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Chemische Bindung
 
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Kaeckaan



Anmeldungsdatum: 22.07.2020
Beiträge: 3

Beitrag Kaeckaan Verfasst am: 22. Jul 2020 22:54    Titel: Chemische Bindung Antworten mit Zitat

Meine Frage:
Für ein Gedankenexperiment stelle man sich einen Kupferfaden vor mit der Dicke nur eines einzelnen Atoms. Welche Kraft müßte man aufbringen, um den Faden zu zerreißen, und wie kommen die entgegenwirkenden Kräfte zwischen den Atomen zustande?

Meine Ideen:
Sämtliche sogenannten Atommodelle helfen hier nicht weiter. Wieso behindern sich die Atomhüllen, wie auch immer sie aussehen mögen, sich nicht gegenseitig?
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18073

Beitrag TomS Verfasst am: 23. Jul 2020 09:07    Titel: Antworten mit Zitat

Ich weiß, worauf due hinauswillst, aber im Falle eines Metalls ist die Betrachtung einzelner Atome - bzw. eines Fadens, der nur ein Atom dünn wäre - nicht ausreichend. Die Bindung im Metall hängt ganz entscheidend von der dreidimensionalen Gitterstruktur sowie den über den gesamten Festkörper delokalisierten Elektronenwellenfunktionen ab; ein eindimensionaler Draht liefert nicht das gewünschte.

Die dir bekannten Atommodelle mögen zur Erklärung nicht ausreichend sein - aber welche kennst du denn?

Zunächst: es ist irreführend, sich unter den Atomhüllen etwas mit einer festen „Form“ vorzustellen. Die Quantenmechanik beschreibt Elektronen mathematisch mittels sogenannter Wellenfunktionen, aus denen man eine Art „Wolke“ mit variabler Elektronendichte gewinnen kann. Die „Form“ der Atomhüllen in einigen Modellen orientiert sich an Bereichen mit einer bestimmten Dichte dieser Wolke; dabei handelt es sich jedoch um eine rein graphische Veranschaulichung ohne quantitative Aussage. Mittels der Quantenmechanik selbst ist man jedoch in der Lage, quantitative Aussagen z.B. über Bindungsenergien zu berechnen.

Zu Details der von dir gestellten Frage muss ich passen, das war nie Gegenstand der Vorlesungen, und später habe ich in anderen Bereichen gearbeitet; auch bei einer kurzen Recherche habe ich nichts gefunden.

Die grundsätzliche Idee ist recht simpel, die dahintersteckende Mathematik jedoch recht kompliziert. Man betrachtet einen Festkörper mit einem dreidimensionalen Kristallgitter Gamma, Atomrümpfen auf den Gitterpunkten sowie aller zur Bindung beitragende Elektronen; das sind im Falle eines Metalls ein oder besser mehrere der „äußeren“ Elektronen je Atom, über alle (in guter Näherung unendlich viele) Gitterpunkten. Die Dynamik der Elektronen betrachtet man quantenmechanisch, die Atomrümpfe seien dagegen statisch.

Nun berechnet man die Energiedichte epsilon für gegebenes Gamma — das man zum Beispiel experimentell bestimmt, oder theoretisch durch eine Erweiterung der folgenden Vorgehensweise berechnet — sowie Vielteilchen-Wellenfunktionen psi der Elektronen



daraus die Gesamtenergie innerhalb eines bestimmten Volumens V



und minimiert letztere, indem man die optimalen Vielteilchen-Wellenfunktionen bestimmt



Das oben eingeführte H ist der sogenannte Hamiltonoperator des Systems, letztlich das zentrale Objekt, das dessen Dynamik vollständig beschreibt. Im einfachsten Fall beschreibt er die Wechselwirkung des Vielteilchen-Systems der Elektronen mit den statischen Atomrümpfen; für realistischere Berechnungen wird außerdem die Wechselwirkung der Elektronen untereinander berücksichtigt.

Nun betrachtet man ein deformiertes Gitter



indem man z.B. einen Gittervektor g etwas „dehnt“, d.h.



Daraus folgt mittels der o.g. Optimierung wiederum ein



für ebenfalls deformierte Wellenfunktionen.

Startet man mit einem optimalen Gitter Gamma — s.o.: das man experimentell bestimmt hat oder durch eine Erweiterung der zuvor genannten Vorgehensweise berechnet



— so gilt



Das ist gerade die Energiedichte, die man über den gesamten Festkörper aufwenden muss, um ihn um den o.g. Faktor (1+a) zu dehnen.

Die Energie innerhalb eines bestimmten Volumens V folgt wieder durch Integration über V. Dabei habe ich nicht den von dir angesprochenen Fall diskutiert, dass nicht der gesamte Draht gedehnt wie, sondern dass dieser an einer Stelle reißt.

Die o.g. Vorgehensweise ist eine grobe Skizze, ich denke, dass die Spezialisten bessere bzw. effizientere Methoden entwickelt haben.

