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The trouble with many worlds - questions to Sabine - Seite 2
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Günther



Anmeldungsdatum: 23.11.2010
Beiträge: 305

Beitrag Günther Verfasst am: 14. Okt 2019 11:00    Titel: Antworten mit Zitat

Meine momentane Einschätzung - die aber nur an der Oberfläche kratzt - ist:

Die Messung eines jeden Zweigbeobachters unterscheidet sich wegen der kausalen Entkoppelung der Zweige durch nichts von der Messung gemäß Kopenhagen. Demnach findet in beiden Fällen ein vergleichbarer Meßprozess statt (same thing). Diese Problematik nimmt die MWI aber gar nicht erst wahr (b.z.w. geht mit ihr auf eine andere nicht strikt widerlegbare Weise um), weil sie die MWI ad absurdum führen würde.

Zugegeben, sehr einfach, keine einzige Formel.
Neu
Gast





Beitrag Neu Verfasst am: 14. Okt 2019 11:57    Titel: Antworten mit Zitat

Günther hat Folgendes geschrieben:
Meine momentane Einschätzung - die aber nur an der Oberfläche kratzt - ist:

Die Messung eines jeden Zweigbeobachters unterscheidet sich wegen der kausalen Entkoppelung der Zweige durch nichts von der Messung gemäß Kopenhagen. Demnach findet in beiden Fällen ein vergleichbarer Meßprozess statt (same thing). Diese Problematik nimmt die MWI aber gar nicht erst wahr (b.z.w. geht mit ihr auf eine andere nicht strikt widerlegbare Weise um), weil sie die MWI ad absurdum führen würde.

Zugegeben, sehr einfach, keine einzige Formel.


Wenn also ein Beobachter bei einem Messvorgang ein Teilchen links sieht, sieht ein anderer in einem anderen Universum es auf der rechten Seite ? Oder sehen deines Erachtens beide Beobachter den Doppellspalteffekt der sich durch klassische Physik nicht erklären lässt ?
Günther



Anmeldungsdatum: 23.11.2010
Beiträge: 305

Beitrag Günther Verfasst am: 14. Okt 2019 14:46    Titel: Antworten mit Zitat

Neu hat Folgendes geschrieben:

Wenn also ein Beobachter bei einem Messvorgang ein Teilchen links sieht, sieht ein anderer in einem anderen Universum es auf der rechten Seite ? Oder sehen deines Erachtens beide Beobachter den Doppellspalteffekt der sich durch klassische Physik nicht erklären lässt ?

Nach der Messung eines Ensembles sieht jeder Beobachter dasselbe Interferenzbild und nach einer Messung jeweils einen Punkt auf dem Bildschirm und soweit ich das beurteilen kann an einer jeweils anderen Stelle.

Ich empfehle aber einen neuen Thread, wenn dich das weitergehend interessiert.
Günther



Anmeldungsdatum: 23.11.2010
Beiträge: 305

Beitrag Günther Verfasst am: 14. Okt 2019 14:47    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
So, bin mit Sabine in Kontakt.

War eine wichtige Frage; offenbar versteht sie die MWI tatsächlich völlig anders.

Da bin ich gespannt!
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 14. Okt 2019 15:10    Titel: Antworten mit Zitat

TomS, zum letzten Kommentar vom 14. Oktober, 3:40 in der Diskussion auf dem Blog hilft vielleicht noch der Hinweis, daß wir genau den dort erwähnten Punkt im vorigen Thread bereits gestreift haben, nämlich hier und hier.

Der Bemerkung über die Zeitentwicklung des Detektors, die "kein Detektor mehr ist", bezieht sich auf diesen Abschnitt.

"The measurement postulate says: Update probability at measurement to 100%. The detector definition in many worlds says: The “Detector” is by definition only the thing in one branch. Now evaluate probabilities relative to this, which gives you 100% in each branch."

(Der Hervorgehobene Teil stellt genau die zum Kollaps "logisch vollkommen äquivalente" Annahme der MWI dar, um die sich alles dreht.)

Nun wirst du vielleicht sagen: "Stimmt nicht. Der Detektorzweig ist nur das, was die zweiglokalen Physiker vom gesamten Detektor wahrnehmen. Aber der vollständige Detektor ist der gesamte dekohärente Zustand, der alle möglichen Anzeigen beinhaltet."

Aber das wäre nur Semantik, die genau das Problem verschleiert, welches wir zuletzt hier diskutiert haben. Wenn das Meßpostulat notwendig ist, dann ist nur der Zustand des Detektorzweigs physikalisch relevant, nicht der gesamte dekohärente Zustand. Auch wenn letzterer "im Rahmen des Formalismus" auftritt, ist nicht er es, aus dem man die Werte physikalischer Größen berechnet, sondern der relative Zustand bezogen auf den letzten Meßwert.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18062

Beitrag TomS Verfasst am: 14. Okt 2019 15:54    Titel: Antworten mit Zitat

Günther hat Folgendes geschrieben:
Die Messung eines jeden Zweigbeobachters unterscheidet sich wegen der kausalen Entkoppelung der Zweige durch nichts von der Messung gemäß Kopenhagen. Demnach findet in beiden Fällen ein vergleichbarer Meßprozess statt (same thing). Diese Problematik nimmt die MWI aber gar nicht erst wahr (b.z.w. geht mit ihr auf eine andere nicht strikt widerlegbare Weise um), weil sie die MWI ad absurdum führen würde.

Kann man so sehen.

Etwas polemisch kann man wie folgt argumentieren.

von Neumann et al.: der Messprozess ist vollständig unverstanden und kann quantenmechanisch nicht weiter erklärt werden; daher fordern wir ohne weitere Begründung den nicht-unitären Kollaps; dann funktioniert alles.

Everett et al: der Messprozess kann mittels Schrödingergleichung und Dekohärenz vollständig verstanden und quantenmechanisch erklärt werden; um den problematischen Kollaps zu eliminieren müssen wir dazu jedoch die Existenz praktisch unbeobachtbarer Zweige akzeptieren; dann funktioniert alles.

Alle zig tausend Bücher, Veröffentlichungen, Seminare und Blogs sind nur Fußnoten und Ausarbeitungen zu diesen zwei Grundhaltungen. Sabine liefert hier eine spezielle Kritik zu Everett nach - die ich im Detail noch nicht verstehe. Bzgl. des Gesamtbildes ändert sich durch ihren Blog sicher nichts. Weder killt sie die MWI, noch rettet Carroll die MWI und erhält den Nobelpreis.

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TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18062

Beitrag TomS Verfasst am: 14. Okt 2019 16:09    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Der Bemerkung über die Zeitentwicklung des Detektors, die "kein Detektor mehr ist", bezieht sich auf diesen Abschnitt.

"The measurement postulate says: Update probability at measurement to 100%. The detector definition in many worlds says: The “Detector” is by definition only the thing in one branch. Now evaluate probabilities relative to this, which gives you 100% in each branch."

Danke, schauen wir mal, ob du sie richtig verstehst. Ich habe gerade dazu eine Antwort in ihrem Blog geschrieben.

Ich verstehe den Detektor als Quantensystem, das eine spezielle, jedoch ebenfalls unitäre Zeitentwicklung erzeigt. Für mich wirkt der Detektor nicht nur innerhalb eines Zweiges, sondern über alle Zweige hinweg - so habe ich Dekohärenz und MWI immer verstanden. Erstere garantiert, dass ein Detektor eine bereits existierende Zweigstruktur erhält und in eine weitere, feinere Zweigstruktur auffächert.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
(Der Hervorgehobene Teil stellt genau die zum Kollaps "logisch vollkommen äquivalente" Annahme der MWI dar, um die sich alles dreht.)

Ich behaupte, dass die MWI diese Annahme nicht macht - siehe meine Beschreibung.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Nun wirst du vielleicht sagen: "Stimmt nicht. Der Detektorzweig ist nur das, was die zweiglokalen Physiker vom gesamten Detektor wahrnehmen. Aber der vollständige Detektor ist der gesamte dekohärente Zustand, der alle möglichen Anzeigen beinhaltet."

