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Frage zu einer instrumentalistischen Sichtweise
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dcba
Gast





Beitrag dcba Verfasst am: 12. März 2020 08:21    Titel: Frage zu einer instrumentalistischen Sichtweise Antworten mit Zitat

Hallo zusammen,

hier im Forum kommen ja immer wieder mal philosophische Aspekte der Physik auf den Tisch. Unter anderem wurde mal in einem Thema von TomS erläutert, dass man mit der instrumentalistischen Sichtweise der Physik nicht auf die Existenz (aber auch nicht auf die Nichtexistenz) von unbeobachtbaren Dingen schließen kann.

Nun meine Frage/Angelegenheit zu der Sache: Ich selbst mag eher die instrumentalistische Ansicht, was vor allem daran liegt, dass ich bei einer realistischen Sichtweise der Physik die ontologischen Folgen der Quantenmechanik nur schwer verdauen kann (bitte hier keine Diskussionen darüber, ich bin kein Physiker, kann also nichts dazu beitragen). Aber inwiefern darf ich mit instrumentalistischer Sichtweise trotzdem annehmen, dass bei Unbeobachtung trotzdem die Außenwelt existiert?
Ich halte die nämlich die Realität für unabhängig von uns, aber wie sie wirklich beschaffen ist, weiß ich nicht. Mittels der Physik ist es aber möglich, die entsprechenden Naturerscheinungen/Phänomene korrekt vorherzusagen.

Gestellt habe ich mir die Frage bei folgendem Thema. Mittels newtonscher Mechanik kann ich z.B. auf Grund von Bremsspuren berechnen, welche Geschwindigkeit ein Fahrzeug vor einem Unfall hatte.
Wenn ich nun einfach mal annehme, es gäbe ein autonomes Auto ohne Fahrer, welches einen Alleinunfall verursacht hat. Dieser wurde auch von niemanden beobachtet (bis irgendwann jemand das zerstörte Auto entdeckte). Jetzt will ich aber den Unfall mittels newtonscher Mechanik rekonstruieren. Da ja kein Beobachter etwas gesehen hat, kann man ja rein logisch weder auf die Existenz, noch auf die Nichtexistenz des Unfallhergangs schließen. Bzw. darf ich überhaupt eine Rekonstruktion mittels der Physik bei einer instrumentalistischen Haltung vornehmen? Ich kann die berechneten Phänomene ja nicht mehr empirisch überprüfen (der Unfall liegt ja in der Vergangenheit). Muss ich dafür zwingend eine realistische Haltung einnehmen?
Oder kann ich auch mit der instrumentalistischen Haltung sinnvoll solch eine Unfallrekonstruktion vornehmen?


Vielen Dank für die Antworten auf meine Fragen!
Frankx



Anmeldungsdatum: 04.03.2015
Beiträge: 982

Beitrag Frankx Verfasst am: 12. März 2020 13:51    Titel: Antworten mit Zitat

Zitat:
Da ja kein Beobachter etwas gesehen hat, kann man ja rein logisch weder auf die Existenz, noch auf die Nichtexistenz des Unfallhergangs schließen.


Man kann aber im besten Fall "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" Aussagen zum Unfallhergang machen.
Das schließt die, wenn auch geringe, Möglichkeit eines anderen Ablaufes ein,
z.B. könnte jemand die Spuren gefakt haben, es könnte weitere unberücksichtigte Einflüsse gegeben haben,...

In der Praxis muss dann eben, auch unter Berücksichtigung anderer Umstände (z.B. ähnliche Unfälle) abgewogen werden, welche Bedeutung man dieser Rekonstruktion beimisst und welche Konsequenzen sich daraus ergeben.

Wenn man die Physik als nur eines von vielen Werkzeugen betrachtet, mit dessen Hilfe die Menschheit das Leben strukturieren und gestaltet, ist eine geringe Restfehlermöglichkeit kein großes Drama, da in der überwiegenden Mehrzahl die richtige Entscheidungen getroffen werden. Im Einzelfall kann einem allerdings bei einem Fehler natürlich auch Ungerechtigkeit widerfahren, das ist dann Pech.


.
Qubit



Anmeldungsdatum: 17.10.2019
Beiträge: 829

Beitrag Qubit Verfasst am: 12. März 2020 14:17    Titel: Re: Frage zu einer instrumentalistischen Sichtweise Antworten mit Zitat

dcba hat Folgendes geschrieben:

Nun meine Frage/Angelegenheit zu der Sache: Ich selbst mag eher die instrumentalistische Ansicht, was vor allem daran liegt, dass ich bei einer realistischen Sichtweise der Physik die ontologischen Folgen der Quantenmechanik nur schwer verdauen kann (bitte hier keine Diskussionen darüber, ich bin kein Physiker, kann also nichts dazu beitragen). Aber inwiefern darf ich mit instrumentalistischer Sichtweise trotzdem annehmen, dass bei Unbeobachtung trotzdem die Außenwelt existiert?
Ich halte die nämlich die Realität für unabhängig von uns, aber wie sie wirklich beschaffen ist, weiß ich nicht. Mittels der Physik ist es aber möglich, die entsprechenden Naturerscheinungen/Phänomene korrekt vorherzusagen.


Eine Philosophie der Physik sollte mindestens zwei Schritte erklären:

1. Was ist Realität für Physik? Denn der Anspruch der Physik ist, eine Realwissenschaft zu sein, die Erfahrungen erklärt und berechnen ("vorhersagen") kann.

2. Wie schaut eine Ontologie der (physikalischen) Natur "an sich" aus? Welche Gültigkeit haben Naturgesetze und "Entitäten" unabhängig von einer physikalischen Theorie.

Dass es eine Natur an sich gibt, wird wohl kein Physiker bestreiten können, da er ansonsten dem Anspruch einer Realwissenschaft nicht entsprechen kann.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18062

Beitrag TomS Verfasst am: 12. März 2020 14:19    Titel: Antworten mit Zitat

Man kann mit der instrumentalistischen Sichtweise der Physik nicht auf die Existenz (aber auch nicht auf die Nichtexistenz) von nicht-beobachtbaren Dingen schließen; logisch kann das man mit keiner Methode.

Daher kannst oder musst du aufgrund der instrumentalistischer Sichtweise zwar nicht logisch begründen, dass eine Außenwelt existiert, du kannst das jedoch zusätzlich annehmen, ohne dadurch in einen logischen Widerspruch zur instrumentalistischer Sichtweise zu geraten.

Was du wohl tun willst ist, zunächst eine instrumentalistische Sichtweise einzunehmen und in diesem Sinne Physik zu betreiben, d.h. beobachtbare Phänomene zu berechnen, jedoch darüber hinaus eine realistische Sichtweise zuzulassen, die zwar an die Existenz einer unabhängigen Außenwelt glaubt, jedoch die Physik und die instrumentalistische Haltung damit nicht behelligt. D.h. du befreist die Physik vom Zwang, sich mit nicht-beobachtbaren Dingen auseinanderzusetzen und gehst den Kompromiss ein, an eine Realität zu glauben, die zwar berechenbare Phänomene begründet, selbst jedoch nicht erkennbar und demnach nicht berechenbar ist (zumindest nicht heute und nicht praktisch).

Bernard d'Espagnat bezeichnet dies als „Veiled Reality”.

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Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.


Zuletzt bearbeitet von TomS am 12. März 2020 14:30, insgesamt 3-mal bearbeitet
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18062

Beitrag TomS Verfasst am: 12. März 2020 14:26    Titel: Re: Frage zu einer instrumentalistischen Sichtweise Antworten mit Zitat

Qubit hat Folgendes geschrieben:
Eine Philosophie der Physik sollte mindestens zwei Schritte erklären:

1. Was ist Realität für Physik? Denn der Anspruch der Physik ist, eine Realwissenschaft zu sein, die Erfahrungen erklärt und berechnen ("vorhersagen") kann.

2. Wie schaut eine Ontologie der (physikalischen) Natur "an sich" aus? Welche Gültigkeit haben Naturgesetze und "Entitäten" unabhängig von einer physikalischen Theorie.

Dass es eine Natur an sich gibt, wird wohl kein Physiker bestreiten können, da er ansonsten dem Anspruch einer Realwissenschaft nicht entsprechen kann.

Ein Positivist wie Hawking würde die Relevanz dieser Fragen zumeist bestreiten. Die Physik hat überprüfbare Vorhersagen bzgl. beobachtbarer Phänomene zu machen - Punkt.

