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Deterministisches Chaos
 
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MrChaos
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Beitrag MrChaos Verfasst am: 29. Aug 2023 17:09    Titel: Deterministisches Chaos Antworten mit Zitat

Meine Frage:
Hallo liebe Physiker,


Ich habe eben den Wikipedia Artikel zum Thema Determinismus gelesen und habe eine Frage dazu.

Und zwar stand auf Wikipedia:
"Im mathematischen Modell deterministisch chaotischer Systeme kann der Phasenraum eine fraktale Struktur mit unendlicher Rauheit aufweisen. Die unendliche Rauheit sagt aus, dass nicht nur kleine Abweichungen des Ausgangszustandes große Auswirkung auf den Ergebniszustand haben ? siehe auch Schmetterlingseffekt ? sondern, dass dies bereits durch unendlich kleine Abweichungen hervorgerufen wird. Deterministische Systeme können daher entlang fraktaler Phasenraumstrukturen (rippled bassins) nicht-deterministisches Verhalten ausprägen. Aufgrund unvermeidbaren Rauschens in praktischen Szenarien kann insbesondere eine on-off intermittency, also der spontane Wechsel zwischen gänzlich unterschiedlichem Systemverhalten auftreten.[7]"

Nun Frage ich mich, was heißt das genau? Ich dachte eigentlich immer, chaotische Systeme seien prinzipiell deterministisch, aber halt extrem sensibel bezüglich der Anfangsbedingungen. Das klingt für mich aber so, als seien diese Systeme indeterministisch. Außerdem verstehe ich eines zu den fraktalen Strukturen nicht ganz :es heißt,das chaotische Verhalten komme durch unendlich kleine Abweichungen. Aber wenn die Abweichungen unendlich klein sind, gehen sie ja gegen Null. Wie kann das noch etwas bewirken?

Meine Ideen:
Gegen Null heißt ja, nicht identisch Null. Deshalb existiert noch eine Abweichung. Und das würde eigentlich trotzdem bedeuten, dass das System prinzipiell deterministisch ist!?
TomS
Moderator


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Beitrag TomS Verfasst am: 29. Aug 2023 18:02    Titel: Antworten mit Zitat

1) Derartige Systeme mit deterministischem Chaos sind vollständig deterministisch bzgl. der Zeitentwicklung. D.h. unter der Annahme, dass ein Anfangszustand im Phasenraum für t=0 exakt bekannt ist folgt der Endzustand für spätere Zeiten t deterministisch und exakt



als eindeutige Lösung der Hamiltonschen Gleichungen





mit dem Hamiltonian H.


2) Bei chaotischen Systemen können Attraktoren mit fraktaler Struktur vorliegen. Z.B. Im Falle des Lorenz-Attraktors ist diese Dimension etwas größer als zwei. Lösungen für fast alle Anfangsbedingungen *) laufen auf diese invariante Menge zu; Lösungen für Anfangsbedingungen auf dieser Mengte bleiben auf der Menge.


3) Ein Kennzeichen von deterministischem Chaos ist, dass sich infinitesimal benachbarte Anfangsbedingungen **) exponentiell voneinander entfernen. D.h. für den Abstand zweier zu Beginn infinitesimal benachbarter Phasenraumtrajektorien i=1,2





lambda bezeichnet dabei den sogenannten Lyapunov-Exponenten ***)


Der Indeterminismus bezieht sich demnach nicht auf das Verhalten eines Punktes unter Zeitentwicklung, sondern auf das Verhalten bei infinitesimaler Änderung der Anfangsbedingungen.



*) genauer: in einem bestimmten Bereich; nicht der gesamte Phasenraum muss diese fraktale Struktur aufweisen
**) genauer: innerhalb eines gewissen Zeitintervalls; Trajektorien können sich auch wieder annähern
***) genauer: es gibt mehrere davon; der größte dominiert das Verhalten; außerdem folgt daraus eine Abschätzung der Dimension des Attraktors

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Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
antaris



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Beitrag antaris Verfasst am: 29. Aug 2023 18:48    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
Der Indeterminismus bezieht sich demnach nicht auf das Verhalten eines Punktes unter Zeitentwicklung, sondern auf das Verhalten bei infinitesimaler Änderung der Anfangsbedingungen.


