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Zentripetal- und Zentrifugalkraft sowie g-Kräfte
 
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MaxRebo
Gast





Beitrag MaxRebo Verfasst am: 25. Nov 2020 11:42    Titel: Zentripetal- und Zentrifugalkraft sowie g-Kräfte Antworten mit Zitat

Meine Frage:
Hallo,

ich habe eine Verständnisfrage. Ich verstehe den genauen Unterschied zwischen der Zentripetal- und Zentrifugalkraft nicht. Die erste ist nach innen gerichtet, die zweite nach außen? Und was hindert z.B. die ISS daran, auf die Erde zu stürzen (im Kräftegleichgewicht mit der Erdbeschleunigung?).
Was ist eine Scheinkraft?

Außerdem würde ich gerne wisse, was denn nun g-Kräfte in diesem Kontext sind.

Meine Ideen:
Entspricht ein g der Erdbeschleunigung, also 9,81 m/s^2? Aber eine Beschleunigung ist ja keine Kraft, oder?
DrStupid



Anmeldungsdatum: 07.10.2009
Beiträge: 5029

Beitrag DrStupid Verfasst am: 25. Nov 2020 12:23    Titel: Re: Zentripetal- und Zentrifugalkraft sowie g-Kräfte Antworten mit Zitat

MaxRebo hat Folgendes geschrieben:
Ich verstehe den genauen Unterschied zwischen der Zentripetal- und Zentrifugalkraft nicht. Die erste ist nach innen gerichtet, die zweite nach außen? Und was hindert z.B. die ISS daran, auf die Erde zu stürzen (im Kräftegleichgewicht mit der Erdbeschleunigung?).
Was ist eine Scheinkraft?


Um das zu beantworten, muss man erst einmal wissen, was Kräfte sind. Newton hat die Kraft als eine äußere Einwirkung definiert, die Körper zwingt, ihren Bewegungszustand zu ändern. Dazu hat er noch drei Axiome formuliert:

1. Ein Körper ruht, oder bewegt sich geradlinig-gleichförmig, solange er nicht von einer Kraft gezwungen wird, seinen Bewegungszustand zu ändern.

2. Die Kraft ist proportional zur Impulsänderung.

3. Kräfte treten immer paarweise auf. Wenn ein Körper A eine Kraft F auf einen Körper B ausübt, dann übt Körper B die umgekehrt gleich große Kraft –F auf Körper A aus.

Die Zentripetalkraft ist ein Spezialfall einer solchen Wechselwirkungskraft (bzw. einer Summe solcher Kräfte). Sie wirkt senkrecht zur Bewegung und zwingt einen Körper auf eine gekrümmte (im Idealfall kreisförmige) Bahn. Dabei wirkt nach dem dritten Axiom immer mindestens eine Kraft auf irgendeinen anderen Körper.

Scheinkräfte sind dagegen keine Kräfte im obigen Sinne. Sie verstoßen gegen das dritte Axiom und sie treten nur in bestimmten Bezugssytemen auf. Ein Bezugssystem ist ein Koordinatensystem, auf das sich Orte und Zeiten (und somit auch Geschwindigkeiten und Beschleunigungen) beziehen. Bezugssysteme, in denen die Newtonschen Axiome gelten, heißen Inertialsysteme. Alle anderen Bezugssysteme sind Nicht-Inertialsysteme.

Ein Beispiel für ein Nicht-Inertialsystem ist ein Bezugssystem, das mit konstanter Winkelgeschwindigkeit um eine feste Achse rotiert. Ein Körper, der in einem Inertialsystem ruht, kann sich in diesem Bezugssystem auf einer Kreisbahn bewegen. Nach dem ersten und zweiten Axiom würde das bedeuten, dass auf ihn Kräfte wirken. Weil diese "Kräfte" aber gegen das dritte Axiom verstoßen, sind es Scheinkräfte. Sie wirken nicht zwischen zwei Körpern, sondern kommen praktisch aus dem Nichts. Diese Scheinkräfte lassen sich in die Zentrifugalkraft (die nur vom Ort abhängt) und die Corioliskraft (die nur von der Geschwindigkeit abhängt) zerlegen. Die Zentrifugalkraft wirkt dabei immer senkrecht von der Rotationsachse des Bezugssystems nach außen (und zwar unabhängig davon, wie der Körper sich bewegt).

