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bassiks



Anmeldungsdatum: 11.08.2010
Beiträge: 194

Beitrag bassiks Verfasst am: 02. Sep 2015 16:00    Titel: Antworten mit Zitat

Achso. Das meinst du. Ich vermute TomS hat eben genau das was ich schrieb damit gemeint. Die Theorie ist deterministisch. Die Tatsache dass wir Wahrscheinlichkeiten wahrnehmen, muss also irgendwie aus ihr abgeleitet werden. Sie zu postulieren wie in den anderen Interpretationen, als fundamentaler Bestandteil der Theorie, würde im Widerspruch zum Determinismus stehen. Es geht also darum die Wahrnehmung statistischer Häufigkeiten in einer deterministischen Theorie zu erklären.

Btw.: Ich bin nicht so vertraut mit der Everett-Interpretation wie du TomS, also bitte korrigiere mich wenn ich etwas Falsches schreibe.
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 02. Sep 2015 16:13    Titel: Antworten mit Zitat

bassiks hat Folgendes geschrieben:
Achso. Das meinst du. Ich vermute TomS hat eben genau das was ich schrieb damit gemeint. Die Theorie ist deterministisch. Die Tatsache dass wir Wahrscheinlichkeiten wahrnehmen, muss also irgendwie aus ihr abgeleitet werden. Sie zu postulieren wie in den anderen Interpretationen, als fundamentaler Bestandteil der Theorie, würde im Widerspruch zum Determinismus stehen.


Vielleicht. Es geht also nicht um einen logischen Widerspruch, sondern eher um "Das widerspricht dem deterministischen Geist der Theorie" oder sowas in der Art. Das ist also ohnehin ziemlich vage, denn der Determinismus bezieht sich ja nur auf die Zeitentwicklung der Zustände, deren Interpretation ja das eigentliche Problem darstellt. Damit kann ich also, solange ich die probabilistischen Aussagen nicht aus den restlichen Annahmen ableiten kann, sie zumindest aus logischer und interpretatorischer Sicht problemlos als Postulate behandeln. Ich muß dies sogar tun, um alle quantitativen Aussagen der Theorie zu reproduzieren. Ansonsten habe ich einfach eine andere Theorie mit weniger Vorhersagekraft.
bassiks



Anmeldungsdatum: 11.08.2010
Beiträge: 194

Beitrag bassiks Verfasst am: 02. Sep 2015 16:20    Titel: Antworten mit Zitat

Zitat:
Vielleicht. Es geht also nicht um einen logischen Widerspruch, sondern eher um "Das widerspricht dem deterministischen Geist der Theorie" oder sowas in der Art. Das ist also ohnehin ziemlich vage, denn der Determinismus bezieht sich ja nur auf die Zeitentwicklung der Zustände, deren Interpretation ja das eigentliche Problem darstellt.


Nein. Es ist mehr als nur die Zeitentwicklung. Wenn ich weiß in welchem "Zweig" ich bin ist das Messergebnis deterministisch. So wie ich das sehe läuft es auf die Frage raus welcher Beobachter ich bin. Die deterministische Theorie muss mir also erklären können, warum ich mit Wahrscheinlichkeit p(a) ein Beobachter bin der a misst. Warum bin ich mit Wahrscheinlichkeit p(a) in diesem Zweig. Abzählen der Zweige löst das Problem nicht. Wie kann also eine vollständige, deterministische Theorie diese Wahrscheinlichkeit erklären. Um die quantitativen Aussagen mit der Everett-Interpretation zu erklären muss man meiner Meinung nach diese Wahrscheinlichkeit im Augenblick postulieren. Dies ist m.E nach auch der Hauptkritikpunkt.
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 02. Sep 2015 16:41    Titel: Antworten mit Zitat

bassiks hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Vielleicht. Es geht also nicht um einen logischen Widerspruch, sondern eher um "Das widerspricht dem deterministischen Geist der Theorie" oder sowas in der Art. Das ist also ohnehin ziemlich vage, denn der Determinismus bezieht sich ja nur auf die Zeitentwicklung der Zustände, deren Interpretation ja das eigentliche Problem darstellt.


Nein. Es ist mehr als nur die Zeitentwicklung.


Was ist denn noch deterministisch?

Zitat:

Wenn ich weiß in welchem "Zweig" ich bin ist das Messergebnis deterministisch.


Das wird dir nur leider die MWI, trotz Determinismus, nicht verraten. Dafür mußt du schon nachmessen.

Zitat:

So wie ich das sehe läuft es auf die Frage raus welcher Beobachter ich bin.


Nein, es läuft auf weit mehr hinaus. Die MWI beantwortet nicht mal die Frage, welches von zwei wechselwirkenden Teilsystemen der Beobachter ist. Selbst wenn das eindeutig wäre, ist es i.A. unmöglich zu sagen, in welchem Zustand er sich nach der Messung befindet. Denn es kann durchaus sein, daß ich die stattgefundene Wechselwirkung als Messung jeweils einer von zwei nicht kommutierender Observablen interpretieren kann. Deswegen ist das "Basis-Problem" besonders in der MWI so akut. Um all das zu lösen brauche ich sowas wie Dekohärenz, einselection etc. Dann kann ich die Endzustände aber m.E. genauso anders interpretieren als Everett vorschlägt, z.B. als Ensemble analog zur klassischen statistischen Mechanik.

(Der Vollständigkeit halber: alle anderen Interpretation beantworten diese Fragen natürlich auch nicht.)

Zitat:

Die deterministische Theorie muss mir also erklären können, warum ich mit Wahrscheinlichkeit p(a) ein Beobachter bin der a misst. Warum bin ich mit Wahrscheinlichkeit p(a) in diesem Zweig. Abzählen der Zweige löst das Problem nicht. Wie kann also eine vollständige, deterministische Theorie diese Wahrscheinlichkeit erklären. Um die quantitativen Aussagen mit der Everett-Interpretation zu erklären muss man meiner Meinung nach diese Wahrscheinlichkeit im Augenblick postulieren. Dies ist m.E nach auch der Hauptkritikpunkt.


Ja, man muß sie postulieren, aber mein Hauptkritikpunkt ist das nicht. Es mag ja sein das MWI-Anhänger das als ihr drängendstes Problem betrachten. Aber sie akzeptieren ja auch bereits die ontologisch/interpretatorischen Grundlagen der MWI. Sie halten also die wichtigeren Interpretationsprobleme bereits für völlig zufriedenstellend geklärt. Da ich das anders sehe, betrachte ich die Frage, woraus ich die probabilistischen Aussagen der QM ableiten kann, als vergleichsweise unwesentlich.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18052

Beitrag TomS Verfasst am: 02. Sep 2015 17:07    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Ich bin der Ansicht, daß deine letzten Antworten einfach die wesentlichen Argumente gegen die MWI ignorieren.

Ich habe nichts ignoriert, jedenfalls nicht bewusst.

Ich denke, wir argumentieren in gewisser Weise aneinander vorbei. Daher wäre es hilfreich, wenn du nochmal kurz zusammenfasst bzw. die wesentlichen Sätze aus deinen obigen Ausführungen zitierst, was aus deiner Sicht die wesentlichen Kernpunkte deiner Argumentation gegen die Everettsche Interpretation sind. (s.u.)


Folgendes will ich vorher noch klarstellen.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Die Frage ob ich die Wahrscheinlichkeiten in der Theorie postulieren muß oder ableiten kann, ist eine rein logische und hat mit der Interpretation nicht das geringste zu tun. Ich kann einfach alle logischen Beziehungen zwischen allen wahren Aussagen der QM ignorieren, sie alle wie Postulate behandeln und habe exakt gar nichts am Interpretationsproblem geändert.

Ich bin weiterhin der Meinung, dass das falsch ist.

Wenn du mit einem Axiomensystem sowie einer Interpretation ohne Wahrscheinlichkeitsbegriff startest, dann kannst du formal logisch prüfen, ob du eine Wahrscheinlichkeit einführen kannst, d.h. ob dies mit den Axiomen ist konsistent ist. Im Falle der Axiome der Everett-I. funktioniert das; Ergebnis ist Gleason’s Theorem, das sogar das Wahrscheinlichkeitsmaß auf einem Hilbertraum eindeutig festlegt.

Wenn du mit einem Axiomensystem ohne Wahrscheinlichkeitsbegriff startest, dann wird dir dieses Axiomensystem natürlich nicht vorgeben, ob du einen Wahrscheinlichkeitsbegriff einführen oder postulieren musst. Das kannst du tun, oder auch bleiben lassen, das ist schlichtweg im Rahmen des Axiomensystems nicht beantwortbar. So besagt eben auch Gleason‘s Theorem lediglich, dass das Wahrscheinlichkeitsmaß entsprechend der Bornschen Regel (und nur dieses) mit den Axiomen verträglich ist, nicht jedoch, dass die Einführung logisch notwendig ist.

Dass du einen Wahrscheinlichkeitsbegriff einführen musst, erzwingt nach heutigem Kenntnisstand die experimentelle Praxis. Die Anwendung der Quantenmechanik unter Einbeziehung des Wahrscheinlichkeitsbegriffs liefert dir Vorhersagen, die zu experimentell gemessenen Häufigkeiten passen. Bestimmte Experimente sind ausschließlich so sinnvoll auswertbar bzw. interpretierbar (Streuquerschnitte), andere kommen vielleicht ohne aus (Spektrallinien).

Wenn / Da die Everettsche Interpretation also ohne Wahrscheinlichkeitsbegriff im Axiomensystem und demnach auch in ihrer rein deterministischen Interpretation startet, die experimentelle Praxis jedoch auf die Notwendigkeit von Wahrscheinlichkeiten hindeutet, dann müssen diese aus anderen Gründen eingeführt werden.

Da dir die Axiome jedoch keine logisch zwingende Begründung für die Einführung liefern können, muss diese Begründung außerhalb der Axiome erfolgen, also auf Ebene der Interpretation. Du benötigst also eine mit den Axiomen verträgliche Argumentation, die sich jedoch bzgl. dieser Axiome auf einer Meta-Ebene bewegt, und aus der die Notwendigkeit der Einführung von Wahrscheinlichkeiten sowie deren physikalischer Interpretation folgen (möglichst zwingend, ggf. auch nur als plausible Indizien).

Insofern ist deine Aussage, die Einführung von Wahrscheinlichkeiten … hätte mit der Interpretation nicht das geringste zu tun, falsch! Ob du sie einführen kannst, oder ob du eine mathematische Struktur identifizierst, die mit einem Wahrscheinlichkeitsbegriff assoziiert werden kann, ist eine rein mathematische Fragestellung. Dass du sie einführen musst, oder ob eine entsprechende Assoziation bzw. Interpretation vornehmen musst, ist eine Fragestellung auf Ebene der Interpretation. Ersteres ist seit Gleason gelöst, letzteres ist offen.

Im Gegensatz zu anderen Interpretationen ist die Everettsche I. auch nicht in der Lage, auf eine prinzipielle Unvollständigkeit, unvollständige Information o.ä. zu verweisen und die Notwendigkeit der Einführung einer Wahrscheinlichkeit so zu motivieren. Da sie explizit darauf abhebt, vollständige Aussagen über Einzelsysteme und deren deterministische Entwicklung zu machen, sind ihr Argumentationen wie im Falle der Ensemble-Interpretation oder des Quanten-Bayesianismus verwehrt.

D.h. weder zwingt mich die Ebene der Axiome zur Einführung, noch motiviert die deterministische Interpretation ein plumpes Postulat.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Es geht also nicht um einen logischen Widerspruch, sondern eher um “Das widerspricht dem deterministischen Geist der Theorie" oder sowas in der Art.

Ja!

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Das ist also ohnehin ziemlich vage, denn der Determinismus bezieht sich ja nur auf die Zeitentwicklung der Zustände, deren Interpretation ja das eigentliche Problem darstellt.

Was heißt vage? Die Interpretation der Hilbertraumzustände ist ontologisch im Sinne von „strukturell isomorph und vollständig zur Realität“; d.h. die Zeitenwicklung der Hilbertraumzustände und des physikalischen Systems sind beide deterministisch.

Das muss man nicht mögen, aber es ist nicht vage, sondern sehr präzise.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Damit kann ich also, solange ich die probabilistischen Aussagen nicht aus den restlichen Annahmen ableiten kann, sie zumindest aus logischer und interpretatorischer Sicht problemlos als Postulate behandeln.

Man kann sie zumindest nicht ausschließlich aus den beiden Axiomen ableiten. Ja, rein logisch im Kontext der Axiome ist dies sicher möglich. Rein interpretatorisch ist ein Postulat (!) m.E. nicht möglich.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Ich muß dies sogar tun, um alle quantitativen Aussagen der Theorie zu reproduzieren.

Du musst was tun?

Wahrscheinlichkeiten verwenden? Im Sinne der praktischen Anwendbarkeit: ja!
Wahrscheinlichkeiten postulieren? Sicher nein!
Ausweg? vernünftige Argumente finden, warum Wahrscheinlichkeiten in dieser Interpretation auftreten, bzw. warum es vernünftig ist, die Gewichte einzelner „Zweige“ im Sinne des Wahrscheinlichkeitsmaßes der Bornschen Regel zu verwenden.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
TomS hat Folgendes geschrieben:
Wenn du mit einer realen, objektiven, deterministischen und vollständigen Interpretation startest, dann kannst du Wahrscheinlichkeiten gar nicht zusätzlich einführen, da dies den Voraussetzungen explizit widersprechen würde. Du musst also entweder das Auftreten von Wahrscheinlichkeiten aus den Annahmen heraus ableiten bzw. motivieren, oder du musst bestimmte Annahmen aufgeben


Dieses Argument kam in ähnlicher Form immer wieder und ich finde es ehrlich gesagt völlig konfus. Wenn eine Aussage, in der Wahrscheinlichkeiten auftreten, meinen Voraussetzungen explizit widerspricht, dann kann ich sie unmöglich aus meinen gemachten Annahmen ableiten, es sei denn diese sind schon widersprüchlich. Es gäbe einfach keine Möglichkeit diese Wahrscheinlichkeitsaussagen in die Theorie einzufügen ohne eine Inkonsistenz zu erzeugen. Und wenn ich sie ableiten kann, dann kann ich sie unter logischen Gesichtspunkten genauso gut als Axiom einführen. Das ist dann zwar nicht unabhängig, das ist den Interpretationen aber egal.

s.o.

Deine Aussage gilt im Wesentlichen für die mathematische Ebene der Axiome und der daraus ableitbaren Theoreme, sie gilt jedoch nicht für die Meta-Ebene der Interpretation. Du darfst also bei deiner Betrachtung nicht die Meta-Ebene im Sinne von „das ist den Interpretationen aber egal“ ausblenden

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Dekohärenz ist ja genau, was ich mit "gewissen Näherungen" meine … Das Problem mit deiner Aussage ist: Die Zweigstruktur ist i.A. nicht eindeutig angebbar.

Das ist ein bekannter Einwand gegen diese Interpretation. Rein mathematisch ist der Einwand teilweise korrekt, ob er tatsächlich stört, ist eine andere Frage.

Wenn du akzeptierst, dass die Mathematik der QM prinzipiell mathematisch exakt formulierbar (und eben nur praktisch nicht exakt lösbar ist), und wenn du die ontologische Haltung akzeptierst, dass der eindeutig bestimmte (bestimmbare) Zustandsvektor die Realität prinzipiell exakt kodiert, dann ist dies ein Scheinproblem. Denn dann wäre deine Suche nach der mathematisch exakten Definition von Zweig irrelevant; es wäre nur ein unpräzises, umgangssprachliches Wort, das eine mathematische Struktur skizziert. Die Zweighaftigkeit ist damit theoretisch kein Problem, sie resultiert aus einem im Vergleich zur Mathematik unpräzisen Sprachgebrauch. Phänomenologisch ist sie ebenfalls kein Problem, da die Vorhersagen der Dekohärenz zu den wahrgenommen Phänomene „passen“.

Vergleiche das doch mal mit dem Begriff „Quark“ in der QCD; du wirst ähnliche semantischer Probleme erkennen.

Insgs. halte ich dieses Argument nicht für eines der Kernprobleme.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Generell ist das Thema, ob eine Aussage der Theorie ein Axiom oder ein Theorem ist, von völlig untergeordneter Bedeutung. Eine Frage der Interpretation ist, was die Theorie, also die Gesamtheit ihrer Aussagen, bedeutet, nicht, welche ihrer Aussagen ich aus welchen ableiten kann … Ich habe nicht von Scheinproblem gesprochen, sondern von einem Problem von untergeordneter Bedeutung. … Die Bedeutung einer Aussage ist in unserem Zusammenhang aber primär, eine Frage der Interpretation, und hat nichts damit zu tun woraus ich sie ableiten kann.

s.o.

Ich denke, das zentrale Problem ist die Einführung eines Wahrscheinlichkeitsbegriffs, wozu die mathematischen Axiome eben gerade nicht ausreichend sind, d.h. wozu die Meta-Ebene bemüht werden muss. Insofern war es meinerseits irreführend, von einem Theorem (im Sinne eines Theorems auf Basis der beiden Axiome) zu sprechen; die Einführung eines Wahrscheinlichkeitsbegriffs benötigt sicher Annahmen und Argumentationen auf der Meta-Ebene.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
TomS hat Folgendes geschrieben:
Kannst du mal in eigenen Worten zusammenfassen, worin deiner Meinung nach das Messproblem besteht? Dann kann ich evtl. versuchen, zu erklären, inwiefern die Everett-I. (auf Basis der Dekohärenz) dieses Problem tatsächlich löst.

Das habe ich, denke ich, schon mehrfach getan. An dieser Stelle genügt glaube ich, daß m.E. die Dekohärenz das Meßproblem höchstens zum Teil löst (im engeren Sinne von "Messen", als WW mit Systemen von vielen Freiheitsgraden), und daß deswegen die Aussagen der QM über mikroskopische isolierte System unklar bleiben, wenn sie auch aus phänomenologischer Sicht eher Randfälle sind.

Ich würde dich trotzdem nochmal bitten, das Problem konkret zu beschreiben.

Ich habe oben mal meine Auffassung zur Lösung des Messproblems, teilweise mittels Dekohärenz, teilwiese mittels Everett skizziert, aber ich weiß nicht, ob ich damit deine Auffassung von Messproblem getroffen habe.

Insbs. glaube ich nicht, dass gerade mikroskopische isolierte System ein Problem darstellen, denn dies sind gerade die Systeme, für die die Quantenmechanik überhaupt nicht von Messung spricht! Messung bedeutet doch immer „Interaktion mit einem Messgerät, Beobachtung durch einen Beobachter oder ein weiteres Gerät usw.“

index_razor hat Folgendes geschrieben:
TomS hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
Everett, Rev.Mod.Phys. 29 (1957). Darin ist natürlich von Dekohärenz nicht die Rede. Er wendet die Viele-Welten-Interpretation ausdrücklich auf geschlossenen Systeme in reinen Zuständen an, nicht auf Gemische.

Das halte ich für unbefriedigend und inzwischen überholt.


"Unbefriedigend" ist in diesem Zusammenhang seltsam. Everett hat versucht das Problem ganz allgemein zu lösen. Hätte er Erfolg gehabt, wäre seine Lösung ohne weiteres auch auf Situationen anwendbar, in denen Dekohärenz auftritt. Das einzig unbefriedigende ist, daß diese Lösung nicht allgemein funktioniert.

Nee, so ist das nicht.

Das Problem tritt zunächst allgemein überhaupt nicht auf, sondern nur speziell im Kontext von Messungen als sehr spezielle Wechselwirkungen mit makroskopischen Systemen. Nur in dem Fall war Everett (aus der damaligen Sicht = als Gegenposition zur orthodoxen Interpretation nach von Neumann) überhaupt gezwungen, eine Lösung anzubieten.

Wenn keine „Messung“ vorliegt (was auch immer das nach der orthodoxen Interpretation sein soll) existiert kein unmittelbares Phänomen, dessen Erscheinen man erklären und auf die Theorie beziehen müsste.

Wenn eine „Messung“ vorliegt, dann muss eine stimmige Interpretation sowie Entsprechung von Modell plus Phänomen gefunden werden. Gerade in dem Fall der „Messung“ als Wechselwirkung mit makroskopischen Systemen hilft jedoch die Dekohärenz. Everett musste die wechselweise Unsichtbarkeit der „Zweige“ postulieren; bzw. er musste postulieren, dass es aus Beobachtersicht sinnvoll ist, zweig-lokal zu argumentieren und zu rechnen (!), auch wenn alle anderen Zweige weiterhin vorliegen. Heute liefert die Dekohärenz die Lösung dieses Problem: ob andere Zweige nun kollabieren und lediglich einer überlebt, oder ob alle Zweige weiterexistieren und lediglich unsichtbar werden ist egal!

D.h. im Falle mikroskopischer, isolierter Systeme bleibt die Everettsche Interpretation der Existenz aller Komponenten innerhalb einer Superposition gültig als das, was sie ist: Ontologie jenseits von Phänomenen, „da ohne Messung prinzipiell unsichtbar“. Und im Fall makroskopischer Systeme löst die Dekohärenz die mathematische Fragestellungen (warum gerade diese Zweige und keine anderen, preferred basis / pointer basis, einselection, …) und es verbleibt wiederum nur Ontologie jenseits von Phänomenen, „da aufgrund der Dekohärenz wechselweise unsichbar“.

Die Dekohärenz hilft also einen ganz entscheidenden Schritt weiter.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Nein, es läuft auf weit mehr hinaus. Die MWI beantwortet nicht mal die Frage, welches von zwei wechselwirkenden Teilsystemen der Beobachter ist.

Doch, das beantwortet dir die Theorie. Du bist im Rahmen der Dekohärenz ein quasi-klassisches, stabiles Subsystem.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
ist es i.A. unmöglich zu sagen, in welchem Zustand er sich nach der Messung befindet.

Der Beobachter verzweigt natürlich ebenfalls (habe ich oben schon geschrieben)


index_razor hat Folgendes geschrieben:
Ja, man muß sie postulieren, aber mein Hauptkritikpunkt ist das nicht. Es mag ja sein das MWI-Anhänger das als ihr drängendstes Problem betrachten. Aber sie akzeptieren ja auch bereits die ontologisch/interpretatorischen Grundlagen der MWI. Sie halten also die wichtigeren Interpretationsprobleme bereits für völlig zufriedenstellend geklärt. Da ich das anders sehe, betrachte ich die Frage, woraus ich die probabilistischen Aussagen der QM ableiten kann, als vergleichsweise unwesentlich.

Das ist eine schöne Zusammenfassung deines Standpunktes: du lehnst die Everettsche Position bzgl. der ontologischen Interpretation ab, daher sind daraus folgende Problemstellungen für dich sekundär.

Frage: warum lehnst du diese ontologische Position bzgl. der QM ab? hättest du im Jahre 1900 auch eine ontologische Position zur Newtonschen Mechanik oder zu den Maxwellschen Gleichungen abgelehnt?

_________________
Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 02. Sep 2015 18:31    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
Ich bin der Ansicht, daß deine letzten Antworten einfach die wesentlichen Argumente gegen die MWI ignorieren.

Ich habe nichts ignoriert, jedenfalls nicht bewusst.


Ich wollte dir auch keine böse Absicht unterstellen. Wenn eins klar ist, dann daß wir völlig verschiedene Ansichten haben, welches die Kernprobleme sind.

Zitat:

Ich denke, wir argumentieren in gewisser Weise aneinander vorbei. Daher wäre es hilfreich, wenn du nochmal kurz zusammenfasst bzw. die wesentlichen Sätze aus deinen obigen Ausführungen zitierst, was aus deiner Sicht die wesentlichen Kernpunkte deiner Argumentation gegen die Everettsche Interpretation sind. (s.u.)


Das werde ich später nochmal versuchen.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Die Frage ob ich die Wahrscheinlichkeiten in der Theorie postulieren muß oder ableiten kann, ist eine rein logische und hat mit der Interpretation nicht das geringste zu tun. Ich kann einfach alle logischen Beziehungen zwischen allen wahren Aussagen der QM ignorieren, sie alle wie Postulate behandeln und habe exakt gar nichts am Interpretationsproblem geändert.

Ich bin weiterhin der Meinung, dass das falsch ist.

Wenn du mit einem Axiomensystem sowie einer Interpretation ohne Wahrscheinlichkeitsbegriff startest, dann kannst du formal logisch prüfen, ob du eine Wahrscheinlichkeit einführen kannst, d.h. ob dies mit den Axiomen ist konsistent ist. Im Falle der Axiome der Everett-I. funktioniert das; Ergebnis ist Gleason’s Theorem, das sogar das Wahrscheinlichkeitsmaß auf einem Hilbertraum eindeutig festlegt.


Ja, soweit keine Einwände.

