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No-Cloning-Theorem
 
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der H@ns
Gast





Beitrag der H@ns Verfasst am: 13. März 2024 09:00    Titel: No-Cloning-Theorem Antworten mit Zitat

Meine Frage:
Hallo,
angestoßen von dem KI Thema hätte ich mal eine Frage.
Und zwar besagt das No Cloning Theorem ja, dass man einen Quantenzustand nicht kopieren kann, ohne den ursprünglichen Zustand zu verändern/zerstören.

Nun gibt es auch das No Deleting Theorem, welches anscheinend sagt, dass man eine Kopie eines Quantenzustands nicht einfach löschen könnte.
Aber wie passt das zusammen?

Meine Ideen:
Ich dachte eigentlich, man könnte keine Zustände duplizieren. Oder verstehe ich das No Deleting Theorem falsch?
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18104

Beitrag TomS Verfasst am: 13. März 2024 11:24    Titel: Antworten mit Zitat

Ich denke, rein mathematisch sagen beide Theoreme letztlich das selbe.

Ich verstehe bezüglich der Beweise an manchen Stellen nicht, wieso von linear isometrischen Transformationen die Rede ist; ich denke im Rahmen der Quantenmechanik immer in unitären Transformation; eventuell übersehe ich jedoch etwas.

Beide Theoreme werden formuliert für einen beliebigen Quantenzustand psi und ein fest vorgegebenes Gerät A, in das hinein keine spezifischen Informationen zu dem Zustand psi implementiert sind. D.h. das Gerät soll einen beliebigen Zustand psi clonen (bzw. vernichten) können, nicht nur einen sehr speziellen. Sämtliche Informationen über den zu clonenden (zu vernichtenden) Zustand trägt dieser selbst.

Prinzipiell muss man die Zeit Entwicklung des Gerätes A mit betrachten, in der Literatur findet man häufig eine vereinfachte Diskussion, in der dies vernachlässigt wird.

Die Aussage des no-cloning Theorems ist dann folgende: die folgende unitäre Zeitentwicklung U für einen beliebigen Quantenzustand psi



ist unmöglich.

Die Aussage des no-deleting Theorems ist umgekehrt: die folgende unitäre Zeitentwicklung U für einen beliebigen Quantenzustand psi



ist unmöglich.

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Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.
der H@ns
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Beitrag der H@ns Verfasst am: 13. März 2024 11:43    Titel: Antworten mit Zitat

Achso okay, ich hatte schon den Eindruck, beide Theoreme würden sich widersprechen, da im englischen Wikipedia Artikel stand, dass das no Deleting Theorem sagt, man könnte zwei kopierte Zustände nicht löschen. Aber eigentlich kann man doch keine zwei Kopien erstellen?
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18104

Beitrag TomS Verfasst am: 13. März 2024 11:54    Titel: Antworten mit Zitat

Doch, man kann eine identische Kopie erstellen, jedoch nicht mittels eines generischen Apparates für beliebige Zustände.
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der H@ns
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Beitrag der H@ns Verfasst am: 13. März 2024 12:28    Titel: Antworten mit Zitat

Achso, ich dachte schon anhand deiner Aussagen hier im Forum und der anderen verschiedenen Artikel, man könnte einen Quantenzustand nicht vervielfältigen.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18104

Beitrag TomS Verfasst am: 13. März 2024 13:06    Titel: Antworten mit Zitat

Also nochmal zu Klarstellung:

Man kann Quantenzustände clonen, wenn man sie kennt und einen geeigneten Apparat dafür zur Verfügung hat.

Man kann Quantenzustände nicht clonen, wenn sie unbekannt sind und man nur einen universellen Apparat zur Verfügung hat.

Sollte ich mich dazu missverständlich oder irreführend geäußert haben, tut mir das Leid.

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der H@ns
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Beitrag der H@ns Verfasst am: 13. März 2024 13:07    Titel: Antworten mit Zitat

Was bedeutet dann praktisch das No Deleting Theorem? Könntest du das vielleicht nochmal erklären?

Das No Cloning Theorem verstehe ich so, dass ich mittels einer Apperatur keine Zustände kopieren kann, ohne den ursprünglichen zu löschen/verändern.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18104

Beitrag TomS Verfasst am: 13. März 2024 16:00    Titel: Antworten mit Zitat

A) Es ist unmöglich, einen beliebigen Quantenzustand mittels eines generischen Gerätes (ohne spezielle Vorbereitung für einen konkreten Zustand) exakt zu kopieren.

B) Für zwei exakte Kopien eines beliebigen Quantenzustandes (die ohne Verletzung der Voraussetzungen in A erzeugt wurden) ist unmöglich, einen der beiden Zustände mittels eines generischen Gerätes (ohne spezielle Vorbereitung für den konkreten Zustand) vollständig zu vernichten (so dass keine für diesen Zustand spezifischen "Informationen" mehr vorliegen).

Was du zuletzt sagst, trifft ebenfalls zu, ist aber in "exakt zu kopieren" enthalten. Würde man den zu kopierenden Zustand kopieren, ihn jedoch dabei verändern, lägen zuletzt keine identischen Kopien vor.

Deswegen nochmal die mathematische Formulierung:

TomS hat Folgendes geschrieben:
Die Aussage des no-cloning Theorems ist dann folgende: die folgende unitäre Zeitentwicklung U für einen beliebigen Quantenzustand psi



ist unmöglich.

