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Raumzeitkrümmung durch Masse
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Life24



Anmeldungsdatum: 19.02.2019
Beiträge: 1

Beitrag Life24 Verfasst am: 19. Feb 2019 11:08    Titel: Raumzeitkrümmung durch Masse Antworten mit Zitat

Meine Frage:
Hallo zusammen.

Albert Einsteins Relativitätstheorie besagt zwar, dass Masse den Raum krümmt. Aber die Frage ist doch eigentlich, WARUM krümmt Masse den Raum? Kann hier jemand eine Antwort auf die Frage geben? Es gibt ja bekanntlich die vereinfachte Erklärung zur Gravitation mit dem Gummituch und einer schweren kugel darauf, welche die Gummihaut krümmt , aber hierzu wird ebenfalls wieder Schwerkraft benötigt, da ohne Schwerkraft die Kugel die Gummihaut nicht krümmen kann. Einstein erklärt aber nicht, wieso Masse den Raum / die Raumzeit krümmt oder doch?

Meine Ideen:
....
ML



Anmeldungsdatum: 17.04.2013
Beiträge: 3400

Beitrag ML Verfasst am: 19. Feb 2019 12:15    Titel: Re: Raumzeitkrümmung durch Masse Antworten mit Zitat

Hallo,

Life24 hat Folgendes geschrieben:
Einstein erklärt aber nicht, wieso Masse den Raum / die Raumzeit krümmt oder doch?

Die Naturwissenschaften beschäftigen sich auch weniger mit der Frage "Warum?", sondern vielmehr mit der Frage "Wie?".

Die Frage "Warum?" ergibt nur Sinn, wenn man die Naturgesetze auf ein allgemeineres Prinzip zurückführen will.


Viele Grüße
Michael
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 19. Feb 2019 12:49    Titel: Re: Raumzeitkrümmung durch Masse Antworten mit Zitat

Life24 hat Folgendes geschrieben:
Meine Frage:
Hallo zusammen.

Albert Einsteins Relativitätstheorie besagt zwar, dass Masse den Raum krümmt. Aber die Frage ist doch eigentlich, WARUM krümmt Masse den Raum?



Warum wäre das "eigentlich" die Frage? Es ist einfach eine völlig andere Frage, als die, die die Allgemeine Relativitätstheorie beantwortet.

Einsteins Frage war mehr oder weniger: "Wie sieht eine Theorie der Gravitation aus, die das Äquivalenzprinzip und die spezielle Relativitätstheorie berücksichtigt." Eine historisch wichtige Teilfrage scheint außerdem gewesen zu sein: "Warum beträgt die Verschiebung des Merkur-Perihels soundsoviel Bogensekunden pro Jahrhundert?"

"Raumzeitkrümmung" ist nun keineswegs die erste Antwort, die Einstein darauf eingefallen ist. Aber bis heute ist es die einzige, die experimentell Bestand hat und einigermaßen plausibel ist. Davor hat er mehrere Ansätze verworfen, darunter (wenn ich mich richtig erinnere) auch mindestens eine skalare Feldtheorie mit relativistischer Feldgleichung, also quasi eine relativistische Version der Newtonschen Gravitationstheorie. Solche simplen alternativen Ansätze sind inzwischen recht erschöpfend untersucht. Sie alle stehen entweder im Widerspruch zu experimentellen Befunden oder sind inkonsistent.

Man weiß also warum Materie die Raumzeit krümmt in dem Sinne, daß man weiß warum bestimmte naheliegende Alternativen nicht funktionieren.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18078

Beitrag TomS Verfasst am: 19. Feb 2019 18:31    Titel: Antworten mit Zitat

Es gibt eine mathematisch äquivalente Formulierung, derzufolge die Raumzeit flach ist, jedoch nicht-verschwindende Torsion aufweist.

Ansonsten s.o.: das „warum“ wäre die Frage nach einem fundamentalerem Prinzip.

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Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 19. Feb 2019 19:54    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
Es gibt eine mathematisch äquivalente Formulierung, derzufolge die Raumzeit flach ist, jedoch nicht-verschwindende Torsion aufweist.


Was soll "mathematisch äquivalent" bedeuten? Kannst du das näher erläutern oder eine Quelle angeben, aus der vielleicht die Bewegungsgleichungen von Testteilchen oder die Äquivalenz zur ART ersichtlich ist?

Zitat:

Ansonsten s.o.: das „warum“ wäre die Frage nach einem fundamentalerem Prinzip.


Es gibt mehrere mögliche Interpretationen der Frage und deshalb vielleicht verschiedene Antworten. Ein fundamentaleres Prinzip ist im Augenblick ja nicht bekannt. Ein paar historische Fehlversuche schon. Und diese können ja auch darüber Aufschluß geben, welche Art von Antworten überhaupt möglich sind.
Frankx



Anmeldungsdatum: 04.03.2015
Beiträge: 982

Beitrag Frankx Verfasst am: 19. Feb 2019 21:02    Titel: Antworten mit Zitat

Zitat:
WARUM krümmt Masse den Raum?


Weil sie es kann! smile


Zitat:
Was soll "mathematisch äquivalent" bedeuten?

Es bedeutet, dass man damit die exakt gleichen Voraussagen zum Verhalten der Natur (z.B. Bahnkurven) machen könnte.

Die Kepplersche Ellipse ist z.B. mathematisch äquivalent zu (unendlich) überlagerten Epizykeln. Die Berechnung war nur (bei vorgegebener Ergebnisgenauigkeit) über die Ellipsengleichung deutlich einfacher, weshalb man die überlagerten Epizyklen nicht mehr verwendete. (Ockhams Rasiermesser)
Die Epizykeltheorie war also im Vergleich zu Keppler nicht falsch, sondern nur unpraktisch.

Ähnliches lässt sich auch beim Vergleich "geozentrisches" und "heliozentrisches" Weltbild finden. Sie lassen sich mathematisch durch Koordinatentransformation ineinander überführen.


.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18078

Beitrag TomS Verfasst am: 19. Feb 2019 21:57    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
TomS hat Folgendes geschrieben:
Es gibt eine mathematisch äquivalente Formulierung, derzufolge die Raumzeit flach ist, jedoch nicht-verschwindende Torsion aufweist.


Was soll "mathematisch äquivalent" bedeuten? Kannst du das näher erläutern oder eine Quelle angeben, aus der vielleicht die Bewegungsgleichungen von Testteilchen oder die Äquivalenz zur ART ersichtlich ist?

https://en.m.wikipedia.org/wiki/Teleparallelism
https://arxiv.org/abs/1303.3897

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index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 20. Feb 2019 19:07    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
TomS hat Folgendes geschrieben:
Es gibt eine mathematisch äquivalente Formulierung, derzufolge die Raumzeit flach ist, jedoch nicht-verschwindende Torsion aufweist.


Was soll "mathematisch äquivalent" bedeuten? Kannst du das näher erläutern oder eine Quelle angeben, aus der vielleicht die Bewegungsgleichungen von Testteilchen oder die Äquivalenz zur ART ersichtlich ist?

https://en.m.wikipedia.org/wiki/Teleparallelism
https://arxiv.org/abs/1303.3897


In ziemlich exakt demselben Sinne ist die klassische Elektrodynamik mathematisch äquivalent zu einer Theorie mit magnetischen Monopolen. Die "magnetischen Monopole" dieser Theorie sind aber nicht dieselben Objekte, die man meint, wenn man sagt "Es gibt keine magnetischen Monopole".

Und die verschwindende Krümmung der Weitzenböck-Zusammenhänge ist nicht die "Krümmung", von der man spricht, wenn man sagt "Masse krümmt die Raumzeit". Jede pseudo-riemannsche Mannigfaltigkeit besitzt beliebig viele affine Zusammenhänge mit zugehörigen Krümmungs- und Torsionstensoren. (Genauer gesagt, so viele wie es (1,1)-Tensorfelder gibt. Die Weitzenböck-Zusammenhänge sind nur eine spezielle Klasse davon.) Mit "der Krümmung der Raumzeit" ist aber immer der Krümmungstensor des eindeutigen metrikverträglichen, torsionsfreien Zusammenhangs gemeint.

Dieser ist mit ziemlicher Sicherheit auch Gegenstand der Frage gewesen. Und wovon ich sprach sind Versuche die Gravitation als Feldtheorie (Skalar-, Vektor- oder Tensorfeld) auf einer Raumzeit mit (in diesem Sinne) flacher Hintergrundmetrik zu formulieren.
Hoppenced



Anmeldungsdatum: 23.07.2018
Beiträge: 6
Wohnort: GERMANY

Beitrag Hoppenced Verfasst am: 21. Feb 2019 15:37    Titel: Antworten mit Zitat

wenn man die Naturgesetze auf ein allgemeineres Prinzip zurückführen will.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18078

Beitrag TomS Verfasst am: 21. Feb 2019 18:13    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
... die verschwindende Krümmung der Weitzenböck-Zusammenhänge ist nicht die "Krümmung", von der man spricht, wenn man sagt "Masse krümmt die Raumzeit".

Völlig richtig.

Life24 hat Folgendes geschrieben:
... die Frage ist doch eigentlich, WARUM krümmt Masse den Raum?

Weil die ART von Einstein so konstruiert wurde, dass ein mathematisches Objekt Energie-Impuls-Tensor ein anderes mathematisches Objekt Krümmung beeinflusst. Wie der Teleparallelismus zeigt, trifft auch eine andere Theorie mit anderen mathematischen Objekten jedoch eins-zu-eins-Entsprechug zu.

Man muss also sauber unterscheiden, ob wir von der realen Raumzeit reden, oder von einem mathematischen Modell.

Und genau darauf wollte ich hinweisen: Krümmung ist zunächst keine Eigenschaft der realen Raumzeit, sondern eine mathematische Eigenschaft im Kontext eines speziellen mathematischen Modells für diese reale Raumzeit. Und in einem anderen Modell kann ein anderes Objekt eine verwandte Rolle wir die Krümmung spielen. Dabei ändert sich jedoch nichts an der realen Raumzeit.

Das bedeutet aber, dass es auch nicht die reale Masseansammlung wie z.B. die Sonne selbst ist, die die reale Raumzeit krümmt, sondern dass die mathematische Repräsentation der Sonne die mathematische Eigenschaft der Krümmung im Rahmen eines mathematischen Modells hervorruft.

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index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 23. Feb 2019 17:49    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:

Das bedeutet aber, dass es auch nicht die reale Masseansammlung wie z.B. die Sonne selbst ist, die die reale Raumzeit krümmt, sondern dass die mathematische Repräsentation der Sonne die mathematische Eigenschaft der Krümmung im Rahmen eines mathematischen Modells hervorruft.


Ich kann hier überhaupt keinen Grund erkennen, warum Krümmung keine Eigenschaft der realen Raumzeit sein soll. Das einzige mathematische Modell, um das es hier m.E. geht, sind semi-riemannsche Mannigfaltigkeiten. Diese sind im allgemeinen bei nichtverschwindendem Energie-Impuls-Tensor gekrümmt (in dem von mir definierten Sinne). Daran ändert auch der Teleparallelismus nichts.

