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Regeln der Quantenmechanik nach Everett => viele Welten?
 
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TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 17902

Beitrag TomS Verfasst am: 06. Aug 2018 14:48    Titel: Regeln der Quantenmechanik nach Everett => viele Welten? Antworten mit Zitat

Ich habe im FAQ-Bereich die fundamentalen Regeln der Quantenmechanik nach Everett zusammengefasst.

Dabei ist mir aufgefallen, dass ich dazu keine umfassende und aktuelle Quelle habe; stattdessen werden immer nur Teilaspekte und einige Unterschiede zur orthodoxen QM dargestellt.

Daher habe ich Regel (4) übernommen und Regel (5) selbst formuliert. Über diesbzgl. verlässliche Quellen und Tipps würde ich freuen.

Außerdem möchte ich eine diesbzgl. Diskussion anregen, jedoch bitte nicht zu den sogenannten "Vielen Welten", sondern zunächst ausschließlich zu diesen Regeln, ihrer Formulierung, ihrem mathematischen Gehalt und ihrer heute akzeptierten Fassung unter Berücksichtigung der Dekohärenz; das gilt insbs. für (5).

Natürlich lässt sich die Diskussion der Viele-Welten-Interpretation nicht vermeiden, jedoch:
- stammt dieser Begriff nicht von Everett
- hat Everett wesentlich vorsichtiger argumentiert, nämlich epistemisch statt ontologisch
- sollte der Interpretation eines Formalismus immer das Verständnis desselben vorausgehen

Dieser Thread dient der Diskussion; Korrekturen des FAQ-Beitrages arbeite ich auf Basis der Ergebnisse hier gerne ein.

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Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 17902

Beitrag TomS Verfasst am: 14. Aug 2018 09:43    Titel: Antworten mit Zitat

Evtl. ist das Thema im Sommerloch untergegangen.

Ich würde mich über konstruktive Kritik und auch kontroverse Diskussionen freuen.

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bassiks



Anmeldungsdatum: 11.08.2010
Beiträge: 194

Beitrag bassiks Verfasst am: 14. Aug 2018 11:14    Titel: Antworten mit Zitat

Ich hatte bisher nicht die Zeit das sorgfältig durchzulesen.

Erstmal finde ich die Erklärung sehr gelungen, da einfach gehalten (zum Beispiel verzichtest du auf H(t) zugunsten einer simpleren Beschreibung der Zeitentwicklung etc.). Finde das sehr angenehm da man sich auf das wesentliche konzentrieren kann.

Wie wird Punkt B. (Bornsche Regel) aus der Everett-QM motiviert/abgeleitet?
Du schreibst weiter unten: "Ansätze zur Ableitung der Bornschen Regel umstritten" und erwähnst Gleason’s Theorem. Ich würde sagen die Ableitbarkeit der Bornschen Regel ist ein zentraler Knackpunkt, denn so wird das irgendwie (einfach ausgedrückt) wieder künstlich hineingeflickt, und das finde ich nicht sehr befriedigend (ist natürlich in der Standard-QM auch nicht besser).

Beim Beispiel mit dem Photon finde ich die mathematische Beschreibung nicht voll zufriedenstellend. Der Zustand des Photons nach Reflexion bzw. Transmission ist hier meiner Meinung nach nicht ganz korrekt. Die gewählte Basis suggeriert für mich einen 4-dimensionalen Unterraum und im darauf folgenden Abschnitt wird impliziert dass |0,0> der Vakuum-Zustand des Photonenfeldes ist. Das sind nur kleine Anmerkungen meinerseits, und spiegeln wohl meine Präferenz wieder. Kann man berücksichtigen, muss man aber nicht.
Ein Schreibfehler hat sich wohl auch eingeschlichen, bei der zweiten Komponente nach der Zeitentwicklung des Systems Photon+Atome ist der * beim falschen a, es sollte wohl lauten

.

Jetzt zum Inhalt als ganzes. Ein wesentlicher Bestandteil des Messproblems geht mir hier ab (bzw. geht meiner Meinung nach nicht klar genug hervor).
Wenn man den Regeln der Quantenphysik folgt, dann "entstehen" Messergebnisse erst mit der Messung. Teilchen etc. haben also gar nicht die objektiven (unseren klassischen Erwartungen entsprechenden) Eigenschaften Ort/Impuls etc. In der Standard-QM wird das einfach ignoriert und dies impliziert eine Unterscheidung zwischen makroskopischer Welt und mikroskopischer Welt, welche nicht eindeutig getroffen werden kann. Diese Grenze konnte nie definiert werden. Dies macht die Standard-QM meines Erachtens nach so unbefriedigend. Sie unterstellt der QM einen Gültigkeitsbereich den sie aber nicht definieren kann. Everett umgeht genau das indem er die Gültigkeit der Regeln der QM für mikroskopische UND makroskopische Systeme voraussetzt, auf Kosten der objektiven Realität. Er verzichtet explizit auf die Abgrenzung. Everett zu folgen heißt damit auch auf objektive Realität zu verzichten, ein nicht unerheblicher Schritt. Du hast es angedeutet, indem du erwähnt hast dass der zweite Zustand am Ende nicht unseren klassischen Erwartungen entspricht, man könnte das meiner Meinung nach aber noch etwas mehr betonen.

