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TomS
BeitragVerfasst am: 16. Nov 2019 09:11    Titel:

Bernd Stein hat Folgendes geschrieben:
was ist MWI ?

Many-Worlds-Interpretation ~ Everettsche Quantenmechanik

Bernd Stein hat Folgendes geschrieben:
Der Strukturenrealismus ist schon deswegen ein Irrweg, weil sich die Strukturen - anders als der Strukturenrealismus behauptet - sich von Theorie zu Theorie ändern ...

Die Strukturen der Newtonschen und der Einsteinschen Raumzeit sind mathematisch sehr ähnlich - lass‘ dir das mal von index_razor erklären.

Und dass sich Strukturen ändern stellt kein so großes Problem dar. In der Biologie sind auch Strukturen wie DNA, Zelle, Baum und Wald gleichermaßen real. Die Molekularbiologie hat an der Biologie der Ökosysteme wenig geändert.
TomS
BeitragVerfasst am: 16. Nov 2019 09:04    Titel:

Bernd Stein hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Dass sich Physiker mit Ontologie befassen sollten, würden viele Physiker vehement bestreitet.
.

Ja, da haben wir den Salat. Wie wollen diese Physiker, die sich mit der Ontologie nicht befassen (wollen), dann ihre Experimente beschreiben. Wie wollen sie denn beschreiben, was in einer Apparatur genau passiert ?

Ich bin bzgl. dieser metaphysischen Frage bei dir - es gibt einen Bruch im Gesamtbild. Bohr war das klar, indem er postulierte, dass die Messung selbst nicht den quantenmechanischen Regeln folgt sondern auf eine intrinsisch klassische Perspektive bezogen werden muss.

Andererseits musst du zugestehen, dass die pragmatische Sichtweise der Physiker, die diese Fragestellungen ausklammern, uns nicht daran gehindert hat, Microchips zu entwickeln und die Struktur der Atomkerne zu verstehen - in dem Sinne, dass wir Modelle haben, die korrekte Vorhersagen machen.

Die große Mehrzahl der Physiker neigt der letzten Position zu, wobei sich das im Lauf der Jahrzehnte verschiebt. Es gab Zeiten, in denen Fachzeitschriften Artikel zu den Grundlagen der Quantenmechanik abgelehnt haben.

Bernd Stein hat Folgendes geschrieben:
Dass Physik uns sagt, wie etwas funktioiniert, ist klar, ...

Wie du selbst sagst, ist das nicht so klar.

Viele Physiker beschreiben Systeme tatsächlich so, als ob da etwas ist, das so und so interagiert, lehnen aber gleichzeitig diese Sichtweise ab behaupten, in der Phydik ginge es ausschließlich um die Vorhersage von experimentellen Ergebnissen.

Bernd Stein hat Folgendes geschrieben:
Es kann ja sein, das viele Physiker im Gespräch mit Philosophen zugeben, dass sie über die Ontologie tatsächlich nichts wissen, bei der Beschreibung ihrer Experimente tun sie aber so, als ob all das real wäre ...

Ja, wenn wir den Sprachgebrauch analysieren, dann stellen wir oft diesen logischen Bruch fest.

Ich denke, das liegt auch an den Disziplinen der theoretischen und der Experimentalphysik. Erstere befasst sich nie mit der Messung selbst. Und letztere befasst sich insbs. mit dem technischen Aufbau des Experiments und der Datenauswertung.

Die einzige - hier wesentliche - offene Frage ist dieses sogenannte quantenmechanische Messproblem. Dieses Problem hindert die Physiker jedoch nicht daran, in ihren jeweiligen Disziplinen zu arbeiten, und sich untereinander auszutauschen. Die Schnittstelle sind nämlich nur die gewonnenen Messdaten.

Bernd Stein hat Folgendes geschrieben:
Es ist auch verwunderlich, dass nur so Wenige sich Gedanken machen, wie man aus diesem Dilemma rauskommt.

Ob das ein Dilemma ist, hängt von der Perspektive ab.
jh8979
BeitragVerfasst am: 15. Nov 2019 20:46    Titel:

TomS hat Folgendes geschrieben:

https://arxiv.org/abs/1405.7907
Many Worlds, the Born Rule, and Self-Locating Uncertainty
Sean M. Carroll, Charles T. Sebens

Interessantes Paper. Thumbs up!
Bernd Stein
BeitragVerfasst am: 15. Nov 2019 18:20    Titel:

Hi index razor

Zitat:
Um damit Erfolgsaussichten zu haben, muß man allerdings seine Optionen kennen. Hast du vor dich mal mit Bells Theorem zu befassen oder soll das in dem elegischen Stil hier weitergehen?


Ist halt ein bisschen Naturphilosophie, es wird Dir nicht schaden. Ich hör sowieso jetzt damit auf.

Bernd
Bernd Stein
BeitragVerfasst am: 15. Nov 2019 18:14    Titel:

Hi TomS,

Zitat:
mMn liefert der Formalismus die strukturellen Eigenschaften der Ontologie - aber nur, wenn man den Formalismus wie im Sinne der MWI (heute) ontologisch auffasst.


was ist MWI ? Bin leider nicht so fit mit Abkürzungen.
Bitte bedenke, dass Du strukturelle Eigenschaften von der Onologie nicht trennen kannst. Welche strukturellen Eigenschaften hat eine Welle, ein Feld ? und welche ein System lokalisierbarer Objekte ? Letztlich kannst Du Strukturen auf Abstände und Punkte zurückführen, also auf eine Geometrie, aber die Punkte und Abstände müssen kausale Wirksamkeit entfalten, also es muß ihnen einen Ontologie angeheftet sein, die brauchst Du, damit Du zu Ursache und Wirkungen kommst. Der Strukturenrealismus ist schon deswegen ein Irrweg, weil sich die Strukturen - anders als der Strukturenrealismus behauptet - sich von Theorie zu Theorie ändern: Raum und Zeit bei Newton - ohne Struktur, Raum und Zeit bei Einstein: mit Struktur, eine Konstanz der Strukturen gibt es nicht, nur eine Vervielfältigung. Immerhin stimme ich dir zu, wenn Du sagt, die Ontologie würde nicht beschrieben. Das ist auch nicht nötig, es reicht wenn nur die funktionalen Rollen innerhalb eines Mechanismus beschrieben werden, der mit verschiedenen Ontologien funktioniert. Wenn eine Theorie beschreibt, wie ich von A nach B komme, die Verkehrsmittel dabei offen läßt, dann kann ich verschiedene Ontologien zur Bewegung instrumentalisieren, im Extremfall auch auf einer Kanaonenkugel reiten - die Theorie sagt das Richtige vorher, ohne Rücksicht auf den agierenden Gegenstand. Die Newtonsche Theorie zum Beispiel arbeitet mit Massepunkten, einer idealisierten Ontologie, so könnten auch Quantenobjekte Idealisierungen sein, weil es nur auf ihre Funktionalität ankommt, nicht auf ihre ontologische Beschaffenheit.
Insofern denke ich, wenn Du das Wort Struktur durch Funktionalität ersetzt, wäre ich mit Dir konform. Das würde aber die Frage aufwerfen, worin besteht die funktionale Rolle eines Quantenobjektes, und dies könnte die Individuierung innerhalb eines Systems ununterscheidbarer Einzelheiten sein, nämlich dass Quantenobjekte die Objekte sind, die als eigenschaftslose Gebilde durch WW mit anderen Gebilden Eigenschaften annehmen oder so was ähnliches.