Wenn das deterministische Chaos von infinitsimalen kleinen Änderungen (Fluktuation?) der Anfangsbedingungen benachbarter Punkte ausgeht, so sind diese Anfangsbedingungen insgessamt an jeden Punkt homogen und isotrop?
TomS
Moderator


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Beitrag TomS Verfasst am: 29. Aug 2023 19:41    Titel: Antworten mit Zitat

Es geht um die Anfangsbedingung für eine Trajektorie, also um die Festlegung eines Punktes im Phasenraum.
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Beitrag antaris Verfasst am: 29. Aug 2023 21:02    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
Es geht um die Anfangsbedingung für eine Trajektorie, also um die Festlegung eines Punktes im Phasenraum.


Was bedeuete infinitesimal benachbarte Phasenraumtrajektorien?
Bei dem Punkt handelt es sich um einen Massepunkt?

https://itp.uni-frankfurt.de/~luedde/Lecture/Mechanik/Intranet/Skript/Kap3/node5.html
Zitat:
Die Phasenraumtrajektorie bestimmt den ''Lebensraum'' eines Massenpunktes zu allen Zeiten: es können nur die Punkte im Phasenraum erreicht werden, die zur Trajektorie gehören.
TomS
Moderator


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Beitrag TomS Verfasst am: 29. Aug 2023 22:11    Titel: Antworten mit Zitat

Stell dir eine an einer Feder harmonisch schwingende Masse m vor. Die Auslenkung genügt der Gleichung



Damit folgt für den Impuls



Die Phasenraumtrajektorie ist die Kurve (q(t), p(t)) in der qp-Ebene, im Falle dieser harmonischen Schwingungen eine Ellipse.

Die Anfangsbedingungen für t=0 sind hier durch A und delta definiert:





Zwei infinitesimal benachbarte Trajektorien i=1,2 folgen aus infinitesimal voneinander abweichenden Parametern A und delta. D.h.





In diesem Fall liegt kein Chaos vor, die beiden Trajektorien i=1,2 bleiben für alle Zeiten infinitesimal nahe beieinander.

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Tada24
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Beitrag Tada24 Verfasst am: 15. Sep 2023 08:25    Titel: Antworten mit Zitat

Hallo,

habe gerade das Thema gelesen und hätte eine Frage, die etwas in diese Richtung geht. Und zwar: woher weiß ich eigentlich, ob eine Gleichung deterministisch ist, wenn sie sich nicht analytisch lösen lässt? Ich weiß, komische Fragestellung, aber irgendwie stellt sich mir ja die Frage, da man numerisch ja immer nur Näherungslösungen hat.
TomS
Moderator


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Beitrag TomS Verfasst am: 15. Sep 2023 09:43    Titel: Antworten mit Zitat

Das ist keine komische Frage.

Die Antwort liegt darin, dass man mathematisch die Eigenschaften der Lösungen gewisser Gleichungen untersuchen kann, ohne dazu die Gleichungen tatsächlich zu lösen.


Einfaches Beispiel: Eventuell weißt du, dass eine quadratisch Gleichung immer genau zwei Lösungen hat, die aber möglicherweise komplex sein können.





wobei



wieder zur ersten Gleichung führt.

Dies gilt analog für beliebige höhere Potenzen n = 3, 4 …, d.h. man kann streng beweisen, dass diese Gleichungen immer genau n Lösungen haben, obwohl man ebenfalls beweisen kann, dass ab n = 5 keine allgemeine Formel wie die o.g. zweite mittels Wurzeln existiert.

Man weiß das also für alle derartigen Gleichungen, ohne sie dazu alle lösen zu müssen.

https://de.wikipedia.org/wiki/Fundamentalsatz_der_Algebra


Für dynamische Systeme mit n Teilchen in d Dimension ist das deutlich komplizierter. Man formuliert diese dazu als System von 2N = 2nd Differentialgleichungen für n verallgemeinerte Orte Q (jeder Ort ist ein d-dim. Vektor) und n verallgemeinerte Impulse P. Die Gleichungen folgen aus der sogenannten Hamiltonfunktion H – siehe oben das Pendel.

Dazu benötigt man mehrere mathematische Voraussetzungen für dieses Differentialgleichungssystems. Das naheliegendste ist die notwendige Existenz der Anfangsbedingungen für alle Q(0) und P(0). Wenn diese eindeutig gegeben sind, und weitere Eigenschaften vorliegen, dann sind die N Funktionen für Q(t) und die N Funktionen für P(t) für alle Zeiten t eindeutig durch diese Anfangsbedingungen bestimmt.

