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Entropie: Ist sie nur für ergodische Systeme definiert?
 
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Johojoho
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Beitrag Johojoho Verfasst am: 30. Apr 2023 08:30    Titel: Entropie: Ist sie nur für ergodische Systeme definiert? Antworten mit Zitat

Meine Frage:
Hallo zusammen,

in mehreren Artikeln habe ich gelesen, dass die Entropie sowie eigentlich auch die ganze klassische Thermodynamik nur für sogenannte ergodische Systeme definiert sei. Ist dies wirklich so? Wie ist es dann mit Systemen, die nicht ergodisch sind? Lassen diese sich dann nicht mehr thermodynamisch beschreiben?

Meine Ideen:
Ich selbst habe leider keine Ideen dazu,da ich nur mit der klassischen Thermodynamik vertraut bin, nicht aber mit der stat. Mechanik.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
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Beitrag TomS Verfasst am: 30. Apr 2023 08:57    Titel: Antworten mit Zitat

Das verstehe ich nicht. Hast du Quellen dazu?
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Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
Johojoho
Gast





Beitrag Johojoho Verfasst am: 30. Apr 2023 09:12    Titel: Antworten mit Zitat

Jein, ich hatte einen Scienceblog eines Physikers gelesen. Dieser hatte behauptet, dass die Entropie nur für ergodische Systeme definiert sei. Leider kann ich als Gast keinen Link posten.
Wenn ich im Internet dazu recherchiere, finde ich viele Aussagen, die die Ergodenhypothese als Grundlage für die stat. Mechanik und auch für die Entropie nutzen. Allerdings finde ich auch stimmen dagegen, zb. im Physik FAQ von Arnold Neumaier (sowas sollte doch seriös sein).
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 17900

Beitrag TomS Verfasst am: 30. Apr 2023 09:37    Titel: Antworten mit Zitat

Ich kann mir diverse Zusammenhänge zwischen Entropie und Ergodizität vorstellen, bin aber kein Experte dazu.

Aber warum eine zunächst rein mathematische Größe wie die Entropie (thermodynamisch, statistisch) von etwas derartigem abhängen soll, kann ich nicht nachvollziehen. Evtl. liegen in nicht-ergodischen Systemen gewisse physikalisch unerwünschte Eigenschaften vor.

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Johojoho
Gast





Beitrag Johojoho Verfasst am: 30. Apr 2023 09:54    Titel: Antworten mit Zitat

So wie ich es verstehe, dient die Ergodizität zur theoretischen Herleitung und Begründung mitunter der stat. Mechanik (da ansonsten keine zeitlichen Mittelung der Mikrozustände existiert, da nicht alle erreicht werden können?).
Aber wie gesagt es gibt auch Gegenstimmen, siehe das Physik FAQ von Arnold Neumaier.
Trotzdem hätte mich mal interessiert, was dazu der Konsens ist 😅.
TomS
Moderator


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Beiträge: 17900

Beitrag TomS Verfasst am: 30. Apr 2023 10:35    Titel: Antworten mit Zitat

Warum müssen sie denn erreicht werden können? Es ist doch ausreichend, eine theoretische Größe zu definieren, die praktisch taugt.

Selbst wenn Ergodizität im mathematischen Sinne gegeben wäre, sagt dies wenig für ein System das ich jetzt präpariere und kurz danach messe. Oder für ein Ensemble von zum Beispiel 100 Systemen.

Ich denke, es gibt viele Systeme, die nicht oder zumindest nicht beweisbar ergodisch sind. Spingläser, Systeme mit Superauswahlregeln, topologischen Ladungen … Streng mathematisch mag das wünschenswert sein, aber praktisch?

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Johojoho
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Beitrag Johojoho Verfasst am: 30. Apr 2023 10:53    Titel: Antworten mit Zitat

Genau darum geht es mir ja. Die nicht ergodischen Systeme müssen ja auch irgendwie beschrieben werden. Warum sollte dies nicht mit der Thermodynamik möglich sein und warum soll ich diesen Systemen keine Entropie zuschreiben können?
TomS
Moderator


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Beiträge: 17900

Beitrag TomS Verfasst am: 30. Apr 2023 11:33    Titel: Antworten mit Zitat

Rein statistisch folgt die Entropie des kanonischen Ensembles zu fester Temperatur aus der Zustandssumme





bzw. dem statistischen Operator





Entscheidend ist doch, über welche Zustände summiert wird.

