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CarstenP
Anmeldungsdatum: 10.06.2023 Beiträge: 46
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CarstenP Verfasst am: 10. Jun 2023 16:21 Titel: Occam's Razor |
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Meine Frage:
Hier in Nürnberg findet ja gerade der Evangelische Kirchentag statt. Gott darf also mal wieder in die Menge winken. Herr Ockham hat seinerzeit formuliert, dass die Theorie zur Beschreibung eines Phänomens die richtige ist, die am wenigsten Annahmen trifft -- außer Gott. So gesehen ist dieses Rasiermesser doch so scharf wie ein Mehlknödel? Oder wie seht ihr das?
Meine Ideen:
Ich finde das Ding ja an sich gut, aber wenn da immer "außer Gott" dran steht, kannst du in jede Gleichung und jede Formel ein "+Gott" dran schreiben und aus allem alles ausrechnen |
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Frankx
Anmeldungsdatum: 04.03.2015 Beiträge: 982
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Frankx Verfasst am: 10. Jun 2023 19:14 Titel: |
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Zitat: | Ich finde das Ding ja an sich gut, aber wenn da immer "außer Gott" dran steht, kannst du in jede Gleichung und jede Formel ein "+Gott" dran schreiben und aus allem alles ausrechnen |
Vermutlich hast du das falsch verstanden.
Wenn man z.B. zur Erklärung eines Phänomens entweder 5 Annahmen treffen muss, oder alternativ nur auf Gott verweist, würde man letztere Erklärung (Gott) als zutreffend ansehen, da sie nur eine einzige Annahme voraussetzt (Gott).
Eben um genau das zu verhindern, wird Gott als Annahme ausgeschlossen.
Zitat: | dass die Theorie zur Beschreibung eines Phänomens die richtige ist, die am wenigsten Annahmen trifft -- außer Gott. |
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TomS Moderator
Anmeldungsdatum: 20.03.2009 Beiträge: 18119
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TomS Verfasst am: 10. Jun 2023 20:10 Titel: |
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Ich finde
Entia non sunt multiplicanda praeter necessitatem.
Aber angeblich wird das Ockham fälschlicherweise zugeschrieben. _________________ Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago. |
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Frankx
Anmeldungsdatum: 04.03.2015 Beiträge: 982
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Frankx Verfasst am: 12. Jun 2023 08:35 Titel: |
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Zitat: | Entia non sunt multiplicanda praeter necessitatem. |
Kannst du das auch auf Hochdeutsch schreiben? Nicht jeder hier ist der niederbayerischen Mundart mächtig.
Gratias tibi valde.
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TomS Moderator
Anmeldungsdatum: 20.03.2009 Beiträge: 18119
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TomS Verfasst am: 12. Jun 2023 09:12 Titel: |
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Entitäten dürfen nicht über das Notwendige hinaus vermehrt werden.
Es ging eigtl. nur darum, den TS zu ermuntern, etwas zur Quellenlage zu sagen. Denn „Herr Ockham hat seinerzeit formuliert, dass die Theorie zur Beschreibung eines Phänomens die richtige ist, die am wenigsten Annahmen trifft -- außer Gott“ ist so wohl nicht ganz richtig. Weder hat Herr Ockham hier unbedingt selbst formuliert - das wird ihm wohl nur zugeschrieben - noch finde ich da irgendwas von Gott. _________________ Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago. |
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CarstenP
Anmeldungsdatum: 10.06.2023 Beiträge: 46
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CarstenP Verfasst am: 15. Jun 2023 17:53 Titel: |
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TomS hat Folgendes geschrieben: | Es ging eigtl. nur darum, den TS zu ermuntern, etwas zur Quellenlage zu sagen. |
Mache ich doch gerne: '"Nichts darf man ohne eigene Begründung annehmen, es sei denn es sei evident oder aufgrund von Erfahrung gewusst oder durch die Autorität der Heiligen Schrift gesichert."' [R. Heinzmann: Philosophie des Mittelalters. 2. Auflage. Kohlhammer, Stuttgart 1998, S. 249]
Hier zitiert Heinzmann Ockham. Und so gesehen ist bereits ohne die "heilige Schrift" Ockhams ursprüngliche Definition vollkommen unbrauchbar.
Nur um das klarzustellen: des Prinzips, das heute unter dem Namen läuft, bin ich ein großer Fan. Wie es heute verwendet wird, hat es aber genau gar nichts mit Erfahrung oder mit Religion zu tun. |
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TomS Moderator
Anmeldungsdatum: 20.03.2009 Beiträge: 18119
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TomS Verfasst am: 15. Jun 2023 18:34 Titel: |
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Aufgrund des „oder“ darf man gerne Bedingungen rechts wegnehmen, ohne dass das Prinzip sinnlos würde. Man darf die Heilige Schrift aber auch gerne stehenlassen, da ich nicht davon ausgehe, dass sie zu den Prämissen physikalischer Theorien maßgeblich beiträgt.
