilettanten weiter entwickeln.


Ist leider so...Big Laugh

ich bin zeitlebens Fachidiot geblieben, da mich die Weiterentwicklung zum Volldilettanten nie auch nur im geringsten interessiert hat. Dafür mache ich auch mit Mitte 50 noch Dinge, die man in meinem Alter eigentlich nicht mehr machen sollte. Das Gute ist: ich verdiene dennoch nicht schlecht :-)

Die wirklich erfolgreichen Leute überspringen aber die Stufe des Fachidiotens und fangen gleich als Volldilettant an. Mit einer großen Klappe ausgestattet kann man es dann bis in den Vorstand eines Konzerns bringen...da ich keine große Klappe habe, ist mir dieser Weg (zum Glück?) verwehrt geblieben. Prost

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