Wenn ich also davon ausgehe, daß 1) reale Materie in gewisser Weise durch den Energie-Impuls-Tensor repräsentiert wird und 2) die reale Raumzeit näherungsweise die Aussagen des ART-Modells erfüllt, warum soll ich dann nicht behaupten können, die Riemannsche Krümmung des Modells habe ein Entsprechung in der Realität? Diese Entsprechung nenne ich dann "Krümmung der realen Raumzeit".
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18078

Beitrag TomS Verfasst am: 23. Feb 2019 22:55    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Wenn ich also davon ausgehe, daß 1) reale Materie in gewisser Weise durch den Energie-Impuls-Tensor repräsentiert wird und 2) die reale Raumzeit näherungsweise die Aussagen des ART-Modells erfüllt, warum soll ich dann nicht behaupten können, die Riemannsche Krümmung des Modells habe ein Entsprechung in der Realität? Diese Entsprechung nenne ich dann "Krümmung der realen Raumzeit".

Es gibt eine einzige unabhängig von uns existierende Realität. Für diese existieren (mindestens) zwei äquivalente Modelle, eines mit Krümmung und ohne Torsion, eines ohne Krümmung jedoch mit Torsion. Demzufolge kannst du schlecht die Krümmung ggü. der Torsion bevorzugen.

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index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 24. Feb 2019 09:46    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
Wenn ich also davon ausgehe, daß 1) reale Materie in gewisser Weise durch den Energie-Impuls-Tensor repräsentiert wird und 2) die reale Raumzeit näherungsweise die Aussagen des ART-Modells erfüllt, warum soll ich dann nicht behaupten können, die Riemannsche Krümmung des Modells habe ein Entsprechung in der Realität? Diese Entsprechung nenne ich dann "Krümmung der realen Raumzeit".

Es gibt eine einzige unabhängig von uns existierende Realität. Für diese existieren (mindestens) zwei äquivalente Modelle, eines mit Krümmung und ohne Torsion, eines ohne Krümmung jedoch mit Torsion. Demzufolge kannst du schlecht die Krümmung ggü. der Torsion bevorzugen.


Es handelt sich doch jeweils um verschiedene Krümmungen und Torsionen. Du formulierst das so, als ob sich beide Varianten gegenseitig ausschließen. Das ist aber nicht der Fall.

Es gibt ein einziges Modell (semi-riemannsche Mannigfaltigkeit) und darauf eine Vielzahl affiner Zusammenhänge, u.a.

1) einen eindeutigen metrikverträglichen, torsionsfreien Zusammenhang (Levi-Civita-Zusammenhang).

und

2) unendlich viele krümmungsfreie Weitzenböck-Zusammenhänge mit jeweils unterschiedlichen Torsionen und unterschiedlichen Begriffen von "Teleparallelismus".

Aus diesem Grunde ist es irreführend zu sagen, Teleparallelismus sei ein Modell "ohne Krümmung". Richtiger ist die Behauptung: auf jedem Modell gilt



und



Nun ist "Krümmung der Raumzeit", wie gesagt, normalerweise die Kurzform von "Krümmung des Levi-Civita-Zusammenhangs auf der Raumzeit". Ist das eine ungerechte Bevorzugung eines speziellen affinen Zusammenhangs? Ich denke das kann zunächst mal dahingestellt bleiben. Entscheidend ist, daß der Levi-Civita-Zusammenhang mitsamt seiner nichtverschwindenden Krümmung immer vorhanden ist. (Siehe auch den Einführungsabschnitt im von dir zitierten Preprint.) Also kann, welche Schlußfolgerungen auch immer ich aus dem Teleparallelismus über die Realität ziehe, dieser riemannschen Krümmung stets ein davon unabhängiges Element der Realität zugeordnet werden.

Der Levi-Civita-Zusammenhang ist nun aber, wie ich finde, schon ein bißchen vor den anderen ausgezeichnet, wenn nicht durch seine Metrikverträglichkeit (diese Eigenschaft haben die Weitzenböck-Zusammenhänge auch), dann zumindest dadurch, daß er sich aus der Geodätenhypothese rekonstruieren läßt (Schilds-Ladder). Im Gegensatz dazu benötige ich ja für die Weitzenböck-Zusammenhänge irgendwelche Tetradenfelder auf der gesamten Raumzeit. Alle auf den Teleparallelismus bezogenen Größen des Raumzeitmodells sind also bestenfalls so physikalisch real, wie diese Tetradenfelder.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18078

Beitrag TomS Verfasst am: 24. Feb 2019 15:20    Titel: Antworten mit Zitat

Den Schritt zur Riemannschen Mannigfaltigkeit mit Krümmung (M,g,R) kannst du explizit durchführen - aber niemand zwingt dich dazu. Du kannst - soweit ich das verstehe - bei Tetraden, Tangentialraum und Torsion (M,e,T) stehen bleiben. In diesem Kontext existiert schlichtweg keine Krümmung.

Wenn du zur Formulierung mit Krümmung und ohne Torsion übergehst, dann wechselst du explizit in eine andere „duale“ Beschreibung.

Ich sehe die beiden Formulierumgen als gleichberechtigt und äquivalent an und würde der Formulierung mit Krümmung keinen bevorzugten Status zugestehen.

Siehe auch hier

http://www.ift.unesp.br/users/jpereira/tele.pdf
An Introduction to Teleparallel Gravity
R. Aldrovandi and J. G. Pereira

nach (3.85)

We see in this way that, whereas in General Relativity torsion vanishes, in Teleparallel Gravity it is curvature that vanishes. It is opportune to reinforce here that, from the gauge point of view, curvature and torsion are properties of connections, not of spacetime. Note, for example, that many different connections, each one with different curvature and torsion, can be defined on the very same metric spacetime.

Damit wäre die fundamentale Struktur eine affine Manigfaltigkeit mit Zusammenhangsform, d.h. (M,e,A). Erst die Festlegung einer speziellen Wahl für A führt dann auf R oder T oder eine allgemeinere Kombination.

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index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 24. Feb 2019 16:22    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
Den Schritt zur Riemannschen Mannigfaltigkeit mit Krümmung (M,g,R) kannst du explizit durchführen - aber niemand zwingt dich dazu.


Ich behaupte auch nur, daß die Größe "Krümmung der realen Raumzeit" nicht im Widerspruch zu irgendeinem Modell steht. Egal ob mit oder ohne Teleparallelismus.

Zitat:

Du kannst - soweit ich das verstehe - bei Tetraden, Tangentialraum und Torsion (M,e,T) stehen bleiben. In diesem Kontext existiert schlichtweg keine Krümmung.


Eine Metrik zur Definition von Lichtkegel, Kausalstruktur, Eigenzeit, etc. wirst du aus physikalischen Gründen wahrscheinlich auch noch benötigen. Dann hast du automatisch eine semi-riemannsche Mannigfaltigkeit mit Levi-Civita-Zusammenhang.

Daß ich natürlich immer um den Riemann-Tensor herumrechnen kann und stattdessen alles durch die Torsionen irgendeines Weitzenböck-Zusammenhangs ausdrücken kann, gebe ich gern zu, halte es aber in diesem Zusammenhang für vollkommen irrelevant. Es zwingt mich auch niemand von "kinetischer Energie" zu reden, es reichen immer Kraft, Masse und Beschleunigung. Na und? Trotzdem haben wir kein Problem mit der Behauptung ein reales Teilchen habe kinetische Energie. (Ich zumindest nicht.)

Zitat:

Wenn du zur Formulierung mit Krümmung und ohne Torsion übergehst, dann wechselst du explizit in eine andere „duale“ Beschreibung.

Ich sehe die beiden Formulierumgen als gleichberechtigt und äquivalent an und würde der Formulierung mit Krümmung keinen bevorzugten Status zugestehen.


Nach der von dir selbst zitierten Passage weiter unten, lautet die korrekte Frage nicht, ob man eine Formulierung mit oder ohne Krümmung bevorzugt, sondern nur, welchen Krümmungstensor der vielen möglichen affinen Zusammenhänge auf derselben Raumzeit man als "die" Krümmung der Raumzeit identifiziert, wenn überhaupt einen.

Mein Grund für die Bevorzugung des Riemann-Tensor vor den anderen ist, daß alle aus der Metrik abgeleiteten Größen direkte physikalische Relevanz besitzen. Tetradenfelder haben im Kontext der Gravitation erstmal keine erkennbare physikalische Relevanz. Das gilt auch für ihre Torsionen.

Über diese Feststellung hinaus habe ich aber auch nicht vor, dem Riemann-Tensor einen bevorzugten Status zuzuordnen. Ich behaupte nur, daß die reale Raumzeit eine nichtverschwindende riemannsche Krümmung besitzt. Nicht mehr und nicht weniger. Tatsache ist, daß dies mit keinem Modell im Widerspruch steht.

Ich kann natürlich gleichzeitig behaupten, daß jede reale Raumzeit verschwindende "Weitzenböck-Krümmung", aber dafür nichtverschwindende "Weitzenböck-Torsion" besitzt. Das sind, so wie die Aussage über die riemannsche Krümmung, alles Aussagen über die reale Raumzeit.

Zitat:

Siehe auch hier

http://www.ift.unesp.br/users/jpereira/tele.pdf
An Introduction to Teleparallel Gravity
R. Aldrovandi and J. G. Pereira

nach (3.85)

We see in this way that, whereas in General Relativity torsion vanishes, in Teleparallel Gravity it is curvature that vanishes. It is opportune to reinforce here that, from the gauge point of view, curvature and torsion are properties of connections, not of spacetime. Note, for example, that many different connections, each one with different curvature and torsion, can be defined on the very same metric spacetime.


Das ist doch fast wörtlich, was ich oben selbst geschrieben habe. Die Krümmung gehört zum Zusammenhang und Zusammenhänge gibt es viele. Kein Modell kann mir aber verbieten die Krümmung des einen, eindeutigen Levi-Civita-Zusammenhanges auszurechnen und dieser Größe eine Eigenschaft der realen Raumzeit zuzuordnen. (Und dann als "Krümmung der Raumzeit" zu bezeichnen.)
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18078

Beitrag TomS Verfasst am: 25. Feb 2019 01:51    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Mein Grund für die Bevorzugung des Riemann-Tensor vor den anderen ist, daß alle aus der Metrik abgeleiteten Größen direkte physikalische Relevanz besitzen. Tetradenfelder haben im Kontext der Gravitation erstmal keine erkennbare physikalische Relevanz. Das gilt auch für ihre Torsionen.

Ups, das sehe ich nicht unbedingt sofort ein.