Zitat:

Wenn du mit einem Axiomensystem ohne Wahrscheinlichkeitsbegriff startest, dann wird dir dieses Axiomensystem natürlich nicht vorgeben, ob du einen Wahrscheinlichkeitsbegriff einführen oder postulieren musst. Das kannst du tun, oder auch bleiben lassen, das ist schlichtweg im Rahmen des Axiomensystems nicht beantwortbar. So besagt eben auch Gleason‘s Theorem lediglich, dass das Wahrscheinlichkeitsmaß entsprechend der Bornschen Regel (und nur dieses) mit den Axiomen verträglich ist, nicht jedoch, dass die Einführung logisch notwendig ist.


Auch keine Einwände. Bis jetzt ist mir nur noch nicht klar, was an meiner Aussage falsch sein soll.

Zitat:

Dass du einen Wahrscheinlichkeitsbegriff einführen musst, erzwingt nach heutigem Kenntnisstand die experimentelle Praxis. Die Anwendung der Quantenmechanik unter Einbeziehung des Wahrscheinlichkeitsbegriffs liefert dir Vorhersagen, die zu experimentell gemessenen Häufigkeiten passen. Bestimmte Experimente sind ausschließlich so sinnvoll auswertbar bzw. interpretierbar (Streuquerschnitte), andere kommen vielleicht ohne aus (Spektrallinien).


Ebenfalls volle Zustimmung.

Zitat:

Wenn / Da die Everettsche Interpretation also ohne Wahrscheinlichkeitsbegriff im Axiomensystem und demnach auch in ihrer rein deterministischen Interpretation startet, die experimentelle Praxis jedoch auf die Notwendigkeit von Wahrscheinlichkeiten hindeutet, dann müssen diese aus anderen Gründen eingeführt werden.


Auch das habe ich nie bestritten.

Zitat:

Da dir die Axiome jedoch keine logisch zwingende Begründung für die Einführung liefern können, muss diese Begründung außerhalb der Axiome erfolgen, also auf Ebene der Interpretation.


Hier wird es etwas zu vage für mich. Wie sieht eine "Begründung außerhalb der Axiome" aus? Zur Begründung einer Aussage verwende ich normalerweise andere Aussagen, die ich als wahr akzeptiere. Meinst du sowas wie eine "Motivation" für die Einführung der probabilistischen Aussagen? Aber wenn ich die so motivierten Aussagen nicht ableiten kann, aber sie trotzdem benötige, warum nicht explizit axiomatisch einführen? Alles andere erweckt den unangenehmen Eindruck man versuche Taschenspielertricks.

Zitat:

Du benötigst also eine mit den Axiomen verträgliche Argumentation, die sich jedoch bzgl. dieser Axiome auf einer Meta-Ebene bewegt, und aus der die Notwendigkeit der Einführung von Wahrscheinlichkeiten sowie deren physikalischer Interpretation folgen (möglichst zwingend, ggf. auch nur als plausible Indizien).


Hiervon verstehe ich soviel: Wenn es die Axiome nicht leisten, müssen es andere Aussagen tun, die irgendwie aus der "Meta-Ebene" stammen. Wenn das gemeint ist verstehe ich nicht die Relevanz der Unterscheidung von Axiomatik und Meta-Ebene. Für mich sind alles einfach Aussagen der Theorie. Vielleicht meinst du sowas wie "metaphysische Aussagen", in denen sich die Interpretationen unterscheiden? Dann ziehen wir offenbar an verschiedenen Stellen die Grenze zwischen Theorie und Interpretation.

Zitat:

Insofern ist deine Aussage, die Einführung von Wahrscheinlichkeiten … hätte mit der Interpretation nicht das geringste zu tun, falsch!


Das habe ich so auch nicht gesagt. Ich habe nur gesagt, es ist egal ob ich sie ableite oder postuliere, sofern sie nicht den restlichen Aussagen logisch widersprechen.

Zitat:

Ob du sie einführen kannst, oder ob du eine mathematische Struktur identifizierst, die mit einem Wahrscheinlichkeitsbegriff assoziiert werden kann, ist eine rein mathematische Fragestellung. Dass du sie einführen musst, oder ob eine entsprechende Assoziation bzw. Interpretation vornehmen musst, ist eine Fragestellung auf Ebene der Interpretation. Ersteres ist seit Gleason gelöst, letzteres ist offen.


Habe ich nicht bestritten. Mich interessiert einfach im Augenblick nicht, ob ich sie einführen muß. Mir reicht, daß nach heutigem Kenntnisstand die experimentelle Praxis dies erzwingt.

Zitat:

D.h. weder zwingt mich die Ebene der Axiome zur Einführung, noch motiviert die deterministische Interpretation ein plumpes Postulat.


Ja und? Es reicht doch völlig, daß es nicht verboten ist zu postulieren. Warum willst du unbedingt was erzwingen?

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Es geht also nicht um einen logischen Widerspruch, sondern eher um “Das widerspricht dem deterministischen Geist der Theorie" oder sowas in der Art.

Ja!


Aha. Dann können wir ja postulieren, solange wir nichts beweisen können.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Das ist also ohnehin ziemlich vage, denn der Determinismus bezieht sich ja nur auf die Zeitentwicklung der Zustände, deren Interpretation ja das eigentliche Problem darstellt.

Was heißt vage?


Der "deterministische Geist der Theorie" ist vage, bzw. was ihm genau widerrspricht.

Zitat:

Die Interpretation der Hilbertraumzustände ist ontologisch im Sinne von „strukturell isomorph und vollständig zur Realität“; d.h. die Zeitenwicklung der Hilbertraumzustände und des physikalischen Systems sind beide deterministisch.

Das muss man nicht mögen, aber es ist nicht vage, sondern sehr präzise.


Das habe ich auch nicht als vage bezeichnet, sondern den gefühlten Widerspruch zwischen dieser Aussage und den von der experimentellen Praxis erzwungenen Wahrscheinlichkeitsaussagen.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Damit kann ich also, solange ich die probabilistischen Aussagen nicht aus den restlichen Annahmen ableiten kann, sie zumindest aus logischer und interpretatorischer Sicht problemlos als Postulate behandeln.

Man kann sie zumindest nicht ausschließlich aus den beiden Axiomen ableiten. Ja, rein logisch im Kontext der Axiome ist dies sicher möglich. Rein interpretatorisch ist ein Postulat (!) m.E. nicht möglich.


Doch ist es, denke ich, schon. Genau das macht Everett ja auch in seinem Paper.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Ich muß dies sogar tun, um alle quantitativen Aussagen der Theorie zu reproduzieren.

Du musst was tun?

Wahrscheinlichkeiten verwenden? Im Sinne der praktischen Anwendbarkeit: ja!
Wahrscheinlichkeiten postulieren? Sicher nein!


Ja, Wahrscheinlichkeiten verwenden. Wenn ich sie verwenden will und nicht ableiten kann, muß ich sie postulieren. Ich weiß beim besten Willen nicht, was du hier für einen logischen Drahtseilakt versuchst, aber es sieht gefährlich aus.

Zitat:

Ausweg? vernünftige Argumente finden, warum Wahrscheinlichkeiten in dieser Interpretation auftreten, bzw. warum es vernünftig ist, die Gewichte einzelner „Zweige“ im Sinne des Wahrscheinlichkeitsmaßes der Bornschen Regel zu verwenden.


Welche Form haben deiner Meinung nach "vernünftige Argumente"? Lassen sie sich zumindest prinzipiell mit Hilfe der klassischen Logik formalisieren?

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
TomS hat Folgendes geschrieben:
Wenn du mit einer realen, objektiven, deterministischen und vollständigen Interpretation startest, dann kannst du Wahrscheinlichkeiten gar nicht zusätzlich einführen, da dies den Voraussetzungen explizit widersprechen würde. Du musst also entweder das Auftreten von Wahrscheinlichkeiten aus den Annahmen heraus ableiten bzw. motivieren, oder du musst bestimmte Annahmen aufgeben


Dieses Argument kam in ähnlicher Form immer wieder und ich finde es ehrlich gesagt völlig konfus. Wenn eine Aussage, in der Wahrscheinlichkeiten auftreten, meinen Voraussetzungen explizit widerspricht, dann kann ich sie unmöglich aus meinen gemachten Annahmen ableiten, es sei denn diese sind schon widersprüchlich. Es gäbe einfach keine Möglichkeit diese Wahrscheinlichkeitsaussagen in die Theorie einzufügen ohne eine Inkonsistenz zu erzeugen. Und wenn ich sie ableiten kann, dann kann ich sie unter logischen Gesichtspunkten genauso gut als Axiom einführen. Das ist dann zwar nicht unabhängig, das ist den Interpretationen aber egal.

s.o.

Deine Aussage gilt im Wesentlichen für die mathematische Ebene der Axiome und der daraus ableitbaren Theoreme, sie gilt jedoch nicht für die Meta-Ebene der Interpretation.

Du darfst also bei deiner Betrachtung nicht die Meta-Ebene im Sinne von „das ist den Interpretationen aber egal“ ausblenden


Doch, in meiner Vorstellung ist eine Interpretation das, was mir mitteilt, was die Axiome und alle daraus ableitbaren Aussagen, kurz die gesamte Theorie, bedeuten, d.h. auf welche realen Strukturen sie sich beziehen, worüber sie etwas aussagen. Ich habe keine Ahnung was für dich diese Meta-Ebene darstellen soll. Ich weiß auch nicht warum ich nicht zwischen der Bedeutung einer Aussage und ihrer logischen Ableitbarkeit aus anderen Aussagen unterscheiden können soll.


Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Dekohärenz ist ja genau, was ich mit "gewissen Näherungen" meine … Das Problem mit deiner Aussage ist: Die Zweigstruktur ist i.A. nicht eindeutig angebbar.

Das ist ein bekannter Einwand gegen diese Interpretation. Rein mathematisch ist der Einwand teilweise korrekt, ob er tatsächlich stört, ist eine andere Frage.


Um es nochmal deutlich zu sagen, mich stört, daß angeblich reale Strukturen der Theorie keine eindeutige Beschreibung erhalten. Das hieße nämlich, daß die Theorie trotz Behauptung der MWI nicht vollständig wäre. Ich habe aber nichts gegen die Behauptung, den Zweigen entsprächen unter bestimmten Näherungsbedingungen Elemente der Realität. Aber ich habe den Eindruck MWI-Anhänger würden gern mehr behaupten.

Zitat:

Vergleiche das doch mal mit dem Begriff „Quark“ in der QCD; du wirst ähnliche semantischer Probleme erkennen.


Richtig. Mein Vergleich war der Begriff Temperatur. Der ist natürlich real, aber nur wenn die Bedingung des theromdynamischen Gleichgewichts gegeben ist.

Zitat:
Ich denke, das zentrale Problem ist die Einführung eines Wahrscheinlichkeitsbegriffs, wozu die mathematischen Axiome eben gerade nicht ausreichend sind, d.h. wozu die Meta-Ebene bemüht werden muss. Insofern war es meinerseits irreführend, von einem Theorem (im Sinne eines Theorems auf Basis der beiden Axiome) zu sprechen; die Einführung eines Wahrscheinlichkeitsbegriffs benötigt sicher Annahmen und Argumentationen auf der Meta-Ebene.


Darunter kann ich mir nichts vorstellen.

Zitat:

Insbs. glaube ich nicht, dass gerade mikroskopische isolierte System ein Problem darstellen, denn dies sind gerade die Systeme, für die die Quantenmechanik überhaupt nicht von Messung spricht!


Ja, das weiß ich. Das geht allerdings etwas in die von dir sonst abgelehnte positivistische Richtung. "Was ich nicht beobachten kann, muß ich nicht weiter beachten, und beobachten kann ich nur mit Hilfe von makroskopischen Systemen." Ich würde trotzdem gern wissen, was Verschränkung für mikroskopische Systeme bedeutet, da die QM nun mal darüber etwas aussagt. Deine Sichtweise widerspricht, wenn ich mich recht erinnere, auch etwas der von Everett, der explizit die Lösung des Problems nicht in der prinzipiell unmöglichen Abgrenzung zwischen mikroskopischen und makroskopischen Systemen gesehen hat.

Zitat:

Messung bedeutet doch immer „Interaktion mit einem Messgerät, Beobachtung durch einen Beobachter oder ein weiteres Gerät usw.“


Das stimmt, aber die MWI hat auch Probleme, wenn sich zwei makroskopische Systeme gegenseitig vermessen.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
TomS hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
Everett, Rev.Mod.Phys. 29 (1957). Darin ist natürlich von Dekohärenz nicht die Rede. Er wendet die Viele-Welten-Interpretation ausdrücklich auf geschlossenen Systeme in reinen Zuständen an, nicht auf Gemische.

Das halte ich für unbefriedigend und inzwischen überholt.


"Unbefriedigend" ist in diesem Zusammenhang seltsam. Everett hat versucht das Problem ganz allgemein zu lösen. Hätte er Erfolg gehabt, wäre seine Lösung ohne weiteres auch auf Situationen anwendbar, in denen Dekohärenz auftritt. Das einzig unbefriedigende ist, daß diese Lösung nicht allgemein funktioniert.

Nee, so ist das nicht.

Das Problem tritt zunächst allgemein überhaupt nicht auf, sondern nur speziell im Kontext von Messungen als sehr spezielle Wechselwirkungen mit makroskopischen Systemen.


Everett setzt nichts darüber voraus wie "makroskopisch" seine Beobachter sind. Aber das Problem existiert m.E. auch in makroskopischen Systemen, wenn sie isoliert sind.

Zitat:

D.h. im Falle mikroskopischer, isolierter Systeme bleibt die Everettsche Interpretation der Existenz aller Komponenten innerhalb einer Superposition gültig als das, was sie ist: Ontologie jenseits von Phänomenen, „da ohne Messung prinzipiell unsichtbar“.


Nicht nur jenseits der Phänomene, sondern auch jenseits der Beschreibbarkeit innerhalb der Theorie. Das ist das Problem. Sie kann schlicht nicht sagen, welche Zweigstruktur in einem System aus zwei mikroskopischen wechselwirkenden Teilen entsteht. Damit ist diese Ontologie überhaupt nicht mehr realistisch.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Nein, es läuft auf weit mehr hinaus. Die MWI beantwortet nicht mal die Frage, welches von zwei wechselwirkenden Teilsystemen der Beobachter ist.

Doch, das beantwortet dir die Theorie. Du bist im Rahmen der Dekohärenz ein quasi-klassisches, stabiles Subsystem.


Wenn das eine Antwort ist, verstehe ich sie nicht. Welches Teilsystem hat während dieser Wechselwirkung die Beobachtung vorgenommen?

Beide Teilsysteme sind makroskopisch. Wie sieht die Zweigstruktur am Ende aus?

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
ist es i.A. unmöglich zu sagen, in welchem Zustand er sich nach der Messung befindet.

Der Beobachter verzweigt natürlich ebenfalls (habe ich oben schon geschrieben)


Er kann aber auf mehrere nicht äquivalente Weisen verzweigen, die sich gegenseitig ausschließen.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Ja, man muß sie postulieren, aber mein Hauptkritikpunkt ist das nicht. Es mag ja sein das MWI-Anhänger das als ihr drängendstes Problem betrachten. Aber sie akzeptieren ja auch bereits die ontologisch/interpretatorischen Grundlagen der MWI. Sie halten also die wichtigeren Interpretationsprobleme bereits für völlig zufriedenstellend geklärt. Da ich das anders sehe, betrachte ich die Frage, woraus ich die probabilistischen Aussagen der QM ableiten kann, als vergleichsweise unwesentlich.

Das ist eine schöne Zusammenfassung deines Standpunktes: du lehnst die Everettsche Position bzgl. der ontologischen Interpretation ab, daher sind daraus folgende Problemstellungen für dich sekundär.


Ja, genau so ist es. Tut mir leid, daß das nicht schon früher klar geworden ist.

Zitat:

Frage: warum lehnst du diese ontologische Position bzgl. der QM ab? hättest du im Jahre 1900 auch eine ontologische Position zur Newtonschen Mechanik oder zu den Maxwellschen Gleichungen abgelehnt?


Die Frage warum ich sie ablehne versuche ich später nochmal zu beantworten. Ich denke ich habe das schon begründet und ein paar Argumente sind jetzt auch in diese Antwort eingeflossen. Vielleicht ist dadurch ja auch schon einiges klarer. Die Gründe für meine Ablehnung treffen m.E. nicht auf die Newtonsche Theorie oder die klassische Elektrodynamik zu. Warum habe ich auch im Zusammenhang mit meiner Kauderwelsch-Brief-Analogie erläutert.
Lars der Eisbär
Gast





Beitrag Lars der Eisbär Verfasst am: 03. Sep 2015 15:44    Titel: MWI Antworten mit Zitat

@TomS

Wenn ich in der Wikipedia nachlese, ob englisch oder deutsch, dann lese ich immer, dass es wirklich reale Welten/Universen sind!!! Warum sollen es auch keine sein? Der Name suggeriert es doch schon. Und warum soll das in jedem, aber wirklich jedem Buch falsch stehen???

Wann immer eine Quantenentscheidung zu treffen ist, z.B. werde ich eine Karte zu Boden, dann gibt es zwei Entscheidungen. Es spaltet sich unser Universum in zwei weitere. So ist das doch.

So wird auch der Kollaps der Wellenfunktion vermieden.
index_razor



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Beitrag index_razor Verfasst am: 03. Sep 2015 16:26    Titel: Re: MWI Antworten mit Zitat

Geht die Frage an mich? TomS behauptet ja, daß alle Zweige real sind, ich bestreite das. Warum ich es bestreite, habe ich in diesem Thread ja dargelegt, also entweder du liest die schon gegebenen Argumente nach oder du wartest auf die geplante Zusammenfassung meiner Einwände.

Lars der Eisbär hat Folgendes geschrieben:

Und warum soll das in jedem, aber wirklich jedem Buch falsch stehen???


Die Frage ist falsch. Nicht in jedem Buch wird überhaupt die MWI vertreten. Daß die Vetreter der MWI die Zweige für real halten, sollte dich aber auch nicht wundern. Diese Interpretation hat den Anspruch die QM realistisch zu interpretieren.
TomS
Moderator


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Beitrag TomS Verfasst am: 03. Sep 2015 16:34    Titel: Re: MWI Antworten mit Zitat

Lars der Eisbär hat Folgendes geschrieben:
Wenn ich in der Wikipedia nachlese … dann lese ich immer, dass es wirklich reale Welten/Universen sind!!! Warum sollen es auch keine sein? Der Name suggeriert es doch schon. Und warum soll das in jedem, aber wirklich jedem Buch falsch stehen???

Wann immer eine Quantenentscheidung zu treffen ist … spaltet sich unser Universum in zwei weitere. So ist das doch.

So wird auch der Kollaps der Wellenfunktion vermieden.

Nur weil diese Begriff der „viele Welten“, „Aufspalten“ usw. geprägt wurden, übrigens nicht von Everett selbst sondern insbs. von deWitt, muss das noch lange nicht gut sein. Die Begriffe sind nicht falsch, denn es handelt sich lediglich um umgangssprachliche Veranschaulichungen exakter mathematische Vorschriften; sie sind aber teilweise irreführend sowie „metaphysisch vorbelastet“.

Welche Bücher meinst du?

In vielen Originalarbeiten wird jedenfalls darauf hingewiesen, dass dieser Sprachgebrauch nur teilweise zutreffend bzw. teilwiese irreführend ist. Jedenfalls rührt die Kritik an der Everett-Interpretation auch daher, dass nicht die Everett-Interpretation selbst kritisiert wird, sondern unzutreffende bzw. irreführende „Karikaturen“ derselben (das trifft leider auch auf andere Teilbereiche der Physik zu, z.B. die Hawkingstrahlung, die drei Quarks im Proton, virtuelle Teilchen, um nur ein paar schlimme Beispiele zu nennen). Und sicher verwende auch ich in dieser Diskussion immer wieder unsaubere Formulierungen, die man eigtl. vermeiden sollte.

Der Kollaps der Wellenfunktion wird nicht durch Begriffe vermieden, sondern durch den mathematischen Formalismus (zwei Axiome, die keinen Kollapsbegriff o.ä. verwenden) sowie durch die ontologische Interpretation, dass nämlich das real existierende physikalische System immer dem einen, vollständigen Zustandsvektor entspricht u.u.

Demzufolge findet auch keine eigtl. „Aufspaltung“ eines Systems in mehrere statt; bzw. es findet keine Aufspaltung der Welt oder des Universums in mehrere statt, sondern es wird lediglich eine mikroskopisch vorhandene Superposition einem makroskopischen System „aufgeprägt“. Die „Zweige“ sind vor der eigtl. Messung bereits mikroskopisch angelegt.

Vor der Messung liegt ein Gesamtzustand für das Gesamtsystem „Quantensystem + Messgerät + Umgebung“ der Form




vor. D.h. das Quantensystem ist in einem Superpositionszustand, das Messgerät in einem „neutralen“ Zustand |0> und die Umgebung in einem nicht weiter spezifizierten Zustand |…>. Und wir dürfen annehmen, dass diese drei Subsysteme isoliert und nicht verschränkt sind.

Nach der Messung einer Observablen (= der Interaktion des Messgeräts und der Umgebung mit dem Quantensystem sowie der daraus resultierenden Dekohärenz) liegt ein Zustand der Form


vor. D.h. die zuvor mikroskopische Superposition wurde jetzt dem makroskopischen System aufgeprägt; dabei korrespondiert der „Zeigerzustand“ |A> zum makroskopischen Messgerät, das das entsprechende Resultat „A“ zu Quantenzustand |a> anzeigt. Damit wird klar, dass „Zweig-lokal“ immer nur der Eigenwert a beobachtet und durch die „Zeigerstellung“ |A> angezeigt wird.

Allerdings enthält der Gesamtzustand noch weitere „kleine Komponenten“, die jedoch unterdrückt sind, d.h. deren Amplituden in Folge der Dekohärenz unmessbar klein sind. Z.B. liegt auch ein „Zweig“ der Form



vor, der z.B. bedeutet, dass ein Beobachter diesem „Zweig“ zu einem Elektron mit Spineinstellung „down“ die Zeigerstellung „up“ sieht. Dieser Zweig ist nicht nicht-existent, er ist durch seinen kleinen Vorfaktor lediglich „dynamisch unterdrückt“. Darsaus folgt jedoch, dass die naive Abzählung der Zweige nicht funktioniert!

D.h. man sollte eigtl. nicht von einer Aufspaltung sprechen, denn der Zustandsvektor spaltet sich nicht auf, er entwickelt lediglich große bzw. kleine Komponenten bzgl. bestimmter Basisvektoren. Es handelt sich aber weiterhin um einen einzelnen, eindimensionalen Zustandsvektor.

In vielen Texten wird leider immer wieder ein Beispiel mit zwei Alternativen und den Wahrscheinlichkeiten von je 50% diskutiert. Setzt man probeweise mal andere Wahrscheinlichkeiten an , z.B. 10% und 90%, so stellt man häufig fest, dass die Erklärungen inkonsistent sind, da sie nur mit den 50% funktioniert, weil z.B. implizit angenommen wird, dass genau zwei Zweige existieren. Merke: Abzählen von Zweigen ist nicht möglich.

Das ist aber zugleich eine der großen Schwächen der Interpretation, da die auf den ersten Blick ach so einfache Argumentation nicht funktioniert. Es ist eben nicht trivialerweise klar, was ein „Zweig“ wirklich „ist“. Der Begriff „Zweig“ oder „Welt“ wird in der zugrundeliegenden Mathematik aus guten Gründen an keiner Stelle verwendet. Es ist auch nicht klar, warum diese winzigen Vorfaktoren vor den exotischen Zweigen bedeuten, dass diese Zweige nur mit einer praktisch verschwindenden Wahrscheinlichkeit beobachtet werden.

Insgs. teilt die Everett-Interpretation das Schicksal andere Interpretation, dass die Darstellung entweder anschaulich jedoch unpräzise, irreführend bis falsch ist, oder dass eine anschauliche Darstellung zugunsten der mathematische Strenge bzw. der Vermeidung von Fallen vermieden wird, wobei damit natürlich der Sinn der Interpretation verloren geht. Da muss man irgendwo einen Mittelweg finden.

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Beitrag index_razor Verfasst am: 03. Sep 2015 19:47    Titel: Re: MWI Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:

Allerdings enthält der Gesamtzustand noch weitere „kleine Komponenten“, die jedoch unterdrückt sind, d.h. deren Amplituden in Folge der Dekohärenz unmessbar klein sind. Z.B. liegt auch ein „Zweig“ der Form




Im Gesamtsystem Objekt+Meßgerät+Umgebung existiert keine Dekohärenz. Das würde der normalen unitären Zeitentwicklung widersprechen. Der Endzustand (nach Wechselwirkung mit Umgebung) hat unweigerlich die Form

Dekohärenz bezieht sich nur auf das Teilsystem Objekt+Meßgerät. Dieses kann exakt durch den Dichteoperator

beschrieben werden, der aus der partiellen Spur über die Umgebung erhalten wird. Dieses Teilsystem wird also dekohärent, sofern nach der Messung irgendwann mal gilt. Dann ist die Dichtematrix diagonal bzgl. der Eigenbasis , enthält also keine Terme mehr. Terme treten von vornherein nicht auf.