Das ist vergleichbar dem einfachen Fall für das Pendel. Kennt man die Auslenkung und die Geschwindigkeit zu einem Zeitpunkt, so kennt man sie auch für alle späteren Zeitpunkte.

Damit ist das System deterministisch.

Das weiß man für alle derartigen Differentialgleichungssysteme, die diese Eigenschaften erfüllen (ohne dass man dazu alle Differentialgleichungen explizit hinschreibt oder gar löst).

Zu den "weiteren Eigenschaften" wird es sehr mathematisch, ich bin dazu absolut kein Experte. Jedenfalls muss man diese je konkretem Einzelfall untersuchen, und das ist keineswegs trivial; man sieht einem Differentialgleichungssystem also nicht so einfach an, ob es diese Eigenschaften erfüllt, d.h. ob es tatsächlich zur der Klasse von Systemen gehört, die deterministisch sind (das wäre vergleichbar zu der Forderung, dass eine quadratische Gleichung über den reellen Zahlen lösbar ist; dazu muss man eine Zusatzforderung untersuchen, nämlich ob der Term unter der Wurzel positiv ist).

https://de.m.wikipedia.org/wiki/Anfangswertproblem
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Satz_von_Cauchy-Kowalewskaja


Nochmal der Hinweis: deterministisches Chaos bedeutet, dass diese Bedingungen erfüllt sind, dass jedoch weitere Bedingungen verletzt werden, so dass das System zwar deterministisch jedoch chaotisch ist.

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Tada24
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Beitrag Tada24 Verfasst am: 15. Sep 2023 10:29    Titel: Antworten mit Zitat

Alles klar. Vielen Dank für die ausführliche Antwort! Deine Erklärung ist gut und leuchtet mir ein! Danke!
TomS
Moderator


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Beitrag TomS Verfasst am: 15. Sep 2023 10:37    Titel: Antworten mit Zitat

Evtl. fällt mir noch ein einfaches Beispiel ein.
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TomS
Moderator


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Beitrag TomS Verfasst am: 15. Sep 2023 12:51    Titel: Antworten mit Zitat

Keines, das mir wirklich gefällt.

https://en.wikipedia.org/wiki/Norton%27s_dome
https://blog.gruffdavies.com/2017/12/24/newtonian-physics-is-deterministic-sorry-norton/

Der zweite Artikel diskutiert einige der Pathologien und Artefakte, eher aus einer physikalischen Sicht, nennt jedoch explizit eine mathematische Bedingung.

https://en.wikipedia.org/wiki/Picard–Lindelöf_theorem

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Tada24
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Beitrag Tada24 Verfasst am: 15. Sep 2023 15:22    Titel: Antworten mit Zitat

Vielen Dank für die Artikel!

Die werde ich mir heute Abend nochmal genauer anschauen.

Eine andere Frage hätte ich auch nochmal. Und zwar bezüglich der Berechenbarkeit von Funktionen. In der Informatik gibt es ja das Problem, dass sich nicht jede Funktion algorithmisch lösen lässt (Halteproblem usw.). Hat die Physik eigentlich auch mit solchen Problemen zu kämpfen? Und wenn ja, was bedeutet das dann praktisch? Kann ich zb die genannten Differentialgleichungen aus diesen Gründen nicht lösen?
TomS
Moderator


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Beitrag TomS Verfasst am: 15. Sep 2023 15:46    Titel: Antworten mit Zitat

Nein, das Problem kennt die Physik nicht, nicht mal die Mathematik im allgemeinen. Die Probleme bzgl. Berechenbarkeit resultieren ja aus einer ganz bestimmten Definition derselben.

Es gibt ein paar theoretische Untersuchungen, was es bedeuten würde, wenn die Lösung eines physikalischen Problems durch ein nicht-berechenbares mathematisches Objekt gegeben wäre. Das ist aber ziemlich abgefahren.

Es gibt auch Physiker, die die Idee verfolgen, das Universum sei im wesentlichen identisch mit einem Computer. Für die ist das eine interessante Frage.