Ein Phänomenologe würde die Realität als die Gesamtheit aller Erscheinungen bezeichnen.

Viele Physiker bestreiten, dass Ontologie Aufgabe der Physik ist.

(ich halte diese Sichtweise für ziemlich "arm", aber sie existiert, und sie wird von nicht wenigen und insbs. nicht von "schlechten" Physikern vertreten)

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dcba
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Beitrag dcba Verfasst am: 12. März 2020 16:17    Titel: Antworten mit Zitat

Zitat:
Man kann mit der instrumentalistischen Sichtweise der Physik nicht auf die Existenz (aber auch nicht auf die Nichtexistenz) von nicht-beobachtbaren Dingen schließen; logisch kann das man mit keiner Methode.


Also auch nicht mit einer realistisch-ontologischen Sichtweise?


TomS hat meine Sichtweise eigentlich ganz gut dargelegt.

Hier nun nochmal eine Frage mit einem Beispiel diesbezüglich, will mich nur etwas versichern, es verstanden zu haben (bin halt auch kein Philosoph smile ):

Ingenieure berechnen mittels physikalischen Gesetzen ein Turbinentriebwerk und konstruieren dieses. Das Triebwerk läuft danach Probe, aber für einen Moment schauen alle Beteiligten Leute weg, sodass kein Beobachter etwas wahrnimmt.
Kann ich nun mit der Sichweise der "Veiled Reality" annehmen (nicht logisch begründen), dass die zuvor berechneten Phänomene während des Betriebs auch wirklich so kausal ablaufen, auch wenn keiner hinschaut und gerade niemand eine Messung durchführt (und die wahre Realität trotzdem unerkennbar bleibt)?

Und noch eine Sache: im Kontext der klassischen Physik, kann man ja z.B. einem Körper gewisse Eigenschaften unabhängig einer Messung zuordnen (Masse, Impuls usw.). Ist diese Zuordnung von Eigenschaften vom philosophischen Verständnis der Physik (realistisch oder instrumentalistisch) abhängig? Die Frage mag etwas dümmlich klingen, aber im Bezug zur Quantenmechanik lese ich immer, dass es dort vom philosophischen Standpunkt, also auch der Interpretation, abhängt. Und da ja die Quantenmechanik die klassische Physik als Grenzfall enthält, frage ich mich, was hier nun gilt.

Auch schon mal Danke für die bisherigen Antworten!
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 12. März 2020 18:09    Titel: Antworten mit Zitat

dcba hat Folgendes geschrieben:

Ingenieure berechnen mittels physikalischen Gesetzen ein Turbinentriebwerk und konstruieren dieses. Das Triebwerk läuft danach Probe, aber für einen Moment schauen alle Beteiligten Leute weg, sodass kein Beobachter etwas wahrnimmt.


Ich glaube diese Voraussetzung ist irrelevant. Es geht nicht darum, ob tatsächlich jemand hinschaut. Der entscheidende Unterschied ist, daß der Instrumentalist nur Aussagen für sinnvoll hält, die sich auf beobachtbares beziehen und Theorien nur für Instrumente, solche Aussagen zu generieren. Der Realist hält auch theoretische Aussagen für sinnvoll. ("Sinnvoll" heißt, sie lassen sich in der Realität interpretieren und man kann ihnen folglich einen Wahrheitswert zuordnen.)

Zitat:

Kann ich nun mit der Sichweise der "Veiled Reality" annehmen (nicht logisch begründen), dass die zuvor berechneten Phänomene während des Betriebs auch wirklich so kausal ablaufen, auch wenn keiner hinschaut und gerade niemand eine Messung durchführt (und die wahre Realität trotzdem unerkennbar bleibt)?


Annahmen über Kausalität kannst du im Instrumentalismus wohl nicht machen. Du kannst ja nicht beobachten, daß irgendwas die Ursache von einem Phänomen ist. Du kannst lediglich eine bestimmte Folge von Phänomenen beobachten. Über Ursache und Wirkung kannst du nur Hypothesen aufstellen. Eine kausale Erklärung gibt es also laut Instrumentalismus dafür nicht, nur ein Instrument zur Erzeugung von Behauptungen über eine bestimmte Reihenfolge von Phänomenen.
dcba
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Beitrag dcba Verfasst am: 12. März 2020 19:58    Titel: Antworten mit Zitat

Zitat:
Annahmen über Kausalität kannst du im Instrumentalismus wohl nicht machen. Du kannst ja nicht beobachten, daß irgendwas die Ursache von einem Phänomen ist. Du kannst lediglich eine bestimmte Folge von Phänomenen beobachten. Über Ursache und Wirkung kannst du nur Hypothesen aufstellen. Eine kausale Erklärung gibt es also laut Instrumentalismus dafür nicht, nur ein Instrument zur Erzeugung von Behauptungen über eine bestimmte Reihenfolge von Phänomenen.


Hmn, das sehe ich aber anders. Kausalität beschreibt ja Ursache und Wirkung. Wenn nun z.B. eine schwere Metallkugel auf einen Stein fällt, dann zerbricht dieser. Ursache ist somit der Fall der Kugel, die Wirkung ist der zerbrochene Stein (klar). Nun kann ich dieses Geschehen mittels der Mechanik genau berechnen.
Ob ich dann die Gleichungen instrumentalistisch oder realitisch interpretiere, ändert doch nichts an Ursache und Wirkung. Denn wenn die Kugel nicht auf den Stein gefallen wäre, so wäre dieser nicht zerbrochen. Das sind ja erstmal unsere Beobachtungen, die wir in eine Ursache-Wirkungsbeziehung setzen. Unabhängig von einem math. Formalismus, den wir dann interpretieren.
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 12. März 2020 20:53    Titel: Antworten mit Zitat

dcba hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Annahmen über Kausalität kannst du im Instrumentalismus wohl nicht machen. Du kannst ja nicht beobachten, daß irgendwas die Ursache von einem Phänomen ist. Du kannst lediglich eine bestimmte Folge von Phänomenen beobachten. Über Ursache und Wirkung kannst du nur Hypothesen aufstellen. Eine kausale Erklärung gibt es also laut Instrumentalismus dafür nicht, nur ein Instrument zur Erzeugung von Behauptungen über eine bestimmte Reihenfolge von Phänomenen.


Hmn, das sehe ich aber anders. Kausalität beschreibt ja Ursache und Wirkung. Wenn nun z.B. eine schwere Metallkugel auf einen Stein fällt, dann zerbricht dieser. Ursache ist somit der Fall der Kugel, die Wirkung ist der zerbrochene Stein (klar).


Das reicht nicht aus. Der Fall der Kugel ist höchstens eine notwendige Anfangsbedingung. Du wirst ebenfalls Aussagen über die Wechselwirkung zwischen Stein und Metallkugel benötigen. Diese haben deiner Ideologie zufolge aber nichts mehr mit der Realität zu tun. Der ganze Wirkmechanismus ist lediglich eine nützliche Fiktion.

Zitat:

Nun kann ich dieses Geschehen mittels der Mechanik genau berechnen.
Ob ich dann die Gleichungen instrumentalistisch oder realitisch interpretiere, ändert doch nichts an Ursache und Wirkung.


Natürlich, das ändert alles. Alle notwendigen Voraussetzungen müssen doch in der Realität gegeben sein. Ansonsten sind es keine Ursachen. Ein wesentlicher Teil dieser Voraussetzung ist allerdings nur nützliche, aber sinnlose Fiktion.

Zitat:

Denn wenn die Kugel nicht auf den Stein gefallen wäre, so wäre dieser nicht zerbrochen. Das sind ja erstmal unsere Beobachtungen, die wir in eine Ursache-Wirkungsbeziehung setzen.


Du kannst nicht beobachten, was passiert wäre wenn ein anderes als das tatsächliche Ereignis vorausgegangen wäre. Du kannst nur eine tatsächliche Folge von Ereignissen beobachten. Kontrafaktische Aussagen wie deine hier lassen sich nur theoretisch begründen.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18062

Beitrag TomS Verfasst am: 12. März 2020 22:49    Titel: Antworten mit Zitat

dcba hat Folgendes geschrieben:
Kausalität beschreibt ja Ursache und Wirkung. Wenn nun z.B. eine schwere Metallkugel auf einen Stein fällt, dann zerbricht dieser. Ursache ist somit der Fall der Kugel, die Wirkung ist der zerbrochene Stein (klar). Nun kann ich dieses Geschehen mittels der Mechanik genau berechnen.
Ob ich dann die Gleichungen instrumentalistisch oder realitisch interpretiere, ändert doch nichts an Ursache und Wirkung.