Die Aussage des no-deleting Theorems ist umgekehrt: die folgende unitäre Zeitentwicklung U für einen beliebigen Quantenzustand psi



ist unmöglich.


Dabei verhält es sich ähnlich wie bei der Unschärfe-Relationen. Die Theoreme besagen nicht, dass derartiges theoretisch möglich jedoch die Konstruktion eines bestimmten Gerätes praktisch ausgeschlossen ist; die Theoreme besagen vielmehr, dass derartiges nach den Regeln der Quantenmechanik prinzipiell ausgeschlossen ist – völlig unabhängig von einer praktischen Realisierung.


Dennoch ein Beispiel, wie reale Vorgänge aussehen könnten – die jedoch nach den oben genannten Theorem prinzipiell verboten sind.

B) Alice kennt einen Zustand psi eines Quantenobjektes und erzeugt eine exakte Kopie. Sie verschließt die beiden Quantenobjekte in einer Box, und übergibt diese an Bob. Bob steckt diese Box in eine Maschine, die einen der beiden Quantenzustände vernichten soll, so dass im finalen Zustand innerhalb der Box nur noch eine der beiden Kopien unverändert verbleibt – sowie ein Rest, der keine Information über den vernichteten Zustand trägt. D.h. egal welche Zustände Alice an Bob übergibt, der Rest muss immer identisch aussehen. Bobs Maschine könnte funktionieren, wenn er vorab Informationen über den Zustand hätte; die Maschine entspräche der Umkehrung der Herstellung der Kopien bei Alice. Die Maschine könnte auch funktionieren, wenn im Rest noch eine Information über den vernichteten Zustand erhalten bleiben würde, so dass dieser aus dem verbleibenden Rest theoretisch irgendwie rekonstruiert werden könnte. Kennt jedoch Bob nicht den Zustand, den Alice in kopierter Form übergibt, und bleibt von diesem Zustand keine Information zurück, so ist dieser Vorgang prinzipiell unmöglich.

(B) ist letztlich die Umkehrung von (A). (A) ist nur deswegen möglich, weil Alice den zu kopierenden Zustand genau kennt, oder weil dieser nicht beliebig ist, sondern weil die Maschine nur sehr spezielle Zustände kopiert. Würde Alice den Zustand nicht kennen, und sollte die Maschine beliebige Zustände exakt kopieren können, so entspricht dies den Voraussetzungen in (B), dass ein beliebiger Zustand zu vernichten ist, und dass von diesem keine Inormation zurückbleiben darf.


Die Formeln oben würden präziser lauten




ist unmöglich.



ist unmöglich.

Es wird die Existenz eines U d.h. einer Zeitentwicklung gefordert, die dies für beliebige psi leistet, ohne dass U von psi abhängt. Das ist unmöglich.


Folgendes ist nicht prinzipiell unmöglich bzw. in Einzelfällen sogar praktisch realisiert:





Im ersten Fall ist die Zeitentwicklung (die Maschine) speziell für psi konstruiert, im zweiten Fall ist der Eingangszustand (ein Substrat, Materie …) für das zu kopierende psi schon entsprechend vorbereitet.

Analog für die Vernichtung.

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der H@ns
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Beitrag der H@ns Verfasst am: 13. März 2024 18:24    Titel: Antworten mit Zitat

Puh, das waren jetzt ziemlich viele Informationen. Aber vielen Dank für die ausführlichen Erklärungen! Mit den mathematischen Formulierungen, die in der Quantenmechanik verwendet werden, komme ich noch nicht wirklich klar bzw sind sie gerade noch nicht so verständlich.

Wie sehe denn ein Prozess in Realität aus, bei dem exakte Kopien erzeugt werden, ohne daß das No Cloning Theorem verletzt wird? Denn für einen natürlichen Prozess müssen doch eigentlich die gleichen Gesetze gelten, wie für eine Maschine.

Und könnte ich bei solch einem Prozess eine Kopie einfach löschen?
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18104

Beitrag TomS Verfasst am: 13. März 2024 19:43    Titel: Antworten mit Zitat

Ein Beispiel wäre die induzierte Emission eines Laser-Photons:



wobei das angeregte Atom A* dem Kopierer entspricht, der hier die Energie zur Verfügung stellt.

Die Zeitentwicklung mit einem Photon mit Energie E lautet dann



Dabei ist klar, dass nur sehr spezifische Zustände kopiert werden können, insbs. muss das einlaufende Photon die passende Energie haben, und das Atom muss im passenden Anregungszustand sein.


Das Löschen ist natürlich die Absorption eines Photons durch ein entsprechendes Atom


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der H@ns
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Beitrag der H@ns Verfasst am: 13. März 2024 23:16    Titel: Antworten mit Zitat

Ok danke!

Eine Frage hätte ich noch, um die Theoreme komplett zu machen smile

Das No Hidding Theorem besagt ja, dass keine Quanteninformation verloren gehen kann. Somit wäre Information ja eine Erhaltungsgröße in der Quantenmechanik.

Aber ist das wirklich so? Information ist ja auch irgendwie fast eine subjektive Sache. Ohne Beobachter existiert sie nicht. Und wie sieht es mit der orthodoxen Qm und der Informationserhaltung eigentlich aus? Verstößt diese nicht sogar mit dem Kollaps dagegen?
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18104

Beitrag TomS Verfasst am: 14. März 2024 18:38    Titel: Antworten mit Zitat

Das no-hiding Theorem befasst sich nicht allgemein mit der Erhaltung der Information, sondern mit einer sehr speziellen Aussage, wie Information, die aus einem Subsystem verschwindet, in anderen Subsystemen kodiert sein muss. Es ist dabei eine sehr technische Aussage.

