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Fliegender Start ins All
 
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Brillant



Anmeldungsdatum: 12.02.2013
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Beitrag Brillant Verfasst am: 02. Aug 2020 11:36    Titel: Fliegender Start ins All Antworten mit Zitat

Hallo,

ich frage mich, warum Raketen ins All vom Boden starten anstatt von Träger-Flugzeugen oder Luftschiffen / Ballons in großer Höhe. Ich vermute, dass Raketen bis zur Flughöhe von Flugzeugen deutlich mehr Energie benötigen als ein Flugzeug mit entsprechend leichterer Rakete.

Habe dazu einen Artikel in wissenschaft.de vom 18. Juni 2005 gefunden:

„Eine neue Transporttechnik könnte Astronauten sicherer und billiger in den Weltraum befördern: Sie nehmen in einer Rakete Platz, die von einem Trägerflugzeug in rund 10 Kilometern Höhe abgeworfen wird. ...“

Immer wieder sehe ich im Web Raketen vom Boden starten. Was spricht gegen einen fliegenden Start?

Und wenn wir schon beim Thema Raketenstart sind: Früher galt ein Raketen-Startplatz so nahe wie möglich am Äquator als ideal, um den Drall der Erde zu nutzen:

Wikipedia: „Das CSG (von französisch Centre spatial guyanais) ist einer der am günstigsten gelegenen Startplätze der Welt. Es ist nur 580,2 km vom Äquator entfernt (5° 13'18''N). Dadurch verleiht die Erdrotation einer dort startenden Rakete einen horizontalen Geschwindigkeitsbeitrag von 461 m/s (in Richtung Osten).[1] Außerdem ist es bei einem äquatornahen Start einfacher, geostationäre Satelliten in die geostationäre Transferbahn zum Erreichen der geostationären Umlaufbahn zu bringen.”

Der russische Startplatz Baikonur (Kasachstan) liegt aber auf ca. 45° Nord und scheint keine Probleme zu bereiten. Die Volksrepublik Chinas hat vier Kosmodrome, nur eines am Südrand des Landes (siehe Grafik aus Wikipedia).

In der Diskussion um Startplätze geht es auch darum, dass fallende Raketenteile (-stufen) und giftiger Treibstoff nicht auf bewohntes Land, sondern ins Wasser fallen. Noch ein Grund, Raketen mit Flugzeugen zu starten, da wären die Start-Koordinaten frei wählbar.

Gruß, Brillant



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TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18104

Beitrag TomS Verfasst am: 02. Aug 2020 11:59    Titel: Antworten mit Zitat

Natürlich werden Tests für den Start von Raketen aus Flugzeugen diskutiert und durchgeführt. Ein Problem ist jedoch, dass Flugzeuge nicht für den Transport großer Lasten außen an den Flugzeugen konstruiert sind.

https://www.aerotelegraph.com/virgin-orbit-boeing-747-galactic-cosmic-girl-boeing-747-spezial-jumbo-schickt-bald-seine-erste-rakete-in-richtung-weltall

Für einen Flug zum Mars wird sogar der Start aus Raumstationen diskutiert.

https://de.m.wikipedia.org/wiki/Lunar_Orbital_Platform-Gateway
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Deep_Space_Transport

Natürlich hat der Start aus dem Orbit Vorteile - für den eigentlichen Start. Der Weg dahin ist aber auch technisch anspruchsvoll, insbs. weil das Raumschiff in Weltraum zusammengebaut werden muss.

_________________
Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
Brillant



Anmeldungsdatum: 12.02.2013
Beiträge: 1973
Wohnort: Hessen

Beitrag Brillant Verfasst am: 02. Aug 2020 13:13    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
Ein Problem ist jedoch, dass Flugzeuge nicht für den Transport großer Lasten außen an den Flugzeugen konstruiert sind.
Das müssen doch keine Flugzeuge „von der Stange“ sein. Klar, dass die modifiziert werden müssen.

Nehmen wir die Trägerrakete Ariane 4: Das Startgewicht betrug zwischen 243 t und 480 t, die Nutzlast bis zu 4,9 t in eine Geostationäre Transferbahn. Verhältnis 98:1

Im Vergleich die Sojus (Союз) ST-B: Startmasse 311 t, Nutzlast 3,25 t. Verhältnis gleich, 97:1

Die Antonow 225 kann mit 250 Tonnen mit Abstand die meiste Nutzlast stemmen.