Ja, auch letzterem stimme ich zu: der vollständige Detektor ist der gesamte dekohärente Zustand, der alle möglichen Anzeigen beinhaltet.

Da jedoch Detektor plus Beobachter gemeinsam dekohärieren und damit innerhalb je eines Zweiges existieren, löst die Dekohärenz dieses Problem: je Zweig hat die zweig-lokale Komponente des Beobachters nur Zugriff auf die zweig-lokale Anzeige des Detektors ...

... vorausgesetzt sie tut, was die MWI von ihr fordert!

Wenn das der Punkt ist, dann hat sie die MWI in ihrere modernen Ausprägung nicht verstanden. Die MWI postiuliert hier nichts - werder offen noch versteckt - sondern sie schmeißt das alles den Dokäherenz-Experten vor die Füße im Sinne von "beweise mal, dass es so ist".

Wenn es überhaupt offene Punkte gibt, dann ist es E-4, sowie die Behauptung, E-5 sei aufgrund der Dekohärenz unnötig. Jedenfalls ist Sabines Meinung, E-4 und Dekohärenz seien nicht das Problem, ziemlich fragwürdig.



index_razor hat Folgendes geschrieben:
Aber das wäre nur Semantik, die genau das Problem verschleiert, welches wir zuletzt hier diskutiert haben. Wenn das Meßpostulat notwendig ist, dann ist nur der Zustand des Detektorzweigs physikalisch relevant, nicht der gesamte dekohärente Zustand.

Viel einfacher: wenn eine Art Projektionspostulat notwendig ist, dann ist die MWI tot.

Ich glaube aber nicht, dass die MWI und alle Kritiker dieses eher offensichtliche Problem übersehen hätten ... wenn es denn existieren würde.

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Anmeldungsdatum: 14.08.2014
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Beitrag index_razor Verfasst am: 14. Okt 2019 17:23    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:

Ich verstehe den Detektor als Quantensystem, das eine spezielle, jedoch ebenfalls unitäre Zeitentwicklung erzeigt. Für mich wirkt der Detektor nicht nur innerhalb eines Zweiges, sondern über alle Zweige hinweg - so habe ich Dekohärenz und MWI immer verstanden. Erstere garantiert, dass ein Detektor eine bereits existierende Zweigstruktur erhält und in eine weitere, feinere Zweigstruktur auffächert.


Genau, und mir war auch klar, daß du dieser Formulierung so nicht zustimmst. Ich glaube aber, daß dies tatsächlich nur ein terminologisches/semantisches Problem ist, und daß mehr hinter dem Argument steckt.

Die Frage ist nämlich nicht, welchen Zustand bezeichnen wir als "den Detektor", sondern: "Welchen Zustand verwenden wir zur Berechnung physikalischer Größen?"

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
(Der Hervorgehobene Teil stellt genau die zum Kollaps "logisch vollkommen äquivalente" Annahme der MWI dar, um die sich alles dreht.)

Ich behaupte, dass die MWI diese Annahme nicht macht.


Aber du behauptest, man müsse zur korrekten Berechnung von physikalischen Größen, Wahrscheinlichkeiten etc. innerhalb dieses Zweiges nun den "relativen Zustand" bezogen auf den letzten Meßwert nehmen. Das ist, soweit ich sehe, logisch exakt dasselbe. Denn dieser relative Zustand folgt weder aus Dekohärenz noch aus der Schrödinger-Gleichung.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Nun wirst du vielleicht sagen: "Stimmt nicht. Der Detektorzweig ist nur das, was die zweiglokalen Physiker vom gesamten Detektor wahrnehmen. Aber der vollständige Detektor ist der gesamte dekohärente Zustand, der alle möglichen Anzeigen beinhaltet."

Ja, auch letzterem stimme ich zu: der vollständige Detektor ist der gesamte dekohärente Zustand, der alle möglichen Anzeigen beinhaltet.

Da jedoch Detektor plus Beobachter gemeinsam dekohärieren und damit innerhalb je eines Zweiges existieren, löst die Dekohärenz dieses Problem: je Zweig hat die zweig-lokale Komponente des Beobachters nur Zugriff auf die zweig-lokale Anzeige des Detektors ...

... vorausgesetzt sie tut, was die MWI von ihr fordert!

Wenn das der Punkt ist, dann hat sie die MWI in ihrere modernen Ausprägung nicht verstanden. Die MWI postiuliert hier nichts - werder offen noch versteckt - sondern sie schmeißt das alles den Dokäherenz-Experten vor die Füße im Sinne von "beweise mal, dass es so ist".


Dekohärenz kann dieses Problem nicht lösen, denn der relative Zustand hängt nichtlinear vom Anfangszustand ab, der dekohärente Zustand aber linear (mit oder ohne Beobachter). Das liegt daran, daß man eben projiziert und danach normieren muß. Dekohärenz kann also nicht beweisen, daß man nun plötzlich physikalische Größen mit dem relativen Zustand ausrechnen muß.

Zitat:
Viel einfacher: wenn eine Art Projektionspostulat notwendig ist, dann ist die MWI tot.


In der Tat, das wäre auch meine Schlußfolgerung. Tatsächlich würde ich sogar behaupten alle anderen Interpretationen wären tot. Es erfordert nicht viel Argumentation um einzusehen, daß wenn ein Kollaps aus physikalischen Gründen notwendig ist, dann nur die Kollapsinterpretation korrekt sein kann, ohne daß man völlig abwegige Kunstgriffe ohne jegliche physikalische Grundlage vollführt.

Das macht das Argument etwas verdächtig, weil es viel zu viel zu beweisen scheint. Man benötigt aber trotzdem einen stichhaltigen Einwand gegen die Notwendigkeit des Kollaps. Im bisherigen Verlauf schienst du aber diese Notwendigkeit in allen (für das Argument) wesentlichen Punkten gar nicht in Frage zu stellen. (Du hast sogar geschrieben mein "Beweis" für den Kollaps sei innerhalb der MWI formal korrekt.)
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18062

Beitrag TomS Verfasst am: 14. Okt 2019 19:18    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Aber du behauptest, man müsse zur korrekten Berechnung von physikalischen Größen, Wahrscheinlichkeiten etc. innerhalb dieses Zweiges nun den "relativen Zustand" bezogen auf den letzten Meßwert nehmen. Das ist, soweit ich sehe, logisch exakt dasselbe. Denn dieser relative Zustand folgt weder aus Dekohärenz noch aus der Schrödinger-Gleichung.

Dekohärenz kann dieses Problem nicht lösen, denn der relative Zustand hängt nichtlinear vom Anfangszustand ab, der dekohärente Zustand aber linear (mit oder ohne Beobachter). Das liegt daran, daß man eben projiziert und danach normieren muß. Dekohärenz kann also nicht beweisen, daß man nun plötzlich physikalische Größen mit dem relativen Zustand ausrechnen muß.

OK, ich denke, dann habe ich eine Lücke in der Argumentation entdeckt, die aber m.E. geschlossen werden kann.

Die Lücke besteht in der Verwendung der Projektion.



Diese stammt noch von Everett und ist heute überholt bzw. nur als Näherung zu betrachten.

In der modernen Formulierung wird seitens der MWI-Befürworter immer auf die Dekohärenz verwiesen, die die Zweige auszeichnet. Die Zweige sind - als emergentes Phänomen - nicht präzise definiert und z.B. nicht abzählbar; sie zeichnen sich durch eine wechselseitige Inkohärenz und näherungsweise Orthogonalität aus.

Evtl. ist dies einer der Aspekte, bei der die MWI der Dekohärenz zu viel aufhalst und letztere noch nicht liefern kann. Jedenfalls ist die Projektion als Auszeichnung eines Zweiges nur eine Näherung - in Anlehnung an Everett.