Bis auf Weiteres
Bernd
index_razor
BeitragVerfasst am: 15. Nov 2019 17:56    Titel:

Bernd Stein hat Folgendes geschrieben:
Es ist auch verwunderlich, dass nur so Wenige sich Gedanken machen, wie man aus diesem Dilemma rauskommt.


Um damit Erfolgsaussichten zu haben, muß man allerdings seine Optionen kennen. Hast du vor dich mal mit Bells Theorem zu befassen oder soll das in dem elegischen Stil hier weitergehen?
index_razor
BeitragVerfasst am: 15. Nov 2019 17:45    Titel:

Bernd Stein hat Folgendes geschrieben:
Hi index razor,

Zitat:

Der Zustand des zweiten Teilchens ist nicht "relativ" zu irgendeinem anderen Teilchen. Der Zustand ist der Zustand.


Schon mal was vom Ortszustand gehört ?


Nein. Meinst du einen Ortseigenzustand? Oder einfach einen Ort? Worauf willst du hinaus?
TomS
BeitragVerfasst am: 15. Nov 2019 17:43    Titel:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Wichtig ist nur, daß die Messung am System 1 den Zustand am System 2 nicht stört.

OK

Zumindest nicht instantan oder für masselose Teilchen, jedoch über die innerhalb des Vorwärtslichtkegels propagierende Verschränkung mit Messgerät und Umgebung.

Ist hier aber OT

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Den Rest besorgt die Verschränkung, die auch in der MWI vorhanden ist. Damit sind die Voraussetzungen von EPR erfüllt.

OK
Bernd Stein
BeitragVerfasst am: 15. Nov 2019 17:41    Titel:

Hi index razor,

Zitat:

Der Zustand des zweiten Teilchens ist nicht "relativ" zu irgendeinem anderen Teilchen. Der Zustand ist der Zustand.


Schon mal was vom Ortszustand gehört ?

Bernd
TomS
BeitragVerfasst am: 15. Nov 2019 17:38    Titel:

Bernd Stein hat Folgendes geschrieben:
Und da bin ich mit Bohr und TomS einer Meinung: gar nichts.

Ich bin da mit Bohr nicht einer Meinung, ich habe lediglich seine Sichtweise dargestellt.

mMn liefert der Formalismus die strukturellen Eigenschaften der Ontologie - aber nur, wenn man den Formalismus wie im Sinne der MWI (heute) ontologisch auffasst.

https://de.wikipedia.org/wiki/Strukturenrealismus
Bernd Stein
BeitragVerfasst am: 15. Nov 2019 17:37    Titel:

Hi TomS,

Zitat:
Dass sich Physiker mit Ontologie befassen sollten, würden viele Physiker vehement bestreitet.
.

Ja, da haben wir den Salat. Wie wollen diese Physiker, die sich mit der Ontologie nicht befassen (wollen), dann ihre Experimente beschreiben. Wie wollen sie denn beschreiben, was in einer Apparatur genau passiert ? Dass Physik uns sagt, wie etwas funktioiniert, ist klar, sie muß aber auch sagen was da agiert - sie ist nicht nur, aber auch Welterklärung. Steht ein Student vor der Apparatur und fragt: Herr Professor, woraus besteht dieser Laserstrahl ? Sagt der Professor: aus elektromagnetischen Wellen, er tut so, als ob da eine mathematische Konstruktion in seiner Apparatur den Spiegel halb durchläuft und Kräfte ausübt, wohl wissend, dass das eigentlich Blödsinn ist, aber es funktioniert, der Student gibt klein bei. Es kann ja sein, das viele Physiker im Gespräch mit Philosophen zugeben, dass sie über die Ontologie tatsächlich nichts wissen, bei der Beschreibung ihrer Experimente tun sie aber so, als ob all das real wäre, was sie in ihren Modellen an idealisierten Konstruktionen zusammengemixt haben. Das ist schon eine irrwitzige Wissenschaft, die Physik, und eigentlich der Wahnsinn, diese SoTunAlsOb-Methode, das das alles so gut funktioniert, dass man den Physikern die Hand geben muß: gut gemacht ! Betrachten wir die Welt aus Sicht des pragmatischen Realismus.

Bei der Nicht Lokalität funktioniert das Ganze nicht mehr so ganz, deshalb gibt es hier Ansätze für eine Diskussion.

Ich finde die Physik wirklich toll, trotz aller Wissenschaftskritik, die hier geäußert wird. Aber ich hebe auch gern den Zeigefinger, weil das so wenige machen. Es ist auch verwunderlich, dass nur so Wenige sich Gedanken machen, wie man aus diesem Dilemma rauskommt.

Bernd
index_razor
BeitragVerfasst am: 15. Nov 2019 17:36    Titel:

TomS hat Folgendes geschrieben:

Nicht im Rahmen der MWI.

Hier legt die Messung den Wert der Observablen nicht wie üblich fest; es liegt kein Eigenzustand vor,


Das ist auch nicht nötig. Wichtig ist nur, daß die Messung am System 1 den Zustand am System 2 nicht stört. Den Rest besorgt die Verschränkung, die auch in der MWI vorhanden ist. Damit sind die Voraussetzungen von EPR erfüllt.
TomS
BeitragVerfasst am: 15. Nov 2019 17:33    Titel:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
TomS hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
Das Problem ist aber, daß sich dies ändert nachdem die Messung durchgeführt wurde. Die Aussage "dieses Subsystem hat diesen Drehimpuls" wird plötzlich durchaus sinnvoll, obwohl sein Zustand immer noch derselbe ist.

Diese Aussage ist im Rahmen der MWI immer nur auf der emergenten Ebene sinnvoll.


Das hat mit emergenten Ebenen nicht viel zu tun. Das ergibt sich aus dem Formalismus der Quantenmechanik. Beide Observablen sind 100%-ig korreliert. Kennt man die eine (z.B. durch Messung), dann kennt man auch die andere.

Nicht im Rahmen der MWI.

Hier legt die Messung den Wert der Observablen nicht wie üblich fest; es liegt kein Eigenzustand vor, und auch der Eigenwert wird im jeweiligen Zweig nur näherungsweise eingenommen. D.h. der Messwert ist selbst eine emergente Größe.
index_razor
BeitragVerfasst am: 15. Nov 2019 17:22    Titel:

Bernd Stein hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Das ist ja gerade der Punkt. Ich verstehe den Sinn der Frage wohl nicht. Wenn jede Messung an einem Teil des korrelierten Systems den Zustand des anderen stören würde, wäre das EPR-Kriterium immer trivial erfüllt. Das ist aber unplausibel, da sich diese Störung nichtlokal über beliebige Entfernungen übertragen müßte.


Die Verschiebung des ersten Teilchens erfolgt ohne Störung des zweiten Teilchens, welches sich in der Nachbargalaxie befindet. Der Zustand des zweiten Teilchens hat sich relativ zum ersten Teilchen dabei instantan und nichtlokal verändert,


Nichts am zweiten Teilchen hat sich verändert, sonst wäre es ja nicht ungestört.

Der Zustand des zweiten Teilchens ist nicht "relativ" zu irgendeinem anderen Teilchen. Der Zustand ist der Zustand.

Außerdem wolltest du nicht angeblich solche nichtlokalen Änderungen nicht wahr haben? Das klingt gerade alles recht konfus.