MaxRebo hat Folgendes geschrieben:
Außerdem würde ich gerne wisse, was denn nun g-Kräfte in diesem Kontext sind.


Das sind echte Kräfte, die auf Insassen bei der Beschleunigung von Fluggeräten oder Fahrzeugen wirken. Sie werden g-Kräfte genannt, weil die entsprechenden Beschleunigungen üblicherweise in Vielfachen der Erdbeschleunigung g angegeben werden.

MaxRebo hat Folgendes geschrieben:
Entspricht ein g der Erdbeschleunigung, also 9,81 m/s^2? Aber eine Beschleunigung ist ja keine Kraft, oder?


Richtig, Beschleunigungen sind keine Kräfte, aber Kräfte führen zu Beschleunigungen. Bei den g-Kräften ist es sinnvoll nicht die Kraft, sondern die Beschleunigung anzugeben, weil letztere von der Masse der Insassen unabhängig ist.
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 25. Nov 2020 20:14    Titel: Antworten mit Zitat

MaxRebo hat Folgendes geschrieben:
Meine Frage:
Hallo,

ich habe eine Verständnisfrage. Ich verstehe den genauen Unterschied zwischen der Zentripetal- und Zentrifugalkraft nicht. Die erste ist nach innen gerichtet, die zweite nach außen? Und was hindert z.B. die ISS daran, auf die Erde zu stürzen (im Kräftegleichgewicht mit der Erdbeschleunigung?).
Was ist eine Scheinkraft?


Eine Kraft ist die Ursache für die Beschleunigung von Körpern, d.h. es gilt das 2. Newtonsche Axiom in der Form



Eine Scheinkraft ist definiert als Masse mal Scheinbeschleunigung relativ zu den Achsen eines Bezugssystems abzüglich der echten Kraft , d.h.



Sie tritt nur auf, wenn man ein Bezugssystem mit veränderlichen Achsen oder beschleunigtem Ursprung wählt. Sie verursacht weder Gezeiten noch verhindert sie das Abstürzen der ISS. Sie ist überhaupt keine Ursache für irgendwas, sondern einfach ein Artefakt von Bezugssystemen mit bestimmter Zeitabhängigkeit.

Mathematisch folgt das ganze wenn man z.B. die Geschwindigkeit des Körpers relativ zu drehenden Koordinatenachsen zerlegt. Dann erhält man für die Beschleunigung in (N2)



wobei der Vektor der Winkelgeschwindigkeit ist, mit der sich die Achsen drehen. Der erste Term



ist die scheinbare Änderung der Geschwindigkeit relativ zu den Achsen. Jedenfalls ist dies nicht die Beschleunigung, denn diese wäre ja einfach die komplette Zeitableitung der Geschwindigkeit . Der Vektor



ist aber überhaupt keine Zeitableitung irgendeines anderen Vektors, also auch keine Beschleunigung. Und deshalb schreibt man das "S" an das Symbol für die Ableitung.

Nun können wir noch die Geschwindigkeit selbst als Ableitung des Ortsvektors in Bezug auf irgendeinen festen Punkt angeben (streng genommen in Bezug auf einen Bezugskörper, der eine Trägheitsbewegung ausführt, aber in der Newtonschen Mechanik können wir stattdessen auch von fixen Punkten im absoluten Raum sprechen)



Wenn man dies in einsetzt, erhält man



Der erste Term auf der rechten Seite ist



Dies ist wiederum keine Zeitableitung eines Vektors und deshalb keine Beschleunigung. Es ist der Term, den ich ganz zu Anfang als "scheinbare Beschleunigung" bezeichnet habe. (Er ist ebenfalls verschieden von .) Leider bezeichnen viele gerade dies einfach als "Beschleunigung" und widersprechen damit der Definition .

