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Die Geschichte mit den Wahrscheinlichkeiten und der Messung
 
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pronto



Anmeldungsdatum: 02.05.2020
Beiträge: 36

Beitrag pronto Verfasst am: 02. Mai 2020 14:00    Titel: Die Geschichte mit den Wahrscheinlichkeiten und der Messung Antworten mit Zitat

Servus Community,

ich habe jetzt schon einige Bücher über die Quantenmechanik gelesen, zZ eines über Quantencomputer, welches mich als Informatiker natürlich auch beschäftigt. Wenn man sich mit der Quantenmechanik beschäftigt, stößt man immer wieder auf die Aussage, dass sich ein Teilchen mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit an einer bestimmten Stelle befindet oder einen bestimmten Spin aufweist und sich erst bei einer Messung quasi für einen Zustand entscheidet. Das alleine ist schon schwierig genug zu verstehen aber die Literatur gibt dafür viele Beispiele, damit man nicht umhin kommt, es einfach zu ignorieren.

Was mich jetzt aber auch immer wieder beschäftigt, ist die Frage, was eigentlich eine Messung ist? Woher weiß das Teilchen das es gemessen wird? Ist nicht jeder Energieeintrag in das System, sei es zB durch bloße Sonneneinstrahlung, einer Messung zum Verwechseln ähnlich und wären dann die Teilchen nicht ständig diesem Prozess der Entscheidung ausgesetzt und würden sich letztlich auch dauernd entscheiden - müssen?

Sorry für die vielleicht blöde Frage aber an dieser möglicherweise banalen Frage reibe ich mich schon seit einer ganzen Weile auf.

Thx & Bye Tom
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18026

Beitrag TomS Verfasst am: 03. Mai 2020 09:10    Titel: Re: Die Geschichte mit den Wahrscheinlichkeiten und der Mess Antworten mit Zitat

pronto hat Folgendes geschrieben:
Wenn man sich mit der Quantenmechanik beschäftigt, stößt man immer wieder auf die Aussage, dass sich ein Teilchen mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit an einer bestimmten Stelle befindet oder einen bestimmten Spin aufweist und sich erst bei einer Messung quasi für einen Zustand entscheidet. Das alleine ist schon schwierig genug zu verstehen aber die Literatur gibt dafür viele Beispiele, damit man nicht umhin kommt, es einfach zu ignorieren.

Ich denke nicht, dass man das mittels unserer Alltagsbegriffe verstehen kann.

pronto hat Folgendes geschrieben:
Wen
Was mich jetzt aber auch immer wieder beschäftigt, ist die Frage, was eigentlich eine Messung ist?

Bleiben wir zunächst mal bei der orthodoxen Quantenmechanik, so wie sie in den Anfangsjahren entwickelt und seitens Dirac und von Neumann formalisiert wurde. Diese enthält eine offensichtliche Lücke, die beim Versuch, sie im Rahmen dieser orthodoxen Quantenmechanik zu schließen, auf einen Widerspruch führt.

1) Zunächst existiert die sogenannte Schrödingergleichung, aus der für die Wellenfunktion eines Systems eine präzise, deterministische Zeitentwicklung resultiert. Das bezieht sich auf freie Teilchen und Wechselwirkungen zwischen Teilchen oder größeren Systemen wie Atome, Moleküle, größere Festkörpern#, ...

2) Dann existiert die Bornsche Regel sowie der sogenannte “Kollaps der Wellenfunktion“; erstere besagt, wie die Wahrscheinlichkeit für ein Messergebnis zu berechnen ist; letzterer besagt, dass nach Durchführung einer Messung die folgende Zeitentwicklung nach (1) mit einer ganz bestimmten Wellenfunktion starten muss, nämlich mit der, die zum gerade gemessenen Wert gehört.

Die offensichtliche Lücke ist, dass der Begriff „Messung“ nicht definiert wird. Insbs. ist nicht klar, was eine Messung im Sinne von (2) von einer normalen Wechselwirkung eines Atoms mit einem Lichtquant im Sinne von (1) unterscheidet - denn im Zuge einer Messung und Beobachtung erfolgt u.a. genau das: wir beobachten etwas, wobei Lichtquanten mit den Atomen des Auges wechselwirken.

Versucht man nun, diese Lücke zu schließen, so landet man bei einem eklatanten Widerspruch:

Die mathematischen Regeln von (1) und (2) widersprechen sich: (1) ist deterministisch, (2) ist stochastisch; d.h. (1) kann (2) nicht erklären und (2) ist nicht klar definiert, d.h. man kann letztlich nicht präzise definieren, wann (2) gilt. Der Physiker beschreibt die Wechselwirkung von Licht mit Materie gemäß (1), außer wenn die Materie z.B. die Sinnesorgane eines Physikers umfasst, der gerade eine Messung durchführt - dann (2).

Nun können wir die Quantenmechanik jedoch offenbar seit fast 100 Jahren erfolgreich anwenden, ohne dieses sogenannte Messproblem wirklich gelöst zu haben. Ein Großteil der Physiker ignoriert dieses Problem im täglichen Leben, wendet (1) und (2) an und stellt keine diesbezüglichen Fragen. Die Haltung folgt in etwa der von Bohr und kann vornehm als Instrumentalismus zusammengefasst werden, Kritiker nennen es eher shut-up-and-calculate. Instrumentalisten begreifen den Formalismus der Quantenmechanik nicht als Beschreibung der Realität - also dessen, was unabhängig von uns tatsächlich existiert und geschieht - sondern rein als Werkzeug zur Vorhersage von Messergebnissen und deren Wahrscheinlichkeiten. Verkürzt gesagt, ein Instrumentalist versucht nicht die Welt zu verstehen, sondern Beobachtungen zu berechnen; wenn das gelingt, ist alles weitere gleichgültig.