Die Erhaltung von Information in der Quantenmechanik ist eine triviale Konsequenz der unitären Zeitentwicklung. Sie besagt vereinfacht gesprochen, dass alle im Zuge der Zeitentwicklung auftretenden Zustände mathematisch – bis auf eine unitären Transformation – äquivalent sind und daher strukturell identisch. Besonders klar wird dies im sogenannten Heisenberg-Bild. Information hat dabei noch nichts mit einem für Beobachter relevanten Informationsgehalt zu tun; so ist in einem Quantenzustand mehr Information kodiert, als durch Messungen extrahiert werden kann.

Ja, diese Art von Information wird im Zuge eines Kollaps teilweise vernichtet. Dazu ist zu sagen, dass viele Physiker der Meinung sind, dass der Kollaps zwar als praktische Rechenregel funktioniert, ihm jedoch nicht die Rolle eines fundamentalen Axioms zukommen sollte.

Die Erhaltung der Information hat übrigens wenig mit anderen Erhaltungsgrößen wie Energie, Ladung etc. zu tun.

Sagt dir der Zustandsvektor und der Hilbertraum etwas?
Sagt dir das Noether-Theorem etwas?

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der H@ns
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Beitrag der H@ns Verfasst am: 14. März 2024 19:20    Titel: Antworten mit Zitat

Ok, klingt sehr interessant!

Das Noether Theorem sagt mir etwas, über Zustandsvektor und Hilbertraum habe ich schon mal was gelesen, kann aber ehrlich gesagt nicht viel mit anfangen.

Wenn die Informationserhaltung auch nichts mit Energieerhaltung usw zu tun hat, habe ich etwas falsch aufgefasst.

Wie ist es denn gemeint, dass alle im Zuge der Zeitentwicklung auftretenden Zustände äquivalent sind? Wie unterscheiden sie sich dann voneinander?
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18104

Beitrag TomS Verfasst am: 14. März 2024 19:45    Titel: Antworten mit Zitat

Zum Hilbertraum

Die Ortsdarstellung der Quantenmechanik mittels Wellenfunktionen ist nur eine von vielen Möglichkeiten. Der allgemeine Formalismus besagt, dass ein Zustand im Rahmen der Quantenmechanik durch einen Zustandsvektor beschrieben wird, ein Element in einem unendlich-dimensionalen Vektorraum – dem so genannten Hilbertrraum. Eine Wellenfunktion ist dann nichts weiter als eine spezielle Darstellung eines derartigen Zustandsvektor. Die Wellenfunktion entspricht einer Projektion des Zustandsvektor auf eine "verallgemeinerte" Basis des Hilbertraumes.

D.h. für Projektion sowie Darstellung mittels einer Basis gilt





Für die Ortsdarstellung mit kontinuierlichen Index x ist das mathematisch etwas komplizierter.

Observable (Messgrößen) bzw. deren mathematische Repräsentationen mittels sogenannter selbstadjungierter Operatoren A haben eine vollständige Eigen-Basis in diesem Hilbertraum:



Die vollständige quantenmechanische Information des Systems ist nun kodiert in der Richtung des Zustandsvektors im Hilbertraum, bezogen auf eine derartige Basis.

Vereinfachtes Beispiel: In einem 3-dim. Vektorraum definiert eine Basis ein Koordinatensystem. Ein Zustandsvektor ist ein Einheitvektor, d.h. bezeichnet einen Punkt auf der Oberfläche einer Einheitskugel. Die Information ist dann die Richtung dieses Vektors, d.h. letztlich seine Komponenten = Koordinaten bezüglich der gewählten Basis.

Die Zeitentwicklung eines Zustandes entspricht einer im allgemeinen komplizierten Rotation dieses Einheitsvektors, im Beispiel also einer stetigen (sogar differenzierbaren) Kurve auf der Oberfläche der Einheitskugel. Die Informationserhaltung entspricht der schlichten Tatsache, dass dieser Vektor zu jedem Zeitpunkt eine eindeutig bestimmte Richtung hat.

Dies gilt in völliger Allgemeinheit, d.h. beliebig komplizierte Systeme, auch mit unendlich vielen Freiheitsgrade, werden so repräsentiert.


Zur Informationserhaltung und dem Noether-Theorem

Das Theorem besagt, dass zu jeder kontinuierlichen Symmetrie der Lagrange-Funktion eines Systems eine Erhaltungsröße existiert. In unserem Fall ist die Lagrange-Funktion



ein recht abstraktes Gebilde, das die Wellenfunktion und den Hamilton-Operator enthält, und aus der die Schrödinger-Gleichung mittels Euler-Lagrange-Gleichung folgt.

Die kontinuierliche Symmetrie einer unitären Phasentransformation



Mittels des Noether-Theorems folgt die Kontinuitätsgleichung für einen erhaltenen Strom:



Dabei entspricht



der Wahrscheinlichkeitsdichte.

Integration über den Ortsraum zusammen mit der Normierungsbedingung liefert






Es gibt weitere Operatoren, die mit gewissen Definitionen von Information zusammenhängen, und für die man einen Erhaltungssatz formulieren kann – z.B. den Fischer-Information-Operator oder den von-Neumann-Entropie-Operator.

