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GVeverca
BeitragVerfasst am: 18. Apr 2021 14:06    Titel: Realität?

Ich versuche mal, die 3 (Anscheinend) unterschiedlichen Möglichkeiten zu definieren.

A.) Die Katze ist Tot.
B.) Die Katze lebt.
C.) Der Zustand der Katze kann beides sein.

Wenn ich jetzt den Behälter/die Kiste öffne um nachzusehen, verursache ich eine Messtechnisch erfassbare Veränderung.
Luftzirkulation, Wärmeaustausch etc. .
Bei A.) und B.) werde ich dementsprechend das dazu messbare Ergebnis erhalten, aber nicht bei C.).

Anstatt das jetzt mit einer Katze zu erklären, erkläre ich das lieber direkt mit einem Quant.

Wenn ein Quant den Zustand der Superposition innehaben kann, potentiell also an mehreren Orten sein kann oder gleichzeitig existent und nichtexistent, kann ich ohne Zweifel 1 von 2 möglichen Zuständen als gegeben annehmen.
Der 'Energiewert' des Quant existiert real an verschiedenen Orten und Manifestiert sich an einem der möglichen Orten zur Gänze, wobei ich dann einen Energietransport durch Raum und Zeit habe (Irgendwo existiert WENIGER Energie und irgendwo MEHR) oder die Energie Realisiert sich erst zum Zeitpunkt der Messung, hat vorher also nur potentiell existiert.

Beide Möglichkeiten sind meiner Meinung nach unvereinbar mit dem Kausalitätsprinzip oder dem Energieerhaltungsgesetzt.

Die sich daraus gegebenen Konsequenzen sehe ich nicht durch die uns umgebende Realität bestätigt.
index_razor
BeitragVerfasst am: 21. Feb 2021 17:06    Titel:

TomS hat Folgendes geschrieben:
Ok, Ich sehe, wir kommen wieder zusammen - nicht bzgl. der Schlussfolgerungen, jedoch bzgl. der Diskussionspunkte.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Ob man nun die TI als "psi-ontisch" bezeichnen kann, gilt es herauszufinden, das ist die zentrale Frage. Neumaier äußert sich dazu nicht klar.

Ich denke schon. Und ich denke auch, daß dies eine offensichtliche Eigenschaft seiner Interpretation ist. Er redet von individuellen Systemen im Zustand und allen aus berechenbaren Größen als objektiven Eigenschaften dieser Systeme. Ich weiß nicht wie es noch psi-ontischer (oder "rho-ontischer") sein könnte.

Siehe weiter unten: was ich bei ihm sehe sind Behauptungen, die mir aber im Folgenden nicht offensichtlich klar werden.


Meinst du seine Behauptungen sind wirklich unklar oder bezweifelst du lediglich ihre Korrektheit? Mit irgendwelchen Behauptungen muß jeder anfangen. Die Behauptungen, mit denen Neumaier anfängt, finde ich zumindest klar verständlich. Nicht offensichtlich ist, daß sie in allen Situationen stimmen können. Aber das muß er im voraus nicht beweisen. Und plausibel macht er es durchaus.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Dass ich “anscheinend nicht wahrnehme, daß das Meßproblem in der TI lediglich zu einem Problem der makroskopischen Dynamik geworden ist und ... wir beide die Physik offener Quantensysteme, die hierfür relevant ist, so gut wie gar nichts verstehen” ist so nicht richtig. Ich nehme diese Meinung sehr wohl wahr, ich bin mir jedoch nicht sicher, ob sie zutrifft.

Dann sollten wir uns vielleicht mal auf diesen Punkt konzentrieren. Ich halte das nämlich für relativ klar. Eine ganz andere Frage ist natürlich, ob sie mit dieser Sichtweise letztlich Erfolg haben kann. Aber so wie die TI dargelegt ist, sind physikalische Probleme das einzige was am Meßproblem prinzipiell offen ist.

Es scheint mir eine offensichtliche Konsequenz daraus zu sein, daß reale Detektoren, deren Eigenschaften uns interessieren, makroskopische Objekte sind, die wir nicht in allen Einzelheiten beschreiben, sondern lediglich mittels einiger weniger Parameter.

Ok. Lass uns das diskutieren.


Neumaier fängt damit an, daß objektive Eigenschaften einzelner Systeme genau die Größen sind, die man aus ihrem Zustand berechnen kann. Meßergebnisse sind insbesondere signifikante objektive Eigenschaften von Detektoren. Bleibt zu klären warum und unter welchen Umständen welche dieser objektiven Eigenschaften signifikant sind und was ihr Zusammenhang zu mikroskopischen Eigenschaften ist, die sie messen sollen. Das sind alles Fragen an konkrete physikalische Modelle.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Wenn die TI psi-ontisch ist, dann ist sie das bitte auch bzgl. geschlossener Quantensysteme.

Und schon wieder tust du es. Gerade ging es um die Frage wie man makroskopische Detektoren modelliert und du bringst das wieder mit der Frage durcheinander ob die TI psi-ontisch ist. Das scheint ganz unbewußt zu passieren.

Jetzt verwirrst du mich.

Wenn eine Interpretation psi-ontisch ist, dann besagt das doch zunächst, dass der Zustand psi (oder rho) die Realität vollständig und zutreffend modelliert, und dass umgekehrt die Realität vollständig und zutreffend durch psi (rho) modelliert wird;


Die zweite Aussage ist nicht "umgekehrt", sondern identisch zur ersten, nur in die Passivform umformuliert. Abgesehen davon, ja, das meine ich auch mit "psi-ontisch".

Zitat:

daraus folgt, dass auch den aus psi (rho) abgeleiteten Größen diese Eigenschaft „ontischen“ zu sein, zukommt; anders gesagt, alle diese abgeleiteten Eigenschaften entsprechen realen Eigenschaft des Systems (das müssen nicht unbedingt Eigenschaften sein, die wir als klassische Eigenschaften kennen, und es müssen nicht unbedingt praktisch messbare Eigenschaften sein). Soweit einverstanden?


Durchaus. Alle diese Aussage hättest du m.E. fast wörtlich von Neumaier abschreiben können.

Zitat:

Damit eine kohärente Interpretation vorliegt, muss sie für alle Systeme zu in sich logisch konsistente Aussagen gelangen (Gegenbeispiel: diverse krude Versatzstücke der Kopenhagener Interpretation, wobei innere Logik so zurechtgebogen oder ignoriert wird, wie man‘s gerade braucht).

Was bedeutet nun „alle Systeme“? M.M.n. alle Systeme, die ich nach dem gültigen Formalismus der QM bzw. QFT konstruieren kann, unabhängig davon, ob sie real existieren mögen oder nicht. Möglicherweise auch nur diejenigen Systeme, die tatsächlich real auftreten können, wobei dies voraussetzt, dass mir jemand schlüssig erklärt, was dafür ein vernünftiges Kriterium ist und wie man mittels dieses Kriteriums praktisch entscheidet, ob ein konstruiertes System nicht egal existieren kann.


Wir können uns auf "alle" einigen, egal ob sie in der Realität auftreten können oder nicht. Ein praktisches Kriterium dafür gäbe es aber trotzdem: sie werden von "realistischen" (d.h. bewährten) Theorien unter realistischen Anfangsbedingungen vorhergesagt.

Zitat:

Warum also soll ich nicht nach dem „ontischen Gehalt des Universums sowie speziell bzgl. dieser einen Katze fragen“? Natürlich ist es nur ein Gedankenexperiment, praktisch relevant ist natürlich nur die Frage nach „dieser Katze in dieser luftgefüllten Kiste bei geschlossenem Deckel usw.“


Wer sagt, daß du das nicht tun sollst? Neumaier nicht. Im Gegenteil er ermutigt dich geradezu dazu diese Frage zustellen. Er hat genau die Antwort die du dir oben selbst gegeben hast.

Diese Antwort scheint übrigens deiner Auffassung der MWI zu widersprechen. Denn der q-Erwartungswert ist zweifellos etwas, das man aus dem Zustand berechnen kann. Du hast aber letztens gerade behautet, daß es nicht sinnvoll wäre dies zu tun oder nur für einen "hypothetischen Beobachter, der die Realität aller Zweige kennt". Das ist wohl pragmatisch gesehen dasselbe wie "für niemanden sinnvoll". Und wenn es für niemanden sinnvoll ist eine Größe X auszurechnen, folgt daraus wohl, daß diese Größe nicht viel mit der Realität zu tun hat.

Einzelne Elemente des Spektrums sind hingegen keine Elemente der Realität, denn sie lassen sich nicht aus dem Zustand berechnen. (Nur ihre q-Wahrscheinlichkeiten lassen sich berechnen und sind Elemente der Realität.)

Zitat:

Lass‘ uns diesen Punkt bzgl. offener Systeme diskutieren. Damit habe ich ein Problem; ich hoffe, es ist klar geworden, welchen.


Leider noch nicht. Ich habe den Eindruck du unterstellst Neumaier nur eine ontische Interpretation für offene Systeme zu haben und bei geschlossenen Systeme auf eine "ensembleartige Interpretation" zurückzugreifen oder etwas in der Art.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Ich will wissen, was die TI zu dieser einen Katze im Universum zu sagen hat. Wenn sie das nicht kann, hat sie m.E. ein Problem.

Und dieses Problem hat sie offensichtlich nicht.

Ok, was genau hat die TI denn dazu - einen Katze im Universum - zu sagen oder nicht zu sagen?


Sie sagt, die Katze befindet sich in genau einem Zustand und alle aus berechenbaren Größen sind objektive Eigenschaften dieser Katze.

Nun stellt jemand ein Modell dieser Katze auf, aus dem folgt, daß der q-Erwartungswert ihres Pulses 60 und seine q-Unsicherheit ca. 60 Schläge pro Minute beträgt. Seltsam, laut google sind ca. 120 Schläge der Normalpuls einer lebenden Katze, und laut meinen medizinischen Fachkenntnissen sind 0 Schläge der Normalpuls einer toten Katze. Und beides sind meines Wissens Größen, die mit einer Unsicherheit von nicht weniger als ein paar Schlägen genau festgestellt werden können.

Aber dies sind trotzdem absolut ontische Behauptungen dieses Modells im Lichte der TI interpretiert. Der Puls dieser seltsamen Katze ist objektiv (!) 60 Schläge pro Minute und er besitzt eine objektive (!) Unsicherheit von 60 Schlägen pro Minute. Wiederlegt diesen Modell nun die thermische Interpretation? Absolut nicht. Viel wahrscheinlicher ist, daß dieses Modell bei weitem nicht präzise genug ist um die objektiven Eigenschaften von Katzen mit der Signifikanz vorherzusagen, wie wir sie tatsächlich beobachten.

So, unabhängig von konkreten Modellen hätten wir nun geklärt was die TI über eine einzelne Katze aussagt. Sind wir nun gezwungen in jedem Modell von Katzen ihren kompletten Zustand und seine Zeitentwicklung zu spezifizieren? Keineswegs. Das ist nicht nur praktisch unmöglich, sondern modelliert auch nicht alle interessanten Eigenschaften von Katzen, z.B. die emergenten Eigenschaften, die sich erst aus coarse-graining ergeben. (Der Puls ist klarerweise so eine Eigenschaft, denn Elementarteilchen haben selbstverständlich keinen.) Im ganzen ist die Katze ohnehin nicht als fixe Menge von Atomen definiert, sondern als Sammlung von solchen stabilen, emergenten Eigenschaften. Atome dürfen kommen und gehen. Wir müssen also schon aus physikalischen Gründen die Katze zwangsläufig als offenes System modellieren, und das können wir evtl. mit Hilfe eines klassischen Ensembles tun. Geben wir damit unseren Anspruch auf, eine einzelne Katze zu modellieren? Nein, genausowenig, wie wir unter Verwendung von Gibbsschen Ensembles in der Thermodynamik unseren Anspruch aufgeben, daß Temperatur, Entropie, etc. Eigenschaften eines einzelnen makroskopischen Körpers sind. Hat sich damit wieder eine "ensembleartige Interpretation" eingeschlichen? Nein, wir haben lediglich ein "ensembleartiges Modell" für eine einzelne Katze verwendet, völlig analog zur Thermodynamik. Die Katze selbst ist immer in einem wohldefinierten Mikrozustand, den wir lediglich nicht mitmodellieren.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Dann kann ich das Argument einfach umdrehen, dass Neumaier nämlich nicht allgemein widerlegen kann, dass dieser Zustand auftritt. Und zuletzt enthalten Neumaiers Artikel ebenfalls keine konkreten Modelle.

Nein, das kannst du nicht umdrehen. Er muß das nämlich nicht widerlegen. Er muß auch nicht widerlegen, daß sich eine Katze spontan in ein Einhorn verwandelt oder daß andere unwahrscheinliche Szenarien auftreten. Das hat nämlich mit der Interpretation der Theorie nichts mehr zu tun, sondern nur mit ihrem physikalischen Gehalt. Wir beobachten keine Katzen mit makroskopisch unbestimmten Lebenszeichen. Nur wenn wir meinen, unsere Modelle sagten solche Katzen vorher, müssen wir diese Eigenschaft irgendwie "hinweginterpretieren". Wenn unsere Modelle so etwas aber gar nicht vorhersagen, haben wir auch kein spezielles Interpretationsproblem.

Richtig - wenn unsere Modelle so etwas nicht vorhersagen, dann und nur dann haben wir kein spezielles Interpretationsproblem.


"Dann", aber nicht "nur dann". Wenn sie so etwas vorhersagen, können wir immer noch an den Modellen zweifeln. Wenn wir nicht von vornherein beschlossen haben den Formalismus so zu interpretieren, daß seltsame Katzen zwar existieren können, aber ihre Seltsamkeit ohnehin unbeobachtbar ist, dann hätten wir kaum einen Grund ein Modell über seltsame Katzen ernst zu nehmen. Es sei denn, es faßte wirklich unser gesamtes verfügbares Wissen über Katzen zusammen und es gäbe absolut nichts besseres. Aber wenn wir so ein Modell hätten, dann bezweifle ich, daß seine Vorhersagen uns seltsam erschienen, egal wie sie ausfallen. Tatsächlich ist das gerade das Paradoxe an Schrödingers Katze: ihre Eigenschaften sind seltsam, aber sie folgen anscheinend unausweichlich aus dem Formalismus. So unausweichlich ist das aber eben nicht. Es ist nichtmal ein Modell über Katzen. Es ist so abstrakt, daß jede Eigenschaft jedes makroskopischen Körpers für die Lebenszeichen der Katze eintreten könnte. Nichts an dem "Modell" ist spezifisch genug, um die Behauptung zu rechtfertigen es beschreibe irgendeine Eigenschaft des Mikrozustands einer realen einzelnen Katze.

Zitat:

Der andere wesentliche Punkt ist, dass die Modelle zur Dekohärenz dies sehr wohl vorhersagen - und wenn „keine Aussage der TI im Widerspruch zur Dekohärenz steht“, muss die TI die Dekohärenz durch eine verbesserte Methode oder Argumentation ersetzen, die eben entweder nicht zu derartigen Artefakten führt, oder die erklärt, warum es eben nur Artefakte sind.


Diese "verbesserte" Methode besteht z.B. in der Analyse von stückweise deterministischen Prozessen auf dem Hilbertraum. Aus diesen folgt Dekohärenz innerhalb bestimmter Modelle. Sie erklärt sogar, daß die erwähnten Artefakte nur daher kommen, daß man statt der vollständigen im Ensemble enthaltenen Information, nur deren Mittelwert modelliert. Damit sind die Ergebnisse der Dekohärenz vollkommen im Einklang mit der TI.

Zitat:

Ich verstehe zunächst mal nicht, wie sich Neumaier von der Dekohärenz absetzen kann, wenn die TI ihr nicht widerspricht. Dann verstehe ich nicht, wie er sich von ihr absetzen will, wenn er sich nicht mit ihr befasst; nach meinem Verständnis ignoriert er sie.


Er ignoriert sie nicht. Er behauptet sie beschreibe den Mittelwert einer Art Gibbsschen Ensembles. Die Basis für diese Behauptung ist die Analyse stückweise deterministischer Prozesse auf dem Hilbertraum. Er muß sich nicht von ihr absetzen, er will sich nicht von ihr absetzen. Er hat schlicht kein Problem mit Dekohärenz im Rahmen der TI.

Zitat:

Deine Anmerkung „wir beobachten keine Katzen mit makroskopisch unbestimmten Lebenszeichen“ ist war richtig, aber sie erklärt nichts.


Sie soll auch nur deutlich machen, daß wir keinen a priori Grund haben, Argumenten zu trauen, die kaum mehr tun, als solche Zustände zu postulieren. Einmal postuliert, interpretiert die TI sie natürlich genauso gut wie jeden anderen Zustand auch. Allerdings folgt daraus dann nicht mehr viel interessantes.

Zitat:

Von einer Interpretation erwarte ich doch, dass sie erklärt, warum wir sie nicht beobachten;


Von einer Interpretation erwarte ich nur eine Aussage über den Zusammenhang zwischen Theorie und Realität. Die Frage was wir beobachten können, beantwortet ein konkretes physikalisches Modell.

Zitat:

oder wie wir sie loswerden, obwohl sie z.B. aus der Dekohärenz folgen; oder welche verbesserten Methoden oder Argumentationen sicherstellen, dass die Ergebnisse der Dekohärenz hier irrelevant sind.


Das sind alles lediglich falsche Alternativen. Dekohärenz ist nicht irrelevant, weil Mittelwerte nicht irrelevant sind. Wir müssen auch keine der Vorhersagen der Dekohärenz "loswerden", genauso wenig wie wir die anderen nicht gewürfelten Zahlen wieder loswerden müssen, nachdem wir eine 6 gewürfelt haben.

Zitat:

Ich habe schon mehrfach darauf hingewiesen, dass die Ausführungen Neumaiers m.M.n. eine Erklärungslücke aufweisen. Er behauptet dies, ohne dass ich hier eine schlüssige Begründung erkenne (evtl. übersehe ich sie oder verstehe sie nicht; die o.g. Argumentation zu den offenen Systemen steht mir dabei sicher im Weg; zum einen kenne ich mich technisch nicht damit aus, zum anderen habe ich wie oben ausgeführt ein prinzipielles Problem damit, die Betrachtung auf offene Systeme zu beschränken).


Es wird auch nichts "beschränkt". Die Dynamik offener Systeme ist lediglich aus physikalischen Gründen für den Meßprozeß relevant. Diese Aussage hat aber nichts mit der Interpretation zu tun.
TomS
BeitragVerfasst am: 21. Feb 2021 12:09    Titel:

Ok, Ich sehe, wir kommen wieder zusammen - nicht bzgl. der Schlussfolgerungen, jedoch bzgl. der Diskussionspunkte.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Ob man nun die TI als "psi-ontisch" bezeichnen kann, gilt es herauszufinden, das ist die zentrale Frage. Neumaier äußert sich dazu nicht klar.

Ich denke schon. Und ich denke auch, daß dies eine offensichtliche Eigenschaft seiner Interpretation ist. Er redet von individuellen Systemen im Zustand und allen aus berechenbaren Größen als objektiven Eigenschaften dieser Systeme. Ich weiß nicht wie es noch psi-ontischer (oder "rho-ontischer") sein könnte.

Siehe weiter unten: was ich bei ihm sehe sind Behauptungen, die mir aber im Folgenden nicht offensichtlich klar werden.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Dass ich “anscheinend nicht wahrnehme, daß das Meßproblem in der TI lediglich zu einem Problem der makroskopischen Dynamik geworden ist und ... wir beide die Physik offener Quantensysteme, die hierfür relevant ist, so gut wie gar nichts verstehen” ist so nicht richtig. Ich nehme diese Meinung sehr wohl wahr, ich bin mir jedoch nicht sicher, ob sie zutrifft.

Dann sollten wir uns vielleicht mal auf diesen Punkt konzentrieren. Ich halte das nämlich für relativ klar. Eine ganz andere Frage ist natürlich, ob sie mit dieser Sichtweise letztlich Erfolg haben kann. Aber so wie die TI dargelegt ist, sind physikalische Probleme das einzige was am Meßproblem prinzipiell offen ist.

Es scheint mir eine offensichtliche Konsequenz daraus zu sein, daß reale Detektoren, deren Eigenschaften uns interessieren, makroskopische Objekte sind, die wir nicht in allen Einzelheiten beschreiben, sondern lediglich mittels einiger weniger Parameter.

Ok. Lass uns das diskutieren.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Wenn die TI psi-ontisch ist, dann ist sie das bitte auch bzgl. geschlossener Quantensysteme.

Und schon wieder tust du es. Gerade ging es um die Frage wie man makroskopische Detektoren modelliert und du bringst das wieder mit der Frage durcheinander ob die TI psi-ontisch ist. Das scheint ganz unbewußt zu passieren.

Jetzt verwirrst du mich.

Wenn eine Interpretation psi-ontisch ist, dann besagt das doch zunächst, dass der Zustand psi (oder rho) die Realität vollständig und zutreffend modelliert, und dass umgekehrt die Realität vollständig und zutreffend durch psi (rho) modelliert wird; daraus folgt, dass auch den aus psi (rho) abgeleiteten Größen diese Eigenschaft „ontischen“ zu sein, zukommt; anders gesagt, alle diese abgeleiteten Eigenschaften entsprechen realen Eigenschaft des Systems (das müssen nicht unbedingt Eigenschaften sein, die wir als klassische Eigenschaften kennen, und es müssen nicht unbedingt praktisch messbare Eigenschaften sein). Soweit einverstanden?

Damit eine kohärente Interpretation vorliegt, muss sie für alle Systeme zu in sich logisch konsistente Aussagen gelangen (Gegenbeispiel: diverse krude Versatzstücke der Kopenhagener Interpretation, wobei innere Logik so zurechtgebogen oder ignoriert wird, wie man‘s gerade braucht).

Was bedeutet nun „alle Systeme“? M.M.n. alle Systeme, die ich nach dem gültigen Formalismus der QM bzw. QFT konstruieren kann, unabhängig davon, ob sie real existieren mögen oder nicht. Möglicherweise auch nur diejenigen Systeme, die tatsächlich real auftreten können, wobei dies voraussetzt, dass mir jemand schlüssig erklärt, was dafür ein vernünftiges Kriterium ist und wie man mittels dieses Kriteriums praktisch entscheidet, ob ein konstruiertes System nicht egal existieren kann.

Warum also soll ich nicht nach dem „ontischen Gehalt des Universums sowie speziell bzgl. dieser einen Katze fragen“? Natürlich ist es nur ein Gedankenexperiment, praktisch relevant ist natürlich nur die Frage nach „dieser Katze in dieser luftgefüllten Kiste bei geschlossenem Deckel usw.“

Lass‘ uns diesen Punkt bzgl. offener Systeme diskutieren. Damit habe ich ein Problem; ich hoffe, es ist klar geworden, welchen.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Ich will wissen, was die TI zu dieser einen Katze im Universum zu sagen hat. Wenn sie das nicht kann, hat sie m.E. ein Problem.

Und dieses Problem hat sie offensichtlich nicht.

Ok, was genau hat die TI denn dazu - einen Katze im Universum - zu sagen oder nicht zu sagen?

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Dann kann ich das Argument einfach umdrehen, dass Neumaier nämlich nicht allgemein widerlegen kann, dass dieser Zustand auftritt. Und zuletzt enthalten Neumaiers Artikel ebenfalls keine konkreten Modelle.

Nein, das kannst du nicht umdrehen. Er muß das nämlich nicht widerlegen. Er muß auch nicht widerlegen, daß sich eine Katze spontan in ein Einhorn verwandelt oder daß andere unwahrscheinliche Szenarien auftreten. Das hat nämlich mit der Interpretation der Theorie nichts mehr zu tun, sondern nur mit ihrem physikalischen Gehalt. Wir beobachten keine Katzen mit makroskopisch unbestimmten Lebenszeichen. Nur wenn wir meinen, unsere Modelle sagten solche Katzen vorher, müssen wir diese Eigenschaft irgendwie "hinweginterpretieren". Wenn unsere Modelle so etwas aber gar nicht vorhersagen, haben wir auch kein spezielles Interpretationsproblem.

Richtig - wenn unsere Modelle so etwas nicht vorhersagen, dann und nur dann haben wir kein spezielles Interpretationsproblem.

Nur, wir kennen nicht alle möglichen Modelle und wie können sie nicht alle diesbzgl. untersuchen. Dabei haben wir zwei Probleme: zum ersten alle Modelle an sich zu identifizieren, zum zweiten für jedes Modell die zulässigen oder vernünftigen Anfangsbedingung zu identifizieren, für die wir das konkrete Modell dann untersuchen.

Der andere wesentliche Punkt ist, dass die Modelle zur Dekohärenz dies sehr wohl vorhersagen - und wenn „keine Aussage der TI im Widerspruch zur Dekohärenz steht“, muss die TI die Dekohärenz durch eine verbesserte Methode oder Argumentation ersetzen, die eben entweder nicht zu derartigen Artefakten führt, oder die erklärt, warum es eben nur Artefakte sind.

Ich verstehe zunächst mal nicht, wie sich Neumaier von der Dekohärenz absetzen kann, wenn die TI ihr nicht widerspricht. Dann verstehe ich nicht, wie er sich von ihr absetzen will, wenn er sich nicht mit ihr befasst; nach meinem Verständnis ignoriert er sie.

Deine Anmerkung „wir beobachten keine Katzen mit makroskopisch unbestimmten Lebenszeichen“ ist war richtig, aber sie erklärt nichts. Von einer Interpretation erwarte ich doch, dass sie erklärt, warum wir sie nicht beobachten; oder wie wir sie loswerden, obwohl sie z.B. aus der Dekohärenz folgen; oder welche verbesserten Methoden oder Argumentationen sicherstellen, dass die Ergebnisse der Dekohärenz hier irrelevant sind.

Ich habe schon mehrfach darauf hingewiesen, dass die Ausführungen Neumaiers m.M.n. eine Erklärungslücke aufweisen. Er behauptet dies, ohne dass ich hier eine schlüssige Begründung erkenne (evtl. übersehe ich sie oder verstehe sie nicht; die o.g. Argumentation zu den offenen Systemen steht mir dabei sicher im Weg; zum einen kenne ich mich technisch nicht damit aus, zum anderen habe ich wie oben ausgeführt ein prinzipielles Problem damit, die Betrachtung auf offene Systeme zu beschränken).

Ich denke, die o.g. fett markierten Punkte sind die Knackpunkte.
index_razor
BeitragVerfasst am: 21. Feb 2021 10:39    Titel:

TomS hat Folgendes geschrieben:
Du fragst zur MWI und wundest dich, dass ich dann zur MWI antworte?


Ich wundere mich doch gar nicht darüber. Ich hatte lediglich den Eindruck du hast meine Frage (oder eine meiner Behauptungen) falsch verstanden und deswegen erschien mir deine Antwort zum Großteil nicht relevant.

Zitat:

Ich denke nicht, dass ich Wallace u.a. (z.B. Carroll) falsch verstehe oder interpretiere. Ich denke auch nicht, dass ich Physik und Interpretation durcheinander bringe; ich trenne Dekohärenz (Formalismus) und MWI o.a. sprachlich sehr genau.


