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Schrödingers Katze ein Witz? - Teil I - Seite 2
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Laie001
Gast





Beitrag Laie001 Verfasst am: 06. Feb 2021 11:11    Titel: Antworten mit Zitat

wäre es möglich, dass 2 Beobachter gleichzeitig 2 verschiedene (Qanten-) Zustände beobachten?u
Im einfachsten Fall: der eine erkennt einen Spin als +1, der andere als -1?
Oder, makroskopisch: einer erkennt die Katze als tot, der andere als lebendig?
Qubit



Anmeldungsdatum: 17.10.2019
Beiträge: 829

Beitrag Qubit Verfasst am: 06. Feb 2021 11:48    Titel: Antworten mit Zitat

jh8979 hat Folgendes geschrieben:
Qubit hat Folgendes geschrieben:

Die klassische Logik fordert hier über Aussagen A oder nicht A der Realität eindeutig entscheiden zu können.
Ist die Katze "tot"? Ja.
Ist die Katze "tot"? Nein. Klassische Logik sagt "lebt".

Die logische Verneinung von “Ist die Katze ‘tot’?” ist nicht “Die Katze lebt.”, sonder “Die Katze ist nicht ‘tot’.” Das wie die beiden letzten Aussagen gleichsetzen, hat nichts mit Logik zu tun, sondern mit unserer Alltagsbeobachtung. Und genau darum gehts ja bei Schrödingers Katze.


Ja, aber in einem 2-Zustandsraum ist es dasselbe.
Nach Messung:
Spin up? Nein, Spin down (~Spin nicht up).
Katze tot? Nein, Katze lebt (~Katze nicht tot).

Eine solche klassische Logik ist aber nicht hinreichend, den überlagerten Quantenzustand vor der Messung real(!) zu deuten.

Viele sehen hier aber einen Weg, über Realität der Quantensysteme zu sprechen, der nach den Kopenhagenern nicht möglich ist. Es geht mir hier auch nicht um Verteidigung einer Quantenlogik.

Ich wollte es nur in Anmerkung als weitere 3. Kategorie erwähnen.
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 06. Feb 2021 12:02    Titel: Antworten mit Zitat

Qubit hat Folgendes geschrieben:
jh8979 hat Folgendes geschrieben:
Qubit hat Folgendes geschrieben:

Die klassische Logik fordert hier über Aussagen A oder nicht A der Realität eindeutig entscheiden zu können.
Ist die Katze "tot"? Ja.
Ist die Katze "tot"? Nein. Klassische Logik sagt "lebt".

Die logische Verneinung von “Ist die Katze ‘tot’?” ist nicht “Die Katze lebt.”, sonder “Die Katze ist nicht ‘tot’.” Das wie die beiden letzten Aussagen gleichsetzen, hat nichts mit Logik zu tun, sondern mit unserer Alltagsbeobachtung. Und genau darum gehts ja bei Schrödingers Katze.


Ja, aber in einem 2-Zustandsraum ist es dasselbe.


Nein, "2-Zustandsraum" bedeutet in der Quantenmechanik nämlich nicht, daß er nur aus zwei Zuständen besteht, sondern daß er von zwei orthogonalen Zuständen aufgespannt wird. Um Aussagen über alle Zustände zu machen, benötigt man also keine neue Logik, man benötigt nur komplexere Aussagen. Ob die dann realistisch sind, ist natürlich eine ganz andere Frage.

Zitat:

Nach Messung:
Spin up? Nein, Spin down (~Spin nicht up).
Katze tot? Nein, Katze lebt (~Katze nicht tot).

Eine solche klassische Logik ist aber nicht hinreichend, den überlagerten Quantenzustand vor der Messung real(!) zu deuten.


Deine zwei Aussagen, in denen "tot" dasselbe bedeutet wie "nicht lebendig" sind nicht hinreichend um Superpositionen zu beschreiben. Ich denke soviel ist allen klar. Die klassische Logik ist aber auf jeden Fall hinreichend.

Ich denke es läuft darauf hinaus, daß du diese Beschreibungen von "halb toten plus halb lebendigen Katzen" nicht als "realistisch" ansiehst. Das ist aber ebenfalls kein logisches Problem.
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 06. Feb 2021 12:16    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
@index_razor:

Bzgl. der Logik brauchen wir wirklich nicht weiter zu diskutieren, da sind wir uns einig.

Bzgl. der Semantik von „Quantensystem“, „Messgerät“, „Umgebung“, „Zweigen“ etc. bin ich mir noch nicht sicher, ob ich dein Problem verstehe. Die Trennung in „Quantensystem“, „Messgerät“ und „Umgebung“ erfolgt doch operational.


Also ich glaube, die Trennung ist trotzdem willkürlich. Wo das Meßgerät aufhört und die Umgebung anfängt, läßt sich aus fundamentalen Prinzipien heraus nicht begründen. Natürlich kann diese Entscheidung willkürlich bleiben, aber nur, wenn von ihr nicht abhängt, was real existiert. Das ist im Augenblick mein Problem.

Zitat:

Das Gesamtsystem bleibt natürlich in einem reinen Zustand, jedes Subsystem unter Ausspuren der Umgebungsfreiheitsgrade natürlich nicht. Die Festlegung eines Subsystems - also ob wir es verwenden und wie wir es genau definieren - ist zunächst keine mathematische Notwendigkeit sondern genau dieses operationale Entscheidung: warum und wie definiere ich als Experimentator die Grenzen von „Quantensystem“, „Messgerät“ und „Umgebung“? Wenn ich sie treffe, dann erhalte ich durch das Ausspuren eine reduzierte Dichtematrix, in der jede einzelne Komponente „so aussieht“, wie ich sie für eine klassische Welt erwarte.


Also vielleicht sollte ich nochmal meine Kenntnisse auffrischen. Aber ich habe es immer so verstanden, daß die Komponenten der Dichtematrix bzgl. einer ausgezeichneten Basis -- also die MWI-Zweige -- Elemente der Realität sind und nicht lediglich Beschreibungen von zweigrelativen Wahrnehmungen eines Beobachters. Wenn die Ontologie auf der willkürlichen Entscheidung beruht, wo genau ich die Abgrenzung zur Umgebung vornehme, dann finde ich das nicht sehr objektiv.

Zitat:

Die MWI setzt nicht voraus, dass auch die anderen Zweige real sind; ich würde das anders formulieren.

Die MWI besagt formal
1) wenn ich keinen Kollaps postuliere, nicht ausspure und immer mit einen reinen Zustand arbeite, existiert mathematisch kein Kollaps
2) wenn ich ausspure, erhalte ich eine reduzierte Dichtematrix mit einzelnen Komponenten entsprechend der Dekohärenz
(2) produziert dabei keinen Kollaps sondern ist zunächst nur eine mathematische Operation; insgs. gültig bleibt (1).

Die MWI interpretiert das nun wie folgt:
1) Die QM inkl. unitärer Zeitentwicklung liefert (1); dies beschreibt immer - auch für Messungen - die tatsächlich real existierende eine Welt.
2) Das Verwerfen von für mich nicht sichtbaren Freiheitsgraden im Sinne von (2) liefert einzelne Komponenten, die jeweils einer (von vielen) für mich zu erwartenden klassischen Welt entsprechen.
(2) produziert einen „für mich subjektiv wahrgenommenen“ Kollaps, obwohl „insgs. real“ gemäß (1) kein „realer Kollaps“ existiert.


Ok, wenn das so stimmt, dann habe ich da wirklich was falsch in Erinnerung. Aber ganz überzeugt bin ich noch nicht davon. Ich erinnere mich z.B. daß Wallace in The Emergent Multiverse ziemlich ausführlich darlegt, daß Dekohärenz notwendig ist, damit man die Zweigstruktur ontologisch deuten kann.

Wenn es lediglich darum ginge die subjektiven Wahrnehmungen zu beschreiben, dann bräuchte man doch keine Dekohärenz. Mit einer ausgezeichneten Basis würde Everetts ursprüngliche Formulierung, in der Zweige nach wie vor interferieren können, doch auch ganz gut funktionieren. (Das Basisproblem besteht trotzdem, weil eine unitäre Wechselwirkung im allgemeinen nicht eindeutig festlegt, welche Observable gemessen wird.) Einen Kollaps brauche ich immer noch nicht, es reicht die Definition des relativen Zustands. Der kann sich natürlich ganz subjektiv auf den Beobachter beziehen, wenn er ohnehin nur dessen subjektive Wahrnehmung beschreiben soll. Diese wird nämlich tatsächlich nicht sehr stark von der willkürlichen Abgrenzung zur Umgebung abhängen.

Den Rest des Beitrages muß ich mir nochmal gründlicher durchlesen. Aber ich glaube die wesentlichen Punkte sind oben schon ausgeführt.


Zuletzt bearbeitet von index_razor am 08. Feb 2021 09:12, insgesamt einmal bearbeitet
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18111

Beitrag TomS Verfasst am: 06. Feb 2021 12:22    Titel: Antworten mit Zitat

Laie001 hat Folgendes geschrieben:
wäre es möglich, dass 2 Beobachter gleichzeitig 2 verschiedene (Qanten-) Zustände beobachten?
Im einfachsten Fall: der eine erkennt einen Spin als +1, der andere als -1?
Oder, makroskopisch: einer erkennt die Katze als tot, der andere als lebendig?


Die MWI - realistisch interpretiert - sagt, dass es sich genau so verhält, wir du vermutest!

Ich hole etwas aus: ein Quantenzustand werde beschrieben durch das mathematische Objekt |psi>. Wenn wir einen Spin betrachten, dann bietet es sich an, dies als Superposition zu schreiben:



Die Kollapsinterpretation besagt, dass eine Messung zu einem dieser beiden Eigenzustände führt, z.B. +, d.h.



mit Wahrscheinlichkeit



(- analog)

Dieser Kollaps c widerspricht der unitären Zeitentwicklung u gemäß der Schrödingergleichung. Diese besagt zunächst, dass



gilt.

Von Neumann betrachtet nun ein umfassendes System, in das er das Messgerät mit einschließt und als größeres Quantensystem betrachtet. Die Zustände des Messgerätes bezeichnet er als Zeigerzustände Z; sie zeigen vor der Messung 0, nach der Messung + oder -. Also





Aber wir beobachten keine Superposition von Zeigerzuständen!!

Also folgert von Neumann wieder, benötigen wir zuletzt doch den Kollaps, d.h.



Das bedeutet, dass wir die Messung nicht mittels der Schrödingergleichung und u beschreiben können. Jedoch sind u und c unverträglich, zudem kann niemand erklären, wann und warum ein Prozess eine Messung ist und wann nicht. Ein Messgerät besteht z.B. als Photodetektoren, die sich quantenmechanisch berechnen und auf dieser Basis konstruieren lassen.

Dazu gibt es letztlich zwei Auffassungen: i) so what, die Rechnung funktioniert trotzdem; ii) nein, diese Inkonsistenz stört. Letzteres führt zur MWI (Everett, 50iger Jahre)

Diese besagt in ihrer modernen Formulierung (Wallace, Carroll, Deutsch et al.) auf Basis der Dekohärenz (Zeh 60iger / 70iger, später Zurek et al.), dass man das System nochmals erweitern muss, und zwar letztlich um den Beobachter B und die Umgebung E (Luftmoleküle, Photonen, ...)

Auf die Dekohärenz im Detail einzugehen schiebe ich auf. Der Beobachter B beobachtet letztlich ein Messergebnis, die Umgebungsfreiheitsgrade werden mit Messgerät und Beobachter „verschränkt“. Es gilt



Die MWI behauptet also zunächst
- wir benötigen kein ad hoc Kollapspostulat
- wir können alles quantenmechanisch beschreiben, einschließlich Messung und Beobachtung

Daraus folgt jedoch, dass die eine Welt - z.B. mit Katze und Beobachter - in zwei Zweige zerfallen ist, wobei in jedem Zweig eine Katze und ein Beobachter existieren: + stünde für „nicht zerfallen“, Z_+ für „lebendige Katze“, B_+ für „Beobachter, der eine lebendige Katze beobachtet“ usw.

Viele-Welten bezieht sich auf viele Zweige (ich bevorzuge Zweige im Gegensatz zu Welt, aber das ist Geschmacksache)

Daraus folgt eine ontologische Behauptung, die viele Anhänger der Viele-Welten-Interpretation tatsächlich ernst meinen:
- die Theorie beschreibt die tatsächlich real ablaufenden Prozesse
- real ist zunächst eine umfassende Welt
- diese enthält nach der Messung real alle diese Zweige
- alle Zweige sind gleichermaßen und gleichzeitig real existent
- jeder Zweig enthält real jeweils eine Katze und einen Beobachter mit der passenden Beobachtung
- je zwei Zweige sind in der Realität wechselweise füreinander unsichtbar

Man beachte, dass alles dies mehr oder weniger schlüssig rein mathematisch berechnet bzw. gezeigt werden kann.

