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Sind Logik und Mathematik identisch?
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Mister_X
Gast





Beitrag Mister_X Verfasst am: 25. März 2024 15:47    Titel: Sind Logik und Mathematik identisch? Antworten mit Zitat

Meine Frage:
Hallo, ich habe gelesen, dass anscheinend Mathematik und Logik komplett identisch sein sollen (de.quora.com/Ist-Logik-mehr-eine-mathematische-oder-philosophische-Disziplin). Dies hätte angeblich Kurt Gödel gezeigt. Weiß dazu jemand näheres?

Meine Ideen:
Ich dachte immer, Logik sei lediglich eine mathematisch Teildisziplien. Das es mit der Mathematik komplett identisch sein soll, ist mir neu. Aber vielleicht ist diese Aussage auch falsch?
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18083

Beitrag TomS Verfasst am: 25. März 2024 16:31    Titel: Antworten mit Zitat

Zitat:
Da Logik und Mathematik identisch sind (Beweis durch Gödel) ist Logik die mathematische Disziplin schlechthin. Philosophie bedient sich nur des Werkzeugs Logik - wenn sie gut sein möchte.

Schreibt ein Diplom-Psychologe.

Nein, er hat nicht recht.

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Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
Mister_X
Gast





Beitrag Mister_X Verfasst am: 25. März 2024 16:48    Titel: Antworten mit Zitat

Ok danke,

dann lag ich ja richtig. Habe nämlich auch zu angeblichen dem Beweis durch Gödel, dass Mathematik und Logik identisch sind, nichts weiter gefunden. Das machte mich stutzig.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18083

Beitrag TomS Verfasst am: 25. März 2024 18:00    Titel: Antworten mit Zitat

Gödel betrachtet die Ableitbarkeit von Aussagen in formalen Systemen wie der Arithmetik, also insbs. den natürlichen Zahlen; seine Ergebnisse lassen sich auf andere Systeme übertragen, aber dadurch werden diese nicht identisch mit der Arithmetik.

Topologie, Funktionentheorie, Analysis … enthalten mehr und andere Aussagen als die Arithmetik und lassen sich nicht auf diese reduzieren.

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Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
Mister_X
Gast





Beitrag Mister_X Verfasst am: 03. Apr 2024 14:01    Titel: Antworten mit Zitat

Hallo, ich würde mal gerne eine Frage von mir an dieses Thema anhängen, da es die klassische Logik betrifft.
Und zwar geht es um die Paradoxien der Implikation. Inwieweit kann man sagen, dass diese ein ernsthaftes Problem für die Logik darstellen?
Ich habe dazu eine interessante Ausarbeitung gefunden. In dieser wird allerdings behauptet, es gebe in der klassischen Logik nur inkonsisstente Theorien, auf Grund des "ex falsch quodlibet".
Was ist davon zu halten? Hier meine Quelle: unilu.ch/fileadmin/fakultaeten/ksf/institute/philsem/PDFs/Paradoxien_der_Implikation_Logik_HSA_Julia_Oegema.pdf&ved=2ahUKEwjy4PbB_aWFAxWlbPEDHatECDQQFnoECBwQAQ&usg=AOvVaw33aLiQxkhUNwy1pAzakXa-

Siehe dort auf Seite 8.
Wenn die klassische formale Logik inkonsisstent wäre, hätte das doch eigentlich dramatische Auswirkungen auf alle wissenschaftliche Bereiche...
jh8979
Moderator


Anmeldungsdatum: 10.07.2012
Beiträge: 8583

Beitrag jh8979 Verfasst am: 03. Apr 2024 23:06    Titel: Antworten mit Zitat

Mister_X hat Folgendes geschrieben:
Wenn die klassische formale Logik inkonsisstent wäre, hätte das doch eigentlich dramatische Auswirkungen auf alle wissenschaftliche Bereiche...

Dann haben wir ja Glück, dass die formale Logik nicht inkonsistent ist..,
Mister_X
Gast





Beitrag Mister_X Verfasst am: 04. Apr 2024 07:28    Titel: Antworten mit Zitat

Hast du mal das verlinkte Paper von der Uni Luzern gelesen? Das heißt es ab Seite 8 nämlich schon ganz klar, diese sei inkonsistent......was mir echt Kopfschmerzen bereitet.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18083

Beitrag TomS Verfasst am: 04. Apr 2024 09:36    Titel: Antworten mit Zitat

Zu

https://www.unilu.ch/fileadmin/fakultaeten/ksf/institute/philsem/PDFs/Paradoxien_der_Implikation_Logik_HSA_Julia_Oegema.pdf
Paradoxien der Implikation

Mister_X hat Folgendes geschrieben:
Hast du mal das verlinkte Paper von der Uni Luzern gelesen? Das heißt es ab Seite 8 nämlich schon ganz klar, diese sei inkonsistent......was mir echt Kopfschmerzen bereitet.

Nein, genau das – dass die formale Logik inkonsistent wäre – steht da zunächst nicht (oder anders gesagt, wenn es da stünde oder so gemeint wäre, dann wäre das falsch).

Man muss unterscheiden zwischen der Konsistenz eines logischen Systems wie der Aussagenlogik (oder der Prädikatenlogik) und der Konsistenz einer Theorie, die mittels eines derartigen logischen Systems untersucht wird.

Zitat:
Durch das Prinzip „ex falso quodlibet“ breitet sich eine Inkonsistenz auf jede Aussage aus ... Denn prinzipiell kann aus der logischen Falschheit jede Aussage durch einen korrekten logischen Schluss gefolgert werden.

OK.

Zitat:
Eine Theorie ist eine logisch abgeschlossene Menge von Aussagen und der Folgerungen, welche diese Aussagen implizieren. Wenn eine Theorie eine Aussage und gleichzeitig die Negation dieser Aussage enthält, dann handelt es sich um eine konsistente (sic!) Theorie. Nun wird ersichtlich, dass aufgrund des «ex falso quodlibet» gemäss der Darstellung der klassischen formalen Logik jede Theorie inkonsistent ist.

Hier scheint etwas grundsätzlich nicht in Ordnung zu sein!

Zur Theorie:

Wenn ich für eine Theorie beweisen kann, dass ihr Axiomensystem widerspruchsfrei ist, d.h. dass daraus keine zwei Theoreme "T" und "nicht-T" ableitbar sind, dann ist diese Theorie konsistent. Wenn dagegen "T" als auch "nicht-T" ableitbar sind, dann ist die Theorie inkonsistent. Das Problem liegt dann nicht im logischen System begründet, sondern in der Theorie, also der Anwendung des logischen Systems auf ein Axiomensystem.

Für die Aussagenlogik lässt sich die Existenz vollständiger und konsistenter Theorien beweisen (für Prädikatenlogik ist die Arithmetik das berühmte Gegenbeispiel, da sich nach Gödel weder Vollständigkeit noch Konsistenz zeigen lässt).