Ein zunehmend größerer Teil der Physiker ist mit dieser Haltung unzufrieden und versucht, dieses Messproblem zu lösen, d.h. insbs. auch die o.g. Lücke zu schließen und die Widersprüche aufzulösen. Die Haltung folgt in etwa der von Einstein und kann als Realismus zusammengefasst werden. Realisten begreifen den Formalismus der Quantenmechanik zumindest in Teilen als zutreffende Beschreibung der Realität - also dessen, was unabhängig von uns und den Beobachtungen tatsächlich existiert und geschieht. Damit müssen sie den o.g. Widerspruch auflösen, für sie ist eine Erklärung der Messprozesses im Rahmen der Quantenmechanik zwingend notwendig.


pronto hat Folgendes geschrieben:
Was mich jetzt aber auch immer wieder beschäftigt, ist die Frage, was eigentlich eine Messung ist?

This is your last chance. After this, there is no turning back.

You - as an instrumentalist - take the blue pill, the story ends, you wake up in your bed and believe whatever you want to believe.

You - as a realist - take the red pill - you stay in Wonderland and I show you how deep the rabbit-hole goes.

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Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
pronto



Anmeldungsdatum: 02.05.2020
Beiträge: 36

Beitrag pronto Verfasst am: 04. Mai 2020 20:02    Titel: Re: Die Geschichte mit den Wahrscheinlichkeiten und der Mess Antworten mit Zitat

Servus,

TomS hat Folgendes geschrieben:
pronto hat Folgendes geschrieben:
Was mich jetzt aber auch immer wieder beschäftigt, ist die Frage, was eigentlich eine Messung ist?

Bleiben wir zunächst mal bei der orthodoxen Quantenmechanik, so wie sie in den Anfangsjahren entwickelt und seitens Dirac und von Neumann formalisiert wurde. Diese enthält eine offensichtliche Lücke, die beim Versuch, sie im Rahmen dieser orthodoxen Quantenmechanik zu schließen, auf einen Widerspruch führt.

1) Zunächst existiert die sogenannte Schrödingergleichung, aus der für die Wellenfunktion eines Systems eine präzise, deterministische Zeitentwicklung resultiert. Das bezieht sich auf freie Teilchen und Wechselwirkungen zwischen Teilchen oder größeren Systemen wie Atome, Moleküle, größere Festkörpern#


Okay, das leuchtet soweit ein...

TomS hat Folgendes geschrieben:

2) Dann existiert die Bornsche Regel sowie der sogenannte “Kollaps der Wellenfunktion“; erstere besagt, wie die Wahrscheinlichkeit für ein Messergebnis zu berechnen ist; letzterer besagt, dass nach Durchführung einer Messung die folgende Zeitentwicklung nach (1) mit einer ganz bestimmten Wellenfunktion starten muss, nämlich mit der, die zum gerade gemessenen Wert gehört.


War es nicht auch Schrödinger, der sagte, dass wenn man die Position eines Teilchens durch eine Messung ermittelt hat, man es (mit hoher Wahrscheinlichkeit) da findet, wo es eigentlich nicht gewesen wäre, wenn man nicht danach gesucht hätte. Mit anderen Worten, dann müsste die vorausgegangene Welle in der Zeit zurückreisen. Das klingt dann schon anbenteuerlich, zugegeben.

Beim Nachdenken ist mir noch ein anderes Beispiel eingefallen, welches mir irgendwann mal über dem Weg gelaufen ist und mich an das hier erinnert hat. Dabei geht es um den schnellsten Weg des Lichts (Ich musste googeln: Fermatsches Prinzip) und der daraus resultierenden Frage, woher das Licht weiß, was der schnellste Weg ist (wenn es unterschiedliche Medien durchdringt). Laut Wikipedia probiert das Licht einfach alle Möglichkeiten aus, was auch nicht sehr intuitiv ist. Warum nimmt man nicht einfach den Teilchencharakter des Lichts und sagt, der Lichtquant am Ziel ist nicht mehr derselbe, wie ursprünglich? Durch die Wechselwirkung mit geladenen Teilchen entsteht einfach ein neuer Lichtquant, der wiederum mit dem nächsten Teilchen wechselwirkt usw... (Verzeihung)

Wenn aber das Licht einfach alle Wege ausprobiert, um den schnellsten Weg zu finden, könnte dann nicht auch schon für jede Position an der ein Teilchen gefunden werden könnte, eine Wellenfunktion existieren, die sich erst dann manifestiert, wenn ein dazu passendes Teilchen auftaucht?

TomS hat Folgendes geschrieben:

Die offensichtliche Lücke ist, dass der Begriff „Messung“ nicht definiert wird. Insbs. ist nicht klar, was eine Messung im Sinne von (2) von einer normalen Wechselwirkung eines Atoms mit einem Lichtquant im Sinne von (1) unterscheidet - denn im Zuge einer Messung und Beobachtung erfolgt u.a. genau das: wir beobachten etwas, wobei Lichtquanten mit den Atomen des Auges wechselwirken.


Bis zum Gedankenstrich entspricht das meiner ursprünglichen Frage, die Geschichte mit der Wechselwirkung der Lichtquanten mit dem Auge des Beobachters hat sich mir aber auch nach einer Nacht, die ich darüber geschlafen habe, noch nicht wirklich erschlossen.

TomS hat Folgendes geschrieben:

Die mathematischen Regeln von (1) und (2) widersprechen sich: (1) ist deterministisch, (2) ist stochastisch; d.h. (1) kann (2) nicht erklären und (2) ist nicht klar definiert, d.h. man kann letztlich nicht präzise definieren, wann (2) gilt. Der Physiker beschreibt die Wechselwirkung von Licht mit Materie gemäß (1), außer wenn die Materie z.B. die Sinnesorgane eines Physikers umfasst, der gerade eine Messung durchführt - dann (2).


Machts nicht einfacher...

