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Eine Axiomatisierung der Physik
 
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Ansel



Anmeldungsdatum: 29.05.2023
Beiträge: 14

Beitrag Ansel Verfasst am: 29. Mai 2023 16:12    Titel: Eine Axiomatisierung der Physik Antworten mit Zitat

Meine Frage:
Einordnung

Ich beziehe mich in der folgenden Fragestellung auf das Wort ?Axiom?, dass in der Physik und der Mathematik unterschiedlich definiert wird. Gemeint ist in diesem Fall die mathematische Definition: Ein Axiom ist eine unabgeleitete (d.h. als wahr angenommene, deshalb aber nicht unbedingt unbeweisbare) Aussage, sodass aus dem Axiom oder dem Axiomensystem alle Ausagen der vorliegenden Theorie folgen.

Ich habe diese Frage der Kategorie ?Mechanik? zugeordnet, man könnte aber auch eine beliebige andere Kategorie wählen.

Fragestellung

Vor einiger Zeit habe ich meinen Professor gefragt, warum die Physik nicht axiomatisiert ist. Zwar gibt es in der Physik Aussagen, die als Axiome bezeichnet werden (zB die Newtonschen Axiome), doch diese sind nicht unbedingt Axiome im mathematischen Sinn, sondern eher in der Natur beobachtete Regeln. Gibt es Ansätze zur Axiomatisierung der Physik, derer man sich bewusst sein sollte?

Meine Ideen:
Dies ist keine neue Fragestellung, denn es wurden in den vergangenen Jahrzehnten Vorschläge für die Axiomatisierung fast jedes physikalischen Teilgebiets veröffentlicht. Um am Beispiel zu bleiben: Hans Hermes tat dies für die klassische Mechanik.

Ich kann mir nicht erklären, warum sich diese Axiomatik nicht durchgesetzt hat und warum physikalische Lehrbücher bis heute deutlich chaotischer sind als die mathematischen.


Zuletzt bearbeitet von Ansel am 29. Mai 2023 19:50, insgesamt einmal bearbeitet
willyengland



Anmeldungsdatum: 01.05.2016
Beiträge: 677

Beitrag willyengland Verfasst am: 29. Mai 2023 19:07    Titel: Antworten mit Zitat

Ich kann mir darunter nichts vorstellen.
Im Grunde sollte man immer mit so wenig Axiomen wie möglich auskommen.
Gib doch mal ein paar Beispiele von solchen Axiomen, was du damit meinst.

_________________
Gruß Willy
Aruna



Anmeldungsdatum: 28.07.2021
Beiträge: 795

Beitrag Aruna Verfasst am: 29. Mai 2023 19:20    Titel: Antworten mit Zitat

willyengland hat Folgendes geschrieben:

Gib doch mal ein paar Beispiele von solchen Axiomen, was du damit meinst.


hier eine Rekonstruktion eines Teils der Arbeit des erwähnten Hans Hermes:

http://www.w-k-essler.de/pdfs/hermes7-de.pdf
Aruna



Anmeldungsdatum: 28.07.2021
Beiträge: 795

Beitrag Aruna Verfasst am: 29. Mai 2023 19:32    Titel: Re: Eine Axiomatisierung der Physik Antworten mit Zitat

Ansel hat Folgendes geschrieben:
Zwar gibt es in der Physik Aussagen, die als Axiome bezeichnet werden (zB die Newtonschen Axiome), doch diese sind nicht unbedingt Axiome im mathematischen Sinn, sondern eher in der Natur beobachtete Regeln.


könnte daran liegen, dass Physik eine Naturwissenschaft ist

Ansel hat Folgendes geschrieben:

Gibt es Ansätze zur Axiomatisierung der Physik, denen man sich bewusst sein sollte?


was ist z.B. mit den Postulaten der Quantenmechanik, bzw. der Formulierung nach von Neumann?
Ansel



Anmeldungsdatum: 29.05.2023
Beiträge: 14

Beitrag Ansel Verfasst am: 29. Mai 2023 19:44    Titel: Antworten mit Zitat

willyengland hat Folgendes geschrieben:
Ich kann mir darunter nichts vorstellen.
Im Grunde sollte man immer mit so wenig Axiomen wie möglich auskommen.
Gib doch mal ein paar Beispiele von solchen Axiomen, was du damit meinst.