Zitat:

dies mit Sicherheit, ohne dass es einer Messung bedarf, so wie sich der Spin des nicht gemessenen Teilchens relativ zu dem des gemessen Teilchens ebenfalls umgekehrt hat, ohne Messung.


Der Spin hat sich nicht "umgekehrt". Es gab ja keinen Einfluß, der irgendeinen Umkehrung bewirkt haben könnte. (Zumindest wenn wir nichtlokale Einflüsse auschließen wollen.) Er ist jetzt nur mit Sicherheit bekannt.
Bernd Stein
BeitragVerfasst am: 15. Nov 2019 17:14    Titel:

Zitat:
Das ist ja gerade der Punkt. Ich verstehe den Sinn der Frage wohl nicht. Wenn jede Messung an einem Teil des korrelierten Systems den Zustand des anderen stören würde, wäre das EPR-Kriterium immer trivial erfüllt. Das ist aber unplausibel, da sich diese Störung nichtlokal über beliebige Entfernungen übertragen müßte.


Die Verschiebung des ersten Teilchens erfolgt ohne Störung des zweiten Teilchens, welches sich in der Nachbargalaxie befindet. Der Zustand des zweiten Teilchens hat sich relativ zum ersten Teilchen dabei instantan und nichtlokal verändert, dies mit Sicherheit, ohne dass es einer Messung bedarf, so wie sich der Spin des nicht gemessenen Teilchens relativ zu dem des gemessen Teilchens ebenfalls umgekehrt hat, ohne Messung. Zugrundegelegt wird hier eine nicht-dynamische starre Raumzeit, wie sie in der nichtrelativistischen Quantenmechanik auch verwendet wird.

Bernd
index_razor
BeitragVerfasst am: 15. Nov 2019 17:02    Titel:

Bernd Stein hat Folgendes geschrieben:
Zitat:


Die Quantenmechanik trifft zunächst eine zentrale ontologische Aussage, nämlich dass die klassische Ontologie mit lokalisierten, eigenschaften-behafteten Objekten falsch sein muss, weil diese Annahmen zwingend zu Aussagen führen, die den quantenmechanischen Gleichungen und den experimentellen Beobachtungen widersprechen
.

Diese Aussage macht nicht die Quantenmechanik, sondern diejenigen, die den mathematischen Formalismus in dieser Weise interpretieren.


Ich glaube es würde dich voranbringen, wenn du dich mal mit Bells Theorem befaßt, auf welches die Aussage von TomS anspielt. Da gibt es nicht viel zu interpretieren. Lokale verborgene Parameter sind experimentell widerlegt.

Also ist die Realität entweder nichtlokal oder der Formalismus der Quantenmechanik beschreibt sie bereits vollständig. Dann müssen wir anscheinend akzeptieren, daß wir nicht jedes mögliche Meßergebnis kausal erklären können.
Bernd Stein
BeitragVerfasst am: 15. Nov 2019 16:51    Titel:

Zitat:


Die Quantenmechanik trifft zunächst eine zentrale ontologische Aussage, nämlich dass die klassische Ontologie mit lokalisierten, eigenschaften-behafteten Objekten falsch sein muss, weil diese Annahmen zwingend zu Aussagen führen, die den quantenmechanischen Gleichungen und den experimentellen Beobachtungen widersprechen
.

Diese Aussage macht nicht die Quantenmechanik, sondern diejenigen, die den mathematischen Formalismus in dieser Weise interpretieren.

Du kommst in einen Widerspruch, wenn Du behauptest, die QM würde keine Aussage über die Ontologie machen, im gleichen Atemzug aber hinzufügst, sie würde doch eine Aussage machen, nämlich dass die Ontologie verschränkt sei und nicht klassisch beschaffen sei. Wenn Du mit beiden Behauptungen Recht hast, lässt dies nur den Schluss zu: die QM beschreibt die Ontologie gar nicht.

Das könnte ja auch sein, dass die QM nur die funktionale Rolle von Objekten beschreibt, eben von Objekten mit beliebiger Ontologie. In diesem Fall kann sogar die von Dir beschriebene Interpretation zu richtigen Vorhersagen führen, nur kannst Du daraus auf die Ontologie keine Schlüsse ziehen. Die klassische Elektrodynamik beschreibt die funktionale Rolle der Strahlung mit äußerster Präzision, läßt die Frage, welche Ontologie da am Werke ist, aber völlig offen.

Wahrscheinlich führt die Frage, welche Ontologie beschreibt die QM, uns wie Dummbeutel ständig in die Sackgasse.

Bernd
index_razor
BeitragVerfasst am: 15. Nov 2019 16:15    Titel:

Bernd Stein hat Folgendes geschrieben:
Hi Index Razor,

index_razor hat Folgendes geschrieben:

Nach dem EPR-Kriterium ist also der Spin des zweiten Teilsystems ein Element der Realität, aber der Zustand dieses Systems macht keine eindeutige Aussage über ihn.


Was bedeutet das ?


Was genau verstehst du nicht?

Zitat:

Nimm ein System aus zwei klassischen Teilchen, die einen festen Abstand voneinander haben. Jetzt machst Du eine Messung am ersten Teilchen und verschiebst dieses dabei relativ zum zweiten. Unmittelbar nach der Verschiebung hat sich auch der Abstand des zweiten Teilchens relativ zum ersten verändert, das weiß ich auch ohne Messung. Ist das eine instantane Änderung des Zustandes des zweiten Teilchens ?


Nein. Das ist ja gerade der Punkt. Ich verstehe den Sinn der Frage wohl nicht. Wenn jede Messung an einem Teil des korrelierten Systems den Zustand des anderen stören würde, wäre das EPR-Kriterium immer trivial erfüllt. Das ist aber unplausibel, da sich diese Störung nichtlokal über beliebige Entfernungen übertragen müßte.

Zitat:

Es kommt hier immer auf die Sichtweise an, ob etwas lokal oder nicht-lokal, instantan oder nicht-instantan ist. Wenn alle Welt behauptet, die Welt sei nicht-lokal, so muß man das nicht unbedingt glauben, weil zu jedem und allem immer ein Blickwinkel gehört.


Das behauptet aber nicht alle Welt. Die gängige Behauptung ist: Die Welt ist Einstein-lokal, aber nicht EPR-realistisch.

Zitat:

ich glaube Du kommst mit Überlegungen zum Verhältnis von Zuständen, Vektoren und Realität dem Problem auch nicht bei.


Bist du sicher, daß du das Problem verstanden hast? Ich empfehle mal einen Blick auf das paper von EPR zu werfen. Der wikipedia-Artikel über das EPR-Paradoxon enthält einen link zum Volltext. Danach ist Bell, "Speakable and Unspeakable in Quantum Mechanics" eine gute Lektüre.

Zitat:

Ich meine man muß die Frage stellen, was sagt uns der mathematische Formalismus über das aus, was in der Apparatur passiert ? Und da bin ich mit Bohr und TomS einer Meinung: gar nichts. Er sagt uns nur einen Meßwert vorher, sonst nichts, null komma garnichts und nochmal null komma nichts.