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Zuletzt bearbeitet von TomS am 14. März 2024 20:40, insgesamt 4-mal bearbeitet
der H@ns
Gast





Beitrag der H@ns Verfasst am: 14. März 2024 20:12    Titel: Antworten mit Zitat

Wow, wirklich interessant! Da muss ich mir einige Begriffe nochmal in Ruhe ansehen und nachschlagen!

Dann ist ja die Informationserhaltung tatsächlich etwas komplett anderes, wie ich eigentlich gedacht hatte. Interessant (und man erfährt es kaum in populärwissenschaftlichen Darstellungen).

Zu den Freiheitsgraden: blöd gefragt, aber wie kann denn ein System unendlich viele Freiheitsgrade haben? Ist das blanke Theorie, oder gibt es das in der Quantenmechanik auch in Realität?
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18104

Beitrag TomS Verfasst am: 14. März 2024 21:27    Titel: Antworten mit Zitat

Also ein 1-dim. harmonischer Oszillator hat einen Freiheitsgrad. Schon dessen Hilbertraum ist unendlich-dimensional.

Koppelt man unendlich viele derartige Oszillatoren so erhält man das quantenmechanische Analogon von durch Federn verbundenen Kugeln. Das liefert im Grenzfall unendlich viele Freiheitsgrade und ist ein einfacher Startpunkt für ein Quantenfeld.

Bei letzteren zählt man gerne im Impulsraum. Wenn ich die Schwingung mittels einer Fourier-Reihe darstelle, entspricht jede der unendlich vielen Fourier-Moden einem Freiheitsgrad.

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Beitrag der H@ns Verfasst am: 15. März 2024 07:26    Titel: Antworten mit Zitat

Ok, was mich nur zugegebenermaßen etwas verwirrt: wie kann denn ein reales Objekt, wie zum Beispiel ein Atom, was sich im 3-dimensionalen Raum befindet, mit einem unendlich dimensionalen Raum beschrieben werden? Oder verstehe ich da konzeptionell was falsch?

Und nochmal zur Informationserhaltung: wäre so gesehen nicht sogar schon in der newtonschen Mechanik die Informationserhaltung gegeben?
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18104

Beitrag TomS Verfasst am: 15. März 2024 09:05    Titel: Antworten mit Zitat

Kennst du die Fourierreihe



für eine periodische Funktion?

Man kann nun mathematisch folgendermaßen argumentieren.

Ich kann die Funktion mit einer Zahl multiplizieren, indem ich die Komponenten mit dieser Zahl multipliziere:



Ich kann zwei Funktionen f(x) und g(x) addieren, indem ich die Komponenten addiere:



Ich kann ein Skalarprodukt zweier Funktionen definieren:



(wobei ich die Normierung weglasse)

Mittels dieses Skalaproduktes kann ich auch die Norm einer Funktion definieren, das ist letztlich das Skalarprodukt der Funktion mit sich selbst.

Habe ich ein Skalarprodukt, so kann ich damit die Funktion auf eine andere projizieren, d.h. ich erhalte



Formal ist das identisch zur Definition eines Vektorraumes. Die Vektoren sind die Funktionen f(x) und g(x), die Basisvektoren sind die e-Funktionen, die Komponenten der Vektoren bezüglich dieser Basis sind gerade die Fourierkoeffizienten der Funktionen.

Während die Ortskoordinate x natürlich in einem 1-dim. reellen Zahlenraum lebt, lebt die Funktion f(x) in einem unendlich-dimensionalen Vektorraum – unendlich deswegen, weil sie unendlich viele unabhängige Fourier-Komponenten haben kann.

Während das für die Funktionen sehr gewöhnungsbedürftig ist, sieht man es unmittelbar für die Komponenten; diese kann man sich als Spaltenvektoren mit unendlich vielen Einträgen vorstellen.

In der Mathematik bezeichnet man den Raum, in dem die Funktionen leben, als den Hilbertraum der quadrat-integrierbaren Funktionen über dem Intervall [0, L]; den Raum, in dem die Spaltenvektoren leben, als den Folgenraum der quadrat-summierbaren Folgen.

Beides ist eine Konsequenz aus der Forderung



Vereinfacht gesprochen reduzieren sich viele Probleme der Quantenmechanik rechentechnisch auf lineare Algebra mit Vektoren und Matrizen, wobei diese unendlich viele Einträge haben dürfen.

Und abstrakt gesprochen, wird der Zustand jedes beliebigen Quantensystems durch einen Punkt in einem derartigen Hilbertraum beschrieben.

Die Wellenfunktion psi übernimmt die Rolle der Funktion f, die Normierung dieser Funktion, d.h. die Länge des Vektors, wird auf Eins festgelegt.

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der H@ns
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Beitrag der H@ns Verfasst am: 15. März 2024 10:58    Titel: Antworten mit Zitat

Vielen Dank für diese ausführliche Erläuterung. Fourierreihen waren mal im Studium ein Thema, aber dass ist schon wieder ziemlich lange her. Ich muss mal wieder einiges auffrischen...