TomS hat Folgendes geschrieben:

Nun können wir die Quantenmechanik jedoch offenbar seit fast 100 Jahren erfolgreich anwenden, ohne dieses sogenannte Messproblem wirklich gelöst zu haben. Ein Großteil der Physiker ignoriert dieses Problem im täglichen Leben, wendet (1) und (2) an und stellt keine diesbezüglichen Fragen.

Die Haltung folgt in etwa der von Bohr und kann vornehm als Instrumentalismus zusammengefasst werden, Kritiker nennen es eher shut-up-and-calculate.


Hätte ich vermutlich auch so gemacht...

TomS hat Folgendes geschrieben:

Instrumentalisten begreifen den Formalismus der Quantenmechanik nicht als Beschreibung der Realität - also dessen, was unabhängig von uns tatsächlich existiert und geschieht - sondern rein als Werkzeug zur Vorhersage von Messergebnissen und deren Wahrscheinlichkeiten. Verkürzt gesagt, ein Instrumentalist versucht nicht die Welt zu verstehen, sondern Beobachtungen zu berechnen; wenn das gelingt, ist alles weitere gleichgültig.


Auch das ist eine Haltung, die man nachvollziehen kann. Welche Variante die klügere ist, hängt vermutlich von der Ausgangslage und der Erwartung ab. Der eine stellt die Frage, was passieren wird und der andere will wissen, was passiert ist oder passiert sein könnte. Die Antwort des einen führt dann nicht automatisch zur Antwort des anderen. (Nein? Zu einfach?)

TomS hat Folgendes geschrieben:

Ein zunehmend größerer Teil der Physiker ist mit dieser Haltung unzufrieden und versucht, dieses Messproblem zu lösen, d.h. insbs. auch die o.g. Lücke zu schließen und die Widersprüche aufzulösen. Die Haltung folgt in etwa der von Einstein und kann als Realismus zusammengefasst werden. Realisten begreifen den Formalismus der Quantenmechanik zumindest in Teilen als zutreffende Beschreibung der Realität - also dessen, was unabhängig von uns und den Beobachtungen tatsächlich existiert und geschieht. Damit müssen sie den o.g. Widerspruch auflösen, für sie ist eine Erklärung der Messprozesses im Rahmen der Quantenmechanik zwingend notwendig.


Das glaube ich gerne, dass das eine unangenehme Situation ist. Beruhigt mich aber auch ein wenig, wenn ich mit meinen Verständnisproblemen in so prominenter Gesellschaft bin. Wobei ich eher versuche das Problem zu verstehen, als eine Lösung dafür anbieten zu wollen.

Aber wenn zumindest meine eingangs beschriebene Schlussfolgerung mit dem Teilchen stimmen würde, welches an einer Stelle gefunden wird, wo es ohne Messung vielleicht gar nicht gewesen wäre und die Frage woher die diesem Teilchen zugrundeliegende Wellenfunktion überhaupt zustande kommt, wäre ich schon mal ein Stück weiter gekommen...


TomS hat Folgendes geschrieben:

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Thx & Bye Tom
TomS
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Beitrag TomS Verfasst am: 05. Mai 2020 00:33    Titel: Re: Die Geschichte mit den Wahrscheinlichkeiten und der Mess Antworten mit Zitat

pronto hat Folgendes geschrieben:
War es nicht auch Schrödinger, der sagte, dass wenn man die Position eines Teilchens durch eine Messung ermittelt hat, man es (mit hoher Wahrscheinlichkeit) da findet, wo es eigentlich nicht gewesen wäre, wenn man nicht danach gesucht hätte. Mit anderen Worten, dann müsste die vorausgegangene Welle in der Zeit zurückreisen. Das klingt dann schon anbenteuerlich, zugegeben.

Ob das Schrödinger war, weiß ich nicht, und ganz so einfach ist es auch nicht.

Wenn du nach Teilchen in einem gleichartig präparierten Ensemble suchst, findest du die Teilchen natürlich sehr häufig da, wo Ihre Aufenthaltswahrscheinlichkeit gemäß Präparation hoch ist.

Wenn jedoch gezielt da suchst, wo die Aufenthaltswahrscheinlichkeit niedrig ist und wenn du dann eines dort findest, dann ist dieses Teilchen sicher dort, wo du es kaum erwartet hättest.

pronto hat Folgendes geschrieben:

TomS hat Folgendes geschrieben:

Die offensichtliche Lücke ist, dass der Begriff „Messung“ nicht definiert wird. Insbs. ist nicht klar, was eine Messung im Sinne von (2) von einer normalen Wechselwirkung eines Atoms mit einem Lichtquant im Sinne von (1) unterscheidet - denn im Zuge einer Messung und Beobachtung erfolgt u.a. genau das: wir beobachten etwas, wobei Lichtquanten mit den Atomen des Auges wechselwirken.


Bis zum Gedankenstrich entspricht das meiner ursprünglichen Frage, die Geschichte mit der Wechselwirkung der Lichtquanten mit dem Auge des Beobachters hat sich mir aber auch nach einer Nacht, die ich darüber geschlafen habe, noch nicht wirklich erschlossen.

Nochmal: du hast zwei untereinander widersprüchliche Regeln (1) und (2); zu beschreiben ist die Absorption eines Photons durch ein Atom.

Frage A) welche Regel wendest du an?
Antwort A) Schrödingergleichung, also (1)

Zusatz B) ... die Absorption eines Photons durch ein Atom im Auge eines Beobachters
Antwort B) Schrödingergleichung, also (1), jedoch anschließend noch (2)

Frage C) warum bei (B) anders als bei (A) ?
Antwort C) weil’s funktioniert!

Je nach philosophischer Haltung des Prüfers bestehst du die Prüfung, oder fällst durch ...

pronto hat Folgendes geschrieben:

Remember, the only thing I offer is the truth...

Sehe schon, du weißt was ich meine.

