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Philosophische Konsequenzen den Qm.
 
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Fingolfin
Gast





Beitrag Fingolfin Verfasst am: 26. Jun 2016 17:17    Titel: Philosophische Konsequenzen den Qm. Antworten mit Zitat

Meine Frage:
Hallo,
hat vielleicht jemand ein wenig Zeit sich dieser (http://youtu.be/4C5pq7W5yRM) Video anzugucken und mir sagen, wie viel davon realistisch bzw. nur Theorie ist? Ich finde es für Laien häufig sehr unverständlich zwischen Annahme und Fakt in solchen Quellen zu unterscheiden.


Meine Ideen:
Der erste Teil des Videos ist für mich nachvollziehbar, ich kenne genannte Experimente und den grundlegenden Formailsmus dahinter. Auch die Kritik der Viele-Welten-Interpretation finde ich nachvollziehbar. Allerdings hat der Kurzfilm auch (unter Berufung auch Experimente, welche ich nicht kenne) das Bewusstsein und unser Auge an sich als Teil des Kollabses der Wellenfunktion dargestellt, derweilen ging ich davon aus, dass der Kollabs auf den Zusammenstoß eines Photons (oder anderen Messteilchens) beruht, unabhängig davon, ob das Photon anschleißend auch von einem Menschen absorbiert wird.
Wie viel ist davon richtig bzw. belegt?
LG
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18079

Beitrag TomS Verfasst am: 27. Jun 2016 07:00    Titel: Antworten mit Zitat

Bis zur Kritik der MWI habe ich folgendes Problem:

Im Video wird implizit angenommen, Materialismus müsse soetwas wie trivialer Eigenschafts- oder Kügelchen-Materialismus sein. Das ist natürlich eine völlig falsche Annahme.

Erstens wird anhand der Experimente erklärt, warum dies falsch sein muss. Zweitens wird aber nicht von der Vorstellung abgerückt, dass dies die einzig mögliche Art des Materialismus wäre. Aber gerade wenn wir als Realisten annehmen, dass die Welt unabhängig von der Beobachtung existiert, dürfen wir eben nicht voraussetzen, sie wäre gerade so, wie wir sie uns vorstellen können, nämlich bevölkert von Kügelchen, denen wir Etiketten mit Eigenschaften aufkleben können. Der Fehler besteht darin, den Substanzbegriff so eng auszulegen, wie wir selbst denken können. Als Materialisten und Realisten müssen wir dagegen davon ausgehen, dass die real und unabhängig von uns existierende Welt auf einem Substanzbegriff aufbaut, der von uns nicht (oder nur ansatzweise) begriffen werden kann.

Der Beitrag zeigt bis dahin nicht, dass Materialismus falsch wäre, sondern lediglich, dass ein trivialer Materialismus falsch ist.

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Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18079

Beitrag TomS Verfasst am: 27. Jun 2016 08:08    Titel: Antworten mit Zitat

Der Abschnitt über die MWI zeigt, dass der Verfasser diese nicht verstanden hat. Er kritisiert etwas, was er für die MWI hält, nicht, was diese wirklich ist. Ich habe den Eindruck, dass sein "Wissen" über die MWI nicht aus der Beschäftigung mit mathematischen und physikalischen Originalarbeiten resultiert, sondern mit nicht-wissenschaftlichen Texten über die angebliche MWI.

Der erste wesentliche Punkt ist, dass die MWI gerade kein zusätzliches Postulat bzgl. der Existenz zusätzlicher Welten einführt, sondern dass deren Existenz streng aus dem mathematischen Formalismus der QM ableitbar ist. Es ist gerade die Kollapsinterpretation, die zusätzlich zum Kern des Formalismus den Kollaps und die Bornsche Regel postuliert, um diese Welten loszuwerden.

Der zweite Punkt ist, dass der Verfasser Ockham's razor nicht verstanden hat. Dieses agiert nämlich gerade nicht auf der Ebene der Konsequenzen einer Theorie, sondern auf der Ebene der zugrundeliegenden Annahmen. Und bzgl. der Annahmen ist die MWI einfacher aufgebaut als die orthodoxe bzw. Kollapsinterpretation, sie enthält kein Kollapspostulat, und sie versucht, die Bornsche Regel als Theorem auf Basis einfacherer Annahmen zu beweisen, anstatt es zu postulieren (immerhin gibt es hier einige Erfolge: so besagt Gleason's Theorem, dass die Bornsche Regel das einzig konsistente Wahrscheinlichkeitsmaß auf einem Hilbertraum darstellt).