Wenn ich weiß, dass ein bestimmter Bereich des Phasenraumes bzw. ein Sektor des Hilbertraumes prinzipiell nicht erreicht werden kann, dann muss ich ihn von der Summe ausschließen. Wenn ich das nicht weiß, kann ich trotzdem sicher sein, dass bestimmte Bereiche bzw. Sektoren in genügend kurzer Zeit nicht erreicht werden können bzw. für ein Scharmittel nicht relevant sind. Diese Bereiche muss ich nicht ausschließen, ich kann sie betrachten oder auch nicht, wenn ihr statistisches Gewicht für eine konkrete Betrachtung nur klein genug ist. Letztlich ist es technisch evtl. sogar schwierig, sie explizit auszuschließen.

Ich sehe jetzt nicht, was mich prinzipiell hindern sollte, dieses S zu definieren. Es handelt sich immer nur um die Frage, ob und in welcher Weise die Definition des Modells physikalisch ausreichend präzise ist.

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index_razor



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Beitrag index_razor Verfasst am: 30. Apr 2023 11:49    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:

Wenn ich weiß, dass ein bestimmter Bereich des Phasenraumes bzw. ein Sektor des Hilbertraumes prinzipiell nicht erreicht werden kann, dann muss ich ihn von der Summe ausschließen.


Das Problem ist aber, daß dieser Bereich von den mikroskopischen Anfangsbedingungen abhängen kann. Dann kannst du im allgemeinen nicht wissen, wie ein geeignetes Ensemblemittel definiert werden muß.

Die Ergodenhypotese wird nur verwendet um zu zeigen, daß das zeitliche Mittel von Observablen für lange Zeiten konvergiert und unabhängig (bis auf die Werte von Erhaltungsgrößen) vom Anfangszustand ist.

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It is just this lack of connection to a concern with truth -- this indifference to how things really are -- that I regard as of the essence of bullshit. -- Harry G. Frankfurt
TomS
Moderator


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Beiträge: 17900

Beitrag TomS Verfasst am: 30. Apr 2023 12:01    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
TomS hat Folgendes geschrieben:
Wenn ich weiß, dass ein bestimmter Bereich des Phasenraumes bzw. ein Sektor des Hilbertraumes prinzipiell nicht erreicht werden kann, dann muss ich ihn von der Summe ausschließen.


Das Problem ist aber, daß dieser Bereich von den mikroskopischen Anfangsbedingungen abhängen kann. Dann kannst du im allgemeinen nicht wissen, wie ein geeignetes Ensemblemittel definiert werden muß.

Ja, das ist mir bewusst.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Die Ergodenhypotese wird nur verwendet um zu zeigen, daß das zeitliche Mittel von Observablen für lange Zeiten konvergiert und unabhängig (bis auf die Werte von Erhaltungsgrößen) vom Anfangszustand ist.

Und ohne Ergodenhypotese? Habe ich ggf. die Abhängigkeit vom Anfangszustand, aber deswegen doch nicht zwingend keine Konvergenz.

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index_razor



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Beitrag index_razor Verfasst am: 30. Apr 2023 12:09    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Die Ergodenhypotese wird nur verwendet um zu zeigen, daß das zeitliche Mittel von Observablen für lange Zeiten konvergiert und unabhängig (bis auf die Werte von Erhaltungsgrößen) vom Anfangszustand ist.

Und ohne Ergodenhypotese? Habe ich ggf. die Abhängigkeit vom Anfangszustand, aber deswegen doch nicht zwingend keine Konvergenz.


Aber die Unabhängigkeit vom Anfangszustand ist doch das Entscheidende, ob die Ergodenhypothese nun gilt oder nicht. Den mikroskopischen Anfangszustand kennst du ja schließlich nicht. Der ganze Witz bei der Gleichgewichtsthermodynamik ist doch, das System durch ein paar makroskopische Größen zu beschreiben ohne irgendeine Kenntnis des Mikrozustands zu irgendeinem Zeitpunkt vorauszusetzen.

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Johojoho
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Beitrag Johojoho Verfasst am: 30. Apr 2023 12:31    Titel: Antworten mit Zitat

Also ist die Gültigkeit der Ergodenhypothese jetzt doch eine Voraussetzung dafür, vernünftig Thermodynamik betreiben zu können?
TomS
Moderator


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Beiträge: 17900

Beitrag TomS Verfasst am: 30. Apr 2023 12:58    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Aber die Unabhängigkeit vom Anfangszustand ist doch das Entscheidende, ob die Ergodenhypothese nun gilt oder nicht. Den mikroskopischen Anfangszustand kennst du ja schließlich nicht. Der ganze Witz bei der Gleichgewichtsthermodynamik ist doch, das System durch ein paar makroskopische Größen zu beschreiben ohne irgendeine Kenntnis des Mikrozustands zu irgendeinem Zeitpunkt vorauszusetzen.

Schon klar.

Aber lass uns doch mal ein konkretes Beispiel diskutieren, wo man ohne Gültigkeit der Ergodenhypothese in ein echtes Problem läuft.