Dabei hast du jedoch die erste Frage ignoriert: Wie entscheidest du dich? Welche Pille nimmst du?

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Frankx



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Beitrag Frankx Verfasst am: 05. Mai 2020 08:29    Titel: Antworten mit Zitat

Zitat:
You - as an instrumentalist - take the blue pill, the story ends, you wake up in your bed and believe whatever you want to believe.

You - as a realist - take the red pill - you stay in Wonderland and I show you how deep the rabbit-hole goes.

Zitat erkannt?
Wie entscheidest du dich?




Ich würde ja gern die rote Pille probieren, wenn mir jemand wenigstens auch nur einen einzigen unbestreitbaren Beweis dafür liefern könnte, dass irgendein beliebiger Fakt, irgendeine behauptete Tatsache völlig unabhängig vom Menschen, seinem menschlichen Geist und seinen Sinnen real existiert. Das Beispiel darf ruhig ganz trivial sein.

Bislang bin ich bei allem, was ich von der Realität zu wissen glaube (beachte:"zu wissen glaube") in irgendeiner Form auf meine Sinne angewiesen. Leider kann ich meinen Sinnen (selbst als Instrumentalist) nicht blind vertrauen.

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TomS
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Beitrag TomS Verfasst am: 05. Mai 2020 08:36    Titel: Antworten mit Zitat

Frankx hat Folgendes geschrieben:
... wenn mir jemand wenigstens auch nur einen einzigen unbestreitbaren Beweis dafür liefern könnte, dass irgendein beliebiger Fakt, irgendeine behauptete Tatsache völlig unabhängig vom Menschen, seinem menschlichen Geist und seinen Sinnen real existiert.


Der Lehrer: Si Fu, nenne uns die Hauptfragen der Philosophie.
Si Fu: Sind die Dinge außer uns, für sich, auch ohne uns, oder sind die Dinge in uns, für uns, nicht ohne uns.
Der Lehrer: Welche Meinung ist die richtige?
Si Fu: Es ist keine Entscheidung gefallen.
Der Lehrer: Zu welcher Meinung neigte zuletzt die Mehrheit unserer Philosophen?
Si Fu: Die Dinge sind außer uns, für sich, auch ohne uns.
Der Lehrer: Warum blieb die Frage ungelöst?
Si Fu: Der Kongress, der die Entscheidung bringen sollte, fand wie seit zweihundert Jahren im Kloster Mi Sang statt, welches am Ufer des Gelben Flusses liegt. Die Frage hieß: Ist der Gelbe Fluss wirklich, oder existiert er nur in den Köpfen? Während des Kongresses aber gab es eine Schneeschmelze im Gebirge, und der Gelbe Fluss stieg über seine Ufer und schwemmte das Kloster Mi Sang mit allen Kongressteilnehmern weg. So ist der Beweis, dass die Dinge außer uns, für sich, auch ohne uns sind, nicht erbracht worden.
Der Lehrer: Gut. Die Stunde ist zu Ende.

(Bertolt Brecht: Turandot oder Der Kongreß der Weißwäscher)

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Beitrag Frankx Verfasst am: 05. Mai 2020 09:08    Titel: Antworten mit Zitat

Zitat:
Ist der Gelbe Fluss wirklich, oder existiert er nur in den Köpfen?


Die Frage ist berechtigt.

Wieso z.B. "Gelber" Fluss? Gelb ist eine Farbe, die wir durch unsere Sinnesorgane wahrnehmen.
Was ist ein Fluss? Wodurch wird er definiert? Wie grenzt er sich vom "Bach" ab. Was begrenzt seine Ufer? Das sind Fragen, die man vor der Beantwortung der Frage nach dem "Gelben Fluss" klären müsste.
Aber egal wie die Antworten darauf ausfallen, so wären sie doch Ausdruck menschlichen Geistes.

Brecht macht sich über die Philosophen lustig, weil für ihn Realität offensichtlich ist. Das ist seine Sichtweise. Da aber auch andere Sichtweisen ("Sichtweise" ist ja bereits Ausdruck subjektiver Wahrnehmung) möglich sind, scheint es mit dem unbestreitbarem Beweis nicht weit her zu sein, sonst müsste und könnte man nicht darüber diskutieren.


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TomS
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Beitrag TomS Verfasst am: 05. Mai 2020 11:28    Titel: Antworten mit Zitat

Natürlich ist das alles Gegenstand metaphysischer Debatten, und natürlich gibt’s auf nichts davon eine letztgültige, überprüfbare oder gar beweisbare Antwort.

Das Spektrum ist weit - angefangen vom esse est percipi nach Berkeley bis hin zum physikalischen Materialismus.

Zum „Gelben Fluss“: hier geht‘s natürlich nicht um die Farbe Gelb.

Zu Brecht: ich lese die Argumentation immer etwas anders. Natürlich ist ein Idealismus oder gar Solipsismus logisch nicht auszuschließen. Aber welches vernünftige Argument - außer der reinen logischen Zulässigkeit - spricht für diese Haltung?

Da ist eine agnostische Haltung der Instrumentalisten im engeren physikalischen Kontext schon sinnvoller. Wenn man diese annimmt - sich also für die blaue Pille entscheidet - dann kann man damit gut leben. Tatsache ist jedoch, dass praktisch kein Instrumentalist, der seine Haltung wortreich verteidigt, diese auch praktisch konsequent lebt ... dazu später mehr.

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Beitrag Frankx Verfasst am: 05. Mai 2020 12:10    Titel: Antworten mit Zitat

Zitat:
Natürlich ist das alles Gegenstand metaphysischer Debatten, und natürlich gibt’s auf nichts davon eine letztgültige, überprüfbare oder gar beweisbare Antwort.


Zitat:
You - as a realist - take the red pill - you stay in Wonderland and I show you how deep the rabbit-hole goes.


Das ist für mich der Widerspruch.