Die Metrik sowie abgeleitete Größen sind zunächst mal koordinatensystemabhängig. Physikalisch messbare Größen erhalte ich daraus z.B. durch Projektion auf die Vierergeschwindigkeit eines Beobachters. Das kann ich jedoch auch im Tangentialraum tun.

Da die Weitzenböcksche Formulierung zunächst ohne Riemannsche Krümmung auskommt, kann ich logischerweise alle relevanten Größen, die sonst aus der Riemannschen Krümmung folgen, jetzt aus der Weitzenböckschen Torsion plus ggf. weitere Größen wie Tetraden herleiten.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Ich behaupte nur, daß die reale Raumzeit eine nichtverschwindende riemannsche Krümmung besitzt.

Gut.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Ich kann natürlich gleichzeitig behaupten, daß jede reale Raumzeit verschwindende "Weitzenböck-Krümmung", aber dafür nichtverschwindende "Weitzenböck-Torsion" besitzt.

Auch gut.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Kein Modell kann mir aber verbieten die Krümmung des einen, eindeutigen Levi-Civita-Zusammenhanges auszurechnen und dieser Größe eine Eigenschaft der realen Raumzeit zuzuordnen. (Und dann als "Krümmung der Raumzeit" zu bezeichnen.)

Als Riemannsche Krümmung in einem bestimmten Modell der realen Raumzeit.

Modell und Realität sind nicht identisch.

TomS hat Folgendes geschrieben:
Life24 hat Folgendes geschrieben:
] ... die Frage ist doch eigentlich, WARUM krümmt Masse den Raum?

Weil die ART von Einstein so konstruiert wurde, dass ein mathematisches Objekt Energie-Impuls-Tensor ein anderes mathematisches Objekt Krümmung beeinflusst. Wie der Teleparallelismus zeigt, trifft auch eine andere Theorie mit anderen mathematischen Objekten jedoch eins-zu-eins-Entsprechung zu.

Man muss also sauber unterscheiden, ob wir von der realen Raumzeit reden, oder von einem mathematischen Modell.

Und genau darauf wollte ich hinweisen: Krümmung ist zunächst keine Eigenschaft der realen Raumzeit, sondern eine mathematische Eigenschaft im Kontext eines speziellen mathematischen Modells für diese reale Raumzeit. Und in einem anderen Modell kann ein anderes Objekt eine verwandte Rolle wir die Krümmung spielen. Dabei ändert sich jedoch nichts an der realen Raumzeit.

Das bedeutet aber, dass es auch nicht die reale Masseansammlung wie z.B. die Sonne selbst ist, die die reale Raumzeit krümmt, sondern dass die mathematische Repräsentation der Sonne die mathematische Eigenschaft der Krümmung im Rahmen eines mathematischen Modells hervorruft.

Was ist jetzt daran genau falsch?

Wie wir gesehen haben kann - muss ich aber nicht - der Raumzeit eine Riemannsche Krümmung zuschreiben. Ich kann auch ein anderes Modell benutzen, das ohne Riemannsche Krümmung auskommt, jedoch weiterhin identische, physikalisch überprüfbare Vorhersagen macht (Eigenzeiten entlang von Bahnkurven, ...).

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Frankx



Anmeldungsdatum: 04.03.2015
Beiträge: 982

Beitrag Frankx Verfasst am: 25. Feb 2019 09:18    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
Man muss also sauber unterscheiden, ob wir von der realen Raumzeit reden, oder von einem mathematischen Modell.


Das scheint mir ein grundlegendes Problem zu sein.

Möglicherweise kommt dieser Aspekt in der Physikerausbildung/Studium und auch schon im Schulunterricht zu kurz und viele Leute, Laien wie Experten verwechseln immer wieder die Landkarte (Modell) mit der Landschaft (Realität), bzw. halten dies für ein und dasselbe.


.
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 25. Feb 2019 19:28    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
Mein Grund für die Bevorzugung des Riemann-Tensor vor den anderen ist, daß alle aus der Metrik abgeleiteten Größen direkte physikalische Relevanz besitzen. Tetradenfelder haben im Kontext der Gravitation erstmal keine erkennbare physikalische Relevanz. Das gilt auch für ihre Torsionen.

Ups, das sehe ich nicht unbedingt sofort ein.

Die Metrik sowie abgeleitete Größen sind zunächst mal koordinatensystemabhängig.


Mit "Metrik" meine ich eine nichtentartete, symmetrische Bilinearform mit Signatur 2 (oder -2). Das ist im wesentlichen ein 2-fach kovarianter Tensor und als solcher, wie alle Tensoren, ein koordinatenunabhängiges Objekt. Du sprichst vermutlich von den Komponenten dieses Tensors bzgl. einer Kotangential-Basis . Diese sind selbstverständlich koordinatenabhängig. Die Metrik



ist es nicht.

Physikalisch relevant nenne ich diese Größe deshalb, weil sie u.a. die Kausalstruktur der Raumzeit definiert. Abgeleitete Größen wie der Riemann-Tensor haben direkte physikalische Relevanz als Ursache für Gezeitenkräfte etc. Natürlich ändert das nichts daran, daß ich dieselben Gezeitenkräfte auch über die Torsionen der Weitzenböck-Zusammenhänge ausdrücken kann. Das heißt übrigens noch nicht, daß diesen Torsionenen dieselbe physikalische Relevanz zukommt wie dem Riemann-Tensor. Nur bestimmten Funktionen (Ableitungen, Summen, Produkte, ...) dieser Torsionen kommt dieselbe Relevanz zu. Das ist möglicherweise nicht ganz unerheblich.

Ich sehe aber nicht, wie ein beliebiges Feld von Tetraden physikalisch relevant sein soll, außer indirekt über die Tatsache, daß ich die Metrik g durch sie ausdrücken kann.

Zitat:

Da die Weitzenböcksche Formulierung zunächst ohne Riemannsche Krümmung auskommt, kann ich logischerweise alle relevanten Größen, die sonst aus der Riemannschen Krümmung folgen, jetzt aus der Weitzenböckschen Torsion plus ggf. weitere Größen wie Tetraden herleiten.


Ja, das ist in der Tat logisch. Aber ich verstehe immer noch nicht warum das relevant sein soll. Noch ein Beispiel: ich kann alle Phänomene der Elektrodynamik durch die Felder und ausdrücken. Die X-Y-Formulierung der Elektrodynamik kommt ganz ohne elektrisches und magnetisches Feld aus:





Alle relevanten Größen, die sonst aus dem elektrischen und magnetischen Feld folgen, ergeben sich jetzt aus den Feldern X und Y. Hat das irgendeine Konsequenz für die Frage, ob das elektrische oder magnetische Feld ein reales Gegenstück in der Dynamik realer geladener Teilchen besitzen? Ich meine nicht.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Kein Modell kann mir aber verbieten die Krümmung des einen, eindeutigen Levi-Civita-Zusammenhanges auszurechnen und dieser Größe eine Eigenschaft der realen Raumzeit zuzuordnen. (Und dann als "Krümmung der Raumzeit" zu bezeichnen.)

Als Riemannsche Krümmung in einem bestimmten Modell der realen Raumzeit.

Modell und Realität sind nicht identisch.


Es geht mir genau um die Frage, welchen Größen des Modells ich Elemente der Realität zuordnen kann. Die Absicht eine solche Zuordnung vorzunehmen, kommt nicht einer Verwechslung von Realität und Modell gleich, sondern ist vielmehr genau der Grund warum wir Modelle entwickeln.

Mein Behauptung ist, daß die Größe "Riemannsche Krümmung" im Modell "semi-riemannsche Mannigfaltigkeit" der realen Raumzeit ein Gegenstück innerhalb der Realität besitzt. Zumindest erscheint es mir unbegründet, dies zu bestreiten. Ich nenne dieses Element der Realität "Krümmung der Raumzeit".

Die Tatsache, daß es neben der Riemannschen Krümmung noch andere Krümmungstensoren innerhalb des Modells (oder eines anderen) gibt, halte ich für keinen sinnvollen Einwand gegen dieses Vorgehen. Die Feststellung, daß diese anderen Krümmungen immer null sind, disqualifiziert sie gleichzeitig als alternative Kandidaten für "Krümmung der (realen) Raumzeit". Sie enthalten nämlich, genau wie "Torsion des Levi-Civita-Zusammenhangs" keine nützliche Information über die Realität.

Zitat:

TomS hat Folgendes geschrieben:
Life24 hat Folgendes geschrieben:
] ... die Frage ist doch eigentlich, WARUM krümmt Masse den Raum?

Weil die ART von Einstein so konstruiert wurde, dass ein mathematisches Objekt Energie-Impuls-Tensor ein anderes mathematisches Objekt Krümmung beeinflusst. Wie der Teleparallelismus zeigt, trifft auch eine andere Theorie mit anderen mathematischen Objekten jedoch eins-zu-eins-Entsprechung zu.

Man muss also sauber unterscheiden, ob wir von der realen Raumzeit reden, oder von einem mathematischen Modell.

Und genau darauf wollte ich hinweisen: Krümmung ist zunächst keine Eigenschaft der realen Raumzeit, sondern eine mathematische Eigenschaft im Kontext eines speziellen mathematischen Modells für diese reale Raumzeit. Und in einem anderen Modell kann ein anderes Objekt eine verwandte Rolle wir die Krümmung spielen. Dabei ändert sich jedoch nichts an der realen Raumzeit.

Das bedeutet aber, dass es auch nicht die reale Masseansammlung wie z.B. die Sonne selbst ist, die die reale Raumzeit krümmt, sondern dass die mathematische Repräsentation der Sonne die mathematische Eigenschaft der Krümmung im Rahmen eines mathematischen Modells hervorruft.

Was ist jetzt daran genau falsch?


Ich weiß nicht was genau daran falsch ist. Ich sage nur, ich halte es für unbegründet, daß Krümmung keine Eigenschaft der realen Raumzeit sein soll, wie du hier anscheinend behauptest. Ich denke es gibt sowohl eine mathematische Größe innerhalb eines Modells der Raumzeit, als auch -- zumindest sofern wir uns innerhalb der Gültigkeitsbereichs der ART bewegen --, eine ihr zugeordnete physikalische Größe in der Realität. Diese physikalische Größe nenne ich der Einfachheit halber ebenfalls "Krümmung".
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18078

Beitrag TomS Verfasst am: 25. Feb 2019 21:52    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Es geht mir genau um die Frage, welchen Größen des Modells ich Elemente der Realität zuordnen kann. Die Absicht eine solche Zuordnung vorzunehmen, kommt nicht einer Verwechslung von Realität und Modell gleich, sondern ist vielmehr genau der Grund warum wir Modelle entwickeln.

Dem stimme ich zu.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Mein Behauptung ist, daß die Größe "Riemannsche Krümmung" im Modell "semi-riemannsche Mannigfaltigkeit" der realen Raumzeit ein Gegenstück innerhalb der Realität besitzt. Zumindest erscheint es mir unbegründet, dies zu bestreiten. Ich nenne dieses Element der Realität "Krümmung der Raumzeit".