D.h. wenn ich darüber besorgt bin, dass aus "Angela Merkel ist Papst" der Satz "der 1. FCN ist Deutscher Fußballmeister" folgt, dann liegt das Problem nicht in der Aussagenlogik begründet, sondern darin, dass ich eine falsche Prämisse benutze (formaler, wenn wir mal den o.g. Satz von Gödel beiseite lassen: aus "1+1 = 3" folgt, "es existieren nur endlich viele Primzahlen"; das ist kein Problem der Aussagen- oder Prädikatenlogik, sondern schlicht das Problem, dass wir mit einem falschen Satz "1+1 = 3") beginnen. Das logische System verbietet bzw. kontrolliert das nicht; muss es auch nicht, solange es sicherstellt dass aus wahren Aussagen kein Unsinn folgt.

Wieder zum PDF:

Zitat:
Unabhängig davon, welche Prämisse eingesetzt wird, sofern die Konklusion eine logische Wahrheit ist, kann der Schluss nur korrekt sein ... Ein beliebiges Argument mit einer beliebigen Prämisse ist nach der Darstellung der klassischen formalen Logik gültig, wenn es eine logische Wahrheit als Konklusion aufweist.

Auch das ist unproblematisch (jedoch in der höherwertigen Logik nicht unbedingt zutreffend).

Wenn ich eine wahre Prämisse ansetze, dann ist das Problem (Paradoxon) nicht, dass der Schluss auf eine wahre Konklusion formal zulässig ist. Das Problem (in der höherwertigen Logik) ist, ob die Konklusion formal ableitbar ist; das muss nicht zwingend der Fall sein: "Angela Merkel ist nicht Papst" und der Satz "der 1. FCN ist nicht Deutscher Fußballmeister" sind beides wahre Aussagen, dennoch ist der eine wohl nicht aus dem anderen ableitbar, sicher nicht der Aussagenlogik (Gödel zeigt genau das: die Existenz wahrer jedoch nicht ableitbarer Aussagen, letzteres unter der Voraussetzung der Widerspruchsfreiheit der Theorie).

Wenn ich dagegen eine falsche Prämisse ansetze, dann ist das Problem (Paradoxon) nicht, dass der Schluss auf eine wahre Konklusion formal zulässig ist, sondern nur, dass ich eine falsche Prämisse ansetze (die Aussagenlogik lässt das zu, aber sie zwingt mich nicht dazu; ich führe die falsche Prämisse ein, nicht die Aussagenlogik).

Zusammengefasst, nicht die Aussagenlogik ist inkonsistent, sondern ihre Anwendung auf eine Menge von Aussagen mag zu Problemen führen; das Problem steckt in den Aussagen.


Zur Darstellung im PDF:

Zitat:
Den beiden Logikern ist gemeinsam, dass sie eine Modifikation der klassischen Logik vornehmen, also keine grundlegenden Änderungen der klassischen Logik durchführen ...

Jemand, der so etwas schreibt, sollte nicht über Logik schrieben.

Zitat:
Hoyningen-Huene ... plädiert dafür, dass aus logischen Falschheiten keine Folgerungen gemacht werden dürfen.

Ich würde dafür plädieren, keine Falschheiten einzuführen.

(und ich behaupte, auch diese Aussage ist streng genommen falsch, da es sich nicht um logische Falschheiten handelt)

Zitat:
Hoyningen-Huene schlägt also die Einführung einer Zusatzregel für gültige logische Schlüsse ein, beziehungsweise möchte er logische Folgerungen in gewissen Kontexten verbieten.

Warum? Eine Theorie, die eine falsche Aussage enthält, wird nicht dadurch besser, dass ich aus dieser Aussage keine Schlussfolgerungen ableite.

Generell habe ich den Eindruck, dass all dies in der Mathematik völlig irrelevant ist. Die Prädikatenlogik und ihre Anwendung zeigen, dass logisch konsistente und vollständige Theorien möglich sind, d.h. dass insbs. deren Konsistenz beweisbar ist; damit entfallen sämtliche o.g. "Paradoxien". Und sie zeigt in anderen Fällen, dass formale Systeme existieren, in denen derartiges nicht beweisbar ist (Gödel zur Arithmetik); dabei sind die o.g. Probleme aber ebenfalls irrelevant, da es nicht die Anwendung der Aussagenlogik ist, die sie erzeugt; das kann sie gar nicht, dazu ist sie nicht mächtig genug.
Mister_X
Gast





Beitrag Mister_X Verfasst am: 04. Apr 2024 21:41    Titel: Antworten mit Zitat

Vielen vielen Dank für diese kritische Auseinandersetzung mit der Ausarbeitung!

Zitat:
Zitat:
Eine Theorie ist eine logisch abgeschlossene Menge von Aussagen und der Folgerungen, welche diese Aussagen implizieren. Wenn eine Theorie eine Aussage und gleichzeitig die Negation dieser Aussage enthält, dann handelt es sich um eine konsistente (sic!) Theorie. Nun wird ersichtlich, dass aufgrund des «ex falso quodlibet» gemäss der Darstellung der klassischen formalen Logik jede Theorie inkonsistent ist.

Hier scheint etwas grundsätzlich nicht in Ordnung zu sein!


Genau das hatte ich mir auch gedacht, dann lag ich ja zum Glück nicht falsch....
Ich frage mich fast, ob diese Arbeit vor der Veröffentlichung nicht gegengelesen wurde....

Eine Frage hätte ich noch: mit Theorie ist doch immer eine Menge von Aussagen gemeint, oder?
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18083

Beitrag TomS Verfasst am: 05. Apr 2024 00:57    Titel: Antworten mit Zitat

Mister_X hat Folgendes geschrieben:
Eine Frage hätte ich noch: mit Theorie ist doch immer eine Menge von Aussagen gemeint, oder?

Ich habe schon befürchtet, dass diese Frage kommt.

Es gibt verschiedene Theoriebegriffe. In der Logik bezeichnet "Theorie" die Menge aller logisch untereinander verknüpften bzw. auseinander ableitbaren Aussagen. Mir erscheint dieser Theoriebegriff allerdings im Kontext unserer Diskussion zu eng gefasst zu sein, denn es geht ja um Wahrheit bzw. Falschheit, Paradoxien usw.; das kann aber innerhalb der Aussagenlogik und bei Nichtbeachtung von Bedeutung, Empirie etc. nicht sinnvoll diskutiert werden. Aussagen wie "X ist falsch" oder "X ist falsch und Y ist wahr" wären damit inhaltsleer, Paradoxa nicht existent, weil wir nicht verstehen, was X und Y bedeuten. Und die Aussage "nachts ist es kälter als draußen" ist offensichtlich zugleich grammatikalisch korrekt und sinnlos, aber das sagt uns nicht die Aussagenlogik.

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Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.


Zuletzt bearbeitet von TomS am 05. Apr 2024 07:57, insgesamt einmal bearbeitet
Mister_X
Gast





Beitrag Mister_X Verfasst am: 05. Apr 2024 06:28    Titel: Antworten mit Zitat

Ja, alles klar, deshalb frage ich ja, da es öfters verschiedene Bedeutungen in unterschiedlichen Kontexten gibt. Wie würdest du ihn dann für die Diskussion auffassen?