Das ist aber mein Argument - hier sowie an S.H.: ich sehe keine versteckte Annahme der MWI also kein E-5, allenfalls eine (weitere) zu schließende Lücke bei der Dekohärenz. Das wiederum kann aber S.H. nicht sehen, da sie die Dekohärenz ausblendet.

Die Idee ist letztlich, einen Zweig und bzgl. dieses Zweiges eine relative Wahrscheinlichkeit zu definieren; dies entspräche einem Coarse Graining auf Basis der tatsächlich rein aus der Schrödingergleichung folgenden Struktur auf dem Hilbertraum.

(so habe ich Wallace immer verstanden; ich kann das nachlesen, verstehen dauert ;-)

Summary: die MWI heutiger Prägung scheitert logisch - wenn überhaupt - dann an der Dekohärenz, insofern diese evtl. nicht das leistet, was sie leisten muss.

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Zuletzt bearbeitet von TomS am 15. Okt 2019 06:17, insgesamt 2-mal bearbeitet
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
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Beitrag TomS Verfasst am: 14. Okt 2019 20:53    Titel: Antworten mit Zitat

Ein einfaches Bild:

Wir betrachten eine große Population von Wesen, die sich untereinander Bälle zuwerfen; zwei Wesen mit sehr ähnlicher / sehr unterschiedlicher Hautfarbe sehen sich gegenseitig sehr gut / sind füreinander fast unsichtbar und werfen sich die Bälle sehr häufig / sehr selten zu. Die Population verändert sich durch Mutationen aufgrund von Absorption von Strahlung, wodurch die Hautfarben der Wesen geändert werden.

Nun betrachtet man einen Schwarm von Beobachtern, die nicht am Spiel teilnehmen, für die ansonsten jedoch die selben Gesetze gelten. Außerdem betrachtet man einen weiteren Schwarm von Beobachtern, die sehr langsam agieren.

Über einen für letztere sehr kurzen Zeitraum wird die Population extrem starker Strahlung ausgesetzt. Dadurch erscheint es für diese langsamen Beobachter so, als ob ein Teil der Spieler plötzlich verschwindet, während die schnellen Beobachter erkennen, dass sich mehrere parallele Spiele ausbilden, und dass diese sowie die teilnehmen Spieler für sie zunehmend unsichtbar werden.

Beide Beobachtergruppen können Hypothesen bzgl. des Verhaltens von Spielern, Bällen, des Ergebnis von Spielen usw. aufstellen. Während die langsamen Beobachter dabei von Zufall ausgehen und spontanes, zufälliges Verhalten sehen, erkennen die schnellen Beobachter den wahren Zusammenhang. Für sie ist klar, dass kein Zufall vorliegt, insbs. glauben sie auch nicht an Zauberei, durch die Spieler verschwinden, sie sehen deren langsame Verfärbung und das langsame Unsichbarwerden.

Ist ein bisschen wie bei Platons Höhlengleichnis:

Οὕτως, (e) ἔφη, ἔγωγε οἶμαι, πᾶν μᾶλλον πεπονθέναι ἂν δέξασθαι ἢ ζῆν ἐκείνως.

So, sagte er, glaube ich es: er würde sich eher allen Leiden unterziehen als auf jene Weise zu leben.

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Günther



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Beitrag Günther Verfasst am: 14. Okt 2019 20:59    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:

In der modernen Formulierung wird seitens der MWI-Befürworter immer auf die Dekohärenz verwiesen, die die Zweige auszeichnet. Die Zweige sind - als emergentes Phänomen - nicht präzise definiert und z.B. nicht abzählbar; sie zeichnen sich durch eine wechselseitige Inkohärenz und näherungsweise Orthogonalität aus.

Was ist dann der entscheidende Unterschied zu Everett's relative-states, die ohne Dekohärenz formuliert wurden? War damals noch kein Thema.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18062

Beitrag TomS Verfasst am: 14. Okt 2019 21:50    Titel: Antworten mit Zitat

Der wesentliche Unterschied ist, dass die Dekohärenz vieles liefert, was Everett noch postulieren musste.

Insbs. liefert die Dekohärenz die richtige “Zweigstruktur”, d.h. näherungsweise klassische, wechselweise untereinander nicht mehr interferenzfähige Zweige, sowie die automatische Auszeichnung einer sogenannten “Zeigerbasis” - als Konsequenz der unitären Dynamik. D.h. die Dekohärenz alleine liefert eine teilweise Lösung des Messproblems.

Erst die Dekohärenz hat Everett’s Idee letztlich wieder salonfähig gemacht.

Was die Dekohärenz nicht liefert ist ein Kollaps; dieser kann zusätzlich angenommen werden, erscheint den Vertretern der MWI jedoch als überflüssig und insbs. inkonsistent, da nicht-unitär. Außerdem liefert die Dekohärenz kein Argument, warum eine Wahrscheinlichkeitsinterpretation notwendig ist; dies folgt zunächst nur aus der Beobachtung.

Neben der Dekohärenz ist außerdem Gleason’s Theorem ein entscheidender Hinweis auf die Bornsche Regel. Dieses besagt nicht, dass eine Wahrscheinlichkeitsinterpretation notwendig ist, liefert jedoch unter der Annahme einer solchen die Bornsche Regel als einziges mathematisch zulässiges Wahrscheinlichkeitsmaß in der QM.

Insgs. werten die MWI-Vertreter dies als starke Indizien dafür, dass die orthodoxe QM zu viel unnötige Postulate einführt und stattdessen einiges irrelevant ist oder als Theorem folgt.

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Günther



Anmeldungsdatum: 23.11.2010
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Beitrag Günther Verfasst am: 15. Okt 2019 08:58    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
Der wesentliche Unterschied ist, dass die Dekohärenz vieles liefert, was Everett noch postulieren musste.

Insbs. liefert die Dekohärenz die richtige “Zweigstruktur”, d.h. näherungsweise klassische, wechselweise untereinander nicht mehr interferenzfähige Zweige, sowie die automatische Auszeichnung einer sogenannten “Zeigerbasis” - als Konsequenz der unitären Dynamik. D.h. die Dekohärenz alleine liefert eine teilweise Lösung des Messproblems.

Sind denn die Relativen Zustände nicht auch nicht interferenzfähig? Und ist hier nicht auch die Unitarität erhalten und somit das Messproblem aus der Welt?
Günther



Anmeldungsdatum: 23.11.2010
Beiträge: 305

Beitrag Günther Verfasst am: 15. Okt 2019 09:10    Titel: Antworten mit Zitat

Hat diese letzte Antwort von S.H. Klarheit geschaffen?

Zitat:
I have explained this in my blogpost and several times above already. In Many Worlds, the time-evolution of a detector is not a detector. You need an additional assumption to define something else as detector. Just try to write down what it takes to actually arrive at a prediction that's compatible with observation.
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 15. Okt 2019 10:22    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
Aber du behauptest, man müsse zur korrekten Berechnung von physikalischen Größen, Wahrscheinlichkeiten etc. innerhalb dieses Zweiges nun den "relativen Zustand" bezogen auf den letzten Meßwert nehmen. Das ist, soweit ich sehe, logisch exakt dasselbe. Denn dieser relative Zustand folgt weder aus Dekohärenz noch aus der Schrödinger-Gleichung.

Dekohärenz kann dieses Problem nicht lösen, denn der relative Zustand hängt nichtlinear vom Anfangszustand ab, der dekohärente Zustand aber linear (mit oder ohne Beobachter). Das liegt daran, daß man eben projiziert und danach normieren muß. Dekohärenz kann also nicht beweisen, daß man nun plötzlich physikalische Größen mit dem relativen Zustand ausrechnen muß.

OK, ich denke, dann habe ich eine Lücke in der Argumentation entdeckt, die aber m.E. geschlossen werden kann.

Die Lücke besteht in der Verwendung der Projektion.