Der philosophische Streitpunkt ist dieses Wörtchen „real“. Muss die Quantenmechanik tatsächlich eine Aussage über die reale Welt machen? Oder reicht es, wenn ich Messergebnisse berechnen kann? Das kann und muss jeder für sich selbst entscheiden, das ist keine physikalische Frage, und auch die Philosophen haben seit über 2000 Jahren keine endgültige Antwort darauf gefunden.

Das schwächste Argument ist m.E. die MWI abzulehnen, weil man die Konsequenzen nicht mag. Diese Konsequenzen sind exakt die bekannten Superpositionen der Quantenmechanik, berechnet für makroskopische Systeme. Aber ab welcher Größenordnung mag man dies Konsequenzen nicht? Erst bei Katzen? Nur bei der eigenen? Gefällt einem das schon für Hummeln nicht? Für Viren? Aber für Moleküle ist es in Ordnung?

Hier stecken tiefe Missverständnisse in vielen Darstellungen zur MWI: Sie würde Welten postulieren, sie würde einen künstlichen optischen Ballast einführen, sie widerspräche Ockhams Rasiermesser; alles falsch. Sie sei ontisch eine Zumutung; und? seit wann entscheidet der Mensch, was sein kann und was nicht? Physik befasse sich ausschließlich mit der Berechnung von Messergebnissen und nicht mit dem, was tatsächlich existiert; es gibt zig Gegenbeispiele, allen voran Einstein, Penrose ...

Der im Kern physikalische Streit - zu dem index_razor sicher beitragen wird - steckt in dem „mehr oder weniger“:
- warum treffen Regeln, die aus dem Kollapspostulat folgen, auch in der MWI zu?
- wie leite ich die o.g. Formel zur Wahrscheinlichkeit ohne Kollapspostulat ab?
- warum sind die Vorfaktoren der Zweige gerade die bekannten Wahrscheinlichkeiten?
- wie identifiziere und zähle ich mathematisch diese Zweige?
- wie schneide ich überhaupt das System und definiere Z, M und E?

Über diese Punkte lohnt es sich zu diskutieren; sie sind tatsächlich keineswegs vollständig geklärt.

So, das war‘s erst mal ...

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Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.


Zuletzt bearbeitet von TomS am 06. Feb 2021 13:26, insgesamt 2-mal bearbeitet
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18111

Beitrag TomS Verfasst am: 06. Feb 2021 13:00    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Also ich glaube, die Trennung ist trotzdem willkürlich. Wo das Meßgerät aufhört und die Umgebung anfängt, läßt sich aus fundamentalen Prinzipien heraus nicht begründen.

Die Entscheidung ist nicht willkürlich, sie folgt prinzipiell aus der Konstruktion des Messgerätes bzw. der Dynamik, abgeleitet aus dem Hamiltonoperator. Leider können wir für Messgeräte weder den Hamiltonoperator herleiten, noch können die Experimentalphysiker zu einer zu messenden Observablen A einen Hamiltonoperator H[A] berechnen und damit das Messgerät konstruieren. Daher erscheint das ad hoc.

Wie du siehst sind eigentlich die Experimentalphysiker am Zug; das sollte für uns beide doch ein gutes Argument sein Big Laugh

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Aber ich habe es immer so verstanden, daß die Komponenten der Dichtematrix bzgl. einer ausgezeichneten Basis -- also die MWI-Zweige -- Elemente der Realität sind und nicht lediglich Beschreibungen von zweigrelativen Wahrnehmungen eines Beobachters.

Alles drei.

Die gesamte Wellenfunktionen ist bzw. beschreibt die gesamte Realität, eine Komponente beschreibt einen Teil der Realität, und aus diesem Teil folgt außerdem die zweigrelative Wahrnehmung.

Wenn das zutrifft, ist das Messproblem gelöst.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Die MWI setzt nicht voraus, dass auch die anderen Zweige real sind; ich würde das anders formulieren.

Die MWI besagt formal
1) wenn ich keinen Kollaps postuliere, nicht ausspure und immer mit einen reinen Zustand arbeite, existiert mathematisch kein Kollaps
2) wenn ich ausspure, erhalte ich eine reduzierte Dichtematrix mit einzelnen Komponenten entsprechend der Dekohärenz
(2) produziert dabei keinen Kollaps sondern ist zunächst nur eine mathematische Operation; insgs. gültig bleibt (1).

Die MWI interpretiert das nun wie folgt:
1) Die QM inkl. unitärer Zeitentwicklung liefert (1); dies beschreibt immer - auch für Messungen - die tatsächlich real existierende eine Welt.
2) Das Verwerfen von für mich nicht sichtbaren Freiheitsgraden im Sinne von (2) liefert einzelne Komponenten, die jeweils einer (von vielen) für mich zu erwartenden klassischen Welt entsprechen.
(2) produziert einen „für mich subjektiv wahrgenommenen“ Kollaps, obwohl „insgs. real“ gemäß (1) kein „realer Kollaps“ existiert.

Ok, wenn das so stimmt, dann habe ich da wirklich was falsch in Erinnerung. Aber ganz überzeugt bin ich noch nicht davon. Ich erinnere mich z.B. daß Wallace in The Emergent Universe ziemlich ausführlich darlegt, daß Dekohärenz notwendig ist, damit man die Zweigstruktur ontologisch deuten kann.

Ja.

Aber deutet nicht nur die Zweigstruktur ontisch, sondern auch den Gesamtzustand. Es kommt auf die Skala bzw. das coarse-graining an. Und er argumentiert deswegen so ausführlich zur Zweigstruktur, weil die ja der Streitpunkt ist; ohne Zweigstruktur und Messung kann man den Gesamtzustand leicht ontisch begreifen ;-)

Mein Problem ist aber, dass Wallace mit genau da teilweise abgehängt hat.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Wenn es lediglich darum ginge die subjektiven Wahrnehmungen zu beschreiben, dann bräuchte man doch keine Dekohärenz.

Richtig, aber die Dekohärenz liefert mehr. Sie legt tatsächlich eine realistische Interpretation nahe, die Everett nicht wirklich begründen konnte; was ist den ein Zeigerzustand bei von Neumann oder Everett mehr als ein Symbol? Erst die Dekohärenz macht das konkret. Deswegen ist Zehs Arbeit mindestens so wichtig wie die Everetts; m.W.n. hat Zeh die Dekohärenz entdeckt und - ohne Everetts Arbeit zu kennen - die selben Schlussfolgerungen gezogen wie er.

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Günther



Anmeldungsdatum: 23.11.2010
Beiträge: 305

Beitrag Günther Verfasst am: 06. Feb 2021 15:51    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:

Die MWI besagt formal
1) wenn ich keinen Kollaps postuliere, nicht ausspure und immer mit einen reinen Zustand arbeite, existiert mathematisch kein Kollaps
2) wenn ich ausspure, erhalte ich eine reduzierte Dichtematrix mit einzelnen Komponenten entsprechend der Dekohärenz
(2) produziert dabei keinen Kollaps sondern ist zunächst nur eine mathematische Operation; insgs. gültig bleibt (1).

Die MWI interpretiert das nun wie folgt:
1) Die QM inkl. unitärer Zeitentwicklung liefert (1); dies beschreibt immer - auch für Messungen - die tatsächlich real existierende eine Welt.
2) Das Verwerfen von für mich nicht sichtbaren Freiheitsgraden im Sinne von (2) liefert einzelne Komponenten, die jeweils einer (von vielen) für mich zu erwartenden klassischen Welt entsprechen.
(2) produziert einen „für mich subjektiv wahrgenommenen“ Kollaps, obwohl „insgs. real“ gemäß (1) kein „realer Kollaps“ existiert.



Vermutlich habe ich hier ein Mißverständnis.

Müßte es nicht lauten:

1) Die QM inkl. unitärer Zeitentwicklung liefert (1); dies beschreibt immer - auch für Messungen - die tatsächlich in jedem Zweig real existierende Welt.

Dass in jedem Zweig real eine Welt existiert, versteht sich von selbst.
index_razor



Anmeldungsdatum: 14.08.2014
Beiträge: 3259

Beitrag index_razor Verfasst am: 06. Feb 2021 16:01    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
Also ich glaube, die Trennung ist trotzdem willkürlich. Wo das Meßgerät aufhört und die Umgebung anfängt, läßt sich aus fundamentalen Prinzipien heraus nicht begründen.

Die Entscheidung ist nicht willkürlich, sie folgt prinzipiell aus der Konstruktion des Messgerätes bzw. der Dynamik, abgeleitet aus dem Hamiltonoperator. Leider können wir für Messgeräte weder den Hamiltonoperator herleiten, noch können die Experimentalphysiker zu einer zu messenden Observablen A einen Hamiltonoperator H[A] berechnen und damit das Messgerät konstruieren. Daher erscheint das ad hoc.


Die einzige Definition von "Meßgerät", die ich in diesem Zusammenhang kenne, erlaubt keine prinzipiellen, sondern nur willkürliche Trennungen zwischen dem Meßgerät und seiner Umgebung.

Ein Meßgerät für die Observable mit Spektrum {a,b} ist ein System mit mindestens drei orthogonalen Zuständen , dessen Zeitenwicklung die folgende Eigenschaft hat



Das ist so allgemein, daß es nicht nur für das System , sondern auch für das größere System zutrifft. Die Dynamik hilft mir hier nicht weiter. Das ganze Dekohärenzargument beruht sogar darauf, daß die Dynamik des Meßgerät im wesentlichen dieselben Eigenschaften hat, wie die Dynamik von Meßgerät+Umgebung.

Auf fundamentaler Ebene ist das natürlich ohnehin der Fall. Was auch immer wir für Meßgeräte konstruieren, letztendlich bestehen sie aus elementaren Anregungen von Quantenfeldern. Ihre Umgebung besteht aus Anregungen derselben Quantenfelder. Wo soll es da eine natürliche Grenze geben?

Fändest du es nicht auch seltsam, wenn die Ontologie aus einer Definition von "Meßgerät" abgeleitet werden müßte, die präzise genug ist, daß wir genau wissen, über welche Freiheitsgrade wir die Spur bilden müßten? Meßgeräte sind doch keine fundamentalen Bestandteile der Realität, sondern komplexe Systeme, die aus solchen Bestandteilen aufgebaut sind. Und erst unsere ganz pragmatischen Intentionen machen diese Systeme überhaupt zu "Meßgeräten".


Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Aber ich habe es immer so verstanden, daß die Komponenten der Dichtematrix bzgl. einer ausgezeichneten Basis -- also die MWI-Zweige -- Elemente der Realität sind und nicht lediglich Beschreibungen von zweigrelativen Wahrnehmungen eines Beobachters.

Alles drei.

Die gesamte Wellenfunktionen ist bzw. beschreibt die gesamte Realität, eine Komponente beschreibt einen Teil der Realität,


Aber das ist doch nicht der Fall. Durch partielle Spurbildung erhalte ich z.B. die Zweigstruktur



Diese Zweigstruktur existiert nicht im Zustand des Universums



da die a- und b-Komponenten weiterhin interferieren. Mehr Spuren kann ich nicht bilden, da dies bereits das gesamte Universum ist. Ich behaupte, wenn etwas keine objektive Eigenschaft des Gesamtsystems ist, dann ist es auch keine objektive Eigenschaft irgendeines Teilsystems.


Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Ok, wenn das so stimmt, dann habe ich da wirklich was falsch in Erinnerung. Aber ganz überzeugt bin ich noch nicht davon. Ich erinnere mich z.B. daß Wallace in The Emergent Universe ziemlich ausführlich darlegt, daß Dekohärenz notwendig ist, damit man die Zweigstruktur ontologisch deuten kann.

Ja.

Aber deutet nicht nur die Zweigstruktur ontisch, sondern auch den Gesamtzustand. Es kommt auf die Skala bzw. das coarse-graining an. Und er argumentiert deswegen so ausführlich zur Zweigstruktur, weil die ja der Streitpunkt ist;


Worauf es mir ankommt, ist die Argumentation für die Notwendigkeit der Dekohärenz zur Begründung der Realität der Zweige. Darin sehe ich nämlich das Problem.

Zitat:

ohne Zweigstruktur und Messung kann man den Gesamtzustand leicht ontisch begreifen ;-)


Der Aussage stimme ich sogar zu. Aber die Lösung ist für mich nicht eine möglichst präzise Definition von "Messung" oder "Meßgerät" zu fordern. Deshalb sehe ich vermutlich auch keine Notwendigkeit, den Zweigen unabhängige objektive Existenz zuzusprechen. Ich denke die Zerlegung des Zustands in Basiskomponenten ist rein willkürlich und überhaupt nicht objektiv.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Wenn es lediglich darum ginge die subjektiven Wahrnehmungen zu beschreiben, dann bräuchte man doch keine Dekohärenz.