Schön an dieser Formulierung ist, dass auf eine Begründung Wert gelegt wird, und man nicht meinen kann, stupides Abzählen von Postulaten sei sinnvoll. _________________ Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago. |
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CarstenP
Anmeldungsdatum: 10.06.2023 Beiträge: 46
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CarstenP Verfasst am: 15. Jun 2023 18:56 Titel: |
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TomS hat Folgendes geschrieben: | Aufgrund des „oder“ darf man gerne Bedingungen rechts wegnehmen, ohne dass das Prinzip sinnlos würde. Man darf die Heilige Schrift aber auch gerne stehenlassen, da ich nicht davon ausgehe, dass sie zu den Prämissen physikalischer Theorien maßgeblich beiträgt.
Schön an dieser Formulierung ist, dass auf eine Begründung Wert gelegt wird, und man nicht meinen kann, stupides Abzählen von Postulaten sei sinnvoll. |
Dass du hier rechte Bedingungen wegnehmen möchtest, macht dich politisch sympathisch, aber die ursprüngliche Aussage, eingedampft, bleibt: "Nicht("Man darf alles ohne Begründung annehmen") ODER ("Es steht in der Heiligen Schrift"). Wie die binäre Oder-Verknüpfung funktioniert, weißt du sicher genauso gut wie ich. |
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TomS Moderator
Anmeldungsdatum: 20.03.2009 Beiträge: 18119
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TomS Verfasst am: 15. Jun 2023 19:24 Titel: |
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Ich lese hier
„Nichts darf man ohne eigene Begründung annehmen, es sei denn (es sei evident oder es sei aufgrund von Erfahrung gewusst oder es sei durch die Autorität der Heiligen Schrift gesichert).” _________________ Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago. |
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CarstenP
Anmeldungsdatum: 10.06.2023 Beiträge: 46
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CarstenP Verfasst am: 15. Jun 2023 19:57 Titel: |
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TomS hat Folgendes geschrieben: | Ich lese hier
„Nichts darf man ohne eigene Begründung annehmen, es sei denn (es sei evident oder es sei aufgrund von Erfahrung gewusst oder es sei durch die Autorität der Heiligen Schrift gesichert).” |
Das lese ich genauso: "Nicht(x) ODER (dein Inhalt von "Es sei denn")". Machen wir es halt doch mal binär:
Seien die Namen definiert als: b: eigene Begründung, e: Evidenz, f: Erfahrung, g: Bibel und Co.
Dann steht da: A2 = e || f || g mit A2 := { wahr, falsch } und || als Symbol für das binär-logische Oder.
Da man nach der Aussage von Ockham nichts ohne eigene Begründung annehmen darf, können wir das ignorieren, wenn es eben nur um den Rest geht. Genau das ist ja mein Problem mit Ockhams Rasiermesser in der ursprünglichen Form: Wenn e wahr ist oder f oder g, dann ist es wahr. Evidenz ist wahr, Erfahrung ist wahr, Gott ist wahr, irgendetwas davon, und schon ist die gesamte Auissage wahr. Sag mir, wie brauchbar ist das? |
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Stevekali1
Anmeldungsdatum: 17.07.2023 Beiträge: 1
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Stevekali1 Verfasst am: 17. Jul 2023 17:51 Titel: |
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TomS hat Folgendes geschrieben: | Entitäten dürfen nicht über das Notwendige hinaus vermehrt werden.
Es ging eigtl. nur darum, den TS zu ermuntern, etwas zur Quellenlage zu sagen. Denn „Herr Ockham hat seinerzeit formuliert, dass die Theorie zur Beschreibung eines Phänomens die richtige ist Passenger car with driver cdg to Reims, die am wenigsten Annahmen trifft -- außer Gott“ ist so wohl nicht ganz richtig. Weder hat Herr Ockham hier unbedingt selbst formuliert - das wird ihm wohl nur zugeschrieben - noch finde ich da irgendwas von Gott. |
Auf jeden Fall erscheint mir Ihre Erklärung sehr präzise und ich danke Ihnen dafür. |
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TomS Moderator
Anmeldungsdatum: 20.03.2009 Beiträge: 18119
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TomS Verfasst am: 17. Jul 2023 18:01 Titel: |
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Das ist sehr nett. _________________ Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago. |
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