Du bringst nur Aussagen über konkrete physikalische Modelle im Kontext der TI mit Grundaussagen der TI durcheinander. Du tust das natürlich nicht generell.

Zitat:

Ob man nun die TI als "psi-ontisch" bezeichnen kann, gilt es herauszufinden, das ist die zentrale Frage. Neumaier äußert sich dazu nicht klar.


Ich denke schon. Und ich denke auch, daß dies eine offensichtliche Eigenschaft seiner Interpretation ist. Er redet von individuellen Systemen im Zustand und allen aus berechenbaren Größen als objektiven Eigenschaften dieser Systeme. Ich weiß nicht wie es noch psi-ontischer (oder "rho-ontischer") sein könnte.

Zitat:

Dass ich “anscheinend nicht wahrnehme, daß das Meßproblem in der TI lediglich zu einem Problem der makroskopischen Dynamik geworden ist und ... wir beide die Physik offener Quantensysteme, die hierfür relevant ist, so gut wie gar nichts verstehen” ist so nicht richtig. Ich nehme diese Meinung sehr wohl wahr, ich bin mir jedoch nicht sicher, ob sie zutrifft.


Dann sollten wir uns vielleicht mal auf diesen Punkt konzentrieren. Ich halte das nämlich für relativ klar. Eine ganz andere Frage ist natürlich, ob sie mit dieser Sichtweise letztlich Erfolg haben kann. Aber so wie die TI dargelegt ist, sind physikalische Probleme das einzige was am Meßproblem prinzipiell offen ist.

Zitat:

Es ist zunächst mal eine Behauptung, die mir nach Neumaiers Aussagen zumindest für mich nicht offensichtlich klar ist. Dann ist insbs. die Behauptung, es hätte etwas mit offenen Quantensystemen zu tun, nicht gut begründet.


Ich finde schon. Es scheint mir eine offensichtliche Konsequenz daraus zu sein, daß reale Detektoren, deren Eigenschaften uns interessieren, makroskopische Objekte sind, die wir nicht in allen Einzelheiten beschreiben, sondern lediglich mittels einiger weniger Parameter.

Zitat:

Wenn die TI psi-ontisch ist, dann ist sie das bitte auch bzgl. geschlossener Quantensysteme.


Und schon wieder tust du es. Gerade ging es um die Frage wie man makroskopische Detektoren modelliert und du bringst das wieder mit der Frage durcheinander ob die TI psi-ontisch ist. Das scheint ganz unbewußt zu passieren.

Zitat:

Ich will wissen, was die TI zu dieser einen Katze im Universum zu sagen hat. Wenn sie das nicht kann, hat sie m.E. ein Problem.


Und dieses Problem hat sie offensichtlich nicht.

Zitat:

Dass “mein abstraktes Dekohärenzschemata nicht die geringste Spur eines physikalischen Modells enthält und ich nicht beweisen kann, daß dieser Zustand auftritt” ist nicht der einzig relevante Punkt.


Dann haben wir wohl noch keine gemeinsame Diskussionsgrundlage.

Zitat:

Zunächst mal ist die Dekohärenz weitgehend akzeptiert, Neumaiers TI nicht.


Irrelevant, weil keine Aussage der TI im Widerspruch zur Dekohärenz steht.

(Außerdem ist "weitgehende Akzeptanz" in diesem Zusammenhang ohnehin irrelevant für mich. Ich bin an Argumenten interessiert, nicht an Umfragen.)

Zitat:

Dann kann ich das Argument einfach umdrehen, dass Neumaier nämlich nicht allgemein widerlegen kann, dass dieser Zustand auftritt. Und zuletzt enthalten Neumaiers Artikel ebenfalls keine konkreten Modelle.


Nein, das kannst du nicht umdrehen. Er muß das nämlich nicht widerlegen. Er muß auch nicht widerlegen, daß sich eine Katze spontan in ein Einhorn verwandelt oder daß andere unwahrscheinliche Szenarien auftreten. Das hat nämlich mit der Interpretation der Theorie nichts mehr zu tun, sondern nur mit ihrem physikalischen Gehalt. Wir beobachten keine Katzen mit makroskopisch unbestimmten Lebenszeichen. Nur wenn wir meinen, unsere Modelle sagten solche Katzen vorher, müssen wir diese Eigenschaft irgendwie "hinweginterpretieren". Wenn unsere Modelle so etwas aber gar nicht vorhersagen, haben wir auch kein spezielles Interpretationsproblem.

Und konkrete Modelle zur Dekohärenz sowie ihr Zusammenhang zu stückweise deterministischen Prozessen auf dem Hilbertraum werden in Breuer, Petruccione diskutiert, auf das Neumaier verweist. Die Forderung Neumaier müßte das alles selbst vorrechnen, ist absurd.

Zitat:

Meine “Belehrungen” zu Ensembles, Schrödinger vs. Born ist nicht irrelevant - allenfalls bekannt. Es geht ganz einfach darum, klarzustellen, dass eine "psi-ontische" Sicht bitte nicht über Ensembles und Wahrscheinlichkeiten als fundamentale Entitäten redet, weil sie dann nicht psi-ontische wäre.


Und nochmal, das tut die TI auch nicht. Da kommen keine Ensembles und Wahrscheinlichkeiten als "fundamentale Entitäten" vor. Ich verstehe nicht, warum du immer wieder auf diesem Punkt rumreitest. Das sollte längst geklärt sein.

Zitat:

Wenn du aber sagst “du redest von einer Modellierung offener Systeme mittels stochastischer Dynamik auf dem Hilbertraum”, “diese wird formuliert durch Evolutionsgleichungen für eine klassische Wahrscheinlichkeitsverteilung über reine Zustände oder Dichtematrizen” und “Sie beschreiben also von vornherein ein Ensemble” dann frage ich mich, wo das hinführen soll.


Das soll zu konkreten physikalischen Modellen führen, die im Kontext des Meßprozesses relevant sind.

Zitat:

Wer ist “Sie”? Was beschreibt von vornherein ein Ensemble? Offene Systeme? Warum? Und warum überhaupt offene Systeme? s.o.


"Sie" sind die Modelle stochastischer Dynamik, aus denen man z.B. die Dekohärenz eines offenen Systems in makroskopischen Umgebungen erhält. Systeme, die an makroskopische Reservoire koppeln modelliert man als offene Systeme, weil es unmöglich ist das System und seine Umgebung als ein geschlossenes System zu modellieren. Wenn man also an physikalischen Aussagen interessiert ist, geht es nicht anders.

(EDIT: Die Frage "warum offene Systeme" erscheint mir im Nachhinein doch sehr rätselhaft. Du formulierst ja selbst Dekohärenz als Eigenschaft der reduzierten Dichtematrix nach partieller Spurbildung. Diese reduzierte Dichtematrix beschreibt aber den Zustand eines offenen Systems. Was sonst?)

Zitat:

Nach dem was du weiter unten schreibst, sind wir uns zur MWI dann doch in etwa einig, aber das ist hier auch nicht der Punkt.


Ok, aber es freut mich trotzdem, daß ich die MWI zumindest nicht komplett falsch verstanden habe.
TomS
BeitragVerfasst am: 21. Feb 2021 09:44    Titel:

Du fragst zur MWI und wundest dich, dass ich dann zur MWI antworte?

Ich denke nicht, dass ich Wallace u.a. (z.B. Carroll) falsch verstehe oder interpretiere. Ich denke auch nicht, dass ich Physik und Interpretation durcheinander bringe; ich trenne Dekohärenz (Formalismus) und MWI o.a. sprachlich sehr genau.

Ob man nun die TI als "psi-ontisch" bezeichnen kann, gilt es herauszufinden, das ist die zentrale Frage. Neumaier äußert sich dazu nicht klar.

Dass ich “anscheinend nicht wahrnehme, daß das Meßproblem in der TI lediglich zu einem Problem der makroskopischen Dynamik geworden ist und ... wir beide die Physik offener Quantensysteme, die hierfür relevant ist, so gut wie gar nichts verstehen” ist so nicht richtig. Ich nehme diese Meinung sehr wohl wahr, ich bin mir jedoch nicht sicher, ob sie zutrifft.

Es ist zunächst mal eine Behauptung, die mir nach Neumaiers Aussagen zumindest für mich nicht offensichtlich klar ist. Dann ist insbs. die Behauptung, es hätte etwas mit offenen Quantensystemen zu tun, nicht gut begründet. Wenn die TI psi-ontisch ist, dann ist sie das bitte auch bzgl. geschlossener Quantensysteme. Ich will wissen, was die TI zu dieser einen Katze im Universum zu sagen hat. Wenn sie das nicht kann, hat sie m.E. ein Problem.

Dass “mein abstraktes Dekohärenzschemata nicht die geringste Spur eines physikalischen Modells enthält und ich nicht beweisen kann, daß dieser Zustand auftritt” ist nicht der einzig relevante Punkt. Zunächst mal ist die Dekohärenz weitgehend akzeptiert, Neumaiers TI nicht. Dann kann ich das Argument einfach umdrehen, dass Neumaier nämlich nicht allgemein widerlegen kann, dass dieser Zustand auftritt. Und zuletzt enthalten Neumaiers Artikel ebenfalls keine konkreten Modelle.

Meine “Belehrungen” zu Ensembles, Schrödinger vs. Born ist nicht irrelevant - allenfalls bekannt. Es geht ganz einfach darum, klarzustellen, dass eine "psi-ontische" Sicht bitte nicht über Ensembles und Wahrscheinlichkeiten als fundamentale Entitäten redet, weil sie dann nicht psi-ontische wäre. Wenn wir uns darüber einig sind, dann ist’s ja gut.

Wenn du aber sagst “du redest von einer Modellierung offener Systeme mittels stochastischer Dynamik auf dem Hilbertraum”, “diese wird formuliert durch Evolutionsgleichungen für eine klassische Wahrscheinlichkeitsverteilung über reine Zustände oder Dichtematrizen” und “Sie beschreiben also von vornherein ein Ensemble” dann frage ich mich, wo das hinführen soll.

Wer ist “Sie”? Was beschreibt von vornherein ein Ensemble? Offene Systeme? Warum? Und warum überhaupt offene Systeme? s.o.

Oder meinst du mit “Sie”? die Dichtematrizen? Nein, Dichtematrizen beschreiben nicht von vorne herein Ensembles. Eine partielle Dichtematrix gewonnen mittels Ausspuren beschreibt zunächst eine Näherung an ein einzelnes System. Wenn du das als Ensemble interpretieren möchtest, kannst du das tun, es ist aber nicht logisch zwingend.

Nach dem was du weiter unten schreibst, sind wir uns zur MWI dann doch in etwa einig, aber das ist hier auch nicht der Punkt.

Zur eigentlichen Frage der TI später mehr ...
index_razor
BeitragVerfasst am: 21. Feb 2021 08:39    Titel:

TomS hat Folgendes geschrieben:
Jetzt sind wir wieder ganz am Anfang. Ich denke, du verstehst meine Diskussion zur TI nicht, weil du die MWI nicht wirklich verstehst.


Das halte ich für äußerst unwahrscheinlich. Nicht, weil ich glaube die MWI zu verstehen (obwohl ich glaube zu verstehen, daß deine Auffassung im Widerspruch zu der anderer Vertreter, wie Wallace steht), sondern weil es schlicht nicht notwendig ist, die MWI zu verstehen um deine Aussagen zur TI zu beurteilen. Dazu muß ich selbstverständlich nur die TI verstehen. Und zwischen beiden Interpretationen besteht nicht der geringste Zusammenhang (außer, daß man sie beide als "psi-ontisch" bezeichnen könnte.)

Der Hauptgegenstand der Diskussion sollte aber gerade längst nicht mehr die eigentliche Interpretation sein, sondern die Frage, wie eine realistische (nicht im philosophischen Sinne) Modellierung makroskopischer Systeme aussieht. Und ein Grundproblem sehe ich darin, daß du einige Aussagen zu konkreten physikalischen Modellen, die in diesem Zusammenhang stehen immer mit den Grundaussagen der Interpretation durcheinanderbringst und anscheinend nicht wahrnimmst, daß das Meßproblem in der TI lediglich zu einem Problem der makroskopischen Dynamik geworden ist. Das daraus abgeleitet Problem ist, daß wir beide anscheinend von der Physik offener Quantensysteme, die hierfür relevant ist, so gut wie gar nichts verstehen.

Über folgendes scheint mir aber außerdem noch nicht genug Klarheit zu herrschen: Die TI hat gar kein Problem damit einen Zustand wie



zu interpretieren. Es handelt sich einfach um ein Objekt, dessen Lebenszeichen eine objektiv große Unschärfe haben. Fertig. Die Frage ist nun nur noch, ob so ein Zustand tatsächlich auftreten kann. Und das ist eine rein physikalische Frage, die ein realistisches (wieder nicht im philosophischen Sinne) Modell für die Vitalzeichen eines Lebewesens erfordert.

Und du kannst mit deinen abstrakten Dekohärenzschemata, die nicht die geringste Spur eines physikalischen Modells enthalten, nicht beweisen, daß dieser Zustand auftritt. Das ist gerade der einzig relevante Punkt. Ich wiederhole es deshalb nochmal: Die TI kann dir jeden Dichteoperator realistisch (diesmal im philosophischen Sinne) interpretieren, auch (K). Darum geht es aber einfach nicht. Deswegen ist leider der Großteil deiner Ausführungen weiter unten über Ensembles, Schrödinger vs. Born etc. aus meiner Sicht vollkommen irrelevant. Dies trifft auch auf deine Belehrungen über die MWI zu, die für mich wenig neues enthielten. Ich gehe deshalb nur kurz darauf ein.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Wenn irgendein mathematischer Formalismus irgendeine Superposition liefert, heißt das noch nicht, daß dies irgendwas mit einem realen einzelnen System zu tun hat.

Das folgt natürlich nicht zwingend aus dem Formalismus, aber es ist eine zulässige Interpretation. Das solltest du akzeptieren können.


Es geht an dieser Stelle nicht mehr um die Interpretation des Formalismus. Die ist längst erledigt. Die TI hat dazu festgelegt, was aus ihrer Sicht die physikalischen (realen) Eigenschaften eines einzelnen Systems sind. Alles was wir im Rahmen der TI nun noch klären müssen, ist, welche physikalischen Eigenschaften konkrete Systeme tatsächlich haben.

Zitat:

Die Quantenmechanik wurde dann nach kurzer Zeit als statistische Theorie von Ensembles umgedeutet. Dieser Schritt Borns folgt aber ebenfalls nicht aus dem Formalismus.


Warum fängst du jetzt eigentlich mit der statistischen Interpretation an? Keiner behauptet Statistik oder Ensembles folgen aus dem Formalismus. q-Wahrscheinlichkeiten und q-Ensembles folgen allerdings schon daraus, aber die spielen keine Rolle in meiner Argumentation.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Es gibt nämlich keinen Grund zu der Annahme, daß es [das Ergebnis der Dekohärenz] etwas anders beschreibt als was im Mittel mit einem makroskopischen System passiert.]

Doch, es gibt diesen Grund, auch wenn du ihn bestreiten oder ignorieren magst.

Wenn wir zur Auffassung Schrödingers zurückkehren und die Wellenfunktion als Repräsentanten der Realität in einem einzelnen Quantensystem auffassen, dann liefert auch die Dekohärenz keine statistische Interpretation über Systeme im Mittel, sie liefert eine Näherung für ein einzelnes Quantensystem. Es gibt keinen Schritt im Formalismus der Dekohärenz, der dich zwingt, anzunehmen, würden über ein Ensemble oder eine Mittelung reden.


Es tut mir leid, aber du bist hier einfach komplett auf dem Holzweg. Ich rede nicht davon, daß mir die Dekohärenz eine "statistische Interpretation" liefert. Ich rede von einer Modellierung offener Systeme mittels stochastischer Dynamik auf dem Hilbertraum. Diese wird formuliert durch Evolutionsgleichungen für eine klassische Wahrscheinlichkeitsverteilung über reine Zustände oder Dichtematrizen. Sie beschreiben also von vornherein ein Ensemble.

Dem gegenüber stehen die Modelle über umgebungsinduzierte Dekohärenz, die die Zeitentwicklung eines offenen Systems in einem makroskopischen Reservoir (kanonischem Ensemble o.ä.) mittels Quantenmastergleichung beschreiben. Nur über solche Situationen reden wir, und bereits hier steckt eine Art Gibbssches Ensemble in Form eines makroskopischen Systems drin, wenn auch beschrieben durch eine einzelne Dichtmatrix. Aber das ist gar nicht mein Punkt.

Nun läßt sich für eben diese Klasse von Modellen zeigen, daß sich die entsprechende Mastergleichung genau als Mittel eines stückweise deterministischen Prozesses auf dem Hilbertraum erhalten läßt. Das ist ein Fakt. Ich muß da nichts interpretieren. Natürlich kannst du diesen Zusammenhang auch ignorieren und annehmen die Mastergleichung für deine Dichtematrix beschreibe stets den kompletten Zustand eines individuelles System. Ich finde das angesichts des physikalischen Kontexts, in dem sie auftritt zwar reichlich bizarr. Aber ich will dich davon gar nicht abhalten, wenn es dich zusammen mit der MWI glücklich macht. Du kannst allerdings nicht diese Interpretation aus physikalischen Gründen oder aus "dem Formalismus der Dekohärenz" heraus rechtfertigen, und nur darauf kommt es mir gerade an. Deine Interpretation folgt auch nicht einfach "wenn wir zur Auffassung Schrödingers zurückkehren". Denn diese Auffassung ist sehr wohl kompatibel mit stochastischer Dynamik auf dem Hilbertraum.

Zitat:

Diese Sichtweise schleicht sich ein, weil viele es gewohnt sind, Dichtematrizen als Analoga zu klassischen Ensemble und klassische Wahrscheinlichkeiten aufzufassen;


Du hast immer noch nicht verstanden in welchem Zusammenhang hier ausschließlich von Ensembles die Rede ist. Dabei geht es nur um die Dynamik offener Systeme. Die wird standardmäßig als stochastischer Prozeß modelliert, z.B. als Quanten-Markov-Prozeß. Dabei kommen zufällige Einflüsse auf den Systemzustand in Form von diskontinuierlichen Sprüngen vor. Das liegt aber ausschließlich daran, daß nicht das gesamte System modelliert wird. Und hier "schleicht" sich nichts ein. Das ist explizite Modellannahme. Auch Dekohärenz in makroskopischen Umgebungen wird so modelliert.

Zitat:

Die MWI geht ihn einfach nicht; sie bleibt bei Schrödinger. Das solltest du akzeptieren, und zwar als notwendige Voraussetzung, um die MWI verstehen und kritisieren zu können; das macht dich noch nicht zu einem Anhänger der MWI.


Das habe ich längst akzeptiert und ich habe in letzter Zeit auch nichts gegenteiliges behauptet. (Ich würde sogar soweit gehen, daß ich noch nie etwas gegenteiliges behauptet habe.) Ein Anhänger der MWI bin ich aus ganz anderen Gründen nicht, die dir offenbar nicht ganz klar sind.

Zitat:

Vergleiche das mit einer klassischen Theorie. Gemäß der Newtonschen Mechanik magst du die Dynamik einzelner Punktteilchen als reale Beschreibung eines einzelnen Teilchens auffassen. Wenn du den Übergang zur Hydrodynamik vollziehst, mittelst du die Körnigkeit der Materie heraus, aber du vollzieht damit keineswegs einen Übergang zu einer statistischen Betrachtung; die Navier-Stokes-Gleichungen beschrieben kein Ensemble von Flüssen, sie beschreiben exakt einen Fluss und exakt das, was in diesem einen Fluss real passiert.


Ich habe auch nicht behauptet, daß jedes makroskopische Modell ein Ensemble beinhaltet. Du argumentierst unlogisch.

Zitat:

Nichts anderes leistet die Dekohärenz aus Sicht der MWI - die näherungsweise Beschreibung eines einzelnen makroskopischen Systems nach den Regeln der Quantenmechanik. Die Annahme, das Ausspuren der Umgebung wäre identisch zu einer Mitteilung über alle Umgebungen und führe zu “Aussagen im Mittel” ist ein Vorurteil und bedarf einer Begründung.


Ich habe ebenfalls nicht behauptet, partielle Spurbildung sei identisch zu einer Mittelung. Also bedarf dies aus meiner Sicht auch keiner Begründung.

Von einer Mittelung spreche ich nur, wenn mein Modell irgendeine Verteilung beinhaltet, die ich irgendwo weiter oben mal eingeführt habe. Zur Begründung meiner tatsächlichen Behauptung siehe oben.

Zitat:

Diese stammt eigentlich nicht aus der Dekohärenz, sondern m.M.n. bereits aus der grundlegenden Sichtweise, die Quantenmechanik mache ohnehin nur statistische Aussagen.


Das hast du falsch verstanden. Diese Mittelung kam nur aus einem statistischen Modell über den Einfluß der Umgebung auf mein System, nicht aus einer "grundlegenden Sichtweise" auf die QM.

Zitat:

D.h., wenn man den Schritt von Schrödinger zu Born nicht mitgeht, dann ist die Sichtweise auf die Dekohärenz, diese liefere eine näherungsweise Beschreibung eines einzelnen makroskopischen Systems, naheliegend.


Ob du ihn mitgehst oder nicht, es bleibt m.E. ultimativ eine physikalische Frage.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Aber die einzige im Kontext der Diskussion relevante Frage ist: Wieso interpretiert sie sie als Darstellung vieler Welten, je einer für jeden Eigenzustand , und nicht als eine Welt mit der objektiven Eigenschaft ? Dazu muß sie doch irgendeinen Grund haben. Bis jetzt hast du keinen genannt.

Letzteres ist schlicht nicht wahr. Ich habe die eben genannten Gründe hier und in anderen Diskussionen mehrfach genannt. Ich versuch’s gerne nochmal.


Ich denke du hast meine Aussage über die MWI komplett falsch aufgefaßt. Vielleicht unterstellst du ja deshalb, ich hätte sie nicht verstanden.

Meine Behauptung war, daß, vereinfacht gesagt, die MWI jedes Element a des Spektrums von A mit zu einer objektiven Eigenschaft des Systems im Zustand erklärt.

Dies impliziert nicht im geringsten die Behauptung beschreibe ein Ensemble, die du mir anscheinend im folgenden austreiben wolltest. Es hat ebenfalls nichts mit solchen semantischen Spitzfindigkeiten zu tun, ob man nun als den Zustand "einer" Welt mit mehreren Zweigen (TomS) oder jeden dieser Zweige als eine Welt und als den Zustand eines "Multiversums" aus "vielen Welten" (Wallace) bezeichnet.

Zitat:

Woher kommen nun die vielen Welten? Zunächst mal ist das ein sprachlicher Missgriff deWitts, der die Diskussion der folgenden Jahrzehnte überlagert.

Die Idee ist recht einfach: Aus der Dekohärenz folgt das, was Zurek als Einselection bezeichnet, d.h. Environmental induced Superselection. Die einzelnen Zweige sind robust und bleiben stabil, sie beeinflussen sich gegenseitig nicht. Daher ist in einem Zweig epistemisch das vorhanden, was aus der entsprechenden Komponente der Dichtematrix folgt, und epistemisch das nicht vorhanden, was in den anderen Komponenten beschrieben wird.


Ich halte es ehrlich gesagt für Kauderwelsch, daß etwas "epistemisch" vorhanden oder nicht vorhanden sein soll. Entweder ist es vorhanden (Teil der Ontologie) oder nicht. Und entweder kann ich etwas vorhandenes erkennen oder nicht. So wie ich die Aussagen von Wallace verstehe sind die Zweige objektiv vorhanden. Und was sind die objektiven Eigenschaften dieser Zweige? Unter anderem die spektralen Werte (p,q) aus einem Intervall mit der Eigenschaft für ein geeignetes POVM . Laut Wallace instanziiert der Zustand in diesem Fall ein reales Teilchen mit Ort und Impuls in dem genannten Intervall. Das läuft auf meine obige Aussage hinaus (die lediglich einen vereinfachten Spezialfall darstellt).
TomS
BeitragVerfasst am: 20. Feb 2021 09:15    Titel:

Jetzt sind wir wieder ganz am Anfang. Ich denke, du verstehst meine Diskussion zur TI nicht, weil du die MWI nicht wirklich verstehst.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Wenn irgendein mathematischer Formalismus irgendeine Superposition liefert, heißt das noch nicht, daß dies irgendwas mit einem realen einzelnen System zu tun hat.

Das folgt natürlich nicht zwingend aus dem Formalismus, aber es ist eine zulässige Interpretation. Das solltest du akzeptieren können.

Bis zur Quantenmechanik gab es keine physikalische Theorie die das anders gesehen hätte. Die statistische Mechanik zählt nicht, da sie explizit über die Betrachtung von Ensembles entwickelt wurde.

Dies war bei der Quantenmechanik nicht der Fall, sie wurde nicht als statistische Theorie entwickelt, insbs. die Schrödingergleichung wurde anhand des klassischen Formalismus eines einzelnen Systems hergeleitet bzw. motiviert. Es gibt überhaupt keinen Grund zu der Annahme, dass Schrödinger etwas anderes im Sinn gehabt hätte - im Gegenteil. Die Quantenmechanik wurde dann nach kurzer Zeit als statistische Theorie von Ensembles umgedeutet. Dieser Schritt Borns folgt aber ebenfalls nicht aus dem Formalismus.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Es gibt nämlich keinen Grund zu der Annahme, daß es [das Ergebnis der Dekohärenz] etwas anders beschreibt als was im Mittel mit einem makroskopischen System passiert.]

Doch, es gibt diesen Grund, auch wenn du ihn bestreiten oder ignorieren magst.

Wenn wir zur Auffassung Schrödingers zurückkehren und die Wellenfunktion als Repräsentanten der Realität in einem einzelnen Quantensystem auffassen, dann liefert auch die Dekohärenz keine statistische Interpretation über Systeme im Mittel, sie liefert eine Näherung für ein einzelnes Quantensystem. Es gibt keinen Schritt im Formalismus der Dekohärenz, der dich zwingt, anzunehmen, würden über ein Ensemble oder eine Mittelung reden. Diese Sichtweise schleicht sich ein, weil viele es gewohnt sind, Dichtematrizen als Analoga zu klassischen Ensemble und klassische Wahrscheinlichkeiten aufzufassen; das ist eine mögliche Interpretation, aber sie ist erst dann naheliegend, wenn du vorher bereits den Schritt zu einer statistischen Interpretation gegangen bist.

Die MWI geht ihn einfach nicht; sie bleibt bei Schrödinger. Das solltest du akzeptieren, und zwar als notwendige Voraussetzung, um die MWI verstehen und kritisieren zu können; das macht dich noch nicht zu einem Anhänger der MWI.

Vergleiche das mit einer klassischen Theorie. Gemäß der Newtonschen Mechanik magst du die Dynamik einzelner Punktteilchen als reale Beschreibung eines einzelnen Teilchens auffassen. Wenn du den Übergang zur Hydrodynamik vollziehst, mittelst du die Körnigkeit der Materie heraus, aber du vollzieht damit keineswegs einen Übergang zu einer statistischen Betrachtung; die Navier-Stokes-Gleichungen beschrieben kein Ensemble von Flüssen, sie beschreiben exakt einen Fluss und exakt das, was in diesem einen Fluss real passiert.