Richtig, aber die Dekohärenz liefert mehr. Sie legt tatsächlich eine realistische Interpretation nahe, die Everett nicht wirklich begründen konnte; was ist den ein Zeigerzustand bei von Neumann oder Everett mehr als ein Symbol? Erst die Dekohärenz macht das konkret.


Dekohärenz allein noch nicht. Man benötigt immer noch eine ausgezeichnete Basis. Sonst kann man einfach eine unitäre Transformation der Dichtematrix und Observablen vornehmen und somit die Zweigstruktur kaputtmachen, ohne sonst irgendeine Vorhersage der Theorie zu ändern. Aber so wie ich es im Augenblick sehe, liefert mir die Dekohärenz nichts, was mir die ausgezeichnete Basis bereits geliefert hat. Aber dieses Argument scheint mir gerade selbst ein bißchen viel zu beweisen, also möglicherweise übersehe ich etwas.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18111

Beitrag TomS Verfasst am: 06. Feb 2021 17:12    Titel: Antworten mit Zitat

Günther hat Folgendes geschrieben:
TomS hat Folgendes geschrieben:

1) Die QM inkl. unitärer Zeitentwicklung liefert (1); dies beschreibt immer - auch für Messungen - die tatsächlich real existierende eine Welt.
2) Das Verwerfen von für mich nicht sichtbaren Freiheitsgraden im Sinne von (2) liefert einzelne Komponenten, die jeweils einer (von vielen) für mich zu erwartenden klassischen Welt entsprechen.
(2) produziert einen „für mich subjektiv wahrgenommenen“ Kollaps, obwohl „insgs. real“ gemäß (1) kein „realer Kollaps“ existiert.

Vermutlich habe ich hier ein Mißverständnis.

Müßte es nicht lauten:

1) Die QM inkl. unitärer Zeitentwicklung liefert (1); dies beschreibt immer - auch für Messungen - die tatsächlich in jedem Zweig real existierende Welt.

Dass in jedem Zweig real eine Welt existiert, versteht sich von selbst.

Letzteres versteht sich nicht von selbst: anschaulich ist uns das klar, aber das erklärt nichts; die Kollapsinterpretation erklärt ebenfalls nichts sondern postuliert nur das, was uns anschaulich klar ist; Everett geht nicht wirklich über das hinaus, was ich oben geschrieben habe; und um das auf Basis der Dekohärenz nachzuvollziehen, empfehle ich dir Wallace - dann versteht sich gar nichts mehr von selbst ;-)


Alles weitere ist nur ein sprachliches Missverständnis, das letztlich durch die unglückliche Bezeichnung „viele Welten“ entsteht. Lassen wir mal Welten, Zweige usw. beiseite:
1) es gibt eine Wellenfunktion
2) in bestimmten Situationen kann diese in Komponenten entsprechend einer speziellen ausgezeichnete Basis zerlegt werden
3) die Auszeichnung erfolgt durch die unitäre Wechselwirkung eines Teilsystems mit einem anderen Teilsystem: Decoherence und Einselection

Jetzt übersetzen wir das:
1) eine Welt
2) viele Zweige in dieser einen Welt (nach de Witt: viele Welten; diese ergeben aber zusammen weiterhin die eine größere Welt)

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Laie001
Gast





Beitrag Laie001 Verfasst am: 06. Feb 2021 17:19    Titel: Antworten mit Zitat

also mal ganz im Ernst:
wenn wir uns in einem metaphysischen oser Traum-Universum" mit unendlich vielen Realitäten nebeneinander befinden sollen, und wo jederzeit alles gleichzeitig möglich ist, dann halte ich das im besten Falle nur für eine philosophische Hilfskonstruktion, um die (Quanten-) Theorie zu retten.
Oder, stellen wir uns mal janz domm und sagen wer so:
Woher soll ein Quant wissen, wenn er mit irgendwas interagiert, ob das eine "Messapparatur" ist oder einfach nur ein Gegenstand ohne näheren Sinn und Zweck?
Mag ja sein, dass die Superposition dann tändig in Wechselwirkung mit allem und jedem entsteht. Maßgeblich ist doch nur, DASS eine Interaktion stattfindet, wenn vorher etwas unbestimmt sein soll und dann jetzt plötzlich zur einen oder anderen Form oer Entität kollabiert.
Nun ist aber das Universum ja voll mit anderen Dingen und Leben und Quanten und dem ganzen Rest, so dass (mehr oder weniger) ständig irgendeine Interaktion stattfindet, und diese Interaktionen sind es dann eben einfach, die dann den Zustand (Spin, Tod, Leben, Zerfall, Explosion,...) hervorrufen oder materialisieren lassen.
Ganz unabhängig davon, ob einer guckt.
Klar kann sich nun ein Physiker hinstellen und über Messgerät oder Nichtmessgerät philosophiere - aber ganz ehrlich, wir brauchen uns doch nicht dermaßen dümmer stellen als wir schon sind, wenn wir uns die Welt um uns herum betrachten, oder?
Was her bedeutet, dass die QT nur was beschreibt, wovon sie selber nichts weiß und es auch nicht selber definieren kann.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18111

Beitrag TomS Verfasst am: 06. Feb 2021 17:53    Titel: Antworten mit Zitat

Laie001 hat Folgendes geschrieben:
wenn wir uns in einem metaphysischen oser Traum-Universum" mit unendlich vielen Realitäten nebeneinander befinden sollen, und wo jederzeit alles gleichzeitig möglich ist, dann halte ich das im besten Falle nur für eine philosophische Hilfskonstruktion, um die (Quanten-) Theorie zu retten.

Wieso „retten“? Es gibt keine Theorie, die so präzise und zutreffende Vorhersagen machen würde die Quantenmechanik.

Und wieso „metaphysisch“? Die Newtonsche Mechanik sagt die Orbits der Planeten voraus, die Maxwellsche Theorie elektromagnetische Wellen, die Relativitätstheorie eine gekrümmte Raumzeit und die Quantenmechanik eben Superpositionen. Und? Was ist jetzt an letzterem schlimmer als an allem anderen? Das wir es und nicht vorstellen können? Warum bitte soll sich die Natur danach richten, was wir uns vorstellen können?

Laie001 hat Folgendes geschrieben:
Maßgeblich ist doch nur, DASS eine Interaktion stattfindet, wenn vorher etwas unbestimmt sein soll und dann jetzt plötzlich zur einen oder anderen Form oer Entität kollabiert.

Woher weißt du, dass es kollabiert? Weder hat das irgend jemand irgendwo beobachtet, noch sagt es die Theorie unmittelbar voraus; es ist ein ad hoc Postulat.

Laie001 hat Folgendes geschrieben:
Klar kann sich nun ein Physiker hinstellen und über Messgerät oder Nichtmessgerät philosophiere - aber ganz ehrlich, wir brauchen uns doch nicht dermaßen dümmer stellen als wir schon sind, wenn wir uns die Welt um uns herum betrachten, oder?

Das ist eine ziemlich oberflächliche Aussage; auf die gehe ich jetzt besser nicht ein.

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Günther



Anmeldungsdatum: 23.11.2010
Beiträge: 305

Beitrag Günther Verfasst am: 06. Feb 2021 18:02    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:

Jetzt übersetzen wir das:
1) eine Welt
2) viele Zweige in dieser einen Welt (nach de Witt: viele Welten; diese ergeben aber zusammen weiterhin die eine größere Welt)

Ok, und diese "1) eine Welt" war gemeint in deinem statement "1) Die QM inkl. unitärer Zeitentwicklung liefert (1); dies beschreibt immer - auch für Messungen - die tatsächlich real existierende eine Welt."

Jetzt zur Messung.

Bob mißt Spin up. Dann gibt es ebenfalls eine "real existierende Welt" in der Bob Spin up gemessen hat. Es gibt aber auch eine "real existierende Welt" in der Bob Spin down gemessen hat. Wobei die Unitarität gewahrt ist.

So hatte ich es bisher verstanden. Ist daran etwas auszusetzen?
Laie001
Gast





Beitrag Laie001 Verfasst am: 06. Feb 2021 18:07    Titel: Antworten mit Zitat

klar mag die QM Vorhersagen ermöglichen, in einem gewissen engen Rahmen, genau wie auch in anderen Bereichen die Boolescha Algebra oder die Stochastik oder die Newtonsche Mechanik oder die RT - aber eben jede in ihrem Bereich, und sie beschreiben immer nur die Realität in Teilaspekten mit Formeln - genau wie eine Sinusschwingung ein Pendel grob beschreiben mag. Mit der echten Realität haben sie alle nichts zu tun, es sind alles nur Formelsammlungen, die mathematisch etwas simulieren, aber nichts erklären, nicht mehr und nicht weniger. Jetzt hier mit MWI zu kommen, der irgendeine realistische Bedeutung beiommen soll, ist IMO schon reichlich abstrus.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18111

Beitrag TomS Verfasst am: 06. Feb 2021 18:20    Titel: Antworten mit Zitat

Günther hat Folgendes geschrieben:
TomS hat Folgendes geschrieben:

Jetzt übersetzen wir das:
1) eine Welt
2) viele Zweige in dieser einen Welt (nach de Witt: viele Welten; diese ergeben aber zusammen weiterhin die eine größere Welt)

Ok, und diese "1) eine Welt" war gemeint in deinem statement "1) Die QM inkl. unitärer Zeitentwicklung liefert (1); dies beschreibt immer - auch für Messungen - die tatsächlich real existierende eine Welt."

Jetzt zur Messung.

Bob mißt Spin up. Dann gibt es ebenfalls eine "real existierende Welt" in der Bob Spin up gemessen hat. Es gibt aber auch eine "real existierende Welt" in der Bob Spin down gemessen hat. Wobei die Unitarität gewahrt ist.

So hatte ich es bisher verstanden. Ist daran etwas auszusetzen?

Nein ...

... nur dass ich de Witt‘s Terminologie unglücklich finde. Deshalb:

Bob mißt Spin up. Dann gibt es einen "real existierenden Teil der Welt" in der Bob Spin up gemessen hat. Es gibt aber auch einen "real existierenden Teil der Welt" in der Bob Spin down gemessen hat. Beide Teile existieren gleichberechtigt, sind wechselweise füreinander unsichtbar und ergeben zusammen die „eine gesamte Welt“, in der die Unitarität gewahrt ist.

(statt „Teil der Welt“ auch gerne „Zweig“; und „Teil“, „Zweig“ o.ä. ist nicht räumlich zu verstehen)

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TomS
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Beitrag TomS Verfasst am: 06. Feb 2021 18:30    Titel: Antworten mit Zitat

Laie001 hat Folgendes geschrieben:
Mit der echten Realität haben sie alle nichts zu tun, es sind alles nur Formelsammlungen, die mathematisch etwas simulieren, aber nichts erklären, nicht mehr und nicht weniger. Jetzt hier mit MWI zu kommen, der irgendeine realistische Bedeutung beikommen soll, ist IMO schon reichlich abstrus.

Wieso?

Bis zu Beginn der 20iger Jahre des letzten Jahrhunderts waren praktisch alle Physiker der Meinung, die Physik beschreibe die Realität. Mit der Quantenmechanik erschien dies dann irgendwie „illegitim“ - aber warum? Trotzdem haben nicht wenige Physiker und Philosophen an dieser realistischen Auffassung festgehalten, u.a. Einstein. Und heute sind durchaus nicht wenige Physiker davon überzeugt, dass die MWI zutrifft.

https://arxiv.org/abs/quant-ph/9709032
The Interpretation of Quantum Mechanics: Many Worlds or Many Words?

At the quantum mechanics workshop to which these proceedings are dedicated, held in August 1997 at UMBC, the participants were polled as to their preferred interpretation of quantum mechanics.

Interpretation and votes:
Copenhagen: 13
Many Worlds: 8
Bohm: 4
Consistent Histories: 4
Modified dynamics: 1
None of the above/undecided: 18

Das ist natürlich alles kein Beweis für die Richtigkeit, jedoch dafür, dass es reichlich abstrus ist, zu behaupten ...

Laie001 hat Folgendes geschrieben:
... jetzt hier mit MWI zu kommen, der irgendeine realistische Bedeutung beikommen soll, ist IMO schon reichlich abstrus.