Er sagt -- nach gängiger Interpretation -- nicht mal einen Meßwert vorher, sondern nur einen Mittelwert und eine Korrelation. Für eine eindeutige Vorhersage benötigst du die Messung am anderen Teilsystem.
Bernd Stein
BeitragVerfasst am: 15. Nov 2019 15:58    Titel:

Hi Index Razor,

[quote="index_razor"]
Nach dem EPR-Kriterium ist also der Spin des zweiten Teilsystems ein Element der Realität, aber der Zustand dieses Systems macht keine eindeutige Aussage über ihn.[quote]

Was bedeutet das ? Nimm ein System aus zwei klassischen Teilchen, die einen festen Abstand voneinander haben. Jetzt machst Du eine Messung am ersten Teilchen und verschiebst dieses dabei relativ zum zweiten. Unmittelbar nach der Verschiebung hat sich auch der Abstand des zweiten Teilchens relativ zum ersten verändert, das weiß ich auch ohne Messung. Ist das eine instantane Änderung des Zustandes des zweiten Teilchens ? Ist das eine nicht-lokale Änderung, schließlich kann sich das andere Teilchen auch in der Nachbargalaxie befinden. Vom geometrischen Standpunkt her ist es eine nicht-lokale, instantane Änderung, vom physikalischen Standpunkt her gesehen nicht, weil Abstände nur durch Lichtstrahlen mit c definiert werden können. Kann ich nun Geometrie unabhängig von der Physik betreiben ? Oder baut die Physik auf Geometrie auf (Symmetrien !) ? Es kommt hier immer auf die Sichtweise an, ob etwas lokal oder nicht-lokal, instantan oder nicht-instantan ist. Wenn alle Welt behauptet, die Welt sei nicht-lokal, so muß man das nicht unbedingt glauben, weil zu jedem und allem immer ein Blickwinkel gehört.

ich glaube Du kommst mit Überlegungen zum Verhältnis von Zuständen, Vektoren und Realität dem Problem auch nicht bei.

Ich meine man muß die Frage stellen, was sagt uns der mathematische Formalismus über das aus, was in der Apparatur passiert ? Und da bin ich mit Bohr und TomS einer Meinung: gar nichts. Er sagt uns nur einen Meßwert vorher, sonst nichts, null komma garnichts und nochmal null komma nichts.

Und was kann man daraus schließen ? Das ist doch die Frage. Ich meine schon, dass man auch aus der Tatsache, daß nur ein Meßwert vorhergesagt wird, doch auch etwas auf die Realität schließen kann - zum Beispiel im Analogieschluss zu den Gleichungen der klassischen Theorien: einen Meßwert bekomme ich vom Formalismus vorhergesagt, wenn ich in den allgemeinen Formalismus Randbedingungen einsetze, und zwar vollständige. Also sollte die mathematische Operation der Anwendung eines Meßoperators auf einen Zustandsvektor im algebraischen Raum dem Einsetzen von Randbedingungen gleichkommen. Das wäre doch mal Anfang sich vorzutasten, ob dies konsistent und widerspruchsfrei behauptet werden kann. Dann könnte man intuitiv gesprochen vielleicht dem Meßproblem ausweichen.

Bernd
index_razor
BeitragVerfasst am: 15. Nov 2019 15:22    Titel:

TomS hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
Das Problem ist aber, daß sich dies ändert nachdem die Messung durchgeführt wurde. Die Aussage "dieses Subsystem hat diesen Drehimpuls" wird plötzlich durchaus sinnvoll, obwohl sein Zustand immer noch derselbe ist.

Diese Aussage ist im Rahmen der MWI immer nur auf der emergenten Ebene sinnvoll.


Das hat mit emergenten Ebenen nicht viel zu tun. Das ergibt sich aus dem Formalismus der Quantenmechanik. Beide Observablen sind 100%-ig korreliert. Kennt man die eine (z.B. durch Messung), dann kennt man auch die andere.
TomS
BeitragVerfasst am: 15. Nov 2019 15:18    Titel:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Das Problem ist aber, daß sich dies ändert nachdem die Messung durchgeführt wurde. Die Aussage "dieses Subsystem hat diesen Drehimpuls" wird plötzlich durchaus sinnvoll, obwohl sein Zustand immer noch derselbe ist.

Diese Aussage ist im Rahmen der MWI immer nur auf der emergenten Ebene sinnvoll.
index_razor
BeitragVerfasst am: 15. Nov 2019 15:13    Titel:

TomS hat Folgendes geschrieben:
index_razor hat Folgendes geschrieben:
Nach dem EPR-Kriterium ist also der Spin des zweiten Teilsystems ein Element der Realität, aber der Zustand dieses Systems macht keine eindeutige Aussage über ihn. (An dem Problem ändert übrigens auch die MWI nichts. Sie ist also nicht EPR-realistisch.)

Kannst du den Begriff EPR-realistisch bitte genauer erklären?


Das bedeutet, daß sie das EPR-Kriterium erfüllt. Der Spin des zweiten Teilsystems läßt sich mit Sicherheit vorhersagen ohne dieses System zu stören. Der Zustand erlaubt aber nur die Vorhersage des mittleren Spins . Damit gibt es ein Element der Realität, , worüber die Theorie nichts aussagt.

Zitat:

Die MWI führt letztlich auf zwei ontologische Ebene, die fundamentale sowie die emergente. Auf der fundamentalen ist der Zustandsvektor der Repräsentant der Realität, jedenfalls nicht irgendeine "klassische" Eigenschaft. Eine vernünftige Aussage wäre also "das reale System befindet sich im Zustand ..., der durch den Zustandsvektor ... repräsentiert wird"; nicht jedoch "dieses Subsystem hat diesen Drehimpuls".


Das Problem ist aber, daß sich dies ändert nachdem die Messung druchgeführt wurde. Die Aussage "dieses Subsystem hat diesen Drehimpuls" wird plötzlich durchaus sinnvoll, obwohl sein Zustand immer noch derselbe ist.
TomS
BeitragVerfasst am: 15. Nov 2019 14:58    Titel:

index_razor hat Folgendes geschrieben:
Nach dem EPR-Kriterium ist also der Spin des zweiten Teilsystems ein Element der Realität, aber der Zustand dieses Systems macht keine eindeutige Aussage über ihn. (An dem Problem ändert übrigens auch die MWI nichts. Sie ist also nicht EPR-realistisch.)

Kannst du den Begriff EPR-realistisch bitte genauer erklären?

Die MWI führt letztlich auf zwei ontologische Ebene, die fundamentale sowie die emergente. Auf der fundamentalen ist der Zustandsvektor der Repräsentant der Realität, jedenfalls nicht irgendeine "klassische" Eigenschaft. Eine vernünftige Aussage wäre also "das reale System befindet sich im Zustand ..., der durch den Zustandsvektor ... repräsentiert wird"; nicht jedoch "dieses Subsystem hat diesen Drehimpuls".
index_razor
BeitragVerfasst am: 15. Nov 2019 14:06    Titel:

Bernd Stein hat Folgendes geschrieben:

Tatsache ist, daß Deine Erklärungsstrategie irgendwann scheitern muss, weil irgendwann musst Du konkrete Aussagen machen über das, was tatsächlich geschieht, nämlich dass zwei konkrete definierte Eigenschaften (Spin in x-Richtung) zweier konkreter teilchenhafter Quantenobjekte (Elektronen, Lichtquanten) über konkrete große Entfernungen korreliert sind, und die Korrelation klassisch unerklärlich ist.


Die Korrelation ergibt sich doch ganz zwanglos aus dem Erhaltungssatz, der auch klassisch gilt. Das Problem ist nicht die Korrelation zu erklären.

Das Problem ist, daß die Korrelation nach der Messung am einen Teilsystem eine sichere Vorhersage über das andere Teilsystem erlaubt, obwohl dessen Zustand ungestört und folglich immer noch ist.

