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Definition: Theorie und Gesetz
 
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Brillant



Anmeldungsdatum: 12.02.2013
Beiträge: 1973
Wohnort: Hessen

Beitrag Brillant Verfasst am: 19. Jul 2016 10:16    Titel: Definition: Theorie und Gesetz Antworten mit Zitat

Was wird eigentlich aus einer Theorie, wenn sie geprüft und bewiesen ist?

Etwa die Relativitätstheorie. Die gibt es über 100 Jahre, ist aber immer noch nicht zum Relativitätsgesetz (würde das dann so heißen?) geworden. Heißt das, die Physiker zweifeln noch?

Ebenso doe Urknalltheorie ...

Andersrum: Das Gravitationsgesetz scheint auf festen Beinen zu stehen. War das auch mal eine Theorie? Nun stellt man fest, dass die Fly-by-Anomalie darauf hindeutet, dass die Gravitation doch nicht immer korrekt berechnet werden kann.

Wird das Gravitationsgesetz damit (wieder) zur Theorie?
jh8979
Moderator


Anmeldungsdatum: 10.07.2012
Beiträge: 8576

Beitrag jh8979 Verfasst am: 19. Jul 2016 10:31    Titel: Antworten mit Zitat

"Theorie" bedeutet in der Physik was anderes als Du denkst.
https://de.wikipedia.org/wiki/Theorie
yellowfur
Moderator


Anmeldungsdatum: 30.11.2008
Beiträge: 804

Beitrag yellowfur Verfasst am: 19. Jul 2016 10:52    Titel: Antworten mit Zitat

"Theorie" im Sinne von mathematischem Gebilde, nicht im Sinne von "noch nicht ganz sicher". Außerdem werden gerne historische Begriffe beibehalten. Man wird wohl weiterhin Relativitätstheorie und nicht -gesetz sagen, obwohl es sich natürlich um gut geprüfte Gesetzmäßigkeiten handelt. Wenn etwas noch überprüft werden sollte, kann man "Hypothese" verwenden.
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Wenn du einen Traum hast, dann folge ihm. Wer weiß, wo er dich hinführen könnte.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18026

Beitrag TomS Verfasst am: 19. Jul 2016 15:08    Titel: Antworten mit Zitat

Eine Theorie steht immer unter dem Vorbehalt, dass sie sich zwar in diversen experimentellen Situationen zutreffend = als nicht falsch herausgestellt hat, dass sie sich jedoch zukünftig als nicht zutreffend = falsch herausstellen könnte.

Deswegen spricht man letztlich immer von Theorie. Der Begriff Gesetz suggeriert eine absolute Wahrheit, die es in der Physik prinzipiell nicht geben kann.

Letztlich liegen Abstufungen vor. Das Newtonsche Gravitationsgesetz wurde in einem bestimmten experimentell zugänglichen Bereich bisher immer bestätigt = nie widerlegt (in einem erweiterten Bereich ist es sicher nicht mehr zutreffend, man benötigt die allgemeine Relativitätstheorie). D.h. die Begrifflichkeit ist hier nicht wirklich treffend.

Eine Hypothese ist eine spezifische, theoretisch abgeleitete Schlussfolgerung, die man experimentell überprüfen möchte. Eine unbestätigte physikalische Theorie besteht aus einem mathematischen Rahmen sowie eine Sammlung unbestätigter Hypothesen. Eine gut bestätigte Theorie besteht aus dem selben mathematischen Rahmen sowie einer Sammlung bestätigter Hypothesen.

Leider werden die Begriffe nicht einheitlich verwendet. Z.B. sollte man zwar von spezieller und allgemeiner Relativitätstheorie, Standard-Theorie (statt -Modell) der Elementarteilchenphysik, jedoch von Urknallhypothese und Stringhypothese sprechen.