Es lässt sich nicht in einer kurzen Textnachricht erklären, wie eine solche Axiomatisierung aussieht - das wäre ja etwa wie die Forderung, die lineare Algebra in einem so kurzen Beitrag zu erklären. Man müsste Notation, Definitionen und Axiome und deren Folgen einführen.

Gerade deshalb stelle ich die Frage ja hier im Forum - in der Hoffnung, dass sich bereits jemand darüber Gedanken gemacht hat.

Ich stelle hier einen Link zu der Veröffentlichung „Studies in Logic and the Foundations of Mathematics” ein. Ab Seite 282 findet man den Teil zur Axiomatisierung der klassischen Mechanik.

https://archive.org/details/axiomaticmethod031862mbp/page/282/mode/1up?view=theater
Ansel



Anmeldungsdatum: 29.05.2023
Beiträge: 14

Beitrag Ansel Verfasst am: 29. Mai 2023 19:49    Titel: Re: Eine Axiomatisierung der Physik Antworten mit Zitat

„könnte daran liegen, dass Physik eine Naturwissenschaft ist”

Das liegt auf jeden Fall daran. Das bedeutet im Umkehrschluss aber noch nicht, dass keine mathematische Axiomatisierung der Physik möglich ist.

„was ist z.B. mit den Postulaten der Quantenmechanik, bzw. der Formulierung nach von Neumann?”

Die finde ich auch sehr interessant. Vielleicht sollte ich meine Frage also spezifizieren: kennt jemand eine funktionierende Axiomatisierung der klassischen Physik?
R. Carnap
Gast





Beitrag R. Carnap Verfasst am: 30. Mai 2023 16:16    Titel: Re: Eine Axiomatisierung der Physik Antworten mit Zitat

Ansel hat Folgendes geschrieben:
... es wurden in den vergangenen Jahrzehnten Vorschläge für die Axiomatisierung fast jedes physikalischen Teilgebiets veröffentlicht. Um am Beispiel zu bleiben: Hans Hermes tat dies für die klassische Mechanik.

Ansel hat Folgendes geschrieben:
... kennt jemand eine funktionierende Axiomatisierung der klassischen Physik?

Was "funktioniert" denn für dich nicht an den veröffentlichten Axiomatisierungen?
Behauptung vs. Begründung
Gast





Beitrag Behauptung vs. Begründung Verfasst am: 30. Mai 2023 16:39    Titel: Antworten mit Zitat

Ansel hat Folgendes geschrieben:
kennt jemand eine funktionierende Axiomatisierung der klassischen Physik?

Mir war so, dass klassische Physik nicht funktionieren kann, weil Atome darin nicht stabil sind.
ML



Anmeldungsdatum: 17.04.2013
Beiträge: 3399

Beitrag ML Verfasst am: 30. Mai 2023 17:19    Titel: Re: Eine Axiomatisierung der Physik Antworten mit Zitat

Hallo,

Ansel hat Folgendes geschrieben:

Vor einiger Zeit habe ich meinen Professor gefragt, warum die Physik nicht axiomatisiert ist. Zwar gibt es in der Physik Aussagen, die als Axiome bezeichnet werden (zB die Newtonschen Axiome), doch diese sind nicht unbedingt Axiome im mathematischen Sinn, sondern eher in der Natur beobachtete Regeln. Gibt es Ansätze zur Axiomatisierung der Physik, derer man sich bewusst sein sollte?

Axiome, welche (wie in der Mathematik) ausnahmslos immer funktionieren, sind in einer Naturwissenschaft schwierig zu formulieren, da eine Naturwissenschaft auf Erfahrung basiert und grundsätzlich keine unumstößliche Wahrheiten verkündet.