Somit ist der unendlich dimensionale Hilbertraum also der Raum, indem die Funktion quasi "lebt", und hat erst einmal nichts mit der Anzahl der Dimensionen, die die Welt da draußen hat, zu tun. Richtig verstanden?
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18104

Beitrag TomS Verfasst am: 15. März 2024 11:44    Titel: Antworten mit Zitat

Richtig verstanden 👍
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Beitrag der H@ns Verfasst am: 15. März 2024 14:11    Titel: Antworten mit Zitat

Alles klar, dann nochmal danke für die Hilfestellung.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18104

Beitrag TomS Verfasst am: 15. März 2024 15:11    Titel: Antworten mit Zitat

Gerne.
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Joken23
Gast





Beitrag Joken23 Verfasst am: 27. März 2024 08:26    Titel: Antworten mit Zitat

Habe gerade dieses Thema gelesen und ich hätte eine Frage zu diesem Abschnitt:

Zitat:
Koppelt man unendlich viele derartige Oszillatoren so erhält man das quantenmechanische Analogon von durch Federn verbundenen Kugeln. Das liefert im Grenzfall unendlich viele Freiheitsgrade und ist ein einfacher Startpunkt für ein Quantenfeld.


Haben Quantenfelder in der Realität also unendlich viel Freiheitsgrade? Ich dachte eigentlich, dass bei realen Objekten die Freiheitsgrade begrenzt sind bzw keine Unendlichkeiten bei physikalischen Größen vorkommen (zb kein Körper unendlich viel Energie hat).
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18104

Beitrag TomS Verfasst am: 27. März 2024 08:57    Titel: Antworten mit Zitat

Das ist einfach eine Frage der Definition.

Starten wir mit N harmonischen Oszillatoren, so lautet die Hamiltonfunktion



Die Zahl der Freiheitsgrade ist



Die Form des Potentials ist bei der Abzählung irrelevant.


Bei einer linearen Kette erhält man tatsächlich eine derartige Hamiltonfunktion.

Man führt je n eine komplexe Linearkombinationen von x und p ein, die man mit a bezeichnet, wobei darin auch die Masse und die Frequenz stecken.

Damit folgt



wobei H und a jetzt Operatoren bezeichnen, der letzte Term einer unendlichen Konstante nämlich der Nullpunktsenergie entspricht, die man sozusagen künstlich gleich Null setzt, und wobei sich die Abzählung der Freiheitsgrade sich nicht geändert hat.

Betrachtet man nun Felder, also zum Beispiel, so folgen diese mittels



Dabei stehen die Funktionen u meistens für komplexe e-Funktionen, d.h. man betrachtet Fourierreihen.

Sagen dir diese etwas?

Die oben eingeführten a's bezeichnen klassisch die Amplitude der jeweiligen Schwingung, in der Quantenmechanik interpretiert man sie als Operatoren, die diese Schwingung "erzeugen", wobei "erzeugen" zunächst rein mathematisch zu verstehen ist, d.h. keinen realen physikalischen Prozess beschreibt.

Mit dieser Überlegung erhält man ein einfaches skalares Feld phi.

Etwas komplizierter ist der Weg zur Quantisierung des elektromagnetischen Feldes, bei dem die a's letztlich noch einen weiteren Index erhalten, der zwei mögliche Polarisationen zählt, d.h.



(was speziell für das el.-mag. Feld für eine 1-dim. lineare Kette nicht und in höheren Dimensionen ziemlich unerwartet funktioniert, aber das soll uns egal sein).

Allgemein gilt in D Dimensionen



wobei der Vorfaktor je Feld-Typ etwas anders aussieht.

Joken23 hat Folgendes geschrieben:
Haben Quantenfelder in der Realität also unendlich viel Freiheitsgrade?

Ja.

Oft liest man aber auch, dass z.B. das elektromagnetische Feld zwei Freiheitsgrade hat, wobei das die beiden Polarisationen je n bezeichnet.

Joken23 hat Folgendes geschrieben:
Ich dachte eigentlich, dass bei realen Objekten … keine Unendlichkeiten bei physikalischen Größen vorkommen (zb kein Körper unendlich viel Energie hat).

Ja, aber das ist eine andere Frage.

Die oben definierten Schwingungen entsprechen den Freiheitsgraden, die angeregt sein können, die Energie eines Systems folgt aus den Freiheitsgraden, die tatsächlich angeregt sind.

Dabei subtrahiert man immer die Nullpunktsenergie, die mittels der üblichen Quantisierungsmethode eine unendliche Konstante liefert.

Die Frage, welchen Beitrag ein Freiheitsgrad zur Energie liefert, war letztlich Ausgangspunkt für die Überlegungen von Max Planck, denen zufolge die klassische Überlegung zu den Freiheitsgraden und ihren Energiebeiträgen korrigiert werden muss, da die klassische Betrachtung auf eine Unendlichkeit führt. Die quantenmechanische Vorgehensweise, die den korrekten Wert liefert, steckt in den mathematischen Eigenschaften der a's; klassisch sind dies beliebige Amplituden, quantenmechanisch jedoch Operatoren, so dass jeder Freiheitsgrad n nur diskrete Energiebeiträge



liefern kann.

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Joken23
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Beitrag Joken23 Verfasst am: 27. März 2024 10:44    Titel: Antworten mit Zitat

Interessant, danke für diese lange und ausführliche Antwort, das bin ich von Online-Foren so ja gar nicht gewohnt!

Ich werde mir deine Antwort zum besseren Verständnis noch mehrmals genauer durchlesen, dann sollte es passen.

Kann man also sagen, daß Quantenfelder unendlich viele Freiheitsgrade haben, physikalisch real existierend aber immer nur die konkreten Anregungen sind?