Du nimmst hier implizit bereits eine realistische Position ein, und wunderst dich dann, dass du sie immer wieder vorfindest.

Im Fall von Kugel und Stein ist es dir wahrscheinlich schwer möglich, zwischen realem Vorgang und beobachtetem Phänomen zu unterscheiden - schlichtweg weil es unnütz erscheint.

Anderes Beispiel: Wenn ein Neutron auf einen U-235 Kern trifft, dann wird dieser gespalten (oder eben auch nicht).

Tatsache ist, dass hier zwei Ebenen involviert sind: 1) die vermeintliche Realität, d.h. Neutron, U-235 Kern, Kausalitäten, ... sowie 2) die Phänomene, sichtbar in Messgeräten.

Im Fall von Kugel und Stein kannst du (1) und (2) problemlos identifizieren, im Fall der Kernphysik kannst du das nicht. Nimm doch mal spaßeshalber an, du könntest es auch im Falle der Newtonschen Mechanik nicht tun.

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dcba
Gast





Beitrag dcba Verfasst am: 13. März 2020 07:27    Titel: Antworten mit Zitat

Oh je,

so langsam macht mir das echt Kopfschmerzen grübelnd .

Wenn ich zum Beispiel ein Gasgemisch in einem Zylinder mittels Zündimpuls entzünde, dann ist die Ursache der Verbrennung der Zündimpuls (Phänomen 1). Sichtbar mittels Messgerät. Wirkung ist die Verbrennung (Phänomen 2), auch messbar, ohne die Vorgänge im Zylinder direkt zu beobachten.

Wenn ich nun den Versuch wiederhole und (1) nicht auslöse, wird (2) nicht eintreten. Damit habe ich doch eine kausale Beziehung zwischen den Phänomen (1) und (2) hergestellt. Dafür brauche ich doch noch nicht mal Gleichungen aufzustellen...

Wäre doch auch irgendwo irrsinnig, wenn ich bei meinem Auto aufs Bremspedal trete und den Anstieg des Bremsdruckes mit dem Anstieg der Bremsmomente an den Rädern als zufällige Korrelation werte.


Ist es inkonsistent, von Kausalitäten zu reden, solange man Realität und Phänomen noch gut identifizieren kann, aber sobald dies nicht mehr der Fall ist eine agnostische (instrumentalistische) Position einzunehmen?
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18062

Beitrag TomS Verfasst am: 13. März 2020 07:56    Titel: Antworten mit Zitat

Wichtig ist, dass man sich darüber im Klaren ist, auf welcher Ebene Kausalität vorliegt.

Im klassischen Fall sind das Objekt Stein sowie das Phänomen Stein begrifflich nicht sauber getrennt; und niemand macht sich darüber Gedanken, ob der Ortsvektor nun das Objekt oder das Phänomen beschreibt - weil diese Trennung in der klassischen Physik künstlich oder irrelevant erscheint.

In der Quantenmechanik wird diese Unterscheidung jedoch essenziell; die Beschreibung mittels Wellenfunktion beziehungsweise Zustandsvektor wird üblicherweise nicht mit einem realen Objekt in Verbindung gebracht - außer man akzeptiert die Konsequenzen der Viele-Welten-Interpretation. D.h. der Zustandsvektor beschreibt üblicherweise nicht die unabhängig existierende Realität = das Objekt „an sich“; und natürlich beschreibt der Zustandsvektor auch nicht das Phänomen, sondern liefert lediglich eine Methode zur Berechnung von Wahrscheinlichkeiten für Phänomene! Und damit ist die Kausalität - die auf Ebene des Zustandsvektors gemäß der Schrödingergleichung strikt gilt - nicht automatisch übertragbar auf Realität und Phänomen.

Insofern würde ein Instrumentalisten die Kausalität ausschließlich auf das mathematische Instrumentarium des Zustandsvektors und der Schrödingergleichung beschränken. Die Realität lehnt er als metaphysisches Konzept ab beziehungsweise bezeichnet sie für die Physik als irrelevant. Die Phänomene selbst sind stochastisch!

(Ein Anhänger der Everettschen Viele-Welten-Interpretation würde dagegen den Zustandsvektor als treuen Repräsentanten der von ihm unabhängigen Realität bezeichnen, und die Kausalität auf Ebene der Schrödingergleichung unmittelbar auch dieser Realität zugestehen. Die Argumentation bezüglich der stochastischen Phänomene trotz zugrundeliegender Kausalität in der Realität ist in dieser Interpretation die eigentliche Herausforderung)

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dcba
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Beitrag dcba Verfasst am: 13. März 2020 08:25    Titel: Antworten mit Zitat

Ok, dass leuchtet mir ein. Dann behalte ich die Kausalität für die klassischen Fälle bei, hier kann ich Realität und Phänomene ja identifizieren.

Sobald ich diese Ebenen nicht mehr identifizieren kann, will ich dazu auch nichts mehr sagen (also instrumentalistisch interpretieren). Ich denke, dass ist auch nicht widersprüchlich.

Inwiefern kann man bei Objekten wie großen Molekülen eigentlich noch von Kausalität spreche? Hier kam mir Beispielsweise die DNA ins Gedächtnis: Wenn ich diese nachweise, passiert das ja mittels eines Messergebnisses. Wenn ich nun die DNA verändere, was auch nur durch einen empirischen Nachweis zu bestätigen ist, kann ich irgendwann Auswirkungen am Lebewesen betrachten. Und da dies immer passiert, wenn so ein Experiment durchgeführt wird, kann ich doch in diesem Kontext auch von Kausalität zwischen der experimentell festgestellten DNA und der Entwicklung eines Lebewesens feststellen. Oder sehe ich das falsch?
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 13. März 2020 10:03    Titel: Antworten mit Zitat

dcba hat Folgendes geschrieben:

Wenn ich zum Beispiel ein Gasgemisch in einem Zylinder mittels Zündimpuls entzünde, dann ist die Ursache der Verbrennung der Zündimpuls (Phänomen 1). Sichtbar mittels Messgerät. Wirkung ist die Verbrennung (Phänomen 2), auch messbar, ohne die Vorgänge im Zylinder direkt zu beobachten.

Wenn ich nun den Versuch wiederhole und (1) nicht auslöse, wird (2) nicht eintreten. Damit habe ich doch eine kausale Beziehung zwischen den Phänomen (1) und (2) hergestellt. Dafür brauche ich doch noch nicht mal Gleichungen aufzustellen...


Schön, aber was hat das ganze dann noch mit Instrumentalismus zu tun? Du beobachtest einfach zwei Ereignisse und deklarierst das erste zur Ursache des zweiten. An keiner Stelle kommt irgendeine Theorie zur Sprache, über die man entscheiden soll ob sie lediglich ein nützliches Instrument oder eine sinnvolle Realitätsbeschreibung ist. Solange du nicht mal eine Gleichung (bzw. ein allgemeines Gesetz) hast, stellt sich die Frage zwischen Instrumentalismus und Realismus ja gar nicht.

Zitat:

Wäre doch auch irgendwo irrsinnig, wenn ich bei meinem Auto aufs Bremspedal trete und den Anstieg des Bremsdruckes mit dem Anstieg der Bremsmomente an den Rädern als zufällige Korrelation werte.


Da will ich gar nicht widersprechen. Du hast eben in diesem speziellen Fall bereits ein realistisches Bild im Kopf, wie der Druck aufs Bremspedal kausal zur Verlangsamung des Autos führt.

Aber der Punkt ist doch folgender: Wenn du eine Theorie nur als black box auffaßt, in die man Aussagen A eingibt damit Aussagen B herauskommen, dann wirst du im allgemeinen alle möglichen Korrelationen zwischen A und B berechnen können. Du kannst aber normalerweise nicht unterscheiden, ob A Ursache von B, B Ursache von A oder A und B Folge von C sind. Dazu benötigst du eine realistische Interpretation deiner Theorie, denn Ursache-Wirkungsbeziehungen sind etwas was nur in der Realität vorkommt. Ob C hingegen in der Theorie vorkommt oder nicht ist dem Instrumentalisten egal, wenn er dieselben Korrelation zwischen A und B berechnen kann. Wenn es vorkommt ist es nur eine Fiktion. Wenn stattdessen D vorkommt handelt es sich um eine andere Fiktion. Ansonsten gibt es keinen Unterschied. Für den Realisten ist höchstens eine dieser Theorien eine korrekte Beschreibung der Realität.

