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Alles auf Naturgesetze reduzierbar?
 
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Physikologe
Gast





Beitrag Physikologe Verfasst am: 11. Nov 2020 17:44    Titel: Alles auf Naturgesetze reduzierbar? Antworten mit Zitat

Meine Frage:
Nicht das ich an Theorien wie Gott oder den freien Willen glauben würde oder möchte, aber ist es nicht auch so dass Mathematik und Physik Strukturwissenschaften sind und nur Fragen beantworten können, die man im Rahmen einer Theorie stellt?
So lassen sich Naturgesetze doch auch nie beweisen, da es unendlich viele Möglichkeiten der Beweisführung im Rahmen einer bestimmten Perspektive gibt.

Das was die Physik für mich ausmacht ist doch die Anwendbarkeit und Funktionalität. Die Quantenmechanik ist toll weil Sie wunderbar funktioniert und anwendbar ist, aber doch nicht weil Sie wahr ist.
Versteht mich nicht falsch, ein radikaler Konstruktivismus soll hier gar nicht gepredigt werden. Aber wenn ich immer wieder lese das der Determinismus korrekt ist, da die Physik keine andere Antwort zulässt , dann heißt das für mich nur:
Im Rahmen einer bestimmten Theorie und mit bestimmten Werkzeugen lassen sich hier keine anderen Antworten berechnen.

Aber wie sieht es mit Emergenz aus? Ich denke einfach das die Psychologie oder Soziologie oder Biologie wesentlich bessere Antworten auf multifaktorielle Fragen geben kann als die Physik. Mir konnte noch kein Mathematiker erklären warum ich mich in einer bestimmten Situation bedrückt oder gut fühle. Natürlich sind es wenn man es runterbricht Hormone und somit Stoffe die aus Teilchen bestehen und den Gesetzen der physikalischen Theorien unterliegen.


Meine Ideen:
Aber und jetzt meine eigentliche Frage:
Was denkt ihr, wird es irgendwann möglich sein alle gesellschaftlichen Entitäten und Strukturen auf einer physikalischen Ebene zu beschreiben. ( sodass die Beschreibung keine Phänomene auslässt)?
ML



Anmeldungsdatum: 17.04.2013
Beiträge: 3399

Beitrag ML Verfasst am: 11. Nov 2020 23:39    Titel: Re: Alles auf Naturgesetze reduzierbar? Antworten mit Zitat

Hallo,

Physikologe hat Folgendes geschrieben:

Nicht das ich an Theorien wie Gott oder den freien Willen glauben würde oder möchte, aber ist es nicht auch so dass Mathematik und Physik Strukturwissenschaften sind und nur Fragen beantworten können, die man im Rahmen einer Theorie stellt?


Mathematik ist eine Strukturwissenschaft. Aber die Physik möchte ich gerne im Bereich der Naturwissenschaften lassen.

Viele Grüße
Michael
Qubit



Anmeldungsdatum: 17.10.2019
Beiträge: 829

Beitrag Qubit Verfasst am: 11. Nov 2020 23:44    Titel: Antworten mit Zitat

Ja, in den Gleichungen der Physik gibt es kein menschliches Bewusstsein.
Biologie oder Biochemie, etc. beinhalten auch eine andere Ebene der Naturbeschreibung als Physik. Und es ist auch richtig, dass Physik erst Realität "konstruiert", insofern sie sich Modelle und Theorien über die Natur erdenkt, in denen erst sowas wie zB. Elementarteilchen und ihre Eigenschaften existieren. Ohne diese Modelle sind auch gar keine Experimente interpretierbar.
Andererseits gibt es aber auch keinen Grund, dass die Natur prinzipiell nicht naturalistisch erklärbar wäre, dass es keine Beschreibungen durch eine prinzipiell vereinheitlichte Theorie gäbe, in der (prinzipiell) alle menschliche Erfahrung erklärbar wäre. Es wäre eine im naturphilosophischen Sinne hinreichende Theorie, die alles erklärte aber durchaus nicht "wahr" sein müsste.
Mit dem Fortschritt der Naturwissenschaften hat auch ein "Gott" als prima causa zunehmend weniger Platz. Augenzwinkern
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18064