Zitat:

vor, der z.B. bedeutet, dass ein Beobachter diesem „Zweig“ zu einem Elektron mit Spineinstellung „down“ die Zeigerstellung „up“ sieht. Dieser Zweig ist nicht nicht-existent, er ist durch seinen kleinen Vorfaktor lediglich „dynamisch unterdrückt“. Darsaus folgt jedoch, dass die naive Abzählung der Zweige nicht funktioniert!


Daß solche Terme normalerweise nicht auftreten hat nichts mit Dekohärenz zu tun, sondern damit, daß man von einem Meßgerät verlangen kann, einen Eigenzustand |a> auch mit Sicherheit anzuzeigen. Das ist kein großes Mysterium sondern folgt einfach aus der Wechselwirkung zwischen Objekt und Meßapparat und deren exakter ungestörter Zeitentwicklung. (Insofern ist "dynamisch unterdrückt" schon irgendwie richtig, aber nicht in dem Sinne, den du meinst.) Zum Beispiel gibt es auch für einen vollkommen isolierten Stern-Gerlach-Apparat keine Möglichkeit, daß ein Spin-up-Teilchen im angelegten Magnetfeld in dieselbe Richtung fliegt wie ein Spin-down-Teilchen, auch ohne Dekohärenz. Wenn die Wechselwirkung solche Mischterme nicht verbieten würde, hätte es ja auch wenig Sinn, von einem "Meßgerät" für die betrachtete Observable zu sprechen.
TomS
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Beitrag TomS Verfasst am: 04. Sep 2015 08:40    Titel: Re: MWI Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
TomS hat Folgendes geschrieben:
Allerdings enthält der Gesamtzustand noch weitere „kleine Komponenten“, die jedoch unterdrückt sind, d.h. deren Amplituden in Folge der Dekohärenz unmessbar klein sind.

Im Gesamtsystem Objekt+Meßgerät+Umgebung existiert keine Dekohärenz.

Natürlich existiert Dekohärenz im Gesamtsystem.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Das würde der normalen unitären Zeitentwicklung widersprechen.

Nein, natürlich nicht. Was der Unitarität widersprechen würde, wäre der Übergang von einem reinen in einen gemischten Zustand für das Gesamtsystem; das ist natürlich nicht der Fall. Es liegt lediglich ein gemischter Zustand eines Teilsystems nach Ausspuren der unbeobachtbaren Umgebungsfreiheitsgrade vor, also in einer Näherung.

Daher erscheint das Teilsystem dekohärent, der Effekt resultiert jedoch aus der Verschränkung mit den (unbeobachtbaren) Umgebungsfreiheitsgraden, d.h. er existiert nur im Gesamtsystem.

Die Unterscheidung zwischen "existieren" und "erscheinen" ist gerade im Kontext der Interpretation wichtig.
TomS
Moderator


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Beitrag TomS Verfasst am: 04. Sep 2015 12:21    Titel: Antworten mit Zitat

Zurück zu den wesentlichen Themen.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Da dir die Axiome jedoch keine logisch zwingende Begründung für die Einführung liefern können, muss diese Begründung außerhalb der Axiome erfolgen, also auf Ebene der Interpretation.

Hier wird es etwas zu vage für mich. Wie sieht eine "Begründung außerhalb der Axiome" aus? Zur Begründung einer Aussage verwende ich normalerweise andere Aussagen, die ich als wahr akzeptiere. Meinst du sowas wie eine "Motivation" für die Einführung der probabilistischen Aussagen? Aber wenn ich die so motivierten Aussagen nicht ableiten kann, aber sie trotzdem benötige, warum nicht explizit axiomatisch einführen?

Zitat:
Du benötigst also eine mit den Axiomen verträgliche Argumentation, die sich jedoch bzgl. dieser Axiome auf einer Meta-Ebene bewegt, und aus der die Notwendigkeit der Einführung von Wahrscheinlichkeiten sowie deren physikalischer Interpretation folgen (möglichst zwingend, ggf. auch nur als plausible Indizien).

Hiervon verstehe ich soviel: Wenn es die Axiome nicht leisten, müssen es andere Aussagen tun, die irgendwie aus der "Meta-Ebene" stammen. Wenn das gemeint ist verstehe ich nicht die Relevanz der Unterscheidung von Axiomatik und Meta-Ebene. Für mich sind alles einfach Aussagen der Theorie.



Ja und? Es reicht doch völlig, daß es nicht verboten ist zu postulieren. Warum willst du unbedingt was erzwingen?

Wir sind uns doch darüber einig, dass die genannten Axiome der Everettschen I. keine rein mathematischen Axiome sind, sondern Aussagen, die eine Beziehung zwischen einer mathematischen Struktur sowie der „Realität“ darstellen.

Nun folgt rein aus der mathematischen Struktur, d.h. beweisbar als Gleason’s Theorem, dass diese mathematische Struktur ein Wahrscheinlichkeitsmaß „enthält“ oder „zulässt“. Natürlich folgt nicht, dass ich es als solches überhaupt verwende oder interpretiere. Die Axiomatik der Everettschen I. weist also bereits auf Wahrheinlichkeiten hin. Das ist ein unglaublich interessantes Ergebnis. Es ist sogar exakt beweisbar, dass die Bornsche Regel als einziges mögliches Wahrscheinlichkeitsmaß ausgezeichnet ist. Das halte ich für spektakulär. Im Kontext der Ensemble-I. ist evtl. der Hartle frequency operator relevanter als in der Everettschen I.; auch seine Existenz halte ich für spektakulär.

Wäre es nicht äußerst seltsam, dass ich eine Wahrscheinlichkeitsinterpretation als Axiom einführe, obwohl ich die mathematische Strukturen dazu als Theoreme erhalte?

Wir sind schon fast da, irgendwie hat es den Anschein, als ob alles (fast alles), was ich brauche, schon in der Theorie steckt. Evtl. muss ich gar nichts mehr zusätzlich postulieren, ich muss es nur noch herausfinden. Dazu benötige ich eine sinnvolle Argumentation, evtl. eine zusätzliche sinnvolle Annahme, aber sicher nicht einfach das Postulat, dass dieses und jenes eine Wahrscheinlichkeit ist; dieses Postulat wäre viel zu stark, da es Dinge mit postuliert, die die Theorie schon ohne dieses Postulat praktisch auf dem Silbertablett präsentiert.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Der "deterministische Geist der Theorie" ist vage, bzw. was ihm genau widerspricht.

Der deterministische Geist ist zunächst mal nicht vage, sondern entspricht einfach den Axiomen. Diese postulieren eine unitäre und damit deterministische Zeitentwicklung (vergleichbar zur Newtonschen Mechanik). Und die Everettsche I. setzt den Quantenzustand als Repräsentation des realen Systems und seiner Dynamik, also als „ontologisch“ an. Damit gilt der Determinismus auch für die reale Welt (ebenfalls wieder wie in der Newtonschen Mechanik).

(auch in der Newtonschen Mechanik ist der deterministische Geist nicht vage, sondern sehr präzise)

Was also widerspricht dem deterministischen Geist? Scheinbar die experimentellen Ergebnisse!

Daraus resultieren nun zwei Möglichkeiten:
1) Ich verwerfe den theoretischen Ansatz oder zumindest den deterministischen Geist und postuliere eine Wahrscheinlichkeitsinterpretation: Damit verwerfe ich zugleich den Anspruch, die Theorie sein „ontologisch“ und vollständig (nur die Unvollständigkeit des Wissen erlaubt mir, in der klassischen Physik eine Wahrscheinlichkeitsinterpretation einzuführen; die Everettsche I. behauptet jedoch, dass der Zustand die Information, sogar die Realität vollständig bzgl. eines Einzelsystems kodiert, und damit erlaubt er gerade keine Wahrscheinlichkeitsinterpretation auf Basis von unvollständigem Wissen). Wenn ich also so vorgehe, dann ist das, was ich erhalte, schlichtweg eine völlig andere Interpretation!
2) Ich behalte den theoretischen Ansatz und den deterministischen Geist bei, d.h. ich postuliere keine Wahrscheinlichkeitsinterpretation: Dann befinde ich mich zunächst in der unglücklichen Situation, begründen zu müssen, woher die Wahrscheinlichkeiten auf phänomenaler Ebene stammen, wenn sie doch in die mathematische Struktur der Theorie nicht eingeführt wurden. So schlimm ist die Situation jedoch gar nicht, denn ich kenne ja die o.g. Ergebnisse des Theorems von Gleason usw., und ich nehme das als Indiz, dass ich doch auf dem richtigen Weg bin, und dass ich die Wahrscheinlichkeitsinterpretation in gewisser Weise aus der Theorie selbst erhalten werde, gerade weil mir diese ja schon diesbzgl. Indizien liefert.





index_razor hat Folgendes geschrieben:
Wenn ich sie verwenden will und nicht ableiten kann, muß ich sie postulieren.

Welche Form haben deiner Meinung nach "vernünftige Argumente"?

Ich denke, dazu sollten wir uns genau diesen Argumenten von Saunders, Wallace, Carroll et al. zuwenden. Die Idee ist, schwächere Annahmen zu treffen als das Postulat einer Wahrscheinlichkeit (meine Begründung s.o.).

Wie ich jedoch schon sagte, habe ich diese nie im Detail verstanden, sie sind alles andere als „einfach“, und sie sind keinesfalls unumstritten.



index_razor hat Folgendes geschrieben:
Ja, man muß sie postulieren, aber mein Hauptkritikpunkt ist das nicht. Es mag ja sein das MWI-Anhänger das als ihr drängendstes Problem betrachten. Aber sie akzeptieren ja auch bereits die ontologisch/interpretatorischen Grundlagen der MWI. Sie halten also die wichtigeren Interpretationsprobleme bereits für völlig zufriedenstellend geklärt. Da ich das anders sehe, betrachte ich die Frage, woraus ich die probabilistischen Aussagen der QM ableiten kann, als vergleichsweise unwesentlich.



Tut mir leid, daß das nicht schon früher klar geworden ist.

Das muss dir nicht leid tun; wichtig ist, dass es klar geworden ist.

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Beitrag index_razor Verfasst am: 04. Sep 2015 12:33    Titel: Re: MWI Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
TomS hat Folgendes geschrieben:
Allerdings enthält der Gesamtzustand noch weitere „kleine Komponenten“, die jedoch unterdrückt sind, d.h. deren Amplituden in Folge der Dekohärenz unmessbar klein sind.

Im Gesamtsystem Objekt+Meßgerät+Umgebung existiert keine Dekohärenz.

Natürlich existiert Dekohärenz im Gesamtsystem.


Unter Dekohärenz versteht man, daß die Nichtdiagonalelemente des Dichteoperators (in der betrachtete Basis) verschwinden. Der Dichteoperator des Gesamtsystems ist

und dessen Matrixelemente verschwinden nicht (ansonsten war der Objektzustand vor der Messung schon dekohärent.). Nur die Elemente des partiellen Dichteoperators
können mit der Zeit klein werden, sofern die Umgebungszustände, die zu verschiedenen Werten gehören orthogonal werden.

TomS hat Folgendes geschrieben:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Das würde der normalen unitären Zeitentwicklung widersprechen.

Nein, natürlich nicht. Was der Unitarität widersprechen würde, wäre der Übergang von einem reinen in einen gemischten Zustand für das Gesamtsystem; das ist natürlich nicht der Fall.


Eben, genau das meine ich ja. Im Zustand des Gesamtsystems tritt keine Dekohärenz auf, weil er wegen der unitären Zeitentwicklung stets in einem reinen Zustand bleibt, der dieselbe Interferenz zwischen den Meßwerten a,b,... beschreibt, wie vor der Messung. Die Interferenz ist nur mit einer großen Anzahl von Umgebungsfreiheitsgraden verschränkt worden, aber immer noch vorhanden. Oder anders ausgedrückt: die Information über die Interferenzterme ist in die Umgebung verschwunden und dort an eine große Anzahl an Freiheitsgraden gekoppelt. Nur weil diese im Detail nicht beobachtet werden, bemerkst du nichts davon im Teilsystem aus Objekt und Meßapparat.
TomS
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Beitrag TomS Verfasst am: 04. Sep 2015 12:57    Titel: Re: MWI Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Unter Dekohärenz versteht man, daß die Nichtdiagonalelemente des Dichteoperators (in der betrachtete Basis) verschwinden.

Das ist zu einfach gedacht:

Zeh vermeidet bewusst den Begriff der Dichtematrix im Kontext der Everettschen I., auch wenn es um die Definition der Dekohärenz geht:

Zeh hat Folgendes geschrieben:
Der Denkfehler rührt daher, daß der Begriff einer Dichtematrix nur zur Berechnung von Erwartungswerten für lokale Messungen, also bereits unter Voraussetzung der probabilistischen Interpretation, gerechtfertigt ist … Tatsächlich bestimmt der Dekohärenzmechanismus eine „bevorzugte“ Basis, deren Zustände in allen makroskopischen Variablen in sehr guter Näherung faktorisieren - also innerhalb der einzelnen Komponenten bezüglich dieser Basis nicht mehr verschränkt sind. Diese bevorzugte … Basis ist „robust“, indem sie dynamisch autonome Zweige der Wellenfunktion charakterisiert …



In solchen Fällen verschränkter Zustände benutzt man häufig ein formales Hilfskonzept für die Subsysteme: die reduzierte Dichtematrix. Sie ist ein wichtiges Instrument in der Theorie der Dekohärenz, gibt aber auch Anlaß zu wesentlichen Mißverständnissen … Die reduzierte Dichtematrix sieht genau so aus, als ob sie das gewünschte statistische Ensemble von Zeigerstellungen darstellte. Damit scheint das Problem des Meßprozesses gelöst! Diese plausibel erscheinende Interpretation stellt aber vielmehr das verbreitetste Mißverständnis der Dekohärenztheorie dar … [denn] schon die Spur über das System S allein würde danach ausreichen, wenn nach der Messung nur der Apparat A betrachtet wird. Wozu braucht man dann noch die Umgebung? Der Grund für das Mißverständnis rührt daher, daß eine Dichtematrix schlichtweg nicht zwischen Verschränkung und einem Ensemble unterscheiden kann … Die Dichtematrix wurde eingeführt als eine Größe, die alle am Subsystem zu messenden Eigenschaften im Sinne der Wahrscheinlichkeitsinterpretation richtig und vollständig wiedergeben kann. Sie würde zu deren Begründung selber auf ein zirkuläres Argument führen

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Beitrag index_razor Verfasst am: 04. Sep 2015 13:52    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:

Wir sind uns doch darüber einig, dass die genannten Axiome der Everettschen I. keine rein mathematischen Axiome sind, sondern Aussagen, die eine Beziehung zwischen einer mathematischen Struktur sowie der „Realität“ darstellen.


Ja, ich denke prinzipiell sind wir wohl schon darüber einig. Ich weiß allerdings nicht genau, welche "genannten" Axiome du meinst. Und ob wir wirklich dasselbe verstehen, wenn wir von "Axiomen", "Interpretation" etc. reden bin ich mir auch trotzdem nicht so sicher.

Zitat:

Nun folgt rein aus der mathematischen Struktur, d.h. beweisbar als Gleason’s Theorem, dass diese mathematische Struktur ein Wahrscheinlichkeitsmaß „enthält“ oder „zulässt“. Natürlich folgt nicht, dass ich es als solches überhaupt verwende oder interpretiere. Die Axiomatik der Everettschen I. weist also bereits auf Wahrheinlichkeiten hin.


Hier sprichst du erst davon, daß die mathematische Struktur ein Wahrscheinlichkeitsmaß enthält, und dann davon, daß die Everettsche Interpretation auf ein solches hinweist. Das finde ich wieder verwirrend. Denn die mathematische Struktur ist dieselbe wie in der Ensembleinterpretation. Also hat das Auftreten eines möglichen Wahrscheinlichkeitsmaßes doch nichts mit der Everettschen Interpretation zu tun.

Zitat:

Wäre es nicht äußerst seltsam, dass ich eine Wahrscheinlichkeitsinterpretation als Axiom einführe, obwohl ich die mathematische Strukturen dazu als Theoreme erhalte?


Hier schaffe ich es einfach nicht, mich dir verständlich zu machen. Nein, das wäre überhaupt nicht seltsam. Das hieße nur, daß meine Axiome redundant sind, ich also eines meiner Axiome aus den anderen beweisen kann. Es wäre noch weniger seltsam, wenn, wie du sagst für die benötigte Aussage noch gar kein Beweis bekannt ist. Ob ein solcher existiert, ob also meine Axiome letztlich nicht unabhängig voneinander sind, ist aber völlig egal, wenn wir nur über verschiedene Interpretationen der Axiome reden. Denn meine Interpretation muß allen Aussagen, die irgendwie aus den Axiomen folgen, also auch den Axiomen selbst einen Sinn geben.

Zitat:

Wir sind schon fast da, irgendwie hat es den Anschein, als ob alles (fast alles), was ich brauche, schon in der Theorie steckt. Evtl. muss ich gar nichts mehr zusätzlich postulieren, ich muss es nur noch herausfinden. Dazu benötige ich eine sinnvolle Argumentation, evtl. eine zusätzliche sinnvolle Annahme, aber sicher nicht einfach das Postulat, dass dieses und jenes eine Wahrscheinlichkeit ist; dieses Postulat wäre viel zu stark, da es Dinge mit postuliert, die die Theorie schon ohne dieses Postulat praktisch auf dem Silbertablett präsentiert.


Wie gesagt, das ist ein völlig anderes Problem, das nichts mit der Interpretation zu tun hat. Es ist der Interpretation völlig egal, ob du Dinge postulierst, die bereist aus anderen Postulaten folgen. (Wo soll eigentlich der Unterschied sein zwischen einer "sinnvollen Annahme" und einem Postulat?) Hier erwarte ich jetzt natürlich heftigen Widerspruch, der wohl daher kommt, daß du irgendein anderes Verständnis von "Interpretation" hast als "Etwas, das den Aussagen meiner Theorie Sinn gibt, sagt worüber ihre Aussagen handeln und was sie bedeuten." Was dieses "Etwas" ist läßt sich sogar für mathematische Theorien und Strukturen einigermaßen gut präzisieren. Vielleicht ist dieser Begriff aber auch keine adäquate Abbildung von "Interpretation der QM", das weiß ich nicht. Ich wüßte aber keinen besseren und wenn du was anderes unter "Interpretation" verstehst, dann ist mir nicht klar was.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Der "deterministische Geist der Theorie" ist vage, bzw. was ihm genau widerspricht.

Der deterministische Geist ist zunächst mal nicht vage, sondern entspricht einfach den Axiomen. Diese postulieren eine unitäre und damit deterministische Zeitentwicklung (vergleichbar zur Newtonschen Mechanik). Und die Everettsche I. setzt den Quantenzustand als Repräsentation des realen Systems und seiner Dynamik, also als „ontologisch“ an. Damit gilt der Determinismus auch für die reale Welt (ebenfalls wieder wie in der Newtonschen Mechanik).

(auch in der Newtonschen Mechanik ist der deterministische Geist nicht vage, sondern sehr präzise)


Ich meine nicht, daß der Begriff Determinismus selbst vage ist, sondern worin im Zusammenhang mit Wahrscheinlichkeitssaussgen der Widerspruch zu ihm besteht. Determinismus besagt ja lediglich, daß die Zeitentwicklung einen Zustand zu beliebigen Zeiten aus einem Anfangszustand festlegt. Dieser "Zustand" kann aber natürlich auch Wahrscheinlichkeitsaussagen enthalten, wie in gewöhnlichen klassischen stochastischen Differentialgleichungen auch, an denen ja nichts widersprüchlich ist. Also handelt es sich ja offensichtlich nicht um einen rein logischen Widerspruch, denn sonst könnte weder die Ensembleinterpretation Wahrscheinlichkeiten verwenden, noch die Everett-Interpretation sie ableiten.

Zitat:

Was also widerspricht dem deterministischen Geist? Scheinbar die experimentellen Ergebnisse!

Daraus resultieren nun zwei Möglichkeiten:
1) Ich verwerfe den theoretischen Ansatz oder zumindest den deterministischen Geist und postuliere eine Wahrscheinlichkeitsinterpretation: Damit verwerfe ich zugleich den Anspruch, die Theorie sein „ontologisch“ und vollständig (nur die Unvollständigkeit des Wissen erlaubt mir, in der klassischen Physik eine Wahrscheinlichkeitsinterpretation einzuführen; die Everettsche I. behauptet jedoch, dass der Zustand die Information, sogar die Realität vollständig bzgl. eines Einzelsystems kodiert, und damit erlaubt er gerade keine Wahrscheinlichkeitsinterpretation auf Basis von unvollständigem Wissen).


Im Prinzip ja Zustimmung. Nur ist die Frage, ob meine Theorie die Realität vollständig beschreibt völlig verschieden von der Frage, ob sie deterministisch ist. Die erste fällt in den Bereich der Interpretation, die zweite folgt allein aus den Bewegungsgleichungen, ist also eine in allen Interpretationen gleich wahre mathematische Aussage.

Zitat:

Wenn ich also so vorgehe, dann ist das, was ich erhalte, schlichtweg eine völlig andere Interpretation!


Ja, aber eine genauso deterministische.

Zitat:

2) Ich behalte den theoretischen Ansatz und den deterministischen Geist bei, d.h. ich postuliere keine Wahrscheinlichkeitsinterpretation: Dann befinde ich mich zunächst in der unglücklichen Situation, begründen zu müssen, woher die Wahrscheinlichkeiten auf phänomenaler Ebene stammen, wenn sie doch in die mathematische Struktur der Theorie nicht eingeführt wurden. So schlimm ist die Situation jedoch gar nicht, denn ich kenne ja die o.g. Ergebnisse des Theorems von Gleason usw., und ich nehme das als Indiz, dass ich doch auf dem richtigen Weg bin, und dass ich die Wahrscheinlichkeitsinterpretation in gewisser Weise aus der Theorie selbst erhalten werde, gerade weil mir diese ja schon diesbzgl. Indizien liefert.


Ja und wenn dir so eine Begründung stichhaltig gelungen ist, dann hast du eine Konsequenz gezogen, die dem "deterministischen Geist" deiner Voraussetzungen immer noch widerspricht. Verbessert das deine Lage? Wie schlimm diese Situation von Anfang an war, hängt nur davon ab, wie empfindlich du gegen diesen "Widerspruch" eingestellt warst. Wenn du eine Begründung nach deiner Vorstellung gefunden hast, dann heißt das nur, daß von Anfang an kein so großes Dilemma vorgelegen hat, wie gedacht.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Ja, man muß sie postulieren, aber mein
Tut mir leid, daß das nicht schon früher klar geworden ist.

Das muss dir nicht leid tun; wichtig ist, dass es klar geworden ist.


Naja, es ist mir schon ein Anliegen, Frustrationen zu vermeiden, die durch langes Aneinandervorbeireden entstehen.


Zuletzt bearbeitet von index_razor am 04. Sep 2015 14:25, insgesamt 2-mal bearbeitet
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Beitrag index_razor Verfasst am: 04. Sep 2015 14:06    Titel: Re: MWI Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
Unter Dekohärenz versteht man, daß die Nichtdiagonalelemente des Dichteoperators (in der betrachtete Basis) verschwinden.

Das ist zu einfach gedacht:

Zeh vermeidet bewusst den Begriff der Dichtematrix im Kontext der Everettschen I., auch wenn es um die Definition der Dekohärenz geht:


Natürlich kann man den Begriff Dichtematrix vermeiden und stattdessen z.B. von Übergangsamplituden oder sowas reden. Ich verstehe nur nicht, wieso das meiner Aussage widersprechen soll. Mir ging es hier ja auch nicht um die Everettsche Interpretation, sondern ausschließlich um den Begriff Dekohärenz. Du scheinst das gar nicht trennen zu wollen.