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Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
Ich



Anmeldungsdatum: 11.05.2006
Beiträge: 913
Wohnort: Mintraching

Beitrag Ich Verfasst am: 19. Jul 2016 16:16    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
Urknallhypothese
Nein, das ist m. E. eine Theorie, wenn man entsprechend definiert, was man unter ihr versteht. Z.B. die Einleitungssätze aus der englischen Wikipedia treffen das recht gut:
Wikipedia hat Folgendes geschrieben:
The Big Bang theory is the prevailing cosmological model for the universe from the earliest known periods through its subsequent large-scale evolution.[5][6][7] The model accounts for the fact that the universe expanded from a very high density and high temperature state,[8][9] and offers a comprehensive explanation for a broad range of phenomena, including the abundance of light elements, the cosmic microwave background, large scale structure and Hubble's Law.
Dagegen ist nicht viel zu sagen, wir haben hier ein sehr gut bestätigtes Modell. Die Hypothesen liegen woanders, ich zitiere den dritten Satz:
Wikipedia hat Folgendes geschrieben:
If the known laws of physics are extrapolated beyond where they have been verified, there is a singularity.
Es ist einfach so, dass die Urknalltheorie in die Vergangenheit extrapoliert. Das funktioniert 13.8 Mrd Jahre lang recht gut, und es gibt keinen Zweifel, dass das grobe Bild (Expansion aus einem heißen und dichten Anfangszustand) stimmt. Was davor passiert ist, ist Gegenstand von ganz gut bestätigten Hypothesen (wie dem Inflationsszenario) bis hin zu purer Spekulation.
Wenn man da nicht unterscheidet, kommt beim Publikum gerne mal Verwirrung auf. Vor allem aber holt man sich die Cranks ins Haus. Wenn man da sagt, die Urknalltheorie sei nur eine Hypothese, dann legen die das so aus, als ob damit alles in Frage gestellt sei und dass wir doch gar nichts wüssten. Genau dieselbe Situation hat man mit der Evolution: Wenn man sie richtig definiert als die Entstehung der Arten aus einem gemeinsamen Vorfahren, gibt es am groben Bild nichts zu zweifeln. Wie die Abiogenese stattgefunden hat, hat damit gar nichts zu tun - und wird trotzdem immer als Argument genannt, das angeblich alles in Frage stellen soll.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18026

Beitrag TomS Verfasst am: 19. Jul 2016 16:41    Titel: Antworten mit Zitat

OK, Zustimmung.

Das erfordert aber die Erklärung, dass unter Urknalltheorie Charakteristika wie heißer Anfangszustand, Expansion, Abkühlung, FRW-Modelle (ab einem gewissen Zeitpunkt), ... subsummiert wird, jedoch gerade nicht der Urknall selbst als initiale Singularität.

Das ist eine gewisse begriffliche Gradwanderung.
Ich



Anmeldungsdatum: 11.05.2006
Beiträge: 913
Wohnort: Mintraching

Beitrag Ich Verfasst am: 20. Jul 2016 10:56    Titel: Antworten mit Zitat

Sicher. Allerdings könnte man sagen, dass der Knall selbst durchaus noch dabei ist, und ebenso wie der Rest als gesichert gelten kann. Ursache und genaue Entstehung der Knalls sind hingegen noch mehr oder minder spekulativ.
Hintergrund: was wir relativ unspekulativ durch Rückwärtsextrapolation bekommen ist ein homogener, extrem heißer und dichter Zustand, der unglaublich schnell expandiert. Das kann man durchaus als Beschreibung einer Explosion oder eines "Knalls" zählen lassen, wenn man schon dieses Wort benutzen muss.
Über das Zustandekommen dieses Zustand gibt es eine gut bestätigte Hypothese, nämlich "Reheating" am Ende der Inflationsphase. Wieder aus Wikipedia:
Zitat:
Inflation ended when the inflaton field decayed into ordinary particles in a process called "reheating", at which point ordinary Big Bang expansion began. The time of reheating is usually quoted as a time "after the Big Bang". This refers to the time that would have passed in traditional (non-inflationary) cosmology between the Big Bang singularity and the universe dropping to the same temperature that was produced by reheating, even though, in inflationary cosmology, the traditional Big Bang did not occur.

