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Viele Welten Interpretation - Doppelspaltexperiment
 
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Lardos
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Beitrag Lardos Verfasst am: 28. Apr 2014 01:14    Titel: Viele Welten Interpretation - Doppelspaltexperiment Antworten mit Zitat

Meine Frage:
Hallo zusammen!
Ich interessiere mich seit langer Zeit bereits für die Viele Welten Interpretation von Hugh Everett und bin der Meinung, dass es eine äußerst rationale (wenngleich unfassbare) Beschreibung der Realität(en) darstellt.

Ich habe einige Abhandlungen über die VWI gelesen und dennoch habe ich noch einige Fragen. Vielleicht kann mir ja jemand bei meiner Frage weiterhelfen...

Beim Doppelspaltexperiment mit einzelnen Photonen spricht man ja oft von einem 'Welcher-Weg-Experiment'. Man erhält trotz einzelner, zeitlich versetzt voneinander emittierten Photonen ein Interferenzbild. Interferieren die Photonen mit sich selbst?
Zur Überprüfung werden Detektoren aufgestellt die als Quantenradierer fungieren, also überprüfen durch welchen Spalt das Photon geht. Es stellt sich heraus: Das Photon geht entweder durch den einen, oder durch den anderen Spalt, was dem zuvor beobachteten Interferenzbild ohne Quantenradierer nach klassischer Vorstellung widerspricht.

Soweit so gut. Nun sagt ja die VWI im Grunde genommen, dass jeder physikalisch mögliche Zustand (unabhängig von der Wahrscheinlichkeit seins Auftretens) als eine reale Konfiguration in einem n-Dimensionalen Konfigurationsraum existiert. Das heißt, wenn wir das Doppelspaltexperiment als abgeschlossenes System betrachten, dann gibt es eine Konfiguration (oder Realität), in der das Photon durch Spalt A geht und eine entsprechende, in dem es Spalt B passiert.

Nun zu meiner eigentlichen Frage:
Wenn es also zwei mögliche Realitäten gibt (Entweder Spalt A oder Spalt B), dann verstehe ich nicht, wie die Viele Welten Theorie das Interferenzbild erklären kann.

Ich weiß nicht einmal, ob ich hier mit so einer Frage richtig bin. Allerdings findet man wirklich nicht allzu viel über das Thema im Netz...

Viele Grüße,
Luca

Meine Ideen:
Die Viele Welten Interpretation scheint mir immer noch eine realistischere Interpretation, als der von Bohr vorgeschlagene Kollaps der Wellenfunktion.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 17900

Beitrag TomS Verfasst am: 28. Apr 2014 10:05    Titel: Antworten mit Zitat

Hallo Lardos,

willkommen im Forum.

Um deine Frage zu beantworten muss man sich mit der sogenannten Dekohärenz auseinandersetzen.

http://en.wikipedia.org/wiki/Quantum_decoherence

Der Mechanismus der Dekohärenz erklärt, warum Systeme "effektiv klassisch" werden, d.h. warum wir keine quantenmechanische Überlagerung oder Verschränkung aus z.B. lebendigen und toten Katzen sehen, sondern warum wir mit einer bestimmten (klassischen) Wahrscheinlichkeit entweder eine lebende oder eine tote Katze beobachten. Das ist eine (theoretisch und experimentell) gesicherte physikalische Erkenntnis auf Basis eines exakten quantenmechanischen Formalismus.

http://www.nobelprize.org/nobel_prizes/physics/laureates/2012/advanced-physicsprize2012_02.pdf


Kollaps, Viele-Welten etc. sind dagegen verschiedene Interpretationen desselben Formalismus; sie "erklären", dass man in einem bestimmten Experiment genau eine Katze beobachtet und was mit der jeweils anderen Katze "passiert". Gemäß der Kollaps-Interpretation "verschwindet" eine Katze, gemäß der Everett-Interpretation existieren beide Katzen in jeweils eigenen und wechselweise unzugänglichen / unbeobachtbaren Zweigen der Realität weiter.

Die Dekohärenz besagt dabei im Wesentlichen, dass ein quantenmechanisches System, das mit einem klassischen System (Katze, Messgerät für Photonen, …) sowie der Umgebung (Luft, …) wechselwirkt in einen verschränkten Zustand gerät, d.h. dass die verschiedenen quantenmechanischen Alternativen (tot vs. lebendig, Spalt A vs. Spalt B, Photon nach Doppelspalt registriert am Ort x, x‘, x‘‘, …) mit der Gesamtheit der makroskopischen Welt verschränkt sind. Nun wird aber nicht die makroskopische Welt in ihrer Gesamtheit beobachtet (d.h. gemessen), sondern lediglich ein kleines Subsystem (Photonen ausgehend von der Katze, Bit für die Position eines Photons). Dieses Subsystem, meist ein Teil einer Messvorrichtung, wird häufig als „Zeiger“ bezeichnet. Nur dieser Zeiger ist praktisch beobachtbar. Die quantenmechanische Überlagerung des Gesamtsystems wird effektiv unsichtbar, da die Verschränkung sozusagen in die unbeobachteten Umgebungsfreiheitsgrade abwandert. Ob dabei eine Beobachtung stattfindet oder nicht, ist zweitrangig. Wesentlich ist die Interaktion mit einem makroskopischen System.