Zitat:
Ich würde dafür plädieren, keine Falschheiten einzuführen.


Das wäre natürlich das beste, doch gerade wenn ich mir philosophische Diskussionen ansehe, können die Positionen kaum entgegengesetzter sein....und niemand kann bei so manch einer Aussage entscheiden, ob sie wahr oder falsch ist.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18083

Beitrag TomS Verfasst am: 05. Apr 2024 08:00    Titel: Antworten mit Zitat

Das ist auch i.A. nicht möglich.

Es gibt jedoch Philosophen, die diese Diskussionen bzgl. wissenschaftlicher Theorien vorangebracht haben, Popper und Kuhn zum Beispiel. Die lohnt es sich schon, zu lesen.

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Mister_X
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Beitrag Mister_X Verfasst am: 06. Apr 2024 01:19    Titel: Antworten mit Zitat

Mit Popper habe ich mich auch schon mal befasst, er liefert ja quasi mit seinem Programm die Abgrenzung von empirischen Wissenschaften zu anderen Gebieten, wie zb Philosophie.

Aber nochmal kurz zur Theorie ( und weil in dem Paper stand, es könne keine konsistenten Theorien geben): wie würdest du den Theoriebegriff fassen, damit dieser hier zufriedenstellend ist?
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18083

Beitrag TomS Verfasst am: 06. Apr 2024 08:13    Titel: Antworten mit Zitat

Das Problem wird in dem Paper ja sehr klar.

Der Wahrheitsbegriff der Aussagenlogik – wenn man so möchte – ist trivial: eine Aussage ist wahr, wenn sie ausgehend von wahren Aussagen logisch korrekt abgeleitet wurde; logische Tautologien also. Die eigentliche Bewertung von Wahrheit, Paradoxa etc. findet außerhalb statt (das ist der blinde Fleck des Papers). Man benötigt Erweiterungen, so dass man überhaupt erst interessante Aussagen formulieren und bewerten kann.

1) ein wesentlicher Schritt ist die Prädikatenlogik erster und zweiter Stufe, die es insbs. erlaubt, Variablen zu verwenden

2) um nicht nur logische Tautologien diskutieren zu können, muss man eine formale Sprache einführen, z.B. Mathematik, eine Programmiersprache o.ä.; damit liegt der Wahrheitsbegriff dann außerhalb der Logik selbst (in der Mathematik startet man bei einem Axiomensystem, z.B. Mengenlehre, den natürlichen Zahlen …, aus denen dann die Variablen für die Prädikatenlogik stammen)

3) für eine empirische Wissenschaft wie die Physik muss man (2) auf die Realität beziehen, d.h. man muss einen Wahrheitsbegriff einführen, der logisch und mathematisch korrekte Aussagen mit empirisch zutreffenden Aussagen verknüpft; man benötigt eine empirische Praxis, also zielgerichtete Beobachtungen, sowie eine Art Methode, zu verstehen, was man denn eigentlich beobachten soll

Der eigtl. Witz dabei ist, dass man nicht nur über Dinge redet, die man ohnehin schon weiß. Es ist ein Unterschied, ob ich eine Aussage über eine Menge bekannter Fakten mache, oder ob ich Hypothesen zu noch unbekannten Fakten betrachte; während die Astronomen des Mittelalters lediglich die Bewegung bekannter Planeten katalogisierten, konnte man mittels der Newtonschen Mechanik erstmals Hypothesen über noch unbekannte Planeten aufstellen und überprüfen

4) ein essentielles Element ist also die Deduktion. Damit diese nicht reine Spekulation oder Mystik ist, benötigt man (2), d.h. einen formalen Rahmen, dessen Gültigkeit über den der bekannten Fakten hinausgeht.

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Zuletzt bearbeitet von TomS am 06. Apr 2024 09:27, insgesamt 2-mal bearbeitet
Mister_X
Gast





Beitrag Mister_X Verfasst am: 06. Apr 2024 08:36    Titel: Antworten mit Zitat

Ok, aber irgendwie sehe ich da kein wirkliches Problem.

Am besten jetzt im Bezug auf empirische Wissenschaften, da wir hier ja falsifizieren können: die Findung eines Wahrheitswerts findet im Experiment statt. Entsprechend kann ich meine Schlüsse ziehen. Problematisch finde ich das nicht, oder verwechsel ich gerade etwas?

Und auf was bezieht sich dieses Paper, wenn dort steht, in der Aussagenlogik seien keine konsistenten Theorien möglich? Du hast doch selbst geschrieben, dass die Widerspruchsfreiheit für die Aussagenlogik gezeigt werden kann?
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18083

Beitrag TomS Verfasst am: 06. Apr 2024 09:35    Titel: Antworten mit Zitat

Mister_X hat Folgendes geschrieben:
Ok, aber irgendwie sehe ich da kein wirkliches Problem.

Am besten jetzt im Bezug auf empirische Wissenschaften, da wir hier ja falsifizieren können: die Findung eines Wahrheitswerts findet im Experiment statt. Entsprechend kann ich meine Schlüsse ziehen. Problematisch finde ich das nicht, oder verwechsel ich gerade etwas?

Wäre es so einfach, hätte es nach Aristoteles nicht über 2000 Jahre bis zu Poppers Logik der Forschung gedauert.

Aber ja, ich sehe das im Kontext unserer Diskussion auch nicht als Problem an. Ich sah das Problem in dem Paper, das über Wahrheiten, Paradoxa etc. in der Aussagenlogik redet, ohne auch nur ansatzweise zu erklären, dass diese Wahrheiten, Paradoxa etc. eben gerade nicht in der Aussagenlogik liegen (das gilt gleichermaßen für die Prädikatenlogik).

Mister_X hat Folgendes geschrieben:
Und auf was bezieht sich dieses Paper, wenn dort steht, in der Aussagenlogik seien keine konsistenten Theorien möglich?

Ich weiß es nicht, und das Paper nennt dazu nut grob eine Quelle. Evtl. finde ich was dazu, aber irgendwie habe ich den Eindruck, dass das methodisch extrem fragwürdig ist.

Evtl. ist das ein besserer Startpunkt:

https://en.m.wikipedia.org/wiki/Paradoxes_of_material_implication
Zitat:
The paradoxes of material implication are a group of true formulae involving material conditionals whose translations into natural language are intuitively false when the conditional is translated as "if ... then ..." … Given that such problematic consequences follow from a seemingly correct assumption about logic, they are called paradoxes. They demonstrate a mismatch between classical logic and robust intuitions about meaning and reasoning.

Ich denke, hier wird gleich zu Beginn klar, dass das Problem gerade nicht in der klassischen Logik alleine ateckt, sondern in der Beziehung zwischen der klassischen Logik und unserem Verständnis der Welt. Man muss also diese Beziehung in den Blick nehmen.