Jedenfalls kann man nun (N2) umschreiben als



Und damit hat das Bewegungsgesetz die Form "Masse x scheinbare Beschleunigung = Kraft + Scheinkraft". Der Term ist die Zentrifugalkraft in dem beschleunigten Bezugssystem. Man kann den Ortsvektor statt auf einen festen Punkt auch auf einen bewegten Bezugsskörper beziehen. Wenn dieser selbst beschleunigt ist, dann kommt noch eine weitere Scheinkraft hinzu, wobei die Beschleunigung des Bezugskörpers ist.

Du wirst oft lesen, daß die ursprüngliche Form (N2) nur in Inertialsystemen gilt und man in Nichtinertialsystemen eine Modifikation benötigt, die ähnlich wie (N2') aussieht. Das ist falsch. Die beiden Gleichungen (N2) und (N2') sind absolut äquivalent. Die Gesetze der Mechanik gelten unabhängig vom Bezugssystem. Richtig ist hingegen, daß die Gleichung



nur in Inertialsystemen gilt.


***

Der Grund, daß die ISS nicht abstürzt, hat nichts mit Scheinkräften zu tun. Sie besitzt einen genügend großen Drehimpuls relativ zum Gravitationszentrum und fällt deshalb ständig an der Erde vorbei. Die Energie eines Körpers im Gravitationsfeld ist die Summe aus kinetischer und potentieller Gravitationsenergie. Die kinetische Energie setzt sich zusammen aus einem radialen Anteil der nicht vom Abstand abhängt (sondern nur von seiner Änderung) und einem Anteil,



der bei nichtverschwindendem Drehimpuls für kleine Abstände das anziehende Gravitationspotential ausgleicht und sogar übertrifft. Dieser Term (wenn er groß genug ist) verhindert den Absturz. Er wird auch manchmal als "Zentrifugalpotential" bezeichnet, hat aber nichts direkt mit der Zentrifugalkraft zu tun. Er existiert unabhängig vom Bezugssystemen.
Konrad



Anmeldungsdatum: 04.04.2007
Beiträge: 14

Beitrag Konrad Verfasst am: 30. Jan 2021 10:34    Titel: Re: Zentripetal- und Zentrifugalkraft sowie g-Kräfte Antworten mit Zitat

DrStupid hat Folgendes geschrieben:
Newton hat die Kraft als eine äußere Einwirkung definiert, die Körper zwingt, ihren Bewegungszustand zu ändern.


Ich glaube, dass diese Definition verkehrt ist, weil eine entscheidende Kraftwirkung fehlt. Das lässt sich an einem einfachen Beispiel belegen:

"Die Newtonsche Gravitationstheorie beschreibt, wie sich zwei Körper unter dem Einfluss ihrer gegenseitigen Massenanziehung bewegen: Jeder von ihnen erfährt eine Beschleunigung, die proportional ist zu seiner eigenen Masse und zur Masse des Partners sowie umgekehrt proportional zum Abstand der beiden.

Will ein Physiker dieses Gesetz in einem Labor auf der Erde testen, indem er die Bewegung der beiden Körper verfolgt, so muss er feststellen, dass sich die Körper ganz anders verhalten, als von Newton vorhergesagt: Sie fallen auf den Boden, anstatt sich aufeinander zuzubewegen. In dem Labor auf der Erde gilt die Newtonsche Mechanik offenbar nicht.

Das Labor unterliegt aufgrund der Erdanziehungskraft einer äusseren Kraft, die das Bewegungsgesetz nicht berücksichtigt ... Die Physiker sagen: Die Labore sind in beiden Fällen keine Inertialsysteme. Ein Inertialsystem ist frei von äusseren Kräften und unterliegt keiner Beschleunigung. Das oben genannte Gesetz der Massenanziehung gilt jedoch nur in Inertialsystemen. ..."

(Ist entliehen aus dem Sterne und Weltraum Special "Gravitation" vom Jahr 2000.)