Zeh hat Folgendes geschrieben:
Der Denkfehler rührt daher, daß der Begriff einer Dichtematrix nur zur Berechnung von Erwartungswerten für lokale Messungen, also bereits unter Voraussetzung der probabilistischen Interpretation, gerechtfertigt ist … Tatsächlich bestimmt der Dekohärenzmechanismus eine „bevorzugte“ Basis, deren Zustände in allen makroskopischen Variablen in sehr guter Näherung faktorisieren - also innerhalb der einzelnen Komponenten bezüglich dieser Basis nicht mehr verschränkt sind. Diese bevorzugte … Basis ist „robust“, indem sie dynamisch autonome Zweige der Wellenfunktion charakterisiert …



In solchen Fällen verschränkter Zustände benutzt man häufig ein formales Hilfskonzept für die Subsysteme: die reduzierte Dichtematrix. Sie ist ein wichtiges Instrument in der Theorie der Dekohärenz, gibt aber auch Anlaß zu wesentlichen Mißverständnissen … Die reduzierte Dichtematrix sieht genau so aus, als ob sie das gewünschte statistische Ensemble von Zeigerstellungen darstellte. Damit scheint das Problem des Meßprozesses gelöst! Diese plausibel erscheinende Interpretation stellt aber vielmehr das verbreitetste Mißverständnis der Dekohärenztheorie dar … [denn] schon die Spur über das System S allein würde danach ausreichen, wenn nach der Messung nur der Apparat A betrachtet wird. Wozu braucht man dann noch die Umgebung? Der Grund für das Mißverständnis rührt daher, daß eine Dichtematrix schlichtweg nicht zwischen Verschränkung und einem Ensemble unterscheiden kann … Die Dichtematrix wurde eingeführt als eine Größe, die alle am Subsystem zu messenden Eigenschaften im Sinne der Wahrscheinlichkeitsinterpretation richtig und vollständig wiedergeben kann. Sie würde zu deren Begründung selber auf ein zirkuläres Argument führen


Auch hier verstehe ich den Zusammenhang nicht. Um welche wesentlichen Mißverständnisse geht es? Ich habe nicht behauptet, daß Dekohärenz das Meßproblem löst oder eine Wahrscheinlichkeitsinterpretation begründen würde.
Reiner Zustand
Gast





Beitrag Reiner Zustand Verfasst am: 04. Sep 2015 16:27    Titel: Antworten mit Zitat

@Index Razor

Abgesehen davon, dass der fundamentale Unterschied zwischen den beiden Interpretationen ins Auge springt, darf man davon ausgehen, dass die Protagonisten selbst sich dieser Unterschied bewusst sind (im Gegensatz zu dir), sonst hätten sie gemerkt, dass sie das gleiche meinen.

@ Alle Physiker
Ich finde die Diskussion tiefgründig und sehr interessant und würde mich freuen zu lesen, was die andere Physiker hier dazu meinen.
index_razor



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Beitrag index_razor Verfasst am: 04. Sep 2015 16:53    Titel: Antworten mit Zitat

Reiner Zustand hat Folgendes geschrieben:
@Index Razor
Abgesehen davon, dass der fundamentale Unterschied zwischen den beiden Interpretationen ins Auge springt, darf man davon ausgehen, dass die Protagonisten selbst sich dieser Unterschied bewusst sind (im Gegensatz zu dir), sonst hätten sie gemerkt, dass sie das gleiche meinen.


Meinst du mit den beiden Interpretationen die Everettsche und die Ensemble-Interpretation? Ich bin mir des fundamentalen Unterschieds beider Interpretationen vollkommen bewußt und habe nie behauptet, sie würden das gleiche meinen. Wenn du das denkst, hast du mich vollkommen mißverstanden. Du scheinst da aber jedenfalls nicht der einzige zu sein. Ich werde versuchen, mich klarer auszudrücken. Ich arbeite noch ein einer Zusammenfassung meines Standpunkts, weiß allerdings noch nicht, wann ich dazu komme die abzuschließen. Vielleicht wird es ja dann klarer.
Reiner Zustand
Gast





Beitrag Reiner Zustand Verfasst am: 05. Sep 2015 11:51    Titel: Punktteilchen oder etwas unbekanntes Antworten mit Zitat

hier
Zitat:
 „Ich weiß beim besten Willen nicht, was du hier für einen logischen Drahtseilakt versuchst, aber es sieht gefährlich aus.“

erweckst Du den Eindruck, der Unterschied ist Dir doch bewusst.
Wenn Du sagen könntest wo die Gefahr besteht, wäre das Verständnis deiner Gedankengänge einfacher.

Nachhilfe:Denke daran, dass in QM bzw. in physikalische Welt kein Punktteilchen existiert.
Alle Probleme, die sich daraus (Punktteilchen) ergeben sind reine Phantasie weil es überhaupt kein Punktteilchen existiert.
TomS
Moderator


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Beitrag TomS Verfasst am: 06. Sep 2015 01:10    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Nun folgt rein aus der mathematischen Struktur, d.h. beweisbar als Gleason’s Theorem, dass diese mathematische Struktur ein Wahrscheinlichkeitsmaß „enthält“ oder „zulässt“. Natürlich folgt nicht, dass ich es als solches überhaupt verwende oder interpretiere. Die Axiomatik der Everettschen I. weist also bereits auf Wahrheinlichkeiten hin.

Hier sprichst du erst davon, daß die mathematische Struktur ein Wahrscheinlichkeitsmaß enthält, und dann davon, daß die Everettsche Interpretation auf ein solches hinweist ... Die mathematische Struktur ist dieselbe wie in der Ensembleinterpretation. Also hat das Auftreten eines möglichen Wahrscheinlichkeitsmaßes doch nichts mit der Everettschen Interpretation zu tun.

Ich hatte schon mehrfach darauf hingewiesen, dass die Axiomensysteme unterschiedlich sind! Die Everettsche I. basiert ausschließlich auf den beiden Axiomen, dass
1) ein einzelnes physikalisches Systems eindeutig, vollständig (isomorph) durch einen Hilbertraumzustand repräsentiert wird, und dass
2) die Dynamik dieses Hilbertraumzustandes und damit die des physikalischen Systems deterministisch entsprechend der Schrödingergleichung ist.
Diese Axiome und somit die Everettsche I. beinhalten (zunächst) keinen Wahrscheinlichkeitsbegriff.

Die Ensemble-I. bezieht sich dagegen nicht auf ein einzelnes System, sondern eben auf ein Ensemble. Und sie beinhaltet bereits axiomatisch einen Wahrscheinlichkeitsbegriff. Die Everett-I. geht stattdessen davon aus, dass Wahrscheinlichkeiten als abgeleitete Größen, sozusagen als Epiphänomene, in einem Teilsystem eines einzelnen Systems entstehen.

Verstehst du den Unterschied?

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Wäre es nicht äußerst seltsam, dass ich eine Wahrscheinlichkeitsinterpretation als Axiom einführe, obwohl ich die mathematische Strukturen dazu als Theoreme erhalte?

Hier schaffe ich es einfach nicht, mich dir verständlich zu machen. Nein, das wäre überhaupt nicht seltsam. Das hieße nur, daß meine Axiome redundant sind, ich also eines meiner Axiome aus den anderen beweisen kann.

Es ist wohl eher so, dass ich mich nicht verständlich machen kann.

Beide Interpretationen verwenden unterschiedliche Axiomensysteme, und sie interpretieren diese unterschiedlich. Wenn ich ein Axiomensystem so abändere, dass es einem anderen entspricht, kann ich nicht gleichzeitig die Interpretation beibehalten. Ich kann nicht in die zunächst deterministische Everett-I. Wahrscheinlichkeiten axiomatisch einführen, und sie weiterhin deterministisch interpretieren.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Es ist der Interpretation völlig egal, ob du Dinge postulierst, die bereits aus anderen Postulaten folgen ...

Es ist nicht so, dass diese "Dinge aus den Postulaten folgen". Du musst schon genau lesen, was ich schreibe.

Aus der Axiomatik der Everett-I. folgt, dass deren mathematische Struktur mit einem bestimmten Wahrscheinlichkeitsmaß verträglich ist. Aus der Axiomatik folgt nicht, dass ich dieses Wahrscheinlichkeitsmaß auch einführen und in einer bestimmten Weise interpretieren muss.

In der Ensemble-I. ist es völlig klar, woher die Wahrscheinlichkeit stammt (aus den Axiomen) und wie ich sie interpretiere (als eine Wahrscheinlichkeit bzw. Häufigkeit für Elemente eines Ensembles).

In der Everett-I. ist (zunächst) unklar, woher die Wahrscheinlichkeit stammt bzw. warum ich sie einführe soll; dass ich sie einführen kann erklärt in kleinster Weise, warum ich das tun soll. Axiomatisch sicher nicht, denn das "widerspricht dem deterministischen Geist", und erklärt nichts.

Mit der Everett-I. will bzw. muss ich verstehen, warum aus einer deterministischen Theorie Wahrscheinlichkeiten als Epiphänomene auf Ebene der Teilsysteme eines einzelnen Systems resultieren. In der Ensemble-I. will das offensichtlich niemand verstehen, man ist zufrieden mit der Einführung als Postulat, "weil es eben so ist". Das ist nicht falsch, es ist nur ein anderer Anspruch an die Interpretation.
index_razor



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Beitrag index_razor Verfasst am: 06. Sep 2015 10:38    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:

Hier sprichst du erst davon, daß die mathematische Struktur ein Wahrscheinlichkeitsmaß enthält, und dann davon, daß die Everettsche Interpretation auf ein solches hinweist ... Die mathematische Struktur ist dieselbe wie in der Ensembleinterpretation. Also hat das Auftreten eines möglichen Wahrscheinlichkeitsmaßes doch nichts mit der Everettschen Interpretation zu tun.

Ich hatte schon mehrfach darauf hingewiesen, dass die Axiomensysteme unterschiedlich sind! Die Everettsche I. basiert ausschließlich auf den beiden Axiomen, dass
1) ein einzelnes physikalisches Systems eindeutig, vollständig (isomorph) durch einen Hilbertraumzustand repräsentiert wird, und dass
2) die Dynamik dieses Hilbertraumzustandes und damit die des physikalischen Systems deterministisch entsprechend der Schrödingergleichung ist.
Diese Axiome und somit die Everettsche I. beinhalten (zunächst) keinen Wahrscheinlichkeitsbegriff.

Die Ensemble-I. bezieht sich dagegen nicht auf ein einzelnes System, sondern eben auf ein Ensemble. Und sie beinhaltet bereits axiomatisch einen Wahrscheinlichkeitsbegriff. Die Everett-I. geht stattdessen davon aus, dass Wahrscheinlichkeiten als abgeleitete Größen, sozusagen als Epiphänomene, in einem Teilsystem eines einzelnen Systems entstehen.

Verstehst du den Unterschied?


Ich denke schon, nur glaube ich, daß du insbesondere in 1) Axiomatik und Interpretation nicht sauber genug trennst. Mein Punkt ist folgender: Wenn ich daran interessiert bin, unterschiedliche Interpretation zu diskutieren, dann sollte ich mich auf einen gemeinsamen Nenner von Aussagen (Axiomen und deren Folgerungen) einigen, um deren Interpretation es geht. Solange diese Mindestanforderung nicht erfüllt ist, werden wir uns immer wieder in Mißverständnisse verrennen. Meine These ist, daß diese Mindestanforderung auch in diesem Fall ohne größere Probleme erfüllbar ist, und ich versuche das in meiner noch nicht fertigen Zusammenfassung der Diskussion dahingehend zu erfüllen, daß ich die Erwähnung von Wahrscheinlichkeiten vermeide, obwohl das m.E. nicht mal unbedingt nötig ist. (Denn Wahrscheinlichkeit kann ich genauso gut als rein mathematische Struktur auffassen, die bedeutungsgleich mit "Maß" ist.) Das führt dazu, daß wir die Axiome, die wir betrachten wollen, möglichst allgemein und indifferent gegen metaphysische Vorurteile formulieren müssen. Kurz: wir müssen Formulierungen finden, mit denen beide Interpretationen leben können.

Warum also nicht so: 1a) Der Zustand physikalischer Systeme wird vollständig durch einen Hilbertraumvektor beschrieben.

Das gilt sowohl in der Everettschen, als auch in der Ensemble-Interpretation. Die Ensemble-Interpretation versteht die Aussage eben nur in dem Sinne, daß dieses "System" notwendigerweise zu einem mehr oder weniger konkret realisierten Ensemble gehört, mit der prinzipiellen Möglichkeit, daß unter "Vollständigkeit" nur unser maximal erreichbares Wissen über das System verstanden werden kann. Everett et al. verstehen die "Vollständigkeit" in 1a) so wie du, als auf ein einzelnes physikalisches System bezogen, dessen Zustand genau der Beschreibung des Vektors "isomorph" entspricht. Jetzt haben wir die Unterschiede doch gut aus den Axiomen in die Interpretation verschoben.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Wäre es nicht äußerst seltsam, dass ich eine Wahrscheinlichkeitsinterpretation als Axiom einführe, obwohl ich die mathematische Strukturen dazu als Theoreme erhalte?

Hier schaffe ich es einfach nicht, mich dir verständlich zu machen. Nein, das wäre überhaupt nicht seltsam. Das hieße nur, daß meine Axiome redundant sind, ich also eines meiner Axiome aus den anderen beweisen kann.

Es ist wohl eher so, dass ich mich nicht verständlich machen kann.

Beide Interpretationen verwenden unterschiedliche Axiomensysteme, und sie interpretieren diese unterschiedlich.


Wenn ich dich nicht davon überzeugen kann, daß keine Notwendigkeit für unterschiedliche Axiomensysteme besteht, wird die Diskussion schwierig. Ich hoffe wir sind uns zumindest darüber einig, daß nicht die Menge an Axiomen, sondern nur die Gesamtheit ihrer Folgerungen relevant ist. Wenn diese nicht übereinstimmt, haben wir es nicht nur mit unterschiedlichen Interpretationen, sondern sogar mit unterschiedlichen Theorien zu tun.

Zitat:

Wenn ich ein Axiomensystem so abändere, dass es einem anderen entspricht, kann ich nicht gleichzeitig die Interpretation beibehalten. Ich kann nicht in die zunächst deterministische Everett-I. Wahrscheinlichkeiten axiomatisch einführen, und sie weiterhin deterministisch interpretieren.


Wir sind uns einig, daß Wahrscheinlichkeitsaussagen Everett vor größere Probleme stellen, als die Ensemble-Interpretation. Nur sind diese Wahrscheinlichkeitsaussagen in gewisser Weise notwendiger Bestandteil der Theorie (zumindest ihre konkreten Ausprägungen als "relative Häufigkeiten"). Vielleicht bestreitest du dies ja bereits. Dann liegt das offenbar an bestimmten problematischen Konnotationen des Begriffs "Wahrscheinlichkeit". Dann nennen wir es eben anders, so wie Everett: "Gewicht".

"In jedem Zustand hat der Meßwert a das Gewicht , wobei der Zustand maximalen Gewichts für a ist." oder sowas in der Art.

Nun, und was bedeutet das? Hier beginnt die Interpretation: Ensemble-Interpretation: "Gewicht -> Wahrscheinlichkeit. Fertig." Everett? Ungefähr so: "Das Gewicht von a stammt aus dem Zweig, in dem a realisiert wurde und entspricht der relativen Häufigkeit von a im Grenzwert vieler Wiederholungsmessungen, wenn man Zweige vom Gewicht null ignoriert... etc." Wie die Bedeutung genau aussieht, ist im Rahmen der Everett-Interpretation möglicherweise noch offen. Die Schwierigkeiten sind also rein interpretatorischer Natur und nicht logisch-deduktiver Art.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Es ist der Interpretation völlig egal, ob du Dinge postulierst, die bereits aus anderen Postulaten folgen ...

Es ist nicht so, dass diese "Dinge aus den Postulaten folgen". Du musst schon genau lesen, was ich schreibe.


Geschrieben hattest du, glaube ich, daß es aus "vernünftigen Annahmen" folgen soll, mir aber nicht erklärt, warum dies dann keine Postulate mehr sind.

TomS hat Folgendes geschrieben:

In der Ensemble-I. ist es völlig klar, woher die Wahrscheinlichkeit stammt (aus den Axiomen) und wie ich sie interpretiere (als eine Wahrscheinlichkeit bzw. Häufigkeit für Elemente eines Ensembles).


Ich versuche auch lediglich beide Fragen, also woher sie (rein logisch) stammt und wie ich sie interpretiere, zu unterscheiden. Die zweite Frage ist die wichtige für mich. Die erste ist vergleichsweise unwichtig.

Zitat:

In der Everett-I. ist (zunächst) unklar, woher die Wahrscheinlichkeit stammt bzw. warum ich sie einführe soll; dass ich sie einführen kann erklärt in kleinster Weise, warum ich das tun soll. Axiomatisch sicher nicht, denn das "widerspricht dem deterministischen Geist", und erklärt nichts.


Wir wollen ja zunächst auch nur interpretieren. Warum du sie in irgendeiner Form einführen mußt, ist klar: die Erklärung empirischer Phänomene. Wenn dir der Begriff "Wahrscheinlichkeit" für die neutrale Beschreibung dieser Phänomene zuviel statistische Interpretation enthält, gut, dann akzeptiere ich das. Dann müssen wir einen schwächeren, davon freien Begriff finden, mit dem auch du und Everett leben können und der nicht von vornherein "Ensembles" verbietet, so wie ich das oben versucht habe.
TomS
Moderator


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Beitrag TomS Verfasst am: 06. Sep 2015 13:30    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
... nur glaube ich, daß du insbesondere in 1) Axiomatik und Interpretation nicht sauber genug trennst ... Wenn ich daran interessiert bin, unterschiedliche Interpretation zu diskutieren, dann sollte ich mich auf einen gemeinsamen Nenner von Aussagen ... einigen, um deren Interpretation es geht ... Das führt dazu, daß wir die Axiome, die wir betrachten wollen, möglichst allgemein und indifferent gegen metaphysische Vorurteile formulieren müssen. Kurz: wir müssen Formulierungen finden, mit denen beide Interpretationen leben können.

Warum also nicht so: 1a) Der Zustand physikalischer Systeme wird vollständig durch einen Hilbertraumvektor beschrieben ... Jetzt haben wir die Unterschiede doch gut aus den Axiomen in die Interpretation verschoben.

Das ist zunächst richtig.

Der Punkt ist jedoch, dass die Everettsche I. auf Ebene der Interpretation darauf bestehen wird, dies realistisch (ontologisch) auf Ebene von Einzelsystemen zu interpretieren, während die Ensemble-I. den Begriff des Ensembles und der Wahrscheinlichkeit einführen wird.

Im Kern hätten wir zwei identische, mathematische Axiome, aber diese werden nun unterschiedlich axiomatisch ergänzt bzw. interpretiert (dies gilt übrigens auch für die orthodoxe I., die im Kern diese beiden Axiome enthält, sie jedoch anders ergänzt bzw. interpretiert).

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Wenn ich dich nicht davon überzeugen kann, daß keine Notwendigkeit für unterschiedliche Axiomensysteme besteht, wird die Diskussion schwierig. Ich hoffe wir sind uns zumindest darüber einig, daß nicht die Menge an Axiomen, sondern nur die Gesamtheit ihrer Folgerungen relevant ist. Wenn diese nicht übereinstimmt, haben wir es nicht nur mit unterschiedlichen Interpretationen, sondern sogar mit unterschiedlichen Theorien zu tun.

Ja, dem stimme ich zu.

Das ist auch ein Grund, warum die Everettsche I. teilweise als eigenständige Theorie, zumindest im Gegensatz zur orthodoxen I. angesehen wird. Letztere besagt, dass nach einer Messung keine Zweige mehr existieren, Everett besagt, dass nach einer Messung durchaus noch verschiedene, prinzipiell, jedoch nicht praktisch interferenzfähige Zweige existieren. D.h. theoretisch könnte man ein Experiment entwickeln, das es erlaubt, zwischen beiden Interpretationen zu unterscheiden, indem man diese Zweige zur Interferenz bringt. Gemäß der unitärer Dynamik würden sich die unterschiedlichen Zustandsvektoren (kollabiert gem. Orthodoxie, nicht-kollabiert gem. Everett) unterschiedlich entwickeln und müssten zu unterschiedlichen Phänomenen führen. Da wir jedoch die Zweige auf Basis der Dekohärenz motivieren, sagt und letztere ja gerade, dass dieses Experiment mangels Kontrolle insbs. über die Umgebungsfreiheitsgrade praktisch nicht durchführbar ist.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Wir sind uns einig, daß Wahrscheinlichkeitsaussagen Everett vor größere Probleme stellen, als die Ensemble-Interpretation. Nur sind diese Wahrscheinlichkeitsaussagen in gewisser Weise notwendiger Bestandteil der Theorie (zumindest ihre konkreten Ausprägungen als "relative Häufigkeiten"). Vielleicht bestreitest du dies ja bereits. Dann liegt das offenbar an bestimmten problematischen Konnotationen des Begriffs "Wahrscheinlichkeit". Dann nennen wir es eben anders, so wie Everett: "Gewicht".

Wahrscheinlichkeiten (o.ä.) müssen natürlich in irgendeiner Form in der Theorie enthalten sein, weil wir sie im Experiment (als Häufigkeiten o.ä.) beobachten. Dir Frage ist, wie wir dies auch auf Basis der o.g. Axiome plus "vernünftiger Zusatzannahmen" rechtfertigen, ohne Wahrscheinlichkeiten per Postulat einzuführen.

Das zentrale Problem der relative-state I. ist doch folgendes: nach einer Messung nimmt ein Beobachter "Zweig-lokal" ein bestimmtes Ergebnis "A" einer Messung war, das einem Eigenwert "a" eines qm. Systems entspricht; in "seinem Zweig" folgt dieses Ergebnis "A" mit Sicherheit. Vor der Messung kann er die unitäre Entwicklung seines Gesamtzustandes mit der sich daraus ergebenden Zweigstruktur sowie den Gewichten berechnen. Nehmen wir an, wir hätten ein experimentelles Setup, in dem naiverweise "zwei Zweige" mit UNTERSCHIEDLICHEN Gewichten c_A und c_B folgen.

Die Frage lautet: Warum interpretiert man diese beiden Gewichte als Wahrscheinlichkeit?

Oder anders formuliert: warum erwartet ein Beobachter vor der Messung Häufigkeiten entsprechend dieser Gewichte, nicht jedoch entsprechend der "Anzahl der Zweige" (die man nicht mathematisch präzise definieren kann, deswegen die Anführungszeichen)

Stell' dir eine klassische Münze vor, bei der auf beiden Seiten die Zahlen p_1 = 0.9 und p_2 = 0.1 aufgedruckt sind. Wenn ich dir nun sage, dass es sich um die Wahrscheinlichkeiten dafür handelt, dass die jeweilige Seite bei einem Münzwurf oben liegt, dann wirst du mich für verrückt halten. Wenn ich die Münze nun tatsächlich mehrfach werfe, und dir demonstriere, dass sie sich tatsächlich so verhält, dann wirst du nach einem anderen Mechanismus suchen, der diese relativen Häufigkeiten verursacht; du wirst nicht damit zufrieden sein, dass die beiden Zahlen von mir als Wahrscheinlichkeiten bezeichnet werden.

Das ist letztlich die Situation, in der sich die Everett-I. heute befindet. Sie muss sich die Frage gefallen lassen, warum sie die "Vorfaktoren der Zweige" als Wahrscheinlichkeiten interpretieren soll. Jetzt sind wir wieder am Ausgangspunkt, als ich genau das als das zentrale Problem bezeichnet habe.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Wie die Bedeutung genau aussieht, ist im Rahmen der Everett-Interpretation möglicherweise noch offen. Die Schwierigkeiten sind also rein interpretatorischer Natur und nicht logisch-deduktiver Art.

Wenn du mit "logisch-deduktiv" Schlussfolgerungen aus den beiden o.g. Axiomen meinst, dann ja.

Diese beiden Axiome sind jedoch nicht die vollständige I., zum einen, da eine andere I. weitere Axiome einführt, und zum anderen, da Everett et al. "vernünftige Argumente" finden müssen, warum warum sie jetzt auf Ebene der Interpretation Wahrscheinlichkeiten einführen.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Geschrieben hattest du, glaube ich, daß es aus "vernünftigen Annahmen" folgen soll, mir aber nicht erklärt, warum dies dann keine Postulate mehr sind.

Ich hatte auch geschrieben, dass wir uns den Arbeiten von Wallace, Saunders, Carroll et al. zuwenden sollten.
index_razor



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Beitrag index_razor Verfasst am: 06. Sep 2015 15:17    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:

Der Punkt ist jedoch, dass die Everettsche I. auf Ebene der Interpretation darauf bestehen wird, dies realistisch (ontologisch) auf Ebene von Einzelsystemen zu interpretieren, während die Ensemble-I. den Begriff des Ensembles und der Wahrscheinlichkeit einführen wird.

Im Kern hätten wir zwei identische, mathematische Axiome, aber diese werden nun unterschiedlich axiomatisch ergänzt bzw. interpretiert (dies gilt übrigens auch für die orthodoxe I., die im Kern diese beiden Axiome enthält, sie jedoch anders ergänzt bzw. interpretiert).


Ja, genau das wollte ich erreichen. Zumindest haben wir dann eine klare Trennung von unstrittigen Aussagen und deren strittiger Bedeutung und damit sowas wie eine gemeinsame Grundlage.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Wenn ich dich nicht davon überzeugen kann, daß keine Notwendigkeit für unterschiedliche Axiomensysteme besteht, wird die Diskussion schwierig. Ich hoffe wir sind uns zumindest darüber einig, daß nicht die Menge an Axiomen, sondern nur die Gesamtheit ihrer Folgerungen relevant ist. Wenn diese nicht übereinstimmt, haben wir es nicht nur mit unterschiedlichen Interpretationen, sondern sogar mit unterschiedlichen Theorien zu tun.