Der Realist verspricht absolute objektive Wahrheiten und beginnt damit, dass nichts letztgültig überprüfbar oder beweisbar ist.
Er verlangt also, dass man das einfach mal glaubt.

Damit macht er sich aber selbst zum Instrumentalisten.


Zitat:
You - as an instrumentalist - take the blue pill, the story ends, you wake up in your bed and believe whatever you want to believe.



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TomS
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Beitrag TomS Verfasst am: 05. Mai 2020 12:39    Titel: Antworten mit Zitat

Frankx hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Natürlich ist das alles Gegenstand metaphysischer Debatten, und natürlich gibt’s auf nichts davon eine letztgültige, überprüfbare oder gar beweisbare Antwort.


Zitat:
You - as a realist - take the red pill - you stay in Wonderland and I show you how deep the rabbit-hole goes.


Das ist für mich der Widerspruch.

Der Realist verspricht absolute objektive Wahrheiten und beginnt damit, dass nichts letztgültig überprüfbar oder beweisbar ist.

Das ist schlicht falsch!

Der Realist verspricht nichts dergleichen - vgl. Poppers kritischer Rationalismus - und er ist sich durchaus bewusste, dass seine Position eine unbeweisbare Hypothese darstellt.

Anstelle eigener Erklärungen einfach mal googeln:

Wird die Existenz einer denkunabhängigen Realität angenommen, spricht man von metaphysischem oder ontologischem Realismus.

Der ontologische oder metaphysische Realismus behauptet grob formuliert die vom wahrnehmenden Subjekt unabhängige Existenz der Außenwirklichkeit.

Der wissenschaftliche Realismus ist eine realistische Position in der Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie, die besagt, dass eine erkennbare Wirklichkeit existiert, die unabhängig vom menschlichen Denken ist, und dass die Bestätigung einer wissenschaftlichen Theorie die Annahme begründet, dass diese Wirklichkeit so aussieht, wie diese Theorie das aussagt. Insbesondere betrifft dies den Anspruch, dass die Entitäten, über die eine bestätigte Theorie spricht, objektiv existieren.

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Anmeldungsdatum: 04.03.2015
Beiträge: 982

Beitrag Frankx Verfasst am: 05. Mai 2020 13:20    Titel: Antworten mit Zitat

Zitat:
Der Realist verspricht nichts dergleichen.

Dieses Versprechen leite ich aus den von Dir gewählten Zitaten ab.

Der Instrumentalist wird als ewig unwissender Einfaltspinsel dargestellt:
Zitat:
you wake up in your bed and believe whatever you want to believe.


Der Realist als derjenige, der in die tieferen Wahrheiten eingeweiht wird:
Zitat:
I show you how deep the rabbit-hole goes.


Zweifler werden irgendwann von der real existierenden Flut hinweggespült und damit eines Besseren belehrt. Aber dann ist es für sie zu spät.

Zitat:
der Gelbe Fluss stieg über seine Ufer und schwemmte das Kloster Mi Sang mit allen Kongressteilnehmern weg.



.
PS.
Das scheint mir im Übrigen auch eine Denkweise zu sein, die letztlich andernorts zu Verschwörungstheorien, politischem oder religiösem Extremismus führt.
Man meint sich im Besitz von "Wahrheiten" über "Tatsachen" und schaut (mitleidig?) auf die "Unwissenden" herab.

Versteh mich nicht falsch, es liegt mir fern, Dich in so eine Ecke zu stellen. Nur die Parallelen sind für mich sichtbar.

Ich denke, das passt nun auch definitiv nicht mehr zum Thread. Wir sollten das bei Interesse an anderer Stelle diskutieren.


.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18026

Beitrag TomS Verfasst am: 05. Mai 2020 15:26    Titel: Antworten mit Zitat

Frankx hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Der Realist verspricht nichts dergleichen.

Dieses Versprechen leite ich aus den von Dir gewählten Zitaten ab.

Der Instrumentalist wird als ewig unwissender Einfaltspinsel dargestellt:
Zitat:
you wake up in your bed and believe whatever you want to believe.

Dann ist deine Ableitung fehlerhaft, zumindest insofern als ich mich als Realisten bezeichne, diese Zitate anführe, jedoch deine Ableitung nicht teile.

Es liegt also keine per se zutreffende Aussage über die Haltung der Realisten vor, sondern lediglich deine Meinung über den vermeintlichen Anspruch der Realisten, die zumindest ein Realist - nämlich der, der die Zitate anführt - nicht teilt.

Und so nebenbei habe ich die Stellen deutlich gekennzeichnet, anhand derer explizit klar wird, dass es sich um Behauptungen oder Annahmen handelt.

Frankx hat Folgendes geschrieben:
Der Realist als derjenige, der in die tieferen Wahrheiten eingeweiht wird:
Zitat:
I show you how deep the rabbit-hole goes.


Zweifler werden irgendwann von der real existierenden Flut hinweggespült und damit eines Besseren belehrt. Aber dann ist es für sie zu spät.

Zitat:
der Gelbe Fluss stieg über seine Ufer und schwemmte das Kloster Mi Sang mit allen Kongressteilnehmern weg.

Jeder darf Zitate so interpretieren, wie er möchte. Wenn du glaubst, zu wissen, was der ursprüngliche Autor sich gedacht hat - OK. Wenn die meinst, zu wissen, was ich andeuten wollte - Missverständnis. Wenn du pointierte Sprache mit Demagogie oder Dogmatik verwechselst - schade. Und wenn du Bemerkungen meinerseits, die eine differenzierte Betrachtung nahelegen ignorierst - fragwürdig.

Frankx hat Folgendes geschrieben:
Das scheint mir im Übrigen auch eine Denkweise zu sein, die letztlich andernorts zu Verschwörungstheorien, politischem oder religiösem Extremismus führt.
Man meint sich im Besitz von "Wahrheiten" über "Tatsachen" und schaut (mitleidig?) auf die "Unwissenden" herab.