Beitrag TomS Verfasst am: 12. Nov 2020 09:28    Titel: Re: Alles auf Naturgesetze reduzierbar? Antworten mit Zitat

Physikologe hat Folgendes geschrieben:
So lassen sich Naturgesetze doch auch nie beweisen, da es unendlich viele Möglichkeiten der Beweisführung im Rahmen einer bestimmten Perspektive gibt.

Das was die Physik für mich ausmacht ist doch die Anwendbarkeit und Funktionalität. Die Quantenmechanik ist toll weil Sie wunderbar funktioniert und anwendbar ist, aber doch nicht weil Sie wahr ist.

Da haben wir sicher das selbe Verständnis. Der Wahrheitsbegriff nach Popper spricht ja gerade von falsifizierbaren Theorien, die jedoch die Tests bzgl. Falsifizierung bestehen.

Physikologe hat Folgendes geschrieben:
Versteht mich nicht falsch, ein radikaler Konstruktivismus soll hier gar nicht gepredigt werden.

Das hat auch nichts mit Konstruktivismus zu tun.

Physikologe hat Folgendes geschrieben:
Aber wenn ich immer wieder lese das der Determinismus korrekt ist, da die Physik keine andere Antwort zulässt , dann heißt das für mich nur:
Im Rahmen einer bestimmten Theorie und mit bestimmten Werkzeugen lassen sich hier keine anderen Antworten berechnen.

Woher stammt so eine Aussage?

Der ggw. Status ist der, dass die bekannten Naturgesetze insbs. auf Basis der Quantenmechanik zunächst auf deterministischen Gleichungen beruhen, zusätzlich jedoch ein Zufallselement ins Spiel kommt; letzteres kann objektiv oder subjektiv sein, das ist heute nicht entschieden.

Physikologe hat Folgendes geschrieben:
Aber wie sieht es mit Emergenz aus?

Emergenz an sich ändert wenig an dieser Situation. Die Physik kennt durchaus Fälle, in denen Emergenz wiederum im o.g. Kontext verstanden werden kann: QCD => Nukleonen => Kerne => ...

Physikologe hat Folgendes geschrieben:
Ich denke einfach das die Psychologie oder Soziologie oder Biologie wesentlich bessere Antworten auf multifaktorielle Fragen geben kann als die Physik. Mir konnte noch kein Mathematiker erklären warum ich mich in einer bestimmten Situation bedrückt oder gut fühle.

Gerade hier hilf das Schlagwort der Emergenz m.E. überhaupt nicht.

Emergenz im o.g. Sinne besagt, dass 1) Gesetzmäßigkeiten auf einer höheren Ebene die fundamentalen Gesetzmäßigkeiten einer niedrigeren Ebene nicht verletzen und dass 2) die Gesetzmäßigkeiten der höheren Ebene in gewisser Weise und in einer bestimmten Näherung aus denen der niedrigeren Ebene gewonnen werden können.

Bzgl. Psychologie und Soziologie scheitert dies möglicherweise prinzipiell. Es scheitert jedoch sicher ganz konkret dahingehend, dass deren Gesetzmäßigkeiten nicht ausreichend präzise und objektiv formuliert sind. Was bedeutet der subjektive Bewusstseinsinhalt „ich fühle mich gut“ denn objektiv? Wie ist das definiert? Und damit meine ich nun nicht irgendwelche Hirnströme o.ä., denn diese sind nicht mit meinem Bewusstseinsinhalt identisch.

_________________
Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 12. Nov 2020 09:58    Titel: Re: Alles auf Naturgesetze reduzierbar? Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
Physikologe hat Folgendes geschrieben:
So lassen sich Naturgesetze doch auch nie beweisen, da es unendlich viele Möglichkeiten der Beweisführung im Rahmen einer bestimmten Perspektive gibt.

