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Brachistochrone vs Kettenlinie
 
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Knorke9000
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Beitrag Knorke9000 Verfasst am: 23. Nov 2018 18:28    Titel: Brachistochrone vs Kettenlinie Antworten mit Zitat

Hallo Leute,

ich beschäftige mich ein bisschen mit Variationsrechnung und kriege einen relativ einfachen Widerspruch nicht so richtig gelöst:

Die Kettenlinie oder Katenoide ergibt sich aus der Minimierung der potentiellen Energie eines homogenen Seils. Soweit so gut, ich kann der Herleitung auf Wikipedia folgen. Nun ging mir folgende Argumentation durch den Kopf: angenommen diese Katenoide sei eine Bahn für eine kleine Kugel. Die Gesamtenergie der Kugel bleibt erhalten, also ist die Bahn, die die potentielle Energie minimiert auch die Bahn, die die kinetische Energie maximiert und die deshalb auch die Bahn der kürzesten Zeit (Brachistochrone) sein sollte, verglichen mit allen anderen Bahnen mit gleichem Anfangs- und Endpunkt. Bei der Herleitung der Brachistochrone wird direkt die Laufzeit minimiert und ich kann nicht wirklich sagen, ob sich ein Widerspruch zu dieser Aussage ergibt. Aber die Brachistochrone ist bekanntlich eine Zykloide und keine Katenoide.
Ist es falsch, von der potentiellen Energie des gesamten Seils auf die potentielle Energie einer Kugel auf einer Bahn zu schließen?
Ich freue mich auf eure Hilfe.
Knorke9000
Gast





Beitrag Knorke9000 Verfasst am: 23. Nov 2018 18:53    Titel: Antworten mit Zitat

Bei der Brachistochrone werden ja nur zwei Punkte vorgegeben, bei der Kettenlinie wird zusätzlich eine Länge festgelegt. Ist das der springende Punkt?
TomS
Moderator


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Beiträge: 18121

Beitrag TomS Verfasst am: 24. Nov 2018 10:54    Titel: Re: Brachistochrone vs Kettenlinie Antworten mit Zitat

Knorke9000 hat Folgendes geschrieben:
Ist es falsch, von der potentiellen Energie des gesamten Seils auf die potentielle Energie einer Kugel auf einer Bahn zu schließen?

Äh, ja, natürlich.

Die zu Beginn potentielle und damit Gesamtenergie der Kugel hängt ausschließlich von der Höhe des Startpunktes, nicht von der Form der Bahn ab. Die Zeit, die die Kugel zum Durchlaufen benötigt hängt dagegen bei gleicher potentieller Energie von der Form ab.

Und die Form einer die eigene Gesamtenergie minimierenden Kurve (des Seils) hat wiederum nichts damit zu tun, ob und wie eine Kugel diese Bahn zurücklegt.

Du hast aber recht, ein weiterer prinzipieller Unterschied ist, dass einem Fall die Länge festgehalten, im anderen Fall variabel gehalten wird. Man könnte das modifizierte Problem des festen Start- und Endpunktes bei gleichzeitig fest vorgegebener Länge untersuchen. Das schließt genau dann auf die Kettenlinie ein, wenn Start- und Endpunkt auf einer solchen liegen, was jedoch i.A. nicht der Fall ist.

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Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
TomS
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Beitrag TomS Verfasst am: 24. Nov 2018 11:19    Titel: Antworten mit Zitat

Man betrachtet ja formal für die Brachistochrone



d.h. die Kurve C, die die entlang C benötigte Zeit T[C] minimiert.


Für die Katenoide betrachtet man



d.h. die Kurve C, die die potentielle Energie U[C] einer entlang C homogenen Masseverteilung minimiert.

Dabei berücksichtigt man außerdem die Nebenbedingung fester Länge l_0, d.h.



bzw. mit Lagrangemultiplikator lambda






Man könnte nun das Problem der Brachistochrone derart modifizieren, dass zusätzlich die Länge der Kurve festgehalten wird, d.h.






Du siehst jedoch, dass dies drei verschiedene Variationsprobleme sind.

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TomS
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Beitrag TomS Verfasst am: 24. Nov 2018 14:21    Titel: Antworten mit Zitat

Etwas einfacher wird es, wenn man für die Katenoide auf die Forderung fester Länge verzichtet. Man erhält dann ein Schar von Lösungen, abhängig von der Anfangsbedingung für y‘(0), mit der Länge als variable Größe, die zu jeder Lösung berechnet werden kann.

Der Witz ist, dass man bei geeigneter Vorzeichenwahl beide Probleme zusammenfassen kann:



mit k = -1/2 für die Brachistochrone sowie k = 1 für die Katenoide. Außerdem erhält man für k = 0 die Geradengleichung.

Das Variationsproblem wird üblicherweise mittels der Euler-Lagrange-Gleichungen gelöst. Im vorliegenden Fall ist S[C] jedoch x-unabhängig, daher gilt ein Erhaltungssatz für die „Energie“ E und somit eine DGL erster Ordnung. Man erhält



Wiederum erkennt man, dass je k unterschiedliche Lösungsscharen mit Scharparameter E folgen.