Ja, dem stimme ich zu.

Das ist auch ein Grund, warum die Everettsche I. teilweise als eigenständige Theorie, zumindest im Gegensatz zur orthodoxen I. angesehen wird.


Ich sehe die orthodoxe Interpretation mit Kollapspostulat auch als eigenständige Theorie. Man kann allerdings das Kollapspostulat einfach weglassen und schauen was die orthodoxe Interpretation dann zu dem Rest der Theorie noch zu sagen hat. Daß das was dann übrigbleibt, nicht unbedingt sehr sinnvoll ist, ist ein grundlegendes Problem der orthodoxen Interpretation.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Wir sind uns einig, daß Wahrscheinlichkeitsaussagen Everett vor größere Probleme stellen, als die Ensemble-Interpretation. Nur sind diese Wahrscheinlichkeitsaussagen in gewisser Weise notwendiger Bestandteil der Theorie (zumindest ihre konkreten Ausprägungen als "relative Häufigkeiten"). Vielleicht bestreitest du dies ja bereits. Dann liegt das offenbar an bestimmten problematischen Konnotationen des Begriffs "Wahrscheinlichkeit". Dann nennen wir es eben anders, so wie Everett: "Gewicht".

Wahrscheinlichkeiten (o.ä.) müssen natürlich in irgendeiner Form in der Theorie enthalten sein, weil wir sie im Experiment (als Häufigkeiten o.ä.) beobachten. Dir Frage ist, wie wir dies auch auf Basis der o.g. Axiome plus "vernünftiger Zusatzannahmen" rechtfertigen, ohne Wahrscheinlichkeiten per Postulat einzuführen.


Hier sehe ich es eben so, daß man dieses Problem erstmal auf später verschieben kann. Für mich sind die Probleme der Everettschen Interpretation weit grundlegender Art und haben nichts mit den auftretenden Wahrscheinlichkeiten zu tun, sondern bereits mit der Behauptung, daß die Zweige ein Element der Realität darstellen.

Zitat:

Das zentrale Problem der relative-state I. ist doch folgendes: nach einer Messung nimmt ein Beobachter "Zweig-lokal" ein bestimmtes Ergebnis "A" einer Messung war, das einem Eigenwert "a" eines qm. Systems entspricht; in "seinem Zweig" folgt dieses Ergebnis "A" mit Sicherheit. Vor der Messung kann er die unitäre Entwicklung seines Gesamtzustandes mit der sich daraus ergebenden Zweigstruktur sowie den Gewichten berechnen. Nehmen wir an, wir hätten ein experimentelles Setup, in dem naiverweise "zwei Zweige" mit UNTERSCHIEDLICHEN Gewichten c_A und c_B folgen.

Die Frage lautet: Warum interpretiert man diese beiden Gewichte als Wahrscheinlichkeit?


Ja, das ist ein wichtiges Problem der Interpretation nach Everett. Ich sehe noch andere m.E. schwererwiegende Probleme, die du offenbar als gelöst oder als Scheinprobleme ansiehst und auf jeden Fall nicht als "zentral" betrachtest. Wie die Everettsche Interpretation die Verbindung zur Phänomenologie der Wahrscheinlichkeitsaussagen hinbekommt, ist aber anscheinend auch alles andere als klar, darin stimmen wir wohl überein.

Zitat:

Oder anders formuliert: warum erwartet ein Beobachter vor der Messung Häufigkeiten entsprechend dieser Gewichte, nicht jedoch entsprechend der "Anzahl der Zweige" (die man nicht mathematisch präzise definieren kann, deswegen die Anführungszeichen)

Stell' dir eine klassische Münze vor, bei der auf beiden Seiten die Zahlen p_1 = 0.9 und p_2 = 0.1 aufgedruckt sind. Wenn ich dir nun sage, dass es sich um die Wahrscheinlichkeiten dafür handelt, dass die jeweilige Seite bei einem Münzwurf oben liegt, dann wirst du mich für verrückt halten. Wenn ich die Münze nun tatsächlich mehrfach werfe, und dir demonstriere, dass sie sich tatsächlich so verhält, dann wirst du nach einem anderen Mechanismus suchen, der diese relativen Häufigkeiten verursacht; du wirst nicht damit zufrieden sein, dass die beiden Zahlen von mir als Wahrscheinlichkeiten bezeichnet werden.


Klar, eine ungefähre Vorstellung von dem Problem habe ich schon. Ich sehe aber in den Schwierigkeiten selbst die Anzahl der Zweige zu definieren auch nur einen Teil des Problems.

Zitat:

Das ist letztlich die Situation, in der sich die Everett-I. heute befindet. Sie muss sich die Frage gefallen lassen, warum sie die "Vorfaktoren der Zweige" als Wahrscheinlichkeiten interpretieren soll. Jetzt sind wir wieder am Ausgangspunkt, als ich genau das als das zentrale Problem bezeichnet habe.


Ja, ich würde eben nur gern vorher noch andere Probleme ausgeräumt haben, die du wohl entweder als gelöst oder als von vornherein nicht existent betrachtest.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Wie die Bedeutung genau aussieht, ist im Rahmen der Everett-Interpretation möglicherweise noch offen. Die Schwierigkeiten sind also rein interpretatorischer Natur und nicht logisch-deduktiver Art.

Wenn du mit "logisch-deduktiv" Schlussfolgerungen aus den beiden o.g. Axiomen meinst, dann ja.

Diese beiden Axiome sind jedoch nicht die vollständige I., zum einen, da eine andere I. weitere Axiome einführt, und zum anderen, da Everett et al. "vernünftige Argumente" finden müssen, warum warum sie jetzt auf Ebene der Interpretation Wahrscheinlichkeiten einführen.


Ja, natürlich. Die Axiome in meinem Sinne sind überhaupt nicht die Interpretation. Die Axiome sind das, was interpretiert werden soll; die Interpretation sagt, was die Axiome bedeuten. Die Axiome sind nur der gemeinsame Nenner aller betrachteten Interpretationen, der angibt nach der Bedeutung von was überhaupt gefragt ist. Zumindest würde ich kein Axiom in die Diskussion einbringen, auf dessen Formulierung sich nicht alle gerade diskutierten Interpretationen einigen können. Die Behauptungen, in denen sich die Interpretationen unterscheiden, zähle ich einfach nicht zu den Axiomen der Theorie, allein deshalb, um eine klare Abgrenzung zwischen den unstrittigen Aspekten und den Streitpunkten zu erhalten. Das ist genau der Punkt, um den es mir geht.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Geschrieben hattest du, glaube ich, daß es aus "vernünftigen Annahmen" folgen soll, mir aber nicht erklärt, warum dies dann keine Postulate mehr sind.

Ich hatte auch geschrieben, dass wir uns den Arbeiten von Wallace, Saunders, Carroll et al. zuwenden sollten.


Ja, gern. Aber sofern es ihnen gelingt aus vernünftigen Annahmen etwas abzuleiten, sollten sie diese Annahmen auch ganz offen zu den Postulaten zählen. Schließlich behaupten die Everettianer ja gern, ihre Interpretation sei nicht zuletzt wegen ihrer axiomatischen Sparsamkeit so attraktiv. Wenn das nur daher kommt, daß sie mit "vernünftigen Annahmen", die sie benötigen, still und heimlich hinterm Berg halten, wirkt ihre Behauptung ja nur wie ein unsauberer Werbetrick.
TomS
Moderator


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Beitrag TomS Verfasst am: 06. Sep 2015 16:26    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Für mich sind die Probleme der Everettschen Interpretation weit grundlegender Art [als die Wahrscheinlichkeiten] ... sondern bereits die Behauptung, daß die Zweige ein Element der Realität darstellen

...

das [die Frage, warum interpretiert man diese Gewichte als Wahrscheinlichkeiten?] ist ein wichtiges Problem der Interpretation nach Everett.

Nachdem wir nun weitgehend Einigkeit über die Vorgehensweise haben, sollten wir diese beiden Problemstellungen diskutieren, d.h.
1) aus deiner Sicht die Existenz der Zweige als Elemente der Realität (sowie ggf. deren "Zählung"), sowie
2) die Einführung von Wahrscheinlichkeiten.
Reiner Zustand
Gast





Beitrag Reiner Zustand Verfasst am: 09. Sep 2015 13:46    Titel: Antworten mit Zitat

Geht es hier nicht weiter?
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18052

Beitrag TomS Verfasst am: 09. Sep 2015 15:00    Titel: Antworten mit Zitat

Also zunächst mal wollte ich eine kurze Zusammenfassung schreiben. Allerdings hat auch index_razor seine Vorbehalte darstellen wollen. Evtl. ist das ein klassischer Deadlock :-)

Ich werde evtl. heute Abend dazu kommen

_________________
Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 09. Sep 2015 19:25    Titel: Antworten mit Zitat

Mich interessiert das Thema auch noch sehr. Ich bin nur einfach seit dem Wochenende noch nicht dazu gekommen meine Sichtweise weiter auszuformulieren. Außerdem hat sich die Diskussion ja schon wieder etwas weiter entwickelt und wir haben inzwischen ja schon einen Punkt geklärt, der vorher gewisse Schwierigkeiten bereitet hat. Nebenbei lese ich auch noch Wallace, um mir klar zu machen, wie das moderne Verständnis der MWI vom klassischen Everett abweicht. Für mich sieht es so aus, als gäbe es da erhebliche Unterschiede, was das ganze auch nicht unbedingt vereinfacht. Ich habe mich bis jetzt eben hauptsächlich auf Everetts Originalversion der MWI konzentriert. Mich würde auch schon interessieren, ob wir uns über deren Unzulänglichkeiten einig wären. Dazu müssen wir uns vielleicht erstmal darauf verständigen, ob die Grundbehauptungen der MWI unabhängig von Dekohärenz, "Emergenz" etc. haltbar sind.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18052

Beitrag TomS Verfasst am: 09. Sep 2015 21:07    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Dazu müssen wir uns vielleicht erstmal darauf verständigen, ob die Grundbehauptungen der MWI unabhängig von Dekohärenz, "Emergenz" etc. haltbar sind.

Was meinst du mit den Grundbehauptungen? Dass der Zustandsvektor realistisch aufgefasst wird?

Ich denke, diese Sichtweise wird durch die Dekohärenz zumindest erleichtert, da diese eine Lösung anbietet, dass diese Sichtweise in Übereinstimmung mit der Beobachtung stehen kann, ohne zusätzliche Postulate oder Annahmen einführen zu müssen.

Ich denke, die Diskussion der MWI ohne Berücksichtigung der Dekohärenz ist ünerholt.
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 11. Sep 2015 20:37    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
Dazu müssen wir uns vielleicht erstmal darauf verständigen, ob die Grundbehauptungen der MWI unabhängig von Dekohärenz, "Emergenz" etc. haltbar sind.

Was meinst du mit den Grundbehauptungen? Dass der Zustandsvektor realistisch aufgefasst wird?


Ich meine die Existenz der Zweigstruktur des Zustands beschrieben durch die relativen Systemzustände bezüglich definitiver Beobachterzustände . Meine Auffassung ist, daß die Annahme, diese relativen Zustände repräsentierten eine reale Struktur innerhalb des Gesamtsystems in fast allen Fällen auf Widersprüche führt. Außer natürlich es handelt sich um ein Gemisch aus quasi-klassischen Zuständen. Aber war das wirklich das Ausgangsproblem?

Gerade von einer vorgeblich realistischen Interpretation der Wellenfunktion würde ich erwarten, daß sie mir auch mitteilt, was die Interferenzterme bedeuten. Was die moderne MWI (nicht die klassische von Everett) dazu sagt, verstehe ich bis jetzt so, daß man sich darum keine Sorgen machen muß, da diese bei praktischen Beobachtungen in makroskopischen Systemen sowieso keine Rolle spielen. Das ist keine realistische, sondern eine positivistische Einstellung zum Interpretationsproblem in Reinform.

In meinem (sehr vorläufigen, fast nur auf Wallace basierendem) Verständnis, handelt die MWI in moderner Auffassung nur von Situationen, die sich empirisch nicht von Gemischen von makroskopisch fein säuberlich im Phasenraum getrennten Zuständen unterscheiden, also keine eigentlichen Superpositionen sind, bzw. nur solche mit Superauswahlregel für alle makroskopischen Observablen F(q,p). Die sind natürlich im Vergleich nicht besonders schwer zu interpretieren. Auch das Argument gegen statistische Interpretationen zieht hier ja nicht mehr. Denn es ist klar, worüber die auftretenden Wahrscheinlichkeiten in diesem Fall Wahrscheinlichkeitsaussagen machen, nämlich über das Vorliegen eines gewissen quasiklassischen Zustands. Wenn ich also als Grundlage für eine realistische Interpretation die Emergenz klassischer Systeme zu Hilfe nehmen kann, erscheint mir die Ensemble-Interpretation genauso realistisch.

Die Superpositionen von Eigenzuständen, egal ob makroskopisch oder mikroskopisch, sind aber genau die, die mich eigentlich interessieren. Insbesondere interessieren sie mich nicht nur im Kontext des Meßproblems, also nach Wechselwirkung mir makroskopischen Systemen. Die QM sagt, daß sie auftreten, also muß ich wissen, was sie bedeuten. Spätestens wenn ich alle Umgebungsfreiheitsgrade mit in die Betrachtung einbeziehe, habe ich doch wieder alle Arten von seltsamen EPR-artigen Korrelationen, die schwer realistisch zu interpretieren sind und auf die sich das Dekohärenzargument nicht anwenden läßt. Natürlich ist nach einer realistisches Messung das System mit einer Unmenge von Freiheitsgraden verschränkt und deswegen diese Korrelation praktisch unbeobachtbar. Diese Beobachtung als Lösung zu verstehen, ist analog dazu, eine klare Problemstellung so weit zu verkomplizieren, bis letztendlich keiner mehr versteht, was das Problem eigentlich ist. Aber vielleicht verstehe tatsächlich auch nur ich noch nicht so richtig, worum es geht. Ich werde am Wochenende nochmal in Ruhe nachlesen, ob mir was wichtiges entgangen ist. Ich bin jedenfalls schon gespannt auf die Konversation mit dem "Skeptiker", den Wallace am Ende von Kapitel 3 zu Wort kommen läßt.

Zitat:

Ich denke, diese Sichtweise wird durch die Dekohärenz zumindest erleichtert, da diese eine Lösung anbietet, dass diese Sichtweise in Übereinstimmung mit der Beobachtung stehen kann, ohne zusätzliche Postulate oder Annahmen einführen zu müssen.


Lösung wofür? Die realistische Interpretation des Zustandes?

Zitat:

Ich denke, die Diskussion der MWI ohne Berücksichtigung der Dekohärenz ist ünerholt.


Was heißt "überholt"? Everetts Sichtweise kann heute ja nicht falscher sein, als zu der Zeit als sie publiziert wurde. Wenn die moderne Auffassung korrekt ist, hilft das Everett m.E. wenig, denn jene hat mit dem Vorschlag von Everett kaum mehr als nominelle Gemeinsamkeiten.
TomS
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Beitrag TomS Verfasst am: 12. Sep 2015 10:27    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Gerade von einer vorgeblich realistischen Interpretation der Wellenfunktion würde ich erwarten, daß sie mir auch mitteilt, was die Interferenzterme bedeuten. Was die moderne MWI dazu sagt, verstehe ich bis jetzt so, daß man sich darum keine Sorgen machen muß, da diese bei praktischen Beobachtungen in makroskopischen Systemen sowieso keine Rolle spielen. Das ist keine realistische, sondern eine positivistische Einstellung zum Interpretationsproblem in Reinform.

Das [positivistisch] erscheint es nur, weil du dich weigerst, die Problematik des Auftretens von Wahrscheinlichkeiten ernstzunehmen, und stattdessen das Problem uminterpretierst.

Die MWI argumentiert, dass diese Zweige real sind, dass jedoch die Wahrscheinlichkeit, das "Ich" zu sein, das sich nach einem Experiment in einem derartigen Zweig wiederfindet, sehr klein ist. Diese Auffassung ist realistisch, genauso wie bzgl. rein mikroskopischer Quantenzustände und Zweigstrukturen. Sie ist jedoch noch unvollständig entwickelt, solange wir nicht verstehen, wie diese Wahrscheinlichkeiten zu motivieren bzw. zu verstehen sind. Das Postulat, die auftretenden Amplituden als Wahrscheinlichkeiten zu interpretieren, ist möglich, jedoch nicht zwingend, und insbs. nicht überzeugend.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
In meinem (sehr vorläufigen, fast nur auf Wallace basierendem) Verständnis, handelt die MWI in moderner Auffassung nur von Situationen, die sich empirisch nicht von Gemischen von makroskopisch fein säuberlich im Phasenraum getrennten Zuständen unterscheiden ...

Nein, das tut sie nicht. Sie handelt explizit von allen Situationen.

Da das Mess- bzw. Interpretationsproblem jedoch nur für makroskopische Systeme zu empirisch problematischen Situationen zu führen scheint, befasst sich die Forschung eben nur damit.

(1) empirisch liegen zunächst ausschließlich Messergebnisse vor; d.h. es gibt zunächst keinen empirischen Hinweis, wie der Zustandsvektor zu interpretieren ist. Damit kann eine realistische I. weder ausgeschlossen noch motiviert werden (es gibt völlig andere Gründe für Realismus). Eine realistische I. ist bzgl. mikroskopischer, isolierter Systeme empirisch völlig unkritisch, da sich diese Systeme gerade dadurch auszeichnen, nicht beobachtet zu werden, sich also der Empirie vollständig entziehen. Die einzige Herausforderung besteht bzgl. makroskopischer Systeme (mikroskopischer Systeme, die nicht gegen makroskopische Systeme mit Messgerät usw isoliert sind), da eine realistische I. der QM die Existenz von makroskopischen Superpositionen vorhersagt, was empirisch nicht gestützt wird. Nun liefert die Dekohärenz nach allgemeiner Überzeugung jedoch ein verlässliches Argument, warum diese Superpositionen zwar existieren können, jedoch unbeobachtbar bleiben und damit wiederum empirisch kein Widerspruch zu einer realistischen I. besteht. Eine realistische I. ist demnach vollumfänglich, ohne Einschränkung und ohne Widersprüche möglich.

(2) empirisch liegen jedoch außerdem Wahrscheinlichkeiten vor. Deren Auftreten und sogar das präzise Wahrscheinlichkeitsmaß sind mit der Theorie verträglich. Offen bleibt jedoch, wieso in einer realistischen, deterministischen Theorie überhaupt Wahrscheinlichkeiten auftreten sollen.

Zusammenfassend: wir beobachten (1) Messwerte, und wir beobachten (2) Wahrscheinlichkeiten. Die QM liefert uns (auch mit einer realistisch Sichtweise) eine Begründung, warum wir diese Messwerte sehen, und welche Messwerte wir sehen; sie liefert eine Begründung, warum wir klassische Zeigerzustände sehen und warum wir keine Superposition makroskopischer Zweige sehen. Sie liefert jedoch keine Erklärung, warum wir diese Messwerte mit Wahrscheinlichkeiten (statt mit Gewissheit) sehen. Allein daraus resultiert der Anspruch, das Auftreten von Wahrscheinlichkeiten verstehen zu wollen. Die Ensemble-I. kann Wahrscheinlichkeiten aufgrund des Nicht-Wissens über das einzelne System im (gedachten) Ensemble verargumentieren, um den Preis, dass sie den Anspruch des Realismus aufgibt. Die Everett-I (in allen Varianten) kann dies aufgrund des realistischen Anspruchs bzgl. einzelner Systeme nicht. Sie kann entweder Wahrscheinlichkeiten postulieren, ohne das Warum erklären zu können, oder sie kann versuchen, das Auftreten von Wahrscheinlichkeiten tatsächlich zu erklären.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Diese [Situationen, die sich empirisch nicht von Gemischen von makroskopisch fein säuberlich im Phasenraum getrennten Zuständen unterscheiden] sind natürlich im Vergleich nicht besonders schwer zu interpretieren.

Realistisch und bezogen auf ein einzelnes System sind gerade diese schwer zu interpretieren bzw. zu glauben. Oder fällt es dir leicht, deine Existenz in einem makroskopischen Superpositionszustand zu glauben?
Nicht-realistisch, z.B. bezogen auf ein (gedachten) Ensembles, sind sie in der Tat nicht schwer zu interpretieren. Allerdings bleibt der Einwand, dass die QM dann nicht mehr in der Lage ist, einzelne Systeme zu beschreiben (diesen Einwand muss man natürlich nicht teilen)

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Denn es ist klar, worüber die auftretenden Wahrscheinlichkeiten in diesem Fall Wahrscheinlichkeitsaussagen machen, nämlich über das Vorliegen eines gewissen quasiklassischen Zustands.

Natürlich ist das "klar", weil uns die Messergebnisse sagen, dass es gerade so sein muss. Das ist also keine besonders interessante Erkenntnis. Wir verstehen jedoch nicht, wie und warum wir das Auftreten von Wahrscheinlichkeiten vernünftig begründen sollen

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Wenn ich also als Grundlage für eine realistische Interpretation die Emergenz klassischer Systeme zu Hilfe nehmen kann, erscheint mir die Ensemble-Interpretation genauso realistisch.

Sorry, aber du verstehst offensichtlich nicht, was "realistisch" bedeutet.

Die realistische Auffassung der MWI besagt, dass ein einziges, real existierendes System vollumfänglich durch einen Zustandsvektor beschrieben wird, der sich gem. der Schrödingergleichung entwickelt. Daraus folgt zwingend, dass dieses System unter gewissen Umständen ("Messung", Dekohärenz) real in einer Zweigstruktur vorliegt.

Die Ensemble-Interpretation sagt dagegen nichts über ein einzelnes System. Wenn nun jedoch real nur ein einzelnes System vorliegt, und kein Ensemble, dann besagt der Zustandsvektor im Rahmen der Ensemble-I. offensichtlich nichts über dieses einzelne System und damit nichts über die Realität (gilt z.B. bei Präparation eines einzelnen Systems oder insbs. im Rahmen der Quantenkosmologie).

Die Ensemble-I. gilt demnach nach allgemeinem Verständnis auch nicht als eine realistische I.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Die Superpositionen von Eigenzuständen, egal ob makroskopisch oder mikroskopisch, sind aber genau die, die mich eigentlich interessieren. Insbesondere interessieren sie mich nicht nur im Kontext des Meßproblems, also nach Wechselwirkung mir makroskopischen Systemen. Die QM sagt, daß sie auftreten, also muß ich wissen, was sie bedeuten.

Ja.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Spätestens wenn ich alle Umgebungsfreiheitsgrade mit in die Betrachtung einbeziehe, habe ich doch wieder alle Arten von seltsamen EPR-artigen Korrelationen, die schwer realistisch zu interpretieren sind und auf die sich das Dekohärenzargument nicht anwenden läßt.

Gerade auf diese Korrelationen lässt sich die Dekohärenz anwenden.

Gemäß Dekohärenz sind diese "Zweige" dynamisch entkoppelt, und ich kann sie widerspruchsfrei realistisch interpretieren .

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Natürlich ist nach einer realistisches Messung das System mit einer Unmenge von Freiheitsgraden verschränkt und deswegen diese Korrelation praktisch unbeobachtbar. Diese Beobachtung als Lösung zu verstehen, ist analog dazu, eine klare Problemstellung so weit zu verkomplizieren, bis letztendlich keiner mehr versteht, was das Problem eigentlich ist.

Wieso?

Die Theorie sagt zunächst diese mathematische Struktur voraus. Nun muss ich entscheiden, wie ich diese mathematische Struktur mit der Beobachtung in Übereinstimmung bringe. Die Nicht-Beobachtbarkeit erlaubt gerade, die reale Existenz ohne Widerspruch anzunehmen.

Ich verstehe wirklich nicht, warum du gerade da, wo die Theorie eine schöne Lösung parat hat, Probleme siehst. Kann es sein, dass du gerade da etwas grundsätzlich missverstehst?

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Aber vielleicht verstehe tatsächlich auch nur ich noch nicht so richtig, worum es geht.

Es geht im Kern um das Messproblem.

Dazu gibt es das sogenannte Maudlin-Trilemma:

"... three propositions which cannot all be accepted together
(1) The state vector is a complete description of the state of a system
(2) The state vector evolves according to a linear dynamic
(3) All measurements have determinate outcomes"

Eine nicht-realistische Interpretation (des Quantenzustandes) lässt (1) fallen. Z.B. besagt die Ensemble-I., dass die Wellenfunktion gerade nicht ein System sondern ein (gedachtes) Ensemble beschreibt. Die orthodoxe I. u.a. wie z.B. Bayesianismus behaupten, dass die Wellenfunktion nicht das System selbst, sondern unser Wissen (unsere Information) über das System beschreibt.