Das ganze hat auch m.E. nicht viel mit dem Unterschied zwischen klassischer und Quantenmechanik zu tun. Auch die klassische Mechanik ist voll von theoretischen Aussagen, die man kaum zu den beobachtbaren Fakten zählen kann. Kann man z.B. das Gravitationsgesetz beobachten? Oder nur daß sich Planeten auf Ellipsen bewegen?

Bleiben wir bei diesem Beispiel: Die Newtonsche Mechanik verrät dir formal nur, daß folgender Zusammenhang zwischen den Beschleunigungen zweier Himmelskörper besteht

.
.

Daraus folgt, daß beide Körper ihren Schwerpunkt umkreisen, also eine ziemlich eindeutige Korrelation zwischen den momentanen Aufenthaltsorten der Körper. Ist nun die Bewegung von Körper 1 Ursache der Bewegung von Köper 2? Oder umgekehrt? Oder ist die Bewegung beider Körper lediglich die Folge ihrer gemeinsamen Anziehungskraft



(Es könnte sogar die Bewegung beider Körper die gemeinsame Ursache für die Kraft sein.) Wie willst du das auf Basis des Instrumentalismus unterscheiden? Was auch immer dir hier sinnvoller erscheint, keine dieser Optionen macht die Newtonsche Mechanik irgendwie "nützlicher" in Bezug auf die Berechnung von Beobachtungssaussagen. Wenn du meinst du müßtest in diesem Fall Ursachen für irgendwas unterstellen, dann ist Instrumentalismus m.E. nicht das richtige für dich.
dcba
Gast





Beitrag dcba Verfasst am: 13. März 2020 10:27    Titel: Antworten mit Zitat

Hallo index,

was du schreibst leuchtet mir auch ein. Im Gravitationsgesetz von Newton finde ich so keine Kausalität.

So, wie ich es meinte, bringe ich zwei Phänomene in Verbindung miteinander, indem ich sage, Phänomen 1 (P1) hat Phänomen 2 (P2) verursacht, denn wenn P1 nicht zeitlich vor P2 auftritt, passiert P2 auch nicht. Dabei benutze ich die Physik, um z.B. P2 zu berechnen. Wie z.B. gestern der zerbrochene Stein. Wenn P1 eine andere Startbeschleunigung hat (die Kugel), kann ich berechnen, dass es bei P2 keinen Bruch (vom Stein) gibt. Dabei dient die Physik für mich nur als Werkzeug, die Interpretation bezüglich Kausalität ist kein Bestandteil der Physik mehr (wird hier sicher an der zeitlichen Abfolge der Ereignisse festgemacht).

Ich zitiere hier mal von der Homepage der Uni Magdeburg:
"Wir sagen, dass zwischen zwei Ereignissen A und B (wobei Ereignisse jetzt zeitlich lokalisierte Vorgänge sind) ein Kausalzusammenhang besteht, wenn die Verhinderung eines der Ereignisse, nehmen wir an, dies sei A, zur Folge hat, dass auch das andere, in unserem Fall also B, nicht stattfindet. Wir nennen dann A (eine) *Ursache* von B. (B kann natürlich auch mehrere Ursachen haben.) Als *Kausalprinzip* bezeichnen wir dann die Asymmetrie der Beziehung zwischen A und B: wenn A Ursache von B ist, kann B nicht Ursache von A sein. Die Verhinderung von B würde auf A keinen Einfluss haben. B nennt man *Wirkung*. "


Gibt es eigentlich auch realistische Interpretationen der Quantenmechanik, die nicht auf "Viele Welten" hinauslaufen?
dcba
Gast





Beitrag dcba Verfasst am: 13. März 2020 11:59    Titel: Antworten mit Zitat

Zitat:
Schön, aber was hat das ganze dann noch mit Instrumentalismus zu tun? Du beobachtest einfach zwei Ereignisse und deklarierst das erste zur Ursache des zweiten. An keiner Stelle kommt irgendeine Theorie zur Sprache, über die man entscheiden soll ob sie lediglich ein nützliches Instrument oder eine sinnvolle Realitätsbeschreibung ist. Solange du nicht mal eine Gleichung (bzw. ein allgemeines Gesetz) hast, stellt sich die Frage zwischen Instrumentalismus und Realismus ja gar nicht.


Deshalb denke/dachte (weiß gerade nicht so recht unglücklich ), dass Kausalität keine Ansichtssache einer philosophischen Interpretation ist. In vielen Wissenschaften wird ja zwischen Korrelation und Kausalität unterschieden (und in objektiven Wissenschaften gehören Interpretationen ja nicht hinein).
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18062

Beitrag TomS Verfasst am: 13. März 2020 12:17    Titel: Antworten mit Zitat

Der Text der Uni Magdeburg müsste natürlich noch in einen entsprechenden Kontext gestellt werden. Es ist schon ein Unterschied, ob man über die spezielle Relativitätstheorie oder die relativistische Quantenfeldtheorie redet ;-)

Als realistische Interpretation der Quantenmechanik kommt noch Broglie-Bohm in Frage, wobei dieser Ansatz sehr künstlich his nicht mehr durchhaltbar erscheint, sobald man über nicht-relativistische Quantenmechanik hinausgeht.

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dcba
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Beitrag dcba Verfasst am: 13. März 2020 12:33    Titel: Antworten mit Zitat

Hallo TomS,

ich glaube, der Text war tatsächlich im Bezug zur speziellen Relativitätstheorie. Heißt das also, dass ich Kausalität speziell immer im Kontext zu einer Theorie (klass. Physik, Relativitätstheorie, Quantenphysik usw.) betrachten muss?

Das gibt mir aber auch irgendwie das Gefühl, ich müsste bei der jeweiligen Theorie entscheiden, ob ich sie realistisch und instrumentalistisch interpretiere. Dachte eig. immer, wenn ich mich für eine der beiden Sichtweisen entscheide, bezieht sich diese auf die gesamte Physik?
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18062

Beitrag TomS Verfasst am: 13. März 2020 13:09    Titel: Antworten mit Zitat

Es geht darum, dass die RT in klassischen Kategorien denkt. Ob Newton oder Einstein ist eigtl. ziemlich egal.
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index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 13. März 2020 13:53    Titel: Antworten mit Zitat

dcba hat Folgendes geschrieben:

So, wie ich es meinte, bringe ich zwei Phänomene in Verbindung miteinander, indem ich sage, Phänomen 1 (P1) hat Phänomen 2 (P2) verursacht, denn wenn P1 nicht zeitlich vor P2 auftritt, passiert P2 auch nicht.

[...]

Wenn P1 eine andere Startbeschleunigung hat (die Kugel), kann ich berechnen, dass es bei P2 keinen Bruch (vom Stein) gibt. Dabei dient die Physik für mich nur als Werkzeug, die Interpretation bezüglich Kausalität ist kein Bestandteil der Physik mehr (wird hier sicher an der zeitlichen Abfolge der Ereignisse festgemacht).


Das funktioniert doch nicht. Woher weißt du, daß nicht irgendein anderes Ereginis sowohl P1 verursacht als auch kurze Zeit später P2? Die ganze Statistik ist voll von falschen Korrelationen. Diese zu entlarven ist nicht gerade trivial. Dafür reicht auch keine einfache Beobachtung von Fakten aus. Du benötigst dafür zumindest kontrollierte Experimente. (Auch die führen aber möglicherweise nicht zu einem eindeutigen Ergebnis.) Ohne physikalische Theorie, die dir einen Zusammenhang mit möglichen Confoundern und Collidern liefert, weißt du aber nicht mal, welche Variablen du überhaupt kontrollieren mußt, bzw. darfst.

So wie du es hier beschreibst ist deine Behauptung eines Kausalzusammenhanges rein willkürlich ohne theoretischen Anhaltspunkt. In Wahrheit kommen solche Zusammenhänge immer aus wissenschaftlichen Hypothesen.