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Beitrag Tada24 Verfasst am: 15. Sep 2023 16:47    Titel: Antworten mit Zitat

Oh, okay. Ich dachte eigentlich, dass für die Physik das Thema interessant ist, da die Lösung der entsprechenden Gleichungen in der Physik ja elementar sind.

Wikipedia sagt zur Berechenbarkeit: "Eine mathematische Funktion ist berechenbar (auch effektiv berechenbar oder rekursiv), wenn für sie eine Berechnungsanweisung (Algorithmus) formuliert werden kann (Berechenbarkeitstheorie). Die Funktion, die ein Algorithmus berechnet, ist gegeben durch die Ausgabe, mit der der Algorithmus auf eine Eingabe reagiert. Der Definitionsbereich der Funktion ist die Menge der Eingaben, für die der Algorithmus eine Ausgabe produziert. Wenn der Algorithmus nicht terminiert, dann ist die Eingabe kein Element der Definitionsmenge."

Ich hätte jetzt gedacht, dass es zu Problemen kommen kann, wenn sich eine entsprechende Funktion nicht berechnen lassen, da sich laut der obigen Ausführungen ja dann der Definitionsbereich entsprechend der Berechenbarkeit gestaltet.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
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Beitrag TomS Verfasst am: 16. Sep 2023 07:27    Titel: Antworten mit Zitat

Wie gesagt, das ist sehr akademisch.

Nimm' das Pendel; die Lösung ist eine Sinusfunktion. Deren Wert ist i.A. nicht mittels eines nach endlich vielen Schritten terminierenden Algorithmus berechenbar; z.B. enthält die Taylorreihe des Sinus unendlich viele Terme. Das ist aber irrelevant, denn man kann in endlich vielen Schritten die Existenz und die Gültigkeit dieser Taylorentwicklung beweisen.

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Beitrag Tada24 Verfasst am: 16. Sep 2023 10:12    Titel: Antworten mit Zitat

Ah alles klar, sprich, dann trifft die Aussage von Wikipedia nur auf die Berechenbarkeit mit abstrakten Maschinen zu?

Doofes Beispiel im Bezug auf den Wikipedia Artikel: ich habe das Pendel und will zum Zeitpunkt t=5s die Auslenkung berechnen. Wenn nun der Algorithmus nicht terminiert, würde ja laut Wikipedia t=5s nicht zum Definitionsbereich gehören, was ja der Praxis widersprechen tut; die Funktion wäre dann ja für unsere Anwendung wertlos. Wie passt das dann zusammen? Also selbst, wenn die Taylorentwicklung gültig ist, muss doch trotzdem der Definitionsbereich für unsere Anwendung passen? Oder sehe ich da etwas falsch?
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18109

Beitrag TomS Verfasst am: 16. Sep 2023 16:53    Titel: Antworten mit Zitat

Tada24 hat Folgendes geschrieben:
Doofes Beispiel im Bezug auf den Wikipedia Artikel: ich habe das Pendel und will zum Zeitpunkt t=5s die Auslenkung berechnen. Wenn nun der Algorithmus nicht terminiert, würde ja laut Wikipedia t=5s nicht zum Definitionsbereich gehören, was ja der Praxis widersprechen tut; die Funktion wäre dann ja für unsere Anwendung wertlos. Wie passt das dann zusammen? Also selbst, wenn die Taylorentwicklung gültig ist, muss doch trotzdem der Definitionsbereich für unsere Anwendung passen? Oder sehe ich da etwas falsch?

Die Frage ist, was das Ergebnis bzw. die Ausgabe des Algorithmus sein soll:

1. eine Lösung in Form einer Funktion für die Zeit t mit Parametern Omega liefern?



Der Beweis passt auf eine DIN A4 Seite plus unser Hirn, eine allgemeine Implementierung für lineare DGLs zweiter Ordnung in Mathematica wird eben einige tausend oder zehntausend Zeilen Code umfassen und innerhalb von Sekunden terminieren.

2. der konkrete Funktionswert? Nein, der Funktionswert mittels Taylorreihe bis zu einer gewissen Genauigkeit bzw. Größe des Restgliedes.

Das implementiert jeder alte Taschenrechner. Die allgemeine Ausgabe für einen allgemeinen, sicher terminierenden Algorithmus ist dann nicht der Funktionswert, sondern der Funktionswert oder "nicht innerhalb der vorgegebenen Dauer berechenbar".