Ansonsten siehe meine Signatur ;-)

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Beitrag Laie001 Verfasst am: 06. Feb 2021 19:02    Titel: Antworten mit Zitat

sage ich doch: die Physik beschreibt die Realität, mit verschiedenen Formelsammlungen, mal mit diesen, mal mit jenen, aber sie beschreibt oder simuliert sie eben nur mit einem mathematischen Instrumentarium, sie IST oder sie SIND aber nicht die Realität.
Jetzt aber hier mit MWI zu kommen, was ja unendlich viele Welten implizieren würde die "tatsächlich" ständig nebeneinander existierten für jede einzelne mögliche und alle weiteren zukünftigen Quanteninteraktionen, um den Unzulänglichkeiten des QM-Theoriegebildes zu entkommen (was ist ein Experiment? Wann ist es keines? Wann rechnet man mit Wellenfunktionen? Wann nicht? Wann und warum ist ein Lichtquant eine Welle? Wann und warum ein Teilchen? Was ist wenn Quanten interagieren, aber niemand hinguckt? Wie lange bleibt ein Überlagerungszustand bestehen, besteht er überhaupt, und wann zeigt er seinen realen Zustand (Kollaps)? Können Katzen gleichzeitig leben und tot sein? )
- das halte ich für Spinnerei.
Man rechnet mit den Formeln, wenn man einzelne Messungen unter streng definierten kontrollierbaren Bedingungen vornehmen will, und man weiß, wann man die Formeln nicht anwenden darf, weil es nämlich sonst nicht passt.
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Beitrag Günther Verfasst am: 06. Feb 2021 19:57    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:

... nur dass ich de Witt‘s Terminologie unglücklich finde. Deshalb:

Bob mißt Spin up. Dann gibt es einen "real existierenden Teil der Welt" in der Bob Spin up gemessen hat.

Ich halte das für reine Semantik und insofern könnte man sich darüber, was "unglücklich" ist streiten ohne je zu einem Ende zu kommen.
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Beitrag TomS Verfasst am: 06. Feb 2021 23:38    Titel: Antworten mit Zitat

Laie001 hat Folgendes geschrieben:
... die Physik beschreibt die Realität, mit verschiedenen Formelsammlungen, mal mit diesen, mal mit jenen, aber sie beschreibt oder simuliert sie eben nur mit einem mathematischen Instrumentarium, sie IST oder sie SIND aber nicht die Realität.

Woher glaubst du das zu wissen? Und warum ignorierst du, dass viele Physiker darüber anders denken?

Nicht dass wir uns falsch verstehen: du bist da in durchaus guter Gesellschaft; aber du bringst keine Argumente vor.

Laie001 hat Folgendes geschrieben:
Jetzt aber hier mit MWI zu kommen, was ja unendlich viele Welten implizieren würde die "tatsächlich" ständig nebeneinander existierten für jede einzelne mögliche und alle weiteren zukünftigen Quanteninteraktionen, um den Unzulänglichkeiten des QM-Theoriegebildes zu entkommen (was ist ein Experiment? Wann ist es keines? Wann rechnet man mit Wellenfunktionen? Wann nicht? Wann und warum ist ein Lichtquant eine Welle? Wann und warum ein Teilchen? Was ist wenn Quanten interagieren, aber niemand hinguckt? Wie lange bleibt ein Überlagerungszustand bestehen, besteht er überhaupt, und wann zeigt er seinen realen Zustand (Kollaps)? Können Katzen gleichzeitig leben und tot sein? )

Auf der rein praktischen Ebene gibt es keine einzige Unzulänglichkeiten.

Und auf der philosophischen Ebene braucht dich das ja nicht zu kümmern, wenn ich dich recht verstehe.

Laie001 hat Folgendes geschrieben:
und man weiß, wann man die Formeln nicht anwenden darf, weil es nämlich sonst nicht passt.

Es gibt keine einzige bekannte Situation, in der man die Formeln der Quantenmechanik nicht anwenden dürfte, weil sie eine experimentell überprüfbare und falsche Aussage machten.

Ich dachte eigentlich, wir könnten eine vernünftigere Diskussion führen.

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Beitrag TomS Verfasst am: 07. Feb 2021 09:09    Titel: Antworten mit Zitat

@index_razor:

Zur Umgebung: Ich denke, wir haben uns hier missverstanden. Zunächst sind wir uns doch einig, dass die Dekohärenz immer aus einer Verschränkung des Quantensystems mit den (unbeobachtbaren) Umgebungsfreiheitsgraden resultiert. Dabei ist „unbeobachtbar“ zunächst eine rein operationale Festlegung, das Ausspuren ein rein technisches Instrument. Wenn ein dekohärenter Zustand vorliegt, dann ist das häufig bereits der Fall, bevor ich selbst beobachtet und ausgespurt habe. Wenn nun ein Beobachter anwesend ist, definiert, was er beobachten kann und entsprechend ausspurt, dann resultiert daraus zum Beispiel eine Zweigstruktur in der reduzierten Dichtematrix. Ein anderer, hypothetischer Beobachter, mag anders ausspuren, er erhält eine andere Zweigstruktur in der reduzierten Dichtematrix, eine gröbere oder feinere. Aber dennoch ist dieses Ausspuren kein Prozess, es beschreibt lediglich das Auflösungsvermögen meiner Sicht auf diesen Prozesses. Und deswegen bleibt für mich der unitär zeitentwickelte Quantenzustand fundamental in der ontologischen Betrachtung. Andernfalls könnte man m.E. auch Experimente wie „delayed choice“ oder „quantum erazer“ nicht verstehen. (Der Unterschied bzgl. verschiedener Beobachter kommt erst dann zum Tragen, wenn ich mich für den Zustand einschließlich der Freiheitsgrade des Beobachters interessiere, aber das meine ich hier nicht)

Zur Abgrenzung des Messgeräts betrachten wir den Doppelspalt: Hier existieren orthodox betrachtet zunächst zwei mögliche Messungen, und dazu muss man zwingend gewisse Details des Messgerätes betrachten.
1) Ich kann ohne „welche-Weg-Information“ messen, d.h. Punkte auf dem „Messgerät Schirm“ betrachten, das sich zu einem Interferenzmuster zusammenfügt. Hier liegt Dekohärenz = Lokalisierung auf dem Schirm und Messung vor.
2) Ich kann mit „welche-Weg-Information“ messen, d.h. zusätzlich zum vorher genannten eine weitere Messung hinter jeweils einem Spalt anwenden. Die Abgrenzung der beiden Messgeräte ist zunächst räumlich gegeben, aber das alleine ist nicht ausreichend.
3) Denn ich habe immer die Wechselwirkung der Photonen mit der Materie des Doppelspalts. Und diese kann ich gemäß Dekohärenz und MWI ebenfalls als Messung betrachten
Damit meine ich, es gibt keinen fundamentalen Unterschied zwischen (1), (2) und (3), alles drei sind unitäre Wechselwirkungen, die ich gemäß der MWI identisch behandeln kann. Trotzdem produzieren sie unterschiedliche Zweigstrukturen, wobei die Unterschiede nicht in der Dekohärenz mit der Umgebung zu suchen sind, denn die ist identisch.

Bsp.: wenn Autos, Fahrer und asphaltierte Flächen Elemente meiner fundamentalen Ontologie sind, dann ist dies alleine nicht ausreichend, um zwischen fließendem Verkehr, einem Stau, einem Autorennen und Autos auf einem Großparkplatz zu unterscheiden.

In der Quantenmechanik gemäß Dekohärenz und MWI muss ich dazu die Details der Wechselwirkungen betrachten, um die Unterschiede der verschiedenen Messungen zu verstehen. Der von die betrachtete Messprozesses nach von Neumann alleine ist nicht ausreichend, da er die Messung nur „skizziert“, nicht jedoch im Detail mit einem Hamiltonian beschreibt. Und die Dekohärenz mit der Umgebung alleine ist ebenfalls nicht ausreichend, weil sie in allen Fällen das selbe vorhersagt, nämlich lokalisierte Punkte auf dem Schirm.

Zur Zweigstruktur, und wo diese angelegt ist: Fundamental angelegt ist sie sicher bereits im Zustand, nur „sehe ich sie da nicht“. Wenn ich dir einen Hamiltonian, ein paar Observablen und einen Zustand gebe, dann steckt darin ja auch schon die Information „Neutron“, „Uran 235“, „QGP“ oder „Neutronenstern“. Du musst sie „nur“ noch mit mathematischen Methoden herauspräparieren.

Welche Zweigstruktur angelegt ist, folgt aus der Konstruktion des Messgerätes und entspricht der dynamischen Auszeichnung einer Basis durch Einselection. Ob ich bzgl. Spin-up/down oder Spin-left/right zerlege, legt das Messgerät in seiner Wechselwirkung mit dem Quantensystem fest.

Ich denke, damit sollten alle Fragen deinerseits beantwortet sein - außer einer:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Aber er deutet nicht nur die Zweigstruktur ontisch, sondern auch den Gesamtzustand. Es kommt auf die Skala bzw. das coarse-graining an. Und er argumentiert deswegen so ausführlich zur Zweigstruktur, weil die ja der Streitpunkt ist;


Worauf es mir ankommt, ist die Argumentation für die Notwendigkeit der Dekohärenz zur Begründung der Realität der Zweige. Darin sehe ich nämlich das Problem.

Das klingt nach einem fundamentalen Problem. Was meinst du damit?

Generell zur Vorgehensweise: ich denke, wir kreisen zum x-ten Mal um das selbe Problem, und wir reden m.E. deswegen teilweise aneinander vorbei, weil wir eben Worte gebrauchen, und aus Zeitgründen die Rechnungen nur skizzieren. Wie schaffen wir es, zum wesentlichen Kern zu gelangen? Es interessiert mich wirklich, wo du den eigentlichen Knackpunkt siehst, aber wir verschwenden immer wieder Zeit mit der Diskussion von Scheinproblemen und unpräzisen Formulierungen (das ist sicher auch meine Schuld).

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Beitrag Laie001 Verfasst am: 07. Feb 2021 10:17    Titel: Antworten mit Zitat

Zitat:
Es gibt keine einzige bekannte Situation, in der man die Formeln der Quantenmechanik nicht anwenden dürfte, weil sie eine experimentell überprüfbare und falsche Aussage machten.

Nun, ganz laienenghaft: Wie lassen sich denn die Teilcheneigenschaften von Photonen mit der Wellenfunktion beschreiben und woher weiß man, man sie anwenden darf und wann nicht?
Außerdem wird von Überlagerungszuständen oder Superpositionen mit Messapparaturen geredet, aber was ist überhaupt eine Messung und was nicht?
Solange man noch nicht einmal das definieren kann, steht das ganze doch auf auf einer ziemlich eiernden Basis - streng genommen auf gar keiner. Ich würde das fast vergleichen wollen wie mathematische Gruppen oder Körper mit unvollständigen Axiomen. Und solange also die Axiome der QM unvollständig sein, mag man damit rechnen, es mag auch oft richtige Ergebnisse ergeben (außer für Katzen oder das Makrouniversum), aber zur Erklärung des unvollständigen Theoriegebildes nun hilfsweise "viele Welten" zu postulieren, ist doch wirklich mehr als verwegen.
Reden wir weiter, wenn die Physiker mal irgendwann wissen, was eine Messung ist und was nicht, und warum was einen Unterschied macht.[/i]
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Beitrag TomS Verfasst am: 07. Feb 2021 11:22    Titel: Antworten mit Zitat

Laie001 hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Es gibt keine einzige bekannte Situation, in der man die Formeln der Quantenmechanik nicht anwenden dürfte, weil sie eine experimentell überprüfbare und falsche Aussage machten.

Nun, ganz laienenghaft: Wie lassen sich denn die Teilcheneigenschaften von Photonen mit der Wellenfunktion beschreiben und woher weiß man, man sie anwenden darf und wann nicht?

Dazu benötigst du die relativistische Quantenfeldtheorie.

Diese sieht zunächst anders aus als die nichtrelativistische Quantenmechanik, passt aber in den selben axiomatischen Rahmen: Hilbertraum, Zustandsvektoren, Observablen = selbstadjungierte Operatoren A, Hamiltonoperator H, Zeitentwicklungsoperator U = exp[-iHt] sowie dazu äquivalent die Zeitentwicklung gemäß Schrödingergleichung.

Der Unterschied ist rein technisch, nicht fundamental.

1) Was die Quantenmechanik - verstanden als mathematischer Rahmen - also leistet ist, dass alle bekannten Phänomene (mit Ausnahme der Gravitation) vollständig und quantitativ zutreffend = in Übereinstimmung mit dem Experiment mathematisch präzise formuliert werden können. Insofern - ich zitiere mich - gibt keine einzige bekannte Situation, in der man die Formeln der Quantenmechanik nicht anwenden dürfte.

2) Was daraus nicht folgt ist eine anschauliche Beschreibung in klassischen Bildern wie Wellen oder Teilchen. Das ist aber irrelevant, da ohnehin niemand direkt z.B. elektromagnetische oder Materiewellen sieht; was wir beobachten sind Phänomene, die wir z.B. mittels Wellenmodellen umgangssprachlich oder in Bildern beschreiben: wir sehen ein Interferenzmuster, keine Welle; und wir sehen eine geschwärzte Stelle auf einer Photoplatte, kein Teilchen. Niemand darf erwarten, dass diese Begriffe der Umgangssprache ausreichend sind, um die Natur vollständig zu erfassen.