Ich behaupte jetzt, dass diejenige Kraft, die die Körper Richtung Boden beschleunigt, gleichzeitig aktiv verhindert, dass die beiden Körper direkt aufeinander zu beschleunigen. Die Gravitationskraft äussert sich also in zwei gegensätzlichen Wirkungen: Fallbeschleunigung und Fallbeschleunigungsverhinderung.
Auch die Wirkung von Trägheitskräften wäre einfacher zu verstehen, wenn man diese als beschleunigungsverhindernde Kräfte auffassen würde (man könnte das Konzept der Scheinkräfte vermeiden).
Was hält uns denn grundsätzlich davon ab, Beschleunigungsverhinderung als Kraftwirkung zu postulieren?
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 17898

Beitrag TomS Verfasst am: 30. Jan 2021 11:03    Titel: Re: Zentripetal- und Zentrifugalkraft sowie g-Kräfte Antworten mit Zitat

Sterne und Weltraum Special hat Folgendes geschrieben:
Die Newtonsche Gravitationstheorie beschreibt, wie sich zwei Körper unter dem Einfluss ihrer gegenseitigen Massenanziehung bewegen: Jeder von ihnen erfährt eine Beschleunigung, die proportional ist zu seiner eigenen Masse und zur Masse des Partners sowie umgekehrt proportional zum Abstand der beiden.

Will ein Physiker dieses Gesetz in einem Labor auf der Erde testen, indem er die Bewegung der beiden Körper verfolgt, so muss er feststellen, dass sich die Körper ganz anders verhalten, als von Newton vorhergesagt: Sie fallen auf den Boden, anstatt sich aufeinander zuzubewegen. In dem Labor auf der Erde gilt die Newtonsche Mechanik offenbar nicht.

Sorry, aber das ist Unsinn.

Natürlich bewegen sich alle Körper - sowohl zwei Testkörper als auch ein Testkörper und die Erde - aufeinander zu. Allerdings ist der Einfluss eines Testkörpers auf die Erde oder eines Testkörpers auf den anderen zu schwach, um ihn zu beobachten. Nur weil ein Effekt klein ist, heißt das nicht, das er nicht existiert.

Die Newtonsche Mechanik gilt weiterhin.

Sterne und Weltraum Special hat Folgendes geschrieben:
Das Labor unterliegt aufgrund der Erdanziehungskraft einer äusseren Kraft, die das Bewegungsgesetz nicht berücksichtigt ... Die Physiker sagen: Die Labore sind in beiden Fällen keine Inertialsysteme. Ein Inertialsystem ist frei von äusseren Kräften und unterliegt keiner Beschleunigung. Das oben genannte Gesetz der Massenanziehung gilt jedoch nur in Inertialsystemen. ...

Dennoch kann man die Bewegung der Körper gemäß Newton in Inertialsystemen berechnen und dann ins Laborsystem transfomieren.

Es ist keineswegs so, dass die Newtonsche Mechanik ausschließlich in Inertialsystemen gilt; das besagen auch die Newtonschen Axiome nicht. Die Axiome und die Bewegungsgleichungen haben in Inertialsystemen lediglich eine besonders einfache Form, und ihre Interpretation gestaltet sich in Inertialsystemen und ohne Scheinkräfte einfacher als mit.

Wenn die Newtonsche Mechanik auf der Erde nicht gelten würde, dann könnte sie sich keine messbaren und quantitativ zutreffenden Vorhersagen machen, die über Jahrhunderte experimentell bestätigt wurden. Eine wissenschaftliche Theorie ist dann widerlegt, wenn ihre Vorhersagen durch Experimente widerlegt sind - und das ist nicht der Fall.

Konrad hat Folgendes geschrieben:
(Ist entliehen aus dem Sterne und Weltraum Special "Gravitation" vom Jahr 2000.)

Ich vermute, die Kollegen wollen auf ein grundsätzlich anderes Bild der Gravitation nach Einstein hinaus. Das wäre ein lohnenswertes Ziel des Artikels, jedoch ist die obige Argumentation und damit der Startpunkt “vermurkst”; das lässt für den Rest nichts Gutes hoffen.