Und nochmal eine ganz andere Frage zum Thema unendlich große physikalische Größen: kann man sagen, dass ein unendlich ausgedehntes Universum auch unendlich viel Masse und Energie besitzt? Und alternativ ein endliches (ich glaube, da gibt es auch noch Kandidaten, zb toroidförmig?) endlich viel Energie und Masse?
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18104

Beitrag TomS Verfasst am: 27. März 2024 12:11    Titel: Antworten mit Zitat

Joken23 hat Folgendes geschrieben:
Interessant, danke für diese lange und ausführliche Antwort, das bin ich von Online-Foren so ja gar nicht gewohnt!

Wir tun, was wir können.

Joken23 hat Folgendes geschrieben:
Kann man also sagen, daß Quantenfelder unendlich viele Freiheitsgrade haben, physikalisch real existierend aber immer nur die konkreten Anregungen sind?

Ja.

Joken23 hat Folgendes geschrieben:
Und nochmal eine ganz andere Frage zum Thema unendlich große physikalische Größen: kann man sagen, dass ein unendlich ausgedehntes Universum auch unendlich viel Masse und Energie besitzt? Und alternativ ein endliches (ich glaube, da gibt es auch noch Kandidaten, zb toroidförmig?) endlich viel Energie und Masse?

Das kann man so pauschal nicht sagen, da nicht alle Energieformen positiv beitragen; die Beiträge könnten sich also gegenseitig wegheben. Eine vernünftige Definition einer Energie des Gravitationfeldes ist aber notorisch schwierig.

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Zuletzt bearbeitet von TomS am 27. März 2024 13:15, insgesamt einmal bearbeitet
Joken23
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Beitrag Joken23 Verfasst am: 27. März 2024 12:34    Titel: Antworten mit Zitat

Zitat:
Wir tun, was wir können.


Das ist nicht selbstverständlich.

Und nochmal eine Frage: ist die Superposition in der Quantenmechanik nicht theoretisch auch aus einer unendlichen Linearkombination darstellbar?
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18104

Beitrag TomS Verfasst am: 27. März 2024 13:21    Titel: Antworten mit Zitat

Zunächst mal Danke.

Joken23 hat Folgendes geschrieben:
Ist die Superposition in der Quantenmechanik nicht theoretisch auch aus einer unendlichen Linearkombination darstellbar?

Das ist tatsächlich das selbe, übrigens auch in der klassischen Elektrodynamik.

Der Hintergrund ist einfach: wann immer die gesuchte Variable X in eine Gleichung linear eingeht (und die Gleichung mehr als eine Lösung hat), ist jede beliebige Linearkombination von Lösungen wieder eine Lösung.

Der einzige Grund, warum das in der Quantenmechanik eine so prominente Rolle spielt ist, dass die Interpretation von Superpositionen teilweise bizarr erscheint.

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Joken23
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Beitrag Joken23 Verfasst am: 27. März 2024 14:06    Titel: Antworten mit Zitat

Alles klar, hat dann jede mögliche Linearkombination einer Superposition auch eine physikalische Entsprechung in der Realität (zb in der Elektrodynamik)?
MBastieK



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Beitrag MBastieK Verfasst am: 27. März 2024 14:16    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
Der einzige Grund, warum das in der Quantenmechanik eine so prominente Rolle spielt ist, dass die Interpretation von Superpositionen teilweise bizarr erscheint.

Und weil Nicht-Realismus immernoch eine Möglichkeit ist. Oder?

Nette Grüsse

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Intelligenz ist die Fähigkeit der (temporären) Anpassung.


Zuletzt bearbeitet von MBastieK am 27. März 2024 22:52, insgesamt einmal bearbeitet
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18104

Beitrag TomS Verfasst am: 27. März 2024 16:25    Titel: Antworten mit Zitat

Joken23 hat Folgendes geschrieben:
Alles klar, hat dann jede mögliche Linearkombination einer Superposition auch eine physikalische Entsprechung in der Realität (zb in der Elektrodynamik)?

Nö.

Sie hat in der Elektrodynamik dann eine Entsprechung in der Realität, wenn sie aus einem "physikalisch vernünftigen Modell" für ein reales System stammt. Z.B. ist die Funktion



für reelles k eine mathematisch zulässige Lösung der Wellengleichung, aber eine exponentiell divergierende Lösung ist irgendwie physikalisch sinnlos. Wir kennen aber auch keine Strom- und Ladungsverteilung, die derartige elektromagnetische Felder erzeugt, also ignorieren wir diese mathematische Möglichkeit.

Anders sieht es in der Quantenmechanik aus, in der wir makroskopische Superpositionen aus lebenden und toten Katzen nicht ignorieren können, weil es physikalisch vernünftige Modelle realer Systeme gibt, die derartige mathematische Superpositionen hervorbringen. Und das ist eben ein seit fast 100 Jahren ungelöstes Problem.

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Joken23
Gast





Beitrag Joken23 Verfasst am: 27. März 2024 16:38    Titel: Antworten mit Zitat

Ist dann in der Quantenmechanik jede dieser unendlichen Linearkombinationen real? Falls ja, wie habe ich mir das vorzustellen? Das ein Elektron unendlich viele Komponenten hat?
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
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Beitrag TomS Verfasst am: 27. März 2024 18:55    Titel: Antworten mit Zitat

Joken23 hat Folgendes geschrieben:
Ist dann in der Quantenmechanik jede dieser unendlichen Linearkombinationen real? Falls ja, wie habe ich mir das vorzustellen? Das ein Elektron unendlich viele Komponenten hat?