Ob man will oder nicht, genau an dieser Stelle hätte man sowieso Erklärungsbedarf. Man denke nur an die ewige Inflation, was bedeuten würde, dass das Universum beliebig alt sein kann - ohne, dass es iirgendwas an unserem "beobachteten" Urknall von 13,8 Mrd Jahren ändern würde.
Ich sage ja gar nicht, dass diese spekulativen Dinge grundsätzlich nicht zur Urknalltheorie gehören. Wir wollen ja wissen, wie das alles abgelaufen ist. Es ist aber so, dass alle verworfenen Spekulationen und alle neuen Erkenntnisse den heißen, dichten, expandierenden Anfangszustand nicht verschwinden lassen können. Den haben wir, und diese Tatsache ist ein bisschen Wortklauberei wert.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18026

Beitrag TomS Verfasst am: 20. Jul 2016 11:37    Titel: Antworten mit Zitat

Nicht falsch verstehen, passt.

Die Begriffe sind eben nicht scharf bzw. disjunkt.

Frage: welchen Begriff schlägst du für die String-XYZ vor?

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bassiks



Anmeldungsdatum: 11.08.2010
Beiträge: 194

Beitrag bassiks Verfasst am: 20. Jul 2016 12:09    Titel: Antworten mit Zitat

Dann mal meine Meinung:

Gesetz: Veraltet. Als Gesetz würde ich etwas bezeichnen, an was sich etwas zu halten hat. Siehe Bemerkung von TomS.

Zu Theorie vs. Hypothese: Die Stringtheorie ist meiner Meinung nach eine Theorie.
Einer Theorie liegt meistens eine Annahme/Hypothese zu Grunde. Im Fall der Stringtheorie wäre es die Annahme von Strings als elementare Objekte.
Die Hypothese ist also meiner Meinung nach der Startpunkt einer Theorie, die Theorie selbst beschreibt ein logisches Konstrukt, welches es uns ermöglicht Folgen der Hypothese zu bestimmen und die Hypothese evt. überprüfbar zu machen. Insofern, würde ich Stringtheorie sagen, und auch Inflationstheorie. Auf die Hypothese(n) hinter letzterer wurde ja teilweise auch verwiesen.
Ich



Anmeldungsdatum: 11.05.2006
Beiträge: 913
Wohnort: Mintraching

Beitrag Ich Verfasst am: 20. Jul 2016 12:10    Titel: Antworten mit Zitat

Ich kenne mich wenig mit dem Thema aus. Es muss wohl seinen mathematischen Reiz haben, sonst würden sich nicht so viele so lange damit beschäftigen. Viel Handfestes ist aber nicht rausgekommen. Ich würde mich diesmal der deutschen Wikipedia anschließen: eine Sammlung hypothetischer physikalischer Modelle.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18026

Beitrag TomS Verfasst am: 20. Jul 2016 12:14    Titel: Antworten mit Zitat

Wenn man unter Theorie ein fundamentales Modell, bestätigte Vorhersagen sowie weitere noch offene Vorhersagen versteht, dann ist es sicher keine Theorie.

Ich plädiere für Meta-Hypothese (sperriger Begriff, passt also ganz gut :-)

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bassiks



Anmeldungsdatum: 11.08.2010
Beiträge: 194

Beitrag bassiks Verfasst am: 20. Jul 2016 12:29    Titel: Antworten mit Zitat

Zitat:
Wenn man unter Theorie ein fundamentales Modell, bestätigte Vorhersagen sowie weitere noch offene Vorhersagen versteht, dann ist es sicher keine Theorie.


