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Theoretische Physiker, Arbeitsmarkt, Fachwechsel
 
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APWBDumbledore



Anmeldungsdatum: 24.10.2017
Beiträge: 16

Beitrag APWBDumbledore Verfasst am: 07. Jul 2019 21:38    Titel: Theoretische Physiker, Arbeitsmarkt, Fachwechsel Antworten mit Zitat

Hallo!

First things first: Ich weiß, es gibt unzählige Threads zum Thema Physiker und Arbeitsmarkt. Und traditionell gibt es dort Fraktion A, für die Physik eine brotlose Kunst ist, und Fraktion B, für die Physiker das schwierigste Studienfach überhaupt durchgestanden haben und damit praktisch alles machen können. Und nach meinem Eindruck ist keine der beiden Positionen zutreffend.
Ich würde mir von diesem Thread 1. eine differenzierte Betrachtung und 2. eine aktuelle Betrachtung wünschen (für das Jahr 2019, nicht 2009).

Speziell geht es mir um theoretische Physiker. Damit kommen Tätigkeiten als Forschungsingenieur nicht in Betracht.
Mir geht es um Absolventen eines theoretisch+mathematisch ausgerichteten Physikstudiums, die entweder nach Bachelor, Master oder Promotion nach Fachwechselmöglichkeiten suchen (schließlich haben wir nun das Bologna-System und ein wesentlicher Vorteil liegt darin, dass damit so mancher Fach-/Schwerpunktwechsel möglich wird, der früher so zumindest in Deutschland nicht möglich gewesen wäre). [im Falle von Bachelorabsolventen: Leute, die zwar ihr Masterstudium experimentell ausrichten könnten, aber dazu partout keine Lust haben]

Zu mir: Ich habe meinen Master in mathematischer Physik abgeschlossen. Trotz sehr guter Noten möchte ich nicht in diesem Bereich oder irgendeinem anderen physikalischen Bereich promovieren. Forschungskarriere finde ich einfach nicht attraktiv hinsichtlich Jobsicherheit (Wissenschaftszeitgesetz!), Gehalt und Vereinbarkeit mit Wunsch nach Familiengründung.
Ich habe mich deshalb zur Aufnahme eines zweiten Masterstudiums in Finanz-/Versicherungsmathematik entschieden (konkret: M.Sc. Mathematical Finance and Actuarial Science an der TUM). Früher hätte ich das nie in Erwägung gezogen. Aber ich habe mich in letzter Zeit mit stochastischer Analysis, Statistik und ML beschäftigt und daran Spaß gefunden.

Mein Eindruck ist, dass theoretische Physiker, die außerhalb des Forschungsbetriebs arbeiten, in erster Linie immer dort eingesetzt werden können, wo (noch) nicht genügend spezifisch ausgebildete Fachkräfte verfügbar sind (natürlich sieht das alles ganz anders aus, wenn man in einem Bereich Fuß gefasst hat und anstelle des Studienfachs die Arbeitserfahrung mehr Entscheidungsgewalt hat, aber erst einmal muss man ja einen Fuß in die Tür bekommen).


Ich sehe:

- Vor allem für Leute mit Spezialisierung in statistischer Physik könnten z.B. Einstiegsstellen für Aktuare in Betracht kommen. Aber so, wie ich das sehe, hat man in dem Fall alles andere als eine komfortable Position.
Für Bachelor-Absolventen oder Zweitstudienwillige: Jedenfalls für die Master-Studiengänge an der TUM und an der LMU [zu anderen Programmen kann ich nichts sagen] hat man gute Chancen mit einem Physik-Bachelor mit ein paar Mathematik-Inhalten (Maßtheorie, Wahrscheinlichkeitstheorie, idealerweise auch Statistik, evtl. Funktionalanalysis). Warnung: Das Grundlagenfach stochastische Analysis ist nicht dafür bekannt, einfach zu sein. Die Durchfallerquoten hier sind regelmäßig bei 70 - 80%. Wer sich für diesen Schritt interessiert, sollte sich evtl. vorher mal zu Martingaltheorie, Ito-Kalkül und SDEs einlesen bzw. Kurse besuchen. Die Abbrecherquoten hier sind, trotz Eignungsfeststellungsverfahren, bei etwa 50%.

- Lehrer: Klar, wenn man Bock hat, zu einem niedrigen Gehalt für 10,5 Monate angestellt zu werden (ohne die Sommerferien). Und es bleibt unklar, was mit den Quereinsteigern passiert, wenn mehr ausgebildete Lehrer verfügbar sein sollten. Bekommen die dann Vorrang und die Quereinsteiger werden entlassen? Für mich kommt diese Option nicht infrage.