Nichts anderes leistet die Dekohärenz aus Sicht der MWI - die näherungsweise Beschreibung eines einzelnen makroskopischen Systems nach den Regeln der Quantenmechanik. Die Annahme, das Ausspuren der Umgebung wäre identisch zu einer Mitteilung über alle Umgebungen und führe zu “Aussagen im Mittel” ist ein Vorurteil und bedarf einer Begründung. Diese stammt eigentlich nicht aus der Dekohärenz, sondern m.M.n. bereits aus der grundlegenden Sichtweise, die Quantenmechanik mache ohnehin nur statistische Aussagen.

D.h., wenn man den Schritt von Schrödinger zu Born nicht mitgeht, dann ist die Sichtweise auf die Dekohärenz, diese liefere eine näherungsweise Beschreibung eines einzelnen makroskopischen Systems, naheliegend.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Aber die einzige im Kontext der Diskussion relevante Frage ist: Wieso interpretiert sie sie als Darstellung vieler Welten, je einer für jeden Eigenzustand , und nicht als eine Welt mit der objektiven Eigenschaft ? Dazu muß sie doch irgendeinen Grund haben. Bis jetzt hast du keinen genannt.

Letzteres ist schlicht nicht wahr. Ich habe die eben genannten Gründe hier und in anderen Diskussionen mehrfach genannt. Ich versuch’s gerne nochmal.

Gemäß der MWI beschreibt eine Wellenfunktion oder ein Zustandsvektor ein einzelnes Quantensystem - egal ob mikroskopisch oder makroskopisch - und eine Welt. Auch die partielle Dichtematrix beschreibt ein einzelnes System in einer Welt - keine Mitteilung über Systeme, keine Ensembles. Und die Beschreibung ist realistisch und vollständig, d.h. alles, was wir über dieses eine System sagen können, ist in diesem Zustand kodiert, und alles was in diesem Zustand kodiert ist, ist eine reale Eigenschaft dieses einen Systems. Auch das solltest du akzeptieren, wieder als notwendige Voraussetzung, um die MWI verstehen und kritisieren zu können.

Was leistet die Dekohärenz für die MWI? Letztlich etwas recht einfaches: gemäß der Betrachtung des Messprozesses nach von Neumann ist der Zeiger bzw. der Zeigerzustand ein reines Symbol. Da wird ein Etwas eingeführt, das in den Gleichungen wie der Repräsentant eines quantenmechanischen Systems behandelt wird, obwohl wir wissen, dass es der Repräsentant eines makroskopischen Systems ist, über dessen Dynamik gemäß der Quantenmechanik von Neumann noch nichts wusste, und das nach der Meinung Bohrs et al. überhaupt nicht quantenmechansich behandelt werden sollte. Von Neumanns Darstellung hängt konzeptionell in der Luft.

Die Dekohärenz leistet nun etwas erstaunliches, sie zeigt nämlich, dass sich die seitens von Neumann (und auch Everett) postulierte Struktur des Messprozesses tatsächlich aus der Betrachtung makroskopischer Systeme nach den Regeln der Quantenmechanik ableiten lässt, in dem man die Freiheitsgrade der Umgebung betrachtet und ausspurt (keine Mitteilung, kein Ensemble, keine Statistik, einfach nur mathematische Gleichungen). Kurz: Zeh liefert etwas, was nach Bohr unnötig und unmöglich war.

Die Anhänger der MWI haben nun Gleichungen vor sich, die Ihnen eine Überlagerung makroskopischer Zeigerzustände liefern, und diese interpretieren sie als “für ein einzelnes Quantensystem in einer einzelnen Welt tatsächlich realisiert”. Zeh et al. haben also nicht anderes geleistet, als einige Postulate von Neumanns und die Sichtweise Everetts auf eine solide mathematische Grundlage gestellt.

Woher kommen nun die vielen Welten? Zunächst mal ist das ein sprachlicher Missgriff deWitts, der die Diskussion der folgenden Jahrzehnte überlagert.

Die Idee ist recht einfach: Aus der Dekohärenz folgt das, was Zurek als Einselection bezeichnet, d.h. Environmental induced Superselection. Die einzelnen Zweige sind robust und bleiben stabil, sie beeinflussen sich gegenseitig nicht. Daher ist in einem Zweig epistemisch das vorhanden, was aus der entsprechenden Komponente der Dichtematrix folgt, und epistemisch das nicht vorhanden, was in den anderen Komponenten beschrieben wird.

Die MWI interpretiert diese Struktur also in zweifacher Hinsicht, nämlich
1) als eine real existierende Welt, die von einem Gesamtzustand repräsentiert wird, sowie
2) eine Menge von Zweigen, die den robusten Komponenten des Gesamtzustandes entsprechen, wobei jeder Zweig bzgl. der Zweig-lokalen Wahrnehmung durch Zweig-lokale Beobachter epistemisch als je eigene Welt erscheint.

Es ist also schlicht nicht sinnvoll, als Beobachter innerhalb eines Zweiges einen Erwartungswert über alle Zweige zu berechnen, weil dies nicht dem entspricht, was je Zweig wahrgenommen wird. Ein Beobachter je Zweig berechnet den Erwartungswert innerhalb seines Zweiges.

Der hypothetische Beobachter, der die Realität aller Zweige kennt, kann den Erwartungswert über alle Zweige berechnen, aber auch das ist nicht sinnvoll. Wenn du zwei Autos siehst, eines fährt nach links, eines nach rechts, dann kannst du den Mittelwert ihrer Geschwindigkeiten berechnen; da du aber beide Autos als einzelne Objekte in der Struktur deiner Gleichung erkennst, wirst du zwei Erwartungswerte berechnen, je Auto einen. Und dir ist bewusst, dass ein Fahrer, der das andere Auto nicht sieht, dies nicht tun wird.

Diese Interpretation ist an sich absolut trivial. Sie erscheint dir nur deswegen heikel, weil du die Quantenmechanik anders gelernt hast und weil du die Konsequenzen kennst, z.B. dieses Katzenparadoxon. Denk dir das alles weg, dann bleibt eine naheliegende Interpretation übrig, letztlich genauso einfach wie die der Maxwellschen Gleichungen.

Die MWI tut nichts dazu, sie nimmt nichts weg, sie interpretiert nur das, was mathematisch hergeleitet wurde. Die MWI hat einen Zustand, den sie als Repräsentant einer Welt (im Kleinen eines Systems) auffasst. Dieser Zustand hat - Dekohärenz für makroskopisch Systeme vorausgesetzt - eine Struktur, die die MWI als Superselection Sectors auffasst, die sich wechselweise nicht beeinflussen und bzgl. der weiteren Zeitentwicklung robust sind.

Die MWI tut mehrere Dinge nicht:
1) sie zeichnet die Messung nicht aus; meine gesamte Argumentation kommt ohne den Begriff der Messung aus. Man kann und muss sich natürlich überlegen, ob das, was wir als Messung praktisch durchführen, mathematisch und argumentativ in das o.g. Konzept passt
2) sie führt keine Ensembles oder Wahrscheinlichkeiten ein. Auch hier muss man natürlich untersuchen, in wie weit wahrgenommene Wahrscheinlichkeiten aus der o.g. Interpretation ableitbar oder zumindest mit dieser verträglich sind.

Die MWI hat zwei Klassen von Probleme, wobei die ersten eigentlich trivial, jedoch in den meisten Diskussion immer die schwierigeren sind, so dass man zur zweiten und wichtigen oft gar nicht kommt.
1) die MWI wird häufig missverstanden (da viele in den Denkmustern der Orthodoxie nach Bohr und von Neumann gefangen sind)
2) die MWI postuliert weniger und muss mehr erklären (ich halte das für das Merkmal einer guten Theorie oder Hypothese)
index_razor
BeitragVerfasst am: 19. Feb 2021 08:05    Titel:

TomS hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
TomS hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
Ich denke sie geht lediglich von der falschen Voraussetzungen aus, daß nach einer Messung jeder Eigenwert, der vorher eine nichtverschwindende q-Wahrscheinlichkeit hatte, in der Realität repräsentiert sein müßte.

Das mag ursprünglich so gewesen sein. In der heutigen Variante ist es eher die Dekohärenz und die daraus folgende “Verzweigung”, zusammen mit der ontischen Auffassung des Zustandsvektors; einen eigenvector-eigenvalue-link kann ich nicht erkennen.

Ohne die Implikationen, daß gerade eine Messung einer bestimmten q-Observable stattgefunden hat, kann man einem reinen Zustand gar keine eindeutige Zweigstruktur zuordnen. Und ohne den Zusammenhang zwischen Eigenwerten und Meßwerten gibt es keinen Grund dazu.

Die MWI zeichnet in ihrer heutigen Formulierung die Eigenwerte nicht als Messwerte aus.


Sondern? Was sind denn Meßwerte in der MWI? Oder allgemeiner was sind die meßbaren, objektiven Eigenschaften eines Systems?

Zitat:

In ihrer schwächsten Formulierung besagt sie, dass sie das als real ansieht, was die unitäre Zeitentwicklung liefert.


Danach beinhaltet die schwächste Formulierung der MWI die thermische Interpretation. Das ist absolut keine sinnvolle Definition der MWI.

Zitat:

Und weil die unitäre Zeitentwicklung inklusive Dekohärenz plus Ausspuren behauptet, eine derartige Zweigstruktur zu liefern, muss sie diese interpretieren.


Aber die einzige im Kontext der Diskussion relevante Frage ist: Wieso interpretiert sie sie als Darstellung vieler Welten, je einer für jeden Eigenzustand , und nicht als eine Welt mit der objektiven Eigenschaft ? Dazu muß sie doch irgendeinen Grund haben. Bis jetzt hast du keinen genannt. Und alle Gründe, die mir einfallen, bestreitest du.

Zitat:

Es läuft natürlich auf das selbe Problem hinaus, hat aber eine andere Ursache, nämlich eine konkrete Herleitung dieser Zweigstruktur aus der Dekohärenz. Während man bei von Neumann noch von einem unpassenden Axiomensystem sprechen konnte, müsste man für die heutige Formulierung der MWI zeigen, dass die Zweigstruktur als Schlussfolgerung aus der Dekohärenz mathematisch falsch ist, oder zumindest nicht gut begründet - oder zumindest für eine große Klasse praktisch relevanter Systeme so nicht auftreten.


Ich dachte wir hätten schon geklärt, daß dies nicht der Fall ist. Ich bin ratlos. Man muß überhaupt nicht zeigen, daß das Ergebnis der Dekohärenz falsch ist oder nicht auftreten kann. Es gibt nämlich keinen Grund zu der Annahme, daß es etwas anders beschreibt als was im Mittel mit einem makroskopischen System passiert.

Übrigens drehst du hier allein auf Basis deiner Interpretation die Beweislast um. Wenn du behauptest ein realistisches Modell für einen realen Prozeß zu haben, dann mußt du doch beweisen, daß das stimmt. Aus meiner Sicht liefert, überspitzt formuliert, dein Modell eben keine realistische Aussage über ein System und die unrealistischen Eigenschaften des Endzustands werden anschließend einfach "hinweginterpretiert". Du siehst das natürlich genau andersrum. Aber die Basis dafür ist nur deine Interpretation.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
In der thermischen Interpretation ist das nicht nötig, weil es zu jeder q-Observable immer nur einen Wert gibt, sowohl vor als auch nach der Messung.

Das scheint die wesentliche Behauptung zu sein. Ich bin mir diesbzgl. jedoch nicht wirklich sicher, da Neumaier hier nicht Klartext redet.

Diese Behauptung hat nicht das geringste mit der Modellierung eines Meßprozesses zu tun. Das ist die Grundaussage der Interpretation. Und die könnte m.E. nicht klarer sein. Ich verstehe immer noch nicht, welchen "Klartext" du vermißt.

Neumaier lässt so nebenher die Ansicht einfließen, dass die mathematische Betrachtung einer Messung im Rahmen der TI immer einen eindeutig definierten Wert liefert - zumindest interpretieren wir ihn so.

Das steht im Widerspruch zu von Neumann, Zeh u.v.a.m., und trotzdem sagt er dazu praktisch nichts.


Das ist eine triviale Folgerung aus der Grundannahme, daß Meßergebnisse signifikante, objektive Eigenschaften von Detektoren sind.

Wozu genau soll dies im Widerspruch stehen? Du machst hier offenbar irgendwelche impliziten Annahmen und unterstellst, daß sie mir klar sind und ich ihnen zustimme.

Zitat:

Wenn irgendein mathematischer Formalismus diese makroskopische Superpositionen sich klassisch ausschließender Messwerte liefert, dann ist alles Folgende nur eine yet another interpretation.


Verstehe ich nicht. Wenn irgendein mathematischer Formalismus irgendeine Superposition liefert, heißt das noch nicht, daß dies irgendwas mit einem realen einzelnen System zu tun hat. Es könnte genau so gut sein, daß die Modellannahmen falsch sind oder daß das Model den Zustand nicht genau spezifiziert.

Zitat:

Wenn ein mathematischer Formalismus dagegen für eine große Klasse makroskopischer Systeme keine derartige Superpositionen liefert, dann falsifiziert dies die Schlussfolgerungen aus dem Ausspuren gemäß Dekohärenz. Es wäre also angebracht, zu zeigen, wo diese falsch ist.


Nichts wird falsifiziert. Die Tatsache, daß du beim Würfeln niemals 3.5 Augen siehst, falsifiziert nicht, daß dies der Mittelwert ist.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Welche Aussage genau möchtest du bewiesen haben?

Dass für eine große Klasse relevanter Systeme mathematisch bewiesen werden kann, wie aus dem immer eindeutigen Zustand ein eindeutiger Messwert folgt - im Widerspruch zur Aussage des Ausspurens gemäß Dekohärenz.


Erstens sind Meßwerte objektive Eigenschaften des Detektors. Dieser Teil ist also trivial. Zweitens ist das kein Widerspruch zur Dekohärenz.
TomS
BeitragVerfasst am: 19. Feb 2021 07:23    Titel:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
TomS hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
Ich denke sie geht lediglich von der falschen Voraussetzungen aus, daß nach einer Messung jeder Eigenwert, der vorher eine nichtverschwindende q-Wahrscheinlichkeit hatte, in der Realität repräsentiert sein müßte.

Das mag ursprünglich so gewesen sein. In der heutigen Variante ist es eher die Dekohärenz und die daraus folgende “Verzweigung”, zusammen mit der ontischen Auffassung des Zustandsvektors; einen eigenvector-eigenvalue-link kann ich nicht erkennen.

Ohne die Implikationen, daß gerade eine Messung einer bestimmten q-Observable stattgefunden hat, kann man einem reinen Zustand gar keine eindeutige Zweigstruktur zuordnen. Und ohne den Zusammenhang zwischen Eigenwerten und Meßwerten gibt es keinen Grund dazu.

Die MWI zeichnet in ihrer heutigen Formulierung die Eigenwerte nicht als Messwerte aus.

In ihrer schwächsten Formulierung besagt sie, dass sie das als real ansieht, was die unitäre Zeitentwicklung liefert. Und weil die unitäre Zeitentwicklung inklusive Dekohärenz plus Ausspuren behauptet, eine derartige Zweigstruktur zu liefern, muss sie diese interpretieren.

Es läuft natürlich auf das selbe Problem hinaus, hat aber eine andere Ursache, nämlich eine konkrete Herleitung dieser Zweigstruktur aus der Dekohärenz. Während man bei von Neumann noch von einem unpassenden Axiomensystem sprechen konnte, müsste man für die heutige Formulierung der MWI zeigen, dass die Zweigstruktur als Schlussfolgerung aus der Dekohärenz mathematisch falsch ist, oder zumindest nicht gut begründet - oder zumindest für eine große Klasse praktisch relevanter Systeme so nicht auftreten.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
In der thermischen Interpretation ist das nicht nötig, weil es zu jeder q-Observable immer nur einen Wert gibt, sowohl vor als auch nach der Messung.

Das scheint die wesentliche Behauptung zu sein. Ich bin mir diesbzgl. jedoch nicht wirklich sicher, da Neumaier hier nicht Klartext redet.

Diese Behauptung hat nicht das geringste mit der Modellierung eines Meßprozesses zu tun. Das ist die Grundaussage der Interpretation. Und die könnte m.E. nicht klarer sein. Ich verstehe immer noch nicht, welchen "Klartext" du vermißt.

Neumaier lässt so nebenher die Ansicht einfließen, dass die mathematische Betrachtung einer Messung im Rahmen der TI immer einen eindeutig definierten Wert liefert - zumindest interpretieren wir ihn so.

Das steht im Widerspruch zu von Neumann, Zeh u.v.a.m., und trotzdem sagt er dazu praktisch nichts.

Wenn irgendein mathematischer Formalismus diese makroskopische Superpositionen sich klassisch ausschließender Messwerte liefert, dann ist alles Folgende nur eine yet another interpretation.

Wenn ein mathematischer Formalismus dagegen für eine große Klasse makroskopischer Systeme keine derartige Superpositionen liefert, dann falsifiziert dies die Schlussfolgerungen aus dem Ausspuren gemäß Dekohärenz. Es wäre also angebracht, zu zeigen, wo diese falsch ist.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Welche Aussage genau möchtest du bewiesen haben?

Dass für eine große Klasse relevanter Systeme mathematisch bewiesen werden kann, wie aus dem immer eindeutigen Zustand ein eindeutiger Messwert folgt - im Widerspruch zur Aussage des Ausspurens gemäß Dekohärenz.
index_razor
BeitragVerfasst am: 19. Feb 2021 06:34    Titel:

TomS hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
Ich denke sie geht lediglich von der falschen Voraussetzungen aus, daß nach einer Messung jeder Eigenwert, der vorher eine nichtverschwindende q-Wahrscheinlichkeit hatte, in der Realität repräsentiert sein müßte.

Das mag ursprünglich so gewesen sein. In der heutigen Variante ist es eher die Dekohärenz und die daraus folgende “Verzweigung”, zusammen mit der ontischen Auffassung des Zustandsvektors; einen eigenvector-eigenvalue-link kann ich nicht erkennen.


Auch in der heutigen Formulierung repräsentiert der relative Zustand doch einen Beobachter, der genau einen der möglichen Eigenwerte gemessen hat. Dekohärenz hat nur die Funktion das in dieser Interpretation auftretende Basisproblem zu lösen, daß der Endzustand nicht eindeutig definiert welche q-Observable überhaupt gemessen wurde. Ohne die Implikationen, daß gerade eine Messung einer bestimmten q-Observable stattgefunden hat, kann man einem reinen Zustand gar keine eindeutige Zweigstruktur zuordnen. Und ohne den Zusammenhang zwischen Eigenwerten und Meßwerten gibt es keinen Grund dazu. Wir wollen ja nicht erklären, warum makroskopische Objekte in Superpositionen landen können, denn wir haben (außer dem "Eigenwert-Link") keinen Grund anzunehmen, daß sie dies tun. Die MWI nimmt dies aber an und muß deshalb "erklären", daß es im Einzelfall nicht so aussieht. Ohne die Annahme gibt es hier aber auch nichts zu erklären.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
In der thermischen Interpretation ist das nicht nötig, weil es zu jeder q-Observable immer nur einen Wert gibt, sowohl vor als auch nach der Messung.

Das scheint die wesentliche Behauptung zu sein. Ich bin mir diesbzgl. jedoch nicht wirklich sicher, da Neumaier hier nicht Klartext redet.


Diese Behauptung hat nicht das geringste mit der Modellierung eines Meßprozesses zu tun. Das ist die Grundaussage der Interpretation. Und die könnte m.E. nicht klarer sein. Ich verstehe immer noch nicht, welchen "Klartext" du vermißt. (Das verstehe ich allerdings auch nicht in Bezug auf das Meßproblem.)

Zitat:

Und wenn es so, ist ggw. offen, ob und wie man das für eine vernünftige Klasse von Modellen beweisen kann.

Wenn der Beweis nicht gelingt, wäre die Thermal Interpretation irgendwo in der Nähe der Consistent Histories zu verorten. Damit wäre sie natürlich nicht der große Wurf, jedoch sicher nicht wertlos.


Welche Aussage genau möchtest du bewiesen haben? Daß sich jedes System zu jedem Zeitpunkt in einem definitiven Zustand befindet? Das entspricht der physikalische Grundannahme, daß die QM (im wesentlichen) vollständig ist. Diese Annahme teilt sie nach meinem Verständnis mit der MWI.

Zitat:

Ich habe jedenfalls den neuen Thread gestartet, um die Konsequenz besser zu verstehen.


Ich habe deine Darstellung dort noch nicht verstanden. Ich lese sie mir nochmal in Ruhe durch. Vielleicht wird es mir noch klarer.
TomS
BeitragVerfasst am: 18. Feb 2021 22:25    Titel:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Ich denke sie geht lediglich von der falschen Voraussetzungen aus, daß nach einer Messung jeder Eigenwert, der vorher eine nichtverschwindende q-Wahrscheinlichkeit hatte, in der Realität repräsentiert sein müßte.

Das mag ursprünglich so gewesen sein. In der heutigen Variante ist es eher die Dekohärenz und die daraus folgende “Verzweigung”, zusammen mit der ontischen Auffassung des Zustandsvektors; einen eigenvector-eigenvalue-link kann ich nicht erkennen.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
In der thermischen Interpretation ist das nicht nötig, weil es zu jeder q-Observable immer nur einen Wert gibt, sowohl vor als auch nach der Messung.

Das scheint die wesentliche Behauptung zu sein. Ich bin mir diesbzgl. jedoch nicht wirklich sicher, da Neumaier hier nicht Klartext redet. Und wenn es so, ist ggw. offen, ob und wie man das für eine vernünftige Klasse von Modellen beweisen kann.

Wenn der Beweis nicht gelingt, wäre die Thermal Interpretation irgendwo in der Nähe der Consistent Histories zu verorten. Damit wäre sie natürlich nicht der große Wurf, jedoch sicher nicht wertlos.

Ich habe jedenfalls den neuen Thread gestartet, um die Konsequenz besser zu verstehen.
TomS
BeitragVerfasst am: 18. Feb 2021 21:01    Titel:

Qubit hat Folgendes geschrieben:
Die TI liefert das nicht generisch, sie muss für den gemessenen Eigenzustand ein zusätzliches Modell bemühen. Und sie muss es auch abhängig von der Natur der "physikalischen Wechselwirkung" machen, um genau diesen gemessenen Eigenzustand zu erklären. In ihrem Modell kann sie das aber gar nicht. Sie ist da eben nicht schlüssig.

Sie muss das nicht generisch liefern, es ist ausreichend, wenn dies für alle praktisch relevanten Fälle gelingt. Ja, die TI ist da evtl. lückenhaft, sie lässt auch nach meinem Geschmack zu viel offen.

Aber man kann ja versuchen, diese Lücken zu schließen - oder beim Schließen die Lücken herausarbeiten.
index_razor
BeitragVerfasst am: 18. Feb 2021 20:11    Titel:

TomS hat Folgendes geschrieben:
Die Frage ist, ob es überhaupt eine Interpretation ist ;-)

Grob gesprochen werden Interpretationen aus zwei Gründen notwendig:
A) der Messprozess kann nicht quantenmechanisch betrachtet werden
B) der Messprozess kann zwar quantenmechanisch betrachtet werden, allerdings erfordern die Ergebnisse weitere Interpretation


Das sind eher die Gründe -- oder wenn man so will: Vorurteile --, aus denen Interpretationen der Quantenmechanik als schwierig gelten. Notwendig sind Interpretationen lediglich aus einem Grund: wir wollen ein klares Bild davon, was die Theorie über die Realität aussagt.

Zitat:

Neumaier ergänzt - zumindest verstehen wir dies so - eine Option

C) Für eine große Klasse relevanter Systeme findet eine Selektion eines eindeutigen Messergebnisses statt

Keine paradoxe Katze - kein Problem - keine Interpretation.


In der thermischen Interpretation gibt es ja gar keinen direkten Zusammenhang zwischen Meßwerten und Eigenwerten. Damit entfällt eine Hürde, den Meßprozeß als gewöhnliche physikalische Wechselwirkung aufzufassen. Nur aus diesem Grund erfordert dies ja gewöhnlich "weitere Interpretationen".

Zitat:

Ein Kern des Problems scheint im Maudlin-Trilemma zu liegen. Maudlin zeigt (?) dass die folgenden drei Aussagen zusammengenommen inkonsistent sind:
i) Der Zustandsvektor beschreibt das System vollständig (insbs. keine verborgenen Variablen)
ii) Der Zustandsvektor folgt immer einer linearen Zeitentwicklung (Schrödingergleichung).
iii) Messungen haben immer ein definiertes Ergebnis (im Sinne einer definierten Eigenschaft bzgl. einer Observablen)


Das ist nur dann ein Trilemma, wenn man voraussetzt, daß in jedem Einzelfall eine eins-zu-eins-Beziehung zwischen dem erhaltenen Meßwert und dem Eigenwert einer q-Observable bestehen muß. Genau dies bestreitet die TI ja. Es gibt nur einen (manchmal) stochastischen Zusammenhang zwischen den objektiven Eigenschaften eines mikroskopischen und eines makroskopischen Systems, z.B. einem q-Erwartungswert und einem Meßwert. Das Maudlin-Trilemma ist deshalb wohl ohne Bedeutung für die TI.

Zitat:

Unterschiedliche Interpretationen verzichten nun auf einen der drei genannten Punkte um das Messproblem zu lösen: de Broglie und Bohm verzichten auf (1); von Neumann et al. verzichten auf (2) und führen implizit einen Kollaps ein; Everett et al. verzichten auf (3), d.h. eine Messung führt nur scheinbar auf einen eindeutigen Messwert; tatsächlich bleiben alle quantenmechanisch angelegten Möglichkeiten realisiert.

Wenn wir Neumaier richtig verstehen, analysiert er den Begriff der Messung neu und folget - zumindest wir beide legen ihm das in den Mund - dass im Widerspruch zu (iii) für eine relevante Klasse von makroskopischen Systemen eindeutige Messergebnisse möglich sind, obwohl (i - ii) weiterhin gültig bleibt.


Ich würde eher sagen er verzichtet auf den traditionellen Zusammenhang zwischen Eigenwert und Meßwert. Und damit wird die Analyse des Meßprozesses konzeptionell deutlich einfacher. Eine zentrale Behauptung Neumaiers ist folglich auch, das Meßproblem aus dem Status eines unlösbaren philosophischen Rätsels in ein konkretes, wenn auch dynamisch kompliziertes, physikalisches Problem gehoben zu haben.

Ich sehe aber die neuen Aspekte in dieser Interpretation nicht spezifisch auf den Meßprozeß bezogen. Viele Interpretationen sind ja der Ansicht, daß man ihn als normale Wechselwirkung im Rahmen der QM verstehen muß.

Zitat:

Die eigentliche Ursache steckt dann - ich nehme mir die Freiheit, wieder mal auf eine Signatur zu verweisen - in dem erratischen Dogma, die Quantenmechanik nicht realistisch interpretieren zu wollen. Dies ist wahrscheinlich eines der folgenschwersten Hindernisse für weiteren Fortschritt gewesen, denn anstelle sich um die physikalische Fragestellung der korrekten Modellierung der Systeme zu kümmern, hat man die Zeit lieber in die unnötige Interpretation paradoxer Situationen investiert, die bei geeigneter Modellierung nicht auftreten.