Die Everett-I. (in ihren verschiedenen Varianten von Everett über deWitt et al. bis heute) lässt (3) fallen und behauptet, dass Messungen lediglich "Zweig-lokal" ein eindeutiges Ergebnis haben. Die Dekohärenz erklärt, wie das mathematisch folgt, d.h. warum tatsächlich Eigenwerte als Messwerte erscheinen. Daher ist sind alle Varianten, die sich nicht auf die Dekohärenz beziehen, überholt oder sie enthalten zusätzliche Annahmen, die aufgrund der Dekohärenz überflüssig werden (ich habe mich mit Everett in Reinform daher auch nie befasst).


Zuletzt bearbeitet von TomS am 12. Sep 2015 14:46, insgesamt einmal bearbeitet
TomS
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Beitrag TomS Verfasst am: 12. Sep 2015 14:51    Titel: Antworten mit Zitat

Ich denke, das sind zwei sehr gute Artikel

http://www.preposterousuniverse.com/blog/2014/06/30/why-the-many-worlds-formulation-of-quantum-mechanics-is-probably-correct/
http://www.preposterousuniverse.com/blog/2015/02/19/the-wrong-objections-to-the-many-worlds-interpretation-of-quantum-mechanics/

Evtl. hilft es, andere Argumente zu diskutieren, als immer nur unsere eigenen.
index_razor



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Beitrag index_razor Verfasst am: 15. Sep 2015 19:26    Titel: Antworten mit Zitat

Wenn du die die Diskussion argumentativ erweitern möchtest, was ich gut finde, dann schlage ich vor die Argumente von Wallace einzubeziehen. Carroll fügt dem m.E. nicht viel wesentliches hinzu und Wallace lese ich sowieso grad.

TomS hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
Gerade von einer vorgeblich realistischen Interpretation der Wellenfunktion würde ich erwarten, daß sie mir auch mitteilt, was die Interferenzterme bedeuten. Was die moderne MWI dazu sagt, verstehe ich bis jetzt so, daß man sich darum keine Sorgen machen muß, da diese bei praktischen Beobachtungen in makroskopischen Systemen sowieso keine Rolle spielen. Das ist keine realistische, sondern eine positivistische Einstellung zum Interpretationsproblem in Reinform.

Das [positivistisch] erscheint es nur, weil du dich weigerst, die Problematik des Auftretens von Wahrscheinlichkeiten ernstzunehmen, und stattdessen das Problem uminterpretierst.


Ich dachte, das hätten wir bereits geklärt: Ich nehme das Problem des Auftretens von Wahrscheinlichkeiten durchaus ernst, allerdings nur unter dem Gesichtspunkt inwieweit es eine realistische Interpretation ermöglicht. Ich verstehe nicht so recht, was du mir hier sagen willst. Wie lautet denn die realistische Erklärung der MWI für das Auftreten von Interferenz bei einzelnen Teilchen? Verschiedene Zweige interferieren ja nicht, also muß sie durch reale Objekte, die innerhalb eines Zweiges existieren, verursacht werden. Wie funktioniert das? Wallace sagt dazu nicht viel oder es ist mir entgangen. Ich vermute mal die Antwort wird irgendwie so lauten, daß die "relativen Zustände" bzgl. aller existierenden Zweige eben je ein komplettes Teilchen beschreiben, inklusive seiner Interferenz, solange wie das branching noch nicht komplett abgeschlossen ist. Aber das ist genausogut wie keine Antwort, bzw. hauptsächlich eine Umformulierung der Ausgangssituation in etwas unverständlichere Sprache.

Interessant ist aber deine Behauptung, daß ich das Problem uminterpretiere. Das ist genau mein Eindruck von der MWI-Lösung des Meßproblems. Mein Verständnis ist da in der Tat ein anderes: ich möchte wissen "Wie entsteht aus der Möglichkeit eines Meßwertes ein Meßwert und welche reale Beziehung hat ein a posteriori Meßwert zu seinem a priori möglichen Auftreten?" Die MWI behandelt eher die Frage "Wieso beobachtet man bei einer Messung keine makroskopische Interferenz der Ergebnisse?" Letzteres wird natürlich problemlos von der Dekohärenz beantwortet. Aber diese Antwort ist weitgehend unabhängig von der Interpretation. Und beide Probleme sind m.E. ziemlich verschieden, auch wenn man bei Diskussionen der MWI den Eindruck bekommen kann, als seien sie vollkommen identisch. Dies liegt wahrscheinlich daran, daß die MWIler der Ansicht sind, auf die erste Frage eine zufriedenstellende Antwort zu haben, nämlich, daß einfach jeder mögliche Meßwert letztendlich realisiert wird. Das ist aber nur dann akzeptabel, wenn ich mir diese Realisierung der Meßwerte in getrennten Welten vorstellen kann, also jegliche Interferenz zwischen ihnen zerstört ist. Das ist ein Widerspruch, für den ich keine Lösung innerhalb der MWI sehe.

Zitat:

Die MWI argumentiert, dass diese Zweige real sind, dass jedoch die Wahrscheinlichkeit, das "Ich" zu sein, das sich nach einem Experiment in einem derartigen Zweig wiederfindet, sehr klein ist. Diese Auffassung ist realistisch, genauso wie bzgl. rein mikroskopischer Quantenzustände und Zweigstrukturen. Sie ist jedoch noch unvollständig entwickelt, solange wir nicht verstehen, wie diese Wahrscheinlichkeiten zu motivieren bzw. zu verstehen sind. Das Postulat, die auftretenden Amplituden als Wahrscheinlichkeiten zu interpretieren, ist möglich, jedoch nicht zwingend, und insbs. nicht überzeugend.


Und ich argumentiere, daß es diese mikroskopischen Zweigstrukturen real nicht geben kann. Bisher weiß ich nur nicht, ob du meine Einwände für widerlegt hältst oder nicht zur Kenntnis nimmst. Laut Wallace sind Zweige auch nicht mikroskopisch definierbar, sondern quasi-klassische Strukturen von der Größe des Universums.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
In meinem (sehr vorläufigen, fast nur auf Wallace basierendem) Verständnis, handelt die MWI in moderner Auffassung nur von Situationen, die sich empirisch nicht von Gemischen von makroskopisch fein säuberlich im Phasenraum getrennten Zuständen unterscheiden ...

Nein, das tut sie nicht. Sie handelt explizit von allen Situationen.


Sie liefert aber nicht in allen Situationen eine realistische Erklärung. Ohne emergent quasi-klassisches Verhalten habe ich keine bevorzugte Basis und keine eindeutige Zweigstruktur. Ich habe nicht mal eine wohldefinierte Unterscheidung zwischen System und Beobachter. Ich denke diese Probleme sind allgemein akzeptiert, deswegen ist der Ausgangspunkt in moderner Lesart ein anderer als bei Everett. Wallace bringt es auf die Formel (und Carroll scheint das genauso zu sehen): Superposition = Multiplizität. Darüber kann man m.E. streiten, aber es ist klar, daß dies nur dann stimmen kann, wenn zwischen den Komponenten die superpositioniert werden, keine Interferenz beobachtbar ist. (Wallace läßt m.E. nicht den geringsten Raum für Zweifel, daß dies seine Auslegung der MWI ist.) Wie stellen wir sicher, daß keine Interferenz vorliegt? Durch Konstruktion eines Meßapparats mit einer Zeigerbasis aus makroskopisch unterscheidbaren Werten. Dekohärenz erledigt dann den Rest: sie bewirkt, daß der Zustand nach der Messung nicht von einem Gemisch aus Zuständen dieser Zeigerbasis unterschieden werden kann.

Diesen Punkt sollten wir weiter erörtern. Er scheint von zentraler Bedeutung zu sein.

Zitat:

Da das Mess- bzw. Interpretationsproblem jedoch nur für makroskopische Systeme zu empirisch problematischen Situationen zu führen scheint, befasst sich die Forschung eben nur damit.


Ich finde jetzt definierst du das Problem um: "Empirisch" ist überhaupt nichts problematisches an der QM. Ihre empirischen Resultate sind auch völlig robust gegenüber Änderungen der Interpretation. Es geht allein um interpretatorische Probleme. Neben dem Meßproblem auch um das klassische Problem EPR-Korrelationen zu erklären, die zwischen Observablen bestehen, die nicht gleichzeitig feste Werte haben können. Das ist ja dem Meßproblem verwandt nur gibt es eben keine ausgezeichnete Basis.

Zitat:

(1) empirisch liegen zunächst ausschließlich Messergebnisse vor; d.h. es gibt zunächst keinen empirischen Hinweis, wie der Zustandsvektor zu interpretieren ist. Damit kann eine realistische I. weder ausgeschlossen noch motiviert werden (es gibt völlig andere Gründe für Realismus). Eine realistische I. ist bzgl. mikroskopischer, isolierter Systeme empirisch völlig unkritisch, da sich diese Systeme gerade dadurch auszeichnen, nicht beobachtet zu werden, sich also der Empirie vollständig entziehen.


Was heißt "unkritisch"? Kann jede Behauptung über mikroskopische isolierte Systeme als "realistisch" gelten, weil ja sowieso keiner beobachten kann, ob sie stimmt? Das ist genau das Gegenteil von "Realismus" und eher eine "positivistische" Einstellung.

Zitat:

Die einzige Herausforderung besteht bzgl. makroskopischer Systeme (mikroskopischer Systeme, die nicht gegen makroskopische Systeme mit Messgerät usw isoliert sind), da eine realistische I. der QM die Existenz von makroskopischen Superpositionen vorhersagt, was empirisch nicht gestützt wird. Nun liefert die Dekohärenz nach allgemeiner Überzeugung jedoch ein verlässliches Argument, warum diese Superpositionen zwar existieren können, jedoch unbeobachtbar bleiben und damit wiederum empirisch kein Widerspruch zu einer realistischen I. besteht. Eine realistische I. ist demnach vollumfänglich, ohne Einschränkung und ohne Widersprüche möglich.


Dekohärenz liefert kein Argument dafür, daß Superposition unbeobachtbar bleibt, sondern nur dafür, daß diese durch jegliche Beobachtung, welche die Umgebungsobservablen ignoriert, von Gemischen nicht unterscheidbar bleibt. M.a.W nur die relativen Phasen zwischen den Komponenten bleiben unbeobachtbar, nicht ihre relativen Amplituden. Das ist übrigens genau der Grund, warum ich "Superposition = Multiplizität" auch in diesem Fall nicht glaube. Sie ignoriert die "Gewichte" vor den "Welten" und spiegelt einen qualitativen Unterschied vor, wo lediglich ein quantitativer besteht. Es handelt sich schlicht nicht um einfache Multiplizität, sondern bestenfalls um konvexe Kombination dieser angeblichen "Welten". Was das allerdings bedeuten soll, bleibt (zumindest für mich) in der MWI reichlich obskur. Die oberflächlich plausible Behauptung der Zustand |tot> + |lebendig> instanziiere alle Strukturen, die eine lebendige Katze darstellen, sowie alle Strukturen, die ein tote Katze darstellen, und instanziiere folglich alle Strukturen, die beides darstellen, ignoriert den physikalisch relevanten Unterschied zwischen

und
.

Außerdem unterschätzt du das Problem, wenn du meinst makroskopische Systeme seien die einzige Herausforderung. In welche Kategorie zählst du Interferenzexperimente mit Teilchen? Hierbei handelt es sich weder um mikroskopische Systeme, die sich der Beobachtung entziehen, noch um ein dekohärentes makroskopisches System, sondern um irgendwas dazwischen: ein mikroskopisches System, welches nicht gegen die makroskopische Umgebung isoliert ist und dessen Phänomene sich nicht allein mit Dekohärenz erklären lassen.

Zitat:

(2) empirisch liegen jedoch außerdem Wahrscheinlichkeiten vor. Deren Auftreten und sogar das präzise Wahrscheinlichkeitsmaß sind mit der Theorie verträglich. Offen bleibt jedoch, wieso in einer realistischen, deterministischen Theorie überhaupt Wahrscheinlichkeiten auftreten sollen.


Ja, ich habe dir, wenn ich mich nicht täusche, schon mehrfach zugestimmt, daß dies offen bleibt und problematisch ist.

Zitat:

Zusammenfassend: wir beobachten (1) Messwerte, und wir beobachten (2) Wahrscheinlichkeiten. Die QM liefert uns (auch mit einer realistisch Sichtweise) eine Begründung, warum wir diese Messwerte sehen, und welche Messwerte wir sehen; sie liefert eine Begründung, warum wir klassische Zeigerzustände sehen und warum wir keine Superposition makroskopischer Zweige sehen. Sie liefert jedoch keine Erklärung, warum wir diese Messwerte mit Wahrscheinlichkeiten (statt mit Gewissheit) sehen. Allein daraus resultiert der Anspruch, das Auftreten von Wahrscheinlichkeiten verstehen zu wollen. Die Ensemble-I. kann Wahrscheinlichkeiten aufgrund des Nicht-Wissens über das einzelne System im (gedachten) Ensemble verargumentieren, um den Preis, dass sie den Anspruch des Realismus aufgibt. Die Everett-I (in allen Varianten) kann dies aufgrund des realistischen Anspruchs bzgl. einzelner Systeme nicht. Sie kann entweder Wahrscheinlichkeiten postulieren, ohne das Warum erklären zu können, oder sie kann versuchen, das Auftreten von Wahrscheinlichkeiten tatsächlich zu erklären.


Die Everett-Interpretation muß zuallererst mal ihren Anspruch erfüllen, eine realistische Interpretation zu liefern. Du scheinst entweder zu glauben, es reiche bereits, diesen Anspruch zu besitzen oder er sei schon erfüllt, sobald man postuliert, der Hilbertraumvektor sei strukturell isomorph zum System oder dergleichen. Das stimmt aber nicht. Diese Behauptung an sich ist praktisch ohne Inhalt, vergleichbar mit "Die Gruppenaxiome beschreiben die mathematische Struktur Gruppe." Das ist in seiner Trivialität sicher nicht zu leugnen, erlaubt aber nicht mal eine Unterscheidung zwischen der Addition reeller Zahlen und der Multiplikation von regulären Matrizen. Es liefert genau aus diesem Grund keine wohldefinierte Gruppenstruktur, denn es existiert nicht "die" Gruppe, sondern eine ganze Reihe sehr verschiedener Gruppen. Genauso liefert die unterstellte "Isomorphie" zwischen System und Hilbertraumvektor keine wohldefinierte Ontologie, denn es könnte die Realität auf sehr verschiedene Weisen ein Modell für Hilberträume liefern. Und nicht zuletzt könnte die Beschreibung der Realität durch die QM einfach unvollständig sein. Ist dann die Realität auch unvollständig?

Die Frage ist nicht ob der Hilbertraumvektor eine treue Abbildung der Realität liefert, sondern wie die Realität aussehen muß, damit er dies tut. Gerade die Möglichkeit der Unvollständigkeit der QM im Zusammenhang mit dem EPR-Paradoxon wird ja durch die Annahme der Zustand liefere eine treue Systembeschreibung erst aufgeworfen und kann per Postulat nicht einfach ausgeräumt werden. Sonst ist jede inkonsistente Beschreibung auch realistisch, wenn ich einfach behaupte, die Realität sei inkonsistent. Dies sollte doch klar machen, daß man es sich nicht so einfach machen kann. Tatsächlich unterscheidet diese Grundhaltung zur Zustands-System-Korrespondenz die MWI-Anhänger noch nicht mal von den Leuten, die behaupten, der Hilbertraumvektor beschreibe lediglich "Information" über ein System, aber "Information" sei auch das einzige, woraus die Realität letztlich besteht. Diese Grundhaltung ist höchstens der Ausgangspunkt für eine realistische Interpretation, nicht bereits deren Erfüllung. Und die konkreten Versuche, diese Haltung innerhalb der MWI gerecht zu werden, erscheinen mir gerade in den problematischen Fällen nichts besonders realistisches zu ergeben. Darum geht es mir zunächst.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Diese [Situationen, die sich empirisch nicht von Gemischen von makroskopisch fein säuberlich im Phasenraum getrennten Zuständen unterscheiden] sind natürlich im Vergleich nicht besonders schwer zu interpretieren.

Realistisch und bezogen auf ein einzelnes System sind gerade diese schwer zu interpretieren bzw. zu glauben. Oder fällt es dir leicht, deine Existenz in einem makroskopischen Superpositionszustand zu glauben?


Wenn ich dabei die Interferenz zwischen den überlagerten Komponenten ignorieren darf, dann schon. Zumindest fällt mir das nicht schwerer als zu glauben, daß meine Existenz eine Temperatur um die 37 °C aufweist und soundsoviel Entropie enthält. Das sind alles emergente Eigenschaften, die ihre reale Existenz auf genau die gleiche Weise ihrem prognostischen und explanatorischem Wert verdanken, ansonsten aber in grundlegender Weise auf Wahrscheinlichkeiten basieren, mit denen bestimmte Energieniveaus in meinem Körper besetzt sind.

Zitat:

Nicht-realistisch, z.B. bezogen auf ein (gedachten) Ensembles, sind sie in der Tat nicht schwer zu interpretieren. Allerdings bleibt der Einwand, dass die QM dann nicht mehr in der Lage ist, einzelne Systeme zu beschreiben (diesen Einwand muss man natürlich nicht teilen)


Dieser Einwand ist auch nicht mehr korrekt, es sei denn du behauptest ebenfalls, die klassische Thermodynamik sei nicht in der Lage einzelne Systeme realistisch zu beschreiben, nur weil sie auf statistischen Ensembles beruht. Ich glaube, du baust hier einfach einen falschen Gegensatz auf: Probabilistische Aussagen sind nicht notwendigerweise nicht-realistisch. Sie sind es nur dann, wenn die Fakten, deren Eintreten sie Wahrscheinlichkeiten zuordnen, in der Realität nicht ohne weiteres vorgelegen haben können. (Wie die festen Werte für komplementäre Variablen in EPR-Experimenten.)

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Denn es ist klar, worüber die auftretenden Wahrscheinlichkeiten in diesem Fall Wahrscheinlichkeitsaussagen machen, nämlich über das Vorliegen eines gewissen quasiklassischen Zustands.

Natürlich ist das "klar", weil uns die Messergebnisse sagen, dass es gerade so sein muss. Das ist also keine besonders interessante Erkenntnis. Wir verstehen jedoch nicht, wie und warum wir das Auftreten von Wahrscheinlichkeiten vernünftig begründen sollen


Das ist doch gar nicht der Punkt. Im Normalfall verstehen wir noch viel weniger, nämlich wie wir die auftretenden Wahrscheinlichkeiten auch nur deuten sollen, ohne den Begriff "Messung" als unanalysierten Grundbegriff in die Theorie einzuführen. "Wahrscheinlichkeit" von was? Vom Auftreten des Meßergebnisses soundso... In Situationen, in denen die Wahrscheinlichkeiten, sich auf das Vorliegen eines quasiklassischen Zustands bezieht, haben wir dieses Problem gar nicht und die realistische Interpretation der quantitativen Aussagen der Theorie ist zumindest einfacher. (So wie in der klassischen Statistik)

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Wenn ich also als Grundlage für eine realistische Interpretation die Emergenz klassischer Systeme zu Hilfe nehmen kann, erscheint mir die Ensemble-Interpretation genauso realistisch.

Sorry, aber du verstehst offensichtlich nicht, was "realistisch" bedeutet.

Die realistische Auffassung der MWI besagt, dass ein einziges, real existierendes System vollumfänglich durch einen Zustandsvektor beschrieben wird, der sich gem. der Schrödingergleichung entwickelt. Daraus folgt zwingend, dass dieses System unter gewissen Umständen ("Messung", Dekohärenz) real in einer Zweigstruktur vorliegt.

Die Ensemble-Interpretation sagt dagegen nichts über ein einzelnes System. Wenn nun jedoch real nur ein einzelnes System vorliegt, und kein Ensemble, dann besagt der Zustandsvektor im Rahmen der Ensemble-I. offensichtlich nichts über dieses einzelne System und damit nichts über die Realität (gilt z.B. bei Präparation eines einzelnen Systems oder insbs. im Rahmen der Quantenkosmologie).

Die Ensemble-I. gilt demnach nach allgemeinem Verständnis auch nicht als eine realistische I.


Nein, "realistisch" bedeutet in diesem Zusammenhang einfach soviel wie: "liefert eine Erklärung der Situation mit Hilfe von Aussagen über ausschließlich real existierende Dinge". Dafür ist weder notwendig noch hinreichend, daß ich behaupte (mehr tut die MWI ja in dem Punkt auch nicht), meine Beschreibung beziehe sich auf ein einzelnes System. Ich kann z.B. auch behaupten "Gottes unsichtbare Hand führt die Planeten entlang von Ellipsen." Die ist eine Beschreibung eines einzelnen Systems, aber überhaupt nicht realistisch. Ein Gegenbeispiel für Notwendigkeit dieser Behauptung liefert die Thermodynamik. Du behauptest hoffentlich nicht, Aussagen über den Entropiegehalt eines konkreten Systems seien nicht realistisch, nur weil sie sich auf Ensembles beziehen. Im Zusammenhang mit der MWI ist wichtig, daß ihr eigener Anspruch auf realistische Beschreibung viel zu kurz kommt, wenn man nichts weiter als "Isomorphie" zwischen Beschreibung und Realität voraussetzt. Zumindest Wallace tut dies ja auch nicht und seine Sicht (und eine andere kenne ich wie gesagt kaum) ist, daß das, was real existiert, quasi-klassische, nicht-interferierende "Welten" sind. Ob ich dann den Gesamtzustand eines Systems als "gewichtete" Summe dieser Welten oder als Wahrscheinlichkeitsverteilung über diese "Welten" ansehe, tut dem Realismus keinerlei Abbruch. Im Gegenteil, ein wesentliches Kriterium für "Realität" der theoretischen Konstrukte ist die Erklärungskraft der instanziierten Theorie, die sie verwendet. (Hier bezieht sich Wallace auf Dennett.) Irgendeinen Vorteil an Erklärungskraft für "gewichtete Summe" gegenüber "Wahrscheinlichkeitsverteilung", ist kaum erkennbar. Genau in diesem Sinne ist also die Ensemble-Interpretation, wenn sie sich auf Gemische von quasi-klassischen Systemen bezieht, mindestens genauso realistisch wie die MWI. Sie ist es natürlich nicht in allen denkbaren Situationen, denn sie liefert ja auch Wahrscheinlichkeitsaussagen über Dinge (Meßergebnisse), denen nicht in allen Situationen Elemente der Realität zugeordnet werden können, aber in genau diesen Situationen existieren m.E. auch keine realen "Welten".

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Die Superpositionen von Eigenzuständen, egal ob makroskopisch oder mikroskopisch, sind aber genau die, die mich eigentlich interessieren. Insbesondere interessieren sie mich nicht nur im Kontext des Meßproblems, also nach Wechselwirkung mir makroskopischen Systemen. Die QM sagt, daß sie auftreten, also muß ich wissen, was sie bedeuten.

Ja.


Dekohärenz liefert aber keine vollständige Erklärung dafür, also auch nicht die Existenz vieler Welten.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Spätestens wenn ich alle Umgebungsfreiheitsgrade mit in die Betrachtung einbeziehe, habe ich doch wieder alle Arten von seltsamen EPR-artigen Korrelationen, die schwer realistisch zu interpretieren sind und auf die sich das Dekohärenzargument nicht anwenden läßt.

Gerade auf diese Korrelationen lässt sich die Dekohärenz anwenden.

Gemäß Dekohärenz sind diese "Zweige" dynamisch entkoppelt, und ich kann sie widerspruchsfrei realistisch interpretieren .


Nein, es handelt sich um Korrelationen zwischen Observablen der Umgebung und Objekt. Dekohärenz unterscheidet nicht, ob das Objekt unverschränkt in einem Gemisch vorliegt (keine Korrelation) oder vollständig mit seiner Umgebung verschränkt ist (maximale Korrelation).

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Natürlich ist nach einer realistisches Messung das System mit einer Unmenge von Freiheitsgraden verschränkt und deswegen diese Korrelation praktisch unbeobachtbar. Diese Beobachtung als Lösung zu verstehen, ist analog dazu, eine klare Problemstellung so weit zu verkomplizieren, bis letztendlich keiner mehr versteht, was das Problem eigentlich ist.

Wieso?

Die Theorie sagt zunächst diese mathematische Struktur voraus. Nun muss ich entscheiden, wie ich diese mathematische Struktur mit der Beobachtung in Übereinstimmung bringe. Die Nicht-Beobachtbarkeit erlaubt gerade, die reale Existenz ohne Widerspruch anzunehmen.


Ja, und was ist mit den Fällen, in denen ich Interferenz beobachte? Dann erlaubt sie es nicht ohne Widerspruch. Ganz abgesehen davon ist Widerspruchsfreiheit einfach kein brauchbares positives Kriterium, wenn es um ontologische Fragen geht (höchstens ein Ausschlußkriterium). Das Wirken von Gottes unsichtbarer Hand ist auch jeder Zeit ohne Widerspruch annehmbar.