Zitat:

Ich zitiere hier mal von der Homepage der Uni Magdeburg:
"Wir sagen, dass zwischen zwei Ereignissen A und B (wobei Ereignisse jetzt zeitlich lokalisierte Vorgänge sind) ein Kausalzusammenhang besteht, wenn die Verhinderung eines der Ereignisse, nehmen wir an, dies sei A, zur Folge hat, dass auch das andere, in unserem Fall also B, nicht stattfindet. Wir nennen dann A (eine) *Ursache* von B. (B kann natürlich auch mehrere Ursachen haben.) Als *Kausalprinzip* bezeichnen wir dann die Asymmetrie der Beziehung zwischen A und B: wenn A Ursache von B ist, kann B nicht Ursache von A sein. Die Verhinderung von B würde auf A keinen Einfluss haben. B nennt man *Wirkung*. "


Beachte doch mal wie schön zirkulär das ganze ist: A ist Ursache von B, wenn nicht-B die Folge von nicht-A ist. Woher soll ich wissen, welche "Folgen" die Verhinderung von A hat, wenn ich noch nicht weiß in welchem Kausalzusammenhang A zu irgendwelchen anderen Ereignissen steht?

Solche Allgemeinplätze über Kausalität bringen einen nicht weit. Man benötigt eigentlich immer konkrete kausale Modelle.

Zitat:

Gibt es eigentlich auch realistische Interpretationen der Quantenmechanik, die nicht auf "Viele Welten" hinauslaufen?


Zum Glück ja. Eigentlich ist es auch überraschend einfach solche Interpretationen zu konstruieren. (Es gibt allerdings eine Hürde, das sogenannte EPR-Kriterium, über die m.E. auch die MWI nicht hinwegkommt. Aber die Relevanz dieses Kriteriums ist nicht unumstritten.) Man muß auch nicht mal verborgene Parameter annehmen wie Bohm. Es reicht einfach Größen zu identifizieren, über die die QM eindeutige deterministische Aussagen macht. Diese Größen nennt man die objektiven Eigenschaften eines System (Teilchen oder Feld). Geeignete Beispiele für solche Größen liefert das Ehrenfestsche Theorem. Damit kommt man an eine Abbildung zwischen Modell und Realität, die ungefähr der der klassischen Physik entspricht, allerdings im Gegensatz zu dieser nach dem EPR-Kriterium unvollständig ist.
dcba
Gast





Beitrag dcba Verfasst am: 13. März 2020 15:23    Titel: Antworten mit Zitat

Zitat:
So wie du es hier beschreibst ist deine Behauptung eines Kausalzusammenhanges rein willkürlich ohne theoretischen Anhaltspunkt. In Wahrheit kommen solche Zusammenhänge immer aus wissenschaftlichen Hypothesen.


Hallo index,
ich weiß, das war ein schlechts Beispiel. Mir geht es gerade eigentlich nur darum zu sagen, dass die Entdeckung von kausalen Zusammenhängen doch eigentlich unabhängig von entsprechenden Interpretationen sind, die Philosophen über diese Wissenschaft anstellen. Wenn in einer Naturwissenschaft ein solcher kausaler Zusammenhang in einer bestimmten Sachlage aufgedeckt wird, dann wird doch gar keine philosophische Interpretation dazu benötigt. Naturwissenschaft sind doch objektiv (sollten sie zumindest sein).

Vielleicht sprechen wir auch bei manchen Dingen aneinander vorbei. Ich selbst komme aus dem ingenieurwiss. Bereich; dort habe ich es noch nie erlebt, dass jemand eine phy. Gleichung irgendwie interpretiert hat. Hauptsache das, was irgendwann bei raus kommt, funktioniert. smile

Zitat:
Solche Allgemeinplätze über Kausalität bringen einen nicht weit. Man benötigt eigentlich immer konkrete kausale Modelle.

Hast Du eins parat? Dann würde ich das mal für mich nachschlagen.

Zitat:
Zum Glück ja. Eigentlich ist es auch überraschend einfach solche Interpretationen zu konstruieren.

Cool, wie heißt denn die Interpretation (falls sie einen Namen hat)?
Qubit



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Beitrag Qubit Verfasst am: 13. März 2020 15:25    Titel: Antworten mit Zitat

dcba hat Folgendes geschrieben:

Das gibt mir aber auch irgendwie das Gefühl, ich müsste bei der jeweiligen Theorie entscheiden, ob ich sie realistisch und instrumentalistisch interpretiere. Dachte eig. immer, wenn ich mich für eine der beiden Sichtweisen entscheide, bezieht sich diese auf die gesamte Physik?


Wenn man genauer darüber nachdenkt, legt jede Realwissenschaft auch Realität durch Theorien fest, explizit oder implizit.
Was sagen physikalische Theorien zu:
Was ist Masse? Was ist Kraft? Was ist Ladung? Was sind (zB elem.) Felder? Was ist Raum? Was ist Zeit? etc.
Wie ist der Zusammenhang, was ist ein Naturgesetz? Bei Newton ist Kraft (immer) Ursache von Beschleunigungen, F=m*a? etc.
TomS
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Beitrag TomS Verfasst am: 13. März 2020 16:24    Titel: Antworten mit Zitat

dcba hat Folgendes geschrieben:
Mir geht es gerade eigentlich nur darum zu sagen, dass die Entdeckung von kausalen Zusammenhängen doch eigentlich unabhängig von entsprechenden Interpretationen sind, die Philosophen über diese Wissenschaft anstellen.

Sicher nicht.

Nochmal das Beispiel der Kernspaltung:
1) realistisch gesprochen streut ein Neutron an einem U-235 und spaltet diesen (manchmal, manchmal auch nicht)
2) bei präziser Präparation „wissen wir“, dass da ein Neutron und ein U-235 sind; wir „sehen“ im Detektor ein Spaltprodukt (manchmal, manchmal auch nicht)
3) wir berechnen die unitäre Zeitentwicklung bzw. die S-Matrix

Für (1) und (2) fällt eine kausale Interpretation schwer, während die stochastische und damit nicht streng kausale auf der Hand liegt. Mit „nicht streng kausal“ meine ich, dass wir lediglich sagen können, dass ohne Neutron sicher keine Spaltung stattfindet, mit Neutron mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit.

Für (3) ist die „Kausalität“ streng gegeben.

Nun können wir uns jedoch bzgl. der Interpretation anders entscheiden und der Everettschen Idee folgen. Dann interpretieren wir die selbe Theorie realistisch und kausal.

dcba hat Folgendes geschrieben:
Wenn in einer Naturwissenschaft ein solcher kausaler Zusammenhang in einer bestimmten Sachlage aufgedeckt wird, dann wird doch gar keine philosophische Interpretation dazu benötigt.

Es werden nie kausale Zusammenhänge entdeckt!

Beobachtet, gemessen und entdeckt werden Korrelationen wie „wenn Phänomen A, dann Phänomen B“ oder „wenn Phänomen A, dann mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit Phänomen B“.

Ein mathematisches und kausales Modell kann dann u.a. die Hypothese ermöglichen, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen realem Ereignis A und realem Ereignis B besteht (wir haben gesehen, dass im Rahmen der Quantenmechanik ein und das selbe Modell diesbzgl. verschiedene Hypothesen zulässt).

Eine testbare Hypothese im engeren Sinne bewegt sich jedoch auf der Ebene der Phänomene, auch wenn sie sprachlich zumeist „realistisch“ formuliert wird. Auch ein Positivist wie Hawking sprach im Falle des nach ihm benannten Effektes von Photonen, obwohl er letztlich nur über die Temperaturmessung hätte reden dürfen.

dcba hat Folgendes geschrieben:
Naturwissenschaft sind doch objektiv.

Sind die auch, jedoch nur in einem bestimmten Sinn.

dcba hat Folgendes geschrieben:
Ich selbst komme aus dem ingenieurwiss. Bereich; dort habe ich es noch nie erlebt, dass jemand eine phy. Gleichung irgendwie interpretiert hat. Hauptsache das, was irgendwann bei raus kommt, funktioniert. :)

Ob du‘s glaubst oder nicht, genau das ist die Herangehensweise von vielen Physikern. Sie berechnen z.B. Materialeigenschaften mittels der Quantenmechanik, und unterpretieren diese liebsten gar nicht.

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dcba
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Beitrag dcba Verfasst am: 13. März 2020 16:58    Titel: Antworten mit Zitat

Hallo TomS

Zitat:

Für (1) und (2) fällt eine kausale Interpretation schwer, während die stochastische und damit nicht streng kausale auf der Hand liegt. Mit „nicht streng kausal“ meine ich, dass wir lediglich sagen können, dass ohne Neutron sicher keine Spaltung stattfindet, mit Neutron mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit.