Nach dem EPR-Kriterium ist also der Spin des zweiten Teilsystems ein Element der Realität, aber der Zustand dieses Systems macht keine eindeutige Aussage über ihn. (An dem Problem ändert übrigens auch die MWI nichts. Sie ist also nicht EPR-realistisch.) Das Problem der Lokalität ergibt sich nun erst aus dem Versuch die QM derart zu vervollständigen, daß jedes Element der Realität eine Entsprechung in der Theorie enthält. Nach Bells Theorem geht das nur mit nichtlokalen Parametern.


Zitat:

Ich bedauere diese ganze Sichtweise auf die Ontologie dieser Welt überhaupt nicht, es ist vollkommen ok. wie die Physik diese Probleme gelöst hat, es ist sogar eine großartige Lösung, nur könnte es doch sein, das die ganze Debatte um die Nichtlokalität genauso endet, wie die Debatten um das Feld und den Äther: wir fragen nicht weiter nach der Ontologie, wir tun einfach so, als gäbe es das Problem garnicht, wir konzentrieren uns auf den Funktionalismus oder Instrumentalismus, wie Du das nennst, und gut ist – dass hier eine weitreichende ontologische Aussage gemacht wird, die jeder Anschauung und Logik widerspricht, wird einfach von der Physik in den Raum gestellt, was solls !


Das Problem erscheint eben mehr oder weniger unlösbar ohne entweder die QM oder die Lokalität und damit die Relativitätstheorie aufzugeben. Keine der Optionen erscheint besonders praktikabel zu sein. Also gibt man eher den EPR-Realismus auf und sagt die QM ist eben doch vollständig, so wie sie ist.
TomS
BeitragVerfasst am: 15. Nov 2019 06:55    Titel:

Qubit hat Folgendes geschrieben:
Jede Interpretation über den Formalismus der QM hinaus ist erstmal Metaphysik in dem Sinne, dass keine Interpretation (oder Umformulierung) der QM eine Begründung einer weitergehenden Ontologie mit Vorhersagen bekräftigen könnte.

Was meinst du mit bekräftigten?

Die meisten Interpretationen sind agnostisch bzgl. einer Ontologie. Nach Everett et al. haben wir zumindest eine Aussage zur Ontologie. Und ja, das ist Metaphysik.

Qubit hat Folgendes geschrieben:
Insbesondere treten in allen Interpretationen von Quantensystemen Zufälle von Messungen auf, die sich weder rein realistisch, noch nach neueren Messungen lokal interpretieren lassen. Zufall und Nichtlokalität sind letztlich Eigenschaften von Messungen an QM-Systemen, die alle Interpretationen betreffen.

Jedoch in völlig verschiedener Weise.

Während nach Bohr, von Neumann et al. der Zufall Bestandteil der Axiome und sozusagen fundamental ist - das Verhalten eines Quantensystems im Rahmen einer Messung erscheint zufällig, bieten andere Interpretationen völlig andere Sichtweisen an.

Nach Everett ist das Verhalten eines einzelnen Quantensystems deterministisch, erscheint jedoch im Zuge einer Messung stochastisch - was zu begründen ist (s.o.).

Nach deBroglie-Bohm ist das Verhalten eines einzelnen Quantensystems deterministisch, im Zuge der Beobachtung eines Teilchens als Teil eines Ensemble erscheint sie jedoch stochastisch - letztlich ähnlich wie in der klassischen statistischen Mechanik. Diese Interpretationen kann aber nicht vernünftig auf die Quantenfeldtheorie übertragen werden und ist m.M.n. nicht wirklich tragfähig.

Die Ensemble-Interpretationen ist bzgl. eines einzelnen Quantensystems völlig agnostisch; das Verhalten - als Teil eines Ensembles - erscheint sochastisch.

Zur Nicht-Lokalität: nach Everett kann die Entstehung sowie der Zerfall des ausgedehnten, verschränkten Systems lokal interpretiert werden; die Zeitentwicklung des Zustandes ist - im Kontext einer Lorentz-kovarianten Theorie - rein lokal.

Qubit hat Folgendes geschrieben:
Diese kann man m.E. erst dann erwarten, wenn wir wirklich verstanden haben, wie QM mit Raum-Zeit zusammenhängt ... ich sehe die Probleme der Interpretationen der QM nicht rein in ihrem Formalismus, sondern darin, dass wir ihren Zusammenhang mit der Raumzeit noch nicht wirklich verstanden haben. Solange die Formulierung der QM in diesem Sinne nicht abgeschlossen ist, sollte wir vorsichtig mit ontologischen Interpretationen sein.

Das ist ein sehr valider Einwand.

Dazu gibt es letztlich zwei konkurrierende - und heute keineswegs umfassend verstandene - Sichtweisen:
1) Quantisierung der Raumzeit (Strings, LQG, ...)
2) Emergente Raumzeit
In beiden Fällen bleiben die wesentlichen Aussagen der Everettsche Quantenmechanik bzgl. Determinismus und Lokalität gültig. Auf der ontologischen Ebene liegt es aber natürlich schon ein gewaltiger Unterschied ;-)

Ich habe mich länger und durchaus intensiv mit einigen Vertretern von (1) befasst. Über die Everettsche Quantenmechanik bin ich dann auf (2) gestoßen. Ist für mich ggw. die interessanteste Forschungsrichtung überhaupt.
Qubit
BeitragVerfasst am: 15. Nov 2019 01:29    Titel:

Qubit hat Folgendes geschrieben:
TomS hat Folgendes geschrieben:
Ich versuche gerade, mir hier ein Bild zu machen:

https://arxiv.org/abs/1405.7907
Many Worlds, the Born Rule, and Self-Locating Uncertainty
Sean M. Carroll, Charles T. Sebens
(Submitted on 30 May 2014 (v1), last revised 25 Mar 2015 (this version, v3))
We provide a derivation of the Born Rule in the context of the Everett (Many-Worlds) approach to quantum mechanics. Our argument is based on the idea of self-locating uncertainty: in the period between the wave function branching via decoherence and an observer registering the outcome of the measurement, that observer can know the state of the universe precisely without knowing which branch they are on. We show that there is a uniquely rational way to apportion credence in such cases, which leads directly to the Born Rule. Our analysis generalizes straightforwardly to cases of combined classical and quantum self-locating uncertainty, as in the cosmological multiverse.


Okay, um eines voraus zu schicken:
ich bin erstmal vorurteilsfrei gegenüber allen Interpretationen der QM.
Aber ich habe da auch das Problem, was alle haben. Jede Interpretation über den Formalismus der QM hinaus ist erstmal Metaphysik in dem Sinne, dass keine Interpretation (oder Umformulierung) der QM eine Begründung einer weitergehenden Ontologie mit Vorhersagen bekräftigen könnte.
Insbesondere treten in allen Interpretationen von Quantensystemen Zufälle von Messungen auf, die sich weder rein realistisch, noch nach neueren Messungen lokal interpretieren lassen. Zufall und Nichtlokalität sind letztlich Eigenschaften von Messungen an QM-Systemen, die alle Interpretationen betreffen. Sie sollten hierfür aber wenigstens eine Erklärung liefern können.
Ich denke des weiteren, dass die QM in ihren jetzigen Formulierungen dafür keine Kriterien liefert. Diese kann man m.E. erst dann erwarten, wenn wir wirklich verstanden haben, wie QM mit Raum-Zeit zusammenhängt. Das wird sich aber wohl erst mit einer validierbaren Quantentheorie der Gravitation, sprich Raumzeit, erweisen. Sie wird die QM nicht zu einer klassischen Theorie machen, aber sie wird Zufall und Nichtlokalität begründen können. Oder anders formuliert, ich sehe die Probleme der Interpretationen der QM nicht rein in ihrem Formalismus, sondern darin, dass wir ihren Zusammenhang mit der Raumzeit noch nicht wirklich verstanden haben. Solange die Formulierung der QM in diesem Sinne nicht abgeschlossen ist, sollte wir vorsichtig mit ontologischen Interpretationen sein.
Es wäre wohl fatal, zu meinen, dass wir die Welt schon soweit verstehen, dass wir uns ein endgültiges Bild über sie machen könnten. Bis dahin, bevor man valide Erklärungen hat, sollte man Zufall und Nichtlokalität erstmal so hinnehmen. Aber es gibt ontologische Erklärungen dafür, da bin ich mir sicher. ;-)


