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Präzession d. Kreisels - wieso funktioniert's?
 
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MrPSI
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Beitrag MrPSI Verfasst am: 29. Dez 2006 22:11    Titel: Präzession d. Kreisels - wieso funktioniert's? Antworten mit Zitat

N'Abend.

Die Präzession des Kreisels wird ja im Groben so erklärt: durch die kippende Kraft, die auf den Kreisel wirkt, entsteht ein Drehmoment im rechten Winkel zur Kraft und zum Abstand zwischen Schwerpunkt und Boden (dieser Abstand dient ja als Hebelarm der kippenden Kraft). Durch dieses Drehmoment findet eine Drehimpulsänderung in die Richtung des kippenden Drehmomentes statt und dadurch wiederum ändert sich die Richtung der Geschwindigkeit der Kreiselteilchen, wodurch dann der Kreisel eine Ausweichbewegung senkrecht zur kippenden Kraft vollführt.

Was mich nun verwirrt ist nicht die Erklärung selber, sondern die Tatsache, dass sie funktioniert und richtige Vorraussagen/Ergebnisse liefert. Die ganze Erklärung baut ja auf den Definitionen auf, dass die Richtungen von Drehmoment und -impuls Kreuzprodukte sind, die normal auf den Hebelarm und der Kraft (bzw. dem Impuls) stehen. Doch diese Definitionen sind mMn absolut willkürlich, d.h. nicht wirklichkeitsnah. Woher soll man denn wissen, in welche Richtung das Drehmoment in Wirklichkeit zeigt?
Wie können die Erklärungen, die auf diesen Definitionen aufbauen, dennoch richtige Ergebnisse liefern?

Wenn ich bspw. einen Block anschiebe, so finde ich es einleuchttend, dass die Richtung der von mir aufgewendeten Kraft der Schieberichtung entspricht. Und weil die Definition der Kraftrichtung aus der Wirklichkeit entnommen ist, finde ich es auch einsichtig, mit der Kraft als Vektor rechnen zu können und dabei wirklichkeitsnahe Ergebnisse zu liefern.

Aber die Definition, dass die Richtung des Drehmoments normal zu Hebelarm und Kraft ist, finde ich nicht wirklichkeitsnah, weshalb ich mich frage, wieso die darauf aufbauenden Erklärunen funktionieren.

Ich wäre wirklich froh, wenn mir jemand, der dahinter gekommen ist, wieso -wie soll ich sagen- der mathematische Formalismus funktioniert, das erklären kann.
dermarkus
Administrator


Anmeldungsdatum: 12.01.2006
Beiträge: 14788

Beitrag dermarkus Verfasst am: 30. Dez 2006 02:07    Titel: Antworten mit Zitat

Am besten hilft dir da sicher zuallererst weiter, wenn du das mal selbst an einem schönen schweren Kreisel ausprobieren kannst. (Im deutschen Museum in München steht zum Beispiel ein schöner großer, beweglich gelagerter Kreisel zum Selbstexperimentieren.)

Und am zweitbesten dürfte dir ein Video helfen, das zeigt, was passiert, wenn man eine Kraft auf einen kreiselnden Kreisel ausübt: Dann dreht sich der Kreisel nämlich tatsächlich und verblüffenderweise in eine ganz andere Richtung als in die Kraftrichtung weg :

http://www.physik.uni-wuerzburg.de/physikonline/video1/m6_starrerk/m2versuch5.html

Was du oben als Definition bezeichnet hast, beruht also schlicht auf experimenteller Beobachtung.
MrPSI
Gast





Beitrag MrPSI Verfasst am: 30. Dez 2006 10:16    Titel: Antworten mit Zitat

Wenn die Angabe der Richtung aus einer experimentellen Beobachtung heraus entstanden ist, dann hat sich meine Sorge darum erledigt.
Danke smile

Aber was ich noch nirgends gelesene habe, ist, ob der Kreisel umkippt oder nicht. Ich habe leider keinen Kreisel, mit dem ich das probieren könnte.
Wenn man von einem normalen Kreisel, der auf einer Grundlage steht, ausgeht, dann kippt er mMn um, weil auch wenn der Kreisel eine Ausweichbewegung macht, wirkt ja trotzdem eine kippende Kraft (z.B. Schwerkraft) auf ihn ein, was schliesslich zu einer spiralförmigen Abwärtsbewegung führt.