Ein einfacheres Bild von Gravitation und Trägheit erhält man tatsächlich erst mit Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie. Das eigentliche Problem bei der Interpretation der Newtonschen Mechanik ist nämlich folgendes: in einer frei fallenden Raumstation wie der ISS sind alle Körper offenbar kräftefrei. Dennoch muss gemäß Newton eine Kraft wirken, um ihre ellipsenförmige Umlaufbahn zu erklären - eine Kraft, die niemand an Bord der ISS spüren oder messen kann. Und obwohl sich die Körper kräftefrei bewegen, definiert die ISS nach Newton kein Inertialsystem (bzw. sie definiert ein perfektes Inertialsystem mit kräftefreien Körpern, die geradlinig und gleichförmig bewegt sind - solange niemand aus dem Fenster blickt und feststellt, dass diese kräftefreien Körper die Erde umkreist). Das ist der Ansatzpunkt, von dem aus man zu Einstein fortschreiten kann.

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Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
Qubit



Anmeldungsdatum: 17.10.2019
Beiträge: 824

Beitrag Qubit Verfasst am: 30. Jan 2021 13:01    Titel: Antworten mit Zitat

Nur damit keine falsche Vorstellungen aufkommen:

"Scheinkräfte" sind durchaus reale Kräfte, nur eben als Trägheitskräfte in beschleunigten Bezugssystemen. Davon kann sich jeder Autofahrer überzeugen, der bei Beschleunigung in den Sitz, beim Bremsen in den Gurt gedrückt wird. Auch die Luft im Auto folgt diesen Kräften. Ein Heliumballon zB. erfährt da "Auftriebskräfte" und bewegt sich entgegengesetzt zum Fahrer.

Die "Zentripetalkraft" ist eine Zentralkraft in einem unbeschleunigten Bezugssystem (~Inertialsystem). Das kann zB. die Erdanziehung sein. Dabei wird ein "Satellit", der noch eine Geschwindigkeit senkrecht zu dieser Radialkraft hat in Richtung dieser Zentralkraft abgelenkt, er bekommt eine Radialbeschleunigung. Das kann dann so sein, dass sich der "Satellit" auf einer Kreisbahn um die Erde bewegt.

Die "Zentrifugalkraft" ist dagegen eine Tägheitskraft (~Scheinkraft), die in dem beschleunigten Bezugsystem des rotierenden Zentralkörpers auftritt. Wenn sich der "Satellit" in einem unbeschleunigten System auch senkrecht zur Radialkraft (Zentripetalkraft) bewegt, tritt sie als zusätzliche Zentrifugalkraft in dem beschleunigten Bezugssystem auf. Diese Trägheitskraft tritt zusätzlich zur Gravitation auf. Steht zB. der "Satellit" stationär am Zenit, so fällt er dir nicht auf dem Kopf, weil die Zentrifugalkraft wirkt (d.h. der "Satellit" hat im unbeschleunigten Bezugssystem eine Impulskomponente senkrecht zur Radialkraft).

Also, die Begriffe sind dadurch auseinander zu halten, indem man zwischen beschleunigten und unbeschleunigten Bezugssystemen unterscheiden muss.

In der allgemeinen Relativitätstheorie zeigen sich Trägheit und Gravitation dann als wesensverwandt, da fällt dann diese Unterscheidung (formal) weg. Trägheit und Gravitation werden nicht mehr als Kräfte beschrieben.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 17898

Beitrag TomS Verfasst am: 30. Jan 2021 13:16    Titel: Antworten mit Zitat

Qubit hat Folgendes geschrieben:
Die "Zentripetalkraft" ist eine Zentralkraft in einem unbeschleunigten Bezugssystem (~Inertialsystem). Das kann zB. die Erdanziehung sein. Dabei wird ein "Satellit", der noch eine Geschwindigkeit senkrecht zu dieser Radialkraft hat in Richtung dieser Zentralkraft abgelenkt, er bekommt eine Radialbeschleunigung.

Das ist aber in diesem Kontext ein heikles Beispiel.

Vergleiche mal die Rechnung nach Newton für das Kettenkarussell und für die Bewegung im Gravitationsfeld der Erde. In beiden Fällen liegt eine Bewegungsgleichung der Form



vor.

In beiden Fällen folgt die Kraft F aus einem Zentralpotential U; in beiden Fällen kann man den Euler-Lagrange-Formalismus anwenden.