Dem kann ich im weitesten Sinne auch zustimmen.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Ich denke es gibt sowohl eine mathematische Größe innerhalb eines Modells der Raumzeit, als auch -- zumindest sofern wir uns innerhalb der Gültigkeitsbereichs der ART bewegen --, eine ihr zugeordnete physikalische Größe in der Realität. Diese physikalische Größe nenne ich der Einfachheit halber ebenfalls "Krümmung".

Dem stimme ich im wesentlichen ebenfalls zu.

Der entscheidende Punkt ist die Unterscheidung von Realität und Modell.

Ich bin mir noch nicht sicher, ob man die Krümmung selbst in diesem Sinne als Eigenschaft der Realität absehen sollte. Ich muss dazu noch etwas nachlesen.

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Corbi



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Beitrag Corbi Verfasst am: 01. März 2019 12:00    Titel: Philosophischer Einschub Antworten mit Zitat

Denkt ihr denn der Begriff Energie hat ein Gegenstück in der Realität?
Oder ist die Schrödingergleichung ein Abbild der Realität?

Über die zweite Frage wurde bereits von den Physikern, die die Quantenmechanik entwickelten viel diskutiert. Nils Bohr war der Meinung, dass das Modell der Quantenmechanik lediglich sehr nützlich ist um Vorhersagen zu treffen, dabei aber keine Eigenschaften der realen Welt erfasst. Für Heisenberg dagegen stellte die Wellenfunktion eine objektive Tendenz zum Eintreffen eines physikalischen Ereignisses dar.

Ich denke die Diskussion lässt sich auf die gesamte Physik ausweiten und insofern auch auf eure Problemstellung. Das Problem geht tief in die Erkenntnistheorie hinein und muss daher auch in einem philosophischen Rahmen diskutiert werden.

Wenn wir davon sprechen, dass ein Objekt in einem physikalischen Modell ein Gegenstück in der Realität besitzt, was meinen wir denn überhaupt damit? Das Modellobjekt ist eine Idee von etwas und existiert daher nur in unserem Kopf. Während das reale Gegenstück objektiv und unabhängig von unserem Geist existieren soll und somit für uns überhaupt nur durch unsere Sinne und die Rekonstruktion durch unseren Verstand erfassbar ist. Wenn ich jetzt sage, dass das Modellobjekt einem realen Objekt entspricht oder ein reales Gegenstück besitzt, dann müssen sich die beiden Objekte ja in irgendeiner Art und Weise ähnlich sein. Wie soll aber ein geistiges Objekt einem realen materiellen Objekt ähnlich sein? Es sind zwei grundsätzlich verschiedene Dinge und um sie vergleichen zu können, müssten wir uns außerhalb von beiden Stellen. Das können wir aber nicht.
Was wir können ist Messdaten mit konkreten Berechnungen zu vergleichen. Und nur in der Weise, dass die Berechnungen gut mit den Messdaten übereinstimmen, und in keiner anderen Weise entsprechen meiner Meinung nach die Modelle der Realität.
TomS
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Beitrag TomS Verfasst am: 02. März 2019 00:24    Titel: Re: Philosophischer Einschub Antworten mit Zitat

Corbi hat Folgendes geschrieben:
Denkt ihr denn der Begriff Energie hat ein Gegenstück in der Realität?
Oder ist die Schrödingergleichung ein Abbild der Realität?

In beiden Fällen “ja” - wobei das eine philosophische Fragestellung ist, und man dazu drei wesentliche Physikermeinungen unterscheiden muss: “ja”, “nein”, “ist mir egal”.

Corbi hat Folgendes geschrieben:
Über die zweite Frage wurde bereits von den Physikern, die die Quantenmechanik entwickelten viel diskutiert. Nils Bohr war der Meinung, dass das Modell der Quantenmechanik lediglich sehr nützlich ist um Vorhersagen zu treffen, dabei aber keine Eigenschaften der realen Welt erfasst. Für Heisenberg dagegen stellte die Wellenfunktion eine objektive Tendenz zum Eintreffen eines physikalischen Ereignisses dar.

Aber auch Heisenberg konnte die Wellenfunktion inklusive ihrer Zeitentwicklung nicht als konsistent zutreffende Repräsentation der Realität auffassen, da unitäre Zeitentwicklung und Kollaps miteinander logisch unverträglich sind. Heisenberg hat aber auch keine wesentlichen Beiträge zur Klärung derartiger Fragen geliefert.

“Echte” realistische Interpretationen wurden von de Broglie und Bohm sowie von Everett entwickelt. Da sie die Mathematik ernst nehmen, bilden sie ein präzisestes Bild der Realität aus und sind von daher auch eher angreifbar. Eine vollständig agnostische Position wie die von Bohr erlaubt dagegen immer ein achselzuckendes “das ist keine wissenschaftliche Fragestellung”.

Corbi hat Folgendes geschrieben:
Ich denke die Diskussion lässt sich auf die gesamte Physik ausweiten und insofern auch auf eure Problemstellung. Das Problem geht tief in die Erkenntnistheorie hinein und muss daher auch in einem philosophischen Rahmen diskutiert werden.

So ist das.

Corbi hat Folgendes geschrieben:
Wenn wir davon sprechen, dass ein Objekt in einem physikalischen Modell ein Gegenstück in der Realität besitzt, was meinen wir denn überhaupt damit? Das Modellobjekt ist eine Idee von etwas und existiert daher nur in unserem Kopf. Während das reale Gegenstück objektiv und unabhängig von unserem Geist existieren soll und somit für uns überhaupt nur durch unsere Sinne und die Rekonstruktion durch unseren Verstand erfassbar ist. Wenn ich jetzt sage, dass das Modellobjekt einem realen Objekt entspricht oder ein reales Gegenstück besitzt, dann müssen sich die beiden Objekte ja in irgendeiner Art und Weise ähnlich sein. Wie soll aber ein geistiges Objekt einem realen materiellen Objekt ähnlich sein? Es sind zwei grundsätzlich verschiedene Dinge und um sie vergleichen zu können, müssten wir uns außerhalb von beiden Stellen. Das können wir aber nicht.

Ich denke, bereits Platon hat darauf eine sinnvolle Antwort gefunden: wir sind mittels unseres Geistes in der Lage, gewisse Abbilder der realen Welt in einigen Aspekten zutreffend zu erfassen.

Corbi hat Folgendes geschrieben:
Was wir können ist Messdaten mit konkreten Berechnungen zu vergleichen. Und nur in der Weise, dass die Berechnungen gut mit den Messdaten übereinstimmen, und in keiner anderen Weise entsprechen meiner Meinung nach die Modelle der Realität.

Das sehe ich eben gerade anders.

Gerade weil unsere Modelle die Messdaten zutreffend beschreiben, frage ich nach dem Grund, warum dies gelingt. Und dieser Grund besteht für mich darin, dass die Natur sich in gewisser Weise tatsächlich mathematisch verhält, und wir in der Lage sind, diese Strukturen zu erfassen, und damit auch - aber eben nicht nur - die Messdaten.

Wenn du dir Messdaten sowie die Schrödingergleichung anschaust, dann haben die zunächst nichts gemein. Es bleibt ein völliges Rätsel, warum die Schrödingergleichung irgendetwas über Messdaten aussagen sollte. Sie hat mit Messdaten am LHC exakt soviel zu tun wie mit den Kaninchen meiner Tochter - nichts. Da sie uns jedoch die Methoden liefert, die Messdaten korrekt zu berechnen, ist - für mich - eine tiefere Begründung notwendig als die schlechte Feststellung, ”dass es halt funktioniert” und “ich jetzt bitte aufhören soll, unphysikalische Fragen zu stellen.

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(Murray Gell-Mann)

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Beitrag Corbi Verfasst am: 02. März 2019 09:57    Titel: Antworten mit Zitat

Zitat:
Ich denke, bereits Platon hat darauf eine sinnvolle Antwort gefunden: wir sind mittels unseres Geistes in der Lage, gewisse Abbilder der realen Welt in einigen Aspekten zutreffend zu erfassen.

Mein Problem mit dieser Auffassung ist, dass ich, wie oben beschrieben, nicht weiß was es bedeuten soll, dass in unserem Geist ein Abbild der Realität existiert. Es sind einfach zwei unvergleichbare Dinge.
Das Zitat von Platon ist bisher einfach nur eine unbegründete Gegenaussage zu meiner Aussage. Genau da sehe ich das Problem, sobald man versucht diese Aussage zu begründen oder diese Aussage auseinanderpflückt und versucht zu klären was die Aussage eigentlich meint kommt man in allergrößte Schwierigkeiten.
Zitat:

Gerade weil unsere Modelle die Messdaten zutreffend beschreiben, frage ich nach dem Grund, warum dies gelingt. Und dieser Grund besteht für mich darin, dass die Natur sich in gewisser Weise tatsächlich mathematisch verhält, und wir in der Lage sind, diese Strukturen zu erfassen, und damit auch - aber eben nicht nur - die Messdaten.

Ja die Natur verhält sich offenbar nach bestimmten Mustern und wir sind in der Lage diese Muster zu beschreiben. Was mich aber abschreckt von einer Aussage wie „dieses Modellobjekt hat ein Gegenstück in der Realität“ ist, dass zwei völlig verschiedene Modelle dieselbe Vorhersage treffen können. (Vergleich: Newton – Einstein). Ich halte es für gut möglich, dass sich noch sehr viele weitere Modelle finden lassen, die dieselben Vorhersagen treffen, in ihren Grundvorstellungen aber nichts gemein haben.
TomS
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Beitrag TomS Verfasst am: 02. März 2019 15:29    Titel: Antworten mit Zitat

Corbi hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Ich denke, bereits Platon hat darauf eine sinnvolle Antwort gefunden: wir sind mittels unseres Geistes in der Lage, gewisse Abbilder der realen Welt in einigen Aspekten zutreffend zu erfassen.

Mein Problem mit dieser Auffassung ist, dass ich, wie oben beschrieben, nicht weiß was es bedeuten soll, dass in unserem Geist ein Abbild der Realität existiert. Es sind einfach zwei unvergleichbare Dinge.

Es sind zwei verschiedene Dinge, aber sie lassen sich dennoch zueinander in Beziehung setzen.

Z.B. ist die Farbe Rot strikt von Licht mit einer Wellenlänge von 650 nm zu unterscheiden. Dennoch setzt unser Gehirn beides in Beziehung. Ich denke, kein Physiker wird eine irgendwie geartete Beziehung zwischen den Phänomenen einerseits und der physikalischen bzw. mathematischen Beschreibung andererseits leugnen.

Die Frage ist nicht, ob eine Beziehung besteht, sondern von welcher Art sie ist. Und da sagen Realisten im weitesten Sinne eben, dass diese Beziehung darin besteht, dass die mathematischen Strukturen einen gewissen Aspekt der Realität tatsächlich korrekt abbilden. Wenn dies nicht so wäre, bliebe die Tatsache, dass die Mathematik in der Physik funktioniert, völlig rätselhaft.