Aber was macht der Kreisel nun wirklich: kippt er um? Und wenn nein, warum nicht?
dermarkus
Administrator


Anmeldungsdatum: 12.01.2006
Beiträge: 14788

Beitrag dermarkus Verfasst am: 30. Dez 2006 13:04    Titel: Antworten mit Zitat

Wenn sich der Kreisel nicht dreht, dann kippt er einfach um.

Wenn sich der Kreisel aber dreht, und wenn er nicht durch Reibung abgebremst wird, dann kippt er gar nicht um. Denn die Gewichtskraft, die an ihm zieht, bewirkt eine Bewegung des sich drehenden Kreisels senkrecht zu dieser Kraft (und nicht etwa ein Umkippen in Richtung der Gewichtskraft!), dadurch ergibt sich eine Präzessionsbewegung des Kreisels.

Wenn man allerdings die Rotation eines Kreisels durch Reibung abbremst, verändert sich der Neigungswinkel seiner Achse. Und wenn die Rotation des Kreisels durch Reibung weit genug abgebremst wurde, kippt er um. Für das Umkippen benötigt man also Reibung.
MrPSI
Gast





Beitrag MrPSI Verfasst am: 30. Dez 2006 14:17    Titel: Antworten mit Zitat

Zitat:

Denn die Gewichtskraft, die an ihm zieht, bewirkt eine Bewegung des sich drehenden Kreisels senkrecht zu dieser Kraft (und nicht etwa ein Umkippen in Richtung der Gewichtskraft!), dadurch ergibt sich eine Präzessionsbewegung des Kreisels.

Dann stellt sich mir aber die Frage, wieso unterschiedlich starke Kräfte eine unterschiedlich starke Auslenkung bewirken. Man kann als Beispiel das von dir verlinkte Video nehmen: bei dem grösseren Gewicht, wurde der Kreisel stärker heruntergezogen.

Aber ich denke mir, dass wenn schon bei der geringsten Krafteinwirkung eine Präzessionsbewegung einsetzt und somit die weitere Kippbewegung der Kraft verhindert wird, dann dürfte bei einem grösseren Gewicht keine stärkere Auslenkung eintreten, weil diese ja sofort bei der Kraftwirkung durch die Präzession vermieden wird.

Aber da die experimentellen Tatsachen dagegen sprechen, frag ich mich, was ich da nur übersehen hab... grübelnd
dermarkus
Administrator


Anmeldungsdatum: 12.01.2006
Beiträge: 14788

Beitrag dermarkus Verfasst am: 30. Dez 2006 14:56    Titel: Antworten mit Zitat

Ich glaube, da hast du in dem Video etwas anderes, zusätzliches entdeckt. Hier musst du zwei Effekte unterscheiden:

Zunächst einmal siehst du in dem Experiment-Video, dass der Kreisel mit konstanter Geschwindigkeit auf konstanter Höhe präzediert, wenn eine gleichmäßige Kraft (die Gewichtskraft des angehängten Gewichts) an ihm zieht. Durch den Vergleich des schweren und leichten Gewichtes siehst du, dass diese Präzession schneller erfolgt, wenn die Kraft stärker ist.

Wenn du genau hinschaust, dann siehst du, dass dem Kreisel beim Dranhängen der Gewichte jeweils ein kleiner Stoß versetzt wurde, und dass der Kreisel infolgedessen zusätzlich zu seiner Präzessionsbewegung eine kleine Wackelbewegung (eine sogenannte Nutation) durchführt. Die Amplitude dieser Nutation ist umso größer, je größer der Stoß ist. Und der Stoß wird natürlich größer, je größer das Gewicht ist und je plötzlicher man es an den Kreisel hängt.

----------------------

Also:

Unterschiedlich große Kräfte bewirken unterschiedliche Präzessionsgeschwindigkeiten. Der Neigungswinkel des Kreisel hängt nicht von der Stärke der Kraft ab, sondern bleibt (im Fall ohne Reibung und Nutation) gleich dem Neigungswinkel am Anfang der Bewegung. Im Fall ohne Reibung, aber mit Nutation bleibt der mittlere Neigungswinkel (also die Höhe des Punktes, um den der Kreisel nutiert) konstant.