Und in beiden Fällen entspricht die Bahnkurve r(t) einer Drehung R des Ortsvektors r zum Zeitpunkt t=0.



Das kann an auch für elliptische Bahnkurven im Gravitationsfeld sowie im 3-dim. harmonischen Oszillator verallgemeinern.

Also formal alles identisch.


Und nun vergleiche die gemessenen Kräfte, die der Astronaut an Bord der ISS spürt, mit denen im Kettenkarussell. Offenbar erscheinen hier beide Fälle alles andere als identisch: in beiden Fällen existiert formal eine Kraft F, die jedoch in einem Fall nicht messbar ist. Und das ist gerade der entscheidende Knackpunkt.

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Qubit



Anmeldungsdatum: 17.10.2019
Beiträge: 824

Beitrag Qubit Verfasst am: 30. Jan 2021 14:10    Titel: Antworten mit Zitat

Hm, auch in diesem Fall sehe ich keine grundsätzliche Änderung der Argumentation.

Ersetze wir mal die Kette durch eine starre Stange.

Im Inertialsystem wird in der Beschleunigungsphase ein Drehmoment auf die Person ausgübt, so dass er im natürlichen Koordinatensystem eine Beschleunigung senkrecht zur Drehachse erfährt. Im stationären Fall der konstanten Drehgeschwindigkeit kompensiert dann die Zwangskraft der Aufhängung die Gravitationskraft. Ebenfalls wirkt die Aufhängung als Zentripetalkraft zur Trägheitsbewegung senkrecht zur Drehachse, so dass sich ein charakteristischer Winkel für die Drehgeschwindigkeit einstellt.

Im Bezugssystem des Karussells wird im stationären Fall die Gravitationskraft ebenfalls durch die Zwangskraft und Aufhängung kompensiert. Da sich der Körper aber kreisförmig um die Drehachse bewegt, wirkt ebenfalls eine Kraft auf die Aufhängung, die in diesem Fall die "Fliehkraft" kompensiert.

In beiden Fällen wirken die gleichen Kräfte auf die Aufhängung. Nur wird die Komponente senkrecht zur Drehachse im ersten Falle als "Zentripetalkraft" (aufgrund der Trägheit) und im anderen Falle als Zwangskraft zur Zentrifugalkraft (aufgrund der Trägheitskraft) interpretiert.

Im ersten Falle treten also 3 Kräfte + Trägheit auf, im zweiten Falle 4 Kräfte.
Konrad



Anmeldungsdatum: 04.04.2007
Beiträge: 14

Beitrag Konrad Verfasst am: 30. Jan 2021 15:36    Titel: Re: Zentripetal- und Zentrifugalkraft sowie g-Kräfte Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
Sterne und Weltraum Special hat Folgendes geschrieben:
Die Newtonsche Gravitationstheorie beschreibt, wie sich zwei Körper unter dem Einfluss ihrer gegenseitigen Massenanziehung bewegen: Jeder von ihnen erfährt eine Beschleunigung, die proportional ist zu seiner eigenen Masse und zur Masse des Partners sowie umgekehrt proportional zum Abstand der beiden.

Will ein Physiker dieses Gesetz in einem Labor auf der Erde testen, indem er die Bewegung der beiden Körper verfolgt, so muss er feststellen, dass sich die Körper ganz anders verhalten, als von Newton vorhergesagt: Sie fallen auf den Boden, anstatt sich aufeinander zuzubewegen. In dem Labor auf der Erde gilt die Newtonsche Mechanik offenbar nicht.

Sorry, aber das ist Unsinn.

Das ist eine für Laien gedachte Erklärung, weshalb man sich genötigt sieht, Inertialsysteme einzuführen. Der Fussnote nach möglicherweise von Prof. Ehlers ausgedacht.

TomS hat Folgendes geschrieben:
Natürlich bewegen sich alle Körper - sowohl zwei Testkörper als auch ein Testkörper und die Erde - aufeinander zu. Allerdings ist der Einfluss eines Testkörpers auf die Erde oder eines Testkörpers auf den anderen zu schwach, um ihn zu beobachten. Nur weil ein Effekt klein ist, heißt das nicht, das er nicht existiert.