Die Schrödingergleichung hat zunächst nichts mit i) meinen üblichen Denkmustern zu tun. Sie hat auch nichts mit ii) der Schwärzung einer Photoplatte zu tun. Wenn sie jetzt auch nichts mit iii) dem tatsächlichen Verhalten der Quantenobjekte zu tun hätte, dann stünde die Aussage im Raum, dass man zwar mittels der Schrödingergleichung das Muster der Schwärzung vorhersagen kann, obwohl die Schrödingergleichung mit (i - iii) nichts zu tun hat. Damit geben sich die Realisten nicht zufrieden, sie stellen die Frage, warum dies alles funktioniert, und sie gelangen zur o.g. Antwort.

Corbi hat Folgendes geschrieben:
Was mich aber abschreckt von einer Aussage wie „dieses Modellobjekt hat ein Gegenstück in der Realität“ ist, dass zwei völlig verschiedene Modelle dieselbe Vorhersage treffen können. (Vergleich: Newton – Einstein). Ich halte es für gut möglich, dass sich noch sehr viele weitere Modelle finden lassen, die dieselben Vorhersagen treffen, in ihren Grundvorstellungen aber nichts gemein haben.

Deswegen ist die o.g. Beziehung sicher nicht trivial, und deswegen habe ich auch darauf hingewiesen, dass man die Krümmung einer Riemannschen Mannigfaltigkeit sicher nicht mit der “Krümmung der realen Raumzeit” identifizieren kann. Dennoch glaube ich - zusammen mit index_razor - dass ...
Zitat:
... dieser Riemannschen Krümmung ein davon unabhängiges Element der Realität zugeordnet werden kann.

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Frankx



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Beitrag Frankx Verfasst am: 02. März 2019 19:25    Titel: Antworten mit Zitat

Zitat:
Die Frage ist nicht, ob eine Beziehung besteht, sondern von welcher Art sie ist. Und da sagen Realisten im weitesten Sinne eben, dass diese Beziehung darin besteht, dass die mathematischen Strukturen einen gewissen Aspekt der Realität tatsächlich korrekt abbilden. Wenn dies nicht so wäre, bliebe die Tatsache, dass die Mathematik in der Physik funktioniert, völlig rätselhaft.



Wenn wir eine Wasseroberfläche betrachten, finden wir ein Verhalten bzw. eine Eigenschaft, die wir als Wellen bezeichnen. Interessanterweise taucht ein ähnliches Verhalten auch in ganz anderen Zusammenhängen auf. Licht und Schall verhalten sich unter bestimmten Versuchsbedingungen ähnlich und selbst bei Fahrzeugkolonen im Stau kann man wellenähnliches Verhalten finden.

Wir neigen dazu, mittels Mathematik "Modelle" zu bilden, um das Verhalten dieser Vorgänge vorherzusagen.

Man könnte aber genauso gut ohne Mathematik direkt vom Verhalten der Wasserwellen auf das Verhalten von Licht, Schall oder Fahrzeugkolonnen schließen (oder auch umgekehrt).

Wir nutzen also ähnliches Verhalten verschiedener Systeme, um von der Reaktion des einen Systems auf das andere System zu schließen.

Wenn wir nun die Mathematik ebenfalls nur als eines unter vielen solcher Systeme verstehen, dann gibt es keine besondere Beziehung zwischen Mathematik und physikalischer Realität.

Das mathematische Ergebnis ist quasi nur ein weiteres Experimentalergebnis, dessen Werte sich analog den Wasserwellen verhalten.

Noch deutlicher wird das, wenn man berücksichtigt, dass jegliche Mathematik ebenfalls an Materie gebunden ist, sei es in Form von Nervenverbindungen in unseren Gehirnen, oder als Hardware in einem Computer usw.
Letztlich machen wir also nur physikalische Experimente, deren Ergebnisse sich irgendwie ähnlich zueinander verhalten.

Man könnte also auch mit Fug und Recht behaupten, dass das Wasser bestimmte Ergebnisse einer mathematischen Berechnung "voraussagt".

Was ist nun "Realität" und was "Modell" ?



.
index_razor



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Beitrag index_razor Verfasst am: 02. März 2019 19:57    Titel: Antworten mit Zitat

Corbi hat Folgendes geschrieben:

Wenn wir davon sprechen, dass ein Objekt in einem physikalischen Modell ein Gegenstück in der Realität besitzt, was meinen wir denn überhaupt damit? Das Modellobjekt ist eine Idee von etwas und existiert daher nur in unserem Kopf. Während das reale Gegenstück objektiv und unabhängig von unserem Geist existieren soll und somit für uns überhaupt nur durch unsere Sinne und die Rekonstruktion durch unseren Verstand erfassbar ist.


Bei den Modellen, die wir verwenden, handelt es sich ja einfach um mathematische Strukturen. Ich denke nicht, daß diese in irgendeinem relevanten Sinne "in unserem Kopf" existieren. Ich kann natürlich über diese Strukturen nachdenken, und deren Eigenschaften werden dadurch sicher in irgendeinem Sinne in meinem Hirn repräsentiert. Aber dasselbe kann ich genauso gut über die Objekte in der Realität behaupten. Diese geistigen Repräsentationen wären dann meine Ideen über diese Struktur (oder über die Realität). Aber die Idee ist nicht dasselbe wie die Struktur. Das erkennst du m.E. schon daran, daß man sich über mathematische Sachverhalte genau so im Irrtum befinden kann, wie über reale. Das wäre völlig unmöglich wenn es nicht von meinen eigenen Ideen unabhängige Tatsachen über mathematische Strukturen gäbe.

Zitat:

Wenn ich jetzt sage, dass das Modellobjekt einem realen Objekt entspricht oder ein reales Gegenstück besitzt, dann müssen sich die beiden Objekte ja in irgendeiner Art und Weise ähnlich sein. Wie soll aber ein geistiges Objekt einem realen materiellen Objekt ähnlich sein?


Insofern als zwischen mehreren verschiedenen realen Objekten analoge Beziehungen bestehen, wie zwischen den mathematischen Objekten des Modells. So besteht z.B. zwischen Geodäten und Riemann-Tensor im Modell ein analoger Zusammenhang wie zwischen den Bahnen frei fallender Teilchen und der Ursache ihrer relativen Beschleunigung in der Realität (also der Ursache der Gezeiten.). Also entsprechen nicht nur die Geodäten des Modells den realen Bahnen frei fallender Teilchen, es ist ebenfalls die Ursache der Gezeiten in dieser Hinsicht der Krümmung einer semi-riemannschen Mannigfaltigkeit "ähnlich". Ähnlicher müssen sie einander auch nicht sein.
TomS
Moderator


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Beitrag TomS Verfasst am: 02. März 2019 20:09    Titel: Antworten mit Zitat

Zunächst mal: du musst meine Meinung natürlich nicht teilen und kannst dir eine andere philosophische Position zu eigen machen

Frankx hat Folgendes geschrieben:
Wir neigen dazu, mittels Mathematik "Modelle" zu bilden, um das Verhalten dieser Vorgänge vorherzusagen.

Ja.

Frankx hat Folgendes geschrieben:
Man könnte aber genauso gut ohne Mathematik direkt vom Verhalten der Wasserwellen auf das Verhalten von Licht, Schall oder Fahrzeugkolonnen schließen (oder auch umgekehrt).

Nein.

Wie soll das gehen? Wie schließt du in der Physik überhaupt, ohne ein mathematisches Modell?

Mathematik ist die - einzige - präzise Sprache, in der wir Physik überhaupt formulieren und mittels derer wir zu quantitativen Vorhersagen bzgl. des Verhalten von physikalischen Systemen gelangen können.

Frankx hat Folgendes geschrieben:
Wir nutzen also ähnliches Verhalten verschiedener Systeme, um von der Reaktion des einen Systems auf das andere System zu schließen.

Manchmal tun wir das. Manchmal müssen wir völlig neue Modelle entwickeln, ohne dass irgendeine Analogie helfen würde.

Maxwell, Einstein, Heisenberg et al., … Quantengravitation ?

In all diesen Fällen gab es keine Analogie.

Frankx hat Folgendes geschrieben:
Wenn wir nun die Mathematik ebenfalls nur als eines unter vielen solcher Systeme verstehen, dann gibt es keine besondere Beziehung zwischen Mathematik und physikalischer Realität.

Aber ein mathematisches Modell ist weder ein Phänomen, das uns erscheint, noch ist es das real existierende System.

Beispiel:
Schweinebraten - Realität
Geschmack - Phänomen
Rezept - Mathematik

Frankx hat Folgendes geschrieben:
Das mathematische Ergebnis ist quasi nur ein weiteres Experimentalergebnis, dessen Werte sich analog den Wasserwellen verhalten.

Ich habe Physik studiert und die Experimentalphysik recht schnell verlassen, um mich der theoretischen Physik zuzuwenden. Ich kann nicht erkennen, dass das, was ich da jahrelang getrieben habe, den Charakter eines Experimentes gehabt hätte

Frankx hat Folgendes geschrieben:
Noch deutlicher wird das, wenn man berücksichtigt, dass jegliche Mathematik ebenfalls an Materie gebunden ist, sei es in Form von Nervenverbindungen in unseren Gehirnen, oder als Hardware in einem Computer usw.

Dem würden wohl über 90% aller Mathematiker widersprechen. Viele Mathematiker empfinden die Beschäftigung mit der Mathematik gemäß Platon als Entdeckung unabhängig von ihnen existierender mathematischer Strukturen, nicht als deren "Erfindung".

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Zuletzt bearbeitet von TomS am 02. März 2019 22:10, insgesamt einmal bearbeitet
Frankx



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Beitrag Frankx Verfasst am: 02. März 2019 20:40    Titel: Antworten mit Zitat

Zitat:
Frankx hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Man könnte aber genauso gut ohne Mathematik direkt vom Verhalten der Wasserwellen auf das Verhalten von Licht, Schall oder Fahrzeugkolonnen schließen (oder auch umgekehrt).


Nein.

Wie soll das gehen? Wie schließt du in der Physik überhaupt, ohne ein mathematisches Modell?

Was hindert dich daran, direkt von der Wasserwelle auf das Interferenzbild des Lichtes zu schließen?

Was hindert dich daran, vom fallenden Apfel auf einen fallenden Stein zu schließen? Man nimmt die Messwerte des Apfels und schließt auf die Fallzeit des Steines.

Oder man nimmt die Fallzeit des Apfels und schließt auf das voraussichtliche Ergebnis einer mathematischen Berechnung.

Ich mache ein reproduzierbares Experiment indem ich Formeln aufschreibe, umwandle, Berechnungen ausführe und erhalte einen "Messwert".

Warum sollte das immer eine Einbahnstraße sein?