Es lassen sich sicher auch axiomatische Modelle der Newtonmechanik formulieren. Das ist dann aber ein Modell, das nicht unbedingt deckungsgleich mit der Beobachtung ist. Wir wissen ja jetzt schon, dass sich im Schnellen (Relativitätstheorie) wie im Kleinen (Quantenmechanik) messbare Abweichungen ergeben.

Wollten wir die Effekte von Relativitätstheorie und Quantenmechanik mit in den Axiomen verarbeiten, ergäbe sich ein komplizierteres Axiomensystem* heraus, das folglich mehr Erklärungskraft haben sollte.

Ob es ein Axiomensystem für die "Theory of Everything" gibt, wissen wir mangels der besagten Theorie nicht. Gödel winkt aber schon jetzt um die Ecke, lässt freundlich grüßen und (ver)zweifeln.


Viele Grüße
Michael


* Wir gehen gutmütigerweise einmal davon aus, dass die Natur in sich nicht logisch widersprüchlich ist. Auch das könnte ja wieder ein Axiom sein.
CarstenP



Anmeldungsdatum: 10.06.2023
Beiträge: 46

Beitrag CarstenP Verfasst am: 10. Jun 2023 16:47    Titel: Antworten mit Zitat

Mir ist jede Wissenschaft am liebsten, die mit möglichst wenigen Axiomen auskommt. Im bekannten Trump-Raum nennt man Axiome auch "alternative Fakten"... Auch schon mal gelesen und wesentlich sympathischer: "Jedem Gnom sein Axiom."
Ansel



Anmeldungsdatum: 29.05.2023
Beiträge: 14

Beitrag Ansel Verfasst am: 13. Jun 2023 19:27    Titel: Re: Eine Axiomatisierung der Physik Antworten mit Zitat

ML hat Folgendes geschrieben:
Hallo,

Ansel hat Folgendes geschrieben:

Vor einiger Zeit habe ich meinen Professor gefragt, warum die Physik nicht axiomatisiert ist. Zwar gibt es in der Physik Aussagen, die als Axiome bezeichnet werden (zB die Newtonschen Axiome), doch diese sind nicht unbedingt Axiome im mathematischen Sinn, sondern eher in der Natur beobachtete Regeln. Gibt es Ansätze zur Axiomatisierung der Physik, derer man sich bewusst sein sollte?

Axiome, welche (wie in der Mathematik) ausnahmslos immer funktionieren, sind in einer Naturwissenschaft schwierig zu formulieren, da eine Naturwissenschaft auf Erfahrung basiert und grundsätzlich keine unumstößliche Wahrheiten verkündet.

Es lassen sich sicher auch axiomatische Modelle der Newtonmechanik formulieren. Das ist dann aber ein Modell, das nicht unbedingt deckungsgleich mit der Beobachtung ist. Wir wissen ja jetzt schon, dass sich im Schnellen (Relativitätstheorie) wie im Kleinen (Quantenmechanik) messbare Abweichungen ergeben.

Wollten wir die Effekte von Relativitätstheorie und Quantenmechanik mit in den Axiomen verarbeiten, ergäbe sich ein komplizierteres Axiomensystem* heraus, das folglich mehr Erklärungskraft haben sollte.

Ob es ein Axiomensystem für die "Theory of Everything" gibt, wissen wir mangels der besagten Theorie nicht. Gödel winkt aber schon jetzt um die Ecke, lässt freundlich grüßen und (ver)zweifeln.


Viele Grüße
Michael


* Wir gehen gutmütigerweise einmal davon aus, dass die Natur in sich nicht logisch widersprüchlich ist. Auch das könnte ja wieder ein Axiom sein.


Hallo Michael,

vielen Dank für Deine ausführliche Antwort, ich fand sie sehr konstruktiv und hilfreich. Ich freue mich schon auf meine künftigen Begegnungen mit Axiomensystemen in der Quantenphysik.