Das ist mir bekannt.Die Frage ist aber, warum sich die beiden Körper nicht _direkt_ aufeinander zu bewegen. Es hält sie doch augenscheinlich nichts davon ab - ausser eben der Gravitationskraft der Erde.



TomS hat Folgendes geschrieben:
Wenn die Newtonsche Mechanik auf der Erde nicht gelten würde, dann könnte sie sich keine messbaren und quantitativ zutreffenden Vorhersagen machen, die über Jahrhunderte experimentell bestätigt wurden. Eine wissenschaftliche Theorie ist dann widerlegt, wenn ihre Vorhersagen durch Experimente widerlegt sind - und das ist nicht der Fall.

Das Experiment, das oben beschrieben ist, widerlegt, dass die Gravitationskraft eine _ausschließlich_ beschleunigende Kraft ist. Es widerspricht also Newtons Kraftdefinition.


TomS hat Folgendes geschrieben:
Ein einfacheres Bild von Gravitation und Trägheit erhält man tatsächlich erst mit Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie.

Das einfachste Bild von Gravitation und Trägheit erhält man, wenn man begreift, dass Beschleunigungsverhinderung eine Kraftwirkung ist.

TomS hat Folgendes geschrieben:
Dennoch muss gemäß Newton eine Kraft wirken, um ihre ellipsenförmige Umlaufbahn zu erklären - eine Kraft, die niemand an Bord der ISS spüren oder messen kann.

Da Kräfte beschleunigte Bewegungen verhindern können, werden sie auch einen Messausschlag (des Züngleins an der Waage) verhindern. Denn der ist ja nichts Anderes.
Nils Hoppenstedt



Anmeldungsdatum: 08.01.2020
Beiträge: 2019

Beitrag Nils Hoppenstedt Verfasst am: 30. Jan 2021 15:41    Titel: Re: Zentripetal- und Zentrifugalkraft sowie g-Kräfte Antworten mit Zitat

Konrad hat Folgendes geschrieben:
Die Frage ist aber, warum sich die beiden Körper nicht _direkt_ aufeinander zu bewegen. Es hält sie doch augenscheinlich nichts davon ab - ausser eben der Gravitationskraft der Erde.


Klingt ein bisschen nach: Warum kann ich eigentlich nicht fliegen, es hält mich doch niemand davon ab. Außer der Erdanziehung natürlich.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 17898

Beitrag TomS Verfasst am: 30. Jan 2021 15:47    Titel: Antworten mit Zitat

Konrad, sorry, aber wenn die Erklärung für Laien gedacht ist, dann ist das um so schlimmer; sie führt dich offensichtlich in die Irre.

Lies dir bitte nochmal meinen Beitrag durch.

Und natürlich bewegen sich die beiden Körper aufeinander zu, nur eben kaum messbar. Auch das steht in meinem Beitrag. Wenn du willst, können wir das sogar durchrechnen.

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index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 30. Jan 2021 15:51    Titel: Re: Zentripetal- und Zentrifugalkraft sowie g-Kräfte Antworten mit Zitat

Konrad hat Folgendes geschrieben:

TomS hat Folgendes geschrieben:
Ein einfacheres Bild von Gravitation und Trägheit erhält man tatsächlich erst mit Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie.


Das einfachste Bild von Gravitation und Trägheit erhält man, wenn man begreift, dass Beschleunigungsverhinderung eine Kraftwirkung ist.


Nein, umgekehrt. Das (konzeptionell) einfachste Bild erhält man, wenn man begreift, daß freier Fall eine Trägheitsbewegung, also unbeschleunigt, ist. Alle (nichtkompensierten) Kräfte führen dann auf jeden Fall zu Beschleunigungen.

Obwohl dies konzeptionell am einfachsten ist, ist es mathematisch anspruchsvoller, als die Gravitation einer Kraft zuzuschreiben. Denn man muß die Gezeitenkraft mit der Krümmung der Newtonschen (oder Einsteinschen) Raumzeit identifizieren.