EDIT: Letztlich verstehst du das nur im Rahmen der Quantenmechanik:

https://de.wikipedia.org/wiki/Quantenmechanik#Grundlegende_Eigenschaften
https://de.wikipedia.org/wiki/Hamilton-Operator
https://de.wikipedia.org/wiki/Slater-Determinante
https://de.wikipedia.org/wiki/Bloch-Funktion
https://de.wikipedia.org/wiki/Rayleigh-Ritz-Prinzip

_________________
Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
DrStupid



Anmeldungsdatum: 07.10.2009
Beiträge: 5043

Beitrag DrStupid Verfasst am: 23. Jul 2020 10:16    Titel: Re: Chemische Bindung Antworten mit Zitat

Kaeckaan hat Folgendes geschrieben:
Für ein Gedankenexperiment stelle man sich einen Kupferfaden vor mit der Dicke nur eines einzelnen Atoms. Welche Kraft müßte man aufbringen, um den Faden zu zerreißen, und wie kommen die entgegenwirkenden Kräfte zwischen den Atomen zustande?


TomS hat ja schon begründet, warum ein derart dünner Kupferfaden ein schlechtes Beispiel ist. Es ist noch nicht einmal klar, ob es so etwas überhaupt geben kann. Ganz sicher wäre das kein Metall. Ein besseres Beispiel ist eine Wasserstoffbrückenbindung, weil man sie auch ohne Quantenmechanik halbwegs korrekt erklären kann:

Nehmen wir mal an, wir haben ein Molekül bestehend aus Wasserstoff (H), einem (im Vergleich zu H) elektronegativen Atom X und irgendeinem inerten Rest R1. Während das Wasserstoffatom „versucht“, sein Elektron loszuwerden, „versucht“ X es an sich zu binden. Die Elektronegativitätsdifferenz soll in diesem Beispiel aber nicht ausreichen, um das Elektron komplett vom Wasserstoff auf X zu übertragen (sonst würden sich Ionen bilden). Das führt zu einer polaren Atombindung zwischen H und X, bei der das Elektron an beide Atome gebunden ist (und sie somit miteinander verbindet) sich aber vorzugsweise in der Nähe von X aufhält. Diese ungleiche Verteilung der Aufenthaltswahrscheinlichkeit macht sich nach außen als partielle elektrische Ladung bemerkbar:



Dieses Molekül kommt nun in die Nähe eines weiteren Moleküls bestehend aus einem elektronegativen Atom Y und einem inerten Rest R2. Das führt zu einer elektrostatischen Abstoßung zwischen X und Y und einer elektrostatischen Anziehung zwischen H und Y. In der Folge ordnen sich die Moleküle so an, dass X und Y möglichst weit voneinander entfernt bleiben, während sich H und Y möglichst nahe kommen. Um zu erklären, warum sich H und Y nicht beliebig nahe kommen können, müsste man dann doch wieder die Quantenmechanik bemühen. An dieser Stelle sollte aber genügen, dass es einen minimalen Abstand gibt. Das Ergebnis ist eine lineare Wasserstoffbrückenbindung:



Zumindest das Grundprinzip kann man also allein mit elektrostatischen Wechselwirkungen erklären. Das Schönste an diesem Beispiel ist aber, dass man die Stärke dieser Bindung mit einem Rasterkraftmikroskop direkt experimentell bestimmen kann. Für wurde beispielsweise eine Kraft von 40 pN gemessen [https://advances.sciencemag.org/content/3/5/e1603258].

Atom- und Metallbindungen sind mindestens eine Größenordnung stärker. Aber leider kann man sie nicht mehr so einfach erklären (dazu braucht man zumindest elementare Grundlagen der Quantenmechanik) oder messen (dazu müsste das Messgerät noch stabiler sein).

Kaeckaan hat Folgendes geschrieben:
Wieso behindern sich die Atomhüllen, wie auch immer sie aussehen mögen, sich nicht gegenseitig?


Aber das tun sie doch. Nehmen wir mal Ionen als Beispiel. Entgegengesetzt geladene Ionen ziehen sich durch elektrostatische Wechselwirkung gegenseitig an. Die Atomhüllen stoßen sich wegen ihrer gleichen Ladung aber gegenseitig ab (das ist die „gegenseitige Behinderung“). Beide Effekte hängen in unterschiedlicher Weise vom Abstand ab. Die Anziehung zwischen den kompletten Ionen hat eine viel größere Reichweite als die Abstoßung zwischen den Atomhüllen. Letztere ist aber viel stärker. Das führt dazu, dass es einen Abstand gibt, bei dem sich beide Effekte gegenseitig aufheben. Das ist dann der Bindungsabstand, wenn die beiden Ionen ein zweiatomiges Molekül bilden (das passiert z.B. in der Gasphase). Bei einem Gitter aus vielen Ionen läuft das ähnlich, nur dass hier die Wechselwirkung von jedem Ion mit jedem anderen berücksichtigt werden muss.

Bei kovalenten Bindungen wird es deutlich komplizierter. Da macht es m.E. wenig Sinn von anziehenden und abstoßenden Kräften zwischen den Atomen zu sprechen. Es gibt dann einfach Konfigurationen in denen sie miteinander verbunden sind oder eben nicht. Man kann allerdings darüber diskutieren, welche Kraft notwendig ist, um eine solche Bindung zu deformieren oder sogar zu zerreißen.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18073

Beitrag TomS Verfasst am: 23. Jul 2020 10:41    Titel: Antworten mit Zitat

Für ein zweiatomiges Molekül könnte man das sogar mal explizit durchrechnen, um ein Gefühl dafür zu kriegen.
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