Viele Grüße
Ansel
CarstenP



Anmeldungsdatum: 10.06.2023
Beiträge: 46

Beitrag CarstenP Verfasst am: 15. Jun 2023 20:01    Titel: Re: Eine Axiomatisierung der Physik Antworten mit Zitat

Ansel hat Folgendes geschrieben:
Meine Frage:
Einordnung

Ich beziehe mich in der folgenden Fragestellung auf das Wort ?Axiom?


Wer Axiome toll findet, hat die Idee von Naturwissenschaft nicht verstanden.
Ansel



Anmeldungsdatum: 29.05.2023
Beiträge: 14

Beitrag Ansel Verfasst am: 20. Jun 2023 19:05    Titel: Re: Eine Axiomatisierung der Physik Antworten mit Zitat

CarstenP hat Folgendes geschrieben:
Ansel hat Folgendes geschrieben:
Meine Frage:
Einordnung

Ich beziehe mich in der folgenden Fragestellung auf das Wort ?Axiom?


Wer Axiome toll findet, hat die Idee von Naturwissenschaft nicht verstanden.


Hi Carsten,

möchtest Du das vielleicht noch weiter ausführen?

Liebe Grüße
Ansel
CarstenP



Anmeldungsdatum: 10.06.2023
Beiträge: 46

Beitrag CarstenP Verfasst am: 20. Jun 2023 21:30    Titel: Re: Eine Axiomatisierung der Physik Antworten mit Zitat

Ansel hat Folgendes geschrieben:
möchtest Du das vielleicht noch weiter ausführen?


Ach, wieso nicht. Axiome sind unbewiesene Behauptungern, und wenn etwas nicht bewiesen werden kann, kann man zur Not daraus ein Axiom annehmen, um dann weiter zu arbeiten. Aber wenn ich meine eigene Mathematik/Physik nur auf Axiomen aufbaue, bin ich im Denkgerüst der Querdenker.

Das einzige Axiom, das ich akzeptiere, ist die "Existenz der Existenz". Das kann ich nur argumentantiv als ziemlich einsichtig hinschreiben, aber nicht beweisen. Wer partout an gar nix glauben will, wird sich davon nicht bekehren lassen. Also eher Philosophie als Wissenschaft. Andere Axiome nehme ich als gegeben hin, um in gewissen Bereichen weiter lernen zu können, hoffe aber darauf, dass die Axiome durch "Behauptung - Beweis" irgendwann ersetzt werden.

Nachtrag (Edit): Eigentlich ist die ganze aktuelle Physik ein Axiom. Stichwörter Schwarzes Loch, Dunkle Materie, Dunkle Energie. überlichtschnelle Ausdehnung des uns bekannten Universums. Deswegen aber anzusagen, Axiome seien cool, ist doch eher Resignation als Wissenschaft.
Quantumdot
Gast





Beitrag Quantumdot Verfasst am: 22. Jun 2023 13:45    Titel: Re: Eine Axiomatisierung der Physik Antworten mit Zitat

Die "mathematische Physik" ist eine Disziplin in der man versucht physikalische Theorien so zu formulieren, dass sie der mathematischen Strenge möglichst nahe kommen. Es gibt dann sowas wie "axiomatische Quantenfeldtheorie".
Man kann durchaus versuchen physikalische Theorien zu axiomatisieren. Die klassische Mechanik zum Beispiel hat für sich genommen eine innere Logik, die man versuchen kann mit mathematischer Präzision zu formulieren. Die mathematische Annahme besteht dann darin, dass man damit Beobachtungen in der Realität beschreiben kann. Wie wir heute wissen, hat die klassische Mechanik einen Gültigkeitsrahmen jenseits dessen sie als Beschreibung von realen Beobachtungen unbrauchbar wird. Losgekoppelt davon lässt es sich aber axiomatisieren.