Natürlich kann man die MWI kritisieren, jedoch muss man sie dazu erst verstanden haben. Es gibt sehr ernsthafte und namhafte Kritiker; allerdings ist eine wesentlich subtilere Argumentation nötig als in diesem bildzeitungsartigen Video.

Hier eine gute Darstellung der MWI sowie einige Anmerkungen zu Missverständnissen: http://www.preposterousuniverse.com/blog/2014/06/30/why-the-many-worlds-formulation-of-quantum-mechanics-is-probably-correct/
schnudl
Moderator


Anmeldungsdatum: 15.11.2005
Beiträge: 6979
Wohnort: Wien

Beitrag schnudl Verfasst am: 27. Jun 2016 22:14    Titel: Antworten mit Zitat

Ich bin mit den Tiefen der Deutungen nicht vertraut. Dennoch verspüre ich beim angegebenen Link "Why the Many-Worlds Formulation of Quantum Mechanics Is Probably Correct" ein gewisses Unbehagen. Der Autor sagt meiner Meinung nach nichts anderes, als dass eine MWI mit dem Formalismus der QM vereinbar sei und man nichts neues einführen muss (z.B. auch keine künstliche "Reduktion" des Zustandes beim Messvorgang - was aber wiederum die Interpretation von mir selbst ist).

Wenn es nun aber um den Beweis der Richtigkeit oder Falschheit der MWI geht, kommt bestenfalls Metaphysik ins Spiel, da die verschiedenen Interpretationen nicht durch ein (wie immer geartetes) Experiment unterscheidbar wären: Wenn man den QM Formalismus reinsteckt, wird man am Ende Ergebnisse erhalten, die dem Formalismus genügen - und zwar unabhängig davon wie man das ganze Gebäude nun nennt. Falls ich bis hierher nicht komplett falsch liege hätte die Diskussion aber dann für mich keinen Sinn, da sie mit physikalischen Mitteln nicht entschieden werden kann. Anders ausgedrückt: Was müsste irgendwann in der Forschung "passieren", dass der MWI oder einer anderen Interpretation eindeutig der Vorzug gegeben würde? Das wäre doch nur möglich, wenn irgendwelche Feinheiten zu unterschiedlichen messbaren Ergebnissen führten. Ist eine derartige Entscheidung aus heutiger Sicht denkbar? Falls ja, würde es ja bedeuten, dass die heutige QM unvollständig wäre und es Experimente gibt, die dadurch nicht hinreichend erklärt werden können - oder?

Nun wird die MWI als jene Interpretation bezeichnet, die die wenigsten Grundannahmen benötigt. OK - sehe ich zwar ein, aber wir nehmen die Welt ja nicht als Überlagerungszustand wahr, sondern als eine Realisierung vieler möglicher Zustände, die mit Wahrscheinlichkeiten gewichtet sind. Wie soll man sich daher - unabhängig von Mathematik - den Aufspaltungsprozess "vorstellen"? Ein Anhänger der MWI wird vielleicht sagen: "du musst dir nichts drunter 'vorstellen', nimm einfach den Formalismus als gegeben hin". Aber was heißt dann der Satz "Ja, es gibt irgendwo einen zweiten TomS, der das nicht gelesen hat?" Es ist ja genauso unklar was der Begriff "irgendwo" hier heißt (ist es eine Stelle im Hilbertraum? Falls ja: wieso nehmen wir diesen als Mensch nicht in seiner vollen Dimension wahr?), da der zweite TomS (aus klassischer Sicht der QM) nicht beobachtbar ist. Provokant formuliert: Eine Interpretation jeglicher Art nützt mir im täglichen Leben nicht weiter.



Das ist nur meine armselige Vorstellung von einem geschlosseneren Bild, welches vielleicht ein TomS in seinem Kopf trägt. Ich würde dennoch gerne ein wenig besser verstehen wie Leute ticken, die das scheinbar besser verstanden haben als ich. Hilfe

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Wenn du eine weise Antwort verlangst, musst du vernünftig fragen (Goethe)
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18079

Beitrag TomS Verfasst am: 27. Jun 2016 23:44    Titel: Antworten mit Zitat

schnudl hat Folgendes geschrieben:
Was müsste irgendwann in der Forschung passieren, dass der MWI oder einer anderen Interpretation eindeutig der Vorzug gegeben würde? Das wäre doch nur möglich, wenn irgendwelche Feinheiten zu unterschiedlichen messbaren Ergebnissen führten. Ist eine derartige Entscheidung aus heutiger Sicht denkbar?