Zitat:

Manchmal tun wir das. Manchmal müssen wir völlig neue Modelle entwickeln, ohne dass irgendeine Analogie helfen würde.


Das was du hier als "Modell" bezeichnest, ist die Analogie eben in einem mathematischen "Experiment".

Zitat:

Aber ein mathematisches Modell ist weder ein Phänomen, das uns erscheint, noch ist es das real existierende System.

Da hast du mich falsch zitiert???


Zitat:
Ich kann nicht erkennen, dass das, was ich da jahrelang getrieben habe, den Charakter eines Experimentes gehabt hätte

Mir ist bewußt, das dies eine unorthodoxe Sichtweise ist. Mir ist der Gedanke auch erst heute gekommen, aber ich finde zunehmend Gefallen daran und ich habe noch kein ernsthaftes Argument gefunden, wieso diese Sichtweise keine Berechtigung haben sollte.

Zumindest löst sich damit die Frage nach einer besonderen unerklärlichen Beziehung von Mathematik (Modell) und Realität in Wohlgefallen auf.

.
TomS
Moderator


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Beiträge: 18078

Beitrag TomS Verfasst am: 02. März 2019 22:16    Titel: Antworten mit Zitat

Frankx hat Folgendes geschrieben:
Was hindert dich daran, direkt von der Wasserwelle auf das Interferenzbild des Lichtes zu schließen?

Oberflächlich nichts, aber bei näherer Betrachtung die Tatsache, dass vieles im Detail schlicht unzutreffend ist: Linearität vs. Nichtlinearität, Dispersion, Polarisation, Medium, ...

Frankx hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Aber ein mathematisches Modell ist weder ein Phänomen, das uns erscheint, noch ist es das real existierende System.

Da hast du mich falsch zitiert???

Sorry, ich hatte meinen Text in dein Zitat geschrieben; hab’s korrigiert.

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index_razor



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Beitrag index_razor Verfasst am: 02. März 2019 22:19    Titel: Antworten mit Zitat

Corbi hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Ich denke, bereits Platon hat darauf eine sinnvolle Antwort gefunden: wir sind mittels unseres Geistes in der Lage, gewisse Abbilder der realen Welt in einigen Aspekten zutreffend zu erfassen.

Mein Problem mit dieser Auffassung ist, dass ich, wie oben beschrieben, nicht weiß was es bedeuten soll, dass in unserem Geist ein Abbild der Realität existiert.


Das ist m.E. auch eher ein Problem der Neuropsychologie und hat mit der Beziehung zwischen Modell und Realität wenig zu tun.

Zitat:

Ja die Natur verhält sich offenbar nach bestimmten Mustern und wir sind in der Lage diese Muster zu beschreiben. Was mich aber abschreckt von einer Aussage wie „dieses Modellobjekt hat ein Gegenstück in der Realität“ ist, dass zwei völlig verschiedene Modelle dieselbe Vorhersage treffen können. (Vergleich: Newton – Einstein).


Das ist nun kein gutes Beispiel, weil ja Newton und Einstein gerade nicht dieselben Vorhersagen machen. Es bleibt also in erster Linie unklar, was du hier mit "völlig verschiedenen Modellen" meinst. Solange sie mindestens so verschieden sind wie Newtonsche Mechanik und ART, ist recht eindeutig welche Art von Objekten man eher in der Realität zu erwarten hat.

Zitat:

Ich halte es für gut möglich, dass sich noch sehr viele weitere Modelle finden lassen, die dieselben Vorhersagen treffen, in ihren Grundvorstellungen aber nichts gemein haben.


Sollte ich irgendwann mal zwei grundverschiedene physikalisch relevante Modelle sehen, die 1) nicht beide gleichzeitig wahr sein können, 2) in allen ihren Vorhersagen bis auf die letzte Nachkommastelle übereinstimmen und 3) kein drittes nicht-falsifiziertes Modell existiert, welches eine größere Klasse von Phänomenen erklärt (anderenfalls sind die ersten beiden Modelle irrelevant und, wenn überhaupt, beschreibt das dritte die Realität), werde ich zugeben, daß für alle die von diesen Modellen beschriebenen Phänomene die realen Ursachen vollkommen unklar sind. (Ich werde dies aber nicht für alle anderen Phänomene zugeben.)
Frankx



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Beiträge: 982

Beitrag Frankx Verfasst am: 02. März 2019 22:35    Titel: Antworten mit Zitat

Zitat:

Frankx hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Was hindert dich daran, direkt von der Wasserwelle auf das Interferenzbild des Lichtes zu schließen?
Oberflächlich nichts, aber bei näherer Betrachtung die Tatsache, dass vieles im Detail schlicht unzutreffend ist: Linearität vs. Nichtlinearität, Dispersion, Polarisation, Medium, ...

Das ist ja der Witz.
Zwei völlig unterschiedliche Zusammenhänge zeigen unter bestimmten Bedingungen ein ähnliches Verhalten.

Wenn wir nun die Mathematik als einen ebenso völlig anderen ebenbürtigen Zusammenhang betrachten, die unter bestimmten Bedingungen ähnliches Verhalten (Messwerte) zeigt, dann stellt sie kein besonderes System mit besonderer geheimnisumwitterter Beziehung zur Realität mehr dar.

Sie ist dann ebenfalls gleichberechtigter Teil der Realität, einer Realität, die eben bestimmte Eigenschaften in unterschiedlichen Aspekten immer wieder zum Vorschein bringt.

Dazu braucht es dann also keine Unterscheidung "Modell" und "Realität" mehr.
Diese Unterscheidung ist dann willkürlich.

.
TomS
Moderator


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Beiträge: 18078

Beitrag TomS Verfasst am: 02. März 2019 22:45    Titel: Antworten mit Zitat

Frankx hat Folgendes geschrieben:
Zitat:

Frankx hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Was hindert dich daran, direkt von der Wasserwelle auf das Interferenzbild des Lichtes zu schließen?
Oberflächlich nichts, aber bei näherer Betrachtung die Tatsache, dass vieles im Detail schlicht unzutreffend ist: Linearität vs. Nichtlinearität, Dispersion, Polarisation, Medium, ...

Das ist ja der Witz.
Zwei völlig unterschiedliche Zusammenhänge zeigen unter bestimmten Bedingungen ein ähnliches Verhalten.

Aber zumeist zeigen sie völlig unterschiedliches Verhalten.

M.M.n. folgt aus oberflächlich erscheinender Ähnlichkeit jedoch tiefergehenden fundamentalen Unterschieden nichts.

Frankx hat Folgendes geschrieben:
Wenn wir nun die Mathematik als einen ebenso völlig anderen ebenbürtigen Zusammenhang betrachten, die unter bestimmten Bedingungen ähnliches Verhalten (Messwerte) zeigt, dann stellt sie kein besonderes System mit besonderer geheimnisumwitterter Beziehung zur Realität mehr dar.

Ich verstehe dich wohl nicht richtig. In der Praxis stellen sich theoretische und experimentelle Methoden völlig unterschiedlich dar.

Frankx hat Folgendes geschrieben:
Dazu braucht es dann also keine Unterscheidung "Modell" und "Realität" mehr.
Diese Unterscheidung ist dann willkürlich.

Wenn du das konsequent zu Ende denkst, dann identifizierst du das mathematische Modell mit der Realität. Dann wird das Wasserstoffatom nicht durch eine Schrödingergleichung beschrieben, sondern es ist eine Schrödingergleichung. Das führt letztlich zu Tegmark’s Mathematical universe hypothesis. Ist das wirklich in deinem Sinn?

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Beitrag Frankx Verfasst am: 03. März 2019 16:23    Titel: Antworten mit Zitat

Ich hatte eine etwas unruhige Nacht, in der mir noch ein paar Argumente eingefallen sind. Aber der Reihe nach.

Zitat:
Aber zumeist zeigen sie völlig unterschiedliches Verhalten.

M.M.n. folgt aus oberflächlich erscheinender Ähnlichkeit jedoch tiefergehenden fundamentalen Unterschieden nichts.

Diese "oberflächlichen" Ähnlichkeiten sind doch der Grund dafür, dass man eben Wasserwellen, Schall, bestimmte Lichtphänomene und Autokolonnen mit Wellengleichungen beschreiben kann.

Zitat:

Ich verstehe dich wohl nicht richtig. In der Praxis stellen sich theoretische und experimentelle Methoden völlig unterschiedlich dar.

Was ist ein Experiment? Man definiert bestimmte Randbedingungen für ein System und schaut, wie sich das System verhält. Werden diese Randbedingungen genau genug definiert, wird das System immer wieder ähnliches Verhalten zeigen. Das Experiment ist reproduzierbar.

In der Experimentalphysik definiert man z.B. Randbedingungen für ein Doppelspaltexperiment und erkennt dann auf einem Fotopapier Interferenzstreifen.

Was macht nun die theoretische Physik und die Mathematik?
Man programmiert einen Computer (man definiert also Randbedingungen) et voilà, quelle surprise, auf dem Bildschirm erscheint ein dem obigen Photo zum verwechseln ähnliches Bild. (Wenn nicht, dann sind eben die Randbedingungen nicht richtig definiert.)
Das System Computer+Programm zeigt also an dieser Stelle ein ähnliches Verhalten wie unser Doppelspaltexperiment (Interferenzstreifenbild).
(Als Programm (also Randbedingungen) sehe ich hier die realen physikalischen Verschaltungen und Zustände der Speicherbits.)
Man hat also zwei Experimente durchgeführt und vergleicht die Ergebnisse.


Zitat:
Wenn du das konsequent zu Ende denkst, dann identifizierst du das mathematische Modell mit der Realität.

Nein, ich sehe es als einen eigenen Teil der Realität.

Zitat:
Dann wird das Wasserstoffatom nicht durch eine Schrödingergleichung beschrieben, sondern es ist eine Schrödingergleichung.


Nein, es sind und bleiben zwei voneinander unabhängige Teile der Realität. Wir nutzen nur die Ähnlichkeit der Ergebnisse, um vom Verhalten des einen Systems auf das Verhalten des anderen Systems zu schließen. Und nur durch die Richtung dieses Schlusses wird festgelegt, welches der Systeme als Modell für das andere dient.
(Sand wird im Physikunterricht manchmal als Modellflüssigkeit benutzt. Umgekehrt könnte man Wasser bei bestimmten Experimenten als Modellsand verwenden.)

Diese Ähnlichkeit hat ja aber auch ihre Grenzen. In der Mathematik finden wir teilweise Lösungen, die wir im Vergleichssystem nicht wiedererkennen (z.B. Singularitäten) und ein physikalisches System (z.B. Bewegungen der Planeten) korelliert nicht beliebig genau und ewig mit einer mathematischen Gleichung (Ellipsengleichungen).
Man müsste also die Randbedingungen des mathematischen Experimentes genauer definieren, das mathematische System verkomplizieren, um eine bessere Übereinstimmung zu erreichen.