Dazu muss man erstmal wissen, dass das fundamentale (geometrische) Objekt der klassischen Mechanik die Raumzeit ist und man muss dann erstmal die geeigneten mathematischen Strukturen finden, die in der klassischen Mechanik eine Raumzeit beschreiben sollen. Die mathematische Struktur, die gut funktioniert ist eine glatte Mannigfaltigkeit.
Man beginnt also mit einer mathematischen Menge (im Sinne der Zermelo Fränkel Mengenlehre) und stattet diese Menge mit einer Topologie und einem glatten Atlas aus.
Die glatte Mannigfaltigkeit ermöglicht es dann Tangentialräume und damit Geschwindigkeiten sowie Tensorfelder (was dann später Kraftfelder sein können) zu formulieren. Auf der Struktur braucht man aber noch eine Geometrie. Das kann Wahlweise durch die Wahl spezieller Felder hinzugefügt werden. Entweder durch Zusammenhangsfelder oder durch ein metrisches Tensorfeld. Letzteres bedingt einen eindeutig bestimmten Levi-Cevita Zusammenhang. Ein Zusammenhang ermöglicht dann auch die Definition der Beschleunigung.
Damit hat man dann eigentlich die geometrische Bühne zusammen, die komplett auf mathematischen Axiomen aufbaut.
Das ist sozusagen der Kinematikteil der Mechanik. Man müsste dann noch definieren was ein Teilchen ist. Das kann bspw als n-Tupel aufgefasst werden. Der erste Eintrag ist eine Abbildung von den reellen Zahlen auf die Mannigfaltigkeit, auch Kurve genannt. Das ist das was man sonst als Trajektorie aus der Mechanik kennt. Der zweite Eintrag ist eine positive reellen Zahl (wird später die Masse) und die weiteren Einträge sind n reelle Zahlen (die Ladungen).
Kraft kann dann so dargestellt werden

ich hab dabei die einsteinsche Summenkonvention verwendet. Die q's sind die Ladungen und die W's räumliche Raumzeit-Wechselwirkungsfelder.
Dann ließe sich das Aktionsprinzip so formulieren.

ist ein Feld das "in Richtung" der Kurve "verläuft".
ist der Zusammenhang.
m ist die positive reelle Zahl (in der nicht relativistischen Physik muss sie echt positiv sein. Masselose Teilchen gibt es nur in der relativistischen Physik)
Auf diese Weise kommt man dann zur Dynamik.

So habe ich mal grob skizziert wie eine axiomatische Formulierung der klassischen Mechanik aussehen könnte.

Das kann man so machen. Es ergibt auch Sinn das zu machen, aber ich empfehle nicht in einer Bachelorvorlesung theoretischer Physik so einzusteigen, weil auf diesem Abstraktionsgrad es zu fordernd ist. Man sollte erstmal Erfahrungen mit einer Theorie sammeln bevor man sich mit einer strikten Formulierung beschäftigt.

Ich finde man sollte besser zwischen den Begriffen Postulat und Axiom unterscheiden. Ein mathematisches Axiom ist etwas gänzlich anderes als eine Annahme einer naturwissenschaftlichen Theorie, die sich innerhalb dieser Theorie nicht beweisen lässt. Letzteres sollte man als Postulat bezeichnen.



Zitat:
Aber wenn ich meine eigene Mathematik/Physik nur auf Axiomen aufbaue, bin ich im Denkgerüst der Querdenker.

Mathematik baut ausschließlich auf Axiomen und Logik auf. Die Standardmathematik lässt sich komplett in Prädikatenlogik formulieren.
Axiome in der Mathematik sind aber wie gesagt nicht dasselbe wie nicht beweisbare Annahmen als Grundlage naturwissenschaftlicher Theorien.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18062

Beitrag TomS Verfasst am: 22. Jun 2023 14:00    Titel: Re: Eine Axiomatisierung der Physik Antworten mit Zitat

Super

Quantumdot hat Folgendes geschrieben:
... Kraft kann dann so dargestellt werden


Wobei man noch darauf hinweisen sollte, dass die Physik bzgl. ihrer Axiomatisierung vor einer schwierigeren Aufgabe steht als die Mathematik.- Für letztere gilt nach Hilbert

Man muß jederzeit an Stelle von "Punkten", "Geraden", "Ebenen", "Tische", "Stühle", "Bierseidel" sagen können.