So etwas wollte ich auch die ganze Zeit mit meinem Kugel -Stein Beispiel zum Ausdruck bringen. Dort können wir ja sagen, dass ohne Kugelfall der Stein heil bleibt. Ob der Stein bricht, hängt ja von der Kugelmasse, Beschleunigung usw. ab (egal ob realistisch oder instr.). Wie heißt so etwas denn, "schwache Kausalität"? In der klassischen Physik können wir ja schon vollständige Aussagen treffen, hier ist ja alles determiniert.

Zitat:
Für (3) ist die „Kausalität“ streng gegeben.


Inwiefern ist für eine Berechnung eine Kausalität streng gegeben? Weil durch die Mathematik das Ergebnis eindeutik festgelegt ist?

Habe das Gefühl, dass viele Leute im ingenieurwissenschaftlichen Umfeld viel zu inflationär mit Begriffen wie Kausalität umgehen.....
TomS
Moderator


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Beitrag TomS Verfasst am: 13. März 2020 17:26    Titel: Antworten mit Zitat

dcba hat Folgendes geschrieben:
So etwas wollte ich auch die ganze Zeit mit meinem Kugel -Stein Beispiel zum Ausdruck bringen. Dort können wir ja sagen, dass ohne Kugelfall der Stein heil bleibt.

Du verstehst immer noch nicht, dass es ein Unterschied ist, ob wir über die Objekte reden, oder über die Phänomene, in denen sie die Objekte zeigen (und auch letzteres beinhaltet schon die metaphysische Zusatzannahme der Existenz der Objekte überhaupt)

dcba hat Folgendes geschrieben:
In der klassischen Physik können wir ja schon vollständige Aussagen treffen, hier ist ja alles determiniert.

Ist das so?

Wir beobachten eine Korrelation der Phänomene, nicht jedoch eine Kausalität zwischen Objekten. Letzteres ist eine metaphysische Hypothese. Bereits David Hume (18. Jahrhundert) argumentiert da sehr präzise. Nur weil es „common Sense“ und widerspruchsfrei ist, ist es noch lange nicht erwiesen.

Und wenn es so wäre, dann wäre gänzlich unverständlich, wie die klassische Physik aus der Quantenmechanik hervorgehen sollte.

dcba hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Für (3) ist die „Kausalität“ streng gegeben.


Inwiefern ist für eine Berechnung eine Kausalität streng gegeben? Weil durch die Mathematik das Ergebnis eindeutik festgelegt ist?

Wenn ich Anfangsbedingung für ein mathematisches Problem der klassischen oder der Quantenmechanik formuliere, dann kann ich exakt berechnen, wie sich diese zeitlich entwickeln. Und wenn ich sie in einem bestimmten Bereich zu einem bestimmten Zeitpunkt ändere, dann kann ich exakt die sich daraus ergebenden Veränderungen in einem anderen Bereich zu einem späteren Zeitpunkt ableiten. Insofern verursacht die erste Veränderung kausal die zweite Veränderung.

Das ist exakt das, was Kausalität besagt. Die Frage ist nur, auf welcher der Ebenen (1 - 3) sie gilt.

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Beitrag index_razor Verfasst am: 14. März 2020 09:30    Titel: Antworten mit Zitat

dcba hat Folgendes geschrieben:

ich weiß, das war ein schlechts Beispiel.


Ich habe nicht das Beispiel kritisiert, sondern das generelle Argument.

Zitat:

Mir geht es gerade eigentlich nur darum zu sagen, dass die Entdeckung von kausalen Zusammenhängen doch eigentlich unabhängig von entsprechenden Interpretationen sind, die Philosophen über diese Wissenschaft anstellen.


Hast du nicht gerade das Gegenteil behauptet? Ich meine hier (meine Hervorhebung):

dcba hat Folgendes geschrieben:
Dabei dient die Physik für mich nur als Werkzeug, die Interpretation bezüglich Kausalität ist kein Bestandteil der Physik mehr (wird hier sicher an der zeitlichen Abfolge der Ereignisse festgemacht).


Wie paßt das zusammen?

Zitat:

Wenn in einer Naturwissenschaft ein solcher kausaler Zusammenhang in einer bestimmten Sachlage aufgedeckt wird, dann wird doch gar keine philosophische Interpretation dazu benötigt. Naturwissenschaft sind doch objektiv (sollten sie zumindest sein).


Woraus, d.h. aus welcher Beobachtung, folgt, daß es sich um Kausalzusammenhänge handelt? Vielleicht wurde nur eine nützliche Korrelation aufgedeckt. Dem seriösen Instrumentalisten ist der Unterschied doch völlig egal.

Zitat:

Vielleicht sprechen wir auch bei manchen Dingen aneinander vorbei. Ich selbst komme aus dem ingenieurwiss. Bereich; dort habe ich es noch nie erlebt, dass jemand eine phy. Gleichung irgendwie interpretiert hat. Hauptsache das, was irgendwann bei raus kommt, funktioniert. smile


Und was genau hat dieses "funktionieren" mit Kausalität zu tun? Darum geht es doch. Ich behaupte die ganze Zeit es hat nichts miteinander zu tun.

Zitat:

Zitat:
Solche Allgemeinplätze über Kausalität bringen einen nicht weit. Man benötigt eigentlich immer konkrete kausale Modelle.

Hast Du eins parat? Dann würde ich das mal für mich nachschlagen.


Ich weiß nicht genau was du meinst. Was möchtest du nachschlagen? Ein kausales Modell für das Zweikörperproblem wäre z.B. Positionen -> Kraft -> Beschleunigungen. (Passiert natürlich alles gleichzeitig, deswegen macht es keinen großen Unterschied und man kann auch ohne erkennbare Schwierigkeit die etwas unnatürlicheren Kausalzusammenhänge aus meinem vorigen Beitrag postulieren.)

Etwas interessanter wird es in der Elektrodynamik. Dort hat der Kausalzusammenhang Ladungsverteilung -> Elektromagnetisches Feld die Konsequenz, daß man nur die retardierten Felder als physikalisch akzeptabel zuläßt. Der Instrumentalist muß hier einfach behaupten, die avancierten Greensfunktionen seien für Berechnungen nutzlos. Auf Kausalität kann er sich m.E. nicht berufen. Denn das kausale Modell hat nur Einfluß auf die Lösungsmenge der Felder. Aber alle Aussagen über Felder sind sinnlos, weil es sich ohnehin um theoretische Fiktionen handelt und nicht um Aussagen über etwas reales.

Zitat:

Zitat:
Zum Glück ja. Eigentlich ist es auch überraschend einfach solche Interpretationen zu konstruieren.

Cool, wie heißt denn die Interpretation (falls sie einen Namen hat)?


Die von mir beschriebene Methode ist nach meinem bisherigen (und vielleicht vorläufigen) Verständnis der Ausgangspunkt der thermischen Interpretation  -- oder zumindest ein möglicher Zugang zu ihr --, die von Arnold Neumaier vertreten wird.  Es gibt eine Serie von Artikeln, in denen Neumaier seinen Standpunkt entwickelt.  

Man muß allerdings nicht die gesamte thermische Interpretation akzeptieren. Mein Punkt war ja nur, daß dieser Ansatz nichts schlechteres liefert als die MWI.
TomS
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Beitrag TomS Verfasst am: 14. März 2020 10:43    Titel: Antworten mit Zitat

Absolute Zustimmung.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Etwas interessanter wird es in der Elektrodynamik. Dort hat der Kausalzusammenhang Ladungsverteilung -> Elektromagnetisches Feld die Konsequenz, daß man nur die retardierten Felder als physikalisch akzeptabel zuläßt. Der Instrumentalist muß hier einfach behaupten, die avancierten Greensfunktionen seien für Berechnungen nutzlos. Auf Kausalität kann er sich m.E. nicht berufen. Denn das kausale Modell hat nur Einfluß auf die Lösungsmenge der Felder. Aber alle Aussagen über Felder sind sinnlos, weil es sich ohnehin um theoretische Fiktionen handelt und nicht um Aussagen über etwas reales.

Sinnlos, irrelevant, unphysikalisch, ... irgendwas dergleichen.

Fakt ist jedoch, dass Instrumentalisten dennoch oft eine Sprache gebrauchen, als ob sie über reale Entitäten reden würden. Das ist natürlich der Tatsache geschuldet, dass alles andere die Darstellung extrem aufblähen würde.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Die von mir beschriebene Methode ist nach meinem bisherigen Verständnis der Ausgangspunkt der thermischen Interpretation  -- oder zumindest ein möglicher Zugang zu ihr --, die von Arnold Neumaier vertreten wird.