Für ein Elektron ist das gar keine schwierige Frage: ein Elektron geht an einem n-fach Spalt in n-Komponenten durch diese n Spalten hindurch. Alles gut.

Blöd wird's halt bei den zwei Katzen 😉

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Beitrag Joken23 Verfasst am: 27. März 2024 19:39    Titel: Antworten mit Zitat

Achso, ich dachte durch deine Aussage, man könnte die Superposition in der Quantenmechanik auch in eine unendliche Linearkombination zerlegen? Oder wird sie tatsächlich nur in n Kombinationen zerlegt, wobei n zb der Spaltanzahl entspricht?
TomS
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Beitrag TomS Verfasst am: 27. März 2024 20:04    Titel: Antworten mit Zitat

Das sind letztlich zwei Fragen.

1. Es können rein mathematisch endlich oder unendlich viele sein, auch überabzählbar viele sind mathematische möglich und oft nützlich, insbs. mittels Fouriertransformarion.

2. Man muss unterscheiden, was a) mathematisch möglich ist, b) physikalisch sinnvoll, und c) von mir als real existierend betrachtet wird.
2a) ich kann jeden Zustand oder jede Wellenfunktion in unendlich vielen verschiedenen Weise als Linearkombination darstellen
2b) manche davon sind physikalisch sinnvoll, andere nicht; niemand hindert mich daran, Wellenfunktionen für ein Zentralpotential durch Linearkombinationen von ebenen Wellen darzustellen, aber das ist nicht sinnvoll
2c) ob ich eine Wellenfunktion als etwas auffasse, was die tatsächliche Realität beschreibt, oder nur als mathematisches Werkzeug um Wahrscheinlichkeiten zu berechnen, ist eine Frage der Interpretation; Realisten tun ersteres, Instrumentalisten letzteres, beide verwenden exakt die selbe Mathematik und erhalten exakt die selben Aussagen zu Wahrscheinlichkeiten und Messwerten; der Realist muss erklären, was die Superposition einer toten und einer lebenden Katze real bedeutet, der Instrumentalist nicht

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Beitrag Joken23 Verfasst am: 27. März 2024 22:20    Titel: Antworten mit Zitat

Das heißt also, angenommen ich hätte eine Wellenfunktion, welche ich mit unendlich vielen Linearkombinationen darstellen kann: nur eine der Linearkombinationen ist realistisch gesprochen real existierend, unendlich viele wohl nicht, auch wenn es mathematisch darstellbar ist, oder?
TomS
Moderator


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Beitrag TomS Verfasst am: 27. März 2024 23:14    Titel: Antworten mit Zitat

Joken23 hat Folgendes geschrieben:
Das heißt also, angenommen ich hätte eine Wellenfunktion, welche ich mit unendlich vielen Linearkombinationen darstellen kann: nur eine der Linearkombinationen ist realistisch gesprochen real existierend, unendlich viele wohl nicht, auch wenn es mathematisch darstellbar ist, oder?

Was meinst du mit real existierend?

Wahrscheinlich habe ich das noch nicht präzise genug formuliert:

TomS hat Folgendes geschrieben:
2. Man muss unterscheiden, was a) mathematisch möglich ist, b) physikalisch sinnvoll, und c) von mir als real existierend betrachtet wird.
2a) ich kann jeden Zustand oder jede Wellenfunktion in unendlich viele verschiedene Weise als Linearkombination darstellen
2b) manche davon sind physikalisch sinnvoll, andere nicht; niemand hindert mich daran, Wellenfunktionen für ein Zentralpotential durch Linearkombinationen von ebenen Wellen darzustellen, aber das ist nicht sinnvoll
2c) ob ich eine Wellenfunktion als etwas auffasse, was die tatsächliche Realität beschreibt, oder nur als mathematisches Werkzeug um Wahrscheinlichkeiten zu berechnen, ist eine Frage der Interpretation


Fangen wir von hinten bei (c) an. Zunächst mal ist keine Wellenfunktion real existierend! Eine Wellenfunktion ist ein mathematisches Konstrukt, ein Elektron ist irgendeine Entität, die irgendwelche messbaren Effekte erzeugt, die ich mittels Wellenfunktionen berechnen kann. Ob ich jetzt zusätzlich glaube, dass die Wellenfunktionen irgendwie diese Entität wirklich beschreibt, oder ich damit nur Wahrscheinlichkeiten für Messergebnisse berechnen kann, ist meine persönliche philosophische Haltung; letztlich muss ich nicht mal an die Entität selbst glauben, ich sehe sie ohnehin nicht, nur irgendwelche Anzeigen auf Messgeräten. Ich persönlich glaube, dass die Wellenfunktion tatsächlich das Elektron in gewisser Weise beschreibt, aber andere Physiker glauben das nicht.

(a) und (b) haben damit aber sehr wenig zu tun.

Ich kann eine Wellenfunktion z.B. schreiben als



Welchen der beiden Ansätze ich verwende, hat nichts mit (c) zu tun. Manchmal ist der eine praktischer, manchmal der andere. Egal, sie liefern ja das selbe Ergebnis. Ob ich einen Spin als Linearkombination aus up und down oder left und right beschreibe, ist Geschmacksache; habe ich das Messergebnis "up" vorliegen, ist die erste Darstellung praktischer, die zweite aber immer noch möglich und nicht falsch.

Und tatsächlich habe ich nicht nur diese Möglichkeiten sondern unendlich viele, aber sie liefern das selbe Ergebnis, also sind sie allesamt ok.