Zitat:

Ich verstehe wirklich nicht, warum du gerade da, wo die Theorie eine schöne Lösung parat hat, Probleme siehst. Kann es sein, dass du gerade da etwas grundsätzlich missverstehst?


Sowas schließe ich nie aus, aber trotzdem erscheint mir deine Frage seltsam und ich vermute, daß du mich falsch verstanden hast.

Die Probleme sehe ich hauptsächlich da, wo Dekohärenz nicht die Lösung ist. Sie erklärt, warum ich in makroskopischen Superpositionen keine Interferenz beobachte. Mehr nicht. Die Frage ist jetzt: Ist das das einzige Interpretationsproblem, das wir mit der QM haben? Ich würde gern verstehen, wie sich Interferenzmuster am Doppelspalt damit erklären lassen, daß einzelne Teilchen durch die Spalte fliegen. Dies ist eine Konkretisierung des allgemeinen Falls: Wie sieht eine realistische Beschreibung einer Reihe von Einzelmessungen mi Hilfe von Wahrscheinlichkeitsamplituden aus? Die Situation tritt gerade dann auf, wenn Dekohärenz noch nicht wirksam war. Und in diesem Fall sieht Everett m.E. auch ziemlich alt aus. Dies berührt u.a. die Frage, wie genau eine realistische Beschreibung des branching aussehen kann, solange die Zweige noch interferieren und im Prinzip wieder zusammengeführt werden können. Die Antwort der MWI ist, daß der Branchingzeitpunkt sowieso nicht beliebig genau bestimmbar ist, so wie die Eigenschaften emergenter Systeme eben eine gewisse Unbestimmtheit aufweisen, wenn man das graining in die Nähe der typischen Skalen der instanziierenden Theorie verfeinert. Dagegen ist natürlich prinzipiell nichts einzuwenden, aber es zeigt auch, daß die MWI kein vollständig realistische Erklärung für alle Phänomene liefern kann.

Zitat:

Es geht im Kern um das Messproblem.

Dazu gibt es das sogenannte Maudlin-Trilemma:

"... three propositions which cannot all be accepted together
(1) The state vector is a complete description of the state of a system
(2) The state vector evolves according to a linear dynamic
(3) All measurements have determinate outcomes"

[...]

Die Everett-I. (in ihren verschiedenen Varianten von Everett über deWitt et al. bis heute) lässt (3) fallen und behauptet, dass Messungen lediglich "Zweig-lokal" ein eindeutiges Ergebnis haben. Die Dekohärenz erklärt, wie das mathematisch folgt, d.h. warum tatsächlich Eigenwerte als Messwerte erscheinen. Daher ist sind alle Varianten, die sich nicht auf die Dekohärenz beziehen, überholt oder sie enthalten zusätzliche Annahmen, die aufgrund der Dekohärenz überflüssig werden (ich habe mich mit Everett in Reinform daher auch nie befasst).


Das Frage ist nicht, ob man sich auf Dekohärenz bezieht, sondern ob das für die Interpretationsprobleme ausreicht.
TomS
Moderator


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Beitrag TomS Verfasst am: 15. Sep 2015 23:51    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Wenn du die die Diskussion argumentativ erweitern möchtest, was ich gut finde, dann schlage ich vor die Argumente von Wallace einzubeziehen. Carroll fügt dem m.E. nicht viel wesentliches hinzu und Wallace lese ich sowieso grad.

Ich würde es begrüßen, wenn jemand drittes uns beide befragen würde; wir fangen langsam an, uns im Kreis zu drehen …

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Gerade von einer vorgeblich realistischen Interpretation der Wellenfunktion würde ich erwarten, daß sie mir auch mitteilt, was die Interferenzterme bedeuten.

Wozu? Was meinst du mit „bedeuten“?

Die realistische Interpretation besagt, dass eine strukturelle Entsprechung zwischen der mathematischen Struktur und der Realität existiert.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Was die moderne MWI dazu sagt, verstehe ich bis jetzt so, daß man sich darum keine Sorgen machen muß, da diese bei praktischen Beobachtungen in makroskopischen Systemen sowieso keine Rolle spielen. Das ist keine realistische, sondern eine positivistische Einstellung zum Interpretationsproblem in Reinform.

Drücke ich mich wirklich so undeutlich aus, oder liest du nicht, was ich schreibe?

Das ist durchaus nicht alles, was die MWI sagt!
Die MWI sagt zum einen, dass die Wellenfunktion mit ihren Interferenztermen usw. exakt dem entspricht, was tatsächlich da draußen in der Natur existiert und geschieht. Sie besagt zum Zweiten, dass sie das widerspruchfrei annehmen darf, da es nicht im Widerspruch zur Beobachtung steht. Sie besagt zum Dritten, dass die Dekohärenz eine mathematische Erklärung liefert, warum dies nicht im Widerspruch zur Beobachtung steht. Und sie besagt schlussendlich, dass es (nach Meinung ihrer Vertreter) die einfachste Interpretation darstellt.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Ich verstehe nicht so recht, was du mir hier sagen willst. Wie lautet denn die realistische Erklärung der MWI für das Auftreten von Interferenz bei einzelnen Teilchen? Verschiedene Zweige interferieren ja nicht, also muß sie durch reale Objekte, die innerhalb eines Zweiges existieren, verursacht werden. Wie funktioniert das?

Das ist ein Missverständnis; die Interferenz findet natürlich statt, bevor eine Verzweigung entsprechend er Dekohärenz vorliegt.

Ein einzelnes Elektron wird durch eine Wellenfunktion beschrieben; hinter einem Doppelspalt jedoch vor dem Messgerät wird das Elektron durch zwei Komponenten (eine je Spalt) beschrieben, die miteinander interferieren. Laut MWI ist das ein exaktes Abbild der Realität.

Aufgrund der Dekohärenz im Zuge der Wechselwirkung mit einem Messgerät „verzweigt“ die Wellenfunktion von Elektron * Messgerät; nun findet keine Interferenz mehr statt. Laut MWI ist diese „Zweigstruktur“ ebenfalls ein exaktes Abbild der Realität.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Interessant ist aber deine Behauptung, daß ich das Problem uminterpretiere. Das ist genau mein Eindruck von der MWI-Lösung des Meßproblems. Mein Verständnis ist da in der Tat ein anderes: ich möchte wissen "Wie entsteht aus der Möglichkeit eines Meßwertes ein Meßwert und welche reale Beziehung hat ein a posteriori Meßwert zu seinem a priori möglichen Auftreten?"

Jeder mögliche Messwert ist in einem möglichen Zweig (mit Gewicht > 0) realisiert.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Die MWI behandelt eher die Frage "Wieso beobachtet man bei einer Messung keine makroskopische Interferenz der Ergebnisse?" Letzteres wird natürlich problemlos von der Dekohärenz beantwortet.

Nein.

Ich habe in meinem letzten Beitrag das Messproblem anhand des Maudlin-Trilemmas dargestellt. Die MWI behandelt dieses Messproblem in Summe, die Dekohärenz liefert dazu lediglich einen Teil der Antwort, den sich die (moderne Fassung der) MWI zunutze macht. Der Rest der Antwort, den die MWI beisteuert, besteht darin, zu behaupten, dass der Zustandsvektor vor, während und nach der Messung inklusive aller seiner Komponenten oder Zweige der Realität entspricht.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Aber diese Antwort ist weitgehend unabhängig von der Interpretation. Und beide Probleme sind m.E. ziemlich verschieden, auch wenn man bei Diskussionen der MWI den Eindruck bekommen kann, als seien sie vollkommen identisch. Dies liegt wahrscheinlich daran, daß die MWIler der Ansicht sind, auf die erste Frage eine zufriedenstellende Antwort zu haben, nämlich, daß einfach jeder mögliche Meßwert letztendlich realisiert wird.

Ja genau, beides zusammen genommen ist die Antwort.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Das ist aber nur dann akzeptabel, wenn ich mir diese Realisierung der Meßwerte in getrennten Welten vorstellen kann, also jegliche Interferenz zwischen ihnen zerstört ist. Das ist ein Widerspruch, für den ich keine Lösung innerhalb der MWI sehe.

Nö, das ist kein Widerspruch (und vorstellen muss man sich gar nichts können).

Vor der Messung liegt eine mikroskopische Zweigstruktur vor; dies ist noch unbeobachtet. Während der Messung = durch Wechselwirkung mit einem makroskopischen Messgerät resultiert eine makroskopische Zweigstruktur. Dieser Prozess ist aufgrund der Dekohärenzzeiten unmerklich kurz, so dass er im Falle einer Beobachtung effektiv wie ein Kollaps erscheint (diese Zeiten sind berechenbar).

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Und ich argumentiere, daß es diese mikroskopischen Zweigstrukturen real nicht geben kann. Bisher weiß ich nur nicht, ob du meine Einwände für widerlegt hältst oder nicht zur Kenntnis nimmst. Laut Wallace sind Zweige auch nicht mikroskopisch definierbar, sondern quasi-klassische Strukturen von der Größe des Universums.

Ah, jetzt kommen wir zu einem grundlegenden Missverständnis deinerseits.

Es geht nicht um die „mikroskopische Definition“ einer Zweigstruktur; es geht einfach um folgendes:

Vor der WW eines Elektrons mit Komponenten „spin up“ und „spin down“ mit einem Messgerät M habe ich einen Zustand der Form



Dieser weist (im ersten Term) eine „mikroskopische Zweigstrukur“ auf. Laut MWI ist dieser Zustand ein exaktes Abbild der Realität.

Nach der WW des Elektrons mit dem Messgerät M habe ich einen Zustand der Form



Dieser hat eine „makroskopische Zweigstrukur“. Laut MWI ist das ebenfalls ein exaktes Abbild der Realität.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Sie liefert aber nicht in allen Situationen eine realistische Erklärung. Ohne emergent quasi-klassisches Verhalten habe ich keine bevorzugte Basis und keine eindeutige Zweigstruktur.

Ohne Messung oder Beobachtung folgt weder mathematisch eine „makroskopische“ Zweigstruktur, noch beobachtet sie jemand; es gilt wie oben



D.h. in diesem Fall habe ich eine realistische Erklärung, die vollständig ohne Dekohärenz und MWI auskommt.

Mit Messung oder Beobachtung folgt mathematisch eine „makroskopische“ Zweigstruktur, wobei man nur einen Zweig beobachtet; dies wechselweise Unbeobachtbarkeit folgt aus der Dekohärenz; es gilt



D.h. in diesem Fall habe ich eine realistische Erklärung auf Basis von Dekohärenz und MWI.

Du benötigst keine Zeigerbasis, solange die Dekohärenz keine auszeichnet; und sobald sie eine auszeichnet, hast du sie. Du fragst m.E. nach der Lösung für ein Problem, das nicht existiert

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Wallace bringt es auf die Formel (und Carroll scheint das genauso zu sehen): Superposition = Multiplizität. Darüber kann man m.E. streiten, aber es ist klar, daß dies nur dann stimmen kann, wenn zwischen den Komponenten die superpositioniert werden, keine Interferenz beobachtbar ist. (Wallace läßt m.E. nicht den geringsten Raum für Zweifel, daß dies seine Auslegung der MWI ist.) Wie stellen wir sicher, daß keine Interferenz vorliegt? Durch Konstruktion eines Meßapparats mit einer Zeigerbasis aus makroskopisch unterscheidbaren Werten. Dekohärenz erledigt dann den Rest: sie bewirkt, daß der Zustand nach der Messung nicht von einem Gemisch aus Zuständen dieser Zeigerbasis unterschieden werden kann.

Diesen Punkt sollten wir weiter erörtern. Er scheint von zentraler Bedeutung zu sein.

Nochmal: Beide diskutieren die MWI als Lösung des Messproblems; und im Zuge der Messung muss ich natürlich immer mittels Zeigerbasis, Dekohärenz etc. argumentieren. Ohne bzw. vor der Messung existiert kein Messproblem. Es existiert eigtl. auch kein Interpretationsproblem: die Annahme, dass die mikroskopische Superposition zweier Spinzustände eines einzelnen Elektrons „real existiert“, wird nicht wirklich zu Widersprüchen führen; deswegen diskutieren sie das nicht.

Oder übersehe ich etwas in deinem Argument?

index_razor hat Folgendes geschrieben:
"Empirisch" ist überhaupt nichts problematisches an der QM. Ihre empirischen Resultate sind auch völlig robust gegenüber Änderungen der Interpretation. Es geht allein um interpretatorische Probleme. Neben dem Meßproblem auch um das klassische Problem EPR-Korrelationen zu erklären, die zwischen Observablen bestehen, die nicht gleichzeitig feste Werte haben können. Das ist ja dem Meßproblem verwandt nur gibt es eben keine ausgezeichnete Basis.

Ich habe auch nie behauptet, dass es rein empirische Probleme gäbe!

Es gibt scheinbar das interpretatorische Problem der „realistischen Interpretation des Zustandsvektors“, wenn (!) ich dies auf den makroskopischen (!) Vorgang einer Messung anwende. In vielen anderen Situationen gibt es kein Problem mit der realistischen Interpretation des Zustandsvektors. Diesen scheinbaren Widerspruch zwischen der Wahrnehmung eines einzelnen, definiten Messergebnisses und der realistischen Interpretation des Zustandsvektors löst die MWI zugunsten der realistischen Interpretation unter Verwerfung der Annahme, die Messung hätte ein definites Ergebnis (unter Zuhilfenahme der Dekohärenz).

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Dekohärenz liefert kein Argument dafür, daß Superposition unbeobachtbar bleibt …

Doch; weil die Umgebungszustände der verschiedenen Zweigen näherungsweise orthogonal sind.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Das ist übrigens genau der Grund, warum ich "Superposition = Multiplizität" auch in diesem Fall nicht glaube. Sie ignoriert die "Gewichte" vor den "Welten" und spiegelt einen qualitativen Unterschied vor, wo lediglich ein quantitativer besteht. Es handelt sich schlicht nicht um einfache Multiplizität, sondern bestenfalls um konvexe Kombination dieser angeblichen "Welten".

Das ist genau der Punkt der Wahrscheinlichkeiten bzw. der Bornschen Regel. Ja, das ist ein Problem (vieles andere ist lediglich ein Missverständnis).

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Was das allerdings bedeuten soll, bleibt (zumindest für mich) in der MWI reichlich obskur. Die oberflächlich plausible Behauptung der Zustand |tot> + |lebendig> instanziiere alle Strukturen, die eine lebendige Katze darstellen, sowie alle Strukturen, die ein tote Katze darstellen, und instanziiere folglich alle Strukturen, die beides darstellen, ignoriert den physikalisch relevanten Unterschied zwischen



und


Sag mal, liest du, was ich schreibe??

Der relevante Unterschied wird NICHT ignoriert; er wird’s ERNST genommen. Das IST genau das Problem der Bornschen Regel im Kontext der MWI.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Außerdem unterschätzt du das Problem, wenn du meinst makroskopische Systeme seien die einzige Herausforderung. In welche Kategorie zählst du Interferenzexperimente mit Teilchen? Hierbei handelt es sich weder um mikroskopische Systeme, die sich der Beobachtung entziehen, noch um ein dekohärentes makroskopisches System, sondern um irgendwas dazwischen: ein mikroskopisches System, welches nicht gegen die makroskopische Umgebung isoliert ist und dessen Phänomene sich nicht allein mit Dekohärenz erklären lassen.

Was genau meinst du? Wo sollen da zusätzliche Probleme sein?

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Die Everett-Interpretation muß zuallererst mal ihren Anspruch erfüllen, eine realistische Interpretation zu liefern. Du scheinst entweder zu glauben, es reiche bereits, diesen Anspruch zu besitzen oder er sei schon erfüllt, sobald man postuliert, der Hilbertraumvektor sei strukturell isomorph zum System oder dergleichen. Das stimmt aber nicht. Diese Behauptung an sich ist praktisch ohne Inhalt, …

Sorry, aber dann musst du dich etwas näher mit Philosophie befassen.

Um eine philosophischen Position zu vertreten, genügt es zunächst mal, sie zu vertreten.

Dann muss sie logisch schlüssig sein - ist sie. Sie muss empirisch haltbar sein - ist sie ebenfalls. Sie sollte „genügend einfach“ sein - schwierig zu sagen, aber axiomatisch ist sie simpel.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
… vergleichbar mit "Die Gruppenaxiome beschreiben die mathematische Struktur Gruppe." Das ist in seiner Trivialität sicher nicht zu leugnen, erlaubt aber nicht mal eine Unterscheidung zwischen der Addition reeller Zahlen und der Multiplikation von regulären Matrizen. Es liefert genau aus diesem Grund keine wohldefinierte Gruppenstruktur, denn es existiert nicht "die" Gruppe, sondern eine ganze Reihe sehr verschiedener Gruppen.

Sorry, du siehst sicher selbst ein, dass das ein unvernünftiges Argument ist.

Es ist ein Unterschied, ob ich eine Isomorphie zwischen der real existierender Natur und meiner mathematischen Beschreibung postuliere, oder ob ich lediglich auf Ebene der Mathematik bleibe. Deiner Meinung nach wäre alles von Platon bis Penrose trivial.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Und nicht zuletzt könnte die Beschreibung der Realität durch die QM einfach unvollständig sein. Ist dann die Realität auch unvollständig?

Nein, dann wäre die QM und damit die MWI falsch.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Die Frage ist nicht ob der Hilbertraumvektor eine treue Abbildung der Realität liefert, sondern wie die Realität aussehen muß, damit er dies tut.

Nach allem, was wir wissen, ist die Realität so beschaffen, dass dies der Fall sein kann. Andernfalls wäre die QM falsch oder unvollständig.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Gerade die Möglichkeit der Unvollständigkeit der QM im Zusammenhang mit dem EPR-Paradoxon wird ja durch die Annahme der Zustand liefere eine treue Systembeschreibung erst aufgeworfen und kann per Postulat nicht einfach ausgeräumt werden.

Sie kann aber widerspruchfrei postuliert werden, solange es keinen Gegenbeweis gibt. Das gilt für alle Interpretationen. Die Möglichkeit der Unvollständigkeit macht sie noch nicht unvollständig.

Deine Einwände hier betreffen gar nicht die MWI im speziellen, sondern realistische Positionen im Allgemeinen. Diese Einwände kannst du natürlich haben, aber lassen wir sie hier doch mal beiseite.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Die Probleme sehe ich hauptsächlich da, wo Dekohärenz nicht die Lösung ist. Sie erklärt, warum ich in makroskopischen Superpositionen keine Interferenz beobachte. Mehr nicht. Die Frage ist jetzt: Ist das das einzige Interpretationsproblem, das wir mit der QM haben? Ich würde gern verstehen, wie sich Interferenzmuster am Doppelspalt damit erklären lassen, daß einzelne Teilchen durch die Spalte fliegen.

Es „fliegen nicht einzelne Teilchen durch die Spalten“. Wer behauptet das?

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Dies berührt u.a. die Frage, wie genau eine realistische Beschreibung des branching aussehen kann, solange die Zweige noch interferieren und im Prinzip wieder zusammengeführt werden können. Die Antwort der MWI ist, daß der Branchingzeitpunkt sowieso nicht beliebig genau bestimmbar ist, so wie die Eigenschaften emergenter Systeme eben eine gewisse Unbestimmtheit aufweisen, wenn man das graining in die Nähe der typischen Skalen der instanziierenden Theorie verfeinert. Dagegen ist natürlich prinzipiell nichts einzuwenden, aber es zeigt auch, daß die MWI kein vollständig realistische Erklärung für alle Phänomene liefern kann.

Was fehlt?
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18052

Beitrag TomS Verfasst am: 15. Sep 2015 23:52    Titel: Antworten mit Zitat

Wo machen wir weiter? Was ist dein Kernproblem?

Wenn ich dich richtig verstehe, bezweifelst du, das die MWI für alle Prozesse (Interferenz einzelner Teilchen, nicht vollständige Dekohärenz) eine vollständige und realistische Interpretation anbietet.

Dir erscheint es nicht ausreichend, dem quantenmechanischen Zustand eine Realität zuzuschreiben; du erwartest mehr von einer Interpretation. Ich verstehe jedoch nicht, was dir genau fehlt, und was genau in den o.g. Situationen diesbzgl. problematisch ist.

Dann gab es ein Missverständnis bzgl. "mikroskopischer Zweige"; ich hoffe das ist gelöst. Ich meine damit lediglich, dass eine Superposition ausschließlich bzgl. mikroskopischer Subsysteme vorliegt, (noch) nicht bzgl. makroskopischer Systeme (Messgerät, Beobachter, ...)

Habe ich etwas Wesentliches übersehen?

_________________
Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
index_razor



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Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 17. Sep 2015 18:57    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
Was die moderne MWI dazu sagt, verstehe ich bis jetzt so, daß man sich darum keine Sorgen machen muß, da diese bei praktischen Beobachtungen in makroskopischen Systemen sowieso keine Rolle spielen. Das ist keine realistische, sondern eine positivistische Einstellung zum Interpretationsproblem in Reinform.

Drücke ich mich wirklich so undeutlich aus, oder liest du nicht, was ich schreibe?


Ob du jetzt jede Bemerkung von mir zweimal kommentierst, ist ja deine Sache. Aber beim zweiten Mal so zu tun, als hätte ich irgendwas nicht kapiert oder gelesen, ist schon etwas eigenartiger Stil.

Zitat:

Das ist durchaus nicht alles, was die MWI sagt!

Die MWI sagt zum einen, dass die Wellenfunktion mit ihren Interferenztermen usw. exakt dem entspricht, was tatsächlich da draußen in der Natur existiert und geschieht. Sie besagt zum Zweiten, dass sie das widerspruchfrei annehmen darf, da es nicht im Widerspruch zur Beobachtung steht. Sie besagt zum Dritten, dass die Dekohärenz eine mathematische Erklärung liefert, warum dies nicht im Widerspruch zur Beobachtung steht. Und sie besagt schlussendlich, dass es (nach Meinung ihrer Vertreter) die einfachste Interpretation darstellt.


Das habe ich schon verstanden. Die Quanten-Informations-Leute, nach denen die Welt nur aus Information besteht, können wahrscheinlich genau dasselbe von ihrer Interpretation behaupten. (Mangels genauer Kenntnis dieser Interpretation kann ich da natürlich nicht sicher sein, aber es sieht zumindest so aus.)

Das alles hat eben gar nichts mit Realismus zu tun. Warum du immer wieder Widerspruchsfreiheit anführst, als sei dies ein Argument, ist mir ein Rätsel.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Ich verstehe nicht so recht, was du mir hier sagen willst. Wie lautet denn die realistische Erklärung der MWI für das Auftreten von Interferenz bei einzelnen Teilchen? Verschiedene Zweige interferieren ja nicht, also muß sie durch reale Objekte, die innerhalb eines Zweiges existieren, verursacht werden. Wie funktioniert das?

Das ist ein Missverständnis; die Interferenz findet natürlich statt, bevor eine Verzweigung entsprechend er Dekohärenz vorliegt.


Das ist mir klar. Vor der Verzweigung existiert ein Zweig (oder "weniger" Zweige als nach der Verzweigung). So war das gemeint. Da verschiedene Zweige nicht interferieren, muß sich jede realistische Erklärung für Interferenz auf real existierende Objekte innerhalb eines Zweiges beziehen.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Aber diese Antwort ist weitgehend unabhängig von der Interpretation. Und beide Probleme sind m.E. ziemlich verschieden, auch wenn man bei Diskussionen der MWI den Eindruck bekommen kann, als seien sie vollkommen identisch. Dies liegt wahrscheinlich daran, daß die MWIler der Ansicht sind, auf die erste Frage eine zufriedenstellende Antwort zu haben, nämlich, daß einfach jeder mögliche Meßwert letztendlich realisiert wird.

Ja genau, beides zusammen genommen ist die Antwort.


Keine realistische meiner Ansicht nach.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Das ist aber nur dann akzeptabel, wenn ich mir diese Realisierung der Meßwerte in getrennten Welten vorstellen kann, also jegliche Interferenz zwischen ihnen zerstört ist. Das ist ein Widerspruch, für den ich keine Lösung innerhalb der MWI sehe.

Nö, das ist kein Widerspruch (und vorstellen muss man sich gar nichts können).

Vor der Messung liegt eine mikroskopische Zweigstruktur vor; dies ist noch unbeobachtet. Während der Messung = durch Wechselwirkung mit einem makroskopischen Messgerät resultiert eine makroskopische Zweigstruktur. Dieser Prozess ist aufgrund der Dekohärenzzeiten unmerklich kurz, so dass er im Falle einer Beobachtung effektiv wie ein Kollaps erscheint (diese Zeiten sind berechenbar).