Konkret sollten sich dann zB. folgende Fragen beantworten lassen:
Realismus
Realisiert ein QM-Sytem alle möglichen Zustände, aus denen dann eine Messung (nach Wahrscheinlichkeit) einen selektiert oder existieren die Zustände erst, indem die Messung genau einen (nach Wahrscheinlichkeit) determiniert.

Nichtlokalität
Herrscht Verschränkung in Raumzeit, ist also ein QM-System in diesem Sinne raumzeitlich ausgedehnt oder ist die Verschränkung jenseits der Raumzeit. Aber was bedeutet dies dann konkret?

So lassen sich dann vielleicht konkrete Fragen beantworten, die mit Antworten einer erweiterten Theorie eine Ontologie erlauben.
Qubit
BeitragVerfasst am: 15. Nov 2019 00:32    Titel:

TomS hat Folgendes geschrieben:
Ich versuche gerade, mir hier ein Bild zu machen:

https://arxiv.org/abs/1405.7907
Many Worlds, the Born Rule, and Self-Locating Uncertainty
Sean M. Carroll, Charles T. Sebens
(Submitted on 30 May 2014 (v1), last revised 25 Mar 2015 (this version, v3))
We provide a derivation of the Born Rule in the context of the Everett (Many-Worlds) approach to quantum mechanics. Our argument is based on the idea of self-locating uncertainty: in the period between the wave function branching via decoherence and an observer registering the outcome of the measurement, that observer can know the state of the universe precisely without knowing which branch they are on. We show that there is a uniquely rational way to apportion credence in such cases, which leads directly to the Born Rule. Our analysis generalizes straightforwardly to cases of combined classical and quantum self-locating uncertainty, as in the cosmological multiverse.


Okay, um eines voraus zu schicken:
ich bin erstmal vorurteilsfrei gegenüber allen Interpretationen der QM.
Aber ich habe da auch das Problem, was alle haben. Jede Interpretation über den Formalismus der QM hinaus ist erstmal Metaphysik in dem Sinne, dass keine Interpretation (oder Umformulierung) der QM eine Begründung einer weitergehenden Ontologie mit Vorhersagen bekräftigen könnte.
Insbesondere treten in allen Interpretationen von Quantensystemen Zufälle von Messungen auf, die sich weder rein realistisch, noch nach neueren Messungen lokal interpretieren lassen. Zufall und Nichtlokalität sind letztlich Eigenschaften von Messungen an QM-Systemen, die alle Interpretationen betreffen. Sie sollten hierfür aber wenigstens eine Erklärung liefern können.
Ich denke des weiteren, dass die QM in ihren jetzigen Formulierungen dafür keine Kriterien liefert. Diese kann man m.E. erst dann erwarten, wenn wir wirklich verstanden haben, wie QM mit Raum-Zeit zusammenhängt. Das wird sich aber wohl erst mit einer validierbaren Quantentheorie der Gravitation, sprich Raumzeit, erweisen. Sie wird die QM nicht zu einer klassischen Theorie machen, aber sie wird Zufall und Nichtlokalität begründen können. Oder anders formuliert, ich sehe die Probleme der Interpretationen der QM nicht rein in ihrem Formalismus, sondern darin, dass wir ihren Zusammenhang mit der Raumzeit noch nicht wirklich verstanden haben. Solange die Formulierung der QM in diesem Sinne nicht abgeschlossen ist, sollte wir vorsichtig mit ontologischen Interpretationen sein.
Es wäre wohl fatal, zu meinen, dass wir die Welt schon soweit verstehen, dass wir uns ein endgültiges Bild über sie machen könnten. Bis dahin, bevor man valide Erklärungen hat, sollte man Zufall und Nichtlokalität erstmal so hinnehmen. Aber es gibt ontologische Erklärungen dafür, da bin ich mir sicher. ;-)
TomS
BeitragVerfasst am: 14. Nov 2019 23:39    Titel:

Ich versuche gerade, mir hier ein Bild zu machen:

https://arxiv.org/abs/1405.7907
Many Worlds, the Born Rule, and Self-Locating Uncertainty
Sean M. Carroll, Charles T. Sebens
(Submitted on 30 May 2014 (v1), last revised 25 Mar 2015 (this version, v3))
We provide a derivation of the Born Rule in the context of the Everett (Many-Worlds) approach to quantum mechanics. Our argument is based on the idea of self-locating uncertainty: in the period between the wave function branching via decoherence and an observer registering the outcome of the measurement, that observer can know the state of the universe precisely without knowing which branch they are on. We show that there is a uniquely rational way to apportion credence in such cases, which leads directly to the Born Rule. Our analysis generalizes straightforwardly to cases of combined classical and quantum self-locating uncertainty, as in the cosmological multiverse.
Qubit
BeitragVerfasst am: 14. Nov 2019 23:34    Titel:

Okay, bevor ich darauf näher eingehe, eine Frage:
was bestimmt nach dieser, deiner Interpretation nach den Zufall der Messungen an einem quantenmechanischen System?
TomS
BeitragVerfasst am: 14. Nov 2019 23:21    Titel:

Sie stellt die einzige - mir bekannte - realistische Theorie beziehungsweise Interpretation der Quantenmechanik dar, die tatsächlich über einen platten Instrumentalismus hinausgeht und eine Ontologie liefert. Das ist - wenn du dir die wesentlichen Vertreter ansiehst - das eigentlich verbindende Element und das gemeinsame Interesse: Sie erklärt konkret, was bei einer Messung tatsächlich stattfindet: die Verschränkung eines Quantensystems mit den Freiheitsgraden des Messgerätes und der Umgebung entsprechend der Dekohärenz und unter strikter Berücksichtigung der unitären Zeitentwicklung gemäß der Schrödinger Gleichung.

Damit beansprucht sie eine wesentlich höhere Erklärungskraft als alle anderen Interpretationen.

Es existieren wesentliche Kritikpunkte, an denen jedoch gearbeitet wird - und insbesondere gearbeitet werden kann. Im Gegensatz dazu liefern andere Interpretationen, die auf rein epistemischer Ebene bleiben und eine realistische bzw. ontologische Sichtweise ablehnen (müssen), naturgemäß keine Erklärung.

Zusammenfassend: Die Everettsche Quantenmechanik versucht zu erklären und zu verstehen, wo andere Interpretationen - in der Nachfolge der Bohrschen Dogmatik - jegliche Erklärung und jegliches mögliche Verständnis verneinen. Damit ist sie zwar noch nicht richtig jedoch wenigstens ambitioniert.