Ich glaube übrigens, dass das Problem in wissenschaftlichen Theorien deswegen irrelevant ist, weil diese weitere Relationen wie Verursachung / Kausalität und Erklärung / Begründung beinhalten. Das Problem wird einfach dadurch vermieden, dass es zusätzliche sinnstiftende Elemente gibt, sodass wir derartige Schlussfolgerungen gar nicht erst betrachten. Das mag den Logikern nicht ausreichen, und sie möchte ihr System irgendwie reparieren.

EDIT: siehe z.B. ¬(¬p → p) was evtl. als trivial erscheinen mag:

https://en.m.wikipedia.org/wiki/Connexive_logic

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TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18083

Beitrag TomS Verfasst am: 06. Apr 2024 11:30    Titel: Antworten mit Zitat

Mich würde mal ein pragmatischer Ansatz seitens der Logiker und Mathematiker interessieren.

Welche wichtigen mathematischen Theoreme wurden unter Verwendung von problematischen Schlüssen wie (p ∨ ¬p) → x abgeleitet?

Zum Vergleich: in der Mengenlehre kennen wir das von einigen als problematisch angesehene Auswahlaxiom, und wir kennen die nur damit ableitbaren wichtigen und gleichzeitig kritischen Sätze, z.B. die Verallgemeinerung von Vektorraumbasen zu: "jeder unendlich-dimensionale Vektorraum hat eine endliche Basis".

Gibt es irgendeinen wichtigen Satz, der nur mittels problematischer logischer Schlüsse bewiesen werden kann?
Aruna



Anmeldungsdatum: 28.07.2021
Beiträge: 795

Beitrag Aruna Verfasst am: 06. Apr 2024 12:21    Titel: Antworten mit Zitat

Mister_X hat Folgendes geschrieben:
Hast du mal das verlinkte Paper von der Uni Luzern gelesen?


Nennt man heutzutage Hauptseminararbeiten auch schon "Paper"?

Mister_X hat Folgendes geschrieben:

Das heißt es ab Seite 8 nämlich schon ganz klar, diese sei inkonsistent......was mir echt Kopfschmerzen bereitet.


da steht:

Zitat:

Wenn eine Theorie eine Aussage und gleichzeitig die
Negation dieser Aussage enthält, dann handelt es sich um eine konsistente Theorie.
Nun wird ersichtlich, dass aufgrund des «ex falso quodlibet» gemäss der Darstellung der klassischen formalen Logik jede Theorie inkonsistent ist


wenn eine Theorie widersprüchlich ist, dann ist die konsistent?
Und daraus folgt, dass jede Theorie inkonsistent ist?
Kannst Du mir diesen Schluss genauer erläutern?
Zombiephilosoph
Gast





Beitrag Zombiephilosoph Verfasst am: 06. Apr 2024 13:29    Titel: Antworten mit Zitat

Mister_X hat Folgendes geschrieben:

Und auf was bezieht sich dieses Paper, wenn dort steht, in der Aussagenlogik seien keine konsistenten Theorien möglich?
Ich zitiere mal S.8: "Eine Theorie ist eine logisch abgeschlossene Menge von Aussagen und der Folgerungen, welche diese Aussagen implizieren." Heißt also: Eine Theorie ist eine Menge von Aussagen T. Und jede Aussage, die aus T abgeleitet werden kann ist in T enthalten. Das hat nix mit Wahrheit oder Semantik oder Empirie oder was weiß ich zu tun sondern nur mit den formalen Schlussregeln der Aussagenlogik. Nach diesen Regeln folgt A aus B, wenn die Implikation B -> A eine Tautologie ist. Daraus folgt erstens, aus einem Widerspruch folgt jede beliebige Aussage und zweitens aus jeder beliebigen Aussage folgt eine Tautologie. Die Autorin bringt das offenbar komplett durcheinander und kommt irgendwie zu dem Ergebnis, dass aus jeder Aussage ein Widerspruch folgt, was natürlich totaler Quatsch ist. Mehr gibt es dazu eigentlich nicht zu sagen mMn.
Mister_X
Gast





Beitrag Mister_X Verfasst am: 06. Apr 2024 17:50    Titel: Antworten mit Zitat

Zitat:
ch denke, hier wird gleich zu Beginn klar, dass das Problem gerade nicht in der klassischen Logik alleine ateckt, sondern in der Beziehung zwischen der klassischen Logik und unserem Verständnis der Welt. Man muss also diese Beziehung in den Blick nehmen.


Ja, das denke ich auch. was in diesem Rahmen vielleicht noch interessant ist, ist dieses Video, was ich eben gefunden habe: youtube.com/watch?v=eoGyd-WsUuk

Hier wird eigentlich ganz gut aufgezeigt, dass es streng genommen auch kein Paradoxon ist.


Eine Frage dazu fällt mir allerdings noch ein: Kann man überhaupt sagen, dass man aus einer Theorie, also einem Axiomensystem, neue Aussagen in einem deduktiven System ableiten kann? Denn wenn man vom Allgemeinen aufs Einzelne schließt, müssten die entsprechenden Aussagen ja schon von Beginn an vorhanden sein, oder?




Zitat:
wenn eine Theorie widersprüchlich ist, dann ist die konsistent?
Und daraus folgt, dass jede Theorie inkonsistent ist?
Kannst Du mir diesen Schluss genauer erläutern?


Ich erachte das als Böldsinn, denn wenn eine Theorie widersprüchlich ist, ist sie nicht konsistent!
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18083

Beitrag TomS Verfasst am: 06. Apr 2024 19:19    Titel: Antworten mit Zitat

Mister_X hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
ch denke, hier wird gleich zu Beginn klar, dass das Problem gerade nicht in der klassischen Logik alleine ateckt, sondern in der Beziehung zwischen der klassischen Logik und unserem Verständnis der Welt. Man muss also diese Beziehung in den Blick nehmen.


Ja, das denke ich auch. was in diesem Rahmen vielleicht noch interessant ist, ist dieses Video, was ich eben gefunden habe: youtube.com/watch?v=eoGyd-WsUuk

Hier wird eigentlich ganz gut aufgezeigt, dass es streng genommen auch kein Paradoxon ist.

Meiner Meinung nach wird in dem Video gerade die Aristotelische Logik vertreten – siehe oben der Link zur connexive logic – und die ist eben nicht identisch mit der Aussagenlogik. Ich denke, der wesentliche Punkt ist, dass erstere mehr verlangt als die Aussagenlogik, also ein Verständnis der atomaren Aussagen voraussetzt.

Mister_X hat Folgendes geschrieben:
Eine Frage dazu fällt mir allerdings noch ein: Kann man überhaupt sagen, dass man aus einer Theorie, also einem Axiomensystem, neue Aussagen in einem deduktiven System ableiten kann? Denn wenn man vom Allgemeinen aufs Einzelne schließt, müssten die entsprechenden Aussagen ja schon von Beginn an vorhanden sein, oder?

Jein.