Wie sieht es mit Kausalität aus bei Everett? Insbesondere würde mich interessieren was die Experten bezüglich Bezugssystemen etc. sagen. Diese Aufspaltung in orthogonale Zweige, wann genau findet diese statt? Lässt sich das so formulieren dass es verträglich ist mit dem Wechsel von Bezugssystemen.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 17902

Beitrag TomS Verfasst am: 14. Aug 2018 11:48    Titel: Antworten mit Zitat

Hallo, zunächst mal vielen Dank für deine ausführliche Antwort

bassiks hat Folgendes geschrieben:

Erstmal finde ich die Erklärung sehr gelungen, da einfach gehalten (zum Beispiel verzichtest du auf H(t) zugunsten einer simpleren Beschreibung der Zeitentwicklung etc.). Finde das sehr angenehm da man sich auf das wesentliche konzentrieren kann.

Danke.

Das hat auch einen simplen physikalischen Grund: ein zeitabhängiger Hamiltonian kann m.E. immer durch einen zeitunabhängigen Hamiltonian für ein größeres System ersetzt werden.

bassiks hat Folgendes geschrieben:

Wie wird Punkt B. (Bornsche Regel) aus der Everett-QM motiviert/abgeleitet?
Du schreibst weiter unten: "Ansätze zur Ableitung der Bornschen Regel umstritten" und erwähnst Gleason’s Theorem.

Everett argumentiert mit den „relative States“. Das Problem ist aber nicht, wie man die Bornsche Regel rekonstruieren kann - das ist einsichtig, und nach Gleason sogar eindeutig, d.h. es kann kein anderes Wahrscheinlichkeitsmaß auf einem Hilbertraum geben. Das Problem ist, warum man dies überhaupt in sollte. Warum sollte aus einer deterministischen Theorie mit vollständiger Information = vollständiger Kenntnis des Hilbertraumzustandes überhaupt eine Wahrscheinlichkeit folgen? Diese Frage ist offen.

Wallace et al. versuchen es mit Entscheidungstheorie, rationalen Agenten etc. Ich halte die Argumente alle für recht kompliziert und verstehe sie nie so recht. Experten argumentieren, dass sie möglicherweise zirkulär sind, also implizit eine Wahrscheinlichkeitsinterpretation annehmen.

bassiks hat Folgendes geschrieben:

Ich würde sagen die Ableitbarkeit der Bornschen Regel ist ein zentraler Knackpunkt, denn so wird das irgendwie (einfach ausgedrückt) wieder künstlich hineingeflickt, und das finde ich nicht sehr befriedigend (ist natürlich in der Standard-QM auch nicht besser).

Du hast völlig recht, ich sehe das genauso.

bassiks hat Folgendes geschrieben:

Beim Beispiel mit dem Photon finde ich die mathematische Beschreibung nicht voll zufriedenstellend. Der Zustand des Photons nach Reflexion bzw. Transmission ist hier meiner Meinung nach nicht ganz korrekt. Die gewählte Basis suggeriert für mich einen 4-dimensionalen Unterraum und im darauf folgenden Abschnitt wird impliziert dass |0,0> der Vakuum-Zustand des Photonenfeldes ist.

Die Dimensionalität des Unterraumes der Zeiger-Zustände ist tatsächlich problematisch darzustellen. Ein „Zweig“ ist ja nicht ein eindimensionaler Unterraum, sondern eher eine unscharfe Äquivalenzklasse.

Der Photon-Zustand ist dagegen klar, und |0,0> steht tatsächlich für das Vakuum. Beachte, dass wir über einen Fock-Raum reden, d.h. |0,1> steht eigtl. für |0,...;1,0,...> wobei ein Photon in genau einer Mode existiert. Demzufolge steht |0,0> eigtl. für |0,...;0,0,...>.

bassiks hat Folgendes geschrieben:

Ein Schreibfehler hat sich wohl auch eingeschlichen, bei der zweiten Komponente nach der Zeitentwicklung des Systems Photon+Atome ist der * beim falschen a

Danke, das habe ich korrigiert.

bassiks hat Folgendes geschrieben:

Jetzt zum Inhalt als ganzes ...

Dazu brauche ich etwas länger Zeit.

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TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 17902

Beitrag TomS Verfasst am: 14. Aug 2018 12:31    Titel: Antworten mit Zitat

Nochmal zur Bornschen Regel:

Verwendet man Rays bzw. projektorwertige, reine Zustände



so lautet die Bornsche Regel:

i) die Wahrscheinlichkeit, ein im Zustand psi präpariertes System in einem bestimmten Zustand u vorzufinden, ist gegeben durch den Erwartungswert des Projektors auf diesen Zustand,



also



ii) der Erwartungswert der Messung einer Observable A an einem im Zustand psi präparierten System ist gegeben durch



Man erkennt, dass (i) und (ii) mathematisch identisch formuliert sind.