Nun könnte man sich noch am Computer stören und behaupten, Mathematik funktioniere auch ohne Computer, einfach so für sich.
Bei genauer Betrachtung ist jedoch jegliche Mathematik an Materie gebunden, sei es durch den Aufbau unserer Gehirne oder durch Hinterlegung der Formeln (Randbedingungen) in Schriftstücken und Speichermedien.

Mathematik ist Information und Information ist an Materie gebunden.

Zitat:

Ich habe Physik studiert und die Experimentalphysik recht schnell verlassen, um mich der theoretischen Physik zuzuwenden. Ich kann nicht erkennen, dass das, was ich da jahrelang getrieben habe, den Charakter eines Experimentes gehabt hätte

Zitat:
Dem würden wohl über 90% aller Mathematiker widersprechen. Viele Mathematiker empfinden die Beschäftigung mit der Mathematik gemäß Platon als Entdeckung unabhängig von ihnen existierender mathematischer Strukturen, nicht als deren "Erfindung".

Ich kann verstehen, dass theoretische Physiker und Mathematiker von dieser Sichtweise erst mal nicht begeistert sind, da sie damit eine gewisse Sonderrolle verlieren.

Aber vielleicht hilft es ja, wenn wir den Begriff "Gedankenexperiment" einfach wörtlicher nehmen.


.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
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Beitrag TomS Verfasst am: 03. März 2019 16:52    Titel: Antworten mit Zitat

Frankx hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Aber zumeist zeigen sie völlig unterschiedliches Verhalten.

M.M.n. folgt aus oberflächlich erscheinender Ähnlichkeit jedoch tiefergehenden fundamentalen Unterschieden nichts.

Diese "oberflächlichen" Ähnlichkeiten sind doch der Grund dafür, dass man eben Wasserwellen ... Lichtphänomene ... mit Wellengleichungen beschreiben kann.

Wasser- und Lichtwellen zeigen aber zumeist völlig unterschiedliche Phänomene - so trivial es sein mag, das eine ist Wasser, das andere nicht - und folgen völlig unterschiedlichen Gleichungen. Nur in ganz eng definierten Spezialfällen folgen gewisse Analogien, jedoch keine Identitäten. Im allgemeinen haben Wasser und das elektromagnetische Feld nichts gemein.

Frankx hat Folgendes geschrieben:
Zitat:

Ich verstehe dich wohl nicht richtig. In der Praxis stellen sich theoretische und experimentelle Methoden völlig unterschiedlich dar.

Was ist ein Experiment? ... Das Experiment ist reproduzierbar.


Was macht nun die theoretische Physik und die Mathematik? Man programmiert einen Computer ... Man hat also zwei Experimente durchgeführt und vergleicht die Ergebnisse.

Dann meinst du aber Computerphysik. Das hat wenig mit theoretischer Physik und nichts mit den wirklich fundamentalen Fragen der Physik zu tun.

Frankx hat Folgendes geschrieben:
Nein, es sind und bleiben zwei voneinander unabhängige Teile der Realität. Wir nutzen nur die Ähnlichkeit der Ergebnisse, um vom Verhalten des einen Systems auf das Verhalten des anderen Systems zu schließen. Und nur durch die Richtung dieses Schlusses wird festgelegt, welches der Systeme als Modell für das andere dient.

Eine Banane kann ich essen, die Computersimulation einer Banane nicht.

Frankx hat Folgendes geschrieben:
Sand wird im Physikunterricht manchmal als Modellflüssigkeit benutzt. Umgekehrt könnte man Wasser bei bestimmten Experimenten als Modellsand verwenden.

Richtig.

Dennoch sagt dir das nichts über den Realitätsbezug der Navier-Stokes-Gleichungen. Sie beschreiben offenbar die Realität, sie bilden bestimmte Aspekte der Realität korrekt ab, aber sie entsprechen sicher nicht den fundamentalen Entitäten, da sie keine Körnigkeit, Moleküle, Atome beinhalten, und da sie z.B. Viskosität und Kompressibilität nicht erklären.

Frankx hat Folgendes geschrieben:
Diese Ähnlichkeit hat ja aber auch ihre Grenzen ...
Man müsste also die Randbedingungen des mathematischen Experimentes genauer definieren, das mathematische System verkomplizieren, um eine bessere Übereinstimmung zu erreichen.

Genau das tut man, wenn man bessere Theorien konstruiert. Aber dabei dabei sind Computerberechnungen zunächst eher irrelevant; ich kenne keine neue Theorie, deren grundlegende Entwicklung maßgeblich durch Computer beeinflusst wurde. Der Computer ist ein Hilfsmittel, genauso wie ein Oszilloskop, ein Interferometer oder Spektrometer. Zum Verständnis selbst tragen sie nichts bei, genauso wenig wie die Feder, Notenlinien oder der Quintenzirkel zur Zauberflöte.

Ich kann mittels des Computers bestimmte Modelle besser lösen, und ihre Vorhersagen prüfen. Welche Modelle ich prüfen soll, sagt mir kein Computer, aber gerade damit befasst sich die theoretische Physik.

Frankx hat Folgendes geschrieben:
Bei genauer Betrachtung ist jedoch jegliche Mathematik an Materie gebunden, sei es durch den Aufbau unserer Gehirne oder durch Hinterlegung der Formeln (Randbedingungen) in Schriftstücken und Speichermedien.

Die Materie erklärt jedoch nichts, sie liefert kein Verständnis.

Frankx hat Folgendes geschrieben:

Zitat:

Ich habe Physik studiert und die Experimentalphysik recht schnell verlassen, um mich der theoretischen Physik zuzuwenden. Ich kann nicht erkennen, dass das, was ich da jahrelang getrieben habe, den Charakter eines Experimentes gehabt hätte

Zitat:
Dem würden wohl über 90% aller Mathematiker widersprechen. Viele Mathematiker empfinden die Beschäftigung mit der Mathematik gemäß Platon als Entdeckung unabhängig von ihnen existierender mathematischer Strukturen, nicht als deren "Erfindung".

Ich kann verstehen, dass theoretische Physiker und Mathematiker von dieser Sichtweise erst mal nicht begeistert sind, da sie damit eine gewisse Sonderrolle verlieren.

Ich kann keine spezifische Sonderrolle erkennen. Mathematik und Philosophie sind Geisteswissenschaften; theoretische Physik nutzt Mathematik, zur Beschreibung und Erklärung von Phänomenen und - wenn es die philosophische Grundhaltung mit sich bringt - zur Erklärung der Realität; Experimentalphysik nutzt Mathematik zur Konstruktion der Experimente, zur Auswertung der Daten und zum Vergleich zwischen Theorie und Experiment. Jeder arbeitet eben etwas anders, und damit hat jeder - wenn du so möchtest - eine Sonderrolle.

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Zuletzt bearbeitet von TomS am 03. März 2019 16:59, insgesamt 3-mal bearbeitet
index_razor



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Beitrag index_razor Verfasst am: 03. März 2019 16:57    Titel: Antworten mit Zitat

Frankx hat Folgendes geschrieben:

Nun könnte man sich noch am Computer stören und behaupten, Mathematik funktioniere auch ohne Computer, einfach so für sich.
Bei genauer Betrachtung ist jedoch jegliche Mathematik an Materie gebunden, sei es durch den Aufbau unserer Gehirne oder durch Hinterlegung der Formeln (Randbedingungen) in Schriftstücken und Speichermedien.


Das ist m.E. keine "genauere Betrachtung", sondern lediglich die auf die Mathematik übertragene antirealistische Auffassung, nach der der Mond nicht vorhanden ist, sofern ihn niemand beobachtet.

Glaubst du die Aussagen "Es existiert eine kleinste Primzahl" und "Zu jeder Primzahl existiert eine größere Primzahl" sind genau dann sinnvoll (und wahr), wenn gerade jemand über Mathematik nachdenkt? Und woran genau muß er denken? Muß er irgendwie die Zahl "2" zusammen mit unendlich vielen weiteren Primzahlen gleichzeitig vor seinem geistigen Auge sehen?

Wenn nicht, dann glaubst du an die Existenz von Primzahlen unabhängig von der Funktion informationsverarbeitender Systeme, wie Computern und Gehirnen.
TomS
Moderator


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Beiträge: 18078

Beitrag TomS Verfasst am: 03. März 2019 17:10    Titel: Antworten mit Zitat

Guter Punkt.

Gehen wir noch weiter. Wir können sicher sagen, dass es entweder einen größten Primzahlzwilling (P,P+2) gibt oder dass es ihn nicht gibt. Nun können wir heute nicht beweisen, welcher der beiden Fälle zutrifft, können uns jedoch sicher sein, dass genau einer zutrifft.

Was geschieht nun in dem Moment, wo z.B. die Existenz des größten Primzahlzwillings (P,P+2) bewiesen wird? Entsteht er da gerade? Wird er erzeugt, produziert, konstruiert, ...? Oder war er vorher schon da, jedoch noch unentdeckt?

Wie verhält es sich, wenn der o.g. Beweis nicht-konstruktiv ist, d.h. wenn zwar die Existenz eines größten Primzahlzwillings bewiesen wird, ohne dass dadurch jedoch das konkrete P berechenbar wird? Welche Existenzweise kommt dem noch unbekannten jedoch bereits sicher existierenden (P,P+2) zu?

Man kann derartige anti-realistische Positionen vertreten - siehe z.B. Intuitionismus, mathematischen Konstruktivismus - die Mehrheit der Mathematiker lehnen sie ab.

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Frankx



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Beitrag Frankx Verfasst am: 03. März 2019 18:06    Titel: Antworten mit Zitat

Zitat:
Wasser- und Lichtwellen zeigen aber zumeist völlig unterschiedliche Phänomene - so trivial es sein mag, das eine ist Wasser, das andere nicht - und folgen völlig unterschiedlichen Gleichungen. Nur in ganz eng definierten Spezialfällen folgen gewisse Analogien, jedoch keine Identitäten. Im allgemeinen haben Wasser und das elektromagnetische Feld nichts gemein.

Richtig, und ebenso wenig (oder, je nach Betrachtungsweise, genau so viel) haben sie mit einer mathematischen Formel gemein.

Zitat:

Dann meinst du aber Computerphysik. Das hat wenig mit theoretischer Physik und nichts mit den wirklich fundamentalen Fragen der Physik zu tun.

Nein, der Computer ist hier für mich nur ein Beispiel, bei dem die Bindung des Ergebnisses an die Randbedingungen besonders offensichtlich ist. Analoges ließe sich für ein Gehirn und die darin entstehenden mathematischen Theorien finden.

Zitat:
Eine Banane kann ich essen, die Computersimulation einer Banane nicht.

Das besagt nichts, sondern ist nur eine Frage des Zwecks, für den ich ein Modell benutze.

Zitat:
Dennoch sagt dir das nichts über den Realitätsbezug der Navier-Stokes-Gleichungen.