Diese stammt noch von Everett und ist heute überholt bzw. nur als Näherung zu betrachten.


Dann bestreitest du anscheinend explizit Sabine Hossenfelders Behauptung der Kollaps sei ein "observational requirement".

Die einzige Situation, in der der Kollaps eine Näherung an Dekohärenz liefern kann, ist wenn unmittelbar vor der Messung bereits näherungsweise ein Eigenzustand zum beobachteten Meßwert vorlag.

Zitat:

Das ist aber mein Argument - hier sowie an S.H.: ich sehe keine versteckte Annahme der MWI also kein E-5, allenfalls eine (weitere) zu schließende Lücke bei der Dekohärenz. Das wiederum kann aber S.H. nicht sehen, da sie die Dekohärenz ausblendet.


Wenn der Kollaps nicht notwendig ist, ist es natürlich auch keine Annahme, die äquivalent zum Kollaps ist. Sabine Hossenfelder behauptet aber genau, daß er nötig ist, und wenn ich sie richtig verstehe hat sie dafür folgenden Beweis:

"From the wave-function you can calculate, for example, that a particle which enters a beam-splitter has a 50% chance of going left and a 50% chance of going right. But – and that’s the important point – once you have measured the particle, you know with 100% probability where it is. This means that you have to update your probability and with it the wave-function. This update is also called the wave-function collapse.".

Warum ein Update der Wahrscheinlichkeit, zumindest dem Anschein nach, ein Update der Wellenfunktion nach sich zieht, wie im vorletzten Satz behauptet, habe ich versucht in meinem Argument im vorigen Thread zu zeigen. Ich betone nochmal, daß ich nicht glaube, daß das dortige Argument stimmt. Ich habe es nur formuliert um deutlich zu machen, an welcher Stelle m.E. eine Widerlegung ansetzten muß.

Solange dieses Argument unwiderlegt dasteht, kann Dekohärenz getrost ignoriert werden, denn es ist mathematisch unmöglich, daß sie (außer im trivialen Fall eines bereits vorliegenden Eigenzustands) denselben Zustand liefert wie ein Kollaps.


Zitat:

Die Idee ist letztlich, einen Zweig und bzgl. dieses Zweiges eine relative Wahrscheinlichkeit zu definieren; dies entspräche einem Coarse Graining auf Basis der tatsächlich rein aus der Schrödingergleichung folgenden Struktur auf dem Hilbertraum.


Die Frage ist genau, wieso hier die Einführung einer "relativen" (oder bedingten) Wahrscheinlichkeit, nicht mit einer Änderung des Zustands einhergeht. Der einzige Zusammenhang zwischen Zustand und Wahrscheinlickeit -- oder äquivalent Erwartungswerten -- , ist

TomS
Moderator


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Beiträge: 18062

Beitrag TomS Verfasst am: 15. Okt 2019 11:08    Titel: Antworten mit Zitat

Wenn man die Dekohärenz nicht kennt, kann man über die Eigenschaften der relativen Zustände nach Everett nichts sagen. Letztliche musste er gewisse Eigenschaften fordern.

Einfaches Beispiel:

Der Messprozess nach von Neumann startet mit einem Zustand des Quantensystems sowie dem Messgerät in Nullstellung



Die Aussage, dass eine Messung stattfindet, liefert im wesentlichen, dass der Zustand des Quantensystems auf das Messgerät übertragen wird. D.h. ein Eigenzustand der zu messenden Observablen liefert einen entsprechenden Zeigerzustand des Messgerätes (wenn dies nicht der Falle wäre, läge keine Messung vor)

D.h.



Angewand auf die o.g. Superposition führt dies zu



Die letzte Formel gilt für die lineare und unitäre Zeitentwicklung trivialerweise dann, wenn die vorige Formel je einzelnem Eigenzustand gilt.

Dass diese gilt ist jedoch auch bei von Neumann unbewiesen, er modelliert das Messgerät und die Zeigerzustände nicht mikroskopisch. Es handelt sich letztlich um eine rein symbolische Notation, die das beschreibt, was wir beobachten: wenn wir einen Zustand mit einer bestimmten Energie (o.a.) präparieren, dann zeigt das Messgerät hinterher die Energie an.

Die Dekohärenz verspricht nun genau das: die quantenmechanische Betrachtung führt zu ausgezeichneten Zeigerzuständen und zu klassischem Verhalten.

Grundsätzlich kann der Eingangszustand in einer beliebigen Basis modelliert werden, d.h.



Mathematisch sind alle Darstellungen bzgl. beliebiger Basen äquivalent. Die Dekohärenz zeichnet nun jedoch eine bestimmte Basis aus, nämlich die zur Konstruktion des Messgerätes passende Zeigerbasis.

(an sich müsste ich in die Notation noch die Umgebungsfreiheitsgrade aufnehmen, ohne die funktioniert das Argument nicht; dies entspricht; für unsere Zwecke hier sollte das jedoch ausreichen)

Damit löst die Dekohärenz die erste Hälfte des Messproblems: sie führt zu einer inkohärenten Überlagerung wechselweise nicht mehr interferenzfähiger und jeweils klassisch erscheinender Zweige in der Zeigerbasis.

Sie löst nicht die zweite Hälfte des Messproblems: wohin verschwinden alle Zweige bis auf den einen beobachtbaren? warum folgt überhaupt eine probabilistische Interpretation, und warum sollen die Vorfaktoren der Zweige als Wahrscheinlichkeitsamplituden interpretiert werden?

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TomS
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Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18062

Beitrag TomS Verfasst am: 15. Okt 2019 11:08    Titel: Antworten mit Zitat

Günther hat Folgendes geschrieben:
Hat diese letzte Antwort von S.H. Klarheit geschaffen?

Zitat:
I have explained this in my blogpost and several times above already. In Many Worlds, the time-evolution of a detector is not a detector. You need an additional assumption to define something else as detector. Just try to write down what it takes to actually arrive at a prediction that's compatible with observation.

Nee.

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Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 15. Okt 2019 12:24    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:

Damit löst die Dekohärenz die erste Hälfte des Messproblems: sie führt zu einer inkohärenten Überlagerung wechselweise nicht mehr interferenzfähiger und jeweils klassisch erscheinender Zweige in der Zeigerbasis.

Sie löst nicht die zweite Hälfte des Messproblems: wohin verschwinden alle Zweige bis auf den einen beobachtbaren? warum folgt überhaupt eine probabilistische Interpretation, und warum sollen die Vorfaktoren der Zweige als Wahrscheinlichkeitsamplituden interpretiert werden?


Du hast wohl eine völlig andere Auffassung vom "Meßproblem" als Sabine Hossenfelder. Sie betrachtet ausdrücklich das Basisproblem nicht als Teil des Meßproblems und deshalb auch nicht Dekohärenz als Teil dessen Lösung. Es geht ihr ausschließlich um die Inkompatibilität zwischen Kollaps und Schrödingergleichung.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18062

Beitrag TomS Verfasst am: 15. Okt 2019 13:29    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
"From the wave-function you can calculate, for example, that a particle which enters a beam-splitter has a 50% chance of going left and a 50% chance of going right. But – and that’s the important point – once you have measured the particle, you know with 100% probability where it is. This means that you have to update your probability and with it the wave-function. This update is also called the wave-function collapse."..

Sie begeht einen Kategoriefehler, indem sie ständig von Kollaps redet, so wie wenn da etwas physikalisches passieren würde; sie verwechselt die ontische und die mathematisch-epistemische Ebene.

Und sie verwendet physikalisch den den falschen Begriff, da sie von einem "update ... [of] the wave-function" spricht, der schlichtweg überflüssig ist - bereits mathematisch!

Ihre ganze Argumentation kreist um den richtigen Einwand, wird durch den Kategoriefehler jedoch ziemlich wertlos.

Ob linear oder nicht-linear ist völlig irrelevant.