Mir fallen Superauswahlregeln ein. Da weiß ich, dass ich nur über Zustände eines Sektors summieren darf. Habe ich nun ein System, dessen Dynamik dem Zustandsraum eine derartige Struktur aufprägt, und ich beachte oder kenne diese Struktur nicht, dann erhalte ich physikalisch ggf. Blödsinn; schränke ich die Summe geeignet ein, passt wieder alles. Nun kann man natürlich argumentieren, dass innerhalb eines Sektors wieder eine Art Ergodenhypothese gilt bzw. ich diese in meiner Argumentation implizit annehme.

Ja, in irgendeiner Form muss ich wohl etwas derartiges annehmen. Aber was wäre denn ein System, indem tatsächlich nichts dergleichen möglich ist? Gibt es pathologische Beispiele?

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Beitrag Johojoho Verfasst am: 30. Apr 2023 13:02    Titel: Antworten mit Zitat

arnold-neumaier.at/physfaq/topics/ergodic.html

Nur noch als Nachtrag, dass habe ich als Kritik gelesen gehabt.
index_razor



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Beitrag index_razor Verfasst am: 30. Apr 2023 13:11    Titel: Antworten mit Zitat

Johojoho hat Folgendes geschrieben:
Also ist die Gültigkeit der Ergodenhypothese jetzt doch eine Voraussetzung dafür, vernünftig Thermodynamik betreiben zu können?


Nein, ich würde sagen, man benötigt einen vollständigen Satz von Größen, deren langfristiges Zeitmittel näherungsweise unabhängig vom mikroskopischen Anfangszustand ist. Mit der Ergodenhypothese gilt dies exakt für das Mittel aller Phasenraumfunktionen (oder zumindest einer großen Klasse von Phasenraumfunktionen). Das ist m.E. mehr als man benötigt.

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Beitrag Johojoho Verfasst am: 30. Apr 2023 13:13    Titel: Antworten mit Zitat

Ok, vielen Dank für die Antwort.
index_razor



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Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 30. Apr 2023 13:28    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
Nun kann man natürlich argumentieren, dass innerhalb eines Sektors wieder eine Art Ergodenhypothese gilt bzw. ich diese in meiner Argumentation implizit annehme.

Ja, in irgendeiner Form muss ich wohl etwas derartiges annehmen. Aber was wäre denn ein System, indem tatsächlich nichts dergleichen möglich ist? Gibt es pathologische Beispiele?


Nach meiner Auffassung ist die Ergodenhypothese zu stark, und Systeme, die sie verletzen sind deshalb nicht wirklich pathologisch, sondern besitzen möglicherweise immer noch eine brauchbare thermodynamische Beschreibung. So wie ich das verstehe, ist die Logik folgendermaßen.

Ziemlich allgemein gilt: zeitliche Mittel von Observablen sind (im Grenzwert ) invariant unter dem Phasenfluß und ihr Ensemblemittel ist gleich dem Ensemblemittel der Phasenraumfunktion selbst . Ist insbesondere näherungsweise unabhängig von , habe ich



Das ist genau das, was ich gerne hätte, und es benutzt noch nicht die Ergodenhypothese, sondern nur, daß bestimmte f eine bestimmte Eigenschaft haben. Vom Phasenfluß wird hingegen erstmal nichts weiter verlangt.

Aus der Ergodenhypothese folgt nun noch mehr, nämlich, daß jede unter dem Phasenfluß invariante Funktion konstant ist. Damit gilt Gl. (1) immer, aber das kommt mir, wie gesagt, unnötig stark vor.

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TomS
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Beitrag TomS Verfasst am: 30. Apr 2023 13:42    Titel: Antworten mit Zitat

Danke.

(1) ist klar, deine weiteren Ausführungen auch.

Was meinst zu den Superauswahlregeln?

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Beitrag index_razor Verfasst am: 30. Apr 2023 14:33    Titel: Antworten mit Zitat

Die sehe ich als Sonderfall von Erhaltungsgrößen, d.h. man schränkt den Phasenraum von vornherein auf einen Bereich ein, in dem die zugehörige Observable einen bestimmten Wert hat. Das ist also genau, was du selbst vorgeschlagen hast:

TomS hat Folgendes geschrieben:
Nun kann man natürlich argumentieren, dass innerhalb eines Sektors wieder eine Art Ergodenhypothese gilt bzw. ich diese in meiner Argumentation implizit annehme.


Aber selbst wenn nicht mal innerhalb eines Sektors die Ergodenhypothese gilt, ist die Thermodynamik m.E. noch nicht verloren.

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Beitrag TomS Verfasst am: 30. Apr 2023 14:42    Titel: Antworten mit Zitat

Ok, dann stimmt mein Weltbild wieder.
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