Zu Gleason: sein Theorem besagt, dass die o.g. Formel die einzige Möglichkeit darstellt, ein Wahrscheinlichkeitsmaß auf einem Hilbertraum einzuführen.


Zur Problematik des „Warum“:

Evtl. ist eine Darstellung ohne Zeiger-Zustände und Beobachter etwas verkürzt - trotzdem ein Versuch. Nehmen wir ein System im Zustand



Gleason‘s Theorem besagt, dass wenn wir eine Wahrscheinlichkeit definieren wollen, z.B. weil wir statistische Häufigkeiten beobachten, dass dann das o.g. Wahrscheinlichkeitsmaß das einzig mögliche ist.

Es ist jedoch keine allgemein akzeptierte Argumentation bekannt, die besagt, dass wenn wir die o.g. Axiome sowie ein weiteres, zunächst unbekanntes, vernünftiges Axiom A einführen, dass dann das o.g. Maß als Wahrscheinlichkeitsmaß interpretiert werden muss und dass dann ganz allgemein aus einer insgs. deterministischen Theorie statistische Häufigkeiten für bestimmte - makroskopisch robuste - Zweige folgen.

Ich denke, man sollte diese Formulierung nochmal diskutieren und nachschärfen und zusammen mit dem Messproblem deutlich herausstellen.

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index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 14. Aug 2018 17:39    Titel: Antworten mit Zitat

Von mir auch ein paar Anmerkungen:

Punkt 4. gehört ja mehr oder weniger zur Standardformulierung. Der einzige mir bekannte Grund für die Forderung nach Selbstadjungiertheit ist die Gültigkeit des Spektralsatzes. Die Existenz der Spektralzerlegung



wiederum ist aber die einzige für die Quantenmechanik relevante Eigenschaft der Operatoren. (Daß sie ein reelles Spektrum haben, ist hingegen relativ unwichtig.) Deswegen bevorzuge ich eigentlich Formulierungen, die nur diese Spektralzerlegung fordern. Dies läßt m.E. mehr Möglichkeiten offen (z.B. Quantenmechanik auf einem Kreis mit unitärem Ortsoperator). Die Existenz der Spektralzerlegung kann direkt mit der Bornschen Regel motiviert werden, ohne die mir die Quantenmechanik praktisch nutzlos erscheint.

Die Formulierung von 5. finde ich etwas unklar. Wichtig ist m.E., daß ein Zustand vor der Wechselwirkung zu einem Zustand nach der Wechselwirkung führt, wobei die Zuordnung eindeutig ist und die Summe über m' die irrelevanten Freiheitsgrade des Meßapparats betrifft, die sich durch die Wechselwirkung verändert haben, aber mit der Anzeige nichts zu tun haben. Ich verstehe nicht, was du mit "dynamisch stabil" meinst und kann mir nicht vorstellen wozu eine so benennbare Eigenschaft notwendig sein soll.

Bei der Erläuterung der Bornschen Regel im Zusammenhang mit Everetts Interpretation weiter unten stört mich die Formulierung "Man kann stattdessen argumentieren, dass es möglich ist, sie [u.a. die Bornsche Regel] aus dem Formalismus abzuleiten bzw. zumindest zu motivieren." Was soll das bedeuten? Entweder kann man sie ableiten oder nicht. Wenn man sie nicht ableiten kann, kann man auch nicht argumentieren, daß man sie ableiten könne. Und wenn man sie ableiten kann, dann leitet man sie einfach ab, ohne daß es darüber hinaus noch viel zu argumentieren gäbe. Das würde ich entweder weglassen oder so umformulieren, daß es mit handfesten Argumenten untermauert werden kann. (Ich halte es bislang für relativ offensichtlich, daß das Theorem von Gleason keine Ableitung der Bornschen Regel aus den anderen Axiomen darstellt.)
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 17902

Beitrag TomS Verfasst am: 16. Aug 2018 14:24    Titel: Antworten mit Zitat

Ich habe versucht, die Formulierung aufgrund eurer Einwänden anzupassen. Wäre nett, wenn ihr die grünen Passagen diebzgl. nochmals durchlesen würdet.
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TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 17902

Beitrag TomS Verfasst am: 16. Aug 2018 18:54    Titel: Antworten mit Zitat

bassiks hat Folgendes geschrieben:
Wie sieht es mit Kausalität aus bei Everett? Insbesondere würde mich interessieren was die Experten bezüglich Bezugssystemen etc. sagen. Diese Aufspaltung in orthogonale Zweige, wann genau findet diese statt? Lässt sich das so formulieren dass es verträglich ist mit dem Wechsel von Bezugssystemen.


Das ist in einem vernünftigen kanonischen Formalismus völlig unkritisch.

Gegegen ist ein Hilbertraum sowie darauf eine Darstellung der Poincare-Algebra. Der Hamiltonoperator ist einer der Generatoren der Poincare-Algebra. Die Dynamik folgt



Damit ist der gesamte Formalismus Poincare-kovariant.

Die Komplikationen entstehen scheinbar durch die Betrachtung der Wellenfunktion im Ortsraum; dies ist jedoch keine Besonderheit der Everettschen QM, sondern einfach eine zusätzliche Komplikation aufgrund von


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