Kann bitte mal jemand eine Überschlagsrechnung machen, wieviel Prozent ihres Startgewichts eine Rakete für geostationäre Satelliten verloren hat, wenn sie 10 km Höhe (die Höhe eines Flugzeugs) erreicht hat?

Nachdenk ... Bei maximaler Nutzlast eines Fliegers werden die 10 km Höhe vermutlich nicht erreicht.
DrStupid



Anmeldungsdatum: 07.10.2009
Beiträge: 5044

Beitrag DrStupid Verfasst am: 02. Aug 2020 14:49    Titel: Antworten mit Zitat

Brillant hat Folgendes geschrieben:
ich frage mich, warum Raketen ins All vom Boden starten anstatt von Träger-Flugzeugen oder Luftschiffen / Ballons in großer Höhe.


Das wurde alles schon versucht. Die Kombination von Rakete und Ballon hat sogar einen eigenen Namen: https://de.wikipedia.org/wiki/Rockoon.

Allerdings sind beide Konzepte nur für kleine Raketen praktikabel. Der Hinweis auf die Antonow 225 mit ihren 250 Tonnen Nutzlast klingt zwar auf den ersten Blick plausibel (insbesondere wenn man bedenkt, dass sie für den Transport des Buran entwickelt wurde), aber es ist ein Unterschied, ob ein Flugzeug 250 Tonnen tragen oder in der Luft abwerfen kann. Mit einem Parabelflug ginge das, aber ich bezweifle, dass die An-225 das mit voller Nutzlast hinbekommt.

Bei Ballons besteht das Problem darin, dass sie sowohl große Massen tragen als auch große Höhen erreichen sollen. Dazu müssen sie nicht nur sehr groß sein, sondern sich auch noch stark ausdehnen können. Luftschiffe fallen damit schon mal weg. Das bedeutet, dass Rockoons während des Aufstiegs in der Luft kaum steuerbar sind.

Brillant hat Folgendes geschrieben:
Ich vermute, dass Raketen bis zur Flughöhe von Flugzeugen deutlich mehr Energie benötigen als ein Flugzeug mit entsprechend leichterer Rakete.


Die Energie für das Erreichen dieser Höhe ist zweitrangig. Entscheidend ist die Geschwindigkeit und Raketen sind in der Flughöhe von Flugzeugen ganz sicher schneller. Der Vorteil von Starts aus großer Höhe ist nicht etwa, dass man damit die ersten 10 km spart, sondern dass da oben die Luft dünner ist. Dadurch können die Raketen stärker beschleunigen und somit schneller die Gravitation überwinden. Das spart Energie. Für bemannte Raketen bringt das allerdings auch nicht viel, weil deren maximale Beschleunigung durch die Belastbarkeit der Insassen begrenzt wird.

Anders würde es aussehen, wenn man mit Trägerflugzeugen nicht nur große Höhen, sondern auch große Geschwindigkeiten erreichen würde (siehe z.B. https://de.wikipedia.org/wiki/S%C3%A4nger_(Raumtransportsystem)). Allerdings braucht man dazu neuartige Antriebssysteme. Der beste Kandidat ist ein Scramjet. Der wurde bereits erfolgreich getestet (siehe z.B. https://en.wikipedia.org/wiki/NASA_X-43), aber bis zum praktischen Einsatz als Unterstufe einer Weltraumrakete ist es noch ein sehr langer Weg.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18104

Beitrag TomS Verfasst am: 02. Aug 2020 15:20    Titel: Antworten mit Zitat

Brillant hat Folgendes geschrieben:
TomS hat Folgendes geschrieben:
Ein Problem ist jedoch, dass Flugzeuge nicht für den Transport großer Lasten außen an den Flugzeugen konstruiert sind.
Das müssen doch keine Flugzeuge „von der Stange“ sein. Klar, dass die modifiziert werden müssen.

...

Die Antonow 225 kann mit 250 Tonnen mit Abstand die meiste Nutzlast stemmen.

Die Antonow transportiert das im Inneren.

Für einen Start innerhalb der Atmosphäre funktioniert das aber nur schlecht, denn wenn du die Rakete von innen nach außen bringst, dann wirfst du sie quasi erst mal in einen viele 100 km/h starken Sturm.