Ich denke die Ursache ist nicht der Unwille die QM realistisch zu interpretieren, sondern die Schwierigkeiten, die der traditionelle Eigenwert-Meßwert-Zusammenhang einer realistischen Interpretation in den Weg legt.

Zitat:

Worauf ich bei meiner Frage, wie gedenkt man diese Aussage zu plausibilisieren und für eine große Klasse relevanter Systeme zu verallgemeinern, hinauswollte ist, dass Neumaier nicht einfach nur eine neue Variante der Interpretationen einführt, sondern dass er letztlich allen Interpretationen, Schulen und Dogmen vorwirft, an der falschen Stelle gearbeitet zu haben. Es gibt keine Interpretation, die sich nicht irgendwo mit Problemen herumzuschlagen hätte, die nach Neumaier schlicht nicht existieren; die einzige heute wirklich vollständige psi-optische Interpretation - die MWI - löst nach Neumaier ein Scheinproblem;


Ich denke sie geht lediglich von der falschen Voraussetzungen aus, daß nach einer Messung jeder Eigenwert, der vorher eine nichtverschwindende q-Wahrscheinlichkeit hatte, in der Realität repräsentiert sein müßte. Diese Annahme läßt sich direkt auf den Eigenwert-Meßwert-Zusammenhang zurückführen. Und nur weil es mehrere solcher Eigenwerte im selben Zustand geben kann, ist es notwendig in einem "weiteren Interpretationsschritt" ebenso viele Welten zu postulieren, die dieser Zustand repräsentiert. In der thermischen Interpretation ist das nicht nötig, weil es zu jeder q-Observable immer nur einen Wert gibt, sowohl vor als auch nach der Messung. Ich weiß nicht, ob das korrekt Neumaiers eigene Sichtweise wiedergibt. Er selbst äußert sich so gut wie gar nicht zur MWI. Aber das sind meine Schlußfolgerungen aus seiner Darstellung.
Qubit
BeitragVerfasst am: 18. Feb 2021 19:24    Titel:

index_razor hat Folgendes geschrieben:

Aber er behauptet nicht ganz, daß es ein Scheinproblem ist, sondern daß seine Formulierung auf einer falschen Interpretation des QM-Formalismus beruht. Insbesondere auf der Behauptung eine Messung liefere Eigenwerte mit großer Präzision und der Bornschen Regel.


Um überhaupt (halbwegs) "realistische" Interpretationen liefern zu können, müssen wir doch erstmal darüber sprechen, was wir maximal über QM-Systeme wissen können.
Dazu gehören (präperierte) reine Zustände vor der Messung, die man bezüglich Observablen in Eigenzuständen entwickeln kann und Messungen, die einen dieser Eigenzustände stochastisch herausfiltern. Solche Zustände kann man auch empirisch bestätigen, das ist keine Spekulation.
Mehr kann man doch gar nicht (maximal) modellieren, alles andere sind leere Behauptungen. Natürlich entsprechen viele Messungen nicht diesem Ideal, aber die Ursachen dafür sind doch besonders zu begründen, dass kann man nicht innerhalb eines statistischen Modells von Koppelung von QM-System+Messapparat einfach erschlagen. Und man kann hier auch nicht behaupten, dass wir Initalzustände nicht adäquat beschreiben. Diese Beschreibung ist in diesem Falle maximal, da gibt es nicht mehr zu beschreiben.
Und wenn wir diesen experimentellen Situs voraussetzen, dann sehe ich bisher überhaupt kein Argument, wie die TI die Beschreibung vor der Messung auf die Beschreibung nach der Messung abbilden kann. Dazu ist - wie schon jetzt mehrfach gesagt - m.E. vielmehr ein konkretes Modell "physikalischer Wechselwirkung" von QM-System+Messapparatur notwendig. In diesem vorgegebenen Falle der Präparation liefert die Standardinterpretation aber immer ein richtiges Messergebnis, einen Eigenzustand nach der QM-Wahrscheinlichkeit unabhängig konkreter "physikalischer Wechselwirkungen" mit dem Messapparat. Das ist doch ein empirisches Faktum. Die TI liefert das nicht generisch, sie muss für den gemessenen Eigenzustand ein zusätzliches Modell bemühen. Und sie muss es auch abhängig von der Natur der "physikalischen Wechselwirkung" machen, um genau diesen gemessenen Eigenzustand zu erklären. In ihrem Modell kann sie das aber gar nicht. Sie ist da eben nicht schlüssig.
An diesem Punkt verabschiede ich mich auch aus der Diskussion, weil mir zuviele "Beahauptungen" über reale Zustände gemacht werden (wie zB. wir "modellieren" den Initialzustand nicht adäquat, etc.), was für mich aber schon längst ad acta ist. Ich diskutiere nicht über Schimären..
TomS
BeitragVerfasst am: 18. Feb 2021 08:20    Titel:

Die Frage ist, ob es überhaupt eine Interpretation ist ;-)

Grob gesprochen werden Interpretationen aus zwei Gründen notwendig:
A) der Messprozess kann nicht quantenmechanisch betrachtet werden
B) der Messprozess kann zwar quantenmechanisch betrachtet werden, allerdings erfordern die Ergebnisse weitere Interpretation

(A) ist old-fashioned orthodoxy und längst überholt - auch wenn sich das noch zu wenig rumgesprochen hat. (B) wird allgemein in der Dekohärenz aufgegriffen und on einigen modernen Interpretationen betrachtet; neben der Many-Worlds-Interpretation (B.1) ist sicher noch die Consistent-/Decoherent-Histories-Interpretation (B.2) zu nennen.

B.1) Es findet tatsächlich keine Selektion eines eindeutigen Messergebnisses statt; alle sind realisiert; insbs. das Auftreten von Wahrscheinlichkeiten erfordert eine Interpretation (die MWI ist weniger eine Interpretation denn eine Verteidigungsstrategie ob der Ergebnisse)
B.2) Es findet keine Selektion eines eindeutigen Messergebnisses statt; das Auftreten von Wahrscheinlichkeiten und die beobachtete Selektion eines Messergebnisses erfordert eine Interpretation

Interessanterweise werden die Interpretationen immer komplizierter, je besser die unterschiedlichen Ansätze den Messprozess verstehen.

Neumaier ergänzt - zumindest verstehen wir dies so - eine Option

C) Für eine große Klasse relevanter Systeme findet eine Selektion eines eindeutigen Messergebnisses statt

Keine paradoxe Katze - kein Problem - keine Interpretation.


Ein Kern des Problems scheint im Maudlin-Trilemma zu liegen. Maudlin zeigt (?) dass die folgenden drei Aussagen zusammengenommen inkonsistent sind:
i) Der Zustandsvektor beschreibt das System vollständig (insbs. keine verborgenen Variablen)
ii) Der Zustandsvektor folgt immer einer linearen Zeitentwicklung (Schrödingergleichung).
iii) Messungen haben immer ein definiertes Ergebnis (im Sinne einer definierten Eigenschaft bzgl. einer Observablen)
Unterschiedliche Interpretationen verzichten nun auf einen der drei genannten Punkte um das Messproblem zu lösen: de Broglie und Bohm verzichten auf (1); von Neumann et al. verzichten auf (2) und führen implizit einen Kollaps ein; Everett et al. verzichten auf (3), d.h. eine Messung führt nur scheinbar auf einen eindeutigen Messwert; tatsächlich bleiben alle quantenmechanisch angelegten Möglichkeiten realisiert.

Wenn wir Neumaier richtig verstehen, analysiert er den Begriff der Messung neu und folget - zumindest wir beide legen ihm das in den Mund - dass im Widerspruch zu (iii) für eine relevante Klasse von makroskopischen Systemen eindeutige Messergebnisse möglich sind, obwohl (i - ii) weiterhin gültig bleibt.

Die eigentliche Ursache steckt dann - ich nehme mir die Freiheit, wieder mal auf eine Signatur zu verweisen - in dem erratischen Dogma, die Quantenmechanik nicht realistisch interpretieren zu wollen. Dies ist wahrscheinlich eines der folgenschwersten Hindernisse für weiteren Fortschritt gewesen, denn anstelle sich um die physikalische Fragestellung der korrekten Modellierung der Systeme zu kümmern, hat man die Zeit lieber in die unnötige Interpretation paradoxer Situationen investiert, die bei geeigneter Modellierung nicht auftreten.


Worauf ich bei meiner Frage, wie gedenkt man diese Aussage zu plausibilisieren und für eine große Klasse relevanter Systeme zu verallgemeinern, hinauswollte ist, dass Neumaier nicht einfach nur eine neue Variante der Interpretationen einführt, sondern dass er letztlich allen Interpretationen, Schulen und Dogmen vorwirft, an der falschen Stelle gearbeitet zu haben. Es gibt keine Interpretation, die sich nicht irgendwo mit Problemen herumzuschlagen hätte, die nach Neumaier schlicht nicht existieren; die einzige heute wirklich vollständige psi-optische Interpretation - die MWI - löst nach Neumaier ein Scheinproblem; viele andere Interpretation folgen letztlich aus dem Bohrschen Denkverbot, aus dem Neumaier einen trivialen Ausweg findet.

Das ist schon starker Tobak.
index_razor
BeitragVerfasst am: 17. Feb 2021 21:00    Titel:

TomS hat Folgendes geschrieben:
Ok, klar, Danke!

Wenn ich dich richtig verstehe, dann ist laut Neumaier das Problem mit Schrödingers Katze ein reines Scheinproblem, das aus einer unzureichenden Modellierung der Systeme und deren Dynamik folgt.


Also Schrödingers Katze ist ja im wesentlichen das Meßproblem. Das betrachtet Neumaier nun nicht gerade als Scheinproblem, aber er behauptet zumindest, daß es kein philosophisches Rätsel ist, sondern nur eine Frage der sinnvollen Modellierung der beteiligten Systeme. Zumindest verstehe ich ihn so.

Zitat:

Zwar folgt eine entsprechend problematische Dichtematrix aus den Modellen der Dekohärenz, jedoch ist prinzipiell eine bessere / präzisere / realistischere Modellierung denkbar, so dass genau dieser Zustand tatsächlich nicht resultiert (oder zumindest nicht stabil bleibt).


Ja, so ungefähr verstehe ich das.

Zitat:

Was heißt das nun genau? In welchem Schritt findet der entscheidende Fehler statt? Bei der Modellierung des inialen Zustandes? Bei der Zeitentwicklung? Beim Ausspuren?


Ich denke bei der Modellierung des initialen Zustands und bei dessen Dynamik. Nichts davon ist prinzipiell falsch, aber es trifft, salopp formuliert, einfach nicht auf die Systeme zu, bei denen wir das problematisch finden würden. Das ist natürlich nicht einfach nur eine billige Ausrede. Wie gesagt, ob es stimmt, ist im Prinzip ein physikalisches Problem, was im Einzelfall in konkreten Modellen untersucht werden muß.

Zitat:

Wenn das tatsächlich die Behauptung ist, dann ist das eine extrem starke Aussage. Die Quantenmechanik wäre seit einem Jahrhundert einem Scheinproblem aufgesessen, zunächst dem Scheinproblem, das aus der rein symbolischen Notation nach von Neumann folgt, um dann über Jahrzehnte einer unzureichenden Lösung dieses Scheinproblem auf den Leim zu gehen, die letztlich aus einer unzureichenden Modellbildung folgt.


Klar, er behauptet, daß er eine Lösung für das Meßrpoblem hat. Das ist schon stark. Aber er behauptet nicht ganz, daß es ein Scheinproblem ist, sondern daß seine Formulierung auf einer falschen Interpretation des QM-Formalismus beruht. Insbesondere auf der Behauptung eine Messung liefere Eigenwerte mit großer Präzision und der Bornschen Regel.

Zitat:

Warum steht diese Aussage nirgendwo? Warum musst du schreiben “was die TI zu Schrödingers Katze sagen würde, ist denke ich folgendes ...” Warum muss man diese Aussage bei Neumaier suchen?


Also ich denke einfach Neumaier sieht keinen Grund Schrödingers Katze eine Sonderbehandlung zu geben. Und ich eigentlich auch nicht. Wenn seine allgemeinen Aussagen über Messgeräte etc. zutreffen, dann kann man sich leicht vorstellen, daß sie auch für Katzen gelten.

Zitat:

Nächster Punkt: Wie gedenkt man, eine Aussage zu plausibilisieren und für praktische alle Systeme zu verallgemeinern, die gerade auf die bessere und spezifische Modellierung einzelner Systeme abzielt?
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Ich denke als generellen Ansatzpunkt sieht er die Behandlung offener Quantensysteme mittels stochastischer Gleichungen. Insbesondere bezieht er sich dabei auf stückweise deterministische stochastische Prozesse, wie in Breuer, Petruccione, The Theory of Open Quantum Systems, Kap. 6, das mehrmals zitiert wird. Aber ich glaube prinzipiell muß man nicht unbedingt so allgemeine Aussagen finden, daß sie für praktisch alle Detektoren gelten. Das wäre ungefähr so als fragte man nach einer universellen Eigenschaft aller makroskopischen Systeme. (Sie haben halt viele Freiheitsgrade und ihre Dynamik ist kompliziert. Aber sonst?)
index_razor
BeitragVerfasst am: 17. Feb 2021 20:40    Titel:

TomS hat Folgendes geschrieben:
Wenn ich sie falsch verstanden habe, dann liegt die Lösung offenbar im Folgenden. Kannst du dazu noch etwas erhellendes beitragen?


Also ich fürchte ich kann dazu nichts substantielleres sagen, als was in Kap 5 in Preprint III (bzw. Kap 11 in Neumaiers Buch) steht. Ich kann aber versuchen zu erklären, wie ich die Aussagen verstanden habe.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
1) Laut TI resultiert ein "asymmetrischer" Zustand, der durch Umgebungsrauschen selektiert wird ... Laut TI ergäbe sich ein vollkommen deterministisches Ergebnis ... wenn man alle Freiheitsgrade berücksichtigen würde und der makroskopische Zustand exakt bekannt wäre.


index_razor hat Folgendes geschrieben:
2) D.h. das makroskopische Meßgerät legt sich auf einen definitiven Wert für die Indikatorvariable fest. Das passiert mittels chaotischer, dissipativer, stochastischer Prozesse, aber innerhalb der unitären Dynamik des Gesamtsystems.


index_razor hat Folgendes geschrieben:
3) Der Punkt ... war zu erklären, daß -- entgegen deiner Behauptung -- keine "mathematisch unterschiedlichen" Vorhersagen zwischen TI und Dekohärenz bestehen.


Fangen wir von hinten an: für ein abgeschlossenes System folgt nach (3) sowohl gemäß Dekohärenz als auch TI, dass ein separabler, reiner Zustand eines abgeschlossenen Systems, bestehend aus den Subsystemen “nicht zerfallenem Atomkern”, “lebende Katze”, “Umgebung” und “Messgerät” durch Zeitentwicklung in einen verschränkten Zustand dieser Subsysteme übergeht.


Ich denke, daß deine Voraussetzungen hier bereits nicht aufrechtzuerhalten sind. Zumindest nicht für reale Katzen. Aus welcher unitären Dynamik soll das alles folgen? Aus einem Hamiltonian mit Termen oder sowas in der Art? Das ist einfach nicht realistisch, aber davon hängt das ganze Paradoxon ja wesentlich ab. Sowas kann man für Systeme mit Spin-Spin-Kopplung fordern, und da ist es auch kein Problem, wenn am Ende zwei unsichere Spinwerte herauskommen. Aber für Katzen ergibt das natürlich nicht viel Sinn.


Zitat:

Aus (1) folgt, dass der finale Zustand in jedem Einzelfall eine eindeutige (wenn auch gemäß TI nicht exakt scharfe) Zeigerposition liefert. Die genannte Dichtematrix hat jedoch nicht diese Struktur, d.h. wir benötigen

(2), nämlich “chaotische, dissipative, stochastischer Prozesse innerhalb der unitären Dynamik des Gesamtsystems.”

Fragen:

Wie folgen trotz der unitären Dynamik eines prinzipiell abgeschlossenes und reines Systems chaotische, dissipative und stochastische Prozesse? Soll ich mir das z.B. wie beim Wetter vorstellen?


Ja, ich glaube schon. So wie ich das verstehe soll das aus dem coarse-graining folgen. Also die Dissipation findet natürlich in einem Teilsystem statt, nicht in dem abgeschlossenen System. Und Neumaier behauptet glaube ich irgendwo, daß bei sowas sehr oft chaotische Gleichungen für die q-Erwartungswerte folgen. Das ist schon fast die halbe Miete. Aber nicht ganz. Wir wollen ja nicht nur Chaos, sondern auch Multistabilität etc. Aber das sich sowas aus sinnvollen Modellen für reale makroskopische Systeme ergeben kann, finde ich jetzt auch nicht gerade unplausibel. Aber andererseits bin ich in dem Punkt ziemlich naiv und unwissend.

Zitat:

An welcher konkreten Stelle ist die gemäß der Dekohärenz folgende, allseits bekannte Argumentation falsch, das auf die inkohärente Überlagerung aus lebender und toter Katze geschlossen werden kann, und dass beide stabil bleiben?


Die ist an sich nicht falsch. Und es kann durchaus Systeme geben, in denen das passiert. Aber ich denke Neumaiers Behauptungen implizieren, daß das für realistische Detektoren und Katzen eben nicht der Fall ist, und das Argument höchstens das beschreibt, was im Mittel passiert. Wenn sich in einem vernünftigen Modell herausstellt, daß das gar nicht stimmt, hat die TI vermutlich ein Problem. (Aber ich finde es schwierig mir ein Modell vorzustellen, was dies zweifelsfrei belegt.)
TomS
BeitragVerfasst am: 17. Feb 2021 20:34    Titel:

Ok, klar, Danke!

Wenn ich dich richtig verstehe, dann ist laut Neumaier das Problem mit Schrödingers Katze ein reines Scheinproblem, das aus einer unzureichenden Modellierung der Systeme und deren Dynamik folgt.

Zwar folgt eine entsprechend problematische Dichtematrix aus den Modellen der Dekohärenz, jedoch ist prinzipiell eine bessere / präzisere / realistischere Modellierung denkbar, so dass genau dieser Zustand tatsächlich nicht resultiert (oder zumindest nicht stabil bleibt).

Was heißt das nun genau? In welchem Schritt findet der entscheidende Fehler statt? Bei der Modellierung des inialen Zustandes? Bei der Zeitentwicklung? Beim Ausspuren?

Wenn das tatsächlich die Behauptung ist, dann ist das eine extrem starke Aussage. Die Quantenmechanik wäre seit einem Jahrhundert einem Scheinproblem aufgesessen, zunächst dem Scheinproblem, das aus der rein symbolischen Notation nach von Neumann folgt, um dann über Jahrzehnte einer unzureichenden Lösung dieses Scheinproblem auf den Leim zu gehen, die letztlich aus einer unzureichenden Modellbildung folgt.

Warum steht diese Aussage nirgendwo? Warum musst du schreiben “was die TI zu Schrödingers Katze sagen würde, ist denke ich folgendes ...” Warum muss man diese Aussage bei Neumaier suchen?

Nächster Punkt: Wie gedenkt man, eine Aussage zu plausibilisieren und für praktische alle Systeme zu verallgemeinern, die gerade auf die bessere und spezifische Modellierung einzelner Systeme abzielt?
index_razor
BeitragVerfasst am: 17. Feb 2021 18:23    Titel:

TomS hat Folgendes geschrieben:

“... from the state of a microscopic system one can usually predict only probabilities for single detection events” bedeutet, dass aus einem Zustand eines mikroskopischen Systems keine Aussage über einen eindeutigen Ausgang einer Messung gewonnen werden kann, lediglich statistische Aussagen.


Im allgemeinen ja. Das Problem ist hierbei aber nicht, daß die jeweiligen Zustände von System oder Detektor irgendwie undefinierte Eigenschaften hätten, sondern lediglich, daß die Korrelation dieser beiden Eigenschaften ein stochastisches Element enthält. Das ist eben der Grund, warum ein einzelnes Detektorereignis (in diesem Fall) keine präzise Messung des individuellen Systems darstellt.

Zitat:

Dennoch bleibt der Zustand gemäß der zuvor getroffenen Aussage “the only objective properties of the system”, d.h. diese objektive Eigenschaft kommt dem einzelnen System ohne Zweifel zu und ich darf das für ein einzelnes System diskutieren, ohne auf Statistik Bezug nehmen zu müssen. Wenn ich nicht über ein einzelnes System sprechen dürfte, wäre der Anspruch, die vorliegende Information wäre auf einzelne Systeme anwendbar, ohnehin sofort gescheitert.


Ganz genau.

Zitat:

“... to obtain comprehensive information about the state of a single microscopic system is therefore impossible” bedeutet, dass Informationen im Zustand kodiert sein können, die man nicht erkennen kann.


Zumindest nicht in einem einzigen Detektorereignis. In vielen solchen Ereignissen an identisch präparierten u.U. System schon. Die TI hat auch kein prinzipielles Problem mit dieser Art von Ensembles.

Zitat:

Gut, ich kann also bestimmte Informationen über den Zustand und gewisse Eigenschaften eines Systems, die diesem gemäß der obigen Argumentation objektiv zukommen, nicht anhand eines einzelnen Systems gewinnen. Das ist nicht unbedingt ein Problem, es bedeutet lediglich, dass ein einzelnes System objektive Eigenschaften haben kann, die ich an diesem einzelnen System nicht erkennen kann.


Ja, genau.

Zitat:

Die Argumentation wird jedoch problematisch, wenn ich diese Ausführungen für ein einzelnes System tatsächlich ernsthaft anwende. Es ist dann eine objektive Eigenschaft eines einzelnes System, dass dieses System sowohl eine lebende als auch eine tote Katze enthält, wenn der Zustand dies entsprechend der Dekohärenz so kodiert.


So, und hier müssen wir jetzt nochmal ganz sorgfältig argumentieren. Also zuerst erinnern wir uns nochmal daran, daß die TI behauptet jedes einzelne System sei zu jedem Zeitpunkt in einem Zustand, der vollständig durch einen Dichteoperator definiert ist. Diese Behauptung wird im folgendem zu keinem Zeitpunkt aufgegeben. Aber, das heißt ja noch nicht, daß jeder Dichteoperator, der in irgendeinem Modell ausgerechnet wird, ebenfalls einen möglichen Zustand des individuellen Systems beschreibt, das modelliert wurde. Das kommt auf die Voraussetzungen des Modells an. Also: jedes individuelle System hat einen Dichteoperator als Zustand, aber nicht jeder Dichteoperator ist ein möglicher Zustand des modellierten Systems. Darauf komme ich gleich nochmal zurück.

Was die TI zu Schrödingers Katze sagen würde, ist denke ich folgendes: Das einzige "Problem" mit dem Zustand



ist, daß er eben nicht die ganze Wahrheit über eine individuelle Katze beschreibt. Und keiner hat je bewiesen, daß dies der Fall sein müßte. Im besten Fall folgt er aus Modellen zur Dekohärenz. Die sind aber von vornherein stochastisch, da sie den Umgebungszustand stochastisch modellieren. Es ist also überhaupt kein Wunder, daß am Ende auch nur stochastische Aussagen über den wahren Zustand der Katze herauskommen. Was also in diesen Modellen nicht passiert, ist, daß wir von einem definitiven Anfangszustand der Katze ausgehen und uns einen definitiven Endzustand (K) ausrechnen. Stattdessen haben wir einen unvollständig spezifizierten Zustand , d.h. eine Wahrscheinlichkeitsverteilung über einer Menge von Dichteoperatoren. Und wegen der Bistabilität, Dissipation etc. des Gesamtsystems, entwickelt sich diese Verteilung gemäß irgendeiner stochastischen Differentialgleichung in den Endzustand mit der Eigenschaft



In Wahrheit ist die Katze laut TI aber natürlich ganz realistisch am Ende in genau einem der beiden Zustände aus getrennten Komponenten der slow manifold. Wir können nur nicht vorhersagen in welchem, weil die objektive "Vitalität" und die objektive Eigenschaft des atomaren Systems, an die sie gekoppelt ist, eben nur stochastisch korreliert sind. Das hat also handfeste physikalisch, dynamische Gründe, die in unserem Modell begründet sind, bzw. begründet sein müssen.

Was hat das ganze mit (K) zu tun? Der Mittelwert von ist eine konvexe Kombination zweier Dichtematrizen und das ist wiederum eine Dichtematrix. (Das gilt für Ensembles im Phasenraum in der Form nicht.) Aber diese rein mathematische Tatsache ist kein Beweis dafür, daß dieser mittlere Zustand auch ein möglicher Zustand dieses Systems ist; genausowenig wie "3.5" eine mögliche Augenzahl eines klassischen Würfels ist. Mittelwerte beschreiben ein Ensemble eben nicht vollständig und wir können aus ihnen keine Rückschlüsse ziehen, welche Zustände überhaupt möglich sind.

Und genau das ist hier die Behauptung: das Dekohärenzargument, welches auf (K) führt, beschreibt nur was "im Mittel" passiert. Die TI, bzw. allgemeinere stochastische Modelle, beziehen sich aber immer auf Systeme in einem definitiven Zustand (auch wenn sie ihn mit stochastischen Methoden beschreiben.)

Zitat:

Dies hat zunächst wenig mit der Thermal Interpretation im Speziellen zu tun.

Wie wird Neumaier diese objektive Eigenschaft, dass ein einzelnes System sowohl eine lebende als auch eine tote Katze enthält, wieder los?


Das ist nun hoffentlich zumindest im Prinzip beantwortet. Er muß sie nicht loswerden, denn beide zusammen sind nie in dem Zustand des einzelnen Systems enthalten. Es sind lediglich zwei mögliche Zustände in .

Zitat:

Indem er die Aussage über ein einzelnes System vergisst und im Folgenden von Systemen (Plural), Statistik usw. redet. Das interessiert mich jedoch nicht, ich bleibe bei seinen ursprünglichen Aussagen, die explizit besagen, dass eine objektive Eigenschaft eines Systems im Zustandsvektor dieses einen Systems kodiert ist.

Er hat die zwei Katzen in einem System selbst eingeführt, jetzt kriegt er sie nur dadurch los, dass er diese Problematik bzgl. eines einzelnen Systems ignoriert und im wesentlichen statistische Aussagen macht.


Das ganze Modell ist von Anfang an statistisch. Das liegt nur daran, daß wir hier makroskopische Systeme mit wenigen Parametern modellieren und an nichts weiter.

Deswegen wird aber nicht die Aussage aufgeben, daß das System zu jedem Zeitpunkt in einem wohldefinierten (aber unvollständig spezifizierten) Zustand ist; genausowenig wie mit einem klassischen Gibbsschen Ensemble aufgegeben wird, daß sich das System zu jedem Zeitpunkt in genau einem Phasenraumpunkt befindet.