Diese mikroskopische Zwiegstruktur ist in erster Linie nicht real. In einer realen Zweigstruktur existiert keine Interferenz zwischen den Zweigen. Sie kann nicht existieren. Wenn man dies erlauben würde, wäre die ganze ontologische Grundlage Superposition = Multiplizität hinüber und führte sofort auf Widersprüche. Wallace ist sich dieses Problems deutlich bewußt. Du scheinst es nicht zu sein.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Und ich argumentiere, daß es diese mikroskopischen Zweigstrukturen real nicht geben kann. Bisher weiß ich nur nicht, ob du meine Einwände für widerlegt hältst oder nicht zur Kenntnis nimmst. Laut Wallace sind Zweige auch nicht mikroskopisch definierbar, sondern quasi-klassische Strukturen von der Größe des Universums.

Ah, jetzt kommen wir zu einem grundlegenden Missverständnis deinerseits.

Es geht nicht um die „mikroskopische Definition“ einer Zweigstruktur; es geht einfach um folgendes:

Vor der WW eines Elektrons mit Komponenten „spin up“ und „spin down“ mit einem Messgerät M habe ich einen Zustand der Form



Dieser weist (im ersten Term) eine „mikroskopische Zweigstrukur“ auf. Laut MWI ist dieser Zustand ein exaktes Abbild der Realität.


Du kannst natürlich jede Superposition einfach als "Zweigstruktur" bezeichnen. Nur ist das überhaupt nicht mehr realistisch.

Die Präparartion des Zustands kann lange vor der Entscheidung stattgefunden haben, welche Spinrichtung überhaupt gemessen wird. Man kann sich ohne weiteres in letzter Sekunde entschließen stattdessen doch lieber eine komplementäre Observable zu messen. Den einzelnen Komponenten in dieser Superposition entsprechen also keine Elemente der Realität (Das ist im wesentlichen das preferred basis problem.) Das kann, wie gesagt, auch nicht sein, wenn Superposition = Multiplizität bedeuten soll. Welche realen Zweige existieren sonst in dieser Struktur: ?

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Sie liefert aber nicht in allen Situationen eine realistische Erklärung. Ohne emergent quasi-klassisches Verhalten habe ich keine bevorzugte Basis und keine eindeutige Zweigstruktur.

Ohne Messung oder Beobachtung folgt weder mathematisch eine „makroskopische“ Zweigstruktur, noch beobachtet sie jemand; es gilt wie oben



D.h. in diesem Fall habe ich eine realistische Erklärung, die vollständig ohne Dekohärenz und MWI auskommt.


Nein, du hast eine Superposition, aber kein realistische Erklärung für irgendwas. Beobachtet werden hier natürlich nicht verschiedene makroskopische Zweige, sondern Interferenz innerhalb eines Zweigs.

Zitat:

Mit Messung oder Beobachtung folgt mathematisch eine „makroskopische“ Zweigstruktur, wobei man nur einen Zweig beobachtet; dies wechselweise Unbeobachtbarkeit folgt aus der Dekohärenz; es gilt



D.h. in diesem Fall habe ich eine realistische Erklärung auf Basis von Dekohärenz und MWI.

Du benötigst keine Zeigerbasis, solange die Dekohärenz keine auszeichnet; und sobald sie eine auszeichnet, hast du sie. Du fragst m.E. nach der Lösung für ein Problem, das nicht existiert


Die einfachste Formulierung dieses Problems, die mir einfällt, ist folgende Frage: Welches Element der Realität entspricht vor der Messung dem erhaltenen Meßwert nach der Messung? Solange noch keine Zweige existieren, können wir jederzeit Interferenz beobachten, unsere Entscheidung, welche Observable wir messen wollen, ändern, usw. Die Schwierigkeit bei der Sache ist eben nicht nur zu erklären, welcher der möglichen Meßwerte einer Observablen dann letzlich auftritt, sondern auch Korrelation zwischen paaren komplementärer Observablen realistisch zu erklären. Es ist schwierig zu behaupten, daß bereits vor der Messung den Meßergebnissen Elemente der Realität entsprechen. Und wenn man behauptet sie würden erst im Zuge der Messung real, hat man keine realistische Beschreibung des Meßprozesses mehr.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Wallace bringt es auf die Formel (und Carroll scheint das genauso zu sehen): Superposition = Multiplizität. Darüber kann man m.E. streiten, aber es ist klar, daß dies nur dann stimmen kann, wenn zwischen den Komponenten die superpositioniert werden, keine Interferenz beobachtbar ist. (Wallace läßt m.E. nicht den geringsten Raum für Zweifel, daß dies seine Auslegung der MWI ist.) Wie stellen wir sicher, daß keine Interferenz vorliegt? Durch Konstruktion eines Meßapparats mit einer Zeigerbasis aus makroskopisch unterscheidbaren Werten. Dekohärenz erledigt dann den Rest: sie bewirkt, daß der Zustand nach der Messung nicht von einem Gemisch aus Zuständen dieser Zeigerbasis unterschieden werden kann.

Diesen Punkt sollten wir weiter erörtern. Er scheint von zentraler Bedeutung zu sein.

Nochmal: Beide diskutieren die MWI als Lösung des Messproblems; und im Zuge der Messung muss ich natürlich immer mittels Zeigerbasis, Dekohärenz etc. argumentieren. Ohne bzw. vor der Messung existiert kein Messproblem. Es existiert eigtl. auch kein Interpretationsproblem: die Annahme, dass die mikroskopische Superposition zweier Spinzustände eines einzelnen Elektrons „real existiert“, wird nicht wirklich zu Widersprüchen führen; deswegen diskutieren sie das nicht.


Doch sie diskutieren das. Und sie diskutieren genau die Widersprüche, zu denen es führt. Wallace ist sich völlig im klaren darüber, daß die Existenz der Zweigstruktur, von der er spricht, nicht einfach aus der Linearität der QM folgt. Der Grund ist derselbe wie in der Elektrodynamik: wenn ich zwei phasenverschobene Sinuswellen addiere, habe ich nicht zwei real existierende Wellen, sondern u.U. einfach überhaupt keine Welle mehr. Interferenz macht die ganze Ontologie kaputt. Deswegen interferieren die Zweige nicht, sofern ich ihnen reale Existenz zuschreiben will. Das sind natürlich keine Widersprüche zur Beobachtung, sondern einzig ein Widerspruch zur unterstellten Ontologie der Zweigstruktur.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
"Empirisch" ist überhaupt nichts problematisches an der QM. Ihre empirischen Resultate sind auch völlig robust gegenüber Änderungen der Interpretation. Es geht allein um interpretatorische Probleme. Neben dem Meßproblem auch um das klassische Problem EPR-Korrelationen zu erklären, die zwischen Observablen bestehen, die nicht gleichzeitig feste Werte haben können. Das ist ja dem Meßproblem verwandt nur gibt es eben keine ausgezeichnete Basis.

Ich habe auch nie behauptet, dass es rein empirische Probleme gäbe!

Es gibt scheinbar das interpretatorische Problem der „realistischen Interpretation des Zustandsvektors“, wenn (!) ich dies auf den makroskopischen (!) Vorgang einer Messung anwende. In vielen anderen Situationen gibt es kein Problem mit der realistischen Interpretation des Zustandsvektors. Diesen scheinbaren Widerspruch zwischen der Wahrnehmung eines einzelnen, definiten Messergebnisses und der realistischen Interpretation des Zustandsvektors löst die MWI zugunsten der realistischen Interpretation unter Verwerfung der Annahme, die Messung hätte ein definites Ergebnis (unter Zuhilfenahme der Dekohärenz).


Wenn du denkst, die einzigen Widersprüche, um die es ginge, seien die zwischen Wahrnehmung und Theorie, bist du Positivist, nicht Realist. Die Probleme fangen erst da an, wo ich annehme meine Beobachtungen seien durch schon a priori vorhandene reale Objekte verursacht worden, anstatt durch meine Entscheidung was und wann ich beobachte. Ganz abgesehen davon ist die Realisierung der Meßergebnisse einer einzigen Observablen nicht die einzige Herausforderung an den Realismus. Es gibt verschiedene Observablen, Korrelationen zwischen ihnen, usw. Gerade realistische Erklärungen für statistische Korrelation zu finden, ist doch ein klassisches Aufgabenfeld der Naturwissenschaft.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Dekohärenz liefert kein Argument dafür, daß Superposition unbeobachtbar bleibt …

Doch; weil die Umgebungszustände der verschiedenen Zweigen näherungsweise orthogonal sind.


Ja deswegen beobachtest du die relativen Phasen der Zweige nicht mehr. Was du immer noch beobachtest, ist, daß du bei einer Messung an verschiedenen System im selben Zustand mal in die eine, mal in die andere Richtung "verzweigst".

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Das ist übrigens genau der Grund, warum ich "Superposition = Multiplizität" auch in diesem Fall nicht glaube. Sie ignoriert die "Gewichte" vor den "Welten" und spiegelt einen qualitativen Unterschied vor, wo lediglich ein quantitativer besteht. Es handelt sich schlicht nicht um einfache Multiplizität, sondern bestenfalls um konvexe Kombination dieser angeblichen "Welten".

Das ist genau der Punkt der Wahrscheinlichkeiten bzw. der Bornschen Regel. Ja, das ist ein Problem (vieles andere ist lediglich ein Missverständnis).


Nein, das ist nicht genau der Punkt der Wahrscheinlichkeiten. Das ist völlig unabhängig davon, ob, wie, und warum Wahrscheinlichkeiten in der Theorie auftauchen. Die Bornsche Regel rechtfertigt doch nicht die ontologische Voraussetzung, daß Superposition = Multiplizität ist. Mein Punkt ist: bereits diese Grundlage ist falsch. Und sie ist auf eine Weise falsch, die noch gar nichts damit zu tun hat, wie ich die auftretenden Gewichte interpretiere -- ob als "Wahrscheinlchkeiten für Meßwerte" oder "Gottes Vorliebe für das Eintreten dieser Meßwerte" ist völlig egal. Die Formel Superposition = Multiplizität ignoriert diese Gewichte, was immer sie bedeuten.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Was das allerdings bedeuten soll, bleibt (zumindest für mich) in der MWI reichlich obskur. Die oberflächlich plausible Behauptung der Zustand |tot> + |lebendig> instanziiere alle Strukturen, die eine lebendige Katze darstellen, sowie alle Strukturen, die ein tote Katze darstellen, und instanziiere folglich alle Strukturen, die beides darstellen, ignoriert den physikalisch relevanten Unterschied zwischen


und


Sag mal, liest du, was ich schreibe??

Der relevante Unterschied wird NICHT ignoriert; er wird’s ERNST genommen. Das IST genau das Problem der Bornschen Regel im Kontext der MWI.


Versuche doch einfach mal, das ontologische Problem, um das es hier geht, von dem davon völlig unabhängigen Problem zu trennen, innerhalb der MWI Wahrscheinlichkeiten zu motivieren. Es ist nicht hilfreich, daß du das immer durcheinanderschmeißt und wenn ich gerade bei dem einen Thema bin, mir vorwirfst, daß ich nicht von dem anderen rede. Mein Einwand bliebe vollkommen bestehen, wenn das "Problem der Bornschen Regel im Kontext der MWI" vollkommen gelöst wäre. Dies zeigt dir, daß es sich eben nicht um genau dieses Problem handelt. Das ist nicht das erste mal, daß ich auf diesem Unterschied bestehe, nur scheint das irgendwie nicht anzukommen.

Es geht darum, daß eine gewichtete Summe von "Welten" nicht dasselbe ist, wie die simultane Existenz beider Welten, selbst wenn sie nicht interferieren. (Aus ziemlich genau demselben Grund, aus dem eine Linearkombination von zwei orthogonalen Richtungen in der Ebene nicht zwei Richtungen ergibt, sondern einfach eine einzige neue Richtung.) Das hat nichts mit der Bedeutung dieser Gewichte zu tun, ob es nun Wahrscheinlichkeiten sind oder irgendwas anderes, sondern nur damit, daß sie im Formalismus der Theorie auftreten.

Versuchen wir es mal anders: Was ist mit dem ontologischen Status einer "Welt vom Gewicht null"? Existiert sie? Sind alle Welten mit Gewicht null dieselbe Welt oder sind es verschiedene Welten? Besitzt eine Welt mit Gewicht 1/2 nur halb so viel "Existenz" wie eine mit Gewicht 1? Was soll das bedeuten? Die Behauptung Superposition bedeute Multiplizität ist nur oberflächlich plausibel. Das rein formale Auftreten der Gewichte macht diese Interpretation zweifelhaft.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Außerdem unterschätzt du das Problem, wenn du meinst makroskopische Systeme seien die einzige Herausforderung. In welche Kategorie zählst du Interferenzexperimente mit Teilchen? Hierbei handelt es sich weder um mikroskopische Systeme, die sich der Beobachtung entziehen, noch um ein dekohärentes makroskopisches System, sondern um irgendwas dazwischen: ein mikroskopisches System, welches nicht gegen die makroskopische Umgebung isoliert ist und dessen Phänomene sich nicht allein mit Dekohärenz erklären lassen.

Was genau meinst du? Wo sollen da zusätzliche Probleme sein?


Das Problem, wie sich aus der Wellenfunktion die Position des Teilchens ergibt. Diese Position ist noch nicht zweiglokal realisiert worden, denn ansonsten könnten die folgenden Teilchen kein Interferenzmuster mit ihr bilden.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Die Everett-Interpretation muß zuallererst mal ihren Anspruch erfüllen, eine realistische Interpretation zu liefern. Du scheinst entweder zu glauben, es reiche bereits, diesen Anspruch zu besitzen oder er sei schon erfüllt, sobald man postuliert, der Hilbertraumvektor sei strukturell isomorph zum System oder dergleichen. Das stimmt aber nicht. Diese Behauptung an sich ist praktisch ohne Inhalt, …

Sorry, aber dann musst du dich etwas näher mit Philosophie befassen.

Um eine philosophischen Position zu vertreten, genügt es zunächst mal, sie zu vertreten.

Dann muss sie logisch schlüssig sein - ist sie. Sie muss empirisch haltbar sein - ist sie ebenfalls. Sie sollte „genügend einfach“ sein - schwierig zu sagen, aber axiomatisch ist sie simpel.


Das ist kein Argument. Die Philosophie liefert haufenweise Beispiele dafür, daß eine Position logisch schlüssig, empirisch haltbar und einfach sein kann, aber trotzdem nicht realistisch sein muß. (Solipsismus)

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
… vergleichbar mit "Die Gruppenaxiome beschreiben die mathematische Struktur Gruppe." Das ist in seiner Trivialität sicher nicht zu leugnen, erlaubt aber nicht mal eine Unterscheidung zwischen der Addition reeller Zahlen und der Multiplikation von regulären Matrizen. Es liefert genau aus diesem Grund keine wohldefinierte Gruppenstruktur, denn es existiert nicht "die" Gruppe, sondern eine ganze Reihe sehr verschiedener Gruppen.

Sorry, du siehst sicher selbst ein, dass das ein unvernünftiges Argument ist.

Es ist ein Unterschied, ob ich eine Isomorphie zwischen der real existierender Natur und meiner mathematischen Beschreibung postuliere, oder ob ich lediglich auf Ebene der Mathematik bleibe. Deiner Meinung nach wäre alles von Platon bis Penrose trivial.


Was soll daran unvernünftig sein? Wenn dein Postulat der "Strukturisomorphie des Formalismus" selbst in der Mathematik nicht ausreicht um mathematische Strukturen bis auf Isomorphie zu charakterisieren, warum soll es dann ausgerechnet funktionieren, wenn es um physikalisch reale Strukturen geht? Wenn überhaupt wird deine Behauptung aus Sicht des Platonismus doch sogar noch unplausibler.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Und nicht zuletzt könnte die Beschreibung der Realität durch die QM einfach unvollständig sein. Ist dann die Realität auch unvollständig?

Nein, dann wäre die QM und damit die MWI falsch.


Nein, unvollständig bedeutet noch nicht falsch. Unvollständig bedeutet, daß nicht "every element of physical reality must have a counterpart in the physical theory" (EPR). Es kann aber dann immer noch sein, daß die theory über elements, die ein counterpart haben durchweg zutreffendes aussagt. Lediglich die MWI wäre dann also falsch, bzw. ihre "Strukturisomorphie".

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Die Frage ist nicht ob der Hilbertraumvektor eine treue Abbildung der Realität liefert, sondern wie die Realität aussehen muß, damit er dies tut.

Nach allem, was wir wissen, ist die Realität so beschaffen, dass dies der Fall sein kann. Andernfalls wäre die QM falsch oder unvollständig.


Ich könnte wohl noch beliebig oft einwenden, daß es kaum eine Rolle spielt, ob du deine "Strukturisomorphie" widerspruchsfrei postulieren kannst, weil dann immer noch alles andere als klar ist, ob du eine wohldefinierte Ontologie, geschweige eine realistische Interpretation zustande gebracht hast. Du wirst doch wieder nichts weiter darauf antworten, als daß man sie widerspruchsfrei postulieren könne. Das führt anscheinend zu nichts.

Übrigens zu "allem, was wir wissen" gehört auch das EPR-Paradoxon, die Verletzung der Bellschen Ungleichung, etc. Das legt der Möglichkeit für alle Vorhersagen der QM eine realistische Erklärung zu finden, erhebliche Einschränkungen auf. Das sind Schwierigkeiten, die dein "Strukturisomorphiepostulat" einfach ignoriert. Kann ja sein, daß sich MWIler nicht dafür interessieren und man da halt Trost bei anderen Interpretationen suchen muß.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Gerade die Möglichkeit der Unvollständigkeit der QM im Zusammenhang mit dem EPR-Paradoxon wird ja durch die Annahme der Zustand liefere eine treue Systembeschreibung erst aufgeworfen und kann per Postulat nicht einfach ausgeräumt werden.

Sie kann aber widerspruchfrei postuliert werden, solange es keinen Gegenbeweis gibt. Das gilt für alle Interpretationen. Die Möglichkeit der Unvollständigkeit macht sie noch nicht unvollständig.

Deine Einwände hier betreffen gar nicht die MWI im speziellen, sondern realistische Positionen im Allgemeinen. Diese Einwände kannst du natürlich haben, aber lassen wir sie hier doch mal beiseite.


Kann Solipsismus widerspruchsfrei postuliert werden? Ist er realistisch? Ist die Aussage "Der Solipsismus ist keine realistische Position" ein Einwand gegen alle realistischen Positionen? Deine Argumentation erscheint mir hier ziemlich absurd.

Ja, die Möglichkeit der Unvollständigkeit macht die QM nicht unvollständig. Das Postulat der Vollständigkeit macht deine Interpretation aber auch nicht realistisch.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Die Probleme sehe ich hauptsächlich da, wo Dekohärenz nicht die Lösung ist. Sie erklärt, warum ich in makroskopischen Superpositionen keine Interferenz beobachte. Mehr nicht. Die Frage ist jetzt: Ist das das einzige Interpretationsproblem, das wir mit der QM haben? Ich würde gern verstehen, wie sich Interferenzmuster am Doppelspalt damit erklären lassen, daß einzelne Teilchen durch die Spalte fliegen.

Es „fliegen nicht einzelne Teilchen durch die Spalten“. Wer behauptet das?


Dann eben etwas, was aussieht wie einzelne Teilchen, sobald man nachschaut. Wenn ich den Prozeß realistisch beschreiben will, dürfen die realen Eigenschaften dieser "Entitäten" (ist das besser?) ja nicht von meiner Entscheidung zu beobachten, abhängen. Darum ging es mir eigentlich.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Dies berührt u.a. die Frage, wie genau eine realistische Beschreibung des branching aussehen kann, solange die Zweige noch interferieren und im Prinzip wieder zusammengeführt werden können. Die Antwort der MWI ist, daß der Branchingzeitpunkt sowieso nicht beliebig genau bestimmbar ist, so wie die Eigenschaften emergenter Systeme eben eine gewisse Unbestimmtheit aufweisen, wenn man das graining in die Nähe der typischen Skalen der instanziierenden Theorie verfeinert. Dagegen ist natürlich prinzipiell nichts einzuwenden, aber es zeigt auch, daß die MWI kein vollständig realistische Erklärung für alle Phänomene liefern kann.

Was fehlt?


Wenn ich das wüßte, hätte ich eine nach mir benannte realistische Interpretation der QM. Dies ist ein Problem von der Art, bei dem eine Lösung zu finden um einiges schwerer ist, als die Qualität einer vermeintlichen Lösung zu prüfen. Von der Bohmschen Mechanik erwarte ich jetzt auch nicht so viel. Ich denke, es ist keine zufriedenstellend realistische Interpretation der QM bekannt.


Zuletzt bearbeitet von index_razor am 18. Sep 2015 07:11, insgesamt 2-mal bearbeitet
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 17. Sep 2015 22:20    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
Wo machen wir weiter? Was ist dein Kernproblem?


Zunächst mal habe ich den Eindruck, daß du nicht klar zwischen den Konzepten Vollständigkeit und Realismus der Quantenmechanik unterscheidest. Du postulierst so etwas wie Vollständigkeit der Beschreibung und meinst dann offenbar Realismus wäre dasselbe oder käme gratis dazu. Angesichts der Tatsache, daß genau diese beiden Begriffe in der Geschichte der QM-Interpretationen als schwer zu vereinbarende Konzepte aufgetaucht sind, macht diese Haltung zumindest recht unverständlich und anfällig für Mißverständnisse.

Zitat:

Wenn ich dich richtig verstehe, bezweifelst du, das die MWI für alle Prozesse (Interferenz einzelner Teilchen, nicht vollständige Dekohärenz) eine vollständige und realistische Interpretation anbietet.


Ja, genauso ist es. Interferenz ist nur ein Beispiel. EPR-Experimente und die Verletzung der Bellschen Ungleichung sind weitere. Bisher weiß ich nicht, was die MWI dazu sagt. Ich denke ihre Vertreter haben einen weit weniger fordernden Begriff von "Realismus" als EPR.

Zitat:

Dir erscheint es nicht ausreichend, dem quantenmechanischen Zustand eine Realität zuzuschreiben; du erwartest mehr von einer Interpretation. Ich verstehe jedoch nicht, was dir genau fehlt, und was genau in den o.g. Situationen diesbzgl. problematisch ist.


Mir reicht es nicht, einfach zu behaupten, es gäbe eine "strukturelle Isomorphie" zwischen Hilbertraumvektor und Realität. Die Gründe habe ich ja genannt. Fragen wir mal so: gibt es eine Lösung innerhalb der MWI für das EPR-Paradoxon? EPRs Schlußfolgerung ist, daß eine solche Isomorphie, wie du sie postulierst, nicht vorliegen kann. Es hilft m.E. nichts, diese Folgerung zu leugnen, ohne sich mit dem Argument von EPR auseinanderzusetzen. (Bohr hat das gemacht, aber seine Argumente sind mir ziemlich unverständlich und vielleicht auch nicht mehr relevant, denn er mußte ja nebenbei noch den Kollaps verteidigen.)

Um es auf den Punkt zu bringen: EPR sehen einen Widerspruch zwischen Vollständigkeit und Realismus. Du sagst, die Annahme der Vollständigkeit erfülle den Anspruch des Realismus. Das ignoriert einfach das Problem von EPR, löst es aber nicht.

Zitat:

Dann gab es ein Missverständnis bzgl. "mikroskopischer Zweige"; ich hoffe das ist gelöst. Ich meine damit lediglich, dass eine Superposition ausschließlich bzgl. mikroskopischer Subsysteme vorliegt, (noch) nicht bzgl. makroskopischer Systeme (Messgerät, Beobachter, ...)


Es ist zumindest äußerst mißverständlich das Wort "Zweig" abwechselnd für etwas real existentes und für etwas nicht real existentes zu verwenden. Es hängt also alles davon ab für wie real du diese "mikroskopischen Zweige" hältst. Wenn du denkst ein mikroskopischer Zustand bestehe nicht real aus verschiedenen Zweigen, dann haben wir uns wohl mißverstanden. Wenn du also lediglich "Superposition" meinst, dann solltest du wie Wallace auch klar zwischen diesen Konzepten unterscheiden.

Zitat:

Habe ich etwas Wesentliches übersehen?


Hört sich nicht so an. Ich denke einfach unser Verständnis sowohl des Problems als auch der MWI unterscheiden sich erheblich.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18052

Beitrag TomS Verfasst am: 21. Sep 2015 22:44    Titel: Antworten mit Zitat

@index_razor: deine letzten Beiträge sind sehr interessant; im Falle von "Wahrscheinlichkeiten" und "Gewichten" sehe ich, dass wir durchaus ähnliche Probleme sehen; es lägen eher Missverständnisse um Begriffe vor; bzgl. der Realität makroskopischer vs. mikroskopischer Zweigstrukturen hast du m.E. nicht recht, die VWI hat da jedoch noch ein (m.E. völlig anders gelagertes) Problem.

Ich habe z.Zt. wenig Chancen, mich ausführlich damit auseinanderzusetzen; ich melde mich, sobald ich wieder mehr Luft habe.

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Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
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