(Die Quantenmechanik zeigt an vielen Stellen, dass die Annahme klassischer Eigenschaften zu Vorhersagen führt, die explizit falsch sind, d.h. experimentell widerlegt werden können: Ort+Impuls, Welle-Teilchen, lokal-realistische Eigenschaften als prominente Beispiele)

Laie001 hat Folgendes geschrieben:
Außerdem wird von Überlagerungszuständen oder Superpositionen mit Messapparaturen geredet, aber was ist überhaupt eine Messung und was nicht?
Solange man noch nicht einmal das definieren kann, steht das ganze doch auf auf einer ziemlich eiernden Basis - streng genommen auf gar keiner.

Das trifft genau den wunden Punkt der Kollapsinterpretation, nicht der Viele-Welten-Interpretation.

Ersteres ist aber nur dann relevant, wenn du von der Quantenmechanik erwartest, dass sie beschreibt, was in der Natur wirklich passiert. So wie ich dich verstehe, siehst du in der theoretischen Physik nur eine Ansammlung mathematischer Instrumente, keine Beschreibung dessen, was wirklich passiert. Insofern sollte dir dieses Problem völlig egal sein, so wie vielen anderen Physikern auch, die die Messung und den Kollaps nicht hinterfragen, weil die Regeln - wie oben ausgeführt - rein praktisch und quantitativ zutreffend in allen bekannten Fällen perfekt funktionieren, ohne dass man verstanden haben müsste, was denn zum Beispiel eine Messung wirklich ist.

Jetzt musst du dich entscheiden, ob du bei dieser instrumentalistischen Haltung bleiben willst, oder ob du eine realistische Position einnehmen möchtest, derzufolge eine vernünftige physikalische Theorie gewisse Aspekte der Realität zutreffend beschreibt, d.h. auch Vorgänge, die sich abspielen, ohne dass man sie beobachtet. Diese Haltung war früher verbreitet und trivial. Niemand hatte Grund, anzuzweifeln, dass sich der Mars auf einem näherungsweise elliptischen Orbit um die Sonne bewegt, obwohl niemand ständig den Mars beobachtet oder vor einigen tausend Jahren überhaupt jemals beobachtet hat. D.h. Newton et al. haben selbstverständlich angenommen, dass ein elliptischer Orbit die Bahn des Mars immer zutreffend beschreibt.

Erst mit der Quantenmechanik lag es dann nahe, eine instrumentalistische Haltung anzunehmen, derzufolge Hamiltonoperator und Wellenfunktion (oder allgemeiner gesprochen Zustansvektor) eben nicht beschreiben, was im Wasserstoffatom wirklich passiert - oder was im Falle der Katze wirklich passiert.

Warum? Weil uns die Schlussfolgerungen - die Superpositionszustände einer Katze - absurd vorkommen. Aber darin stecken zwei ganz wesentliche Probleme:

Erstens ist das ein Vorurteil, dass nicht sein kann, was nicht sein darf.

Und zweitens schüttet man das Kind mit dem Bade aus, denn in dem Moment, wo man eine instrumentalistische Position einnimmt, negiert man vollständig, man könne oder dürfe überhaupt etwas über die Vorgänge in der Natur sagen. Man schließt alle diese Fragestellungen aus der Betrachtung vollständig aus, man definiert sie als “unphysikalisch”. Anders gesprochen, man berechnet Messwerte - und das war’s.

Mit dieser Haltung waren jedoch nicht alle Physiker einverstanden - allen voran Einstein. Es ist der ganz großen jedoch ständig wiederholten Irrtümer, Einstein hätte ein Problem mit allen möglichen Aussagen der Quantenmechanik gehabt; er hatte nur einen wirklich zentralen Kritikpunkt, nämlich dass die Quantenmechanik keine Aussagen über das Wesen der Natur machen könne - er war ein Realist, kein Instrumentalist. Viele Physiker, die selbst Instrumentalisten sind, sind nicht willens oder in der Lage, zu verstehen, dass Einstein gegen etwas ganz anderes argumentierte, nämlich gegen ihr Weltbild. Und Einstein war und ist damit nicht alleine - siehe meine Signatur, oder andere Beispiele wie Penrose, der ebenfalls eine realistische Haltung hat, jedoch die Lösung an ganz anderen Stellen gesucht hat.

Was bist du? Realist oder Instrumentalist?

Laie001 hat Folgendes geschrieben:
Und solange also die Axiome der QM unvollständig sein, mag man damit rechnen, es mag auch oft richtige Ergebnisse ergeben (außer für Katzen oder das Makrouniversum), aber zur Erklärung des unvollständigen Theoriegebildes nun hilfsweise "viele Welten" zu postulieren, ist doch wirklich mehr als verwegen.

In dieser Aussage stecken leider viele Missverständnisse.

Die Axiome sind zunächst mal nicht unvollständig. Sie stellen einen universellen Rahmen bereit, der es erlaubt, alle bekannten Phänomene (außer der Gravitation) vollständig und und in perfekter Übereinstimmung mit dem Experiment zu beschreiben. Was dir fehlt ist lediglich eine anschauliche Interpretation, die kannst du aber von den Axiomen oder der Quantenmechanik insgs. nicht erwarten.

Es gibt auch bzgl. Katzen und dem Makrouniversum keine falschen Vorhersagen:

1) Die instrumentalistische Kollapsinterpretation postuliert, dass im Zuge der Beobachtung immer nur einer von zwei möglichen Zuständen der Katze beobachtet wird; sie kann nicht erklären, warum, und sie kann nicht erklären, was eine Beobachtung oder Messung ist, aber sie macht keine falschen Vorhersagen.

2) Die realistische Viele-Welten-Interpetation macht etwas ganz einfaches: sie verzichtet auf das ad-hoc Postulat des Kollapses, d.h. sie enthält weniger Axiome als die Kollapsinterpretation. Und sie akzeptiert als Konsequenz die Existenz der Superpositionen. Warum sollte man Superpsostionen von Elektronen akzeptieren jedoch nicht die von Katzen? Das ist zunächst nur ein Vorurteil. Die Viele-Welten-Interpetation postuliert keine vielen Welten, sie akzeptiert lediglich die Konsequenzen der Rechnung.

Nun stünde sie damit auf verlorenem Posten, wenn sie die Superpositionen von Katzen akzeptieren würde, ohne erklären zu können, warum wir sie nicht beobachten (es ist einfach, Superpositionen von Elektronen zu akzeptieren, die sehen wir ohnehin nie direkt, die stören uns nicht in unserer Weltanschauung). Aber die MWI kann - auf Basis der Dekohärenz als präzise ausgearbeiteter mathematischer Methode - quantitativ erklären, warum gewisse Superpositionen existieren, ohne dass wir sie wahrnehmen können. Mittels der Dekohärenz kann man berechnen, innerhalb welcher Zeiträume diese weiterhin existenten Superpositionen unsichtbar werden; für kleinere Systeme als für Katzen wurde das sogar gemessen (Nobelpreis 2012? ich werde nachschauen).

Die MWI hat einen Haufen offener Probleme, aber die von dir genannten Punkte gehen am Kern der Sache vorbei. Letztlich handelt es sich um das Vorurteil, dass man genau diese Schlussfolgerung aus einer quantitativ perfekt bestätigten Theorie ablehnen müsse, obwohl sie mit den Beobachtungen übereinstimmen - nur weil man sie nicht mag.

Und ganz nebenbei: kein Anhänger der MWI ist so bescheuert, nicht zu erkennen, welche Zumutung diese Interpretation bedeutet. Der Punkt ist jedoch, dass die MWI heute viel mehr erklärt als jede andere Interpretation; das macht sie so interessant:
1) sie hat ein schlankeres Axiomensystem
2) sie erklärt mathematisch mittels Dekohärenz das, was wir als Kollaps „wahrnehmen“, obwohl kein tatsächlich Kollaps vorliegt; sie erklärt das, sie postuliert es nicht!
3) sie erklärt, warum es keinen Unterschied zwischen normaler Wechselwirkungen und Messung gibt; eine Messung ist lediglich eine Wechselwirkung mit einem speziellen makroskopischen Quantensystem - dem Messgerät - das sozusagen mikroskopische Strukturen „vergrößert“ und die Natur aufgrund der Dekohärenz klassisch erscheint, obwohl die Natur mikroskopisch quantenmechanisch ist - auch für Katzen.
4) sie ist auch dann anwendbar, wenn es aus prinzipiellen Gründen keinen externen Beobachter, keine Messung im o.g. Sinne und keinen damit verbundenen Kollaps geben kann, wenn man nämlich das Universum als Ganzes vollständig quantenmechanisch beschreiben möchte bzw. muss.

Die Kollapsinterpretation erklärt nichts davon. Die meisten Anhänger weigern sich sogar aktiv, anzuerkennen, dass sie dies erklären solle; sie sind zufrieden damit, dass die Messwerte korrekt berechnet werden können.

Zusammenfassend:

Laie001 hat Folgendes geschrieben:
Und solange also die Axiome der QM unvollständig sein, mag man damit rechnen, es mag auch oft richtige Ergebnisse ergeben (außer für Katzen oder das Makrouniversum), aber zur Erklärung des unvollständigen Theoriegebildes nun hilfsweise "viele Welten" zu postulieren, ist doch wirklich mehr als verwegen.

Das Axiomensystem der MWI ist nicht unvollständig. Ihre Vorhersagen für Katzen sind nicht falsch. Ihre Erklärungen sind nicht unvollständig. Die "vielen Welten" werden nicht postuliert sondern aus der Theorie abgeleitet, genauso wie die Kepler-Ellipsen aus der Newtowchen Mechanik folgen, oder die Spektren der Atome aus der Quantenmechanik. Die Vorgehensweise ist nicht verwegen sondern folgt einer jahrhundertelangen Tradition, dass Naturwissenschaften realistische Aussagen über die Natur machen.

Ich würde mich freuen, wenn du das akzeptieren könntest.

Dann könnten wir nämlich die Probleme diskutieren, die die MWI tatsächlich hat - nicht nur Scheinprobleme, die du wahrscheinlich aus diversen Darstellungen kennst, die allesamt daran kranken, die MWI nicht verstanden zu haben.

Ich habe mich recht ausführlich mit dem Thema befasst. Es gibt sehr viel Literatur, sowohl pro als auch contra MWI - leider oft für Laien absolut unzugänglich. Bei „pro“ gibt es sowohl Fachbücher als auch populärwissenschaftliche Darstellungen, die ich empfehlen kann. Bei „contra“ kenne ich ebenfalls Fachliteratur, jedoch keine populärwissenschaftliche Darstellung, die die tatsächlichen Probleme der MWI aufzeigt; die Argumente sind irgendwo zwischen irreführend, sprachlich unpräzise, vorurteilsbeladen oder schlicht falsch.

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Beitrag index_razor Verfasst am: 07. Feb 2021 13:12    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:

Zur Umgebung: [...]


Die Beschreibung finde ich sehr treffend. Und hier ist der Punkt, über den ich gerade stolpere:

Zitat:
Wenn nun ein Beobachter anwesend ist, definiert, was er beobachten kann und entsprechend ausspurt, dann resultiert daraus zum Beispiel eine Zweigstruktur in der reduzierten Dichtematrix. Ein anderer, hypothetischer Beobachter, mag anders ausspuren, er erhält eine andere Zweigstruktur in der reduzierten Dichtematrix, eine gröbere oder feinere.


Dann hängt die Ontologie von den Fähigkeiten (Auflösungsvermögen, etc.) des Beobachters ab? Und ohne Beobachter existieren objektiv gar keine Zweige?

Zitat:

Aber dennoch ist dieses Ausspuren kein Prozess, es beschreibt lediglich das Auflösungsvermögen meiner Sicht auf diesen Prozesses. Und deswegen bleibt für mich der unitär zeitentwickelte Quantenzustand fundamental in der ontologischen Betrachtung.


Aber wie paßt das zu der Aussage, daß die Zweige real existieren? Wie kann etwas real in einem Teilsystem existieren, wenn es nicht im Gesamtsystem existiert? Hier klingt es wieder so, als sei die Zweigstruktur rein subjektiv.

Diese Auffassung scheinst du auch in der Beschreibung des Doppelspaltexperimentes zu wiederholen. Da scheint es drei objektiv identische Situationen zu geben, die aber unterschiedlich Zweigstruktruen definieren. Ist das deine Auffassung?


Zitat:

In der Quantenmechanik gemäß Dekohärenz und MWI muss ich dazu die Details der Wechselwirkungen betrachten, um die Unterschiede der verschiedenen Messungen zu verstehen. Der von die betrachtete Messprozesses nach von Neumann alleine ist nicht ausreichend, da er die Messung nur „skizziert“, nicht jedoch im Detail mit einem Hamiltonian beschreibt.