Ich persönlich kann auch keinen prinzipiellen Grund erkennen, warum sie falsch sein sollte.
Qubit
BeitragVerfasst am: 14. Nov 2019 23:04    Titel:

TomS hat Folgendes geschrieben:
Sorry, das klingt nach Dogmatik oder Glaube, jedoch nicht nach fundierter Diskussion der Theorie.

Du hast dich wohl oberflächlich mit dem Gehalt der Everettschen Quantenmechanik befasst, dir jedoch bereits eine Meinung dazu gebildet. Wie gesagt, die Theorie ist nicht unumstritten, allerdings sollte man sich zunächst eingehend mit ihr befasst haben.

Ich denke nicht, dass uns das hier weiter bringt.


Inwiefern bringt sie denn dich persönlich weiter?
TomS
BeitragVerfasst am: 14. Nov 2019 22:53    Titel:

Sorry, das klingt nach Dogmatik oder Glaube, jedoch nicht nach fundierter Diskussion der Theorie.

Du hast dich wohl oberflächlich mit dem Gehalt der Everettschen Quantenmechanik befasst, dir jedoch bereits eine Meinung dazu gebildet. Wie gesagt, die Theorie ist nicht unumstritten, allerdings sollte man sich zunächst eingehend mit ihr befasst haben.

Ich denke nicht, dass uns das hier weiter bringt.
Qubit
BeitragVerfasst am: 14. Nov 2019 22:32    Titel:

TomS hat Folgendes geschrieben:
Sie hat einen „realistischen Anspruch“, d.h. sie sagt aus, was auf fundamentaler Ebene tatsächlich geschieht, sie ist deterministisch, und sie erlaubt eine kausale Beschreibung der Verzweigung und damit des „Zerfalls“ eines verschränkten Systems.


Für mich ist das die Anrufung einer "Geisterwelt", Aberglaube, eine Welt, die kausal nicht (mehr) mit unserer zusammenhängt. Selbst wenn es so wäre, wieso landen wir dann in dem Zweig der Realität, den wir messen?
Eine solche Metaphysik verdunkelt letztlich nur die Antworten, anstatt die Erfahrungen eines Beobachters zu erhellen. Man sollte Realität nicht nur aus einem Formalismus heraus festlegen. Die Bescheidenheit gebietet den entgegengesetzen Weg.;-)
TomS
BeitragVerfasst am: 14. Nov 2019 22:15    Titel:

Sie hat einen „realistischen Anspruch“, d.h. sie sagt aus, was auf fundamentaler Ebene tatsächlich geschieht, sie ist deterministisch, und sie erlaubt eine kausale Beschreibung der Verzweigung und damit des „Zerfalls“ eines verschränkten Systems.
Qubit
BeitragVerfasst am: 14. Nov 2019 22:09    Titel:

TomS hat Folgendes geschrieben:
Qubit hat Folgendes geschrieben:
In der Quantenmechanik gibt es keine "reale" Theorie in dem Sinne, dass alle raumzeitlichen Zustände deterministisch beschrieben werden könnten.

Doch, es gibt eine derartige Theorie - die Everettsche Quantenmechanik in moderner Prägung unter Berücksichtigung der Dekohärenz. Mir ist jedoch klar, dass die Everettsche Quantenmechanik nicht um umstritten ist.


Was meinst du damit? Die Viele-Welten-Interpretation?
Aus Sicht des "Beobachters" ändert sie aber rein gar nichts an seiner Vorhersage. Sie sagt rein gar nichts aus, warum du misst, was du misst. ;-)

Das definiert auch keine Ontologie für den Beobachter, das ist reine Mataphysik.
TomS
BeitragVerfasst am: 14. Nov 2019 21:56    Titel:

Qubit hat Folgendes geschrieben:
In der Quantenmechanik gibt es keine "reale" Theorie in dem Sinne, dass alle raumzeitlichen Zustände deterministisch beschrieben werden könnten.

Doch, es gibt eine derartige Theorie - die Everettsche Quantenmechanik in moderner Prägung unter Berücksichtigung der Dekohärenz. Mir ist jedoch klar, dass die Everettsche Quantenmechanik nicht um umstritten ist.
TomS
BeitragVerfasst am: 14. Nov 2019 21:40    Titel:

Bernd Stein hat Folgendes geschrieben:
Tatsache ist, daß Deine Erklärungsstrategie irgendwann scheitern muss, weil irgendwann musst Du konkrete Aussagen machen über das, was tatsächlich geschieht ...

Viele Physiker würden dir hier widersprechen.

Aber wer sagt denn, dass ich das nicht kann?

Bernd Stein hat Folgendes geschrieben:
... nämlich dass zwei konkrete definierte Eigenschaften (Spin in x-Richtung) zweier konkreter teilchenhafter Quantenobjekte (Elektronen, Lichtquanten) über konkrete große Entfernungen korreliert sind, und die Korrelation klassisch unerklärlich ist. Das ist ein sehr weitreichende Aussage über eine konkrete Ontologie ...

Ja, aber über die falsche.

Die Quantenmechanik trifft zunächst eine zentrale ontologische Aussage, nämlich dass die klassische Ontologie mit lokalisierten, eigenschaften-behafteten Objekten falsch sein muss, weil diese Annahmen zwingend zu Aussagen führen, die den quantenmechanischen Gleichungen und den experimentellen Beobachtungen widersprechen

https://en.m.wikipedia.org/wiki/Bell%27s_theorem
https://en.m.wikipedia.org/wiki/Kochen%E2%80%93Specker_theorem

Bernd Stein hat Folgendes geschrieben:
Du macht Aussagen über die Art der Objekte, Spin, Ort, Meßwerte

Wenn du präzise sein möchtest, sind dies allesamt keine Elemente der fundamentalen Ontologie - wenn du überhaupt eine haben möchtest, wobei dir viele Physiker widersprechen würden.

Bernd Stein hat Folgendes geschrieben:
Du beschreibst die Welt wie sie ist, und sagst uns, sie ist nicht lokal. Da mußt Du irgendwann von der Mathematik weit weggehen.

Die meisten Physiker beschreiben die Welt nicht, wie sie ist. Sie nutzen einen mathematischen Formalismus in einer instrumentalistischen - d.h. nicht-ontologischen - Weise und leiten daraus beobachtbare Phänomene ab.

Bernd Stein hat Folgendes geschrieben:
Probleme dieser Art sind in der Physik ja nicht neu ... Wie die Physik diese Probleme gelöst hat, es ist sogar eine großartige Lösung ...

Doch, die Probleme der Quantenmechanik sind neu - man kann von einem Paradigmenwechsel sprechen. Die Quantenmechanik ist nicht in den Kategorien formulierbar, die wir auf der phänomenologischen Ebene verwenden. Und umgekehrt kann aus der Formulierung und den Kategorien der Quantenmechanik die phänomenologische Ebene nicht vollumfänglich abgeleitet werden. Die orthodoxen Interpretation der Quantenmechanik verwendet die Begriff „Messung“ oder „Beobachtung“, ohne diese erklären zu können. Mit Bohr u.a. wurde dies praktisch zu einem Dogma erhoben, was bis heute dazu führt, das sich fast niemand mit der ontologischen Ebene der Quantenmechanik befasst.

(zur Ausnahme später)

Bernd Stein hat Folgendes geschrieben:
wir fragen nicht weiter nach der Ontologie ... wir konzentrieren uns auf den Funktionalismus oder Instrumentalismus – dass hier eine weitreichende ontologische Aussage gemacht wird, die jeder Anschauung und Logik widerspricht, wird einfach von der Physik in den Raum gestellt

Das mag letztlich an der unpräzisen Sprache liegen.