Mathematiker tendieren dazu, ein mathematisches Gebilde als für sich genommen vollständig existierend zu betrachten, auch wenn man es noch nicht vollständig verstanden hat. Wir kennen z.B. nicht alle Primzahlen, aber für viele Mathematiker existiert dennoch die unendliche Menge aller Primzahlen; deren Existenz ist unabhängig von unserer Kenntnis.

Genauso existiert für sie die unendliche Menge aller wahren Theoreme einer konsistenten Theorie, auch wenn wir weder bereits bewiesen haben, dass die tatsächlich konsistent ist, noch alle ihre wahren Theoreme bereits kennen. Man kann demzufolge "nichts wirklich neues" in dieser Theorie entdecken, obwohl es einem persönlich so erscheint.

Es gibt jedoch auch Mathematiker, die eine andere metaphysische Einstellung zur Mathematik haben:
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Intuitionismus_(Logik_und_Mathematik)

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Zuletzt bearbeitet von TomS am 06. Apr 2024 19:29, insgesamt einmal bearbeitet
Aruna



Anmeldungsdatum: 28.07.2021
Beiträge: 795

Beitrag Aruna Verfasst am: 06. Apr 2024 19:29    Titel: Antworten mit Zitat

Mister_X hat Folgendes geschrieben:
[
Eine Frage dazu fällt mir allerdings noch ein: Kann man überhaupt sagen, dass man aus einer Theorie, also einem Axiomensystem, neue Aussagen in einem deduktiven System ableiten kann? Denn wenn man vom Allgemeinen aufs Einzelne schließt, müssten die entsprechenden Aussagen ja schon von Beginn an vorhanden sein, oder?


Kommt wohl darauf an, was Du unter "vorhanden" verstehst.
"ableitbar" oder "bekannt"?
Mister_X
Gast





Beitrag Mister_X Verfasst am: 06. Apr 2024 22:34    Titel: Antworten mit Zitat

Zitat:
Meiner Meinung nach wird in dem Video gerade die Aristotelische Logik vertreten – siehe oben der Link zur connexive logic – und die ist eben nicht identisch mit der Aussagenlogik. Ich denke, der wesentliche Punkt ist, dass erstere mehr verlangt als die Aussagenlogik, also ein Verständnis der atomaren Aussagen voraussetzt.


Mist, ich dachte schon, ich hätte es verstanden. In dem Video hieß es ja, das Subjunktion (=materielle Implikation) und die Implikation miteinander verwechselt werden; im Zusammenhang mit den dort genannten Definitionen klang es plausibel. Da muss ich wohl nochmal nachlesen...
Mister_X
Gast





Beitrag Mister_X Verfasst am: 08. Apr 2024 16:22    Titel: Antworten mit Zitat

Da ich mich gestern Abend nochmal mit Popper auseinander gesetzt habe, hier nur die Anmerkung, dass auch sein Falsifikationsprinzip anscheinend nicht vollständig von der klassischen Logik erfasst wird. Ich zitiere mal aus dem Artikel (wikipedia.org/wiki/Falsifikationismus):

Popper behauptet, dass die Unterscheidung zwischen Allsätzen und singulären Es-gibt-Sätzen nicht durch die Einteilung der klassischen Logik in generelle, partikuläre und singuläre Sätze erfassbar ist, da sich zum Beispiel generelle Sätze auf alle Elemente einer gewissen Klasse beziehen und nicht notwendigerweise einen räumlich-zeitlich universellen Charakter haben. Auch die generelle Implikation des Systems der Principia Mathematica sei dazu nicht geeignet, da zum Beispiel Basissätze auch als generelle Implikationen ausgedrückt werden können. Vom Standpunkt der klassischen Logik sind die Sätze „Alle Raben sind weiß“ und „Alle heute lebenden Raben sind weiß“ generelle Sätze. Die von Popper eingeführte Unterscheidung zwischen Allsätzen und singulären Es-gibt-Sätzen kann sie also nicht erfassen. In der Symbolik der Principia Mathematica lautet eine generelle Implikation: ( x ) f ( x ) → g ( x ) {\displaystyle (x)f(x)\rightarrow g(x)}. (Gelesen: Für jedes x {\displaystyle x} impliziert der Satz f ( x ) {\displaystyle f(x)} den Satz g ( x ) {\displaystyle g(x)}.) Der singuläre Satz „Sokrates war ein weiser Mann.“ kann also als generelle Implikation geschrieben werden, indem „ f ( x ) {\displaystyle f(x)}“ mit „ x {\displaystyle x} ist Sokrates“ und „ g ( x ) {\displaystyle g(x)}“ mit „ x {\displaystyle x} war ein weiser Mann“ identifiziert wird. (Für alle Dinge x {\displaystyle x}: wenn x {\displaystyle x} Sokrates ist, dann war x {\displaystyle x} weise.) Die generelle Implikation entspricht also nicht den Allsätzen, wie Popper sie auffasst.

Welches logische System wird also in der Forschung angewandt? Ich dachte eigentlich immer klassische Aussagenlogik...
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18083

Beitrag TomS Verfasst am: 09. Apr 2024 14:56    Titel: Antworten mit Zitat

Gute Frage.

Ohne jetzt in das Buch "Logik der Forschung" zu schauen, würde ich aus dem Bauch heraus sagen, dass Popper das nicht formal festlegt. Die Aussagenlogik reicht sicher nicht aus, er benötigt mindestens die Prädikatenlogik erster Stufe.

Das Problem, das Popper adressiert, entzieht sich jedoch gerade einem rein logisch-mathematischen System. Sein Haupteinwand gegen die Positivisten ist ja, dass es falsch ist, zu glauben, in der Forschung würde man sich mit empirisch wahren Aussagen und den daraus folgenden Konsequenzen befassen; man befasst sich mit Hypothesen, deren Wahrheitsgehalt zunächst unbekannt ist. Formale Logik, spielt bei Popper m.E. nur insofern eine Rolle, als er seine Schriften logisch aufbaut, nicht, indem er Forschung in eine formale Logik pressen will.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18083

Beitrag TomS Verfasst am: 09. Apr 2024 17:24    Titel: Antworten mit Zitat

Ergänzung

Das sollte man auch bei diverser Kritik an Poppers Darstellung nicht vergessen: der Kontext seiner Arbeit war der logische Positivismus mit der Idee der Rechtfertigung durch Verifikation, sowie einer unkritischen Praxis, insbesondere in nicht-Naturwissenschaften. Auch ging es Popper weniger darum, den Falsifikationismus als historisch gerechtfertigtes Erfolgsmodell zu präsentieren, sondern als essenziellen Kern jeder kritischen Wissenschaft, als Leitlinie für die Zukunft.

Wenn ich mir die Märchenstunde so mancher Physiker ansehe – Stringtheorie, Multiversen … – so haben wir seinen kritischen Blick insbesondere auch innerhalb der Physik nötiger denn je.

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Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
Mister_X
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Beitrag Mister_X Verfasst am: 12. Apr 2024 17:47    Titel: Antworten mit Zitat

Vielen Dank!

Popper und seine Forschungslogik bleibt einfach ein sehr spannendes Thema.

