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Bedeutung des Begriffs Gleichgewicht in der Thermodynamik
 
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GenosseVogel



Anmeldungsdatum: 08.11.2014
Beiträge: 3

Beitrag GenosseVogel Verfasst am: 08. Nov 2014 09:13    Titel: Bedeutung des Begriffs Gleichgewicht in der Thermodynamik Antworten mit Zitat

Hallo zusammen,

gerne hätte ich den Titel noch ergänzt um etwas wie "Anwendbarkeit thermodynamischer Konzepte und makroskopischer Zustandsgrößen". Wie man schon merkt habe ich keine konkrete Frage, sondern eher eine Art allgemeines Unbehagen mit einigen Aspekten der Thermodynamik, die mir bis heute nicht ganz klar sind. Ich hoffe, dass mir hier vielleicht der eine oder andere weiterhelfen kann.
Zunächst zu mir: Ich bin Chemiestudent im 9. Semester. Meine erste Vorlesung zur (phänomenologischen) Thermodynamik besuchte ich vor 3,5 Jahren, es folgten zwei weitere Vorlesungen in denen es eher um statistische Thermodynamik ging. Zur Zeit spezialisiere ich mich in Theoretischer Chemie und hier begegnet mir die Thermodynamik erneut. Das ist auch der Grund, warum ich mich tiefer damit auseinandersetzen will.

Hier nun zu meinen unverstandenen Problemen, die meiner Ansicht nach alle ihren Knackpunkt in einem ähnlichen Sachverhalt haben:

- Die Thermodynamik beschäftigt sich mit Systemen im thermodynamischen Gleichgewicht. Aber wie ist dieses Gleichgewicht genau definiert und wie stellt man für ein gegebenes System die Anwendbarkeit thermodynamischer Prinzipien fest? Beispiel: Ein Stück Papier an Luft befindet sich definitiv nicht im thermodynamischen Gleichgewicht, ist aber kinetisch so stark gehemmt, dass es für uns "wie im Gleichgewicht aussieht". Man kann auch ohne Weiteres thermodynamische Zustandsgrößen für dieses System bestimmen. Hier vielleicht noch ein Zitat aus Gerd Wedlers "Physikalische Chemie": "[...] bezeichnen wir ein System als im stabilen Gleichgewicht befindlich, wenn es nur durch Einwirkung von außen diesen Zustand verlassen kann, aber nach dem Aufheben der Einwirkung von selbst in diesen Zustand zurückkehrt."

- Man kann das System auch statistisch-mechanisch beschreiben. Hier werden aber üblicherweise (um zum obigen Beispiel zurückzukommen) z.B. nur die Freiheitsgrade der Translation, Rotation und Vibration von Luft und Papier berücksichtigt. Dass das Gesamtsystem aber auch in einem völlig anderen Zustand vorliegen kann (z.B. als CO2 und verbrannte Reste) wird hier nicht berücksichtigt. Wodurch ist dieses Vorgehen gerechtfertigt?

- Im Kontext von free energy calculations berechnet man freie Enthalpien entlang der Reaktionskoordinate einer chemischen Reaktion (siehe z.B. Kapitel 4 "Thermodynamic Integration Using Constrained and Unconstrained Dynamics" im Monograph "Free energy calculations" von Christophe Chipot und Andrew Pohorille). Wie können für solche (mikroskopischen) Zustände überhaupt (makroskopische) Zustandsgrößen wie eine freie Enthalpie sinnvoll definiert werden? Oder um es überspitzt auszudrücken: Ich habe noch nie einen Liter "Übergangszustand" einer chemischen Reaktion in der Hand gehabt.

Ich würde mich freuen, wenn eine angeregte Diskussion entsteht. Antwortet bitte auch dann, wenn ihr glaubt, nur zu einem Teilaspekt etwas beitragen zu können.

Mit besten Grüßen,
Lucas
franz



Anmeldungsdatum: 04.04.2009
Beiträge: 11583

Beitrag franz Verfasst am: 08. Nov 2014 09:43    Titel: Re: Bedeutung des Begriffs Gleichgewicht in der Thermodynami Antworten mit Zitat

GenosseVogel hat Folgendes geschrieben:

- Die Thermodynamik beschäftigt sich mit Systemen im thermodynamischen Gleichgewicht.