Beispiel:

Wenn ich die relative Häufigkeit von gelben Blättern (bezogen auf die Gesamtzahl der Blättern) an dünnen Zweigen berechne, dann ist es meine persönliche Entscheidung, was ich als "gelb" und was als "dünn" bezeichne. Es hat nichts mit dem Wachstum des Baumes zu tun.

Ja, die Festlegung "dieser Zweig ist dünn" erscheint nichtlinear (und ad hoc) im Gegensatz zum Wachstum des Zweiges, aber das ist irrelevant. Meine Defintion von "dünnändert nichts am Wachstum des Baumes.

Dass ich "dünne Zweige" und "gelbe Blätter" definiere, darf nicht damit verwechselt werden, dass ich sämtliche "dicken "Zweige und Äste" tatsächlich vom Baum abbreche und allen "grünen Blätter" abreiße. Es ist etwas völlig anderes.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Dann bestreitest du anscheinend explizit Sabine Hossenfelders Behauptung der Kollaps sei ein "observational requirement".

Im Sinne der Begriffsdefinition von "Kollaps" seit von Neumann - ja!

Im Sinne einer Projektion ausschließlich im Kontext von Erwartungswerten - jein: Es liegt kein physikalischer Vorgang vor, lediglich eine Berechnung, die durchzuführen ich mich entscheiden habe; die Projektion stellt lediglich die Auswahl eines Zweiges dar, der anderweitig zu definieren ist; wenn, dann wäre hier wieder die Dekohärenz gefordert.

In ersterem liegt die eigentliche Problematik der MWI: warum tue ich das? warum führe ich gerade diese Berechnung durch? warum assoziiere ich mit diesem mathematischen jenes real existierende Objekt?

Siehe das Beispiel: warum betrachte ich relative Häufigkeiten gelber Blätter? warum definiere ich "gelb" so und nicht anders? bei dieser Definition von "dünn" übersehe ich diesen Zweig ...

Ich gebe S.H. recht: die Frage, wie und warum eine Projektion bzw. allgemein die Auswahl eines Zweiges sowie auf dieser Basis die Berechnung einer Zahl und deren Interpretation als Wahrscheinlichkeit erfolgt ist ein Problem der MWI - schon lange. Die Kollegen sind sich dieser Themen bewusst, sie arbeiten daran und präsentieren unterschiedliche Vorschläge, sie adressieren die Zirkularität bestimmter Argumente etc.

Ich kann leider aktuell nicht erkennen, dass S.H. hier etwas substantielles beiträgt.

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TomS
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Beitrag TomS Verfasst am: 15. Okt 2019 13:39    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Du hast wohl eine völlig andere Auffassung vom "Meßproblem" als Sabine Hossenfelder.

Zumindest bemühe ich mich um ein differenziertes ;-)

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Sie betrachtet ausdrücklich das Basisproblem nicht als Teil des Meßproblems und deshalb auch nicht Dekohärenz als Teil dessen Lösung.

Ich verstehe sie anders: sie klammert das aus, weil es ihr für ihr Argument nicht relevant erscheint. Das heißt noch nicht, dass es nicht noch weitere Teilaspekte des Problems sowie ggf. Lösungen dazu geben kann.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Es geht ihr ausschließlich um die Inkompatibilität zwischen Kollaps und Schrödingergleichung.

Der erste Teil ihres Beitrags erklärt das sehr schön.

Der zweite Teil leidet darunter, dass sie gegen einen Kollaps im Rahmen der MWI argumentiert, den nur sie sieht.

Siehe meinen letzten Beitrag in ihrem Blog: sie kritisiert meine Verwendung des "measurement postulates". Ich verwende die Projektion ausschließlich im Rahmen von Erwartungswerten, also explizit nicht in Form eines "Kollapses" - so wie man ihn gemeinhin versteht.

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Zuletzt bearbeitet von TomS am 15. Okt 2019 14:48, insgesamt einmal bearbeitet
index_razor



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Beitrag index_razor Verfasst am: 15. Okt 2019 14:43    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
"From the wave-function you can calculate, for example, that a particle which enters a beam-splitter has a 50% chance of going left and a 50% chance of going right. But – and that’s the important point – once you have measured the particle, you know with 100% probability where it is. This means that you have to update your probability and with it the wave-function. This update is also called the wave-function collapse."..

Sie begeht einen Kategoriefehler, indem sie ständig von Kollaps redet, so wie wenn da etwas physikalisches passieren würde; sie verwechselt die ontische und die mathematisch-epistemische Ebene.

Und sie verwendet physikalisch den den falschen Begriff, da sie von einem "update ... [of] the wave-function" spricht, der schlichtweg überflüssig ist - bereits mathematisch!


Einen Kategorienfehler kann ich nicht erkennen. Sie behauptet sicher, daß ein Wahrscheinlichkeitsupdate ein Wellenfunktionsupdate logisch impliziert. Das ist auf Basis der Bornschen Regel ja auch naheliegend. Genau diese Implikation sollte mein Argument etwas expliziter ausführen. Die Schlußfolgerung dieses Arguments lautet ja, daß die Wellenfunktion nach der Messung kollabiert ist. Wenn dieses Argument nicht widerlegbar wäre, zeigt das die Existenz des Kollaps auf "mathematischer" Ebene. Du kannst sicher postulieren, daß auf "ontischer" Ebene etwas völlig anderes passiert. Aber das widersrpäche dann dem Formalismus der QM, ist also für die gegenwärtige Diskussion kein Ausweg.

(In deiner aktuellen Antwort an Sabine Hossenfelder, benutzt du ausdrücklich dasselbe Update der Wellenfunktion, von dem du hier behauptest, es sei mathematisch überflüssig, worauf sie dich auch prompt hinweist. Ich bin perplex. Dein Standpunkt entzieht sich meinem Verständnis immer mehr.)

Zitat:

Ihre ganze Argumentation kreist um den richtigen Einwand, wird durch den Kategoriefehler jedoch ziemlich wertlos.

Ob linear oder nicht-linear ist völlig irrelevant.


Ich kann absolut nicht nachvollziehen, wie das irrelevant sein kann. Aber wenn das deine Ansicht ist, ist natürlich klar, daß wir hier nicht weiterkommen. Da nach Sabine Hossenfelder das Meßproblem genau in diesem Unterschied besteht, ist es natürlich von entscheidender Bedeutung für ihr Argument. Das angeblich notwendige Meßpostulat besteht in einer nichtlinearen Projektion, die die Schrödingergleichung nicht produzieren kann. Das ist das ganze Argument.

Zitat:

Beispiel:

Wenn ich die relative Häufigkeit von gelben Blättern (bezogen auf die Gesamtzahl der Blättern) an dünnen Zweigen berechne, dann ist es meine persönliche Entscheidung, was ich als "gelb" und was als "dünn" bezeichne. Es hat nichts mit dem Wachstum des Baumes zu tun.

Ja, die Festlegung "dieser Zweig ist dünn" erscheint nichtlinear (und ad hoc) im Gegensatz zum Wachstum des Zweiges, aber das ist irrelevant. Meine Defintion von "dünnändert nichts am Wachstum des Baumes.


Ich kann in dieser Analogie nicht den geringsten Zusammenhang zu unserer Diskussion erkennen. Der Kollaps, d.h. die tatsächliche nichtlineare Modifikation der Wellenfunktion, soll angeblich eine empirische Notwendigkeit sein, keine willkürliche ad-hoc-Festlegung.

Zitat:

Dass ich "dünne Zweige" und "gelbe Blätter" definiere, darf nicht damit verwechselt werden, dass ich sämtliche "dicken "Zweige und Äste" tatsächlich vom Baum abbreche und allen "grünen Blätter" abreiße. Es ist etwas völlig anderes.


Das wird auch nicht verwechselt. Es wird explizit behauptet: Alle physikalischen Größen, die den Baum charakterisieren, können nur korrekt berechnet werden, wenn seine Zustandsbeschreibung keine dicken Äste mehr enthält. Das bedeutet, nach realistischer Auffassung dieser Zustandsbeschreibung: der Baum hat keine dicken Äste mehr.