Für einen Start weit außerhalb der Atmosphäre kannst du andererseits kein Flugzeug verwenden.

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DrStupid



Anmeldungsdatum: 07.10.2009
Beiträge: 5044

Beitrag DrStupid Verfasst am: 02. Aug 2020 22:17    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
Die Antonow transportiert das im Inneren.


Den Buran hat sie außen transportiert (siehe Anhang) und der wog leer immerhin 62 t. Wenn man das bis rund 100 t hochschrauben könnte (das entspricht einem Buran mit Nutzlast), dann wäre man im Bereich kleiner Trägerraketen (z.B. Strela).

Allerdings gäbe es dann immer noch das Problem der Stufentrennung. Das Flugzeug muss die Rakete mindestestens im Horizontalflug oder besser noch im Steigflug abwerfen und dabei sollten möglichst keine Kräfte zwischen Rakete und Flugzeug wirken, damit das Flugzeug nicht plötzlich viel zu viel Auftrieb hat. Bei der An-225 kommt erschwerend hinzu, dass sie sich unterhalb der äußeren Nutzlast befindet. Das bedeutet, dass die Trennung im Parabelflug erfolgen und das Flugzeug danach mit negativen g-Kräften nach unten wegtauchen müsste.

Außerdem muss das Flugzeug vor der Zündung der Oberstufe einen hinreichenden Sicherheitsabstand erreichen um nicht beschädigt oder sogar zerstört zu werden. Bei großen Raketen dauert das eine Weile und in dieser Zeit befindet sich die Rakete im freien Fall. Dabei verliert sie nicht nur an Höhe, sondern wird auch noch in die falsche Richtung beschleunigt.



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Brillant



Anmeldungsdatum: 12.02.2013
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Wohnort: Hessen

Beitrag Brillant Verfasst am: 14. Aug 2020 12:22    Titel: Antworten mit Zitat

DrStupid hat Folgendes geschrieben:
Den Buran hat sie außen transportiert
Danke für deine ausführliche Stellungnahme.

Wenn ich Wikipedia glauben darf, ist Buran nicht von der Antonov gestartet, sondern lediglich zur Pariser Luftfahrtschau im Juni 1989 geflogen worden.

Wikipedia: „Nachdem die notwendige Trägerrakete Energija am 15. Mai 1987 erfolgreich getestet worden war, erfolgte am 15. November 1988 der erste und einzige Start des Buran-Energija-Systems mit dem Orbiter Buran 1.01. Der unbemannte Flug wurde nach zwei Umkreisungen erfolgreich mit einer automatischen Landung abgeschlossen.”

DrStupid hat Folgendes geschrieben:
Das Flugzeug muss die Rakete mindestestens im Horizontalflug oder besser noch im Steigflug abwerfen und dabei sollten möglichst keine Kräfte zwischen Rakete und Flugzeug wirken, damit das Flugzeug nicht plötzlich viel zu viel Auftrieb hat.
Naja, das Raumfahrzeug könnte eigene Flügel und damit eigenen Auftrieb haben. Hat die Buran ja.

Ich denke, man könnte ein Raumfahrzeug auch unterhalb eines Trägerflugzeugs transportieren, kriegerische Raketen klinkt man ja auch nach unten aus. Das bedeutet nicht unbedingt, dass sie nach unten fallen sollen, sondern zum Ziel noch weit fliegen können.

Für den Start des Gespanns muss etweder das Raumfahrzeug oder das Trägerflugzeug ein geeignetes Fahrwerk haben. Das Raumfahrzeug könnte die Konstruktion ja abwerfen. Ob es stabil genug ist, das Flugzeug beim Start ein paar hundert Meter zu tragen, ist fraglich.

Bei Recherche nach „Doppelrumpfflugzeug“ sehe ich erst jetzt, dass mit dieser Idee (Nutzlast unter dem Trägerflugzeug) bereits experimentiert wurde / wird. Stratolaunch:

„Das Flugzeug startet mit der Nutzlast unter dem Mittelteil der Tragfläche und steigt auf dem Weg zum Startpunkt der Rakete auf ca. 9000 Meter Höhe. Es hebt die Nase am Startpunkt um etwa 45° an und lässt die Rakete fallen. Die Rakete zündet nach einigen Sekunden und steigt in den Weltraum auf. Nachdem die erste Stufe abgeschaltet ist, trennt sich die zweite mit der Nutzlast ab und zündet. Nach ihrem Brennschluss trennt sich die Nutzlast ab. Das Trägerflugzeug kehrt zum Startplatz zurück."