- Softwareentwicklung: Eines der am häufigsten genannten Beschäftigungsfelder für Physiker. Ich habe aber den Eindruck, dass der Mythos, als Physiker hätte man da eine komfortable Position, von Leuten genährt wird, die vor vielen Jahren in das Feld eingestiegen sind (damals, als man jeden eingestellt hat, der ein bisschen Basic konnte). Heute gibt es einfach viele Spezialisten. Und es ist ja nicht so, als ob man während eines Physikstudiums natürlicherweise mit Java, C++, JavaScript, SQL, ... in Kontakt käme. Höchstens vielleicht Python. Andererseits weiß ich von einem Bekannten, dass nach wie vor z.B. Stringtheoretiker mit Postdoc-Karriere als Software-Entwickler eingestellt werden. Auch habe ich vor ein paar Tagen Werbung für ein dreimonatiges Bootcamp gesehen, wo eine Firma kostenlos zum Java-Entwickler ausbildet und bei bestandener Klausur zu einem Einstiegsgehalt von 40.000 anstellt. Auch scheinen MOOCs, vor allem Coursera, immer relevanter zu werden.
Zudem gibt es einige Möglichkeiten. Z.B. bietet die TUM ein dreisemestriges Aufbaustudium Informatik an, das vergleichbar mit (nur wesentlich billiger als) so genannten Computer Science Conversion Master-Programmen an britischen Universitäten ist: Solide Ausbildung in praktischer Informatik, Datenbanken und Algorithmen, dazu ein paar praktische Wahlmöglichkeiten.
Zudem lassen einige Unis (Heidelberg, Frankfurt) zu relativ niedrigen Anforderungen (24 bis 30 Leistungspunkte in Informatik) in ihre Informatik-Masterstudiengänge zu.

- Data Science, ML/AI: Der Zug für Quereinsteiger ist wohl abgefahren. Die Bewerberzahlen steigen wesentlich schneller als die Stellenangebote. Vor drei Jahren konnte man da wohl eingestelllt werden, wenn man ein paar MOOCs absolviert hat, aber heute ist das scheinbar alles viel kompetitiver. Und Einstiegsstellen sind eh rar.
Eine Zulassung in Data Science-Masterstudiengänge ist mit einem Physik-Bachelor teilweise möglich, z.B. an der TUM (entsprechender Hintergrund in den Mathe- und Informatikgrundvorlesungen vorausgesetzt) oder der RWTH (zu deutlich moderateren Voraussetzungen als an der TUM).

- Unternehmensberatung: Es ist in Physikerkreisen allgemein bekannt, dass McKinsey Physiker rekrutiert, zu attraktiven Gehältern, aber auch harten Arbeitsbedingungen.
Die Sinnhaftigkeit der Tätigkeiten dort ist wohl nicht immer gegeben.

Kennt jemand andere Einsatzfelder und kann was dazu sagen?
ML



Anmeldungsdatum: 17.04.2013
Beiträge: 3384

Beitrag ML Verfasst am: 08. Jul 2019 13:12    Titel: Re: Theoretische Physiker, Arbeitsmarkt, Fachwechsel Antworten mit Zitat

Hallo,

APWBDumbledore hat Folgendes geschrieben:
Kennt jemand andere Einsatzfelder und kann was dazu sagen?

Was ist denn das Ziel Deiner Frage? Wenn ich das richtig gelesen habe, hast Du doch Deine Entscheidung zu einem zweiten Master schon getroffen.

Viele Grüße
Michael
chandelier



Anmeldungsdatum: 11.07.2019
Beiträge: 1

Beitrag chandelier Verfasst am: 11. Jul 2019 17:37    Titel: Antworten mit Zitat

Wer Physik studiert hat, dabei sozial kein Vollnerd oder Introvert ist und sich einigermaßen gut verkaufen kann und auch offen dafür ist, in einer anderen Stadt oder sogar in einem anderen Land zu arbeiten, wird eigentlich garantiert einen Top-Job bekommen. Bei den meisten Physikern, die "brotlos" enden, mangelt es an ganz anderen Dingen als am Abschluss.

Zitat:
"Mein Eindruck ist, dass theoretische Physiker, die außerhalb des Forschungsbetriebs arbeiten, in erster Linie immer dort eingesetzt werden können, wo (noch) nicht genügend spezifisch ausgebildete Fachkräfte verfügbar sind."