Die Frage ist nur: Stimmt es, daß alle physikalischen Größen, die den Baum charakterisieren, nur korrekt berechnet werden können, wenn seine Zustandsbeschreibung keine dicken Äster mehr enthält?

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Dann bestreitest du anscheinend explizit Sabine Hossenfelders Behauptung der Kollaps sei ein "observational requirement".

Im Sinne der Begriffsdefinition von "Kollaps" seit von Neumann - ja!


Um keine andere geht es doch. Die Frage ist immer noch warum ein Wahrscheinlichkeitsupdate kein Wellenfunktionsupdate (also Kollaps) implizieren soll.

Zitat:

Im Sinne einer Projektion ausschließlich im Kontext von Erwartungswerten - jein: Es liegt kein physikalischer Vorgang vor, lediglich eine Berechnung, die durchzuführen ich mich entscheiden habe; die Projektion stellt lediglich die Auswahl eines Zweiges dar, der anderweitig zu definieren ist; wenn, dann wäre hier wieder die Dekohärenz gefordert.


Was heißt "ausschließlich im Kontext von Erwartungswerten"? Nichts anderes als diese Erwartungswerte definiert den physikalischen Gehalt der Theorie. Der Punkt ist doch, daß du dich nicht einfach "entscheidest" diese Erwartungswerte irgendwie zu berechnen, sondern, daß du sie in einer Weise berechnen mußt, die in der Realität zutrifft. Diese Beschreibung kann nur entweder durch die Lösung der Schrödingergleichung oder durch den nichtlinear kollabierten Zustand geliefert werden, also beschreibt nur einer der beiden dein physikalisches System.
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Beitrag TomS Verfasst am: 15. Okt 2019 15:38    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
In deiner aktuellen Antwort an Sabine Hossenfelder, benutzt du ausdrücklich dasselbe Update der Wellenfunktion, von dem du hier behauptest, es sei mathematisch überflüssig, worauf sie dich auch prompt hinweist. Ich bin perplex. Dein Standpunkt entzieht sich meinem Verständnis immer mehr.

Verstehst du (versteht sie) fundamentalen Unterschied zwischen dem Kollaps





und einer Formulierung





ohne Kollaps??

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Das angeblich notwendige Meßpostulat besteht in einer nichtlinearen Projektion, die die Schrödingergleichung nicht produzieren kann. Das ist das ganze Argument.

Niemand behauptet, dass die SGL diese Projektion leistet. Jeder Anhänger der MWI weiß, dass es zusätzliche Argumente bedarf, warum diese Projektion im Kontext der Berechnung von Wahrscheinlichkeiten benutzt werden kann, obwohl sie explizit nicht im Sinne eines Kollaps verwendet wird, da die Zeitentwicklung immer unitär ist. Und inzwischen hast sich auch herumgesprochen, dass Dekohärenz dies nahelegt, jedoch keinesfalls logisch vollständig begründet.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Der Kollaps, d.h. die tatsächliche nichtlineare Modifikation der Wellenfunktion, soll angeblich eine empirische Notwendigkeit sein, keine willkürliche ad-hoc-Festlegung.

Es gibt diese empirisch zwingende Notwendigkeit für den Kollaps (siehe die obige Definition) nicht.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Es wird explizit behauptet: Alle physikalischen Größen, die den Baum charakterisieren, können nur korrekt berechnet werden, wenn seine Zustandsbeschreibung keine dicken Äste mehr enthält. Das bedeutet, nach realistischer Auffassung dieser Zustandsbeschreibung: der Baum hat keine dicken Äste mehr.

Das ist eine philosophische Frage - und wiederum die schon mal diskutierte Begriffsverwirrung.

Die MWI sagt:

Alle beobachtbaren Größen können nur korrekt berechnet werden, wenn zu Ihrer Berechnung keine dicken Äste mehr herangezogen werden. Das bedeutet, nach realistischer Auffassung nicht, dass der Baum keine dicken Äste hat.

Die realistische Auffassung der MWI folgt aus der SGL ohne Kollaps mit der Anerkennung unbeobachtbarer jedoch real existierender Größen; die Auffassung andere Physiker folgt einer rein epistemischen Sichtweise.

Man muss die Auffassung der MWI nicht teilen, aber man muss sie verstehen, wenn man die MWI diskutieren möchte.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Die Frage ist immer noch warum ein Wahrscheinlichkeitsupdate kein Wellenfunktionsupdate (also Kollaps) implizieren soll.

Weil es explizit und offensichtlich unnötig ist.

Keine meiner Formeln enthält diesen Kollaps.

Ich habe es hier mehrfach aufgeschrieben, ich habe es in ihrem Blog geschrieben, ich weiß nicht, was ich noch machen muss, damit es jeder sieht.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Was heißt "ausschließlich im Kontext von Erwartungswerten"? Nichts anderes als diese Erwartungswerte definiert den physikalischen Gehalt der Theorie.

Das ist deine Sichtweise und sicher die vieler andere Physiker auch.

Es ist nicht die Auffassung vieler Anhänger der MWI.

Nichts anderes als diese Erwartungswerte definiert den epistemischen Gehalt der Theorie - als Teil des ontologischen Gehalts.

Wie gesagt, man muss diese Ansicht nicht teilen, aber man muss sie verstehen, um mit ihnen diskutieren zu können.

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Beitrag TomS Verfasst am: 15. Okt 2019 16:45    Titel: Antworten mit Zitat

Ok, mit Sabine ist alles klar.
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Beitrag index_razor Verfasst am: 15. Okt 2019 16:50    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
In deiner aktuellen Antwort an Sabine Hossenfelder, benutzt du ausdrücklich dasselbe Update der Wellenfunktion, von dem du hier behauptest, es sei mathematisch überflüssig, worauf sie dich auch prompt hinweist. Ich bin perplex. Dein Standpunkt entzieht sich meinem Verständnis immer mehr.

Verstehst du (versteht sie) fundamentalen Unterschied zwischen dem Kollaps





und einer Formulierung





ohne Kollaps??


Natürlich verstehe ich den Unterschied. Was ich nicht verstehe ist, was du damit beweisen willst. Du zeigst nur, daß du den Ausgangszustand auf zwei inkonsistente Weisen ändern kannst, von denen du am Ende nur einen zur Berechnung physikalischer Größen -- inklusive Beobachtungsgrößen! -- verwendest. Und zwar nicht den, der die Schrödingergleichung löst.

Zitat:

Die MWI sagt:

Alle beobachtbaren Größen können nur korrekt berechnet werden, wenn zu Ihrer Berechnung keine dicken Äste mehr herangezogen werden. Das bedeutet, nach realistischer Auffassung nicht, dass der Baum keine dicken Äste hat.


Das wäre nur dann der Fall, wenn die Anwesenheit der Äste in der Zustandsbeschreibung keine beobachtbaren Konsequenzen hätte. Hat sie aber. Ob ich eine Observable über alle MWI-Zweige mittele oder nur über den relativen Zustand in einem Zweig ergibt beobachtbare Unterschiede.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Die Frage ist immer noch warum ein Wahrscheinlichkeitsupdate kein Wellenfunktionsupdate (also Kollaps) implizieren soll.

Weil es explizit und offensichtlich unnötig ist.

Ich habe es hier aufgeschrieben, ich habe es in ihrem Blog geschrieben, ich weiß nicht, was ich noch machen muss, damit es jeder sieht.


Wenn es unnötig ist, wofür verwendest du es dann in deiner Antwort an Sabine Hossenfelder? Um zu beweisen, daß du auch völlig unnötige Dinge ausrechnen kannst? Das ergibt doch keinen Sinn.

Zitat:

Nichts anderes als diese Erwartungswerte definiert den epistemischen Gehalt der Theorie - als Teil des ontologischen Gehalts.