Zuletzt bearbeitet von index_razor am 30. Jan 2021 15:55, insgesamt einmal bearbeitet
DrStupid



Anmeldungsdatum: 07.10.2009
Beiträge: 5029

Beitrag DrStupid Verfasst am: 30. Jan 2021 15:55    Titel: Re: Zentripetal- und Zentrifugalkraft sowie g-Kräfte Antworten mit Zitat

Konrad hat Folgendes geschrieben:
Die Frage ist aber, warum sich die beiden Körper nicht _direkt_ aufeinander zu bewegen. Es hält sie doch augenscheinlich nichts davon ab - ausser eben der Gravitationskraft der Erde.


Erkläre uns doch mal, warum sich die Körper Deiner Meinung nach mehr aufeinander als auf die Erde zubewegen sollen, obwohl sie von der Erde offensichtlich viel stärker angezogen werden.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 17898

Beitrag TomS Verfasst am: 31. Jan 2021 08:33    Titel: Antworten mit Zitat

Ich hab’ das mal kurz überschlagen.

Zunächst: Es gibt zwei Effekte, warum die Körper sich beim Fallen aufeinander zu bewegen:

1) die wechselseitige Anziehungskraft
2) der freie Fall erfolgt ohnehin nicht parallel sondern radial, d.h. entlang konvergierender Linien

Für zwei Körper der Masse m = 1 kg mit einem Bestand von r = 1m und eine Fallhöhe von h = 1m findet man ...


1) ... eine horizontale Abweichung aufgrund der wechselseitige Anziehungskraft von y







Der Faktor 2 resultiert daraus, dass beide Körper von der radialen Bahnkurve abweichen.

a entspricht der Beschleunigung durch die wechselseitige Gravitation, g der Erdbeschleunigung bei R = Erdradius





Damit folgt



Das liefert ca. 0.014 nm (Nanometer), was etwa einem Zehntel der Größe eines Atoms entspricht.


2) ... eine horizontale Abweichung von x aufgrund des radialen und nicht exakt parallelen Falls - bereits ohne gegenseitige Anziehung

Nach dem Strahlensatz gilt



und damit in sehr guter Näherung



Das liefert ca. 0.16 μm (Mikrometer), wobei wir im Bereich der Größe von Viren liegen.

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TomS
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Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 17898

Beitrag TomS Verfasst am: 31. Jan 2021 09:44    Titel: Antworten mit Zitat

Qubit hat Folgendes geschrieben:
Hm, auch in diesem Fall sehe ich keine grundsätzliche Änderung der Argumentation.

Ich denke, mein Beispiel mit dem Kettenkarussell war irreführend. Deswegen geht das Folgende

Qubit hat Folgendes geschrieben:
Ersetze wir mal die Kette durch eine starre Stange ...

am Kern der Sache vorbei; sorry!

Es ist ganz einfach. Betrachten wir einen Körper in einem externen Kraftfeld. Gemäß der Newtonschen Mechanik gilt



Das Kraftfeld bestehe aus einem gravitativen und einem anderen - z.B. elektrischen - Anteil; die Kraft ist dann “Ladung mal Feldstärke”, also



Gemäß der Newtonschen Mechanik sind Kräfte immer dann gegeben, wenn der Bewegungszustand eines Körpers von



abweicht. Die Bewegungsgleichung nach Newton behandelt diese beiden Kräfte aus Sicht des globalen Raumes formal identisch, während sie sich aus Sicht des mitbewegten Körpers messbar unterschiedlich darstellen.

Der zweite Term führt zu einer für den mitbewegten Körper selbst spürbaren Kraft, der erste Term dagegen nicht. Wenn der zweite Term Null ist, kann aus keinem lokalen Experiment im mitbewegten Körper auf die Existenz von E_grav geschlossen werden, während umgekehrt die Existenz von E_el mittels lokaler Messungen erkannt werden kann (nicht unbedingt die Natur des Feldes, jedoch das Vorliegen irgendeiner Ursache).

Die Newtonsche Mechanik kann diesen messbaren Unterschied zwischen den beiden Kräften nicht erklären, da sie beide Kräfte formal identisch behandelt.

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