Ich bin mir nicht sicher ob man den Begriff Theorie an bereits bestätigten Vorhersagen aufhängen sollte. Meiner Meinung nach ist etwas eine Theorie wenn es falsifizierbare Vorhersagen liefert (auch wenn noch keine davon bestätigt wurde). Es bleibt auch bei Falsifizierung eine Theorie, nur eben eine falsche. Würdest du eine falsifizierte Theorie nicht mehr als Theorie bezeichnen? Ich räume natürlich ein, dass der Status der Stringtheorie auch mit diesem Verständnis von Theorie noch nicht unbedingt geklärt sein dürfte. Meine persönliche Meinung: Es ist eine Theorie, da sie, zumindest im Prinzip, falsifizierbare Aussagen trifft. Ein großes Problem sehe ich in der Komplexität, welche es einem wohl immer erlaubt das mathematische Modell genügend groß aufzublasen um es auf die geänderte Situation anzupassen.

EDIT: Was wäre wenn wir es Stringmodell nennen würden? Denn irgendwie handelt es sich um das Modell eines Universums, welches Strings als Elementare Objekte beinhaltet. Es ähnelt unserem Universum in einigen Punkten. Solange allerdings keine experimentell zugängliche, falsifizierbare Vorhersagen vorhanden ist, ist der Anspruch eine Theorie unseres Universums zu sein nicht gerechtfertigt.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18026

Beitrag TomS Verfasst am: 20. Jul 2016 13:33    Titel: Antworten mit Zitat

Also du meinst, Theorie unabhängig vom Status, Grundvoraussetzung ist die Falsifizierbarkeit. Auch OK, man könnte ja im Falle der Bestätigung andere Namen finden: Newtonsche Mechanik, Elektrodynamik, Quantenmechanik. Aber was machen wir mit der armen Relativitätstheorie?

Zum Modellbegriff: eher nein, das wird doch oft als (teilweise phänomenologische) Modellbildung im Kontext einer Theorie verwendet: Skyrme-Modell, Bag-Modell, Drude-Modell, ... Aber auch da ist der Sprachgebrauch nicht einheitlich: BCS-Theorie, chiral perturbation theory, ...

Aber Stringtheorie ist m.E. irreführend. Welche Vorhersagen macht sie, die ich nicht auch anders (SUSY, SUGRA,...) erhalte?

EDIT: spekulative Theorie?

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Zuletzt bearbeitet von TomS am 20. Jul 2016 22:41, insgesamt einmal bearbeitet
bassiks



Anmeldungsdatum: 11.08.2010
Beiträge: 194

Beitrag bassiks Verfasst am: 20. Jul 2016 13:55    Titel: Antworten mit Zitat

Zitat:
Aber was machen wir mit der armen Relativitätstheorie?


Wie ist das gemeint? Meinst du damit so Framwork-artige Dinge wie "Quantentheorie"?

Zitat:
Welche Vorhersagen macht sie, die ich nicht auch anders (SUSY, SUGRA,...) erhalte?


Das ist das was ich mit

Zitat:
Ich räume natürlich ein, dass der Status der Stringtheorie auch mit diesem Verständnis von Theorie noch nicht unbedingt geklärt sein dürfte.


meinte. Der Status der Stringtheorie ist wohl ein besonderer, da so enorm viel Arbeit reingesteckt wurde, sie so enorm weiterentwickelt wurde, aber dennoch nicht wirklich etwas greifbares dabei herausspringt. Wie soll man sowas bezeichnen? Stringtheoriechen? Stringmetahypothese? Stringmethode? Stringmodell? Stringidee? Stringuniversum?

EDIT: Spekulative Theorie...Damit könnte ich leben
Kassiopeija



Anmeldungsdatum: 26.06.2015
Beiträge: 146

Beitrag Kassiopeija Verfasst am: 06. Aug 2016 07:17    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
Der Begriff Gesetz suggeriert eine absolute Wahrheit, die es in der Physik prinzipiell nicht geben kann.


Und wie ist das mit der Thermodynamik, zB dem ersten Hauptsatz, der gilt ja in der gesamten Physik. Und wird oftmals als Gesetz bezeichnet, oder nicht?

Wie begründest Du das quotierte? Aufgrund Meß-Ungenauigkeiten? Dann würden absolute Wahrheiten nur aus Mathematik/Geometrie oder Logik folgen können, oder?