Im Formalismus sieht dies wie folgt aus: es findet eine rein unitäre Zeitentwicklung statt. Aus der Verschränkung mit den nicht beobachteten Umgebungsfreiheitsgraden resultiert eine "näherungsweise Diagonalisierung" der partiellen Dichtematrix nach "Ausspuren der Umgebung". Man mittelt dabei sozusagen über die unbeobachteten Umgebungsfreiheitsgrade, d.h. man führt eine partielle Spur über eine sogenannte Dichtematrix aus. Das Ergebnis ist eine reduzierte Dichtematrix, die lediglich die beobachteten Freiheitsgrade bzw. Zeigerzustände enthält. Dieser Vorgang stellt eine Näherung dar, die genau dem Ignorieren der Umgebungsfreiheitsgrade entspricht.

Das Ergebnis dieser Näherung ist eine rein klassische Wahrscheinlichkeitsverteilung für die verschiedenen Alternativen (tot vs. lebendig, Spalt A vs. Spalt B, Photon nach Doppelspalt registriert am Ort x, x‘, x‘‘, …), wobei sich die Wahrscheinlichkeiten aus den quantenmechanischen Wahrscheinlichkeitsamplituden ergeben. Man beachte, dass immer noch alle Möglichkeiten vorhanden sind, jetzt aber effektiv klassische erscheinen. Die Dekohärenz erklärt außerdem, warum es (im Ortsraum) ausgezeichnete Zeigerzustände gibt, die lokalisiert werden und bleiben, d.h. warum kein „Zerfließen“ dieser Zustände erfolgt. Dies folgt letztlich aus der kontinuierlichen Interaktion der Zeiger mit den Umgebungsfreiheitsgraden, d.h. einer Art „kontinuierlichen Messung“. Damit haben diese klassischen Zeigerzustände jedoch ihre Interferenzfähigkeit verloren, d.h. ein Zeigerzustand für „tot“ und ein Zeigerzustand für „lebendig“ interferieren nicht, sie bleiben jeweils für sich stabil.

Nun kommen wir wieder zur Kollaps- bzw. zur Everett-Interpretation. Die Dekohärenz wird dabei von beiden akzeptiert. Die Kollaps-Interpretation besagt nun jedoch, dass im Zuge der Messung alle diese effektiv klassischen Alternativen bis auf eine verschwinden, d.h. die o.g. partielle Dichtenmatrix reduziert sich durch den Kollaps auf genau einen Term, z.B. „tot“; „lebendig“ verschwindet einfach. Die Everett-Interpretation besagt, dass alle diese effektiv klassischen Alternativen = Zweige für das Gesamtsystem (bestehend aus Quantensystem, Messgerät, Umgebung und ggf. Beobachter) weiter existieren, jedoch aufgrund der Dekohärenz in wechselweise unzugänglichen / unbeobachtbaren, für sich jeweils stabilen Zweigen z.B. „tot“ und „lebendig“.

Die Verzweigung findet also nicht auf Ebene der Photonen statt, sondern erst auf Ebene der makroskopischen Apparate und Beobachter. In jedem Zweig existieren also ein Messgerät und ein Beobachter mit den jeweils registrierten und beobachteten Ergebnissen. In deinem Fall findet eine praktisch kontinuierliche Verzweigung je einzelnem Photon und je erlaubtem Resultat einer Ortsmessung dieses einen Photons statt (dabei wäre die makroskopische Welt wohl bereits das einzelne Pixel der Digitalkamera, das das Photon gerade registriert und daraus ein elektrisches Signal erzeugt). Es entsteht also nicht ein Interferenzmuster, sondern es entstehen über alle Photonen und alle Orte tatsächlich alle prinzipiell möglichen Interferenzmuster. Allerdings sorgt die Bornsche Regel dafür, dass die Zweige, in denen „unwahrscheinliche“ Interferenzmuster entstehen, selbst unwahrscheinlich sind und entsprechend selten beobachtet werden.

Ich teile übrigens deine Auffassung, dass die Everett-Interpretation die einzige realistische und physikalische Interpretation des nackten Formalismus der QM darstellt. Sie verzichtet auf einen unerklärbaren, außerphysikalischen Kollaps, und sie verzichtet auf die Bornsche Regel als Axiom, sondern sie versucht diese stattdessen als Theorem abzuleiten.

Anbei noch ein paar Links

http://plato.stanford.edu/entries/qm-manyworlds/
http://plato.stanford.edu/entries/qm-everett/
http://arxiv.org/pdf/0712.0149v1.pdf
http://arxiv.org/pdf/1111.2187v1.pdf
http://users.ox.ac.uk/~mert0130/papers/interview_for_website.pdf
http://philsci-archive.pitt.edu/8888/1/Wallace_chapter_in_Oxford_Handbook.pdf

_________________
Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
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