Zitat:

Anyway: es ist common sense, dass die Dekohärenz nicht zu eindeutigen Messergebnissen führt, also muss die TI - wenn sie für sich reklamiert, dass dies der Fall sein soll - an entscheiden Stellen von der Argumentation der Dekohärenz abweichen muss; das wiederum hattest du mal abgestritten;


Ich bestreite dies immer noch. Wenn die Dekohärenz den mittleren Zustand der Form (K) liefert (was, soweit ich verstehe, Neumaiers Behauptung ist), dann folgt daraus noch nicht, daß sich das System tatsächlich in diesem Zustand befinden kann. Andererseits sind alle Schlußfolgerungen, die ich aus (K) ziehe natürlich konsistent damit, daß sich das System in einem der beiden Zustände befindet. Ich sehe da absolut keinen Widerspruch.
TomS
BeitragVerfasst am: 17. Feb 2021 18:09    Titel:

Wenn ich sie falsch verstanden habe, dann liegt die Lösung offenbar im Folgenden. Kannst du dazu noch etwas erhellendes beitragen?

index_razor hat Folgendes geschrieben:
1) Laut TI resultiert ein "asymmetrischer" Zustand, der durch Umgebungsrauschen selektiert wird ... Laut TI ergäbe sich ein vollkommen deterministisches Ergebnis ... wenn man alle Freiheitsgrade berücksichtigen würde und der makroskopische Zustand exakt bekannt wäre.


index_razor hat Folgendes geschrieben:
2) D.h. das makroskopische Meßgerät legt sich auf einen definitiven Wert für die Indikatorvariable fest. Das passiert mittels chaotischer, dissipativer, stochastischer Prozesse, aber innerhalb der unitären Dynamik des Gesamtsystems.


index_razor hat Folgendes geschrieben:
3) Der Punkt ... war zu erklären, daß -- entgegen deiner Behauptung -- keine "mathematisch unterschiedlichen" Vorhersagen zwischen TI und Dekohärenz bestehen.


Fangen wir von hinten an: für ein abgeschlossenes System folgt nach (3) sowohl gemäß Dekohärenz als auch TI, dass ein separabler, reiner Zustand eines abgeschlossenen Systems, bestehend aus den Subsystemen “nicht zerfallenem Atomkern”, “lebende Katze”, “Umgebung” und “Messgerät” durch Zeitentwicklung in einen verschränkten Zustand dieser Subsysteme übergeht. Durch Ausspuren unbeobachtbarer Freiheitsgrade nach unitärer Zeitentwicklung folgt ein gemischter Zustand der Subsysteme “Katze” und “Messgerät”, wobei zwei Dichtematrizen in der Form “lebende Katze und Messgerät zeigt lebende Katze” sowie “tote Katze und Messgerät zeigt tote Katze” mischen.

Aus (1) folgt, dass der finale Zustand in jedem Einzelfall eine eindeutige (wenn auch gemäß TI nicht exakt scharfe) Zeigerposition liefert. Die genannte Dichtematrix hat jedoch nicht diese Struktur, d.h. wir benötigen

(2), nämlich “chaotische, dissipative, stochastischer Prozesse innerhalb der unitären Dynamik des Gesamtsystems.”

Fragen:

Wie folgen trotz der unitären Dynamik eines prinzipiell abgeschlossenes und reines Systems chaotische, dissipative und stochastische Prozesse? Soll ich mir das z.B. wie beim Wetter vorstellen?

An welcher konkreten Stelle ist die gemäß der Dekohärenz folgende, allseits bekannte Argumentation falsch, das auf die inkohärente Überlagerung aus lebender und toter Katze geschlossen werden kann, und dass beide stabil bleiben?
TomS
BeitragVerfasst am: 17. Feb 2021 14:00    Titel:

Vermutlich verstehe ich die TI tatsächlich falsch, allerdings liegt das sicher auch an der Darstellung.

Meiner Meinung nach kehrt die Thermal Interpretation das wesentliche Problem unter den Teppich, und zwar hier: aus Teil III

Zitat:
According to the thermal interpretation, properties of the system to be measured are encoded in the state of the system and its dynamics. This state and what can be deduced from it are the only objective properties of the system. The measured value – a pointer reading, a sound, a counter value, etc. – is read off from the instrument, and hence is primarily a property of the measuring instrument and not one of the measured system. From the properties of the instrument (the instrument state), one can measure or compute the measurement results. Measurements are possible only if the microscopic laws imply quantitative relations between properties of the measured system (i.e., the system state) and the values read off from the measuring instrument (properties of the detector state).

(M) We say that a property P of a system S (encoded in its state) has been measured by another system, the detector D, if at the time of completion of the measurement and a short time thereafter (long enough that the information can be read by an observer) the detector state carries enough information about the state of the measured system S at the time when the measurement process begins to deduce with sufficient reliability the validity of property P at that time.

...

This is the essential part where the thermal interpretation differs from tradition. Indeed, from a single detection event, one can only glean very little information about the state of a microscopic system. Conversely, from the state of a microscopic system one can usually predict only probabilities for single detection events.

...

The historically unquestioned interpretation of such detection events as the measurement of a particle position is one of the reasons for the failure of traditional interpretations to give a satisfying solution of the measurement problem. The thermal interpretation is here more careful ... To obtain comprehensive information about the state of a single microscopic system is therefore impossible.
Thus in case of measurements on microscopic quantum systems, the quantitative relationship between measurement results and measured properties only takes the form of a statistical correlation. The reproducably observable items, and hence the carrier of scientific information, are statistical mean values and probabilities. These are indeed predictable by quantum physics. But – in contrast to the conventional terminology applied to single detection events for photons or electrons – the individual events no longer count as definite measurements of single system properties.
This characteristics of the thermal interpretation is an essential difference to traditional interpretations, for which each event is a definite measurement.


“... properties of the system to be measured are encoded in the state of the system and its dynamics. This state and what can be deduced from it are the only objective properties of the system” bedeutet, dass der Zustand eines Systems eine objektive Eigenschaft ist - letztlich die einzige relevante Eigenschaft, da alle weiteren objektiven Eigenschaften daraus ableitbar sind. Gut, mit den Ansatz habe ich zunächst keine Probleme.

“... from the state of a microscopic system one can usually predict only probabilities for single detection events” bedeutet, dass aus einem Zustand eines mikroskopischen Systems keine Aussage über einen eindeutigen Ausgang einer Messung gewonnen werden kann, lediglich statistische Aussagen. Dennoch bleibt der Zustand gemäß der zuvor getroffenen Aussage “the only objective properties of the system”, d.h. diese objektive Eigenschaft kommt dem einzelnen System ohne Zweifel zu und ich darf das für ein einzelnes System diskutieren, ohne auf Statistik Bezug nehmen zu müssen. Wenn ich nicht über ein einzelnes System sprechen dürfte, wäre der Anspruch, die vorliegende Information wäre auf einzelne Systeme anwendbar, ohnehin sofort gescheitert.

“... to obtain comprehensive information about the state of a single microscopic system is therefore impossible” bedeutet, dass Informationen im Zustand kodiert sein können, die man nicht erkennen kann. Gut, ich kann also bestimmte Informationen über den Zustand und gewisse Eigenschaften eines Systems, die diesem gemäß der obigen Argumentation objektiv zukommen, nicht anhand eines einzelnen Systems gewinnen. Das ist nicht unbedingt ein Problem, es bedeutet lediglich, dass ein einzelnes System objektive Eigenschaften haben kann, die ich an diesem einzelnen System nicht erkennen kann.

Die Argumentation wird jedoch problematisch, wenn ich diese Ausführungen für ein einzelnes System tatsächlich ernsthaft anwende. Es ist dann eine objektive Eigenschaft eines einzelnes System, dass dieses System sowohl eine lebende als auch eine tote Katze enthält, wenn der Zustand dies entsprechend der Dekohärenz so kodiert.

Dies hat zunächst wenig mit der Thermal Interpretation im Speziellen zu tun.

Wie wird Neumaier diese objektive Eigenschaft, dass ein einzelnes System sowohl eine lebende als auch eine tote Katze enthält, wieder los? Indem er die Aussage über ein einzelnes System vergisst und im Folgenden von Systemen (Plural), Statistik usw. redet. Das interessiert mich jedoch nicht, ich bleibe bei seinen ursprünglichen Aussagen, die explizit besagen, dass eine objektive Eigenschaft eines Systems im Zustandsvektor dieses einen Systems kodiert ist.

Er hat die zwei Katzen in einem System selbst eingeführt, jetzt kriegt er sie nur dadurch los, dass er diese Problematik bzgl. eines einzelnen Systems ignoriert und im wesentlichen statistische Aussagen macht. Natürlich darf er letzteres tun, und er wird die zwei Katzen damit tatsächlich los, aber eben nur um den Preis, dass er seine Aussage “this state and what can be deduced from it are the only objective properties of the system” nicht aufrecht erhalten kann; er müsste den Anspruch, der Zustand kodiere objektive Eigenschaften eines Systems, aufgeben; alternativ müsste er diskutieren, ob manche Eigenschaften, die dem Zustand zukommen, dennoch keine Eigenschaften des dadurch beschriebenen Systems entsprechen. Er verschweigt dieses von ihm in die Welt gesetzte Problem - mathematisch und verbal - und schleicht sich in eine Ensemble-artige Interpretation hinein.

(ein wesentlicher Unterschied zu Gibbs ist natürlich, dass bei Gibbs kein Zustandsvektor oder Dichteoperator im Spiel ist, der Aussagen wie die zu den Katzen kodieren könnte; sobald man ein Gibbssches Ensemble im Rahmen der Quantenmechanik betrachtet, muss man dieses Problem natürlich ebenfalls diskutieren)

EDIT: Kap. 5 in Teil III ist mir zu generisch.

Anyway: es ist common sense, dass die Dekohärenz nicht zu eindeutigen Messergebnissen führt, also muss die TI - wenn sie für sich reklamiert, dass dies der Fall sein soll - an entscheiden Stellen von der Argumentation der Dekohärenz abweichen muss; das wiederum hattest du mal abgestritten; ich sehe jedenfalls nicht, wie dies für einen Zustand des Gesamtuniversums funktionieren soll (ich werde aber weiterlesen, obwohl mich das Thema immer mehr frustriert).
index_razor
BeitragVerfasst am: 17. Feb 2021 12:04    Titel:

TomS hat Folgendes geschrieben:

Es gibt hier keine “richtige” oder “falsche” Sicht auf diese Probleme; und natürlich erkenne ich mögliche Lösungen. Allerdings gibt es bei Diskussionen zu Interpretationen der Quantenmechanik verschiedene Sichtweisen bzgl. der Relevanz der Probleme und der Schlüssigkeit der Lösungen. Da haben wir eben unterschiedliche Ansichten.


Ich denke es ist mehr als nur eine Bewertung der Relevanz. Aber sehen wir mal weiter.

Zitat:

Und ja, es muss tatsächlich nicht darum gehen, ob und wie ein makroskopisches System in einem eindeutigen Zustand landet. Ich neige zum Beispiel der Many-Worlds-Interpretation zu, habe mit Mehrdeutigkeit also kein Problem. Nur - die Thermal Interpretation behauptet von sich selbst, dass sie genau dazu eine Lösung anzubieten habe. Aus Teil III:

Zitat:
The thermal interpretation ... has no explicit collapse – the latter emerges approximately in non-isolated subsystems


Genau diesen Kollaps, der für ein System zu einem eindeutigen Zustand führt - das ist die übliche Bedeutung von Kollaps - erklärt die Thermal Interpretation offenbar nicht; ich sehe keine Gleichung, aus der “the [collaps] emerges approximately in non-isolated subsystems” folgen würde.


Sie erklärt das durch eine Bistabilität (oder im allgemeinen Fall müßte man wohl sagen "Multistabilität") des gesamten Aufbaus (System+ Detektor), der durch die Wechselwirkung in genau einen der möglichen Zustände getrieben wird und dort bleibt. Man muß aus Sicht der TI nur die Stochastizität und die Diskretheit der möglichen Endresultate erklären. Erstere ist eine Folge der Dissipation in dem System und des chaotischen Verhaltens der makroskopischen Variablen, letztere folgt daraus, daß die "slow manifold" in mehrere unzusammenhängende Komponenten zerfällt.

Diese Erklärung ist bei Neumaier natürlich nur qualitativ also ohne Formeln, aber m.E. plausibel. Daß Neumaier selbst keine Modelle detailliert durchrechnet, hatten wir schon vor Tagen festgestellt, um diesen Punkt hätten wir also nicht so lange herumdiskutieren müssen. Wenn du Formeln sehen willst, mußt du vermutlich die angegebene Literatur lesen. Ich habe zumindest vor, das irgendwann zu tun. Aber ich rechne natürlich damit, daß dort hauptsächlich stochastische Gleichungen zu finden sein werden, die du ja aus unerfindlichen Gründen in realistischen Theorien verbieten willst.

Zitat:

Ich habe diese Forderung nicht aufgestellt, sie stammt aus der Thermal Interpretation selbst; ich konstatiere lediglich, dass sie an dieser Stelle nicht leistet, was sie zu leisten behauptet.


Du bist mit keinem einzigen Wort auf die Argumente eingegangen. Wenn dein Einwand lediglich darauf beruht, daß da keine Formeln stehen, ist das m.E. etwas dürftig.

[EDIT: Ich meine hier konkret Neumaiers Argumente für seine Behauptung "The thermal interpretation ... has no explicit collapse – the latter emerges approximately in non-isolated subsystems". Ich meinte nicht, daß du generell auf keine Argumente eingegangen bist.]

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Es ist eine Tatsache, dass dies [Ensemble-artige Interpretationen] eben genau keine vollständige und realistische Beschreibung eines einzelnen Systems liefert, obwohl wir es in der Praxis auch mit einzelnen Systemen zu tun haben.

Die Tatsache ist irrelevant, weil wir nicht von einer "ensembleartigen Interpretation" sprechen. Wir dürfen aber trotzdem im Rahmen eines konkreten Modells Ensembles benutzen ohne deshalb unseren Anspruch an Realismus aufgeben zu müssen. Darum geht es. Es ist überhaupt nicht erforderlich, daß diese, ich nenne sie mal, "realistischen Ensembles" eine vollständige Beschreibung des Systems liefern, wenn die tatsächlich beobachteten (stochastischen) Eigenschaften dieser Systeme gerade zum Teil auf unsere unvollständigen Kenntnisse ihres Zustands zurückzuführen sind.

Das magst du als irrelevant ansehen, das ist Ok; ich sehe es nicht als irrelevant an. Die Thermal Interpretation behauptet, auf einzelne Systeme anwendbar zu sein, liefert jedoch eine Beschreibung von Ensembles; deswegen ist der Anspruch - und auch der stammt nicht von mir - nach meiner Ansicht nicht erfüllt.


Die Aussage ist irrelevant, sofern sie als Kritik an der TI gedacht ist, da sie nicht auf die TI zutrifft. Entweder behauptest du hier, die TI interpretiere jede Dichtematrix als Ensemble. Dann ist das schlicht eine falsche Behauptung über die TI. Die TI redet höchstens im Zusammenhang mit makroskopischen Systemen von Ensembles, genau wie jede andere uns bekannte realistische Theorie. Oder dein Einwand trifft eben auch auf Gibbssche Ensembles in der klassischen statistischen Thermodynamik zu, die folglich ihren Anspruch auf Realismus nicht erfüllen würde. Das wäre m.E. ebenso falsch, aber auch irrelevant. Die TI muß ja nicht "realistischer" sein, als die klassische Mechanik.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Die TI ist nicht schlechter definiert als die MWI. Und sie interpretiert die Quantenmechanik als realistische Beschreibung einzelner Systeme.

Ersteres habe ich nicht behauptet; von “besser” oder “schlechter” kann hier gar keine Rede sein.


Nein, hast du nicht behauptet. Aber irgendeinen Grund muß es ja geben, daß du annimmst die MWI sei eine (beinahe) logische Konsequenz aus Realismus und QM-Formalismus, obwohl die TI ein Gegenbeispiel ist.

Zitat:

Alles was ich feststelle ist, dass sie entgegen ihrer und deiner Behauptung keine realistische Beschreibung einzelner Systeme liefert, da sie schlicht nicht formal zeigt, wie welches einzelne System, das durch einen eindeutigen Endzustand repräsentiert werden sollte, auf dem Ensemble hervorgeht.


Daraus muß ich schließen, daß du Modelle makroskopischer Systeme schlechthin als nicht realistisch betrachtest, sondern nur Beschreibungen von mikroskopischen Systemen, in denen der komplette Initialzustand und die komplette Dynamik bekannt ist und gelöst wurde. Das ist natürlich absurd und in Wahrheit tust du das auch nicht. Ich vermute deshalb eher deine Feststellung beruht auf einem Mißverständnis.

Zitat:

Das ist kein besonders intelligenter Einwand meinerseits, das ist der Standardeinwand gegen jede Interpretation, die auf Ensembles - im weitesten Sinne - beruhte.


Nochmal, die TI beruht nicht auf Ensembles, genauso wenig wie die klassische Mechanik. Aber beide verwenden Ensembles in konkreten Modellen wenn es notwendig ist.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Und sie interpretiert diesen Zustand nicht als Beschreibung eines Ensembles.

Neumaier erklärt ausführlich, wie Ensemble zu verstehen ist, und dass seine Interpretation auf fiktiven Ensembles beruht:

Zitat:
Therefore, the notion of q-ensemble is to be understood not as an actual repetition by repeated preparation.



Wir sprechen aber gerade nicht von q-Ensembles, sondern von klassischen Ensembles aus Dichtematrizen. Du scheinst das einfach nicht auseinanderhalten zu wollen.

Zitat:

Zitat:
It should be understood instead in the sense of a fictitious collection of imagined copies of which only one is actually realized –, giving an intuitive excuse for using the statistical formalism for a single system.
The association of a ficticious ensemble to single thermal systems goes back to Gibbs, the founder of the ensemble approach to classical statistical mechanics. He was very aware that thermodynamics and hence statistical mechanics applies to single physical systems. His arguments are today as cogent as when he introduced them.



Das erklärt, daß ein q-Ensemble im wesentlichen dasselbe ist, wie ein Gibbssches Ensemble, m.a.W. die Repräsentation eines einzelnen Systems. Und was soll das jetzt beweisen, außer das, was ich die ganze Zeit behaupte? Du kannst die TI auch formulieren ohne den Begriff "q-Ensemble" überhaupt zu verwenden. Es reicht im Prinzip "q-Erwartungswert", was, im Gegensatz zu "q-Ensemble", ein präziser, fest im Formalismus verankerter Begriff ist. Das zeigt, daß die TI überhaupt nicht auf Ensembles basiert.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Daraus folgt nun anscheinend für dich, daß sie nicht in der Lage ist, den Meßprozeß richtig zu beschreiben, weil du offenbar davon ausgehst "aus dem Formalismus" folge, daß der Endzustand des Meßgeräts in jedem Einzelfall, und nicht nur im Mittel die Form



hat.

Du verstehst die Logik nicht.

Der Kern der Quantenmechanik ist der Zustand und dessen Zeitentwicklung; deswegen ist die Frage, was eine realistische Interpretation beschreibt, letztlich die Frage, auf welche real existierende Entität sich der Zustand bezieht. Und wenn die Interpretation behauptet, sie biete eine realistische Interpretation des Messprozesses für ein einzelnes System, dann muss sich die Zeitentwicklung des Zustandes auf einen einzelnen Messprozesses an einem einzelnen System beziehen.


Das tut sie auch, allerdings in diesem speziellen Fall natürlich nur im Rahmen stochastischer Differentialgleichungen, was an sich aber kein Widerspruch ist (siehe Gibbssches Ensemble).

Zitat:

Im vorliegenden Fall bezieht sich der Zustand jedoch auf ein fiktives Ensemble, es sind noch alle möglichen Messergebnisse enthalten, obwohl nur eines tatsächlich realisiert wird.


Genau wie in einem Gibbschen Ensemble alle Mikrozustände vorhanden sind, obwohl nur einer realisiert ist. Und wie wir gerade gesehen hatten, ist das überhaupt kein Problem für die Behauptung dieser Zustand beziehe sich auf ein einzelnes System.

Zitat:

Die Zeitentwicklung des Zustandes liefert also gerade nicht die tatsächliche Zeitentwicklung des einzelnen Systems während einer Messung, sondern die eines fiktiven Ensembles.


In diesem Modell wird die Zeitentwicklung eines einzelnen Zustands gar nicht modelliert. Das funktioniert nur für einfache abgeschlossene Systeme.

Zitat:

Das ist der Kern meiner Argumentation - und letztlich das Argument gegen jede Ensemble-artige Interpretation, die behauptet, auf ein einzelnes System und eine einzelne Messung anwendbar zu sein.


Daß die TI aus physikalischen Gründen in bestimmten Modellen Ensembles verwenden muß, macht sie aber noch nicht zu einer "ensembleartigen Interpretation". Ich behaupte immer noch, daß du die Grundaussagen der TI vollkommen mißverstanden hast.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Also damit ich das richtig verstehe: Du bist erst zufrieden, wenn dir jemand detailliert in einem realistischen Modell eines makroskopischen Meßprozesses vorrechnet, wie aus der Dynamik des Meßgeräts ein einzelner Zustand mit der Eigenschaft "auf der Anzeige steht der Wert 42" herauspurzelt? Und das vermutlich noch für jeden möglichen Meßwert.

Das wäre der Idealfall, aber das ist praktisch kaum erreichbar - evtl. sogar prinzipiell nicht erreichbar. Ich erwarte hier lediglich eine realistische Einschätzung dessen, was die Thermal Interpretation leisten kann.


Dann werde doch mal etwas konkreter. Wenn es praktisch kaum erreichbar ist (die Untertreibung des Jahrhunderts), welche Methoden und welche Art von Modellen würden wir denn praktischerweise stattdessen verwenden? Also wie würden wir auch nur anfangen ein konkretes Modell mit einem makroskopischen Meßgerät aufzustellen?

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Wenn das tatsächlich ein Problem wäre, dann wäre es auch eins für die MWI. Dekohärenzeffekte basieren doch auch auf zufälligen Umgebungseinflüssen, also auf einem Ensemble von möglichen Umgebungszuständen.

Nein, bei der MWI geht es gerade nicht um ein Ensemble von möglichen Umgebungszuständen, sondern um genau einen einzigen Zustand einschließlich der Umgebung im Zuge einer einzigen Messung.


Aber in Modellen für Dekohärenz geht es darum.

Zitat:

Die MWI hat verstanden, dass die Behauptung, die Quantenmechanik liefere eine realistische Beschreibung eines einzelnen Systems, rein logisch bedeutet, alle im Endzustand repräsentierten Messergebnisse und insbs. diesen als Ganzes realistisch auffassen zu müssen.


Die TI hat verstanden, daß der Endzustand eines einzelnen Systems nicht alle Meßergebnisse "repräsentiert", sondern lediglich einen einzelnen q-Erwartungswert pro q-Observable. "Rein logisch" ist da gar nichts. Schon in deine Voraussetzungen geht eine Menge Interpretation ein.
index_razor
BeitragVerfasst am: 17. Feb 2021 08:14    Titel:

Qubit hat Folgendes geschrieben:
Und um noch mal den Würfel zu bemühen:

Klassisch wäre es sogar im unwahrscheinlichen Fall denkbar, dass er auf einer Kante landete (vielleicht unter Vakuumbedingungen). Für den quantenmechanischen Würfel ist dieser Zustand aber nicht möglich, da er kein Eigenzustand des Würfels ist.
Die Standardinterpretation und die MWI schliessen diesen Zustand per se aus, es gibt keine Projektion darauf, nur auf Eigenzustände.


Das zeigt nochmal, daß der Vergleich hinkt. Du betrachtest einfach zwei unterschiedliche Systeme. Wenn du den Würfel in der klassischen Mechanik als (näherungsweise) starren Körper modellierst, der sogar auf einer Ecke stehen kann, dann mußt du dieselben Modellannahmen natürlich auch in der QM machen. Ob der Würfel dann auf der Ecke stehen kann oder nicht, muß aus dem Modell folgen, nicht aus irgendwelchen Postulaten.

Zitat:

Du musst für jede Messung ein konkretes Bild der "physikalischen Wechselwirkung" mit dem Messapparatur bemühen, um dann zu zeigen, dass doch nur einer der Eigenzustände für ein einzelnes QM-System gemessen wird. Und zwar genau nach den quantenmechanischen Wahrscheinlichkeiten.


Mit anderen Worten: man muß zeigen, daß unter geeigneten Bedingungen die Bornsche Regel für wiederholte Messungen gilt. Siehe dazu z.B. https://arxiv.org/abs/1904.12721
index_razor
BeitragVerfasst am: 17. Feb 2021 08:00    Titel:

Qubit hat Folgendes geschrieben:

Wir präperieren den Wurf so, dass der Zustand des Würfels ein reiner Zustand ist. Klassisch könnten wir theoretisch den Ausgang der Messung (Wechselwirkung mit dem Tisch, Würfelseite oben) vollständig berechnen, wir müssten nur alle Randbedingungen kennen. Quantenmechanisch können wir das nicht, da Bell+Co. gezeigt haben, dass es keine verborgene Parameter gibt, die den Zustand des Würfels determinieren.


Die Dichtematrix determiniert in der Quantenmechanik den Zustand, und seine Zeitentwicklung können wir auch ganz deterministisch mit der von-Neumann-Gleichung (oder einer entsprechenden Verallgemeinerung auf dissipative Systeme) beschreiben. Dafür brauchen wir keine verborgenen Parameter. Die Frage wäre also ob der Endzustand des Würfels für die "klassischen" Eigenschaften, wie oben liegende Augenzahl, einen scharfen Wert anzeigt. Das können wir praktisch klassisch genausowenig ausrechnen wie quantenmechanisch. Aber es scheint kein fundamentales Problem zu sein.

Zitat:

iii) wir können sagen, dass sich alle Eigenzustände 1-6 überlagern. Aber "real" können wir nur den "Erwartungswert" 3.5 dem Würfel zuordnen. Das ist ja schliesslich auch das, was wir dann "statistisch" messen (Messungen unterliegen selbst einer [thermischen] Statistik und wir können "makroskopische" Aussagen letztlich nur statistisch am Ensemble prüfen, da es (immer) eine Wechselwirkung zwischen Messapparatur und "Würfel" gibt). (TI)


Dein Vergleich mit der klassischen Mechanik hinkt aber, wenn du davon ausgehst, daß jeder Augenzahl genau ein reiner Zustand zugeordnet ist. Wieso beschreibst du den Würfel nicht als quantenmechanischen starren Körper? Das wäre der relevante (und interessantere) Vergleich.

Zitat:

(iii) Einer der Eigenzustände wird (stochastisch nach der "thermalen" Interaktion mit der Messapparatur) festgelegt. Wir wissen nicht welcher und warum, aber es hängt mit der "thermischen" Umgebung und mit der Wechselwirkung der Messapparatur zusammen. Allerdings gibt es keine Projektion des Zustandes vor der Messung auf einen Eigenzustand nach der Messung.


Das ist nicht die Situation in einem 6-Zustandssystem, wie du es beschrieben hast. Dort gibt es keine Stochastik und es wird bei einer Wechselwirkung kein Eigenzustand herausgefiltert. Die ganze Stochastik ist letztlich nur ein Effekt des coarse-graining in makroskopischen Systemen. Aber dies ist in deiner Beschreibung nicht vorhanden.