"Spezifisch ausgebildet" wird man aber kaum an der Uni. Schau dir beispielsweise Elektrotechnik an. 80 % des Stoffes ist doch einfach nur abgespecktes Physikstudium. Mein Kumpel ist E-Techniker. Selbst wenn er 1 oder 2 Kurse hatte, die etwas spezifischer sind, macht ihn das nicht zu einer "speziell ausgebildeten Fachkraft". Bei ihm werden auch Physiker für den gleichen Job eingestellt. Sein Chef ist sogar Physiker.

Mein ehemaliger Schulfreund hat Luft- und Raumfahrt studiert. Er berichtet ebenfalls davon, dass in "seinem" Bereich sogar viel mehr Physiker gesucht werden als Luft- und Raumfahrt-Ingenieure, obwohl er direkt im Bereich Luft- und Raumfahrt arbeitet. Ein Physiker hat halt letzten Endes noch mehr Ahnung von der Physik und Mathematik hinter Triebwerksakustik als ein Verkehrswesen-Absolvent mit 1 abgespecktem 5 ECTS-Akustik-Kurs und abgespeckten Ingenieurs-Mathe-Kursen.

Ein weiterer Freund von mir ist Wirtschaftsmathematik-Absolvent. Er arbeitet als Softwareentwickler (vor 2 Jahren angefangen). Dabei hat er was Programmieren angeht einfach nur 2 Semester Java gehabt, was ich als Physiker auch als Nebenfach gewählt habe. Welche großartigen "Spezialisten" soll es da denn geben, keiner studiert 5 Jahre Programmieren, auch Informatiker nicht.

Nach meiner Erfahrung sind alle Ingenieurs-Fächer zu 80 % abgespecktes Physikstudium + 20 % spezifische Kurse, die aber auch nicht wirklich ausschlaggebend für den Berufseinstieg in der freien Wirtschaft sind. Die meisten Stellen sind doch so formuliert in etwas: "Abschluss in Elektrotechnik, Maschinenbau, Physik, Wirtschaftsmathematik oder Vergleichbares." Gibt doch Weniges, was derart speziell wäre, außer Forschung, wo du ja aber nicht hin möchtest.

Wäre ich der 346 Millionste BWL-Absolvent mit Vertiefung Marketing, würde ich mir ja über Job-Aussichten Gedanken machen, aber als Physiker wohl kaum.
franz



Anmeldungsdatum: 04.04.2009
Beiträge: 11583

Beitrag franz Verfasst am: 11. Jul 2019 20:34    Titel: Antworten mit Zitat

Gilt übrigens auch für Mathematik (mit Exotenthemen), wo man durchaus für Jobs mit anspruchsvollen technischen Entwicklungsarbeiten gesucht wird und zurechtkommt. Voraussetzung: Grundintelligenz / Leistungsbereitschaft / Lernfähigkeit (auch Sprachen) / Kooperation / keine harte Ortsbindung. Statt Hotel Mama also vielleicht: heute
San Diego, im Herbst Genf, nächstes Jahr eventuell Hong Kong...
Thumbs up!
Duke711



Anmeldungsdatum: 26.01.2017
Beiträge: 434

Beitrag Duke711 Verfasst am: 11. Jul 2019 23:56    Titel: Antworten mit Zitat

@chandelier

Ganz schön verblendet:

- top Job
- andere Mintfächer angeblich zu 80% abgespecktes Physikstudium + 20% spezialisiert.

Darum gab es in den letzten Jahren auch soviele arbeitssuchende Physiker. Von denen einige als letzte Option sich als Lehrkraft oder Dozenten im den Grundsemester beworben haben.

Sicher doch, gerade Elektrotechnik ist so ein großer Bereich dass ein Physikabsolvent mit ein wenig Grundlagen über Elektromagnetismus und elektromagnetische Felder wahnsinns interessant ist, nämlich gar nicht.
Da einfach eine Spezialisierung fehlt.

Aber lass mich raten in einem Physikstudium was vom Umfang den anderen Mintfächern gleicht, hat man natürlich alle Spezialisierungen der Mintfächer enthalten, da ja bei diesen Fächern angeblich nur Physik in abgespeckter Form enthalten ist. Eigenartig das einen Physikabsolventen z.B: gundlegendes Wissen zur Festigkeitslehre fehlen und man mit einer Dimensionierung einer Konstruktion überfordert ist.
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