Ich glaube nicht, daß das eine Rolle spielt. Explizite Modelle für diese Art Meßvorgang sind ja bekannt. Dabei gibt es einen Hamiltonian für die Wechselwirkung zwischen System und Meßgerät und einen Einfluß der Umgebung, der stochastisch modelliert wird. Das Ergebnis ist dasselbe, als wenn ich annehme, daß die Dynamik von Meßgerät und Umgebung qualitativ dieselben Eigenschaften hat, wie die eines Meßgeräts in einer Messung "nach von Neumann".

Wenn es nicht so wäre, wäre es auch etwas überraschend. Denn die "Meßgeräte" in diesen Modellen haben sehr wenig Freiheitsgrade, sind also nicht gerade realistisch. (Ansonsten könnte man sie ja gar nicht exakt behandeln.) Und wenn ich sie als makroskopische Objekte auffasse, dann verschwimmen die Grenzen zwischen dem "eigentlichen" Meßgerät und seiner Umgebung. (Weil ich z.B. gezwungen bin seine Freiheitsgrade mit denselben stochastischen Methoden zu behandeln, wie vorher die Umgebung.)

Zitat:

Zur Zweigstruktur, und wo diese angelegt ist: Fundamental angelegt ist sie sicher bereits im Zustand, nur „sehe ich sie da nicht“.


Nach meinem Verständnis ist das ein Widerspruch zu dem was Wallace behauptet. Ein reiner Zustand enthält keine Zweige (bzw. höchstens einen Zweig im Trivialfall). Eine nichttriviale Zweigstruktur erfordert eben Dekohärenz, also ein Gemisch.

Zitat:

Welche Zweigstruktur angelegt ist, folgt aus der Konstruktion des Messgerätes und entspricht der dynamischen Auszeichnung einer Basis durch Einselection. Ob ich bzgl. Spin-up/down oder Spin-left/right zerlege, legt das Messgerät in seiner Wechselwirkung mit dem Quantensystem fest.


Ich sehe eben nicht, wie die Struktur aus objektiven Eigenschaften des Meßgeräts folgen sollte. Sie folgt aus der Abgrenzung zwischen Meßgerät und Umgebung, aber die erscheint mir immernoch ziemlich willkürlich.

Zitat:

Ich denke, damit sollten alle Fragen deinerseits beantwortet sein - außer einer:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Aber er deutet nicht nur die Zweigstruktur ontisch, sondern auch den Gesamtzustand. Es kommt auf die Skala bzw. das coarse-graining an. Und er argumentiert deswegen so ausführlich zur Zweigstruktur, weil die ja der Streitpunkt ist;


Worauf es mir ankommt, ist die Argumentation für die Notwendigkeit der Dekohärenz zur Begründung der Realität der Zweige. Darin sehe ich nämlich das Problem.

Das klingt nach einem fundamentalen Problem. Was meinst du damit?


Das was ich oben nochmal geschrieben habe. Dekohärenz erfordert eine stochastische Modellierung des Umgebungseinflusses. Also gibt es ohne Umgebung keine Dekohärenz und damit auch keine Zweige. Das bedeutet, die Zweigstruktur des Teilsystems (ohne Umgebung) ist keine objektive Eigenschaft des Gesamtsystems (mit Umgebung), und damit nach meinem Dafürhalten auch keine objektive Eigenschaft des Teilsystems.

Zitat:

Generell zur Vorgehensweise: ich denke, wir kreisen zum x-ten Mal um das selbe Problem, und wir reden m.E. deswegen teilweise aneinander vorbei, weil wir eben Worte gebrauchen, und aus Zeitgründen die Rechnungen nur skizzieren. Wie schaffen wir es, zum wesentlichen Kern zu gelangen?


Gute Frage. Was ich mir von diesen Diskussionen hauptsächlich erhoffe, ist ein tieferes Verständnis der MWI. Ich glaube aber, daß es nicht an ausführlichen Rechnungen mangelt. Denn ich vermute, daß wir uns über den Formalismus der QM ja einig sind. Und was könnte eine Rechnung anderes verwenden als diesen formalen Kern der Theorie? Der Vollständigkeit halber nochmal was ich zu diesem formalen Kern zähle oder besser nicht zähle: jede Aussage, die Bezug auf "Messungen" und "Meßergebnisse" nimmt, also Bornsche Regel, Kollaps etc. gehört nicht dazu. Wahrscheinlichkeiten und Erwartungswerte gehören schon dazu, wenn man sie nicht als "Wahrscheinlichkeiten für Meßergebnisse" etc. interpretiert, sondern einfach nur feststellt, daß bestimmte Größen die Axiome von Wahrscheinlichkeitsverteilungen erfüllen.


Zuletzt bearbeitet von index_razor am 07. Feb 2021 13:34, insgesamt einmal bearbeitet
index_razor



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Beitrag index_razor Verfasst am: 07. Feb 2021 13:24    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
Der Punkt ist jedoch, dass die MWI heute viel mehr erklärt als jede andere Interpretation; das macht sie so interessant:
1) sie hat ein schlankeres Axiomensystem
2) sie erklärt mathematisch mittels Dekohärenz das, was wir als Kollaps „wahrnehmen“, obwohl kein tatsächlich Kollaps vorliegt; sie erklärt das, sie postuliert es nicht!
3) sie erklärt, warum es keinen Unterschied zwischen normaler Wechselwirkungen und Messung gibt; eine Messung ist lediglich eine Wechselwirkung mit einem speziellen makroskopischen Quantensystem - dem Messgerät - das sozusagen mikroskopische Strukturen „vergrößert“ und die Natur aufgrund der Dekohärenz klassisch erscheint, obwohl die Natur mikroskopisch quantenmechanisch ist - auch für Katzen.
4) sie ist auch dann anwendbar, wenn es aus prinzipiellen Gründen keinen externen Beobachter, keine Messung im o.g. Sinne und keinen damit verbundenen Kollaps geben kann, wenn man nämlich das Universum als Ganzes vollständig quantenmechanisch beschreiben möchte bzw. muss.


Welcher dieser Punkte trifft deiner Ansicht nach nicht auf die statistische Interpretation (ohne Kollaps) zu und warum nicht? Was erklärt die MWI, das die statistische Interpretation nicht erklärt?

Antworten auf dieselben Fragen würden mich auch in Bezug auf die "Thermal Interpretation" interessieren.
Laie001
Gast





Beitrag Laie001 Verfasst am: 07. Feb 2021 13:53    Titel: Antworten mit Zitat

Zitat:
Jetzt musst du dich entscheiden, ob du bei dieser instrumentalistischen Haltung bleiben willst, oder ob du eine realistische Position einnehmen möchtest, derzufolge eine vernünftige physikalische Theorie gewisse Aspekte der Realität zutreffend beschreibt, d.h. auch Vorgänge, die sich abspielen, ohne dass man sie beobachtet.

als Laie würde ich mich zunächst einfach nicht in die eine oder de andere Schublade stecken lassen wollen.
A-Bär:
Ich meine zu erkennen, dass die Physik derzeit nur eine Ansammlung loser Formelsammlungen ist, wo manche Formen auf manche Phänomene passen, auf andere nicht, und vice versa, (die QM kann das Weltall oder die RZ nicht erklären, die RT kennt keine Quanten, kein Standardmodell,...);
ich meine zu erkennen, dass die Physik die reale Welt derzeit nicht vollständig beschreiben kann (Singularitäten, Dunkle Materie, Dunkle Energie - das sind schon alleine mind. 75% des Universums, die unerklärt sind);
ich behaupte nach wie vor, dass es wurscht ist, ob jemand hinguckt, damit etwas passiert oder sich manifestiert;
ich gebe aber zu, dass die Physik auf der Basis ihrer Formelsammlungen irrwitzige Konstruktionen und Definitionen vornnehmen kann, damit ihre Annahmen und Vorhersagen zum einen oder anderen Hypothesengebilde passen - in diesem Falle wären es quasi isolierte bijektive Abbildungen aus dem Hypothesengeflecht in die Realität, die aber nicht die Realität SIND;
ich bin aber auch durchaus der Ansicht, dass die Physik eine konsistente modellhafte Theorie liefern sollte (nennen wir sie "theory of everything"), die auch die Realität erklärt und zutreffende Vorhersagen machen kann zum Leben, dem Universum, und dem ganzen Rest, auch wenn sie dann immer noch weder das Leben IST, noch das Universum, noch irgendwas vom ganzen Rest, sondern nicht viel mehr als die Formel für eine Sinusschwingung, die eine reale Pendelschwingung darstellt.
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Beitrag TomS Verfasst am: 07. Feb 2021 17:25    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
TomS hat Folgendes geschrieben:
Der Punkt ist jedoch, dass die MWI heute viel mehr erklärt als jede andere Interpretation; das macht sie so interessant:
1) sie hat ein schlankeres Axiomensystem
2) sie erklärt mathematisch mittels Dekohärenz das, was wir als Kollaps „wahrnehmen“, obwohl kein tatsächlich Kollaps vorliegt; sie erklärt das, sie postuliert es nicht!
3) sie erklärt, warum es keinen Unterschied zwischen normaler Wechselwirkungen und Messung gibt; eine Messung ist lediglich eine Wechselwirkung mit einem speziellen makroskopischen Quantensystem - dem Messgerät - das sozusagen mikroskopische Strukturen „vergrößert“ und die Natur aufgrund der Dekohärenz klassisch erscheint, obwohl die Natur mikroskopisch quantenmechanisch ist - auch für Katzen.
4) sie ist auch dann anwendbar, wenn es aus prinzipiellen Gründen keinen externen Beobachter, keine Messung im o.g. Sinne und keinen damit verbundenen Kollaps geben kann, wenn man nämlich das Universum als Ganzes vollständig quantenmechanisch beschreiben möchte bzw. muss.


Welcher dieser Punkte trifft deiner Ansicht nach nicht auf die statistische Interpretation (ohne Kollaps) zu und warum nicht? Was erklärt die MWI, das die statistische Interpretation nicht erklärt?

Antworten auf dieselben Fragen würden mich auch in Bezug auf die "Thermal Interpretation" interessieren.

Zu letzterer kann ich nichts Sinnvolles beitragen, da ich das bisher nur überflogen habe.

Die wesentlichen Unterschiede zwischen statistischer und Viele-Welten-Interpretation sind m.E. folgende:
1) Die statistische Interpretation ist nicht ontisch, d.h. sie sagt nichts drüber aus, was für ein einzelnes Quantensystem tatsächlich geschieht, sondern lediglich, welche Vorhersagen wie Wahrscheinlichkeiten oder Erwartungswerte für ein (hypothetisches) Ensemble gelten.
2) Die statistische Interpretation benötigt - wie andere “non-collaps-Interpretationen” auch - entgegen deren Behauptungen doch eine Art Projektionspostulat.

Warum?

Betrachte zwei aufeinanderfolgende Messungen mit möglichen Messwerten a,b sowie b,c. Der initiale Zustand sei



Für die erste Messung gilt



p(b) analog.

Für die zweite Messung gilt



p(d) analog.

Wenn in der ersten Messung a gemessen wurde, dann ist





jedoch nicht





Letzteres widerspricht den experimentellen Ergebnissen.

Die statistische Interpretation interpretiert dies nicht als Aussage bzgl. einzelner Quantenobjekte. Aber sie muss doch das Ensemble bzw. die Teilensembles zur Berechnung der zweiten Messung auf Basis der Ergebnisse der ersten Messung anpassen. Das erfordert m.E. ein zusätzliches Axiom.

Oder übersehe ich etwas?

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Beitrag TomS Verfasst am: 07. Feb 2021 17:55    Titel: Antworten mit Zitat

Laie001 hat Folgendes geschrieben:
Ich meine zu erkennen, dass die Physik derzeit nur eine Ansammlung loser Formelsammlungen ist, wo manche Formen auf manche Phänomene passen, auf andere nicht, und vice versa, (die QM kann das Weltall oder die RZ nicht erklären, die RT kennt keine Quanten, kein Standardmodell,...)

Das ist richtig.

Aber das muss ja nicht die Grundhaltung “Realismus vs. Instrumentalismus” tangieren. Man kann ja Realist sein, in dem Sinne, dass man zumindest eine Theorie anstrebt, die dem gerecht wird, auch wenn man sie heute noch nicht vorliegen hat.

Außerdem muss keine Theorie mit der Realität identisch sein (im Sinne Tegmarks) oder die Realität vollumfänglich zutreffend beschreiben. Es ist ja zunächst ausreichend, dass sie bestimmte Aspekte der Realität zutreffend beschreibt, und man mit besseren Theorien mehr Aspekte detaillierter erfassen kann.