Zitat:

Die Kritik davon unabhängig an der TI ist aber:
Wir messen nun mal einen Eigenzustand einer Observablen an einem einzelnen QM-System.


Du kannst die TI nicht damit kritisieren, daß du ihr einfach eine Aussage entgegenhältst, die sie ausdrücklich bestreitet. Siehe z.B. auch die Kritik an der Bornschen Regel.

Zitat:

Und in der Interpretation der TI gibt es keine Abbildung des reinen Zustandes vor auf den reinen Zustand nach der Messung.


Doch den gibt es. In einem abgeschlossenen System ist dies einfach der unitäre Zeitentwicklungsoperator. Der Zustand nach der Messung muß kein Eigenzustand sein.

Zitat:

Hierzu ist ein weiterer Mechanismus notwendig, die konkrete Koppelung von Messapparatur und QM-System, eine "physikalische Wechselwirkung".

Die Standardinterpretation und auch die Empirie zeigen aber, dass völlig unabhängig von der konkreten "physikalischen Wechselwirkung" immer nur einer der Eigenzustände vor der Messung in der Messung eines QM-Systems festgestellt wird/werden kann.


Das zeigt die Emprie überhaupt nicht unabhängig von der Wechselwirkung. Im Gegenteil das gilt nur für einen sehr speziellen und idealisierten Fall (Filtermessung mit Projektormaßen). Reale Messungen messen oft nichtkommutierende und kontinuierliche Observablen (z.B. P und X) gleichzeitig und mit begrenzter Präzision. Dazu verwendet man positive operatorwertige Maße und das Ergebnis ist kein Eigenzustand.
TomS
BeitragVerfasst am: 17. Feb 2021 00:44    Titel:

Qubit hat Folgendes geschrieben:
Klassisch wäre es sogar im unwahrscheinlichen Fall denkbar, dass er auf einer Kante landete (vielleicht unter Vakuumbedingungen). Für den quantenmechanischen Würfel ist dieser Zustand aber nicht möglich, da er kein Eigenzustand des Würfels ist.
Die Standardinterpretation und die MWI schliessen diesen Zustand per se aus, es gibt keine Projektion darauf, nur auf Eigenzustände.

Die Standardinterpretation schließt das per definitionem aus - insoweit du die Würfelflächen mit den Eigenzuständen assoziierst.

Die MWI schließt dies nicht per se aus, da sie in ihrer heutigen Axiomatik weder Eigenzustände noch Projektionen enthält; wenn du ein System konstruieren kannst, dessen dekohärente Zeitentwicklung einen derartigen finalen Zustand enthält, dann wird er gemäß der MWI auch auftreten.

Qubit hat Folgendes geschrieben:
Die Standardinterpretation und auch die Empirie zeigen aber, dass völlig unabhängig von der konkreten "physikalischen Wechselwirkung" immer nur einer der Eigenzustände vor der Messung in der Messung eines QM-Systems festgestellt wird/werden kann.

Das ist so nicht richtig.

index_razor hat im Verlauf der Diskussion auf Gegenbeispiele hingewiesen. Der eigenvalue-eigenvector-link spielt in vielen modernen Interpretationen keine Rolle mehr, die Standardinterpretation ist an einigen Stellen zu naiv. Und die Empire zeigt keineswegs, dass im Zuge von Messungen immer nur entsprechende Eigenzustände realisiert werden; ein einfaches Gegenbeispiel ist die Messung der Energie eines Photons, das nach der Messung nicht mehr existiert, also insbs. nicht in dem Eigenzustand vorliegt, zu dem die zugehörige Energie gemessen wurde.

Ich denke, wenn du deinen Text etwas umformulierst ...
Qubit hat Folgendes geschrieben:
Meines Erachtens ist dann, wenn man die Dichtematrix real interpretiert und nicht nur als Statistik für Ensembles sieht, notwendig, dass man auch einen Mechanismus für die Wechselwirkung mit der Messapparatur einführen muss und zwar gerade so, dass die Messung einen der Zustände liefert - konform mit der Erfahrung ... Wie auch immer diese Wechselwirkung konkret physikalisch sein mag, sie muss einen definierten Zustand ... liefern.

... dann landest du im wesentlichen bei meinem Einwand.
TomS
BeitragVerfasst am: 17. Feb 2021 00:23    Titel:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Ich denke du hast schon eine völlig verkehrte Sicht auf das Problem. Deswegen erkennst du nicht, wie eine mögliche Lösung aussehen kann. Es geht gar nicht darum zu erklären, wie ein makroskopisches System in einem eindeutigen Zustand landet.

Es gibt hier keine “richtige” oder “falsche” Sicht auf diese Probleme; und natürlich erkenne ich mögliche Lösungen. Allerdings gibt es bei Diskussionen zu Interpretationen der Quantenmechanik verschiedene Sichtweisen bzgl. der Relevanz der Probleme und der Schlüssigkeit der Lösungen. Da haben wir eben unterschiedliche Ansichten.

Und ja, es muss tatsächlich nicht darum gehen, ob und wie ein makroskopisches System in einem eindeutigen Zustand landet. Ich neige zum Beispiel der Many-Worlds-Interpretation zu, habe mit Mehrdeutigkeit also kein Problem. Nur - die Thermal Interpretation behauptet von sich selbst, dass sie genau dazu eine Lösung anzubieten habe. Aus Teil III:

Zitat:
The thermal interpretation ... has no explicit collapse – the latter emerges approximately in non-isolated subsystems


Genau diesen Kollaps, der für ein System zu einem eindeutigen Zustand führt - das ist die übliche Bedeutung von Kollaps - erklärt die Thermal Interpretation offenbar nicht; ich sehe keine Gleichung, aus der “the [collaps] emerges approximately in non-isolated subsystems” folgen würde.

Ich habe diese Forderung nicht aufgestellt, sie stammt aus der Thermal Interpretation selbst; ich konstatiere lediglich, dass sie an dieser Stelle nicht leistet, was sie zu leisten behauptet.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Es ist eine Tatsache, dass dies [Ensemble-artige Interpretationen] eben genau keine vollständige und realistische Beschreibung eines einzelnen Systems liefert, obwohl wir es in der Praxis auch mit einzelnen Systemen zu tun haben.

Die Tatsache ist irrelevant, weil wir nicht von einer "ensembleartigen Interpretation" sprechen. Wir dürfen aber trotzdem im Rahmen eines konkreten Modells Ensembles benutzen ohne deshalb unseren Anspruch an Realismus aufgeben zu müssen. Darum geht es. Es ist überhaupt nicht erforderlich, daß diese, ich nenne sie mal, "realistischen Ensembles" eine vollständige Beschreibung des Systems liefern, wenn die tatsächlich beobachteten (stochastischen) Eigenschaften dieser Systeme gerade zum Teil auf unsere unvollständigen Kenntnisse ihres Zustands zurückzuführen sind.

Das magst du als irrelevant ansehen, das ist Ok; ich sehe es nicht als irrelevant an. Die Thermal Interpretation behauptet, auf einzelne Systeme anwendbar zu sein, liefert jedoch eine Beschreibung von Ensembles; deswegen ist der Anspruch - und auch der stammt nicht von mir - nach meiner Ansicht nicht erfüllt.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Die TI ist nicht schlechter definiert als die MWI. Und sie interpretiert die Quantenmechanik als realistische Beschreibung einzelner Systeme.

Ersteres habe ich nicht behauptet; von “besser” oder “schlechter” kann hier gar keine Rede sein.

Alles was ich feststelle ist, dass sie entgegen ihrer und deiner Behauptung keine realistische Beschreibung einzelner Systeme liefert, da sie schlicht nicht formal zeigt, wie welches einzelne System, das durch einen eindeutigen Endzustand repräsentiert werden sollte, aus dem Ensemble hervorgeht.

Das ist kein besonders tiefsinnigerEinwand meinerseits, das ist der Standardeinwand gegen jede Interpretation, die auf Ensembles - im weitesten Sinne - beruht.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Und sie interpretiert diesen Zustand nicht als Beschreibung eines Ensembles.

Neumaier erklärt ausführlich, wie Ensemble zu verstehen ist, und dass seine Interpretation auf fiktiven Ensembles beruht:

Zitat:
Therefore, the notion of q-ensemble is to be understood not as an actual repetition by repeated preparation. It should be understood instead in the sense of a fictitious collection of imagined copies of which only one is actually realized –, giving an intuitive excuse for using the statistical formalism for a single system.
The association of a ficticious ensemble to single thermal systems goes back to Gibbs, the founder of the ensemble approach to classical statistical mechanics. He was very aware that thermodynamics and hence statistical mechanics applies to single physical systems. His arguments are today as cogent as when he introduced them.


index_razor hat Folgendes geschrieben:
Daraus folgt nun anscheinend für dich, daß sie nicht in der Lage ist, den Meßprozeß richtig zu beschreiben, weil du offenbar davon ausgehst "aus dem Formalismus" folge, daß der Endzustand des Meßgeräts in jedem Einzelfall, und nicht nur im Mittel die Form



hat.

Du verstehst die Logik nicht.

Der Kern der Quantenmechanik ist der Zustand und dessen Zeitentwicklung; deswegen ist die Frage, was eine realistische Interpretation beschreibt, letztlich die Frage, auf welche real existierende Entität sich der Zustand bezieht. Und wenn die Interpretation behauptet, sie biete eine realistische Interpretation des Messprozesses für ein einzelnes System, dann muss sich die Zeitentwicklung des Zustandes auf einen einzelnen Messprozesses an einem einzelnen System beziehen. Im vorliegenden Fall bezieht sich der Zustand jedoch auf ein fiktives Ensemble, es sind noch alle möglichen Messergebnisse enthalten, obwohl nur eines tatsächlich realisiert wird. Die Zeitentwicklung des Zustandes liefert also gerade nicht die tatsächliche Zeitentwicklung des einzelnen Systems während einer Messung, sondern die eines fiktiven Ensembles.

Das ist der Kern meiner Argumentation - und letztlich das Argument gegen jede Ensemble-artige Interpretation, die behauptet, auf ein einzelnes System und eine einzelne Messung anwendbar zu sein.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Also damit ich das richtig verstehe: Du bist erst zufrieden, wenn dir jemand detailliert in einem realistischen Modell eines makroskopischen Meßprozesses vorrechnet, wie aus der Dynamik des Meßgeräts ein einzelner Zustand mit der Eigenschaft "auf der Anzeige steht der Wert 42" herauspurzelt? Und das vermutlich noch für jeden möglichen Meßwert.

Das wäre der Idealfall, aber das ist praktisch kaum erreichbar - evtl. sogar prinzipiell nicht erreichbar. Ich erwarte hier lediglich eine realistische Einschätzung dessen, was die Thermal Interpretation leisten kann.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Und solange dies nicht vorliegt, behauptest du einfach "der Formalismus" leiste dies nicht.

Nochmal: ich behaupte, dass die Thermal Interpretation weniger leistet als sie behauptet zu leisten.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
Die Frage lautet jetzt also: Wie kann man physikalisch begründen, daß es nur einen wohldefinierten Wert anzeigt? Oder anders formuliert: wie modelliert man auf realistische Weise, was während einer Messung mit dem Meßgerät passiert?

Genau das ist die Frage, und genau darauf bietet das Paper keine Antwort.

Ich hatte schon bereut, dieses spezielle Paper erwähnt zu haben, weil ich genau befürchtet hatte, daß du nun annimmst alle Antworten stünden darin.

Nein, das war nicht meine Erwartungshaltung. Ich habe erwartet - und nach meiner Ansicht bestätigt gefunden - dass die Thermal Interpretation eine Erklärungslücke beinhaltet bzw. unvollständig ist, insoweit sie behauptet, auf ein einzelnes System anwendbar zu sein.


index_razor hat Folgendes geschrieben:
Wenn das tatsächlich ein Problem wäre, dann wäre es auch eins für die MWI. Dekohärenzeffekte basieren doch auch auf zufälligen Umgebungseinflüssen, also auf einem Ensemble von möglichen Umgebungszuständen.

Nein, bei der MWI geht es gerade nicht um ein Ensemble von möglichen Umgebungszuständen, sondern um genau einen einzigen Zustand einschließlich der Umgebung im Zuge einer einzigen Messung.

Die MWI hat verstanden, dass die Behauptung, die Quantenmechanik liefere eine realistische Beschreibung eines einzelnen Systems, rein logisch bedeutet, alle im Endzustand repräsentierten Messergebnisse und insbs. diesen als Ganzes realistisch auffassen zu müssen.


index_razor hat Folgendes geschrieben:
Aus meiner Sicht hast du keine relevanten Punkte angesprochen, und ich versuche noch immer dir zu erklären, warum ich deinen offenen Punkt für irrelevant halte.

Hier trifft wieder mein Eingangsstatement zu: wir sind - und werden uns vermutlich - bzgl. der Relevanz einzelner Punkte nicht einig werden.

Das entwertet unsere Diskussion keineswegs. Ich habe verstanden, was die Thermal Interpretation leistet und was sie nicht leistet. Dass ich einige Punkte als defizitär bewerte, die du als irrelevant betrachtetet, ist bei der Diskussion über Interpretationen der Quantenmechanik nur natürlich.

Ich bin übrigens der Meinung, dass es nur wenige Punkte gibt, die an den Artikeln zu korrigieren wären: die Behauptungen, was die Thermal Interpretation angeblich leistet, sollten überarbeitet werden.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Yes, I know how to calculate the most likely results of any experiment if someone gives me the Hamiltonian. But what is it that actually happened [in one single experiment]. That’s the dodged question.
Gerard t'Hooft

Und wenn du das noch 10mal zitierst und 20 Nobelpreisträger unterschreiben läßt, es bleibt nur ein Autoritätsargument.

Ich habe es zitiert, weil es sehr pointiert zusammenfasst, worin ich das wesentliche Problem sehe. Mir ist sehr wohl bewusst, dass wahrscheinlich weit mehr Autoritäten gegenteiliger Ansicht sind; aber es gibt eben auch andere, die diese Meinung teilen.

Um nochmals auf den Titel des Threads zurückzukommen:

Die Thermal Interpretation liefert auf Basis des Formalismus eine schlüssige Erklärung für die Entstehung eines (fiktiven) Ensembles von Katzen; sie liefert keine realistische Erklärung, welche einzelne Katze im Zuge eines Experimentes übrig bleibt.

Das ist der Kern meiner Argumentation.
Qubit
BeitragVerfasst am: 16. Feb 2021 22:59    Titel:

Und um noch mal den Würfel zu bemühen:

Klassisch wäre es sogar im unwahrscheinlichen Fall denkbar, dass er auf einer Kante landete (vielleicht unter Vakuumbedingungen). Für den quantenmechanischen Würfel ist dieser Zustand aber nicht möglich, da er kein Eigenzustand des Würfels ist.
Die Standardinterpretation und die MWI schliessen diesen Zustand per se aus, es gibt keine Projektion darauf, nur auf Eigenzustände.

Nach der TI müsstest du aber gerade die "physikalische Wechselwirkung" mit dem Messapparat so beschreiben, dass dieser Zustand nicht möglich ist.
Du musst für jede Messung ein konkretes Bild der "physikalischen Wechselwirkung" mit dem Messapparatur bemühen, um dann zu zeigen, dass doch nur einer der Eigenzustände für ein einzelnes QM-System gemessen wird. Und zwar genau nach den quantenmechanischen Wahrscheinlichkeiten.
Interpretierst du es aber nur statistisch mit quantenmechanischen Ensembles, hast du das Problem nicht. Denn dann ist es reine Statistik, ohne "reale" Aussagen über einzelne Zustände.
Qubit
BeitragVerfasst am: 16. Feb 2021 22:08    Titel:

index_razor hat Folgendes geschrieben:

Ich verstehe absolut nicht, was das alles bedeuten soll. Deswegen kann ich die Frage nicht sinnvoll beantworten.


Okay, lass es mich durch ein (semi-) klassisches Bild verdeutlichen. Ich weiss, dass dieses Bild hier und da in dem Zusammenhang Schwächen hat, aber es geht mir erstmal darum, dass Grundproblem, das ich sehe, zu verdeutlichen.

Nehmen wir den Wurf eines (Quanten-) Würfels, der hat 6 Seiten (also Eigenzustände bezüglich der Observablen "Zahl oben").

Wir präperieren den Wurf so, dass der Zustand des Würfels ein reiner Zustand ist. Klassisch könnten wir theoretisch den Ausgang der Messung (Wechselwirkung mit dem Tisch, Würfelseite oben) vollständig berechnen, wir müssten nur alle Randbedingungen kennen. Quantenmechanisch können wir das nicht, da Bell+Co. gezeigt haben, dass es keine verborgene Parameter gibt, die den Zustand des Würfels determinieren.

In der Flugphase dieses Quantenwürfels im reinen Zustand haben wir mehere Interpretationen:

i) wir können sagen, dass sich alle Eigenzustände 1-6 überlagern. Wir können aber nicht "real" sagen, wie der Zustand des Würfels dabei ist. Das können wir erst nach der Messung. (Kopenhagen).

ii) wir können sagen, dass sich alle Eigenzustände 1-6 überlagern. Aber "real" ist nur ein Zustand, den wir dann messen. Die anderen Zustände sind "real" in anderen "Welten" (MWI)

iii) wir können sagen, dass sich alle Eigenzustände 1-6 überlagern. Aber "real" können wir nur den "Erwartungswert" 3.5 dem Würfel zuordnen. Das ist ja schliesslich auch das, was wir dann "statistisch" messen (Messungen unterliegen selbst einer [thermischen] Statistik und wir können "makroskopische" Aussagen letztlich nur statistisch am Ensemble prüfen, da es (immer) eine Wechselwirkung zwischen Messapparatur und "Würfel" gibt). (TI)

Wir haben also einen reinen Zustand des "Würfels" mit unterschiedlichen Interpretationen, was wir "real" bezeichnen können. Empirisch lässt sich da keine Entscheidung treffen.

Jetzt zur Messung (Wechselwirkung mit der Tischplatte):

(i) Einer der Eigenzustände wird (stochastisch) herausgefiltert. Wir wissen nicht welcher und warum, aber wir können es beschreiben als Projektion des Zustandes vor der Messung auf einen Eigenzustand nach der Messung. Diesen Eigenzustand können wir nur als "real" annehmen.

(ii) Einer der Eigenzustände wird relativ zum Beobachter/Messappartur herausgefiltert. Wir wissen nicht welcher und warum, aber wir können es beschreiben als Projekt des Zustandes vor der Messung auf einen Eigenzustand relativ zum Beobachter nach der Messung. Diesen Eigenzustand können wir nur als "real" annehmen bezüglich dem Beobachter, die anderen Eigenzustände sind aber "real" zu Beobachter in anderen "Welten".

(iii) Einer der Eigenzustände wird (stochastisch nach der "thermalen" Interaktion mit der Messapparatur) festgelegt. Wir wissen nicht welcher und warum, aber es hängt mit der "thermischen" Umgebung und mit der Wechselwirkung der Messapparatur zusammen. Allerdings gibt es keine Projektion des Zustandes vor der Messung auf einen Eigenzustand nach der Messung.

bei (iii) kannst du nun behaupten, der Messzustand lässt sich generell nur stochastisch interpretieren, weil es eine "thermische" Koppelung mit der Messapparatur gibt. Der Eigenzustand ergibt sich durch Qm-Zustand+Messapparatur, daher können wir auch hier nur den "Erwartungswert" real interpretieren.

Die Kritik davon unabhängig an der TI ist aber:
Wir messen nun mal einen Eigenzustand einer Observablen an einem einzelnen QM-System. Und in der Interpretation der TI gibt es keine Abbildung des reinen Zustandes vor auf den reinen Zustand nach der Messung. Hierzu ist ein weiterer Mechanismus notwendig, die konkrete Koppelung von Messapparatur und QM-System, eine "physikalische Wechselwirkung".

Die Standardinterpretation und auch die Empirie zeigen aber, dass völlig unabhängig von der konkreten "physikalischen Wechselwirkung" immer nur einer der Eigenzustände vor der Messung in der Messung eines QM-Systems festgestellt wird/werden kann. Diese Information geht aber nach der TI verloren und muss "rekonstruiert" werden. Im "realen" Zustand vor der Messung muss aber also in gewisser Weise dieser gemessene Eigenzustand schon integriert sein.
index_razor
BeitragVerfasst am: 16. Feb 2021 19:02    Titel:

TomS hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:

Dieser Zustand beschreibt laut TI nicht den Endzustand eines individuellen Meßgeräts nach einer einzelnen Messung, sondern den mittleren Zustand nach einer Reihe von Messungen an identisch präparierten Systemen in einer verrauschten (oder thermischen) Umgebung, d.h.



In einer einzelnen Messung entsteht jeweils nur einer dieser Zustände . Das ist kein Widerspruch zur Dekohärenz. Sie liefert nur keine vollständige Beschreibung der Situation.

Es gibt aber ... keinen Grund anzunehmen, daß der Zustand eines individuellen makroskopischen Meßgeräts ist. Wie würdest du das denn prüfen? In der Realität zeigt es ja nun mal immer genau einen der Werte mit großer Sicherheit an. Also kann man nicht so ohne weiteres behaupten dieses liefere eine realistische Beschreibung dieses Meßgeräts. (Um dies trotzdem zu behaupten, muß ja die MWI extra mehere Welten einführen.)

Wenn du mit einer im weitesten Sinne stochastischen oder Ensemble-artigen Erklärung zufrieden bist, dann ist dazu natürlich nichts weiter zu sagen. Das folgende bezieht sich daher ausschließen auf Kritikpunkte, die entstehen, wenn man damit nicht zufrieden ist.


Ich bin nicht mit einer "im weitesten Sinne" stochastischen Erklärung zufrieden. Nur mit einer, die das reale stochastische Verhalten von makroskopischen Systemen beschreibt.

Ich denke du hast schon eine völlig verkehrte Sicht auf das Problem. Deswegen erkennst du nicht, wie eine mögliche Lösung aussehen kann. Es geht gar nicht darum zu erklären, wie ein makroskopisches System in einem eindeutigen Zustand landet. Denn dazu müßte man von einem eindeutigen Anfangszustand und vollständiger Kenntnis der Dynamik ausgehen. Beides ist aber nicht vorhanden, und zwar aus Gründen, die nicht das geringste mit der Interpretation zu tun haben. (Der Zustand des Meßgeräts ist nur durch relativ wenige makroskopischer Parameter spezifiziert. Alle mit diesen Parametern verträglichen Mikrozustände definieren ein klassisches Ensemble.)

Was wir tatsächlich erklären müssen, ist das stochastische Verhalten realer Meßgeräte unter den Bedingungen, die wir tatsächlich im Experiment kontrollieren können. Und das ist möglich, selbst unter der Annahme, daß das System zu jedem Zeitpunkt in einem wohldefinierten Zustand ist. Das ist ganz offensichtlich, denn genau dasselbe tun wir ja auch in der klassischen Theorie.

Das einzige, was wir dann noch zeigen müssen, ist, daß jeder dieser möglichen Zustände einen scharfen Wert für eine Variable aufweist, die zuverlässig mit der zu messenden Eigenschaft korreliert. (Das ist, denke ich, aus Neumaiers Sicht das Hauptresultat von Allahverdyan et al.)

Zitat:

Es ist eine Tatsache, dass dies [Ensemble-artige Interpretationen] eben genau keine vollständige und realistische Beschreibung eines einzelnen Systems liefert, obwohl wir es in der Praxis auch mit einzelnen Systemen zu tun haben.


Die Tatsache ist irrelevant, weil wir nicht von einer "ensembleartigen Interpretation" sprechen. Wir dürfen aber trotzdem im Rahmen eines konkreten Modells Ensembles benutzen ohne deshalb unseren Anspruch an Realismus aufgeben zu müssen. Darum geht es. Es ist überhaupt nicht erforderlich, daß diese, ich nenne sie mal, "realistischen Ensembles" eine vollständige Beschreibung des Systems liefern, wenn die tatsächlich beobachteten (stochastischen) Eigenschaften dieser Systeme gerade zum Teil auf unsere unvollständigen Kenntnisse ihres Zustands zurückzuführen sind.

Zitat:

In gewisser Weise beinhalten beide Zugänge jeweils eine ad hoc Annahme:
A) man kann ein singuläres System inklusive Messprozess quantenmechanisch und realistisch beschreiben; der Zustandsvektor (der Dichteoperator) beschreibt in zutreffender Weise Vorgänge in diesem einen System.
B) man kann ein singuläres System inklusive Messprozess nicht vollumfänglich quantenmechanisch und zugleich realistisch beschreiben; der resultierende Zustandsvektor (oder Dichteoperator) beschreibt lediglich ein Ensemble; die Auswahl der im Einzelfall zutreffenden Komponente wird nicht vom Formalismus determiniert.

(A) führt zur Many-Worlds-Interpretation mit all ihren Problemen.


Nicht zwangsläufig, zumindest soviel steht fest. Die TI ist nicht schlechter definiert als die MWI. Und sie interpretiert die Quantenmechanik als realistische Beschreibung einzelner Systeme. Man kann natürlich nicht beweisen, daß alle ihre Behauptungen stimmen und alle offenen Probleme lösbar sind, aber das kann die MWI auch nicht. Die offensichtlichen Probleme, die du ihr andichtest, hat sie aber nicht.

Zitat:

(B) führt zu Ensemble-artigen Interpretationen, mithin nicht zu einer vollständigen und realistischen Beschreibung einzelner Systeme.

“Um dies trotzdem zu behaupten, muß ja die MWI extra mehere Welten einführen” ist genau nicht das wesentliche Problem der MWI, denn sie führt diese Welten nicht ein, sie akzeptiert lediglich, dass der Formalismus diese Komponenten vorhersagt. Und zum Vermeiden der vielen Welten müssen andere Interpretation Komponenten ignorieren.


Die TI ignoriert keine Komponenten des quantenmechanischen Zustands. Und sie interpretiert diesen Zustand nicht als Beschreibung eines Ensembles. Bitte akzeptiere mal für die folgende Diskussion diesen beiden Axiome und behaupte nicht, daß sie irgendwelche Komponenten ignorieren muß.

Daraus folgt nun anscheinend für dich, daß sie nicht in der Lage ist, den Meßprozeß richtig zu beschreiben, weil du offenbar davon ausgehst "aus dem Formalismus" folge, daß der Endzustand des Meßgeräts in jedem Einzelfall, und nicht nur im Mittel die Form



hat. Die ganze Basis für diese Behauptung ist aber, daß du diesen Zustand so postuliert hast. Es besteht natürlich keine Frage, daß man diesen Zustand aus einigen Modellen ableiten kann. Aber es ist zweifelhaft, daß diese Modelle alle wesentlichen Eigenschaften realer makroskopischer Körper beinhalten. Dein Modell ist nicht mal detailliert genug um zu erkennen, daß das an das Photon gekoppelte System tatsächlich ein makroskopischer Ball ist. Wenn du es nicht gesagt hättest, wüßte man es gar nicht und es könnte auch einfach ein weiteres mikroskopisches Teilchen sein. Die Behauptung alle deine Aussagen folgen allein "aus dem Formalismus" ist damit hinfällig.