Also Brecht zum Beispiel?

Die Begriffe „Wahrheiten“ und „Tatsachen“ im Kontext dieser Diskussion stammen von dir.

Den Hinweis auf Popper und eine agnostische Sichtweise übersiehst du. Warum?

Frankx hat Folgendes geschrieben:
Versteh mich nicht falsch, es liegt mir fern, Dich in so eine Ecke zu stellen. Nur die Parallelen sind für mich sichtbar.

Entschuldige, du legst mit deiner Wortwahl schon einen Eifer an den Tag, der zumindest ebenso fragwürdig erscheint wie das, was du hier an Parallelen konstruierst.

Frankx hat Folgendes geschrieben:
Wir sollten das bei Interesse an anderer Stelle diskutieren.

Ich denke, wir sollten es als großes Missverständnis dabei bewenden lassen.

Was sollen wir noch diskutieren? Wir haben unterschiedliche Positionen und finden wohl kaum einen Konsens, aktuell noch nicht mal eine gemeinsame Sprachebene.

Deine Aussage von oben - die mir so von Richard Dawkins vertraut vorkommt - möchte ich leicht abwandeln: Das scheint mir im Übrigen auch eine Denkweise zu sein, die letztlich zu religiösen Überzeugungen führt. Mag sein, es ist per se nicht schlecht, an eine Sache zu glauben. Du glaubst ja auch an eine.

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Anmeldungsdatum: 04.03.2015
Beiträge: 982

Beitrag Frankx Verfasst am: 05. Mai 2020 16:11    Titel: Antworten mit Zitat

Zitat:
Was sollen wir noch diskutieren? Wir haben unterschiedliche Positionen und finden wohl kaum einen Konsens, aktuell noch nicht mal eine gemeinsame Sprachebene.


Schade.
Einen Konsens hatte ich nicht wirklich erwartet und er ist für mich auch nicht zwingend das Ziel einer Diskussion.

Dennoch danke bis hierher.
Vielleicht hat der Threadsteller ja noch fachspezifischere Fragen.
Ich halte mich dann wieder raus.


.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18026

Beitrag TomS Verfasst am: 05. Mai 2020 19:49    Titel: Antworten mit Zitat

Frankx hat Folgendes geschrieben:
Schade.
Einen Konsens hatte ich nicht wirklich erwartet und er ist für mich auch nicht zwingend das Ziel einer Diskussion.

Wenn wir uns darauf einigen können, dass keine Begriffe wie „Verschwörungstheorie“ und „Extremismus “ im Zusammenhang mit meinen Aussagen fallen, dann können wir uns gerne weiter austauschen.

Gruß
Thomas

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pronto



Anmeldungsdatum: 02.05.2020
Beiträge: 36

Beitrag pronto Verfasst am: 27. Mai 2020 22:12    Titel: Re: Die Geschichte mit den Wahrscheinlichkeiten und der Mess Antworten mit Zitat

Servus TomS,

TomS hat Folgendes geschrieben:
pronto hat Folgendes geschrieben:
Wenn man sich mit der Quantenmechanik beschäftigt, stößt man immer wieder auf die Aussage, dass sich ein Teilchen mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit an einer bestimmten Stelle befindet oder einen bestimmten Spin aufweist und sich erst bei einer Messung quasi für einen Zustand entscheidet. Das alleine ist schon schwierig genug zu verstehen aber die Literatur gibt dafür viele Beispiele, damit man nicht umhin kommt, es einfach zu ignorieren.

Ich denke nicht, dass man das mittels unserer Alltagsbegriffe verstehen kann.


ich versuche es trotzdem mal, in einer vielleicht naiven Betrachtungsweise. Eine "Messung" scheint wohl (wie weiter oben schon mal vermutet) bei jeder Wechselwirkung mit anderen Teilchen "durchgeführt" zu werden. So wie ich das jetzt verstanden habe (bin in meinem Buch über Quantencomputer mal wieder etwas weiter gekommen) kollabiert die Wellenfunktion immer dann, wenn das Teilchen mit anderen Teilchen wechselwirkt. Zumindest bauen die für einen Ionenfallen-Quantencomputer eine Ionenfalle mit Ultrahochvakuum und kühlen die Ionen auf ein Millionstel Grad über dem absoluten Nullpunkt ab (Mit Laserkühlung, interessanter Vorgang). Keine Ahnung ob sie so etwas schon tatsächlich gebaut haben.

Zitat: "Zu dieser Herausforderung [Ultrahochvakuum] kommt die allgemeine quantenmechanische Herausforderung, dass die Ionen nicht in einem direkten Kontakt mit der Umgebung stehen, denn dies würde einer Messung gleichkommen und die Wellenfunktion kollabiert" (Vom Bit zum Qubit; Kurt Martin; S. 64ff)

Das erklärt zwar noch nicht jeden Aspekt einer Messung. zB nicht das Kollabieren der Wellenfunktion im Doppelspaltexperiment, wo die Wellenfunktion erst an der fotografischen Platte zu kollabieren scheint. Das dieses Experiment im Vakuum durchgeführt wurde, habe ich so noch nicht gelesen oder es zumindest nicht bewusst wahrgenommen.

Auch das Experiment, dass man durch beide Daumen, die aneinander gelegt einen kleinen Spalt bilden, ins Licht schaut und dabei in der Mitte des Spalts eine kleine negative Interferenz in Gestalt eines dünnen schwarzen Strichs wahrnimmt (Hat mir mal ein Physiker gezeigt, mit dem Hinweis, dass das ein Beweis für den Wellencharakter des Lichts ist) widerspricht dieser These jedoch auch noch.