Und deswegen stellt sich hier wieder die Frage nach der Grundhaltung “Realismus vs. Instrumentalismus”. Ein Instrumentalist erkennt zumindest im Rahmen der Quantenmechanik ausschließlich solche Aspekte an, die sich auf beobachtbare Phänomene beziehen. Konsequenterweise müsste er auch die gesicherte Existenz von Keplerbahnen oder der gesicherten Existenz der Rückseite des Mondes ablehnen - was absurd erscheint. Demzufolge erscheint es umgekehrt logisch, auch für die Quantenmechanik zumindest anzustreben, auch die realistische Beschreibung unbeobachtbarer Aspekte im Rahmen der Quantenmechanik zumindest anzustreben.

Laie001 hat Folgendes geschrieben:
Ich meine zu erkennen, dass die Physik die reale Welt derzeit nicht vollständig beschreiben kann (Singularitäten, Dunkle Materie, Dunkle Energie - das sind schon alleine mind. 75% des Universums, die unerklärt sind);
ich behaupte nach wie vor, dass es wurscht ist, ob jemand hinguckt, damit etwas passiert oder sich manifestiert

Ersteres kann natürlich ein Grund sein, zwar prinzipiell Realist sein zu wollen, sich dies zum gegenwärtigen Zeitpunkt aufgrund der von dir genannten Probleme noch nicht zuzutrauen.

Dennoch glauben wir ja selbstverständlich an die Existenz der Rückseite des Mondes auch ohne Beobachtung, obwohl wir die o.g. Rätsel noch nicht gelöst haben. D.h. wir trauen unseren Theorien schon zu, dass gewisse Aussagen über die Realität dennoch zutreffen.

Laie001 hat Folgendes geschrieben:
... sondern nicht viel mehr als die Formel für eine Sinusschwingung, die eine reale Pendelschwingung darstellt ...

... und zwar in weiten Bereichen zutreffend, auch ohne dass wir hinschauen.

Da ich dich nun dazu gebracht habe, Farbe zu bekennen, hier mal ganz kurz meine Position: ich denke, dass die Physik tatsächlich in der Lage ist, gewisse Aspekte der Realität zutreffend zu beschreiben. Konkret auf die Quantenmechanik bezogen erscheint es mir absurd, zu vermuten, dass eine Theorie, die oft nahezu perfekte Aussagen zu den beobachtbaren Phänomenen macht, die nicht-beobachtbaren oder nicht-beobachteten Prozesse nicht zumindest teilweise auch zutreffend beschreibt. Anders herum, ich halte es für absurd, einen konsequenten Instrumentalismus anzuwendenden, der schon das Nachdenken über die Realität und das Wesen unbeobachtbare Aspekte geradezu “ächtet”. Da diese Sichtweise aber jahrzehntelang geradezu ein Dogma war, entstanden erst vergleichsweise spät Ansätze, die über den reinen Instrumentalismus hinausgingen, insbs. de Broglie und Bohm sowie Everett. Ersteres halte ich aus diversen konzeptionellen Gründen für eine Sackgasse. Es bleibt also - die Many-Worlds-Interpretation bzw. die Everett-Quantum-Mechanics. Diese halte ich seit Jahrzehnten und auch aktuell für die einzige Theorie, die sich ernsthaft mit derartigen Themen befasst. Die Konsequenzen wären bizarr, aber die Alternative - nämlich nicht weiterzudenken - für indiskutabel. Ich möchte tatsächlich nicht ausschließen, dass sie zutrifft. Und deswegen möchte ich die Konsequenzen , die daraus erwachsen.

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Beitrag Laie001 Verfasst am: 07. Feb 2021 18:32    Titel: Antworten mit Zitat

Zitat:
Anders herum, ich halte es für absurd, einen konsequenten Instrumentalismus anzuwendenden, der schon das Nachdenken über die Realität und das Wesen unbeobachtbare Aspekte geradezu “ächtet”.

also hältst du auch die "Viele-Welten-Hypothese" für absurd?
TomS
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Beitrag TomS Verfasst am: 07. Feb 2021 18:44    Titel: Antworten mit Zitat

Äh, nein; warum? Siehe Ende meines Beitrags.

Das einzige, was absurd erscheint, ist die Schlussfolgerung der “Verzweigung der Realität”. Aber mittels welches Argumentes sollte ich das ausschließen können? Mir fällt keines ein. l

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Beitrag index_razor Verfasst am: 07. Feb 2021 18:53    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
TomS hat Folgendes geschrieben:
Der Punkt ist jedoch, dass die MWI heute viel mehr erklärt als jede andere Interpretation; das macht sie so interessant:
1) sie hat ein schlankeres Axiomensystem
2) sie erklärt mathematisch mittels Dekohärenz das, was wir als Kollaps „wahrnehmen“, obwohl kein tatsächlich Kollaps vorliegt; sie erklärt das, sie postuliert es nicht!
3) sie erklärt, warum es keinen Unterschied zwischen normaler Wechselwirkungen und Messung gibt; eine Messung ist lediglich eine Wechselwirkung mit einem speziellen makroskopischen Quantensystem - dem Messgerät - das sozusagen mikroskopische Strukturen „vergrößert“ und die Natur aufgrund der Dekohärenz klassisch erscheint, obwohl die Natur mikroskopisch quantenmechanisch ist - auch für Katzen.
4) sie ist auch dann anwendbar, wenn es aus prinzipiellen Gründen keinen externen Beobachter, keine Messung im o.g. Sinne und keinen damit verbundenen Kollaps geben kann, wenn man nämlich das Universum als Ganzes vollständig quantenmechanisch beschreiben möchte bzw. muss.


Welcher dieser Punkte trifft deiner Ansicht nach nicht auf die statistische Interpretation (ohne Kollaps) zu und warum nicht? Was erklärt die MWI, das die statistische Interpretation nicht erklärt?

Antworten auf dieselben Fragen würden mich auch in Bezug auf die "Thermal Interpretation" interessieren.

Zu letzterer kann ich nichts Sinnvolles beitragen, da ich das bisher nur überflogen habe.


Ok, ich wollte nur wissen wie genau deine Aussage über "jede andere Interpretation" zu deuten ist. ;-)

Zitat:

Die wesentlichen Unterschiede zwischen statistischer und Viele-Welten-Interpretation sind m.E. folgende:
1) Die statistische Interpretation ist nicht ontisch, d.h. sie sagt nichts drüber aus, was für ein einzelnes Quantensystem tatsächlich geschieht, sondern lediglich, welche Vorhersagen wie Wahrscheinlichkeiten oder Erwartungswerte für ein (hypothetisches) Ensemble gelten.


Das stimmt, heißt aber nicht, daß sie weniger erklärt als die MWI, zumindest nicht, in Bezug auf deine Punkte 1) - 4). Und die Ontik der MWI ist eher ein unbedeutender Unterschied. Das sieht man schon daran, daß die klassische statistische Thermodynamik auch über hypothetische Ensembles spricht, aber problemlos das Verhalten individueller Systeme erklärt. (Der wichtigere Unterschied ist m.E das Verhältnis beider Interpretationen zur Bornschen Regel. Aber in dieser Hinsicht erklärt die MWI anscheinend nicht "viel mehr".)

Zitat:

2) Die statistische Interpretation benötigt - wie andere “non-collaps-Interpretationen” auch - entgegen deren Behauptungen doch eine Art Projektionspostulat.

Warum?

Betrachte zwei aufeinanderfolgende Messungen mit möglichen Messwerten a,b sowie b,c. Der initiale Zustand sei



Für die erste Messung gilt



p(b) analog.

Für die zweite Messung gilt



p(d) analog.

Wenn in der ersten Messung a gemessen wurde, dann ist




Nein, das ist nicht notwendig. Aus folgendem Grund:

Zitat:




Laut statistischer Interpretation ist dies die Wahrscheinlichkeit dafür, daß c gemessen wird unter der Bedingung das |a> präpariert wurde. Dies ist aber nicht die in dieser Situation gesuchte Wahrscheinlichkeit, denn die erste Messung hat nicht |a> präpariert, sondern was immer die Schrödingergleichung vorhersagt.

Gesucht ist stattdessen die Wahrscheinlichkeit für c im zweiten Experiment unter der Bedingung, daß präpariert wurde und a das Ergebnis der ersten Messung war.

Diese Wahrscheinlichkeit ergibt laut statistischer Interpretation ganz automatisch , wenn -- paradoxerweise -- die erste Messung den Zustand nicht verändert hat. Und zwar ganz ohne Projektionspostulat.

Für Details siehe das Argument vor Gl. (16) in: Ballentine, L.E. Limitations of the projection postulate. Found Phys 20, 1329–1343 (1990)

In dem Artikel gibt es einige Beispiele für Situationen, in denen das Projektionpostulat zu falschen Vorhersagen führt. Es ist also als Axiom völlig untauglich.

(Natürlich kann man es trotzdem verwenden, wenn man weiß, daß die erste Messung gleichzeitig |a> präpariert hat (Filtermessung). Aber das kann nur näherungsweise der Fall sein, ist also eine Idealisierung und hat nicht den Status eines fundamentalen Axioms.)

Zitat:

Die statistische Interpretation interpretiert dies nicht als Aussage bzgl. einzelner Quantenobjekte. Aber sie muss doch das Ensemble bzw. die Teilensembles zur Berechnung der zweiten Messung auf Basis der Ergebnisse der ersten Messung anpassen. Das erfordert m.E. ein zusätzliches Axiom.

Oder übersehe ich etwas?


Du übersiehst, wie die statistische Interpretation mit bedingten Wahrscheinlichkeiten rechnet. Neben dem obigen Artikel findet sich dazu auch eine m.E. ziemlich aufschlußreiche Diskussion in Ballentines Lehrbuch.


Zuletzt bearbeitet von index_razor am 07. Feb 2021 18:59, insgesamt einmal bearbeitet
Laie001
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Beitrag Laie001 Verfasst am: 07. Feb 2021 18:58    Titel: Antworten mit Zitat

ich meinte mit "absurd": absurd, ihr eine Entsprechung in der Realität zuzuordnen.
In der Physik kann natürlich jeder alles mögliche konstruieren oder definieren, dann existiert es in irgendwelchen Formeln und Räumen, aber mit der Realität hat es absolut nichts zu tun, es sind nur auch wenn ihre Rechenergebsse und Vorhersagen mal hier, mal dort, ihre Entsprechung in Ergebnissen in der Realität haben mögen, sodass man hier Isomorphismen spendieren kann, in einem eng umschriebenen Rahmen.
Dass sich aber irgendwas "aufzweigt" oder sich in "Parallelwelten" manifestiert oder solange in einer "Superposition" bleibt, solange keiner hinschaut, aber dann "kollabiert", wenn es einer tut - das sind IMO nur mathematische oder philosophische oder interpretative Modelle in der Mathematik-Modell-Welt, und kommt in der Realität eben tatsächlich alles nicht so vor: in diesem Sinne halte ich all das in der Realität für absurd..
TomS
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Beitrag TomS Verfasst am: 07. Feb 2021 19:03    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Ok, ich wollte nur wissen wie genau deine Aussage über "jede andere Interpretation" zu deuten ist. ;-)

Erwischt.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Und die Ontik der MWI ist eher ein unbedeutender Unterschied. Das sieht man schon daran, daß die klassische statistische Thermodynamik auch über hypothetische Ensembles spricht, aber problemlos das Verhalten individueller Systeme erklärt.

Nun, die MWI behauptet, auf Einzelsysteme anwendbar zu sein und immer ohne Ausnahme der unitären Dynamik gehorcht.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
... Verhältnis beider Interpretationen zur Bornschen Regel. Aber in dieser Hinsicht erklärt die MWI anscheinend nicht "viel mehr".

Du hast insofern Recht, als über die Rolle der Bornschen Regel in der MWI noch keine Einigkeit erzielt werden konnte.


index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
2) Die statistische Interpretation benötigt - wie andere “non-collaps-Interpretationen” auch - entgegen deren Behauptungen doch eine Art Projektionspostulat.


...

Nein, das ist nicht notwendig. Aus folgenden Grund:

Laut statistischer Interpretation ist dies die Wahrscheinlichkeit dafür, daß c gemessen wird unter der Bedingung das |a> präpariert wurde. Dies ist aber nicht die in dieser Situation gesuchte Wahrscheinlichkeit, denn die erste Messung hat nicht |a> präpariert, sondern was immer die Schrödingergleichung vorhersagt.

Gesucht ist stattdessen die Wahrscheinlichkeit für c im zweiten Experiment unter der Bedingung, daß präpariert wurde und a das Ergebnis der ersten Messung war.

Da hast du recht.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Diese Wahrscheinlichkeit ergibt laut statistischer Interpretation ganz automatisch , wenn -- paradoxerweise -- die erste Messung den Zustand nicht verändert hat. Und zwar ganz ohne Projektionspostulat.