Das was die Physik für mich ausmacht ist doch die Anwendbarkeit und Funktionalität. Die Quantenmechanik ist toll weil Sie wunderbar funktioniert und anwendbar ist, aber doch nicht weil Sie wahr ist.

Da haben wir sicher das selbe Verständnis. Der Wahrheitsbegriff nach Popper spricht ja gerade von falsifizierbaren Theorien, die jedoch die Tests bzgl. Falsifizierung bestehen.


Das Abgrenzungskriterium von Popper spricht von falsifizierbaren Theorien. Falsifizierbarkeit hat aber nichts mit Wahrheit zu tun, sondern bedeutet lediglich, daß die Theorie mit bestimmten Basissätzen im Widerspruch steht. Wahrheit bedeutet für Popper hingegen nichts anderes als Übereinstimmung mit den Tatsachen. Den Unterschied zwischen dem Wahrheitsbegriff, den Popper verwendet und seinem Abgrenzungskriterium haben wir schon mal an anderer Stelle diskutiert.

P.S.: Für die Frage, ob die Quantenmechanik wahr sei oder nicht, ist also nur relevant, ob sie mit den Tatsachen übereinstimmt. Falls jemand diese Übereinstimmung bezweifelt, würde ich gern einmal konkrete Gründe dafür genannt bekommen.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18064

Beitrag TomS Verfasst am: 12. Nov 2020 11:56    Titel: Antworten mit Zitat

Du hast recht.
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Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
Thomasius



Anmeldungsdatum: 15.10.2019
Beiträge: 28

Beitrag Thomasius Verfasst am: 12. Nov 2020 18:38    Titel: Re: Alles auf Naturgesetze reduzierbar? Antworten mit Zitat

Physikologe hat Folgendes geschrieben:
Was denkt ihr, wird es irgendwann möglich sein alle gesellschaftlichen Entitäten und Strukturen auf einer physikalischen Ebene zu beschreiben. ( sodass die Beschreibung keine Phänomene auslässt)?

Nein. Je komplexer ein System ist, umso schwerer lässt es sich auf seine einfachen Bestandteile und Untersysteme reduzieren und aus ihnen erklären. Hochkomplexe Systeme wie die die Physiologie eines Menschen oder eines Eichhörnchens, die biologische Evolution oder die Wahlen in den USA lassen sich grundsätzlich nicht mehr auf der physikalischen Ebene beschreiben.

http://www.integrative-wissenschaft.de/Archiv/dokumente/Mainzer-14_10_04.pdf
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 13. Nov 2020 10:36    Titel: Re: Alles auf Naturgesetze reduzierbar? Antworten mit Zitat

Physikologe hat Folgendes geschrieben:

Aber wie sieht es mit Emergenz aus? Ich denke einfach das die Psychologie oder Soziologie oder Biologie wesentlich bessere Antworten auf multifaktorielle Fragen geben kann als die Physik. Mir konnte noch kein Mathematiker erklären warum ich mich in einer bestimmten Situation bedrückt oder gut fühle.


Und Psychologe/Soziologe/Biologe konnten dir das erklären? Wie lautete die Erklärung? Und inwiefern ist sie besser als:

Zitat:

Natürlich sind es wenn man es runterbricht Hormone und somit Stoffe die aus Teilchen bestehen und den Gesetzen der physikalischen Theorien unterliegen.


Und warum erwartest du überhaupt eine Erklärung für psychologische Phänomene von Mathematikern? Das ist einfach nicht ihr Spezialgebiet und hat überhaupt nichts mit ihrer generellen Unfähigkeit zur Beantwortung "multifaktorieller Fragen" zu tun. Mathematische Modelle können sehr wohl Kausalzusammenhänge zwischen Wirkungen und mehr als einer Ursache beschreiben.