Im Nachbarforum, dem Matheboard, hatte ich die letzten beiden Tage auch eine Diskussion bezüglich der Aussagenlogik (matheboard.de/thread.php?postid=2232112#post2232112).

Dabei fiel bei meinem Diskussionspartner folgender Satz:

"Wir werden nie alles wissen, aber wir werden nie wissen, was wir nicht wissen können."

Und genau das, so dachte ich, sei nicht so.
Durch Popper wissen wir doch eigentlich, dass wir etwas nicht wissen können. Nämlich das wir eine wahre Theorie gefunden haben. Sie könnte nämlich wieder falsifiziert werden.

Ebenfalls denke ich doch, dass wir alle Themen, die philosophischer Natur sind nie richtig wissen können. Hier gibt es einfach keine Möglichkeit der Falsifikation.

Im weiteren Diskussionsverlauf meinte er auch, es gebe mehrere Wahrheiten, wobei jede für sich existiert. Das sehe ich gar nicht so.

Natürlich gibt es verschiedene philosophische Ansichten, welche alle möglich sein können. Welche auf unsere Welt zutrifft wissen wir nicht, wir können es nicht testen. Aber trotzdem muss eine auf die Natur zutreffen und die anderen falsch sein (oder beide sind falsch).

Als Beispiel die hier oft diskutierten Interpretationen der Quantenmechanik:
Wenn es verschiedene realistische Interpretationen gibt, nehmen wir mal Bohm und die Everettsche, dann können nicht beide wahr sein. Entweder eine von beiden stimmt, oder womöglich sind beide falsch. Aber nicht beide wahr.
Anderes Beispiel aus dem Bereich: Instrumentalismus oder Realismus von physikalischen Theorien. Jeder Philosophie hat ihre Anhänger und auch ihre Berechtigung, aber nicht beide können wahr sein. Auch, wenn wir nie wissen werden, welche Sichtweise falsch bzw. wahr ist.

Oder liege ich hier mit meiner Ansicht falsch? Es geht mir nicht darum, meinen Diskussionspartner aus dem anderen Forum schlecht darstehen zu lassen; so etwas liegt mir fern. Aber ich hatte den Eindruck, dass meine Sicht als unkorrekt angesehen wurde, weshalb ich mir hier gerne nochmal eine "Zweitmeinung" holen wollte.

Vielen Dank!
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18083

Beitrag TomS Verfasst am: 12. Apr 2024 18:50    Titel: Antworten mit Zitat

Gerne.

Ich würde an deiner Stelle mal die Frage stellen, wie die Begriffe Wissen und Wahrheit denn definiert sind. Popper definiert seinen Wahrheitsbegriff, und dieser hat wenig mit der absoluten Wahrheit einer scholastischen Philosophie oder einem idealisierten Wahrheitsbegriff der Mathematik zu tun.

Für den Mathematiker ist eine Aussage wahr, wenn sie aus einem Axiomensystem ableitbar d.h. beweisbar ist. Die Wahrheit der Axiome wird nicht hinterfragt. Wenn die Axiome nicht widerspruchsfrei sind, kann die selbe Aussage auch falsch sein. Und dass die Axiome nicht widerspruchsfrei sind, ist in vielen – sogar einfach – Fällen nicht beweisbar. Die Mathematik verwendet also einen Wahrheitsbegriff, der zugleich sehr präzise und schlimmstenfalls nutzlos ist – es sei denn, man glaubt an die Konsistenz der Axiome.

Popper geht viel bescheidener an die Sache heran, hat jedoch auch ein viel größeres Problem zu knacken, denn seine Aussagen sind keine Aussagen über idealisierte mathematische Objekte sondern über empirische Tatsachen. Und da ist bereits die Frage, was Sätze wie "morgen früh wird die Sonne wieder aufgehen" oder "mein Badezimmer existiert auch dann, wenn ich nicht darin bin und es sehe" überhaupt bedeuten und wie man einen adäquaten Wahrheitsbegriff formulieren kann.

Das ist so ein bisschen wie der Unterschied zwischen der Boulderhalle und der Durchsteigung einer Nordwand in den Westalpen; bei letzterem muss man nicht diskutieren, ob man die blauen Griffe verwenden darf, oder nicht.

Die hast recht, "durch Popper wissen wir, dass wir nicht wissen können, ob wir eine absolut wahre Theorie gefunden haben". Aber das war auch nicht der Anspruch. Was wir jedoch durchaus wissen können ist, dass wir eine Theorie gefunden haben, die nach gegenwärtigem Wissensstand nicht falsifiziert ist.

Zu den "mehreren Wahrheiten" des Mathematikers würde mich seine Definition von Wahrheit interessieren. Im Kontext leicht unterschiedlicher Axiomensysteme kann der selbe Satz einmal wahr und einmal falsch sein; das ist aber nicht weiter überraschend. Der Satz "jede nach unten beschränkte Menge hat ein kleinstes Element" ist für Mengen über den ganzen Zahlen richtig, über den rationalen Zahlen falsch.

Beweis?

Der Punkt ist, dass die Mathematik immer um sich selbst kreist, während die Physik eben eine empirische Wissenschaft ist. Auf gewisse Fragen über die Realität hat die Empirie aber eindeutige Antworten, und wir können uns keine alternative Realität konstruieren – während der Mathematiker vormittags und nachmittags zwei miteinander unverträgliche Mengenlehren untersuchen kann.

Die Diskussion über die Interpretationen der Quantenmechanik ist sicher extrem spannend, jedoch gerade nicht mit dem Popperschen Werkzeugkasten zu führen, da verschiedene Interpretationen der Quantenmechanik sich über alle empirischen Befunde einig sind (na ja, evtl. nicht ganz).

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Zombiephilosoph
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Beitrag Zombiephilosoph Verfasst am: 12. Apr 2024 19:39    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
Gödel zeigt genau das: die Existenz wahrer jedoch nicht ableitbarer Aussagen


TomS hat Folgendes geschrieben:
Für den Mathematiker ist eine Aussage wahr, wenn sie aus einem Axiomensystem ableitbar oder beweisbar ist.


Wo wir gerade von Widersprüchen reden...
Mister_X
Gast





Beitrag Mister_X Verfasst am: 12. Apr 2024 20:01    Titel: Antworten mit Zitat

Erstmal vielen Dank!

Zitat:
Ich würde an deiner Stelle mal die Frage stellen, wie die Begriffe Wissen und Wahrheit denn definiert sind. Popper definiert seinen Wahrheitsbegriff, und dieser hat wenig mit der absoluten Wahrheit einer scholastischen Philosophie oder einem idealisierten Wahrheitsbegriff der Mathematik zu tun.