In normaler Umgebung würde ja ständig eine Wechselwirkung mit anderen Teilchen stattfinden [...] außer vielleicht wenn man berücksichtigt, dass eine Wechselwirkung nur dann stattfindet, wenn die Energie des Lichtquants den passenden Beitrag leistet (eine bessere Formulierung ist mir grad nicht eingefallen) um ein Elektron auch in ein höheres Energieniveau zu versetzen. Dies hätte ich aber bei der Fülle an Elementen in unserer Atmosphäre als grundsätzlich gegeben angesehen. Wobei man afaik ja auch aus diesem Grund [der nicht immer passende Energiebeitrag] durch eine Glasscheibe schauen kann...

Thx & Bye Tom
TomS
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Beitrag TomS Verfasst am: 27. Mai 2020 23:26    Titel: Re: Die Geschichte mit den Wahrscheinlichkeiten und der Mess Antworten mit Zitat

pronto hat Folgendes geschrieben:
Eine "Messung" scheint wohl bei jeder Wechselwirkung mit anderen Teilchen "durchgeführt" zu werden. So wie ich das jetzt verstanden habe kollabiert die Wellenfunktion immer dann, wenn das Teilchen mit anderen Teilchen wechselwirkt

Diese Schlussfolgerung ist falsch.

1) Eine unitäre Wechselwirkung Elektron plus Positron liefert z.B.



Alle erlaubten Endzustände sind mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeitsamplitude (griechische Buchstaben) vertreten. Diese Superposition ist ein intrinsisch quantenmechanisches Phänomen.

2) Eine reduzierende Messung im Detektor liefert jedoch genau einen dieser Endzustände, d.h. z.B.



mit der Wahrscheinlichkeit

Diese Unterscheidung zwischen (1) und (2) ist fundamental - mathematisch wie phänomenologisch.

pronto hat Folgendes geschrieben:
: "Zu dieser Herausforderung kommt die allgemeine quantenmechanische Herausforderung, dass die Ionen nicht in einem direkten Kontakt mit der Umgebung stehen, denn dies würde einer Messung gleichkommen und die Wellenfunktion kollabiert"

Hier kommt die sogenannte Dekohärenz ins Spiel. Diese spielt dann eine Rolle, wenn eine Wechselwirkung mit der Umgebung d.h. extrem vielen Freiheitsgraden vorliegt, wobei diese nicht gemessen werden sondern unbeobachtet bleiben.



Dabei stehen die ... z.B. für



Beachte, dass rechts immer noch eine Superposition steht, d.h. eine Überlagerung von Detektoren, die verschiedene Messergebnisse erhalten haben und die mit unterschiedlichen Umgebungen verschränkt sind (eine Umgebung enthält Photonen der LED-Anzeige “Myonpaar”, einen Physiker, der genau dies abliest ...).

Das Messproblem bleibt trotz Dekohärenz bestehen. Letztere liefert einige wesentliche Resultate, eliminiert jedoch nicht diese Superposition im Sinne von (2). Du wirst allerdings kaum Literatur finden, die das zugleich verständlich und korrekt darstellt.

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Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
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Beitrag pronto Verfasst am: 07. Feb 2021 23:06    Titel: Antworten mit Zitat

Servus Community,

sorry, dass ich den Thread noch einmal nach oben bringe aber ich habe heute mit einem Freund ein Experiment durchgeführt und wir glauben, dabei auf ein Phänomen einer solchen Messung gestoßen zu sein.

Das Experiment wurde mit einem Mach-Zender Interferometer durchgeführt, wo in jedem Strahlengang ein Polfilter eingesetzt wurde. Im Versuchsaufbau sind zwei Strahlteiler integriert. Jedes Photon hat am ersten Strahlteiler eine Wahrscheinlichkeit von 50%, einen der beiden Wege durch das Interferometer zu durchlaufen. Eigentlich nennt sich das das ganze "Welcher-Weg"-Experiment" oder "Quantenradierer".

Das Experiment wurde mit folgenden Versuchsaufbauten durchgeführt:

1) In beiden Strahlengängen wurde jeweils ein Polfilter mit der selben Ausrichtung gestellt und am Beobachtungsschirm war weiterhin das Interferenzmuster zu erkennen, welches ohne den Polfiltern auch schon erkennbar war.

2) Einer der beiden Polfilter wurde um 90° gedreht und das Interferenzmuster am Beobachtungsschirm war verschwunden.

3) Ein um 45° gedrehter Polfilter wurde am Ende des Versuchsaufbaus auf dem Weg zum Beobachtungsschirm gestellt und das Interferenzmuster war wieder da.

Im Schritt 1) sind die Photonen bei der Zusammenführung im zweiten Strahlteiler nicht voneinander zu unterscheiden.

Im Schritt 2) jedoch sind die Photonen markiert (anhand ihrer Polarisation) und ihr Weg durch das Interferometer kann nachvollzogen werden. Das Interferenzmuster im Beobachtungsschirm ist verschwunden.

An dieser Stelle möchte ich einhaken und zum Topic zurückkommen. Könnte man den Vorgang der Markierung als "Messung" interpretieren? Ist das Interferenzmuster deshalb verschwunden, weil durch diese "Messung" die Wellenfunktion kollabiert ist? Oder hat das eine völlig andere Ursache mit zufällig dem selben Ergebnis?

Hier das Schema und ein Bild des Versuchsaufbaus:

https://i.ibb.co/sVZJprK/IMG-1175.jpg
https://i.ibb.co/5hVZdQC/IMG-1171.jpg

Thx & Bye Thomas
Laie001
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Beitrag Laie001 Verfasst am: 08. Feb 2021 11:20    Titel: Antworten mit Zitat

Um das Experiment physikalisch zu erklären, könnte man annehmen, dass es eine entsprechende Wellenfunktion gibt, die kollabiert ist, weil das gerade eben als Messung definiert wurde.
Damit konstruiert man eine Abbildung aus der Realität in die mathematische Theorie, die dann mathematisch vorgibt zu simulieren, was wir jetzt (sowie schon) wissen.
pronto



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Beitrag pronto Verfasst am: 08. Feb 2021 11:28    Titel: Antworten mit Zitat

Laie001 hat Folgendes geschrieben:
Um das Experiment physikalisch zu erklären, könnte man annehmen, dass es eine entsprechende Wellenfunktion gibt, die kollabiert ist, weil das gerade eben als Messung definiert wurde.
Damit konstruiert man eine Abbildung aus der Realität in die mathematische Theorie, die dann mathematisch vorgibt zu simulieren, was wir jetzt (sowie schon) wissen.