Sie wie ich Arnold Neumaier verstehe, sind für ihn Erwartungswerte, Korrelationsfunktionen usw. Repräsentanten der Realität. D.h. er beschränkt dies letztlich auf Messergebnisse oder im weitesten Sinn Phänomene. Die Theorie wird jedoch nicht mittels dieser Größen formuliert, sondern mittels Zuständen, Operatoren, Pfadintegralen u.ä. Diesbzgl. sagt er m.W.n. nichts.

Ich würde ihn daher ebenfalls bei den Instrumentalisten einordnen.

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Beitrag index_razor Verfasst am: 14. März 2020 12:07    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
Absolute Zustimmung.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Etwas interessanter wird es in der Elektrodynamik. Dort hat der Kausalzusammenhang Ladungsverteilung -> Elektromagnetisches Feld die Konsequenz, daß man nur die retardierten Felder als physikalisch akzeptabel zuläßt. Der Instrumentalist muß hier einfach behaupten, die avancierten Greensfunktionen seien für Berechnungen nutzlos. Auf Kausalität kann er sich m.E. nicht berufen. Denn das kausale Modell hat nur Einfluß auf die Lösungsmenge der Felder. Aber alle Aussagen über Felder sind sinnlos, weil es sich ohnehin um theoretische Fiktionen handelt und nicht um Aussagen über etwas reales.

Sinnlos, irrelevant, unphysikalisch, ... irgendwas dergleichen.


Ich meine "sinnlos" in dem Sinne, daß es sich nicht um Aussagen über irgendwas, z.B. die Realität, handelt. Das kann man auch als "unphysikalisch" bezeichnen. "Irrelevant" würde ich nicht sagen, denn ohne diese Aussagen ist ja die Theorie auch als Werkzeug nicht zu gebrauchen.

Zitat:

Fakt ist jedoch, dass Instrumentalisten dennoch oft eine Sprache gebrauchen, als ob sie über reale Entitäten reden würden. Das ist natürlich der Tatsache geschuldet, dass alles andere die Darstellung extrem aufblähen würde.


Mein Verdacht ist, daß die wenigsten, die behaupten es zu sein, wirklich seriöse Instrumentalisten sind.

Das Credo "Hauptsache die Theorie funktioniert" wird nicht deswegen vertreten, weil es solide begründet ist, sondern weil es gut klingt; so ein bißchen nach "Wir machen die ehrliche Arbeit, der Rest ist nur nutzloses Philosophengewäsch."

(Ich gebe allerdings komplette Ignoranz in Bezug auf die Argumente der von mir als "seriös" bezeichnten Instrumentalisten zu.)

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Die von mir beschriebene Methode ist nach meinem bisherigen Verständnis der Ausgangspunkt der thermischen Interpretation  -- oder zumindest ein möglicher Zugang zu ihr --, die von Arnold Neumaier vertreten wird.

Sie wie ich Arnold Neumaier verstehe, sind für ihn Erwartungswerte, Korrelationsfunktionen usw. Repräsentanten der Realität. D.h. er beschränkt dies letztlich auf Messergebnisse oder im weitesten Sinn Phänomene.


Was willst du damit sagen? Der Zustand ist auch ein Phänomen "im weitesten Sinne"; nach üblicher Definition sogar eine QM-Observable. Also gilt dieselbe Bemerkung auch für die MWI.

Es wird aber nirgendwo vorausgesetzt, daß Erwartungswerte und Korrelationsfunktionen Meßgrößen sind. Im Gegenteil, tatsächlich vermeidet er sorgfältig die Begriffe "Observable" und "Messung" in den Grundlagen der Interpretation. Es handelt sich hierbei lediglich um objektive Eigenschaften eines realen Systems. Dies sind beables und ausdrücklich nicht "observables". Die behauptete Beschränkung sehe ich deshalb nicht.

Zitat:

Die Theorie wird jedoch nicht mittels dieser Größen formuliert, sondern mittels Zuständen, Operatoren, Pfadintegralen u.ä. Diesbzgl. sagt er m.W.n. nichts.


Verstehe ich nicht. Was muß er denn darüber sagen?

Zitat:

Ich würde ihn daher ebenfalls bei den Instrumentalisten einordnen.


Das erscheint mir vollkommen verkehrt. Die sorgfältige Klärung des Verhältnisses zwischen formalem Kern der Quantenmechanik und der Realität scheint mir eines seiner Hauptanliegen zu sein. Im Zusammenhang mit "Requirements for good foundations" (Neumaier, Coherent Quantum Physics) redet er praktisch von nichts anderem.
TomS
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Beitrag TomS Verfasst am: 14. März 2020 16:39    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Mein Verdacht ist, daß die wenigsten, die behaupten es zu sein, wirklich seriöse Instrumentalisten sind.

Guter Punkt.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:

Ich würde ihn daher ebenfalls bei den Instrumentalisten einordnen.


Das erscheint mir vollkommen verkehrt. Die sorgfältige Klärung des Verhältnisses zwischen formalem Kern der Quantenmechanik und der Realität scheint mir eines seiner Hauptanliegen zu sein. Im Zusammenhang mit "Requirements for good foundations" (Neumaier, Coherent Quantum Physics) redet er praktisch von nichts anderem.

Ok, dann habe ich ihn falsch verstanden. Ich habe aber sicher auch nicht alles von ihm gelesen.

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Beitrag dcba Verfasst am: 17. März 2020 08:40    Titel: Antworten mit Zitat

Habe nochmal zwei Fragen.

Gestern habe ich zufällig von TomS in einem anderen Forum einen Beitrag gesehen (kann leider keine Verlinkung herstellen), indem er schrieb, dass eine kausale Geschlossenheit notwendig sei, um Physik zu betreiben.
Dass leuchtet mir aber gerade nicht ganz ein. Wenn ich doch instrumentalistisch gesehen gar keine Kausalität mehr annehmen darf, wie kann dann kausale Geschlossenheit eine Forderung dazu sein?

Zuletzt: kann es eigentlich irgendwelche Beweise für eine instrumentalistische oder realitische Haltung geben, oder werden es immer Hypothesen bleiben?
TomS
Moderator


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Beitrag TomS Verfasst am: 17. März 2020 14:40    Titel: Antworten mit Zitat

dcba hat Folgendes geschrieben:
Gestern habe ich zufällig von TomS in einem anderen Forum einen Beitrag gesehen, indem er schrieb, dass eine kausale Geschlossenheit notwendig sei, um Physik zu betreiben.

Ich kann mich dunkel an diese Diskussion erinnern. Das war eine ziemlich abgefahrene Sache, die außerhalb des dort relevanten Kontextes wohl keine Rolle spielt.

Am besten ignorieren.

dcba hat Folgendes geschrieben:
Kann es eigentlich irgendwelche Beweise für eine instrumentalistische oder realistische Haltung geben, oder werden es immer Hypothesen bleiben?

Beweise welcher Art?

In der Mathematik ist ein Beweis eine logisch / formal korrekte Schlussfolgerung von unbewiesenen Axiomen auf ein Theorem, oder ausgehend von bereits bewiesenen Theoremen auf ein weiteres Theorem (die bewiesenen Theoremen lasen sich letztlich auf die unbewiesenen Axiome zurückführen). In diesem Sinne ist die realistische Haltung eher kein Theorem sondern ein Axiom.

In der Physik im engeren Sinne gibt es keine Beweise, lediglich experimentell überprüfbare Hypothesen. Zum Beispiel sagt ein mathematisches Modell für bestimmte Anfangsbedingungen bestimmte Messwerte voraus. Man kann diese Hypothese (oder einen Satz alternativer Hypothesen) testen, d.h. Szenarien präparieren, aus denen eine Widerlegung der Hypothese folgen könnte; wenn dies jedoch nicht der Fall ist, die experimentelle Falsifikation also scheitert wird die Hypothese bestärkt. Ein kohärente Menge von Postulaten und einigen wenigen mathematischen Grundlagen plus daraus folgenden, jeweils nicht falsifizierten, Hypothesen, nennt man dann eine Theorie (Beispiel: spezielle Relativitätstheorie). In diesem Sinne sind Instrumentalismus, Realismus etc. keine Hypothesen, Modelle oder Theorien, sondern metaphysische Haltungen.