Gute Frage, dass konnte ich leider noch nicht heraus finden...er schrieb nur das:" Selbstverständlich ist das so. Wer glaubt, es gebe nur eine Wahrheit, ist ein religiöser Fanatiker. Kein Philosoph, kein Wissenschaftler, kein verheirateter Mensch kann ernsthaft der Meinung sein, dass Wahrheit eindeutig und allumfassend sei. Wichtig ist nur, dass ein logisch sinnvolles System in sich widerspruchsfrei sein soll. Wer mag, darf auch widersprüchliche Systeme vertreten, so wie das in Religion und Politik üblich ist (siehe Meinungsfreiheit). "

bzw.

"Es bedeutet, dass Philosophen und Wissenschaftler eine bestimmte Arbeitsweise haben, durch logisches Denken Wahrheiten zu erkennen. Die Wahrheiten der Philosophie und Wissenschaften sind historisch bedingt und werden ständig diskutiert und verändert. Die Wahrheiten der Wissenschaften haben Entsprechungen in der wirklichen Welt. Für die Naturwissenschaften ist die wirkliche Welt das Universum, in dem wir leben, und die Wahrheiten können verbessert und falsifiziert werden (Wissenschaftstheorie). Für die Mathematik ist die wirkliche Welt eine Teilwelt unserer Gedanken, und die Wahrheiten müssen bewiesen werden, bewiesene Wahrheiten bleiben für immer wahr (mathematische Logik, speziell Beweistheorie). Meinungen hat jeder Mensch, sie können wahr oder falsch oder teilweise wahr und teilweise falsch oder sinnlos oder mehrdeutig oder was auch immer sein. Meinungen sind also so etwas wie Aussagen im normalen Denken. "

Zitat:
Popper geht viel bescheidener an die Sache heran, hat jedoch auch ein viel größeres Problem zu knacken, denn seine Aussagen sind keine Aussagen über idealisierte mathematische Objekte sondern über empirische Tatsachen. Und da ist bereits die Frage, was Sätze wie "morgen früh wird die Sonne wieder aufgehen" oder "mein Badezimmer existiert auch dann, wenn ich nicht darin bin und es sehe" überhaupt bedeuten und wie man einen adäquaten Wahrheitsbegriff formulieren kann.


Das stimmt, da ist dein Vergleich mit der Boulderhalle und den Westalpen schon treffend!

Zitat:
Die Diskussion über die Interpretationen der Quantenmechanik ist sicher extrem spannend, jedoch gerade nicht mit dem Popperschen Werkzeugkasten zu führen, da verschiedene Interpretationen der Quantenmechanik sich über alle empirischen Befunde einig sind (na ja, evtl. nicht ganz).


Genau das meinte ich ja! Wir können bei diesen philosophischen Themen das Werkzeug der Falsifizierung nicht anwenden. Trotzdem denke ich, dass ja eine der Sichtweisen (zb Bohm oder Everett) wahr sein muss (oder eben gar keine, aber nicht beide zugleich). Oder denke ich falsch?
TomS
Moderator


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Beiträge: 18083

Beitrag TomS Verfasst am: 12. Apr 2024 20:09    Titel: Antworten mit Zitat

Meine erste Aussage tatsächlich extrem schlampig. Ich korrigiere das.
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Mister_X
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Beitrag Mister_X Verfasst am: 12. Apr 2024 21:03    Titel: Antworten mit Zitat

Welche meinst du? Warum?
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18083

Beitrag TomS Verfasst am: 12. Apr 2024 23:06    Titel: Antworten mit Zitat

Ich meinte den Zombiephilosophen.
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Zuletzt bearbeitet von TomS am 13. Apr 2024 11:29, insgesamt einmal bearbeitet
Mister_X
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Beitrag Mister_X Verfasst am: 13. Apr 2024 06:52    Titel: Antworten mit Zitat

Achso, okay. Was denkst du zu dem was ich noch geschrieben habe?
Zombiephilosoph
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Beitrag Zombiephilosoph Verfasst am: 13. Apr 2024 11:25    Titel: Antworten mit Zitat

Re: Mathematische Wahrheit

TomS hat Folgendes geschrieben:
Für den Mathematiker ist eine Aussage wahr, wenn sie aus einem Axiomensystem ableitbar oder beweisbar ist.

"We know that there are consistent theories extending PA that prove false mathematical statements - we know this because this fact is itself a mathematical theorem..."

Franzen, Gödel's Theorem - An Incomplete Guide to its Use and Abuse, S. 31

Wie kann eine konsistente Erweiterung von PA "falsche" Aussagen beweisen, wenn für den Mathematiker eine Aussage wahr ist, wenn sie aus einem Axiomensystem ableitbar oder beweisbar ist?

"In [mathematical contexts], the assumption that an arithmetical statement is true is not an assumption about what can be proved in any formal system... the assumption that the twin prime conjecture is true means no more and no less than the assumption that there are infinitely many primes p such that p+2 is also prime... In other words "the twin prime conjecture is true" is simply another way of saying exactly what the twin prime conjecture says. It is a mathematical statement, not a statement about what can be known or proved, or about any relation between language and mathematical reality" S.30
TomS
Moderator


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Beiträge: 18083

Beitrag TomS Verfasst am: 13. Apr 2024 11:32    Titel: Antworten mit Zitat

Ich denke, jetzt müssen wir zwischen verschiedenen Wahrheitsbegriffen differenzieren.
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Mister_X
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Beitrag Mister_X Verfasst am: 13. Apr 2024 12:02    Titel: Antworten mit Zitat

Mir geht es gar nicht mal unbedingt um die Wahrheit in der Mathematik. Die ist ja, wie schon dargestellt, ziemlich trivial.


Mir geht es eher um Wahrheit bei zb philosophischen Themen, wie zb einer Interpretation der Quantenmechanik. Hier finde ich es nämlich ziemlich merkwürdig zu sagen, die verschiedenen Theorien seien alle gleichermaßen wahr. Ich würde eher sagen, wir wissen nicht welche wahr ist, aber eine muss wahr sein. Wahr im Sinne von "stimmt mit der Realität überein.
Zombiephilosoph
Gast





Beitrag Zombiephilosoph Verfasst am: 13. Apr 2024 13:15    Titel: Antworten mit Zitat

Mister_X hat Folgendes geschrieben:
Mir geht es gar nicht mal unbedingt um die Wahrheit in der Mathematik. Die ist ja, wie schon dargestellt, ziemlich trivial.

Das ist genau derselbe Begriff, den Popper verwendet.

"Es kann nicht genug betont werden, daß Tarskis Begriff der Wahrheit ... sich mit dem Wahrheitsbegriff des Aristoteles deckt, ja allgemein mit dem Wahrheitsbegriff der meisten Menschen ...: Wahrheit ist Übereinstimmung mit den Tatsaschen. ... Dank Tarskis Lehre verwende ich die Ausdrücke "Wahrheit" und "Falschheit" nunmehr ohne Zögern. Und mein Gebrauch dieser Worte, ebenso wie auch der allgemeine Sprachgebrauch (wenn auch nicht der Sprachgebrauch der Pragmatisten) stellte sich natürlich als mit Tarskis Theorie der absoluten Wahrheit vereinbar heraus. So bedeutete Tarskis Theorie zwar für meine Ansichten über formale Logik und ihre philosophischen Grundlagen eine Umwälzung, für meine Wissenschaftstheorie aber nur eine Klärung, keine fundamentale Änderung."
Logik der Forschung, 10. Auflage, 84. Bemerkungen über den Gebrauch der Begriffe "wahr" und "bewährt", Fußnote.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18083

Beitrag TomS Verfasst am: 13. Apr 2024 13:29    Titel: Antworten mit Zitat

Zombiephilosoph hat Folgendes geschrieben:
Mister_X hat Folgendes geschrieben:
Mir geht es gar nicht mal unbedingt um die Wahrheit in der Mathematik. Die ist ja, wie schon dargestellt, ziemlich trivial.