Nebeneffekt:

Unterschiedlich große Kraftstöße bewirken unterschiedlich große Nutationsamplituden
MrPSI
Gast





Beitrag MrPSI Verfasst am: 30. Dez 2006 15:45    Titel: Antworten mit Zitat

Ok, der Neigungswinkel des rotierenden Kreisels bleibt aufgrund der Präzession konstant, solange kein Stoss auf den Kreisel einwirkt.

Aber es bleibt trotzdem noch die Frage offen, wieso der Kreisel durch den Stoss seinen Neigungswinkel verändert. Wieso reagiert der Kreisel auf die plötzliche Kraftwirkung nicht mit einer ruckartigen Beschleunigung der Präzessionsgeschwindigkeit? Dass der Kreisel eine erhöhte Präzessionsgeschwindigkeit hat, ist ersichtlich, aber wieso lässt es der Kreisel zu, dass sich sein Neigungswinkel verändert? Das ist doch genau das, was die Präzession "verhindern" will. Ich finde es ein wenig merkwürdig, dass die Präzession und Änderung des Neigungswinkels, die ja eigentlich durch die Präzession verhindert wird, gleichzeitig auftreten.
dermarkus
Administrator


Anmeldungsdatum: 12.01.2006
Beiträge: 14788

Beitrag dermarkus Verfasst am: 30. Dez 2006 16:12    Titel: Antworten mit Zitat

Vielleicht hilft da vor allem die Unterscheidung zwischen Drehachse und Figurenachse:

Durch den Stoß ändert sich die Figurenachse des Kreisels, nicht aber seine Drehachse. (Daher kreiselt nun bei der anschließenden Nutation die Figurenachse des Kreisels um seine Drehachse.)

Ich würde sagen, wenn der Stoß zu plötzlich ist, dann kann die Drehachse diesem Stoß nicht folgen (Vielleicht, weil die Krafteinwirkung des Stoßes plötzlicher erfolgt, als es die Drehung des Kreisels in eine Präzession der Drehachse umsetzen kann?), und so kann der Kreisel in eine Position gezwungen werden, in der die Figurenachse nicht mehr gleich der Drehachse ist.
MrPSI
Gast





Beitrag MrPSI Verfasst am: 31. Dez 2006 00:43    Titel: Antworten mit Zitat

Du meinst also, dass der Kreisel eine gewisse Zeit braucht, bis er auf die Kraft reagieren kann?
Die Vorstellung, dass Naturgesetze eine gewisse "Reaktionszeit" brauchen, find ich ein bisschen merkwürdig, aber angesichts der experimentellen Fakten werde ich das wohl akzeptieren müssen.

Jedenfalls bedanke ich mich für deine Geduld und Hilfe und wünsche dir noch einen guten Rutsch im neuen Jahr. Prost
dermarkus
Administrator


Anmeldungsdatum: 12.01.2006
Beiträge: 14788

Beitrag dermarkus Verfasst am: 01. Jan 2007 12:06    Titel: Antworten mit Zitat

MrPSI hat Folgendes geschrieben:
Du meinst also, dass der Kreisel eine gewisse Zeit braucht, bis er auf die Kraft reagieren kann?

Nein, so würde ich das nicht sagen. Denn die Figurenachse des Kreisels reagiert ja immer, egal wie plötzlich der Kraftstoß ist.

Von der "Plötzlichkeit" des Kraftstoßes (also von der Stärke der wirkenden Kraft und der Wirkungsdauer dieser Kraft) hängt nur ab, ob die Figurenachse des Kreisels der Drehimpulsachse des Kreisels folgen kann oder nicht.

Wenn sich der Kreisel schneller dreht, und wenn der Kraftstoß sanft und allmählich erfolgt, kann die Figurenachse der Drehimpulsachse eher folgen als im umgekehrten Fall eines kräftigen und kurzen Kraftstoßes und vergleichsweiser langsamer Rotation des Kreisels.
MrPSI
Gast





Beitrag MrPSI Verfasst am: 09. Jan 2007 14:25    Titel: Antworten mit Zitat

Nach langer Recherche habe ich dieses Skriptum gefunden und nach vielen Stunden glaube ich es verstanden zu haben.
Ein grosser Fehler meinerseits war zu denken, dass die Präzession normalerweise nutationsfrei ist. Doch in Wirklichkeit findet die Nutation eigentlich immer statt.
Damit haben sich meine Fragen in Luft aufgelöst.

@dermarkus: Nochmals vielen Dank für deine Zeit und Hilfe.

lg MrPSI
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