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Knorke9000
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Beitrag Knorke9000 Verfasst am: 24. Nov 2018 17:16    Titel: Re: Brachistochrone vs Kettenlinie Antworten mit Zitat

Erstmal vielen Dank für deine Antworten.
TomS hat Folgendes geschrieben:

Und die Form einer die eigene Gesamtenergie minimierenden Kurve (des Seils) hat wiederum nichts damit zu tun, ob und wie eine Kugel diese Bahn zurücklegt.


Wenn du das sagst, glaub ich dir das auch. Aber vielleicht kannst du meiner Intuition hier ein bisschen auf die Sprünge helfen, damit ich in Zukunft nicht auf solche Ideen komme. Gehen wir jetzt mal davon aus, dass die Randbedingungen für Katenoide und Brachistochrone (einschließlich der Länge gleich) sind.

Fall Brachistochrone: Die Überlegung, dass die (Bahn)kurve, die die potentielle Energie der bewegten Masse (für das gesamte Zeitintervall) minimiert auch die Kurve ist, die die geringste Zeit benötigt, ist doch erstmal nicht falsch oder? Denn gäbe es eine Bahn, auf der die bewegte Masse im gesamten Zeitintervall eine größere potentielle Energie hätte, wäre die kinetische Energie und damit die Geschwindigkeit in diesem Zeitintervall geringer.
Ließe sich allein aus dieser Überlegung ein Variationsproblem aufstellen, dass die Brachistochrone liefert?

Falls ja, dann liegt ja eine Gemeinsamkeit mit dem Kettenproblem vor: In beiden Problemen wird eine potentielle Energie minimiert. In einem Fall ist die potentielle Energie auch die Gesamtenergie, in dem anderen Fall ist es die Differenz aus Gesamtenergie und kinetischer Energie, was dem Variationsproblem ja egal sein kann.

TomS hat Folgendes geschrieben:
Man könnte das modifizierte Problem des festen Start- und Endpunktes bei gleichzeitig fest vorgegebener Länge untersuchen. Das schließt genau dann auf die Kettenlinie ein, wenn Start- und Endpunkt auf einer solchen liegen, was jedoch i.A. nicht der Fall ist.


Verstehe ich dich hier richtig, dass im Falle gleicher Anfangsbedingungen (also einschl. Kurvenlänge), beide Probleme auf die Katenoide führen?

TomS hat Folgendes geschrieben:
Du siehst jedoch, dass dies drei verschiedene Variationsprobleme sind.

Ja, aber zwei davon führen im o.g. Fall auf die Katenoide?

Deinem letzten Beitrag konnte ich nicht mehr so richtig folgen. Was ist S und warum wird y^k integriert? Warum liefert k = - 1/2 eine Brachistochrone? Tschuldigung wenn das eine blöde Frage ist.
TomS
Moderator


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Beitrag TomS Verfasst am: 24. Nov 2018 17:45    Titel: Antworten mit Zitat

Fangen wir von hinten an:

Die DGLs folgen aus einem Variationsproblem. Schaut man sich das an, so erkennt man, dass die Integranden des Funktionals eine ähnliche Form haben und sich nur in der Potenz von y unterscheiden.

S[C] ist das zu minimierende Funktional. Es führt einmal auf das T[C] für die Brachistochrone, einmal auf U[C] für die Katenoide, und einmal auf L[C] für die Länge der Kurve - je nach Wahl von k.

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TomS
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Beitrag TomS Verfasst am: 24. Nov 2018 22:17    Titel: Re: Brachistochrone vs Kettenlinie Antworten mit Zitat

Knorke9000 hat Folgendes geschrieben:
Fall Brachistochrone: Die Überlegung, dass die (Bahn)kurve, die die potentielle Energie der bewegten Masse (für das gesamte Zeitintervall) minimiert auch die Kurve ist, die die geringste Zeit benötigt, ist doch erstmal nicht falsch oder?

Was meinst du mit „die potentielle Energie der bewegten Masse für das gesamte Zeitintervall“?

Nochmal langsam:


Eine Katenoide ist die Kurve C, die die - entlang C integrierte - potentielle Energie U[C] minimiert, d.h. man betrachtet



wobei die Wurzel aus dem Wechsel der Integration von ds nach dx stammt, und das mgy gerade dem Potential entspricht.


Eine Brachistochrone ist die Kurve C, die die Gesamtzeit T[C] entlang C minimiert. Das ist doch etwas völlig anderes.

Man gelangt zu T[C] gemäß



Das erste Integral ist einfach eine Integraldarstellung für T; dann folgt eine Variablensubstitution zu ds, wodurch das v(s) im Nenner auftritt; für v(s) gilt jedoch gemäß Energieerhaltung





Legt man den Startpunkt mit v=0 auf y=0, so ist E=0, d.h.



Letztlich erhält man daraus dann die Wurzel aus -y im Nenner - siehe Wikipedia.


Dich interessiert jedoch der Bezug zur potentiellen Energie. Dabei ist





D.h. bis auf Konstanten folgt




Diese Kurve minimiert also keineswegs die integrierte potentielle Energie U[C] mit einem Integranden V(s), sondern eben die Zeit T[C] mit dem Integranden



Insofern ist deine

Knorke9000 hat Folgendes geschrieben:
Überlegung, dass die (Bahn)kurve, die die potentielle Energie der bewegten Masse (für das gesamte Zeitintervall) minimiert auch die Kurve ist, die die Zeit [minimiert]

nicht ganz richtig. Man muss die o.g. Berechnung explizit durchführen um den Integranden zu bestimmen.

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