Das ist genau derselbe Begriff, den Popper verwendet.

"Es kann nicht genug betont werden, daß Tarskis Begriff der Wahrheit ... sich mit dem Wahrheitsbegriff des Aristoteles deckt, ja allgemein mit dem Wahrheitsbegriff der meisten Menschen ...: Wahrheit ist Übereinstimmung mit den Tatsaschen. ... Dank Tarskis Lehre verwende ich die Ausdrücke "Wahrheit" und "Falschheit" nunmehr ohne Zögern. Und mein Gebrauch dieser Worte, ebenso wie auch der allgemeine Sprachgebrauch (wenn auch nicht der Sprachgebrauch der Pragmatisten) stellte sich natürlich als mit Tarskis Theorie der absoluten Wahrheit vereinbar heraus. So bedeutete Tarskis Theorie zwar für meine Ansichten über formale Logik und ihre philosophischen Grundlagen eine Umwälzung, für meine Wissenschaftstheorie aber nur eine Klärung, keine fundamentale Änderung."
Logik der Forschung, 10. Auflage, 84. Bemerkungen über den Gebrauch der Begriffe "wahr" und "bewährt", Fußnote.

👍

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TomS
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Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18083

Beitrag TomS Verfasst am: 13. Apr 2024 13:38    Titel: Antworten mit Zitat

Noch mal zu deinen Einwänden bezüglich der mathematischen Wahrheit und Gödels Auffassung dazu.

Betrachten wir zunächst den naiven Wahrheitsbegriff, dass mathematischen Strukturen und Objekte eine von unserem Denken unabhängige Existenz zukommt, und dass mathematische Wahrheiten von Aussagen zu einer derartigen mathematischen Struktur feststehen – ob nun bekannt, bewiesen oder auch nicht. So würde ich Gödel Aussage oben lesen. Betrachten wir als Beispiel die natürlichen Zahlen,m einschließlich der bekannten Rechenregeln, damit auch die Primzahlen sowie Primzahlzwillinge. Nach dem oben genannten Wahrheitsbegriff, ist die Aussage "es gibt unendlich viele Primzahlzwillinge" sicher entweder wahr oder falsch, das steht unabhängig von unserem Denken fest, es handelt sich sozusagen um eine den natürlichen Zahlen immanente Wahrheit oder Falschheit. Das würde wahrscheinlich fast jeder so unterschreiben.

Der Ansatz, dass diese Aussage nur dann wahr bzw. falsch sein kann, wenn sie auf Basis gewisser Axiome abgeleitet werden kann, erscheint dann entweder sekundär oder sogar fremdartig. Nun verhält es sich jedoch so, dass Gödel in exakt diesem Kontext die Existenz von Aussagen nachweist, die sich in diesem System zwar formulieren lassen, wobei weder deren Wahrheit noch Falschheit in diesem System abgeleitet werden kann – Konsistenz des Systems vorausgesetzt. Es existieren also sicher Aussagen, für die sowohl die Aussage als auch die Negation der Aussage sicher unbeweisbar sind. Letztetes ist der berühmte erste Gödelsche Unvollständigkeitssatz, und der ist bewiesen.

Nehmen wir nun eine derartige Aussage und fragen uns, wie es um ihren Wahrheitsgehalt bestellt ist. Wir können sicher nicht die Beweisbarkeit oder Widerlegbarkeit heranziehen, das ist nach Gödel Satz ausgeschlossen. Wir müssen also an eine Art Wahrheit glauben, die dem System innewohnt, obwohl sie unter Zuhilfenahme des System selbst sicher unzugänglich ist. Das mag uns bei dem Problem der Primzahl Zwillinge irgendwie noch gelingen. In diesem Fall ist außerdem überhaupt nicht klar, ob es sich um eine derart unzugängliche Aussage handelt, ich verwende es lediglich als Beispiel.

Nun gibt es jedoch eine berühmte Vermutung – die so genannte Cantorsche Kontinuumshypothese – für die Gödel und Cohen (dessen Teil des Beweises Jahrzehnte später) zusammen bewiesen haben, dass sie in einem bestimmten Axiomensystem der Mengenlehre sicher in diesem Sinne weder beweisbar noch widerlegbar ist, d.h. sie ist von diesem Axiomensystem unabhängig. Wieder unter der Voraussetzung, dass das Axiomensystem an sich konsistent ist, dürfen wir also entweder in einem geeignet erweiterten Axiomensystem an die Wahrheit der Kontinuumshypothese glauben, oder in einem anderen erweiterten Axiomsystem an ihre Falschheit. Die Kontinuumshypothese selbst ist derart abstrakt, dass es unmöglich erscheint, einfach so irgendwie zum Beispiel an ihre Wahrheit zu glauben – also vergleichbar zum obigen Beispiel der Primzahlzwillinge.

Gödel Arbeit stellt also auch eine Herausforderung für den Wahrheits Begriff der Mathematik dar.

Glauben wir an Wahrheiten unabhängig von ihrer Beweisbarkeit bzw. Widerlegbarkeit, wie zum Beispiel für die Aussage zu den Primzahlzwillingen, so erscheint das irgendwie vernünftig, d.h. es existieren eben entweder endlich oder unendlich viele Primzahlzwillinge – wenn wir dies nicht beweisen oder widerlegen können, ist es sozusagen unser Problem.

Außer der Tatsache, dass wir die Aussage zu den Primzahlmzwillingen offensichtlich einfacher verstehen als die der Kontinuumshypothese, besteht jedoch kein formaler Unterschied. Daher ist der Glaube an eine dem System immanente und von Beweisen unabhängige Wahrheit fragwürdig! Zumindest glaubt heute wohl kein Mathematiker an die Wahrheit oder Falschheit der Kontinuumshypothese im Rahmen des zunächst zu Grunde gelegten Axiomensystems – Sie wird nicht als wahr oder falsch angesehen, sondern als unbeweisbar, in diesem Sinne kommt ihr kein Wahrheitsgehalt zu.

Es klingt natürlich absurd, aber außer Glaube und Hoffnung gibt es eigentlich kein Argument, dass ausschließt, dass es sich bei der Frage, der endlich oder unendlich vielen Primzahlzwillinge nicht genauso verhält.

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Zuletzt bearbeitet von TomS am 13. Apr 2024 14:08, insgesamt 4-mal bearbeitet
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