Nicht nur, beispielsweise bei der Wärmeleitung oder vielen anderen Nichtgleichgewichtszuständen, und ansonsten halte ich das Blättern in den Einführungskapiteln entsprechender Lehrbücher für sinnvoll, beispielsweise Kluge / Neugebauer, Grundlagen der Thermodynamik. mfG
GenosseVogel



Anmeldungsdatum: 08.11.2014
Beiträge: 3

Beitrag GenosseVogel Verfasst am: 08. Nov 2014 10:03    Titel: Antworten mit Zitat

@ franz:

Dass es auch etwas wie "Nichtgleichgewichtsthermodynamik" gibt ist mir durchaus bewusst (vor einiger Zeit habe ich mich mit dem Buch von Robert Zwanzig beschäftigt). Mir ist nur der Zusammenhang zwischen der Nichtgleichgewichtsthermodynamik und der Gleichgewichtsthermodynamik (auf die ich mich in meiner Frage eigentlich bezogen habe, sorry für die Ungenauigkeit in der Formulierung!) alles andere als klar (falls es überhaupt einen tieferen Zusammenhang gibt). In dem Buch von Zwanzig werden Zustandsgrößen wie Enthalpie, freier Energie, Entropie, etc. fast überhaupt nicht diskutiert.

Zu deiner Empfehlung: Das Wälzen von Standardlehrbüchern hat mich in meinen Fragen nicht besonders weitergebracht. Könntest du mir eine konkrete Stelle in dem von dir vorgeschlagenen Buch nennen, die einen Teil meiner Probleme anspricht?

Viele Grüße,
Lucas
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18185

Beitrag TomS Verfasst am: 08. Nov 2014 10:24    Titel: Antworten mit Zitat

Die Gleichgewichtsthermodynamik beschäftigt sich mit Gleichgewichtszuständen sowie der adiabatischen Abfolge von Gleichgewichtszuständen.

Die formale, allgemeine Definition basiert auf einer differenzierbaren Mannigfaltigkeit, wobei die Zustandsgrößen (T, p, ...) die "Koordinaten" darstellen. Ein thermodynamischer Zustand eines Systems entspricht einem Punkt, ein (adiabatischer) Prozess des Systems entspricht einer Kurve auf der Mannigfaltigkeit.

Die Geometrie der Mannigfaltigkeit wird durch Zustandsgleichungen beschrieben, die den systemspezifischen (!) Zusammenhang zwischen Zustandsgrößen beschreiben.

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Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
GenosseVogel



Anmeldungsdatum: 08.11.2014
Beiträge: 3

Beitrag GenosseVogel Verfasst am: 08. Nov 2014 16:12    Titel: Antworten mit Zitat

@Tom:

Danke für deine Antwort. Von der Beschreibung der Thermodynamik im Differentialformenkalkül habe ich schon gehört (ich habe einmal das entsprechende Kapitel in "A Course in Modern Mathematical Physics" von Peter Szekeres überflogen) und das steht bereits auf meiner Liste der Dinge, die ich irgendwann einmal lernen möchte Augenzwinkern
Allerdings handelt es sich dabei ja nur um eine formale Beschreibung der Thermodynamik und mit dem Formalismus der Thermodynamik an sich habe ich keine Probleme. Mir geht es eher darum, unter welchen Kriterien man reale Systeme (z.B. Papier/Luft, reagierendes Molekül --> s.o.) mit Hilfe der Gleichgewichtsthermodynamik beschreiben kann und wie man thermodynamische Größen in diesen Fällen interpretieren kann.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18185

Beitrag TomS Verfasst am: 08. Nov 2014 16:27    Titel: Antworten mit Zitat

Nun, letztlich müssen dazu zeitliche Änderungsraten "klein", eine Änderung also adiabatisch sein. Zudem sollten Gradienten und Fluktuationen "klein" sein (sonst ist es ja nicht sinnvoll, dem Gesamtsystem eine einzige Temperatur zuzuordnen).
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