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Tada24
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Beitrag Tada24 Verfasst am: 16. Sep 2023 21:12    Titel: Antworten mit Zitat

Ok, dass man ab einem gewissen Restglied abbricht und dass sich diese Funktion dann auch implementieren lässt, ist verständlich.

Kann ich denn dann bei einer unendlichen Taylorreihe einen Definitionsbereich angeben? Oder verbietet sich das wie im Wiki Artikel beschrieben?
TomS
Moderator


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Beitrag TomS Verfasst am: 16. Sep 2023 23:03    Titel: Antworten mit Zitat

Tada24 hat Folgendes geschrieben:
Kann ich denn dann bei einer unendlichen Taylorreihe einen Definitionsbereich angeben? Oder verbietet sich das wie im Wiki Artikel beschrieben?

Es gibt für jede Taylorreihe einer auf der Definitionsmenge



analytischen Funktion f(z) einen Konvergenradius R, d.h.



konvergiert sicher für alle



Dabei ist dieser Konvergenzkreis, also die Scheibe



eine Teilmenge der Definitionsmenge.

Ist diese Scheibe nicht mit der Definitionsmenge identisch, so kann man eine eindeutige analytischen Fortsetzung



um einen neuen Punkt mit neuem Konvergenzkreis finden, wobei beide Scheiben eine nichtleere Schnittmenge haben.

Letztlich kann der Definitionsbereich



durch derartige Scheiben vollständig überdeckt werden.

Analytische Funktion sind damit identisch mit Funktionen, die sich in Taylorreihen entwickeln lassen.

Für das Restglied existieren verschiedene Abschätzungen, mittels derer man bei Vorgabe des maximalen Fehlers ein N berechnen kann, sodass die Summe einschließlich dem N-ten Term sicher einen kleineren Fehler als diesen vorgegeben maximale Fehler aufweist.

Damit existieren automatisch auch terminierende Algorithmen je o.g. Scheibe und vorgegebenem Fehler. Aber das ist in der Physik nie wirklich wichtig. Man weiß, dass es so ist, und das war's.

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Tada24
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Beitrag Tada24 Verfasst am: 17. Sep 2023 07:50    Titel: Antworten mit Zitat

Vielen lieben Dank für deine Ausführungen!

Dass das für die Physik praktisch nicht mehr relevant ist, kann ich mir gut vorstellen.

Aber nochmal ganz blöd gefragt: betrifft die Frage, ob Elemente nicht zum Definitionsbereich gehören dürfen, bei denen die Funktion nicht terminiert nur die Informatik oder auch die Mathematik im allgemeinen? Sprich ist dies in der Mathematik auch ein Ausschlusskriteriun für ein einzelnes Element für einen Definitionsbereich einer Funktion?

Ich weiß, dass gehört jetzt eigentlich nicht mehr zum Gebiet der Physik, aber es interessiert mich gerade.
TomS
Moderator


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Beitrag TomS Verfasst am: 17. Sep 2023 08:25    Titel: Antworten mit Zitat

Tada24 hat Folgendes geschrieben:
betrifft die Frage, ob Elemente nicht zum Definitionsbereich gehören dürfen, bei denen die Funktion nicht terminiert nur die Informatik oder auch die Mathematik im allgemeinen?

Nun, wenn ein Element nicht zum Definitionsbereich gehört, gehört es nicht zum Definitionsbereich. Die Frage ist, wie man eine Funktion f definiert.

In der Mathematik (insbs. in der Funktionentheorie) ist eine Definition über eine Taylorreihe gebräuchlich. Verwandt ist die Definition mittels Laurentreihe. Weitere Definition funktionieren über ein Integral möglich, implizit über eine Differentialgleichungen o.a. Dabei ist zunächst nur relevant, dass der Ausdruck eindeutig ist und konvergiert (und ggf. noch weitere Eigenschaften erfüllt).

In der Informatik erwartet man einen terminierenden Algorithmus. Das ist aber eine deutlich enger gefasste Definition. Grundsätzlich ist zunächst keine Funktion von den reellen Zahlen auf die reellen Zahlen



als terminierenden Algorithmus, der je Input einen Output liefert, so darstellbar, da z.B. bereits die Addition reeller Zahlen nicht in endlich vielen Schritten erfolgen kann (bis auf Ausnahmen). D.h. man schränkt die Funktion entsprechend ein auf



Aber auch das ist nicht ausreichend, weil nicht gewährleistet ist, dass der Algorithmus terminiert, bzw. dass y überhaupt eine rationale Zahl ist. Daher betrachtet man soetwas wie



wobei epsilon einen maximal zulässigen Fehler bezeichnet und b=0 bzw. b=1 angibt, ob die "eigentliche" Funktion f in endlich vielen Schritten mit diesem Fehler berechnet werden kann.