Zitat:

Meine Ideen:
Aber und jetzt meine eigentliche Frage:
Was denkt ihr, wird es irgendwann möglich sein alle gesellschaftlichen Entitäten und Strukturen auf einer physikalischen Ebene zu beschreiben. ( sodass die Beschreibung keine Phänomene auslässt)?


"Gesellschaftliche Entitäten" werden niemals in Gesetzen auftauchen, die wir zur Physik zählen. Ebensowenig werden "physikalische Entitäten" in Gesetzen der Sozialwissenschaften auftauchen. Also lautet die Antwort vermutlich "Nein".

Aber das hat m.E. weniger damit zu tun, daß sich gesellschaftliche Prozesse nicht auf Physik reduzieren lassen, als mit einer rein pragmatischen Unterteilung der Wissenschaft in verschiedene Fakultäten, u.a. naturwissenschaftliche und sozialwissenschaftliche. Wie TomS oben schon angemerkt hat, gibt es auch innerhalb der Physik Theorien verschiedener Abstraktionsstufe: auf fundamentaler Ebene gibt es Zustände mit deterministischen Entwicklungsgesetzen. Führt man Wahrscheinlichkeitsverteilungen auf dem Zustandsraum ein, ergeben sich plötzlich emergente Phänomene, wie Entropie, Temperatur etc., die in dem, was man als "Grundgleichungen" bezeichnet, nicht auftauchen.

Wenn man gesellschaftliche Phänomene modellieren will, benötigt man noch viel abstraktere Theorien, wie z.B. Spieltheorie, und nach einer entsprechend langen Reihe von Abstraktionsschritten landet man z.B. bei Nutzenfunktionen und Strategiemengen als "Entitäten" zur Beschreibung gesellschaftlicher Phänomene. Die Erklärung gesellschaftlicher Prozesse besteht dann also in einem Modell, welches bestimmte Verhaltensweisen in Form von Strategien der beteiligten "Spieler" als optimal vorhersagt. In diesem Modell kommen natürlich keine Quarks oder Elektronen mehr vor. Insofern finden sie nicht auf der "physikalischen Ebene" statt. Es kommen nicht mal Neuronen oder "Hirnströme" vor. Das hat rein pragmatische Gründe. Wir interessieren uns nicht für die Bewegung einzelner Quarks in einem System aus Teilchen. Wir interessieren uns für makroskopische Muster innerhalb dieser Bewegungen. Jedes dieser Muster kann durch eine Unmenge verschiedener Folgen von Mikroszuständen realisiert sein, deren Unterschiede uninteressant sind, weil sie keinen Einfluß auf die Antwort haben wer die US-Wahl gewinnt oder welche Auswirkungen Änderungen der Geldmenge auf die Arbeitslosigkeit haben etc.

Deswegen ist die Abwesenheit der "physikalischen Ebene" für prinzipielle Fragen zum Reduktionismus aber relativ unerheblich. (Genauso unerheblich, wie die Tatsache, daß in den Gleichungen der Thermodynamik keine "Teilchen" vorkommen, sondern nur makroskopische Größen, wie Temperatur oder Volumen.) Die für den Reduktionismus relevante Frage ist lediglich, ob Neuronen in einer Weise organisiert sind, daß sie makroskopisch beobachtbare Hirnfunktionen erzeugen, die sich wiederum gut als Optimierung einer Nutzenfunktion modellieren lassen. Dann hätten wir gesellschaftliche Phänomene auf Physiologie reduziert. Das ist natürlich grob vereinfacht. Dazwischen werden sicher noch weitere Abstraktionsstufen liegen, die z.B. Raum für Psychologie lassen und erklären warum menschliches Verhalten vom rationalen Standpunkt oft nicht sehr "optimal" aussieht, es leichter ist gute Ratschläge zu geben, als zu befolgen usw. Auch einzelne Nutzenfunktionen werden noch in irgendeiner Weise aggregiert werden müssen, bevor wir wirklich auf der Ebene der Gesellschaft landen. Aber das allgemeine Prinzip ist denke ich gültig.
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