Nein, es besagt nur, dass bei Experimenten unter bestimmten Randbedingungen Wasser Ergebnisse liefert, die zu Ergebnissen anderer Experimente mit Sand und teilweise anderen Randbedingungen ähnlich sind.

Zitat:
Genau das tut man, wenn man bessere Theorien konstruiert. Aber dabei dabei sind Computerberechnungen zunächst eher irrelevant; ich kenne keine neue Theorie, deren grundlegende Entwicklung maßgeblich durch Computer beeinflusst wurde.

Wie bereits gesagt, ist Computer hier nur Synonym für irgend ein beliebiges System mit dem logische Operationen ausgeführt werden können.
Zitat:
Der Computer ist ein Hilfsmittel, genauso wie ein Oszilloskop, ein Interferometer oder Spektrometer.
... oder wie unser Gehirn.

Zitat:

Welche Modelle ich prüfen soll, sagt mir kein Computer, aber gerade damit befasst sich die theoretische Physik.

Das menschliche Gehirn ist evolutionär so konstruiert, dass es Muster und Wiederholungen erkennt (teilweise selbst dort, wo es keine gibt). Überall dort wo es Muster und Wiederholungen zu erkennen glaubt, führt dies zu einer bestimmten Erwartungshaltung. Genau dies ist der Grund, weshalb man bei Wasser und Schall und Licht bestimmte Ähnlichkeiten findet und vom Verhalten des einen Systems auf das Verhalten des anderen Systems zu schließen versucht.
Oft wurde diese Erwartungshaltung belohnt, weshalb genau dies evolutionär zur Weiterentwicklung beitrug. Das Gehirn ist also eine Rechenmaschine, die genau dafür geeignet ist, solche Vergleiche anzustellen. Dennoch ist es nicht mehr als eine (sehr komplexe) Rechenmaschine.

Zitat:

Die Materie erklärt jedoch nichts, sie liefert kein Verständnis.

Andererseits ist Verständnis ohne Materie auch nicht möglich.

Zitat:
Jeder arbeitet eben etwas anders, und damit hat jeder - wenn du so möchtest - eine Sonderrolle.

Da bin ich bei dir.

index-razor hat Folgendes geschrieben:
Das ist m.E. keine "genauere Betrachtung", sondern lediglich die auf die Mathematik übertragene antirealistische Auffassung, nach der der Mond nicht vorhanden ist, sofern ihn niemand beobachtet.

Nein, ich sage nicht, das er nicht vorhanden ist, sondern dass man nicht weiß, ob er noch da ist.

Zitat:
Glaubst du die Aussagen "Es existiert eine kleinste Primzahl" und "Zu jeder Primzahl existiert eine größere Primzahl" sind genau dann sinnvoll (und wahr), wenn gerade jemand über Mathematik nachdenkt?

Wenn niemand darüber nachdenkt, ist die Aussage einfach sinnlos, da dann nicht einmal definiert ist, was eine Primzahl überhaupt ist.

Zitat:
Und woran genau muß er denken? Muß er irgendwie die Zahl "2" zusammen mit unendlich vielen weiteren Primzahlen gleichzeitig vor seinem geistigen Auge sehen?

In seiner Hardware (Gehirn) sollte irgendwo die Definition von Primzahl hinterlegt sein und die Hardware sollte in der Lage sein, logische Operationen auszuführen.

Zitat:

Wenn nicht, dann glaubst du an die Existenz von Primzahlen unabhängig von der Funktion informationsverarbeitender Systeme, wie Computern und Gehirnen.

Nein, ich glaube nicht an die Existenz von irgendetwas unabhängig von Materie. Wenn etwas existieren soll, also eine Existenz haben soll, dann muss es in irgendeiner Form an Materie gebunden sein. Der Rest ist Religion.


TomS hat Folgendes geschrieben:
Gehen wir noch weiter. Wir können sicher sagen, dass es entweder einen größten Primzahlzwilling (P,P+2) gibt oder dass es ihn nicht gibt.

Nein, das können wir nur vermuten. Vielleicht stellt sich ja irgendwann heraus, dass diese Fragestellung nicht sinnvoll ist, oder das die Antwort von bestimmten Randbedingungen abhängig ist.


.
Frankx



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Beitrag Frankx Verfasst am: 03. März 2019 18:29    Titel: Antworten mit Zitat

Nachtrag:

Natürlich kann die Mathematik Aussagen treffen (und damit ein Verhalten zeigen), die keine Entsprechungen/Ähnlichkeiten in anderen Systemen finden, oder deren Entsprechung noch nicht gefunden wurde.

Das hat aber keinen Einfluss auf die oben beschriebene Sichtweise, da es dort ja explizit um das Verhältnis von Modell zu Realität ging.

Im Gegenteil, die "Tatsache" dass es eben auch "reproduzierbare mathematische Experimente" ohne Bezug zu klassischen physikalischen Systemen gibt, ist doch Indiz dafür, dass die Mathematik Bestandteil der Realität ist, so wie ich es eingangs beschrieben habe.

Sie ist eben nur im Sonderfall "Modell", nämlich genau dann, wenn ihre Ergebnisse zufällig zu den Messwerten der Experimentalphysik passen.

Es wird damit kein mystischer Verbund von Modell und Realität benötigt.


.
TomS
Moderator


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Beitrag TomS Verfasst am: 03. März 2019 19:06    Titel: Antworten mit Zitat

Ich tue mir schwer, deine philosophische Haltung einzuordnen. Ich würde sie irgendwo zwischen agnostisch und anti-realistisch ansiedeln.

Das ist OK, man kann jede derartige Haltung begründen.

Allerdings ist dann auch klar, dass wir eine Diskussion, ob die einem physikalischen Modell zugrundeliegende mathematische Struktur bestimmte Eigenschaften der unabhängig von uns existierenden Realität über die reine Wahrnehmung hinaus beschreibt, beenden können.

Aber nochmal, damit ich dich richtig verstehe:

1) gegeben sei eine pseudo-Riemannsche Mannigfaltigkeit (M,g) mit einer nicht-ausgearteten Funktion g(x,y) auf dem Tangentialraum von M.
2) gegeben sei außerdem der Krümmungsskalar R zum Riemannschen Krümmungstensor sowie die
3) Einstein-Hilbert-Wirkung



A) gegeben sei unsere Sonne, unser Planetensystem, ein Neutronenstern, ...

Frage 1: warum beschreibt die Mathematik (1 - 3) die Phänomene in der Realität (A) zutreffend?
Frage 2: welche Bedeutung für die - unabhängig von uns und den (uns) erscheinenden Phänomenen - existierende Realität (A) schreibst du der Mathematik (1 - 3) zu?
Frage 3: wenn du eine “mystische Verbindung” zwischen zutreffendem Modell (1 - 3) und Realität (A) loswerden möchtest: warum erscheint es dir nicht mystisch, dass ein ganz bestimmtes Modell (1 - 3) zufällig auf die Realität (A) zutrifft?

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Beiträge: 982

Beitrag Frankx Verfasst am: 03. März 2019 19:44    Titel: Antworten mit Zitat

Zitat:
Allerdings ist dann auch klar, dass wir eine Diskussion, ob die einem physikalischen Modell zugrundeliegende mathematische Struktur bestimmte Eigenschaften der unabhängig von uns existierenden Realität über die reine Wahrnehmung hinaus beschreibt, beenden können.

Das wäre die Konsequenz.
Wie gesagt, ist mir die Idee auch erst gestern gekommen und ich bin selbst noch am überlegen.

Zitat:
Aber nochmal, damit ich dich richtig verstehe:

Verfasst am: 03. März 2019 19:06 Titel:

Ich tue mir schwer, deine philosophische Haltung einzuordnen. Ich würde sie irgendwo zwischen agnostisch und anti-realistisch ansiedeln.

Das ist OK, man kann jede derartige Haltung begründen.

Allerdings ist dann auch klar, dass wir eine Diskussion, ob die einem physikalischen Modell zugrundeliegende mathematische Struktur bestimmte Eigenschaften der unabhängig von uns existierenden Realität über die reine Wahrnehmung hinaus beschreibt, beenden können.

Aber nochmal, damit ich dich richtig verstehe:

1) gegeben sei eine pseudo-Riemannsche Mannigfaltigkeit (M,g) mit einer nicht-ausgearteten Funktion g(x,y) auf dem Tangentialraum von M.
2) gegeben sei außerdem der Krümmungsskalar R zum Riemannschen Krümmungstensor sowie die
3) Einstein-Hilbert-Wirkung ....

Ich fürchte du überschätzt meine diesbezüglichen fachlichen Kenntnisse. Ich bin nur physikalisch interessierter Laie, aber ich versuche dennoch zu antworten.
Zitat:
Frage 1: warum beschreibt die Mathematik (1 - 3) die Phänomene in der Realität (A) zutreffend?

Weil die Gleichungen so konstruiert wurden, dass sie eben genau dieses Verhalten innerhalb ihrer Randbedingungen zeigen.
Zitat:
Frage 2: welche Bedeutung für die - unabhängig von uns und den (uns) erscheinenden Phänomenen - existierende Realität (A) schreibst du der Mathematik (1 - 3) zu?

Sie ist Teil der Realität und zeigt unter bestimmten Bedingungen eben ähnliches Verhalten wie andere Systeme auch. Wir benutzen die Kenntnis dieser Ähnlichkeit um das Verhalten anderer Systeme vorherzusagen, da sie (die Mathematik) für uns leichter handhabbar ist, als das entsprechende physikalische System.
Zitat:
Frage 3: wenn du eine “mystische Verbindung” zwischen zutreffendem Modell (1 - 3) und Realität (A) loswerden möchtest: warum erscheint es dir nicht mystisch, dass ein ganz bestimmtes Modell (1 - 3) zufällig auf die Realität (A) zutrifft?

Daran ist nichts mystisches. Wir untersuchen physikalische Systeme und wir untersuchen mathematische Systeme. Dort, wo wir zufällige Ähnlichkeiten finden, versuchen wir sie im obigen Sinne zu nutzen.
Wenn wir bestätigt werden, ist es gut. Wenn es Differenzen gibt, versuchen wir die Randbedingungen zu korrigieren. Wenn die Differenzen zu groß sind, verwerfen wir die Gleichungen und suchen nach Alternativen. Manchmal werden wir fündig, manchmal auch (noch?) nicht.

Ich erwarte nicht, hier sofort zu überzeugen, bin selbst noch am zweifeln. Aber mir scheint das ein interessanter Ansatz zu sein, da dies genau das bisherige seltsame Verhältnis von Modell und Realität auflöst.

Möglicherweise ist diese Sichtweise auch nicht neu, aber zumindest mir so noch nicht bekannt.


.
TomS
Moderator


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Beiträge: 18078

Beitrag TomS Verfasst am: 03. März 2019 19:54    Titel: Antworten mit Zitat

Ganz einfache Frage:

Warum



und nicht



Glaubst du, dass das schlichtweg Zufall ist und dass daraus nichts weiter folgt?

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