Für Details siehe das Argument vor Gl. (16) in: Ballentine, L.E. Limitations of the projection postulate. Found Phys 20, 1329–1343 (1990)

In dem Artikel gibt es einige Beispiele für Situationen, in denen das Projektionpostulat zu falschen Vorhersagen führt. Es ist also als Axiom völlig untauglich.

Sehr interessant!

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Beitrag TomS Verfasst am: 07. Feb 2021 19:13    Titel: Antworten mit Zitat

Laie001 hat Folgendes geschrieben:
ich meinte mit "absurd": absurd, ihr eine Entsprechung in der Realität zuzuordnen.
In der Physik kann natürlich jeder alles mögliche konstruieren oder definieren, dann existiert es in irgendwelchen Formeln und Räumen, aber mit der Realität hat es absolut nichts zu tun, es sind nur auch wenn ihre Rechenergebsse und Vorhersagen mal hier, mal dort, ihre Entsprechung in Ergebnissen in der Realität haben mögen, sodass man hier Isomorphismen spendieren kann, in einem eng umschriebenen Rahmen.
Dass sich aber irgendwas "aufzweigt" oder sich in "Parallelwelten" manifestiert oder solange in einer "Superposition" bleibt, solange keiner hinschaut, aber dann "kollabiert", wenn es einer tut - das sind IMO nur mathematische oder philosophische oder interpretative Modelle in der Mathematik-Modell-Welt, und kommt in der Realität eben tatsächlich alles nicht so vor: in diesem Sinne halte ich all das in der Realität für absurd..

Also ist



in der Newtonschen Mechanik für völlig ok, weil daraus die Keplerellipsen folgen, jedoch



für absurd, weil es in der Quantenmechanik zu vielen Welten führt? Oder hältst du beides für absurd?

Ich verstehe nicht, wie du zur Auffassung gelangst, “... kommt in der Realität eben tatsächlich alles nicht vor”. Warum kommt das eine vor und das andere nicht? Wo ziehst du die Grenze? Was ist dein Kriterium, warum das eine absurd ist und das andere nicht?

Der Punkt ist nicht, dass die Konsequenzen absurd anmuten; da sind wir uns einig. Ich sehe nur nicht, dass du ein gutes Argument hättest, diese absurden Schlussfolgerungen auszuschließen - außer dass du sie für absurd hältst ;-)

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Beitrag index_razor Verfasst am: 07. Feb 2021 19:20    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Und die Ontik der MWI ist eher ein unbedeutender Unterschied. Das sieht man schon daran, daß die klassische statistische Thermodynamik auch über hypothetische Ensembles spricht, aber problemlos das Verhalten individueller Systeme erklärt.

Nun, die MWI behauptet, auf Einzelsysteme anwendbar zu sein und immer ohne Ausnahme der unitären Dynamik gehorcht.


Klar, ich halte das auch für einen, sagen wir, philosophisch relevanten Unterschied zwischen den beiden Interpretationen. Ich wollte nur darauf hinaus, daß die MWI m.E. trotz dieser Grundannahme nicht mehr erklärt. Ein Unterschied zwischen statistischer Interpretation und klassischer statistischer Thermodynamik ist zwar, daß man sich innerhalb der Thermodynamik vorstellen kann, ein individuelles System sei zu jedem Zeitpunkt in einem wohldefinierten Mikrozustand. Dies kann man in der Statistischen Interpretation nicht. Trotzdem spielt diese Vorstellung auch klassisch niemals irgendeine Rolle in Erklärungen.
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Beitrag Laie001 Verfasst am: 07. Feb 2021 19:23    Titel: Antworten mit Zitat

die Kepplerellipsen sind nur mathematische Formeln, aber man kann ihre Genauigkeit prüfen, indem man die Bahnen von Himmelskörpern vermisst - und feststellt, sie stimmen meist mehr der weniger genau.
Bessere Vorhersagen kann man vlt mit der RT treffen, in der Nähe großer Massen, auch das ist nachprüfbar.

Das ist das Prinzip der Naturwissenschften: die Vrifizierung von Hypothesen.

Wer aber behautet, es existierten in der Realität viele Parallelwelten, der muss sich fragen lassen, wie diese mutige Behauptung zu beweisen ist.
Wenn mir also jemand in der Realität eine Parallelwelt zeigt, die nicht nur in mathematischen Formelsimulationen existiert, glaube ich es: die Beweislast liegt beim Physiker.
Ist die These aber nicht beweisbar oder überprüfbar, ist es keine Naturwissenschaft, sondern Esoterik.
index_razor



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Beitrag index_razor Verfasst am: 07. Feb 2021 19:24    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:

Also ist



in der Newtonschen Mechanik für völlig ok, weil daraus die Keplerellipsen folgen, jedoch



für absurd, weil es in der Quantenmechanik zu vielen Welten führt?


Nicht so schnell. Die Heisenbergschen Bewegungsgleichungen führen noch nicht auf viele Welten. Selbst dann nicht, wenn man eine realistische Grundhaltung hat und die QM auf Einzelsysteme anwenden will.
TomS
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Beitrag TomS Verfasst am: 07. Feb 2021 20:29    Titel: Antworten mit Zitat

Doch, in gewisser Weise schon. Aber es geht letztlich nur darum, rauszufinden, wo Laie001 die Grenze zieht zwischen akzeptabel und absurd.
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Beitrag Laie001 Verfasst am: 07. Feb 2021 21:19    Titel: Antworten mit Zitat

habe ich doch jetzt schon deutlich gemacht, oder nicht?
TomS
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Beitrag TomS Verfasst am: 07. Feb 2021 21:46    Titel: Antworten mit Zitat

Laie001 hat Folgendes geschrieben:
Das ist das Prinzip der Naturwissenschaften: die Verifizierung von Hypothesen.

Stimmt. Und nicht zu vergessen die die Falsifizierung.

Laie001 hat Folgendes geschrieben:
Wer aber behautet, es existierten in der Realität viele Parallelwelten, der muss sich fragen lassen, wie diese mutige Behauptung zu beweisen ist.

In der Physik gibt es keine Beweise. Es gibt direkte oder indirekte Belege, ob eine Hypothese zutrifft, und es mag Belege geben, die direkt oder indirekt gegen eine Hypothese sprechen.

Ersteres haben wir z.B. bei Quarks und Gluonen, Neutrinos, Gravitationswellen ...

Im Falle der Superpositionen gibt es keine Belege, die gegen diese Vorhersage der Theorie sprechen, es gibt jedoch eine Fülle indirekter Indizien, die für diese Hypothese sprechen: insofern es technisch möglich ist die Bedingungen (tiefe Temperaturen, Ultrahochvakuum, Isolation von der Umwelt) für kohärente Superpositionen zu erzeugen, lassen sich Effekte nachweisen, die auf Basis dieser Superpositionen berechnet werden können.

Das ist auch nicht indirekter als z.B. für Gravitationswellen oder Neutrinos.

Laie001 hat Folgendes geschrieben:
Wenn mir also jemand in der Realität eine Parallelwelt zeigt, die nicht nur in mathematischen Formelsimulationen existiert, glaube ich es: die Beweislast liegt beim Physiker.

Dann dürftest du fast nichts von dem glauben, über was die Physik seit Jahrzehnten redet; bedeutet im einfachsten Fall, du nimmst eine instrumentalistische Haltung ein (mnir scheint das eh' deine Position zu sein, und daran ist auch nichts Verwerfliches)

Laie001 hat Folgendes geschrieben:
Ist die These aber nicht ... überprüfbar, ist es keine Naturwissenschaft, sondern Esoterik.

Wenn dem so wäre, ja. Die Hypothese ist aber - wenn auch nicht auf makroskopischen Skalen - in etwa genauso gut überprüfbar wie die Hypothese der Existenz eine Neutrinofeldes.

https://en.wikipedia.org/wiki/Quantum_superposition#Experiments_and_applications

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Beitrag TomS Verfasst am: 07. Feb 2021 22:39    Titel: Antworten mit Zitat

index_razor - zu deinem früheren Beitrag komme ich leider erst jetzt.


Die Struktur des Zustandsvektors ist eindeutig und objektiv; das coarse-graining zur „Identifizierung der Zweigstruktur“ ist es m.E. nicht (so habe ich Wallace verstanden). Die Struktur des Zustandsvektors existiert, aber in wie weit man dies als Zweige auffasst, ist m.E. auch subjektiv. Warum zum Beispiel spurt man „die Umgebung“ aus? Weil man sich dafür entscheidet, dass sie irrelevant da subjektiv nicht beobachtbar ist.

Beim Doppelspalt beschreibe ich drei verschiedene Messungen, wobei jedoch die Umgebungsbedingungen für die Dekohärenz identisch sind. Damit wollte ich etwas anderes zeigen, nämlich dass es sehr wohl relevant ist, das Messgerät im Detail zu beschreiben; die skizzenhafte Behandlung nach von Neumann ist nicht ausreichend. Machen wir es noch einfacher: zwei SQUIDs sollen den magnetischen Fluss messen, der durch ein Elektron an einem Doppelspalt erzeugt wird. Ob der SQUID als „welcher-Weg-Messgerät“ agiert oder nicht, hängt ausschließlich vom Betriebsstrom ab. D.h. dass auch die resultierende Zweigstruktur davon abhängt.

Ansonsten hast du bei denen Einwänden sicher einen Punkt. Ich habe auch den Eindruck, dass dieses „und den Rest erledigt die Dekohärenz“ evtl. etwas zu optimistisch ist.


Und verstehst du Wallace wirklich so, dass ein reiner Zustand keine Zweige enthält?? Wallace geht aus von einer unitären Zeitentwicklung; der Zustand ist bleibt immer rein. Dass ein Gemisch auftritt ist ein Effekt des Ausspuren. Die Dekohärenz sagt ja nicht, dass wir ausspuren müssen. Sie sagt lediglich, dass unter bestimmten Bedingungen eine Basis ausgezeichnet wird und wir – wenn wir ausspuren – eine Zweigstruktur bzgl. der ausgezeichneten Basis in der reduzierten Dichtematrix finden; womit wir wieder der obigen Diskussion zur subjektiven Sicht auf die Struktur des Zustandsvektors sind.

(Soweit ich mich erinnere spricht Wallace spricht manchmal von Frosch- und manchmal von Vogelperspektive: wenn ich der Frosch bin, also in einem Zweig, dann spure ich aus und erhalte als Ergebnis etwas, das meine Wahrnehmung beschreibt; wenn ich dagegen ein gottgleiches Wesen mit vollständiger Kontrolle über alle Freiheitsgrade bin, dann muss ich nicht ausspuren).


Zu deiner Argumentation für die Notwendigkeit der Dekohärenz zur Begründung der Realität der Zweige. Ich stimme zu, Dekohärenz erfordert eine stochastische Modellierung des Umgebungseinflusses, d.h. ohne Umgebung erfolgt keine Dekohärenz, und damit entstehen auch keine Zweige. Was ich nicht ganz verstehe ist deine Aussage, die Zweigstruktur des Teilsystems (ohne Umgebung) sei keine objektive Eigenschaft des Gesamtsystems (mit Umgebung), und damit auch keine objektive Eigenschaft des Teilsystems. Ich denke, das führt wieder auf meine o.g. in Teilen subjektive Sichtweise zurück. Aber evtl. missverstehe ich dich.

Zuletzt: auch wenn du dir ein tieferes Verständnis der MWI erwartest, dann kannst du hier dennoch nur mit meinem Verständnis der MWI rechnen; ob das ausreicht?

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Beitrag Brillant Verfasst am: 07. Feb 2021 23:02    Titel: Antworten mit Zitat

Laie001 hat Folgendes geschrieben:
Oder, makroskopisch: einer erkennt die Katze als tot, der andere als lebendig?
Medizinisch durchaus möglich: Der eine stellt den Hirntod fest und möchte Organe entnehmen, der andere sieht den Herztod, zu spät für Organspende.

Insofern kann die Katze gleichzeitig tot und lebendig sein, zwei (medizinische) Beobachter **am selbem Ort** würden unterschiedliche „Wahrheiten“ beurkunden. Weil die Begriffe „tot“ und „lebendig“ interpretierbar sind.

Aber nehmen wir ein Bit, eine Dateneinheit, die genau 0 oder 1 sein kann, nichts dazwischen und nicht gleichzeitig beides. Wenn nichts über das Bit bekannt ist, bedeutet das in der Datenverarbeitung NULL = unbekannt. Aber auf keinen Fall gleichzeitig 0 und 1.

Also ist der Zustand der Katze im verschlossenen Kasten unbekannt, aber nicht tot und gleichzeitig lebendig.

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Glaubt nicht dem Hörensagen ... oder eingewurzelten Anschauungen, auch nicht den Worten eines verehrten Meisters; sondern was ihr selbst gründlich geprüft und als euch selbst und anderen zum Wohle dienend erkannt habt, das nehmt an. Siddhartha Gautama
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