Damit reden wir einmal von D(f), ein andermal von D(F). Das ist nicht das selbe, und der zweite Fall ist deutlich eingeschränkter.

Tada24 hat Folgendes geschrieben:
Sprich ist dies in der Mathematik auch ein Ausschlusskriteriun für ein einzelnes Element für einen Definitionsbereich einer Funktion?

Es kommt darauf an, über welche Funktion und welche Definition reden. Die Funktion f(x) = sin(x) ist im ursprünglichen Sinne auf den reellen Zahlen definiert, im Sinne eines terminierenden Algorithmus auf fast keinen reellen Zahlen (bis auf abzählbar viele Ausnahmen).

Ein anderes Beispiel: betrachten wir alle Funktionen, die als Polynome endlichen Grades darstellbar sind. f(x) = sin(x) ist so nicht darstellbar, existiert also nicht als derartige Funktion. Das liegt an der Bedingung "als Polynome endlichen Grades darstellbar". Finden wir eine Verallgemeinerung (Taylorreihen) so ist alles gut. Das Problem liegt hier sozusagen in der Einschränkung bzgl. der Definition.

Die Funktion f(x) = 1/x ist auf unterschiedliche Weisen darstellbar. Außerdem existiert natürlich die Entsprechung F(x,.). Aber f bzw. F haben eines gemein, nämlich dass x=0 nicht zum jeweiligen Definitionsbereich D(f) bzw. D(F) gehört.

Letztes Beispiel, das man erst dann vollständig versteht, wenn man die Funktion über den komplexe Zahlen betrachtet: die Funktion



hat in x=0 den Wert f(0) = 0 und ist dort glatt; sie ist um diesen Punkt jedoch nicht als Taylorreihe darstellbar, da alle Ableitungen



ebenfalls verschwinden, d.h. eine Taylorreihe würde die Funktion f(x) = 0 liefern.

Dennoch existiert die genannte Funktion f(x) auch in x=0 als Funktion über den reellen Zahlen. Wiederum ist die einschränkende Bedingung "als Taylorreihe darstellbar" schuld. Die Funktion ist in x=0 nicht analytisch, jedoch in jedem andere Punkt in einer offenen Umgebung von x=0. Damit sind Taylorreihen um andere Punkte möglich, und die Grenzwerte gegen x=0 auf der reellen Gerade existieren, jedoch nicht für andere Richtungen in der komplexen Zahlenebene. Man erkennt dies, wenn man statt x die imaginäre Zahl ix betrachtet; nun divergiert die Funktion für x gegen Null.

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TomS
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Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18109

Beitrag TomS Verfasst am: 17. Sep 2023 12:00    Titel: Antworten mit Zitat

Das hier könnte dich interessieren:

https://arxiv.org/abs/1502.04573
Undecidability of the Spectral Gap
We show that the spectral gap problem is undecidable. Specifically, we construct families of translationally-invariant, nearest-neighbour Hamiltonians on a 2D square lattice of d-level quantum systems (d constant), for which determining whether the system is gapped or gapless is an undecidable problem. This is true even with the promise that each Hamiltonian is either gapped or gapless in the strongest sense: it is promised to either have continuous spectrum above the ground state in the thermodynamic limit, or its spectral gap is lower-bounded by a constant in the thermodynamic limit. Moreover, this constant can be taken equal to the local interaction strength of the Hamiltonian.

Es wird eine Familie von Hamiltonoperatoren H(L) definiert und deren Eigenzustände n betrachtet. Ich notiere das vereinfacht als



Dabei interessieren insbs. der Grundzustand n=0 sowie die ersten angeregten Zustände n=1. Man betrachtet die sogenannte Spektrallücke



im Grenzfall



Offensichtlich sie entweder positiv oder Null. Die Hamiltonoperatoren sind nun gerade so konstruiert, dass dies nicht entscheidbar ist.

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