Was ist mit den Erhaltungssätzen, diese folgen oftmals aus Symmetrien. Sind das, streng genommen, Gesetze und wie ist hierbei die (zeitliche) Unumkehrbarkeit oder andere Brechungen zu werten?
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18026

Beitrag TomS Verfasst am: 06. Aug 2016 09:00    Titel: Antworten mit Zitat

Kassiopeija hat Folgendes geschrieben:
TomS hat Folgendes geschrieben:
Der Begriff Gesetz suggeriert eine absolute Wahrheit, die es in der Physik prinzipiell nicht geben kann.


Und wie ist das mit der Thermodynamik, zB dem ersten Hauptsatz, der gilt ja in der gesamten Physik.

Der erste Hauptsatz der Thermodynamik besagt, dass die Energie eines abgeschlossenen Systems konstant ist. Dabei wird Wärme als Energieform mit in die Betrachtung einbezogen. Wie der Name schon sagt, handelt es sich um eine spezielle Variante des Energieerhaltungssatzes.

Wir nehmen an, dass der Energieerhaltungssatz bzw. geeignete Verallgemeinerungen universell gelten, aber wir können das nicht beweisen.

Kassiopeija hat Folgendes geschrieben:
Wie begründest Du das quotierte? Aufgrund Meß-Ungenauigkeiten? Dann würden absolute Wahrheiten nur aus Mathematik oder Logik folgen können.

Auch in der Mathematik gibt es keine absolute Wahrheit.

Jedes Teilgebiet der Mathematik beruht auf Definitionen und Axiomen. Wahre Aussagen sind zunächst Sätze, die sich mittels eines formalen Beweises aus den Axiomen ableiten lassen. Wahrheit existiert also nicht universell, sondern immer nur innerhalb des Kontexts der gewählten Axiome. In der Wahl der Axiome sind wir jedoch teilweise frei.

(z.B. kann ich die euklidische oder die nichteuklidsche Geometrie wählen; oder ich kann ZFC für die Mengenlehre wählen, oder lediglich ZF, oder C durch ein anderes Axiom etwas anderes ersetzen)

Nach Gödel et al. wissen wir außerdem, dass es sowohl wahre Sätze gibt, die wir jedoch innerhalb des Axiomensystems nicht beweisen können, als auch dass es Sätze gibt, deren Wahrheit und Falschheit beide innerhalb des Axiomensystems unbeweisbar sind.

(z.B. ist die Kontinuumshypothese innerhalb ZFC unbeweisbar, vorausgesetzt ZFC ist konsistent; anders herum: wenn ein Beweis der Kontinuumshypothese gefunden würde, wäre damit die Inkonsistenz von ZFC bewiesen; diese Unbeweisbarkeit der Kontinuumshypothese innerhalb ZFC sind beweisbar)

Mathematische Wahrheit ist also keineswegs absolut.


Physikalische "Gesetze" sind zunächst eine Sammlung experimenteller Gegebenheiten, die dann geeignet verallgemeinert und formalisiert werden. Die Energieerhaltung ist zunächst eine Hypothese, dass das, was ich an mehreren Systemen beobachtet habe, für alle Systeme gilt. Diese Hypothese kann formalisiert und aus grundlegenderen Annahmen formal abgeleitet werden. Diese Annahmen oder Postulate übernehmen die Rolle der Axiome. Damit kann formal die Wahrheit dieser Hypothese nur im Kontext dieser Axiome gelten; ob diese jedoch universell sind, ist ebenfalls wieder nur eine Hypothese.

(z.B. gilt der Energieerhaltungssatz in einer geläufigen Form nicht innerhalb der allgemeinen Relativitätstheorie; sowohl die Axiome als auch die Formulierung erfordern eine Verallgemeinerung)


Neben dem mathematischen Beweis muss für ein physikalisches Gesetz auch eine experimentelle Bestätigung erfolgen. Dabei gibt es zwei Probleme: Zum ersten kann eine Messung nie absolut exakt erfolgen, d.h. dass es prinzipiell immer möglich ist, dass ein physikalisches Gesetz verletzt ist, dass diese Verletzung jedoch unterhalb der Messungenauigkeit liegt.