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Zuletzt bearbeitet von TomS am 18. März 2020 11:23, insgesamt einmal bearbeitet
dcba
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Beitrag dcba Verfasst am: 18. März 2020 09:12    Titel: Antworten mit Zitat

Hallo TomS,

leuchtet ein.
Hatte gestern die "kausale Geschlossenheit" mal nachgeschlagen, scheint sich meist auf Diskussionen im Bereich des Mentalen zu Beziehen. Dort wird halt angenommen oder abgelehnt, dass mentales auf etwas physisches einwirken könnte (bezieht sich auf Diskussionen, in dem der menschliche Geist als etwas eigenständiges, nicht physikalisches aufgefasst wird).
Dies scheint mir dann aber auch eine metaphysische Haltung zu sein, nichts falsifizierbares. Wenn man nun die kausale Geschlossenheit in dieser Hinsicht ablehnt (also die Haltung einnimmt, das nicht physikalisches auf physikalisches einwirken kann), dann sollte man doch trotzdem Physik zumindest mit instrumentalistischer Haltung betreiben können, oder sehe ich das falsch?
Bin selbst im Bezug auf diese Diskussionen rund um das Mentale relativ agnostisch, aber diese Frage im Bezug zur Physik kam mir dann noch auf.

smile
TomS
Moderator


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Beiträge: 18062

Beitrag TomS Verfasst am: 18. März 2020 11:33    Titel: Antworten mit Zitat

dcba hat Folgendes geschrieben:
Hatte gestern die "kausale Geschlossenheit" mal nachgeschlagen, scheint sich meist auf Diskussionen im Bereich des Mentalen zu Beziehen. Dort wird halt angenommen oder abgelehnt, dass mentales auf etwas physisches einwirken könnte (bezieht sich auf Diskussionen, in dem der menschliche Geist als etwas eigenständiges, nicht physikalisches aufgefasst wird).
Dies scheint mir dann aber auch eine metaphysische Haltung zu sein, nichts falsifizierbares.

Ist nicht falsifizierbar, deswegen jedoch nicht unbedingt metaphysisch.

dcba hat Folgendes geschrieben:
Wenn man nun die kausale Geschlossenheit in dieser Hinsicht ablehnt (also die Haltung einnimmt, das nicht physikalisches auf physikalisches einwirken kann), dann sollte man doch trotzdem Physik zumindest mit instrumentalistischer Haltung betreiben können, oder sehe ich das falsch?

Wenn man instrumentalistisch so auffasst, dass bestimmte Meta-Probleme ausgeblendet werden, dann sicher.

Auch andere Haltungen sind in Summe betrachtet heikel. Wenn die Welt vollständig physikalisch und zugleich vollständig deterministisch ist - der Traum des Hardcore-Physikers - ist dies dann testbar? Betreibe ich überhaupt noch Physik, wenn das, was ich jetzt tue, seit Anbeginn exakt determiniert war? Sollte ich dann nicht einfach aufhören?

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dcba
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Beitrag dcba Verfasst am: 18. März 2020 12:04    Titel: Antworten mit Zitat

Zitat:
Ist nicht falsifizierbar, deswegen jedoch nicht unbedingt metaphysisch.

Hmn ok, aber warum nicht metaphysisch? Wenn ich nach solchen Dingen suche, ist es eig. immer unter Metaphysik/Philosophie gelistet.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18062

Beitrag TomS Verfasst am: 18. März 2020 12:26    Titel: Antworten mit Zitat

Ich kann doch eine Hypothese ausschließlich im physikalischen Kontext formulieren, ohne dass sie testbar ist.
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dcba
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Beitrag dcba Verfasst am: 18. März 2020 13:18    Titel: Antworten mit Zitat

Ja stimmt,

ob sie dann allerdings zutrifft, wird man nicht wissen.
Qubit



Anmeldungsdatum: 17.10.2019
Beiträge: 829

Beitrag Qubit Verfasst am: 18. März 2020 13:40    Titel: Antworten mit Zitat

BRECHT, Turandot oder der
Kongreß der Weißwascher, in Stücke, Bd 14: 36. hat Folgendes geschrieben:

DER LEHRER: Si Fu, nenne uns die Hauptfragen der Philosophie.

SI FU: Sind die Dinge außer uns, für sich, auch ohne uns, oder sind die Dinge in uns, für uns,
nicht ohne uns.

DER LEHRER: Welche Meinung ist die richtige?

SI FU: Es ist keine Entscheidung gefallen.

DER LEHRER: Zu welcher Meinung neigte zuletzt die Mehrheit unserer Philosophen?

SI FU: Die Dinge sind außer uns, für sich, auch ohne uns.

DER LEHRER: Warum blieb die Frage ungelöst?

SI FU: Der Kongreß, der die Entscheidung bringen sollte, fand wie seit zweihundert Jahren, im Kloster Mi Sang statt, welches am Ufer des Gelben Flusses liegt.
Die Frage hieß: Ist der Gelbe Fluß wirklich, oder existiert er nur in den Köpfen?
Während des Kongresses aber gab es eine Schneeschmelze im Gebirge, und der Gelbe Fluß stieg über seine Ufer und schwemmte das Kloster Mi Sang mit allen Kongreßteilnehmern weg.
So ist der Beweis, daß die Dinge außer uns, für sich, auch ohne uns sind, nicht erbracht worden
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18062

Beitrag TomS Verfasst am: 18. März 2020 14:00    Titel: Antworten mit Zitat

Immer wieder passend Thumbs up!
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dcba
Gast





Beitrag dcba Verfasst am: 01. Apr 2020 11:41    Titel: Antworten mit Zitat

Hallo zusammen,

ich habe nochmal eine Frage zu dem Thema.
Und zwar: Habe mich neulich nochmal zu diesem Thema belesen. Auf Wikipedia stand folgendes:
"Dem Instrumentalismus zufolge sind die Hypothesen und die theoretischen Gesetze einer Theorie weder wahr noch falsch (wie etwa vom Realismus behauptet), sondern dienen lediglich dazu, eine empirische Adäquatheit der Folgerungen aus den Prämissen einer Theorie herzustellen. "

Dies verstehe ich nicht so ganz. Dass die Strukturen bzw. Entitäten, die im Formalismus vorkommen, als weder wahr noch falsch angesehen werden, ist mir verständlich. Aber ganze Theorien bzw. Hypothesen einer Theorie sind doch klar falsifizierbar, indem sie halt nicht mit den experimentellen Befunden übereinstimmen!?! Beim deduktiven Falsifikationsprinzip geht es doch um eine Methode, die metaphysische Haltung bezüglich der Ontologie des Formalismus spielt doch hier keine Rolle?

Zudem steht in dem Artikel noch, dass man über Popper folgendes schrieb:
"Den Instrumentalismus will er ausschließen, indem er eine methodologische Entscheidung darüber verlangt, welches Modell der empirischen Wahrheit am nächsten komme."

Dass Popper eher realistische Haltungen eingenommen hat, weiß ich. Aber auch hier bin ich verwundert. Die wiss. Methodik hat doch nichts mit der ontologischen Haltung bezüglich des Formalismus der Theorie zu tun?

Oder arbeiten Physiker mit einer instrumentalistischen Sichtweise etwa nicht nach dem Falsifikationsprinzip, dass deduktiv arbeitet? Nutzen diese etwa die unplausible induktive Methode?

Danke für eure Antworten!
dcba
Gast





Beitrag dcba Verfasst am: 02. Apr 2020 10:03    Titel: Antworten mit Zitat

Hallo,

ich konnte mir die Frage selbst beantworten.
Im Wikipedia Artikel über Popper steht zu seiner Wissenschaftstheorie:
"Metaphysische Fragen wie z. B., ob es überhaupt eine reale Außenwelt gibt, auf die sich die Naturwissenschaft mit ihren Theorien und Basissätzen bezieht, ließ er anfänglich bewusst offen. Er betonte, dass sein Ansatz allein methodologischer Art sei und keineswegs metaphysische Annahmen voraussetzen müsse."

Somit ist Popper sein wiss. Programm rein methodologisch.

Und bei den restlichen zitierten Aussagen weiß ich ja leider nicht, in welchem Zusammenhang diese getätigt wurden. Ich gehe mal davon aus, dass es sich auf die meisten Strukturen und Entitäten des math. Formalismus bezieht, andernfalls wäre es doch merkwürdig. Denn dort weiß ich ja bei wirklich nicht, ob sie wahr oder falsch sind.
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