Fazit?
Laie001
Gast





Beitrag Laie001 Verfasst am: 08. Feb 2021 11:35    Titel: Antworten mit Zitat

solange man nicht weiß, was eine Messung ist, kann man sich nicht hinstellen und sagen, dass was passiert ist, weil es eine Messung war.
Oder, nach Wittgenstein: "Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen".
Die QM erklärt nichts, sie simuliert nur mit mathematischen Formeln, aber man kann die Formeln so konstruieren und initialisieren, dass sie sich ähnlich verhalten.
Also spendiere in deinem Falle eine quantenmechanische "Messung" mit passenden Randbedingungen, und dann passt's ("shut up and calculate!").
pronto



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Beitrag pronto Verfasst am: 08. Feb 2021 11:43    Titel: Antworten mit Zitat

Laie001 hat Folgendes geschrieben:
solange man nicht weiß, was eine Messung ist, kann man sich nicht hinstellen und sagen, dass was passiert ist, weil es eine Messung war.


Sorry für die offensichtliche Undeutlichkeit in meinem Post aber du kannst hoffentlich schon von einem Fragezeichen und einem Ausrufezeichen unterscheiden? Ich hatte mein Posting eigentlich klar als Frage, mit dem dafür vorgesehenen Zeichen gekennzeichnet...

Ansonsten ziemlich ruppig am frühen Montagmorgen. Lagerkoller oder/und eingeschneit?

HTH Thomas
Laie001
Gast





Beitrag Laie001 Verfasst am: 08. Feb 2021 11:53    Titel: Antworten mit Zitat

es war keinesfalls ruppig, es war meine Antwort auf deine Frage nach dem Fazit.
Mathematische Formeln in der Physik sind das Eine, die Realität ist etwas anderes.
Du kannst dein Experiment interpretieren wie immer du willst, denn es ist ja überhaupt nicht definiert, was eine Messung überhaupt ist, also definiere es doch einfach so, und dann passt's! Augenzwinkern
pronto



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Beitrag pronto Verfasst am: 08. Feb 2021 12:09    Titel: Antworten mit Zitat

Laie001 hat Folgendes geschrieben:
es war keinesfalls ruppig, es war meine Antwort auf deine Frage nach dem Fazit.
Mathematische Formeln in der Physik sind das Eine, die Realität ist etwas anderes.
Du kannst dein Experiment interpretieren wie immer du willst, denn es ist ja überhaupt nicht definiert, was eine Messung überhaupt ist, also definiere es doch einfach so, und dann passt's! Augenzwinkern


Wenn ich gestern das Doppelspaltexperiment durchgeführt hätte und danach die gleiche Frage gestellt hätte, würde ich dann die gleiche Antwort bekommen?
Laie001
Gast





Beitrag Laie001 Verfasst am: 08. Feb 2021 12:24    Titel: Antworten mit Zitat

ja, absolut, es gilt für alle Experimente, insb. wenn jemand etwas "misst", aber undefiniert ist, was eine "Messung" überhaupt ist und was nicht.
Dennoch kann ich Formeln so modellieren und semantisch so formulieren, dass sie das beobachtete Ergebnis simulieren.
TomS
Moderator


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Beitrag TomS Verfasst am: 08. Feb 2021 13:28    Titel: Antworten mit Zitat

pronto hat Folgendes geschrieben:
1) In beiden Strahlengängen wurde jeweils ein Polfilter mit der selben Ausrichtung gestellt und am Beobachtungsschirm war weiterhin das Interferenzmuster zu erkennen, welches ohne den Polfiltern auch schon erkennbar war.

2) Einer der beiden Polfilter wurde um 90° gedreht und das Interferenzmuster am Beobachtungsschirm war verschwunden.

3) Ein um 45° gedrehter Polfilter wurde am Ende des Versuchsaufbaus auf dem Weg zum Beobachtungsschirm gestellt und das Interferenzmuster war wieder da.

...

Könnte man den Vorgang der Markierung als "Messung" interpretieren?

Interessante Frage - ich weiß es aktuell nicht.

Zunächst mal muss man die Polarisationsfilter formal beschreiben. Das leistet wohl der Jones-Formalismus.

https://de.wikipedia.org/wiki/Jones-Formalismus#Übergang_zur_Quantenmechanik

Meine Überlegung ist wie folgt:

Wenn die Wirkung eines optischen Elementes durch einen unitären Operator dargestellt werden kann, dann handelt es sich nicht um eine Messung sondern um eine unitäre Zeitentwicklung. Umgekehrt, wenn ein nicht-unitärer Operator vorliegt, dann sicher keine Zeitentwicklung; allerdings wird am Polarisator selbst ja nicht wirklich gemessen, das verwirrt mich.

Außerdem könnte man - ich bin mir nicht sicher, ob das immer funktioniert - das optische Element doch durch einen unitären Operator beschreiben, wobei ein Photon dann nicht einfach verschwindet, sondern z.B. einen exakt definierten sekundären Photonen- oder Elektronzustand erzeugt; das Messen desselben entspräche dann einer Messung der Polarisation; das nicht-Messen einer unitäre Zeitentwicklung für den Gesamtzustand. Ich kenne mich allerdings nicht mit Quantenoptik und den Methoden für die Polarisatoren aus.

Ich würde mal nach der Beschreibung derartiger Experimente mittels des Jones-Formalismus googeln.

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