(z.B. gilt die CP-Invarianz nicht für die schwache Wechselwirkung; dies konnte jedoch erst 1964 nachgewiesen werden; der Kontext = bestimmte Annahmen der Quantenfeldtheorie wurde daraufhin angepasst, um dieser Verletzung eines Erhaltungssatzes Rechnung zu tragen)

Zum zweiten kann ein physikalisches Gesetz nie für alle relevanten Systeme überprüft werden. Der Energieerhaltungssatz könnte z.B. für bestimmte Systeme falsch sein, wobei die Physiker sie einfach nicht untersuchen (weil sie eben nicht alles untersuchen können, z.B. keine Systeme in fernen Galaxien). Oder der Energieerhaltungssatz könnte bis vor 500 Jahren verletzt gewesen sein.

Deswegen geht man nach Popper nie von einer Verifizierung einer physikalischen Theorie aus, sondern immer nur von einer Falsifizierung.

(z.B. ist die Hypithese "es gibt keinen neutrinolosen doppelten Betazerfall" in unzähligen Experimenten bestätigt, aber dennoch könnte ein einziger derartiger Zerfall diese Hypothese widerlegen; neue Experimente suchen also nicht eine Bestätigung, sondern eine Widerlegung; und jedes neue Experiment bestätigt uns diese Hypothese erstens nur mit einer gewissen Unsicherheit aufgrund von Messungenauigkeiten, und zweitens nur für dieses Experiment, nicht universell)


Kassiopeija hat Folgendes geschrieben:
Was ist mit den Erhaltungssätzen, diese folgen oftmals aus Symmetrien. Sind das, streng genommen, Gesetze ... ?

Diese Erhaltungssätzen folgen i.A. aus dem Noethertheorem. Dieses besagt, dass wenn ein System mittels einer Lagrangefunktion beschreibbar ist, und wenn diese eine Symmetrie aufweist, dass dann theoretisch ein Erhaltungssätze existiert. Die Prämissen können dahingehend verletzt sein, dass keine Lagrangefunktion existiert, dass keine entsprechende Symmetrie vorliegt, und dass die theoretische Beschreibung unzutreffend ist, weil praktisch dennoch eine Verletzung vorliegt.

(z.B. existiert in einem expandierenden Universum keine Zeittranslationsinvarianz, das Noether-Theorem ist nicht anwendbar, und die Energie von frei propagierenden Photonen ist nicht erhalten)
Kassiopeija



Anmeldungsdatum: 26.06.2015
Beiträge: 146

Beitrag Kassiopeija Verfasst am: 06. Aug 2016 15:18    Titel: Antworten mit Zitat

Danke für die umfangreiche Erklärung, ich versteh sie zwar nicht vollständig aber jetzt hab ich ein paar interessante neue Schlagwörter zum googlen.

Zitat:
Wir nehmen an, dass der Energieerhaltungssatz bzw. geeignete Verallgemeinerungen universell gelten, aber wir können das nicht beweisen.

Liegt das daran daß wir nicht wissen ob das Universum geschlossen ist - an dem Punkt wollt ich eh mal nachfragen - was sind denn die potenziellen "Ausgänge"? Zählen da SL bzw.informationsvernichtende Singularitäten dazu? Was gibt's da noch?
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18026

Beitrag TomS Verfasst am: 06. Aug 2016 15:28    Titel: Antworten mit Zitat

Kassiopeija hat Folgendes geschrieben:

Zitat:
Wir nehmen an, dass der Energieerhaltungssatz bzw. geeignete Verallgemeinerungen universell gelten, aber wir können das nicht beweisen.

Wir können die theoretische Gültigkeit eines Satzes auf Basis von Annahmen beweisen, aber dann müssten wir wiederum diese Annahmen beweisen usf. Und wir den Satz nicht experimentell beweisen - s.o.

Das hat rein gar nichts mit irgendwelchen Singularitäten zu tun.
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