Wenn Teile des ontologischen Gehalts nur mit Hilfe des kollabierten Zustands ausgrechnet werden können, dann beweist das, daß der kollabierte Zustand notwendigerweise zur Ontologie gehört und keineswegs unnötig ist.
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Beitrag index_razor Verfasst am: 15. Okt 2019 17:24    Titel: Antworten mit Zitat

Aus deinem Blog-Kommentar:

"The projection is used in an epistemic context, not affecting ontology."

Wir können also, dank des "epistemischen Postulats" nun Dinge über ein System erkennen, die es nach offizieller Ontologie gar nicht gibt. (Die fraglichen Erkenntnisse folgen ja nicht logisch aus der Zeitentwicklung des Zustands.) Ich will dir diese Philosophie nicht ausreden. Sagen wir einfach, ich kann nicht begreifen, wie man sie für wahr halten kann.
TomS
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Beitrag TomS Verfasst am: 15. Okt 2019 21:15    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Natürlich verstehe ich den Unterschied. Was ich nicht verstehe ist, was du damit beweisen willst. Du zeigst nur, daß du den Ausgangszustand auf zwei inkonsistente Weisen ändern kannst, von denen du am Ende nur einen zur Berechnung physikalischer Größen -- inklusive Beobachtungsgrößen! -- verwendest. Und zwar nicht den, der die Schrödingergleichung löst.

Sorry, du verstehst sicher den mathematischen Unterschied, aber nicht mehr, fürchte ich.

Wenn ich mir von dem o.g. Baum alle grünen Blätter wegdenke und nur die gelben zähle, erhalte ich mittels eines rein gedanklichen und nicht real existenten Konstruktes - des gedachten Baumes - eine zutreffende Aussage über eine real existierende Tatsache, nämlich die Anzahl der gelben Blätter am real existierenden Baum.

Dass ich mir den Baum anders denke als er real gewachsen ist, spielt dabei keine Rolle. Der reale Baum ist etwas anderes als der gedachte. Und deswegen liefert der gedachte auch keine Inkonsistenz.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:

Nichts anderes als diese Erwartungswerte definiert den epistemischen Gehalt der Theorie - als Teil des ontologischen Gehalts.


Wenn Teile des ontologischen Gehalts nur mit Hilfe des kollabierten Zustands ausgrechnet werden können, dann beweist das, daß der kollabierte Zustand notwendigerweise zur Ontologie gehört und keineswegs unnötig ist.

Er gehört genauso zur Ontologie wie der gedachte Baum, bei dem ich mir Blätter wegdenke.

Nicht jedes mathematische Objekt, das ich hinschreibe, hat den selben Status bzgl. der Repräsentation der Realität.


index_razor hat Folgendes geschrieben:
Aus deinem Blog-Kommentar:

"The projection is used in an epistemic context, not affecting ontology."

Wir können also, dank des "epistemischen Postulats" nun Dinge über ein System erkennen, die es nach offizieller Ontologie gar nicht gibt.

Wie kommst du darauf, dass es sie nicht gibt?

Es gibt den universellen Zustand, es gibt die Zweige, es gibt Zweig-spezifische Eigenschaften, ...

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Die fraglichen Erkenntnisse folgen ja nicht logisch aus der Zeitentwicklung des Zustands.

Es behauptet auch niemand, dass sie alleine aus dem Gesetz zur Zeitentwicklung folgen. Natürlich benötigt die MWI Zusatzannahmen, um diese Berechnung zu motivieren.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Ich will dir diese Philosophie nicht ausreden. Sagen wir einfach, ich kann nicht begreifen, wie man sie für wahr halten kann.

Du musst sie nicht für wahr halten. Es wäre schon hilfreich, wenn du erkennen könntest, dass sie in sich geschlossen und logisch ist.

Dazu musst du aber deine Sichtweise vollständig aufgeben und neu anfangen, über die Quantenmechanik nachzudenken - am besten so, wie wenn es die Küchenphilosophie von Bohr et al. nie gegeben hätte.

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Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 15. Okt 2019 21:38    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
Natürlich verstehe ich den Unterschied. Was ich nicht verstehe ist, was du damit beweisen willst. Du zeigst nur, daß du den Ausgangszustand auf zwei inkonsistente Weisen ändern kannst, von denen du am Ende nur einen zur Berechnung physikalischer Größen -- inklusive Beobachtungsgrößen! -- verwendest. Und zwar nicht den, der die Schrödingergleichung löst.

Sorry, du verstehst sicher den mathematischen Unterschied, aber nicht mehr, fürchte ich.


Die Frage war auch nicht, worin der Unterschied zwischen

1)

und

2)

besteht, sondern ob die Modifikation 1) der Wellenfunktion in der MWI notwendig ist. Sie wird nicht dadurch weniger notwendig und auch nicht weniger logisch äquivalent zum Kollaps, daß du sie als "epistemisch" bezeichnest.

Zitat:

Wenn ich mir von dem o.g. Baum alle grünen Blätter wegdenke und nur die gelben zähle, erhalte ich mittels eines rein gedanklichen und nicht real existenten Konstruktes - des gedachten Baumes - eine zutreffende Aussage über eine real existierende Tatsache, nämlich die Anzahl der gelben Blätter am real existierenden Baum.


Aber eine falsche Aussage über die Anzahl aller Blätter.

Daß einige Aussagen über die Realität unter gedanklichen Modifikationen des Zustands invariant sind, ist vollkommen egal.

Um alle real zutreffenden Aussagen korrekt zu berechnen, mußt du eine Modifikation am Zustand vornehmen, die angeblich nur gedanklich oder "epistemisch" ist, während die angeblich ontische Zustandsänderung für einige dieser Observablen etwas anderes vorhersagt.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Ich will dir diese Philosophie nicht ausreden. Sagen wir einfach, ich kann nicht begreifen, wie man sie für wahr halten kann.

Du musst sie nicht für wahr halten. Es wäre schon hilfreich, wenn du erkennen könntest, dass sie in sich geschlossen und logisch ist.


Ein äußerst schwaches Kriterium. In sich geschlossen und logisch ist die Kollapsinterpretation auch.

Zitat:

Dazu musst du aber deine Sichtweise vollständig aufgeben und neu anfangen, über die Quantenmechanik nachzudenken - am besten so, wie wenn es die Küchenphilosophie von Bohr et al. nie gegeben hätte.


Es ist nur nicht klar, was ich durch die vollständige Aufgabe meiner Sichtweise hier gewinnen würde. Was besseres als Küchenphilosophie scheinst du auch nicht anzubieten. Von Bohr bin ich übrigens nicht im geringsten beeinflußt.
TomS
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Beiträge: 18062

Beitrag TomS Verfasst am: 15. Okt 2019 22:08    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Die Frage war auch nicht, worin der Unterschied zwischen

1)

und

2)

besteht, sondern ob die Modifikation 1) der Wellenfunktion in der MWI notwendig ist. Sie wird nicht dadurch weniger notwendig und auch nicht weniger logisch äquivalent zum Kollaps, daß du sie als "epistemisch" bezeichnest.

Ich weiß nicht, wie oft ich es noch betonen soll.

(1) wird in der MWI als gedankliches Konstrukt verwendet, (2) als treue und vollständige Repräsentation der Realität angesehen. Das sind zwei verschiedene Kategorien.

(Und mit Realität meine ich nicht zwingend nur beobachtbare Realität)

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:

Wenn ich mir von dem o.g. Baum alle grünen Blätter wegdenke und nur die gelben zähle, erhalte ich mittels eines rein gedanklichen und nicht real existenten Konstruktes - des gedachten Baumes - eine zutreffende Aussage über eine real existierende Tatsache, nämlich die Anzahl der gelben Blätter am real existierenden Baum.


Aber eine falsche Aussage über die Anzahl aller Blätter.

Ja. Und?