Zitat:

Beides sind letztlich nicht weiter hinterfragbare Annahmen; erstere ist Zustands-ontologisch motiviert, letztere epistemisch.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Ja, und letzteres passiert laut TI, d.h. das makroskopische Meßgerät legt sich auf einen definitiven Wert für die Indikatorvariable fest.

Es ist schon klar, dass das - sehr interessante - Paper https://arxiv.org/abs/cond-mat/0203460 alleine dies nicht zeigt.


Das soll es doch auch nicht zeigen. Das ist eine mögliche Interpretation dieses Ergebnisses. Es ist nicht selbstverständlich, daß es solche Interpretationen gibt.

Zitat:

Das Resultat der “stochastischen Prozesse ... innerhalb der unitären Dynamik des Gesamtsystems” in diesem Paper ist eine Dichtematrix mit mehreren Komponenten.


Das Resultat eines stochastischen Prozesses ist eine Wahrscheinlichkeitsverteilung über Zustände. Nur der mittlere Zustand ist eine Dichtematrix. Ich habe keine Ahnung, was du erwartest. Ein "Ensemble" mit delta-förmiger Wahrscheinlichkeit und nur einem eindeutigen Endzustand? Das könnte doch gar nicht korrekt sein. (Denn es beschreibt ein "Meßgerät", das immer denselben Wert anzeigt.) Es geht nur darum, daß wir dieses Ensemble so interpretieren können, daß jedes reale Meßgerät in einem der möglichen Zustände ist. Das ist nicht selbstverständlich.

Es funktioniert z.B. in deinem Beispiel nicht, wenn die selektierte Basis wäre. Daß dieser Fall nicht auftritt, hast du natürlich nicht gezeigt, sondern einfach postuliert.

Zitat:

Das Paper analysiert sehr schön die Struktur der einzelnen Komponenten in (2) sowie das Verschwinden der nicht-klassischen Terme. Zuletzt bleibt jedenfalls (2) übrig. Nun führt der Physiker eine Messung durch, liest das Ergebnis ab, und wählt daraufhin die Komponente in (2) aus, die dem Messergebnis entspricht. Der Formalismus leistet dies nicht, er erklärt also genau nicht, dass und wie eine einzelne Komponente resultiert. Insofern ja “das makroskopische Meßgerät legt sich auf einen definitiven Wert für die Indikatorvariable fest”, jedoch erklärt der Formalismus nicht, wie das erfolgt; er erklärt lediglich, welches Ensemble zulässig ist.


Also damit ich das richtig verstehe: Du bist erst zufrieden, wenn dir jemand detailliert in einem realistischen Modell eines makroskopischen Meßprozesses vorrechnet, wie aus der Dynamik des Meßgeräts ein einzelner Zustand mit der Eigenschaft "auf der Anzeige steht der Wert 42" herauspurzelt? Und das vermutlich noch für jeden möglichen Meßwert.

Du erwartest also die komplette Spezifikation des Initialzustandes und eine komplette Berücksichtigung aller Freiheitsgrade eines makroskopischen Systems, anstatt, wie sonst in diesem Fall üblich, eine stochastische Beschreibung des Anfangszustands mittels einer Wahrscheinlichkeitsverteilung, coarse-graining über hochfrequente Moden etc.?

Und solange dies nicht vorliegt, behauptest du einfach "der Formalismus" leiste dies nicht.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Die Frage lautet jetzt also: Wie kann man physikalisch begründen, daß es nur einen wohldefinierten Wert anzeigt? Oder anders formuliert: wie modelliert man auf realistische Weise, was während einer Messung mit dem Meßgerät passiert?

Genau das ist die Frage, und genau darauf bietet das Paper keine Antwort.


Ich hatte schon bereut, dieses spezielle Paper erwähnt zu haben, weil ich genau befürchtet hatte, daß du nun annimmst alle Antworten stünden darin (auf 5 Seiten). Nein, das Argument steht nicht vollständig in dem Paper. (Das wäre auch seltsam, wenn Neumaier selbst knapp 40 Seiten dafür benötigt.) Es steht m.E. ziemlich vollständig in den gestern von mir angegebenen Abschnitten. Allerdings wird dort für viele unbewiesene Aussagen auf weitere Literatur verwiesen. (Auf das Paper lediglich für einen relevanten Aspekt.)

Zitat:

Und ich verstehe dich so, dass die TI in Summe auch nicht mehr leistet als in diesem Paper exemplarisch gezeigt wird. Das bedeutet insbs., dass die TI nicht begründet, dass das Messgerät nur einen wohldefinierten Wert anzeigt - nicht mehr als von Neumann.


Doch, sie begründet, daß es nur einen einzigen Wert anzeigt. Aber kein realistisches Modell kann dir bei der Messung einer unsicheren Größe vorhersagen, welcher Wert das sein wird. Das ist genausowenig ein philosophisches Problem, wie die Unzuverlässigkeit der Wettervorhersage. Und letzteres ist mit Sicherheit kein Problem für die Interpretation der klassischen Mechanik.

Zitat:

Ob man dann behaupten kann, sie würde in realistischer Weise modellieren, was während einer Messung mit dem Meßgerät passiert, ist ebenfalls fraglich. Es hat sicher den Anschein, aber wenn die TI die Selektion eines wohldefinierten Wertes gerade nicht modelliert, dann ist sie zumindest in dieser Hinsicht nicht realistisch.


Da wir hier über Modelle makroskopischer Systeme reden, ist das ein völlig unhaltbarer Standpunkt.

Zitat:

Man könnte das Paper übrigens problemlos im Sinne der MWI interpretieren.


Und das bezweifelt keiner.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Das ganze hat auch erstmal gar nichts mit Zustandsreduktion zu tun.

Doch, hat es.

Der Physiker reduziert den Zustand (2) nach Messung auf eine ausgewählte Komponente aus (2) um sagen zu können, dass diese das Ergebnis dieser einen singulären Messung beschreibt. Oder anders formuliert: Der Physiker wählt nach Messung eine Komponente aus den “Ensemble” (2) ...


Ich vermute mal, das ist eine metaphorische Beschreibung und du meinst nicht wörtlich, daß irgendein Physiker hier etwas "auswählt". Allerdings ist mir auch die metaphorische Bedeutung unklar. "Der Physiker" hat mit dem ganzen nämlich gar nichts zu tun.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Wozu schweigt sie sich aus? Ich dachte es geht um die Frage, was laut TI der quantenmechanische Zustand mit der Realität zu tun hat.

Sie schweigt sich dazu aus, was in der Realität mit einem einzelnen System - nicht mit einem Ensemble - tatsächlich geschieht.


Du verwechselst einige Aussagen über die Behandlung makroskopischer Systeme mit den Grundaussagen der Interpretation. Das macht die Diskussion unglaublich schwierig. In den Grundaussagen kommen keine Ensembles vor. Sie kommen nur da vor, wo sie ohnehin benötigt werden: bei makroskopischen Systemen.

Wenn das tatsächlich ein Problem wäre, dann wäre es auch eins für die MWI. Dekohärenzeffekte basieren doch auch auf zufälligen Umgebungseinflüssen, also auf einem Ensemble von möglichen Umgebungszuständen.

Zitat:

Bzw. sie schweigt sich dazu aus, wie die Selektion der Komponente anders erklärt wird als “der Physiker wählt sie anhand des Messergebnisses aus”. In wie weit also der Dichteoperator im Rahmen einer Ensemble-artigen TI etwas mit dem realen Zustand eines einzelnen Systems zu tun hat, bleibt im Wesentlichen offen.


Nochmal, dieser Dichteoperator beschreibt den mittleren Zustand eines klassischen Ensembles. Und ein solches Ensemble hat dasselbe mit einem einzelnen System zu tun, wie z.B. das kanonische Ensemble mit einem einzelnen Gasbehälter. Was ist denn daran so schwer zu begreifen? Ich habe dich schonmal gefragt ob du die klassische statistische Thermodynamik auch nicht realistisch findest. Ich glaube das hast du verneint. Warum soll also plötzlich in der Quantenmechanik eine völlig analoge Beschreibung nicht mehr realistisch sein?

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Wie und warum etwas passiert ist Frage an ein konkretes Modell. An solchen Modellen entscheidet sich letztlich ob die Interpretation korrekt sein kann, aber sie sind nicht Grundlage ihrer Definition. (Und diese Definition steht im wesentlichen ganz oben in diesem Beitrag.) Neumaier diskutiert selbst auch keine solchen Modelle in aller Ausführlichkeit. Er begründet aber (bezugnehmend auf Resultate anderer Autoren) warum die Eigenschaften von Meßprozessen, innerhalb der TI, vollkommen konsistent mit unseren klassischen Erwartungen sein können.

Wenn man die Anwendung der QM im o.g. Sinn auf Ensembles beschränkt, dann ist das natürlich völlig in Ordnung.


Wenn du meinst die TI würde sich auf Ensembles beschränken, dann können wir wohl die Diskussion des Meßprozesses vorerst vergessen. Es hat einfach keinen Sinn über die Implikation der TI für ein so kompliziertes Problem zu reden, wenn dir die Grundaussagen dieser Interpretation völlig unklar sind. Vielleicht ist es ja besser, wir konzentrierten uns zunächst auf die Definition dieser Interpretation und verschieben das Meßproblem.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Im Buch relevant fand ich: 11.6 Chaos, Randomness, and Quantum measurement, 11.7 The statistical mechanics of definite, discrete events, 11.8 Dissipation, bistability, and Born's rule. Außerdem 10.1 Objective properties and their measurement, 10.3 A single qubit as a subsystem of the universe, 10.4 The emergence of Born's rule (beschreibt ein Experiment ganz ähnlich zu deinem), 10.5 Relations to decoherence (existiert glaube ich in den Preprints nicht. Aber das wesentliche kann man sich aus dem Inhalt von 10.4 erschließen)

Ich gehe davon aus, dass alle diese Beispiele im o.g. Sinne für Ensembles zutreffen, jedoch keine weitere Erklärung für den von mir genannten offenen Punkt bereithalten, richtig?


Aus meiner Sicht hast du keine relevanten Punkte angesprochen, und ich versuche noch immer dir zu erklären, warum ich deinen offenen Punkt für irrelevant halte. Ich weiß nicht, ob das aus einem der zitierten Abschnitte deutlich wird. (Aber ich mußte sie auch mehrmals lesen, bevor ich der Meinung war einigermaßen begriffen zu haben, worum es geht.) Um das herauszufinden schlage ich vor, du liest sie einfach selbst. Dann mußt du von gar nichts ausgehen, und wir können hinterher darüber diskutieren wofür sie Erklärungen bereithalten und wofür nicht.

Zitat:

Yes, I know how to calculate the most likely results of any experiment if someone gives me the Hamiltonian. But what is it that actually happened [in one single experiment]. That’s the dodged question.
Gerard t'Hooft


Und wenn du das noch 10mal zitierst und 20 Nobelpreisträger unterschreiben läßt, es bleibt nur ein Autoritätsargument.
TomS
BeitragVerfasst am: 16. Feb 2021 13:41    Titel:

Nun, wir - die Fachidioten - d.h. nicht unbedingt du - ... - verstehen inzwischen sehr gut, dass beide, d.h. Bohr und Schrödinger bzgl. der Bewertung des Gedankenexperimentes ein Stück weit falsch lagen.

Es ist durchaus lehrreich, sich den Dialog zwischen Schrödinger und Bohr mal durchzulesen. Bohr feste Überzeugung - die die Debatte ca. drei bis vier Jahrzehnte gedeckelt hat - nämlich dass die Quantenmechanik prinzipiell nichts über die Messung und die dabei beobachteten Größen aussagen könne, ist schlicht falsch. Das zeigt die Dekohärenz nach Zeh, Zurek et al. sowie offenbar auch andere Ansätze wir die Thermal Interpretation. Dabei müssen wir das Problem noch nicht mal vollständig verstanden haben, um zu erkennen, wo Bohr sicher falsch lag.

D.h. aber auch, dass Schrödinger gewissermaßen erfolgreich war - wenn auch anders als von ihm beabsichtigt. Sein Gedankenexperiment ist immer noch relevant, wenn es darum geht, Interpretationen der Quantenmechanik einordnen oder bewerten zu können.

Insofern danke für deinen provokanten Beitrag, der sich sowohl einmal im Ton vergreift als auch sachlich nicht zutreffend ist.
Feymann
BeitragVerfasst am: 16. Feb 2021 12:29    Titel:

Da hab ich ja was losgetreten mit meiner Frage im ersten Thema Big Laugh

3 Themen mit Seiten voller Fachidioten die anscheinend sehr viel Freizeit haben.

Aber sehr interessant, die Diskussion zu überfliegen.

Dann werfe ich jetzt erneut in den Raum:

Schrödingers Katze ist ein Witz!
Um die Absurdität der Quantenwelt zu veranschaulichen, hat Schrödinger diesen Vergleich herangezogen. Nicht mehr, nicht weniger. Alles was tiefer geht, verstehen wir doch heute nicht mal richtig.
TomS
BeitragVerfasst am: 16. Feb 2021 08:42    Titel:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Detektion bei A => Ball mit Impuls +k fliegt in positive x-Richtung
Detektion bei B => Ball mit Impuls -k fliegt in negative x-Richtung

Die reduzierte Dichtematrix gemäß Dekohärenz lautet dann



Dieser Zustand beschreibt laut TI nicht den Endzustand eines individuellen Meßgeräts nach einer einzelnen Messung, sondern den mittleren Zustand nach einer Reihe von Messungen an identisch präparierten Systemen in einer verrauschten (oder thermischen) Umgebung, d.h.



In einer einzelnen Messung entsteht jeweils nur einer dieser Zustände . Das ist kein Widerspruch zur Dekohärenz. Sie liefert nur keine vollständige Beschreibung der Situation.

Es gibt aber ... keinen Grund anzunehmen, daß der Zustand eines individuellen makroskopischen Meßgeräts ist. Wie würdest du das denn prüfen? In der Realität zeigt es ja nun mal immer genau einen der Werte mit großer Sicherheit an. Also kann man nicht so ohne weiteres behaupten dieses liefere eine realistische Beschreibung dieses Meßgeräts. (Um dies trotzdem zu behaupten, muß ja die MWI extra mehere Welten einführen.)

Wenn du mit einer im weitesten Sinne stochastischen oder Ensemble-artigen Erklärung zufrieden bist, dann ist dazu natürlich nichts weiter zu sagen. Das folgende bezieht sich daher ausschließen auf Kritikpunkte, die entstehen, wenn man damit nicht zufrieden ist.


Es ist eine Tatsache, dass dies [Ensemble-artige Interpretationen] eben genau keine vollständige und realistische Beschreibung eines einzelnen Systems liefert, obwohl wir es in der Praxis auch mit einzelnen Systemen zu tun haben.

In gewisser Weise beinhalten beide Zugänge jeweils eine ad hoc Annahme:
A) man kann ein singuläres System inklusive Messprozess quantenmechanisch und realistisch beschreiben; der Zustandsvektor (der Dichteoperator) beschreibt in zutreffender Weise Vorgänge in diesem einen System.
B) man kann ein singuläres System inklusive Messprozess nicht vollumfänglich quantenmechanisch und zugleich realistisch beschreiben; der resultierende Zustandsvektor (oder Dichteoperator) beschreibt lediglich ein Ensemble; die Auswahl der im Einzelfall zutreffenden Komponente wird nicht vom Formalismus determiniert.

(A) führt zur Many-Worlds-Interpretation mit all ihren Problemen.
(B) führt zu Ensemble-artigen Interpretationen, mithin nicht zu einer vollständigen und realistischen Beschreibung einzelner Systeme.

“Um dies trotzdem zu behaupten, muß ja die MWI extra mehere Welten einführen” ist genau nicht das wesentliche Problem der MWI, denn sie führt diese Welten nicht ein, sie akzeptiert lediglich, dass der Formalismus diese Komponenten vorhersagt. Und zum Vermeiden der vielen Welten müssen andere Interpretation Komponenten ignorieren. Beides sind letztlich nicht weiter hinterfragbare Annahmen; erstere ist Zustands-ontologisch motiviert, letztere epistemisch.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Ja, und letzteres passiert laut TI, d.h. das makroskopische Meßgerät legt sich auf einen definitiven Wert für die Indikatorvariable fest.

Es ist schon klar, dass das - sehr interessante - Paper https://arxiv.org/abs/cond-mat/0203460 alleine dies nicht zeigt. Das Resultat der “stochastischen Prozesse ... innerhalb der unitären Dynamik des Gesamtsystems” in diesem Paper ist eine Dichtematrix mit mehreren Komponenten.

Das Paper analysiert sehr schön die Struktur der einzelnen Komponenten in (2) sowie das Verschwinden der nicht-klassischen Terme. Zuletzt bleibt jedenfalls (2) übrig. Nun führt der Physiker eine Messung durch, liest das Ergebnis ab, und wählt daraufhin die Komponente in (2) aus, die dem Messergebnis entspricht. Der Formalismus leistet dies nicht, er erklärt also genau nicht, dass und wie eine einzelne Komponente resultiert. Insofern ja “das makroskopische Meßgerät legt sich auf einen definitiven Wert für die Indikatorvariable fest”, jedoch erklärt der Formalismus nicht, wie das erfolgt; er erklärt lediglich, welches Ensemble zulässig ist.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Die Frage lautet jetzt also: Wie kann man physikalisch begründen, daß es nur einen wohldefinierten Wert anzeigt? Oder anders formuliert: wie modelliert man auf realistische Weise, was während einer Messung mit dem Meßgerät passiert?

Genau das ist die Frage, und genau darauf bietet das Paper keine Antwort. Und ich verstehe dich so, dass die TI in Summe auch nicht mehr leistet als in diesem Paper exemplarisch gezeigt wird. Das bedeutet insbs., dass die TI nicht begründet, dass das Messgerät nur einen wohldefinierten Wert anzeigt - nicht mehr als von Neumann. Ob man dann behaupten kann, sie würde in realistischer Weise modellieren, was während einer Messung mit dem Meßgerät passiert, ist ebenfalls fraglich. Es hat sicher den Anschein, aber wenn die TI die Selektion eines wohldefinierten Wertes gerade nicht modelliert, dann ist sie zumindest in dieser Hinsicht nicht realistisch.

Man könnte das Paper übrigens problemlos im Sinne der MWI interpretieren.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Das ganze hat auch erstmal gar nichts mit Zustandsreduktion zu tun.

Doch, hat es.

Der Physiker reduziert den Zustand (2) nach Messung auf eine ausgewählte Komponente aus (2) um sagen zu können, dass diese das Ergebnis dieser einen singulären Messung beschreibt. Oder anders formuliert: Der Physiker wählt nach Messung eine Komponente aus den “Ensemble” (2) ...

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Wozu schweigt sie sich aus? Ich dachte es geht um die Frage, was laut TI der quantenmechanische Zustand mit der Realität zu tun hat.

Sie schweigt sich dazu aus, was in der Realität mit einem einzelnen System - nicht mit einem Ensemble - tatsächlich geschieht. Bzw. sie schweigt sich dazu aus, wie die Selektion der Komponente anders erklärt wird als “der Physiker wählt sie anhand des Messergebnisses aus”. In wie weit also der Dichteoperator im Rahmen einer Ensemble-artigen TI etwas mit dem realen Zustand eines einzelnen Systems zu tun hat, bleibt im Wesentlichen offen.

Zwar funktioniert dies bzgl. der mathematischen Details anders als beim von Neumannschen Kollaps, im Kern hat sich jedoch nichts geändert: nicht der Formalismus erklärt, welches einzelne Messergebnis wir warum messen und welchen Zustand wir erhalten, sondern nur die reale Messung zeigt Messergebnis, der Physiker ist verantwortlich für die Wahl des zugehörigen Endzustandes.

Die TI präzisiert den skizzenhaften Ansatz von Neumanns deutlich, aber sie lässt diesen entscheidenden Punkt offen.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Wie und warum etwas passiert ist Frage an ein konkretes Modell. An solchen Modellen entscheidet sich letztlich ob die Interpretation korrekt sein kann, aber sie sind nicht Grundlage ihrer Definition. (Und diese Definition steht im wesentlichen ganz oben in diesem Beitrag.) Neumaier diskutiert selbst auch keine solchen Modelle in aller Ausführlichkeit. Er begründet aber (bezugnehmend auf Resultate anderer Autoren) warum die Eigenschaften von Meßprozessen, innerhalb der TI, vollkommen konsistent mit unseren klassischen Erwartungen sein können.

Wenn man die Anwendung der QM im o.g. Sinn auf Ensembles beschränkt, dann ist das natürlich völlig in Ordnung.

Ich sehe übrigens keinen prinzipiellen Unterschied zur Dekohärenz, für mich erscheint das eher ein technisches Detail zu sein. Möglicherweise übersehe ich jedoch etwas wesentliches. Andererseits sollte dies für unsere Diskussion keine große Rolle spielen.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Im Buch relevant fand ich: 11.6 Chaos, Randomness, and Quantum measurement, 11.7 The statistical mechanics of definite, discrete events, 11.8 Dissipation, bistability, and Born's rule. Außerdem 10.1 Objective properties and their measurement, 10.3 A single qubit as a subsystem of the universe, 10.4 The emergence of Born's rule (beschreibt ein Experiment ganz ähnlich zu deinem), 10.5 Relations to decoherence (existiert glaube ich in den Preprints nicht. Aber das wesentliche kann man sich aus dem Inhalt von 10.4 erschließen)

Ich gehe davon aus, dass alle diese Beispiele im o.g. Sinne für Ensembles zutreffen, jedoch keine weitere Erklärung für den von mir genannten offenen Punkt bereithalten, richtig?

Yes, I know how to calculate the most likely results of any experiment if someone gives me the Hamiltonian. But what is it that actually happened [in one single experiment]. That’s the dodged question.
Gerard t'Hooft
index_razor
BeitragVerfasst am: 15. Feb 2021 19:49    Titel:

Qubit hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:

Die Frage in bezug auf Meßgeräte ist nur, warum ihr Zustand eine Indikatorvariable mit geringer Unsicherheit ergibt. Das ist eine rein physikalische Frage. (Die makroskopische Anzahl an Freiheitsgraden eines Meßgeräts dürfte hierbei eine besondere Rolle spielen.)


Soweit ich TI verstehe (aber ich habe mich auch noch nicht sehr intensiv damit beschäftigt), scheint es mir durchaus legitim, den Dichteoperator auch real zu interpretieren.


Ja das ist sicher legitim. Schließlich ist er es, der alle objektiven Eigenschaften hat.

Zitat:

Vor der Messung sagt dies nicht mehr, aber auch nicht weniger aus, was in der minimalen Interpretation gefordert ist.


Die minimale Interpretation behauptet nicht, daß q-Erwartungswerte reale Eigenschaften individueller Systeme sind. Die TI behauptet genau das. Laut minimaler Interpretation liefert jede Messung eine gute Approximation eines Eigenwerts einer q-Observablen. Laut TI liefert eine Messung i.a. nur eine schlechte Approximation des q-Erwartungswertes einer q-Observablen.

Zitat:

Hier gibt es keinen Widerspruch, hier lässt sich empirisch ja auch gar keine Entscheidung treffen.


Trotzdem gibt es sehr viele Widersprüche zwischen TI und orthodoxer Interpretation.

Zitat:

Aber in deiner zitierten Aussage sehe ich einen Knackpunkt.
Wenn man die Überlagerung reiner Zustände betrachtet, dann ist dies wiederum ein reiner Zustand. Nach Standardinterpretation gibt es zu diesem reinen Zustand eine von Neumannsche-Projektion auf den gemessenen Eigenzustand. Dies kann man sich vorstellen als Filter auf den Eigenzustand (gemäß der Wahrscheinlichkeit) in Folge einer Messung, völlig unabhängig von Modellen von Wechselwirkungen mit dem Messapparat.


Ob irgendetwas als "Filter" fungiert ist doch nicht unabhängig von Modellen von Wechselwirkungen.

Zitat:

Nun lässt sich zwar auch die Formulierung eines reinen Zustandes mit der Dichtematrix als Kombination von Eigenzuständen betrachten, aber hier gibt es keinen von Neumannschen-Projektor, der in Zuge der Messung eine Reduktion auf den gemessenen Eigenzustand darstellt. Andererseits ist die Darstellung der Messung in der Dichtematrix gerade dieser Eigenzustand.


Ich verstehe leider überhaupt nicht, was diese beiden Sätze bedeuten sollen.

Zitat:

Meines Erachtens ist dann, wenn man die Dichtematrix real interpretiert und nicht nur als Statistik für Ensembles sieht, notwendig, dass man auch einen konkreten Mechanismus für die Wechselwirkung mit der Messapparatur fordern muss und zwar gerade so,


Nein, das muß man nur, wenn man den Meßprozeß beschreiben will, nicht um den Zustand zu interpretieren.

Zitat:

dass die Messung einen der Eigenzustände liefert, und dies konform mit der Erfahrung unabhängig von der Natur der Wechselwirkung mit dem Messapparat.


Das könnte ein Modell vielleicht so ergeben. Aber notwendig ist das nicht. Notwendig ist nur, daß der Zustand eine signifikante Indikatorvariable besitzt. Das kann z.B. die Temperatur im Zustand sein. Dieser ist aber kein Eigenzustand zu irgendeinem Temperaturoperator.


Zitat:

Wie auch immer diese Wechselwirkung konkret physikalisch sein mag, sie muss einen Eigenzustand der Uberlagerung der reinen Zustände liefern.


Was soll ein "Eigenzustand der Überlagerung der reinen Zustände sein"? Und wieso muß eine Wechselwirkung ihn ergeben?

Zitat:

Wenn man Dekoherärenz so betrachtet, dass sie gerade diesen Eigenzustand herausfiltert, so sehe ich doch auch Schwierigkeiten, diesen Mechanismus unabhängig von der Natur der Wechselwirkung mit dem Messapparat auch für die TI durchzuführen. Ich denke vielmehr, ohne auf die physikalische Natur dieser Wechselwirkung einzugehen, ist keine schlüssige Interpretation mit der TI möglich.
Wie sonst willst du erklären, dass der Dichteoperator vor und nach der Messung keine Abbildung aufeinander haben?


Ich verstehe absolut nicht, was das alles bedeuten soll. Deswegen kann ich die Frage nicht sinnvoll beantworten.
index_razor
BeitragVerfasst am: 15. Feb 2021 19:18    Titel:

TomS hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
... die Antwort, die er gibt, ist m.E. ganz eindeutig und verständlich.

Leider gelingt es dir nicht, das rüberzubringen :-(


Ich bin davon ausgegangen, daß dir die Antwort schon bekannt ist. Alles was ich dazu sagen kann, steht hier: https://arxiv.org/abs/1902.10779

Darauf basierte meine ursprüngliche Antwort (an Qubit):

index_razor hat Folgendes geschrieben:

Sie [die Realität] besteht aus Dingen (auf fundamentaler Ebene Quantenfelder) beschrieben durch einen Zustand , dessen Eigenschaften durch die Größen



quantifiziert werden. In der Einteilchenquantenmechanik nennen wir diese Dinge eben "Teilchen" und ihre Eigenschaften sind



Konkreter ist die klassische Mechanik auch nicht. Da sagen wir auch nicht mehr, als daß wir es mit Dingen zu tun haben, denen wir objektive Eigenschaften wie Ort und Impuls zuordnen können.