Eine experimentelle Prüfung ist nur theoretisch denkbar, nicht jedoch praktisch.

Betrachten wir doch mal die generelle Struktur vieler Experimente. Gegeben ist ein Superpositionszustand der durch eine experimentelle Anordnung präpariert wird:



Man überprüft anschließend Interferenzen der beiden Zweige 1 und 2.

Mikroskopisch kennt man dies z.B. in Experimenten mit einzelnen Photonen, die durch eine Anordnung mit Strahlteiler, halbverspiegelten Platten o.ä. laufen, die ein Photon in zwei "Zweige zerlegt".

Makroskopisch wären dies (übrigens nicht wirklich abzählbare) Zweige entsprechend der MWI.

Nun kommen die beiden Interpretationen ins Spiel.
KI: einer der beiden Zweige verschwindet
MWI: beide Zweige bleiben erhalten

Um nun zwischen KI und MWI unterscheiden zu können, müsste man nach der Zerlegung die beiden Zweige wieder zusammenführen. Für zwei mikroskopische Zweige eines Photons erfolgt dies (praktisch erprobt) durch das Zusammenführen der beiden Lichtwege mittels geeigneter Spiegel; wir kennen Experimente mit entsprechender Interferenz, die die zwischenzeitliche "Existenz" der beiden Zweige bestätigt. Für zwei makroskopische Zweige müsste man das Gesamtsystem "Photonen + Messgerät + Umgebung" zur Interferenz bringen. Diese Präparation des Gesamtsystems ist natürlich praktisch nicht möglich. Gemäß der KI würde keine Interferenz beobachtet werden, da nur ein Zweig existiert; gemäß der MWI würde man Interferenz erwarten.

Eine ähnliche Überlegung ergibt sich durch die Betrachtung der Zeitumkehrinvarianz bzw. Unitarität der QM, die durch den Kollaps im Rahmen der KI zerstört, im Rahmen der MWI jedoch vollumfänglich gültig ist. Nehmen wir an, wir lassen nach einer Messung "die Zeit rückwärts laufen", d.h. präparieren ein geeignetes Experiment. Im Falle von Photonen, d.h. mikroskopisch entspräche dies einer exakten Umkehrung der Lichtwege durch Spiegel. Makroskopisch ist das natürlich wiederum nicht realisierbar.

Gemäß der KI sähe die Zeitentwicklung wie folgt aus:



Gemäß der MWI sähe die Zeitentwicklung wie folgt aus:



Entsprechend der KI wird aufgrund des Kollapses (K) ein Zweig vernichtet und der ursprüngliche Zustand nicht wiederhergestellt. Entsprechend Der MWI existiert kein Kollaps, die zeitliche Entwicklung (*) rückwärts reproduziert exakt den Ausgangszustand.

Um einen experimentellen Vergleich durchführen zu können, müsste man ein Experiment mit Kollaps (gem. KI) präparieren und den End- mit dem Anfangszustand vergleichen. Wenn



dann ist die KI korrekt und die MWI falsch. Wenn jedoch



dann ist die MWI korrekt um die KI falsch.

Aber wie gesagt, diese zeitliche Umkehrung eines Experimentes mit Messung ist natürlich für ein makroskopisches System unter Einbeziehung von Messgerät M und Umgebung U praktisch unmöglich.
kollaps
Gast





Beitrag kollaps Verfasst am: 28. Jun 2016 11:03    Titel: Antworten mit Zitat

@Tom.S

wo siehst Du denn kollaps in Schrödinger Gleichung?
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18079

Beitrag TomS Verfasst am: 28. Jun 2016 11:14    Titel: Antworten mit Zitat

Nirgendwo.

Die SGL beschreibt eine unitäre Zeitentwicklung ohne Kollaps.

Andersherum: der Kollaps widerspricht der SGL, und es ist eine ungeklärte Frage der KI, wann ein Kollaps eintritt, und wann die SGL gilt; wann ist ein makroskopisches Objekt ein Messgerät, das zu einem Kollaps führt? und wann ist es ein makroskopisches Quantenobjekt, das der SGL genügt? Das kann die KI nicht beantworten.

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