Wenn ich alle Blätter zählen will, gehe ich anders vor. Aber dazu muss ich nicht den Baum ändern, sondern nur mein Bild, das ich mir von dem einen und immer gleichen Baum mache.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Um alle real zutreffenden Aussagen korrekt zu berechnen ...

Sorry, das “alle” stammt aus der Kopie deines Textes. Ich schrieb “alle beobachtbaren Größen können nur korrekt ...”.

Das ist natürlich nicht richtig. Ich meinte damit alle innerhalb eines Zweiges der Beobachtung zugänglichen Größen. Natürlich lässt die MWI prinzipiell weitere beobachtbare Größen zu, die sozusagen über alle Zweige bzw. unabhängig von der Zweigstruktur gegeben sind, auch wenn sie praktisch nicht beobachtbar sind.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Ein äußerst schwaches Kriterium. In sich geschlossen und logisch ist die Kollapsinterpretation auch.

Es ist kein Kriterium, um die Position für wahr zu halten, sondern lediglich, um überhaupt vernünftig diskutieren zu können.

(Und die Kollapsinterpretation ist höchtens dann logisch geschlossen, wenn man unitäre Zeitentwicklung sowie Kollaps nicht beiden zugleich ontischen Charakter zuschreibt. Und wenn man sich nicht daran stört, dass der zentrale Begriff der Messung undefiniert bleiben muss; aber das hat Sabine sehr gut erklärt)

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Was besseres als Küchenphilosophie scheinst du auch nicht anzubieten.

Jetzt mal nicht persönlich werden.

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jh8979
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Beitrag jh8979 Verfasst am: 15. Okt 2019 22:34    Titel: Antworten mit Zitat

Bevor das hier jetzt wieder ausartet: Ich denke das führt zu nicht mehr. Ihr habt eure Positionen ausgetauscht und die anderen Argumente gehört (und auch verstanden). Vielleicht sollten wir es dabei belassen.

Eure Diskussion hat mich übrigens angeregt Kapitel 5.2 über die Everett-Interpretation in "Philosophie der Quantenphysik" von Cord Friebe et al. (von 2015) zu lesen. Ich denke diese ˜20 Seiten sind eine schöne Zusammenfassung und könnten auch anderen, die eurer Diskussion gefolgt sind, hilfreich sein.
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 15. Okt 2019 22:45    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
Die Frage war auch nicht, worin der Unterschied zwischen

1)

und

2)

besteht, sondern ob die Modifikation 1) der Wellenfunktion in der MWI notwendig ist. Sie wird nicht dadurch weniger notwendig und auch nicht weniger logisch äquivalent zum Kollaps, daß du sie als "epistemisch" bezeichnest.

Ich weiß nicht, wie oft ich es noch betonen soll.

(1) wird in der MWI als gedankliches Konstrukt verwendet, (2) als treue und vollständige Repräsentation der Realität angesehen. Das sind zwei verschiedene Kategorien.


Ich weiß nicht, warum du es dauernd betonst, obwohl es für die Diskussion keine Rolle spielt ob du Aussagen in "epistemische" und "ontologische" Kategorien einteilst.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:

Wenn ich mir von dem o.g. Baum alle grünen Blätter wegdenke und nur die gelben zähle, erhalte ich mittels eines rein gedanklichen und nicht real existenten Konstruktes - des gedachten Baumes - eine zutreffende Aussage über eine real existierende Tatsache, nämlich die Anzahl der gelben Blätter am real existierenden Baum.


Aber eine falsche Aussage über die Anzahl aller Blätter.

Ja. Und?

Wenn ich alle Blätter zählen will, gehe ich anders vor.


Nein, tust du nicht. In Wahrheit gehst du immer gleich vor: du betrachtest die theoretische Repräsentation des einen realen Zustand des Baumes ohne gedankliche Modifikation. Daran zählst du die grünen Blätter, die gelben und deren Summe. Nun denkst du seltsamerweise es sei hohe Philosophie, wenn du in der QM das genaue Gegenteil machst, und alle Observablen aus irgendeinem gedanklich modifizierten Zustand berechnen mußt.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Um alle real zutreffenden Aussagen korrekt zu berechnen ...

Sorry, das “alle” stammt aus der Kopie deines Textes. Ich schrieb “alle beobachtbaren Größen können nur korrekt ...”.

Das ist natürlich nicht richtig. Ich meinte damit alle innerhalb eines Zweiges der Beobachtung zugänglichen Größen.


Das ist mir schon klar. Andere sind uns nach MWI prinzipiell nicht zugänglich. Und die aus dem "ontischen" Zustands berechneten, sind in keinem Zweig die korrekten.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Ein äußerst schwaches Kriterium. In sich geschlossen und logisch ist die Kollapsinterpretation auch.

Es ist kein Kriterium, um die Position für wahr zu halten, sondern lediglich, um überhaupt vernünftig diskutieren zu können.

(Und die Kollapsinterpretation ist höchtens dann logisch geschlossen, wenn man unitäre Zeitentwicklung sowie Kollaps nicht beiden zugleich ontischen Charakter zuschreibt.


Daß du glaubst es schert die Logik, ob du irgendeine Aussage als "ontisch" oder "epistemisch" einordnest, ist, sagen wir, eine bemerkenswerte Position.


TomS hat Folgendes geschrieben:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Was besseres als Küchenphilosophie scheinst du auch nicht anzubieten.

Jetzt mal nicht persönlich werden.


Wenn ich dein eigenes Wort verwende, um auszudrücken, daß ich an deiner Philosophie nichts besseres finde als an Bohrs, dann wertest du das als persönlichen Angriff? Vielleicht solltest du darüber mal in Ruhe ein wenig reflektieren.
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
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Beitrag index_razor Verfasst am: 15. Okt 2019 22:47    Titel: Antworten mit Zitat

jh8979, du hast vollkommen recht. Das war mein letztes Wort.
TomS
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Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18062

Beitrag TomS Verfasst am: 15. Okt 2019 22:56    Titel: Antworten mit Zitat

jh8979 hat Folgendes geschrieben:
Bevor das hier jetzt wieder ausartet: Ich denke das führt zu nicht mehr. Ihr habt eure Positionen ausgetauscht und die anderen Argumente gehört (und auch verstanden). Vielleicht sollten wir es dabei belassen.

OK.

Fragen von anderer Seite sind natürlich willkommen.

jh8979 hat Folgendes geschrieben:
Diskussion hat mich übrigens angeregt Kapitel 5.2 über die Everett-Interpretation in "Philosophie der Quantenphysik" von Cord Friebe et al. (von 2015) zu lesen. Ich denke diese ˜20 Seiten sind eine schöne Zusammenfassung und könnten auch anderen, die eurer Diskussion gefolgt sind, hilfreich sein.

Sehr empfehlenswertes Buch für den Einstieg.

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jh8979
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Anmeldungsdatum: 10.07.2012
Beiträge: 8582

Beitrag jh8979 Verfasst am: 15. Okt 2019 23:30    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:

jh8979 hat Folgendes geschrieben:
Diskussion hat mich übrigens angeregt Kapitel 5.2 über die Everett-Interpretation in "Philosophie der Quantenphysik" von Cord Friebe et al. (von 2015) zu lesen. Ich denke diese ˜20 Seiten sind eine schöne Zusammenfassung und könnten auch anderen, die eurer Diskussion gefolgt sind, hilfreich sein.

Sehr empfehlenswertes Buch für den Einstieg.

Find ich auch und auch für einen philosophisch eher unbeleckten Physiker gut lesbar und hilfreich ...
TomS
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Anmeldungsdatum: 20.03.2009
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Beitrag TomS Verfasst am: 15. Okt 2019 23:37    Titel: Antworten mit Zitat

Noch ein Hinweis auf Sabines Blog: für mich ihre Haltung jetzt klar. Wir haben mehr vermutet, als letztlich dahintersteckt; sie bewertet die MWI rein instrumentalistisch. Die Begriffsverwirrung bzgl. des Kollapses hat sie geklärt.
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