Der Physiker darf aber statt "Kraft" nicht "Bierseidel" sagen - oder "Impuls". M.a.W.: der Physiker muss seine Axiome zur Realität in Beziehung setzen.

Quantumdot hat Folgendes geschrieben:
Ich finde man sollte besser zwischen den Begriffen Postulat und Axiom unterscheiden. Ein mathematisches Axiom ist etwas gänzlich anderes als eine Annahme einer naturwissenschaftlichen Theorie, die sich innerhalb dieser Theorie nicht beweisen lässt. Letzteres sollte man als Postulat bezeichnen.

Wie genau würdest das unterscheiden? Nur durch den o.g. Bezug zwischen Mathematik und Realität?

_________________
Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
Quantumdot
Gast





Beitrag Quantumdot Verfasst am: 22. Jun 2023 16:21    Titel: Re: Eine Axiomatisierung der Physik Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:

Wie genau würdest das unterscheiden? Nur durch den o.g. Bezug zwischen Mathematik und Realität?

Also im allgemeinen Sprachgebrauch wird nicht streng zwischen Axiome (im mathematischen Sinne) und Postulate (im physikalischen Sinne) unterschieden. Man spricht ja auch von newtonschen Axiomen, die keine mathematischen Axiome sind.
Der Einfachheit halber lege ich jetzt hier einfach mal fest, dass die Grundannahmen einer physikalischen Theorie als Postulate bezeichnet werden und Axiome das sind, was man in der Mathematik als Axiom versteht.

Die Postulate sind für mich letztlich die Anbindungen an die Realität. z.B., dass eben das Modell mit der glatten Mannigfaltigkeit die Bewegung eines Balles im physikalischen Raum tatsächlich in einem bestimmten Rahmen beschreibt. Die Axiome hingegen definieren die mathematische Struktur, die man zur Beschreibung verwendet.

Postulate werden im Rahmen der Theorie nicht bewiesen, sondern beruhen auf Empirie und können ggf später durch eine umfassendere Theorie bewiesen werden, die dann aber wiederum andere Postulate braucht. Bei Postulaten gibt es aber prinzipiell einen Beweisbedarf.

Axiome hingegen legen fest was erfüllt sein muss damit etwas eine bestimmte Struktur ist. Es besteht hier kein Beweisbedarf, da die Axiome teil einer Definition sind. Diese Definition sollte dann aber natürlich wohldefiniert und widerspruchslos sein.
Was man aber machen kann, ist eine konkrete mathematische Menge zu konstruieren und dann ggf. nachweisen, ob diese Menge die Axiome einer bestimmten Struktur erfüllt und diese Menge dann auch so genannt werden darf.
Das ist etwas völlig anderes als die Annahme, dass die physikalische Raumzeit in einem bestimmten Rahmen als glatte Mannigfaltigkeit aufgefasst werden kann.

Ich konkretisiere das nochmal anhand der newtonschen Raumzeit.
Mathematisch kann man das Quintupel
(M Grundmenge, O Topologie, A glatter maximaler Atlas, Zusammenhang, t glatte Funktion von M nach den reellen Zahlen/wird zur absoluten Zeit) betrachten.