(es gibt nun tatsächlich ein Ergebnis in der QM, aus dem eine Art Selektion folgt, dass bestimmte Linearkombinationen eine "realistischere" Beschreibung im Sinne von (c) liefern, aber auch das ist nach der Meinung vieler nicht zwingend)

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Beitrag Joken23 Verfasst am: 28. März 2024 07:17    Titel: Antworten mit Zitat

Erstmal danke für die ausführliche Erklärung.

Bitte halte mich nicht für bescheuert, aber vielleicht weiß ich jetzt auch, was mein Denkfehler bei a) bzw b) war: wenn du schreibst, es gibt zb für eine Wellenfunktion unendlich viele mögliche Linearkombinationen. Dann dachte ich Dussel dummerweise, damit sei eine unendlich lange Summe aus Linearkombinationen gemeint. Was natürlich Blödsinn ist.
Ich habe einfach unendlich viele Möglichkeiten, diese eine Funktion als Linearkombination darzustellen, wobei in der Regel nur begrenzt viele Sinn ergeben.
Richtig?
TomS
Moderator


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Beitrag TomS Verfasst am: 28. März 2024 09:09    Titel: Antworten mit Zitat

Beides.

Eine Linearkombination von Funktionen zur Darstellung einer Wellenfunktion entspricht formal in vielerlei Hinsicht der Linearkombination von Vektoren. Allerdings erfolgt dies in der Quantenmechanik in einem abstrakten, oft unendlich-dimensionalen Raum, dem sogenannten Hilbertraum. D.h. eine Wellenfunktion oder ein Zustand wird dargestellt mittels



wobei die für die Basisvektoren und die für die Komponenten bzgl. dieser Basis stehen.

Im einfachsten Fall eines Spins sind das dann tatsächlich endlich viele Spin-Richtungen, in komplizierteren Fällen z.B. eine Fourier-Reihe



oder ein anderes Funktionensystem; in diesen Fällen läuft der Index n über unendlich viele Werte.

Die Wahl des Funktionensystems ist rein eine Frage der Praktikabilität, insbs. soll es die Symmetrie eines Problems geeignet berücksichtigen. Physikalische Relevanz hat aber zunächst nur psi.

Nun kann man jedoch die Basis beliebig rotieren. In zwei Dimensionen kannst du in einem kartesischen Koordinatensystem die x- und die y-Richtung festlegen und zwei Einheitsvektoren, also eine Basis einführen. Du kannst diese Basis jedoch um einen beliebigen Winkel rotieren und erhältst neue Basisvektoren und bzgl. dieser neuen Basis neue Komponenten für den selben Vektor.

Bezeichnen wir die neue Basis mit u', so liefert das



In zwei Dimensionen gibt es unendlich viele Drehwinkel, um die Basis zu rotieren, also unendlich viele neue mögliche Basen.

In N Dimensionen gibt es für die verallgemeinerten Rotationen, sogenannte unitäre Transformationen



Drehwinkel, also (N²-1) mal unendlich viele Transformationen; wie gesagt, oft ist N selbst unendlich.

Wir müssen diesen unendlich vielen Möglichkeiten der Darstellung allerdings nicht eine jeweils eigene physikalische Bedeutung zuschreiben; verschiedene Basen sind mathematisch strikt äquivalent, die Wahl orientiert sich an praktischen Gesichtspunkten, so wie die Einführung eines kartesischen Koordinatensystems mit Basis "Nord" und "Ost" der Richtung "von Berlin nach München" keine andere Bedeutung verleiht, als die Wahl einer Basis "Nordnordost" und "Ostsüdost". Übrigens tust du genau das bei der Verwendung eines Navis; entweder legst du die Basis einmalig als "Nord" und "Ost" fest, oder du lässt das Navi zu jedem Zeitpunkt eine neue Basis "in Fahrtrichtung" und "quer zur Fahrtrichtung" berechnen; an deiner Reiseroute, dem Verlauf der Straße und der Länge der Strecke ändert sich dadurch rein gar nichts (übrigens gibt es auch in der QM derartige "mitrotierende Basen").

Die Wahl einer Basis bietet also die Möglichkeit, ein System möglichst einfach und angemessen zu beschreiben. Insofern sind Linearkombinationen in der Quantenmechanik etwas völlig natürliches und stellen allenfalls eine mathematische Herausforderung dar.

Strittig wird es nur, wenn ich mich im o.g. Fall (c) dafür entscheide, die Position des Realismus zu vertreten, wenn ich also die Wellenfunktion als eine zutreffende Beschreibung der Welt auffasse, so wie die Welt sich tatsächlich verhält, und wenn ich diese Beschreibung dann auf makroskopische Systeme wie Schrödinger's Katze anwende, in denen mir die Quantenmechanik sagt, dass eine ganz bestimmte Linearkombination auftritt, die dann z.B.



besagt.
Joken23
Gast





Beitrag Joken23 Verfasst am: 28. März 2024 12:48    Titel: Antworten mit Zitat

So, das waren jetzt erstmal wieder jede Menge Infos, vielen Dank!

Ich hatte wohl tatsächlich den Fehlschluss, dass ich dachte, jedes Element der z.B. unendlichen Fourier-Reihe hätte eine physikalische reale Bedeutung (wenn man es realistisch sieht). Also fasst man dann die Fourier Reihe realistisch betrachtet auch einfach als mathematisch Hilfsdarstellung auf?
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