Ich verstehe immer noch nicht was daran unklar ist. Diese Aussage ist erstmal unabhängig vom Meßproblem. Natürlich ist nicht so offensichtlich, welche Implikationen sie für das Meßproblem hat. Aber dafür hat Neumaier ja auch ein (weiteres) langes Paper geschrieben.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Daß jeder Prozeß einen eindeutigen Zustand ergibt, würde man von jeder deterministischen Theorie erwarten.

Die Frage in bezug auf Meßgeräte ist nur, warum ihr Zustand eine Indikatorvariable mit geringer Unsicherheit ergibt.

Einerseits sagst du, der Zustand rho zeige in der TI die selbe Zeitentwicklung wie in der MWI (bzw. die in der zugrundeliegenden Dekohärenz), andererseits sagst du, der Zustand habe eine Indikatorvariable mit geringer Unsicherheit. Letzteres steht aber im expliziten Widerspruch zur Dekohärenz. Begründung:

In dem von mir mehrfach genannten Experiment werde ein ein-Photon-Zustand mittels Strahlteiler in zwei räumlich separierte Wellenpakete zerlegt; eine Detektion bei Detektor A bzw. B werde in ein makroskopisches Messergebnis umgewandelt, nämlich

Detektion bei A => Ball mit Impuls +k fliegt in positive x-Richtung
Detektion bei B => Ball mit Impuls -k fliegt in negative x-Richtung

Die reduzierte Dichtematrix gemäß Dekohärenz lautet dann




Dieser Zustand beschreibt laut TI nicht den Endzustand eines individuellen Meßgeräts nach einer einzelnen Messung, sondern den mittleren Zustand nach einer Reihe von Messungen an identisch präparierten Systemen in einer verrauschten (oder thermischen) Umgebung, d.h.



In einer einzelnen Messung entsteht jeweils nur einer dieser Zustände . Das ist kein Widerspruch zur Dekohärenz. Sie liefert nur keine vollständige Beschreibung der Situation.


Zitat:

Da hat zunächst keine relevante Indikatorvariable eine geringer Unsicherheit. Es liegt ein makroskopischer Zustand vor, der zwei Bälle enthält, einer fliegt immer weiter nach links, einer immer weiter nach rechts.


Das ist wahr. Es gibt aber auch keinen Grund anzunehmen, daß der Zustand eines individuellen makroskopischen Meßgeräts ist. Wie würdest du das denn prüfen? In der Realität zeigt es ja nun mal immer genau einen der Werte mit großer Sicherheit an. Also kann man nicht so ohne weiteres behaupten dieses liefere eine realistische Beschreibung dieses Meßgeräts. (Um dies trotzdem zu behaupten, muß ja die MWI extra mehere Welten einführen.)

Die Frage lautet jetzt also: Wie kann man physikalisch begründen, daß es nur einen wohldefinierten Wert anzeigt? Oder anders formuliert: wie modelliert man auf realistische Weise, was während einer Messung mit dem Meßgerät passiert?

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Das ganze hat auch erstmal gar nichts mit Zustandsreduktion zu tun.

Doch, hat es.

Entweder bleiben wir bei diesem Zustand , dann hat keine relevante Indikatorvariable eine geringe Unsicherheit. Oder wir haben eine Indikatorvariable mit geringer Unsicherheit, dann müssen wir uns auf eine der beiden Komponenten für einen der beiden Bälle festlegen.


Ja, und letzteres passiert laut TI, d.h. das makroskopische Meßgerät legt sich auf einen definitiven Wert für die Indikatorvariable fest. Das passiert mittels chaotischer, dissipativer, stochastischer Prozesse, aber innerhalb der unitären Dynamik des Gesamtsystems. Mittels welcher Mechanismen solche Prozesse ablaufen können, wird recht grob in Paper III und IV skizziert. Neumaier bezieht sich hauptsächlich auf die Dynamik offener Quantensysteme (mittels stochastischer Gleichungen), einer Analyse von Allahverdyan et al. https://arxiv.org/abs/cond-mat/0203460 und noch einige andere mehr. Ich habe natürlich keinen kompletten Überblick über die gesamte Literatur, nicht mal über einen winzigen Bruchteil davon. Also kann ich dir zu den Einzelheiten nichts sagen. Neumaiers Zusammenfassung klingt aber absolut plausibel für mich.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Wozu schweigt sie sich aus? Ich dachte es geht um die Frage, was laut TI der quantenmechanische Zustand mit der Realität zu tun hat.

Das, was ich bisher gelesen habe, schweigt sich dazu aus - oder ich habe es einfach nicht verstanden - wie und warum man im Zuge einer Beobachtung eines Systems mit zu gelangt, d.h. wieso nur eine Komponente betrachtet wird, beispielsweise für +k.

Kannst du mir auf die Sprünge helfen und den konkreten Absatz zitieren?


Wie und warum etwas passiert ist Frage an ein konkretes Modell. An solchen Modellen entscheidet sich letztlich ob die Interpretation korrekt sein kann, aber sie sind nicht Grundlage ihrer Definition. (Und diese Definition steht im wesentlichen ganz oben in diesem Beitrag.) Neumaier diskutiert selbst auch keine solchen Modelle in aller Ausführlichkeit. Er begründet aber (bezugnehmend auf Resultate anderer Autoren) warum die Eigenschaften von Meßprozessen, innerhalb der TI, vollkommen konsistent mit unseren klassischen Erwartungen sein können.

Ich kann keine konkreten Absätze zitieren, aber die Abschnitte angeben, die ich relevant finde. Leider sind Preprints und Buch ganz unterschiedlich organisiert und in den Preprints fehlen wohl auch einige Kapitel.

Im Buch relevant fand ich: 11.6 Chaos, Randomness, and Quantum measurement, 11.7 The statistical mechanics of definite, discrete events, 11.8 Dissipation, bistability, and Born's rule. Außerdem 10.1 Objective properties and their measurement, 10.3 A single qubit as a subsystem of the universe, 10.4 The emergence of Born's rule (beschreibt ein Experiment ganz ähnlich zu deinem), 10.5 Relations to decoherence (existiert glaube ich in den Preprints nicht. Aber das wesentliche kann man sich aus dem Inhalt von 10.4 erschließen)

Ich gucke nochmal ob die Überschriften übereinstimmen. Aber die aus Kap 11. sind glaube ich alle leicht im Paper III zu finden, inklusive der oben genannten Quellen.
Qubit
BeitragVerfasst am: 15. Feb 2021 17:14    Titel:

index_razor hat Folgendes geschrieben:

Die Frage in bezug auf Meßgeräte ist nur, warum ihr Zustand eine Indikatorvariable mit geringer Unsicherheit ergibt. Das ist eine rein physikalische Frage. (Die makroskopische Anzahl an Freiheitsgraden eines Meßgeräts dürfte hierbei eine besondere Rolle spielen.)


Soweit ich TI verstehe (aber ich habe mich auch noch nicht sehr intensiv damit beschäftigt), scheint es mir durchaus legitim, den Dichteoperator auch real zu interpretieren. Vor der Messung sagt dies nicht mehr, aber auch nicht weniger aus, was in der minimalen Interpretation gefordert ist. Hier gibt es keinen Widerspruch, hier lässt sich empirisch ja auch gar keine Entscheidung treffen.
Aber in deiner zitierten Aussage sehe ich einen Knackpunkt.
Wenn man die Überlagerung reiner Zustände betrachtet, dann ist dies wiederum ein reiner Zustand. Nach Standardinterpretation gibt es zu diesem reinen Zustand eine von Neumannsche-Projektion auf den gemessenen Eigenzustand. Dies kann man sich vorstellen als Filter auf den Eigenzustand (gemäß der Wahrscheinlichkeit) in Folge einer Messung, völlig unabhängig von Modellen von Wechselwirkungen mit dem Messapparat.
Nun lässt sich zwar auch die Formulierung eines reinen Zustandes mit der Dichtematrix als Kombination von Eigenzuständen betrachten, aber hier gibt es keinen von Neumannschen-Projektor, der in Zuge der Messung eine Reduktion auf den gemessenen Eigenzustand darstellt. Andererseits ist die Darstellung der Messung in der Dichtematrix gerade dieser Eigenzustand. Meines Erachtens ist dann, wenn man die Dichtematrix real interpretiert und nicht nur als Statistik für Ensembles sieht, notwendig, dass man auch einen konkreten Mechanismus für die Wechselwirkung mit der Messapparatur fordern muss und zwar gerade so, dass die Messung einen der Eigenzustände liefert, und dies konform mit der Erfahrung unabhängig von der Natur der Wechselwirkung mit dem Messapparat. Wie auch immer diese Wechselwirkung konkret physikalisch sein mag, sie muss einen Eigenzustand der Uberlagerung der reinen Zustände liefern.
Wenn man Dekoherärenz so betrachtet, dass sie gerade diesen Eigenzustand herausfiltert, so sehe ich doch auch Schwierigkeiten, diesen Mechanismus unabhängig von der Natur der Wechselwirkung mit dem Messapparat auch für die TI durchzuführen. Ich denke vielmehr, ohne auf die physikalische Natur dieser Wechselwirkung einzugehen, ist keine schlüssige Interpretation mit der TI möglich.
Wie sonst willst du erklären, dass der Dichteoperator vor und nach der Messung keine Abbildung aufeinander haben?
TomS
BeitragVerfasst am: 15. Feb 2021 13:51    Titel:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
... die Antwort, die er gibt, ist m.E. ganz eindeutig und verständlich.

Leider gelingt es dir nicht, das rüberzubringen :-(

An der Verwirrung bzgl. eines eindeutigen Zustandes bin aber wohl ich mit schuld.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Daß jeder Prozeß einen eindeutigen Zustand ergibt, würde man von jeder deterministischen Theorie erwarten.

Die Frage in bezug auf Meßgeräte ist nur, warum ihr Zustand eine Indikatorvariable mit geringer Unsicherheit ergibt.

Einerseits sagst du, der Zustand rho zeige in der TI die selbe Zeitentwicklung wie in der MWI (bzw. die in der zugrundeliegenden Dekohärenz), andererseits sagst du, der Zustand habe eine Indikatorvariable mit geringer Unsicherheit. Letzteres steht aber im expliziten Widerspruch zur Dekohärenz. Begründung:

In dem von mir mehrfach genannten Experiment werde ein ein-Photon-Zustand mittels Strahlteiler in zwei räumlich separierte Wellenpakete zerlegt; eine Detektion bei Detektor A bzw. B werde in ein makroskopisches Messergebnis umgewandelt, nämlich

Detektion bei A => Ball mit Impuls +k fliegt in positive x-Richtung
Detektion bei B => Ball mit Impuls -k fliegt in negative x-Richtung

Die reduzierte Dichtematrix gemäß Dekohärenz lautet dann



Da hat zunächst keine relevante Indikatorvariable eine geringer Unsicherheit. Es liegt ein makroskopischer Zustand vor, der zwei Bälle enthält, einer fliegt immer weiter nach links, einer immer weiter nach rechts.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Das ganze hat auch erstmal gar nichts mit Zustandsreduktion zu tun.

Doch, hat es.

Entweder bleiben wir bei diesem Zustand , dann hat keine relevante Indikatorvariable eine geringe Unsicherheit. Oder wir haben eine Indikatorvariable mit geringer Unsicherheit, dann müssen wir uns auf eine der beiden Komponenten für einen der beiden Bälle festlegen.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Wozu schweigt sie sich aus? Ich dachte es geht um die Frage, was laut TI der quantenmechanische Zustand mit der Realität zu tun hat.

Das, was ich bisher gelesen habe, schweigt sich dazu aus - oder ich habe es einfach nicht verstanden - wie und warum man im Zuge einer Beobachtung eines Systems mit zu gelangt, d.h. wieso nur eine Komponente betrachtet wird, beispielsweise für +k.

Kannst du mir auf die Sprünge helfen und den konkreten Absatz zitieren?
index_razor
BeitragVerfasst am: 15. Feb 2021 11:37    Titel:

TomS hat Folgendes geschrieben:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Das [dass die Zeitentwicklung des Zustandes in der TI mit der der MWI übereinstimmen muss] ist auch der Grund, daß die Zeitentwicklung in der TI und MWI immer denselben Zustand ergibt, natürlich auch während einer Messung.

Im Zusammenhang von Messung sprach ich von einem stochastischen Prozeß. Ein solcher regelt nicht die Zeitentwicklung eines Zustands, sondern einer Wahrscheinlichkeitsverteilung von Zuständen. Bei einer realen Messung ist im Anschluß natürlich immer ein spezifischer Zustand des Meßgeräts realisiert. Und dieser realisierte Zustand beschreibt, laut TI, immer ein Meßgerät mit scharfer Indikatorvariable (also zumindest kleiner q-Unsicherheit), nicht eine Überlagerung von makroskopisch unterscheidbaren Zuständen.

Die Frage was der Zustand mit der Realität zu tun hat, wird von der Thermischen Interpretation völlig unabhängig vom Meßproblem behandelt. Und die Antwort ist selbstverständlich nicht dieselbe wie in der MWI.

Die zwei Punkte beinhalten vermeintliche eine Lösung, m.E. jedoch einen logischen Bruch.

Warum sollte es natürlich sein, dass immer nur ein spezifischer Zustand des Meßgeräts realisiert ist? Es erscheint allen Physikern, die im weitesten Sinne rein epistemisch argumentieren und daher - wieder im weitesten Sinne - eine Zustandsreduktion annehmen - „natürlich“. Aber gerade dieser Punkt ist eben nicht natürlich, sondern bedarf einer Begründung (oder bei Fehlen einer Begründung einen Rückzug auf den Postivismus unter dem expliziten Ausschluss einer Begründung).


Verstehe ich nicht. Daß jeder Prozeß einen eindeutigen Zustand ergibt, würde man von jeder deterministischen Theorie erwarten. Gerade wenn ich sie realistisch interpretieren will, ist das aber eine absolute Notwendigkeit. Wie sollte denn ein mehrdeutiger Zustand der Realität aussehen? Das ganze hat auch erstmal gar nichts mit Zustandsreduktion zu tun. Auch der nichtreduzierte Zustand ist eindeutig.

Die Frage in bezug auf Meßgeräte ist nur, warum ihr Zustand eine Indikatorvariable mit geringer Unsicherheit ergibt. Das ist eine rein physikalische Frage. (Die makroskopische Anzahl an Freiheitsgraden eines Meßgeräts dürfte hierbei eine besondere Rolle spielen.)

Zitat:

Die Antwort ist also nicht selbstverständlich eine andere wie die der MWI. Ja, sie ist eine andere, aber nach dem was ich bisher gelesen habe, schweigt die Thermal Interpretation sich dazu aus. Ich bin weiterhin bei ‘t Hooft, Neumaier bleibt diese Antwort schuldig.


Welche Antwort denn? Wozu schweigt sie sich aus? Ich dachte es geht um die Frage, was laut TI, der quantenmechanische Zustand mit der Realität zu tun hat. Mit "selbstverständlich" meine ich, daß Neumaier ganz offensichtlich dazu eine andere Antwort vorschlägt als die MWI. Aber die Antwort, die er gibt, ist m.E. ganz eindeutig und verständlich. (Aus meiner Sicht sogar deutlich verständlicher als die MWI.)
TomS
BeitragVerfasst am: 15. Feb 2021 09:55    Titel:

Danke, das Folgende macht es klar.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Das [dass die Zeitentwicklung des Zustandes in der TI mit der der MWI übereinstimmen muss] ist auch der Grund, daß die Zeitentwicklung in der TI und MWI immer denselben Zustand ergibt, natürlich auch während einer Messung.

Im Zusammenhang von Messung sprach ich von einem stochastischen Prozeß. Ein solcher regelt nicht die Zeitentwicklung eines Zustands, sondern einer Wahrscheinlichkeitsverteilung von Zuständen. Bei einer realen Messung ist im Anschluß natürlich immer ein spezifischer Zustand des Meßgeräts realisiert. Und dieser realisierte Zustand beschreibt, laut TI, immer ein Meßgerät mit scharfer Indikatorvariable (also zumindest kleiner q-Unsicherheit), nicht eine Überlagerung von makroskopisch unterscheidbaren Zuständen.

Die Frage was der Zustand mit der Realität zu tun hat, wird von der Thermischen Interpretation völlig unabhängig vom Meßproblem behandelt. Und die Antwort ist selbstverständlich nicht dieselbe wie in der MWI.

Die zwei Punkte beinhalten vermeintliche eine Lösung, m.E. jedoch einen logischen Bruch.

Warum sollte es natürlich sein, dass immer nur ein spezifischer Zustand des Meßgeräts realisiert ist? Es erscheint allen Physikern, die im weitesten Sinne rein epistemisch argumentieren und daher - wieder im weitesten Sinne - eine Zustandsreduktion annehmen - „natürlich“. Aber gerade dieser Punkt ist eben nicht natürlich, sondern bedarf einer Begründung (oder bei Fehlen einer Begründung einen Rückzug auf den Postivismus unter dem expliziten Ausschluss einer Begründung).

Die Antwort ist also nicht selbstverständlich eine andere wie die der MWI. Ja, sie ist eine andere, aber nach dem was ich bisher gelesen habe, schweigt die Thermal Interpretation sich dazu aus. Ich bin weiterhin bei ‘t Hooft, Neumaier bleibt diese Antwort schuldig.
index_razor
BeitragVerfasst am: 13. Feb 2021 14:42    Titel:

TomS hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
TomS hat Folgendes geschrieben:

Womit wir wieder bei dem Punkt sind, dass die Zeitentwicklung des Zustandes in der TI mit der der MWI übereinstimmen muss,

Ja, und das ist auch definitiv der Fall.

Gut.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Es scheint immer noch nicht ganz angekommen zu sein, daß ich von einem Wahrscheinlichkeitsmaß auf dem Hilbertraum sprach, nicht von einer Dichtematrix. Es fallen also nicht plötzlich irgendwelche Projektionen eines Zustands aus der Realität.

Letzteres ist klar. Sie fallen erst dann heraus, wenn man - warum auch immer - ein Projektionspostulat, d.h. Kollaps o.ä. fordert. Neumaier tut das nicht.


In der Tat. Das ist auch der Grund, daß die Zeitentwicklung in der TI und MWI immer denselben Zustand ergibt, natürlich auch während einer Messung.

Zitat:

Ersteres ist nicht klar. Du sprachst oben von einem Zustand rho. Ich rede nur über diesen Zustand, noch nicht über das Wahrscheinlichkeitsmaß.


Im Zusammenhang von Messung sprach ich von einem stochastischen Prozeß. Ein solcher regelt nicht die Zeitentwicklung eines Zustands, sondern einer Wahrscheinlichkeitsverteilung von Zuständen. Bei einer realen Messung ist im Anschluß natürlich immer ein spezifischer Zustand des Meßgeräts realisiert. Und dieser realisierte Zustand beschreibt, laut TI, immer ein Meßgerät mit scharfer Indikatorvariable (also zumindest kleiner q-Unsicherheit), nicht eine Überlagerung von makroskopisch unterscheidbaren Zuständen. Jetzt scheinst du zu glauben, diese Behauptung sei, falls wahr, die Sensation des Jahrhunderts weil sie der Dekohärenz widerspreche oder sowas in der Art. Und das kann ich überhaupt nicht nachvollziehen.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Die Frage was der Zustand mit der Realität zu tun hat, wird von der Thermischen Interpretation völlig unabhängig vom Meßproblem behandelt. Und die Antwort ist selbstverständlich nicht dieselbe wie in der MWI.

Ich glaube eher das Problem ist, daß du eine falsche Vorstellung hast, was in der Thermischen Interpretation eine Messung ist und wie sie den Meßprozeß physikalisch modelliert. Du denkst anscheinend sie würde das genauso sehen wie die MWI. Das ist aber nicht so. (Was laut TI eine Messung ist und welche Eigenschaften sie hat, wird in dem früher diskutierten Preprint besprochen.)

Ok, dann lese ich gerade das falsche Paper ;-)


Welches liest du denn? In Foundations of Quantum Physics, III und IV steht dazu doch eine Menge.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
"Messung", "Meßgerät", Meßprozeß" sind alles Begriffe außerhalb des mathematischen Formalismus der Quantenmechanik. Es ist also durchaus natürlich, daß hier der größte Spielraum für Interpretationsunterschiede ist. (Vermutlich sind diese Begriffe sogar die einzige Basis für Interpretationsstreits.)

Letzteres nein. Du sagtest selbst, eine Interpretation bestünde darin, im Formalismus zu identifizieren, welche mathematischen Artefakte welchen realen Entitäten entsprechen und welche keine Entsprechung haben;


Ja, natürlich. Aber wie wir im Fall der klassischen Physik gesehen haben, gründen sich allein wegen solcher Fragen noch nicht verschiedene Denkschulen, die Glaubenskriege untereinander austragen. Das liegt daran, daß die verwendeten Begriffe alle mathematisch präzise und Bedeutungsnuancen deshalb weitgehend irrelevant sind. Auf den Begriff "Messung" trifft das nicht zu. Der ist vollkommen vage und die Interpretation einer Theorie, die ihn die ihre Grundaussagen aufnimmt ist deshalb ebenfalls vage. Was eine Messung ist, definiert sich letztendlich nur über erfolgreiche Anwendungen der Theorie.

Zitat:

außerdem muss man umgekehrt für reale Objekte und Prozesse das Gegenstück in der Mathematik identifizieren. Da stimme ich dir zu. Im Sinne einer realistischen Interpretation empfände ich es als künstlich, nur Wahrscheinlichkeiten, Erwartungswerten, Korrelationen etc. eine Entsprechung in der Realität zuzuordnen, aber genau das ist letztlich Geschmacksache. Ich möchte nur erst mal genau verstehen, ob und wie Neumaier diese Entsprechungen definiert.


Er ordnet den quantenmechanischen "Erwartungswerten" und "Korrelationen" Entsprechungen in der Realität zu. Aber er interpretiert sie natürlich nicht als statistische Größen, sondern als die objektiven Eigenschaften individueller Systeme. Diese Eigenschaften haben zunächst mal nichts mit Messungen und Meßwerten zu tun. Man könnte sie deshalb einfach als "physikalische Größen" bezeichnen. Diese Zuordnung ist für mich so klar und genauso vollständig, wie die entsprechende Zuordnung in der klassischen Physik. Für dich nicht?

Als nächstes kann man sich dann natürlich fragen welche Implikationen diese Interpretation für reale Messungen hat.

Zitat:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Die thermische Interpretation weicht in diesem Punkt am weitesten von allen traditionellen Interpretation ab. Sie bestreitet nicht nur die fundamentale Bedeutung der Bornschen Regel, sondern auch daß Meßergebnisse immer Eigenwerte von Operatoren sind. Letzteres unterscheidet sie meines Wissens selbst von der MWI. Das scheint aber nicht der einzige Unterschied zu sein.

Ich denke, hier sind sich TI um MWI einig. Zumindest fordert die MWI die Entsprechung von Eigenwert und Messwert nicht, sie gesteht jedoch zu, dass dies praktisch relevant ist und deswegen erklärt werden muss.


Das wäre immer noch ein großer Unterschied zur thermischen Interpretation.

Entscheidend ist, daß die MWI behauptet (oder zumindest impliziert), daß alle Eigenwerte in einer Superposition aus entsprechenden Eigenvektoren Elemente der Realität seien. Wenn dies nicht der Fall wäre, müßte die Realität ja nicht aus je einer "Welt" für jeden Eigenwert bestehen. In der TI ist nur der q-Erwartungswert real. Also existiert in jedem Zustand für jede q-Observable auch nur genau ein einzelner Wert. Deswegen existiert keine Notwendigkeit für viele Welten.
TomS
BeitragVerfasst am: 13. Feb 2021 12:04    Titel:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
TomS hat Folgendes geschrieben:

Womit wir wieder bei dem Punkt sind, dass die Zeitentwicklung des Zustandes in der TI mit der der MWI übereinstimmen muss,

Ja, und das ist auch definitiv der Fall.

Gut.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Es scheint immer noch nicht ganz angekommen zu sein, daß ich von einem Wahrscheinlichkeitsmaß auf dem Hilbertraum sprach, nicht von einer Dichtematrix. Es fallen also nicht plötzlich irgendwelche Projektionen eines Zustands aus der Realität.

Letzteres ist klar. Sie fallen erst dann heraus, wenn man - warum auch immer - ein Projektionspostulat, d.h. Kollaps o.ä. fordert. Neumaier tut das nicht.

Ersteres ist nicht klar. Du sprachst oben von einem Zustand rho. Ich rede nur über diesen Zustand, noch nicht über das Wahrscheinlichkeitsmaß.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Die Frage was der Zustand mit der Realität zu tun hat, wird von der Thermischen Interpretation völlig unabhängig vom Meßproblem behandelt. Und die Antwort ist selbstverständlich nicht dieselbe wie in der MWI.

Ich glaube eher das Problem ist, daß du eine falsche Vorstellung hast, was in der Thermischen Interpretation eine Messung ist und wie sie den Meßprozeß physikalisch modelliert. Du denkst anscheinend sie würde das genauso sehen wie die MWI. Das ist aber nicht so. (Was laut TI eine Messung ist und welche Eigenschaften sie hat, wird in dem früher diskutierten Preprint besprochen.)

Ok, dann lese ich gerade das falsche Paper ;-)

index_razor hat Folgendes geschrieben:
"Messung", "Meßgerät", Meßprozeß" sind alles Begriffe außerhalb des mathematischen Formalismus der Quantenmechanik. Es ist also durchaus natürlich, daß hier der größte Spielraum für Interpretationsunterschiede ist. (Vermutlich sind diese Begriffe sogar die einzige Basis für Interpretationsstreits.)

Letzteres nein. Du sagtest selbst, eine Interpretation bestünde darin, im Formalismus zu identifizieren, welche mathematischen Artefakte welchen realen Entitäten entsprechen und welche keine Entsprechung haben; außerdem muss man umgekehrt für reale Objekte und Prozesse das Gegenstück in der Mathematik identifizieren. Da stimme ich dir zu. Im Sinne einer realistischen Interpretation empfände ich es als künstlich, nur Wahrscheinlichkeiten, Erwartungswerten, Korrelationen etc. eine Entsprechung in der Realität zuzuordnen, aber genau das ist letztlich Geschmacksache. Ich möchte nur erst mal genau verstehen, ob und wie Neumaier diese Entsprechungen definiert.

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Die thermische Interpretation weicht in diesem Punkt am weitesten von allen traditionellen Interpretation ab. Sie bestreitet nicht nur die fundamentale Bedeutung der Bornschen Regel, sondern auch daß Meßergebnisse immer Eigenwerte von Operatoren sind. Letzteres unterscheidet sie meines Wissens selbst von der MWI. Das scheint aber nicht der einzige Unterschied zu sein.

Ich denke, hier sind sich TI um MWI einig. Zumindest fordert die MWI die Entsprechung von Eigenwert und Messwert nicht, sie gesteht jedoch zu, dass dies praktisch relevant ist und deswegen erklärt werden muss.

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