Das Quintupel ist ein rein mathematisches Objekt, welches man völlig losgelöst von Physik betrachten kann und es erfüllt einen ganzen Satz an Axiomen.
Das Postulat ist dann zu sagen, dass damit unsere physikalische Raumzeit beschrieben werden kann (wobei man dann noch Wahlen für die Topologie, die glatte Struktur etc treffen muss).
Das schafft dann die Sprache innerhalb dessen man auch die "newtonsche Axiome" einbetten kann.
Zum Beispiel das "Trägheitsaxiom":
"Die Weltlinien von Teilchen mit verschwindenden Ladungen sind Autoparallelen"
Wobei ich unter einem autoparallelen Vektorfeld X Folgendes verstehe
CarstenP



Anmeldungsdatum: 10.06.2023
Beiträge: 46

Beitrag CarstenP Verfasst am: 22. Jun 2023 16:30    Titel: Re: Eine Axiomatisierung der Physik Antworten mit Zitat

Quantumdot hat Folgendes geschrieben:
Die mathematische Struktur, die gut funktioniert ist eine glatte Mannigfaltigkeit.


Falsch. Es ist eine hinreichend glatte Mannigfaltigkeit. Aber machen wir mal Philosophie. Frage an dich: Wieso kann man eine Kugel nicht drehen?
Quantumdot
Gast





Beitrag Quantumdot Verfasst am: 22. Jun 2023 17:58    Titel: Re: Eine Axiomatisierung der Physik Antworten mit Zitat

CarstenP hat Folgendes geschrieben:


Falsch. Es ist eine hinreichend glatte Mannigfaltigkeit. Aber machen wir mal Philosophie. Frage an dich: Wieso kann man eine Kugel nicht drehen?

Was soll eine hinreichend glatte Mannigfaltigkeit sein? Entweder ist sie glatt oder nicht, d.h. entweder sind die Kartenwechsel des Atlas beliebig oft differenzierbar oder nicht.
Eine differenzierbare Mannigfaltigkeit bei der die Kartenwechsel nur endlich oft differenzierbar sind, liefert nichts Neues, da nach einem Satz von Whitney jeder maximale Atlas einen Atlas enthält.
Deswegen kann man gleich immer von glatten Mannigfaltigkeiten sprechen, wenn man eine differenzierbare Struktur braucht und eine differenzierbare Struktur braucht man in der Mechanik, um von Geschwindigkeiten sprechen zu können.

Die zweite philosophische Frage hat hiermit nichts zu tun.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18062

Beitrag TomS Verfasst am: 23. Jun 2023 00:27    Titel: Antworten mit Zitat

@Quantumdot - danke für die ausführliche Darstellung; die Unterscheidung zwischen (mathematischen) Axiomen und (physikalischen) Postulaten empfinde ich ähnlich, habe sie aber noch nirgendwo gelesen.
_________________
Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
Quantumdot
Gast





Beitrag Quantumdot Verfasst am: 23. Jun 2023 11:12    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
@Quantumdot - danke für die ausführliche Darstellung; die Unterscheidung zwischen (mathematischen) Axiomen und (physikalischen) Postulaten empfinde ich ähnlich, habe sie aber noch nirgendwo gelesen.


Also ich habe es in bestimmter Literatur bisher implizit herausgelesen, aber noch nicht in dieser Klarheit.
Meiner Ansicht nach ist das eine Schwäche der heutigen Lehrbuchliteratur.
Aber als erfahrener Physiker kennst du das wahrscheinlich, dass Lehrbuchliteratur nicht immer das Gelbe vom Ei ist.

Ich finde auch, dass Physikstudenten zu wenig darüber lernen was eigentlich eine mathematische Struktur ist und man zu viel Wert auf Rechentechniken statt Verständnis legt.
DrStupid



Anmeldungsdatum: 07.10.2009
Beiträge: 5043

Beitrag DrStupid Verfasst am: 23. Jun 2023 14:06    Titel: Antworten mit Zitat

Quantumdot hat Folgendes geschrieben:
Meiner Ansicht nach ist das eine Schwäche der heutigen Lehrbuchliteratur.


Das betrift nicht nur neue Bücher. Schon Newton konnte sich nicht entscheiden, ob er Gesetze oder Axiome formuliert. In der Principia schreibt er zunächst von Lex I-III und nennt sie dann später Axiomata. Tatsächlich ist es wohl eine Mischung von beidem.
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