Nach weiteren Recherchen ahne ich den Grund, warum die Kombination Trägerflugzeug / Rakete nicht in die Hufe kommt: Zusätzlich zur Rakete muss noch der Träger finanziert, entwickelt, erprobt werden. Der finanzielle und zeitliche Aufwand steht wohl in einem sehr schlechten Verhältnis zur möglichen Ersparnis.



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DrStupid



Anmeldungsdatum: 07.10.2009
Beiträge: 5044

Beitrag DrStupid Verfasst am: 14. Aug 2020 13:39    Titel: Antworten mit Zitat

Brillant hat Folgendes geschrieben:
Wenn ich Wikipedia glauben darf, ist Buran nicht von der Antonov gestartet, sondern lediglich zur Pariser Luftfahrtschau im Juni 1989 geflogen worden.


Ja, genau das ist ja das Problem. Die An-225 wurde entwickelt und verwendet um den Buran zu transportieren, aber nicht, um ihn in der Luft abzuwerfen. Für die aerodynamischen Tests wurde der Buran wie ein gewöhnliches Seglflugzeug geschleppt.

Brillant hat Folgendes geschrieben:
Naja, das Raumfahrzeug könnte eigene Flügel und damit eigenen Auftrieb haben. Hat die Buran ja.


Eigene Flügel bedeuten aber zusätzliches Gewicht und damit einen erhöhten Treibstoffbedarf. Das ist einer der Gründe warum das Space Shuttle im Vergleich zu gewöhnlichen Einweg-Raketen beim Nutzlasttransport hoffnungslos unwirtschaftlich war und nach Shuttle und Buran alle anderen Konzepte für Raumgleiter wieder in den Schubladen verschwunden sind. Eventuell könnte man Flügel anbringen, die sich in der Luft von der Rakete trennen und dann wieder landen. Das ist aber auch nicht gerade trivial.

Brillant hat Folgendes geschrieben:
Bei Recherche nach „Doppelrumpfflugzeug“ sehe ich erst jetzt, dass mit dieser Idee (Nutzlast unter dem Trägerflugzeug) bereits experimentiert wurde / wird. Stratolaunch:


Stratolaunch bestätigt meine obige Aussage, dass das Konzept nur für kleine Rakten praktikabel ist. Dieses riesige Monstrum von Flugzeug trägt am Ende voraussichtlich nur eine Pegasus XL, die ein paar hundert kg Nutzlast in den Orbit bringt (und die man genauso gut auch von einem modifizierten Passagierflugzeug aus starten kann). Alle Versuche, größere Raketen für dieses Trägersystem zu entwickeln sind offenbar gescheitert. Damit wird man wohl nie in den Nutzlastbereich vorstoßen, in dem heute das große Geschäft gemacht wird und die Tendenz geht eher zu noch größeren Raketen.

Air launch to orbit ist zwar ein durchaus interessante Konzept, das sich wahrscheinlich für diverse Nieschenanwendungen mit kleinen Nutzlasten etablieren wird, aber der Hauptanteil aller Nutzlasten wird in absehbarer Zeit weiter mit Raketen vertikal vom Boden aus starten. Das gilt umso mehr, wenn sich die von SpaceX entwickelte Methode, Booster und Unterstufen vertikal zu landen und wiederzuverwenden, langfristig bewährt (vor allem wirtschaftlich).
Brillant



Anmeldungsdatum: 12.02.2013
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Wohnort: Hessen

Beitrag Brillant Verfasst am: 14. Aug 2020 13:55    Titel: Antworten mit Zitat

DrStupid hat Folgendes geschrieben:
Stratolaunch bestätigt meine obige Aussage, dass das Konzept nur für kleine Rakten praktikabel ist.
Das war ja meine Anfangsfrage: Wieviel kleiner kann eine Rakete samt Nutzlast sein, wenn sie in 10 km Höhe statt am Boden startet?

Wurde bisher nicht ansatzweise diskutiert, lediglich die mangelnde Geschwindigkeit in 10 km Höhe solle dagegen sprechen. Dafür spricht wieder, dass da oben für die Beschleunigung weniger Treibstoff benötigt wird wegen geringerem Luftwiderstand.
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