Wichtig ist, dass die Quantenmechanik eine Art negative Ontologie mitbringt: sie sagt, wie die Dinge nicht sind.

Bernd Stein hat Folgendes geschrieben:
Aber es ist eben die Aufgabe der Physik als fundamentaler Wissenschaft, die Probleme, die sie mit der Ontologie hat, nicht immer weiter zu verschärfen ... Es ist ihre Aufgabe, herauszufinden, aus was die Welt wirklich besteht, und nicht immer so zu tun, als bestünde sie aus mathematischen Konstruktionen, auch wenn sie (noch) damit gut fährt. Sie wird ihrem Erkenntnisanspruch so nicht gerecht.

Dass sich Physiker mit Ontologie befassen sollten, würden viele Physiker vehement bestreitet.

(zur Ausnahme später)

Bernd Stein hat Folgendes geschrieben:
Konsequenterweise müßte ich dann als Professor vor der Apparatur stehend den Studenten sagen: darin befinden sich Quantenobjekte, und diese real vorhanden Objekte werden von der Theorie nicht beschrieben, wir haben keine Theorie, die sie beschreibt. Das wäre konsequent.

Ja, das wäre konsequent.

Bernd Stein hat Folgendes geschrieben:
Oder ich sage, darin befinden sich Quantenobjekte in einem Zustand, der mit bestimmten Vektoren in einem vieldimensionalen Raum „irgendeine“ Entsprechung hat. Diese Vektoren beschreiben den Realzustand aber nicht. Operationen in diesem Raum (Projektionen) erlauben die Vorhersage eines Messwertes, mehr nicht. Wie dieser Zustand ontologisch beschaffen ist, wissen wir nicht.

Ja, auch das wäre konsequent.

Und es gibt nicht wenige Physiker, die das so vertreten.

Bernd Stein hat Folgendes geschrieben:
Da sprichst sehr konkret von einem „verschränkten“ Quantenzustand bestehend aus zwei Objekten. Der Zustand ist sogar „definiert“, sollte also definierte Eigenschaften haben, während die Teilobjekte diese Eigenschaften nicht haben (gar nicht besitzen !).

Tue ich das? Dann ist das missverständlich oder unpräzise.

Fakt ist, dass ich dem Gesamtsystem eine Eigenschaft „Spin“ widerspruchsfrei zuweisen kann, ein einzelnen Quantenobjekten jedoch nicht. Fakt ist auch, dass man ein Quantenobjekt nicht mit einem klassisch kategorisierbaren Objekt verwechseln darf.

Bernd Stein hat Folgendes geschrieben:
Du mußt zugeben, dass eine solche Beschreibung Lücken enthält ...

Ja.

Bernd Stein hat Folgendes geschrieben:
Wäre es nicht an der Zeit, einmal grundsätzlich zu überlegen, ob die Theorie nicht etwas ganz anders aussagt ...

Ja.

(und jetzt zur Ausnahme)

TomS hat Folgendes geschrieben:
So wie ich dich verstehe, erscheint dir diese Beschreibung der Messung [und der Ontologie] unzureichend; da bist du nicht alleine - siehe auch meine Signatur ... die Viele-Welten-Theorie liefert ein realistisches Modell der Dynamik der Messung und des Zerfalls der Verschränkung [und eine Ontologie]. Das Fass möchte ich jedoch nicht aufmachen ...
Qubit
BeitragVerfasst am: 14. Nov 2019 20:46    Titel:

Bernd Stein hat Folgendes geschrieben:
Hallo TomS,

wir verstehen uns nicht wirklich, weil wir das Problem der Verschränkung und Meßwert-Korrelation auf verschiedene Weise betrachten. Du zeigst auf, was aus dem mathematischen Formalismus an Aussagen über die Ontologie, bzw. das reale Etwas, womit die mathematischen Größen korrelieren, gerade noch widerspruchsfrei ableitbar ist, und Du bleibst dabei ganz nah an der Mathematik.


In der Quantenmechanik gibt es keine "reale" Theorie in dem Sinne, dass alle raumzeitlichen Zustände deterministisch beschrieben werden könnten.
Der Ort ist eine stochastische Observable, die Zeit korreliert mit einem Beobachter. Aber man sollte verstehen, dass die QM vom Wesen her keine raumzeitliche Theorie ist.
Verschränkung und Nichtlokalität ist in diesem Sinne der "Grundzustand" aller quantenmechanischer Theorien.
Bernd Stein
BeitragVerfasst am: 14. Nov 2019 20:14    Titel:

Hallo TomS,

wir verstehen uns nicht wirklich, weil wir das Problem der Verschränkung und Meßwert-Korrelation auf verschiedene Weise betrachten. Du zeigst auf, was aus dem mathematischen Formalismus an Aussagen über die Ontologie, bzw. das reale Etwas, womit die mathematischen Größen korrelieren, gerade noch widerspruchsfrei ableitbar ist, und Du bleibst dabei ganz nah an der Mathematik.

Mir ist der mathematische Formalismus weniger wichtig, ich überlege, was in der Apparatur tatsächlich geschieht, und ob plausible und logische Ableitungen aus der Theorie insgesamt zu logischen Widersprüchen führen oder nicht.

Tatsache ist, daß Deine Erklärungsstrategie irgendwann scheitern muss, weil irgendwann musst Du konkrete Aussagen machen über das, was tatsächlich geschieht, nämlich dass zwei konkrete definierte Eigenschaften (Spin in x-Richtung) zweier konkreter teilchenhafter Quantenobjekte (Elektronen, Lichtquanten) über konkrete große Entfernungen korreliert sind, und die Korrelation klassisch unerklärlich ist. Das ist ein sehr weitreichende Aussage über eine konkrete Ontologie, Du macht Aussagen über die Art der Objekte, Spin, Ort, Meßwerte, Du beschreibst die Welt wie sie ist, und sagst uns, sie ist nicht lokal. Da mußt Du irgendwann von der Mathematik weit weggehen.

Probleme dieser Art sind in der Physik ja nicht neu. Als Faraday herausfand, daß sich im Raum Kräfte bereithalten, um auf einen elektrisch geladenen Gegenstand einzuwirken, sobald dieser vorhanden ist, hat er Feldlinien konstruiert, und alles Mögliche, weil das klassischen Vorstellungen widersprach. Schließlich gab es da auch eine Nichtlokalität, eine Fernwirkung, die sich instantan aufbaute, sobald der Gegenstand „bemerkte“, dass da ein Probekörper vorhanden war, oder unsichtbare Kräfte, die immer da waren, jedenfalls gab es etwas, das klassisch nicht erklärbar war. Man hat dann den Feldbegriff erfunden, der so super praktikabel war, dass man dann einfach so getan hat, als gäbe es das Feld in der Realität tatsächlich, obwohl jeder weiss, dass es nur ein mathematisches Artefakt ist. Nein noch schlimmer, aus Sicht der Physik ist die mathematische Konstruktion in der Realität (einer Apparatur) sogar kausal wirksam, jeder Logik zum Trotz. Ähnliches ist mit dem Äther passiert, bis heute weiß kein Mensch, wie es eine „Welle“ ohne Träger geben kann, was dazu geführt hat, dass der ontologische Status der Strahlung vollkommen unbekannt geblieben ist. Ich bedauere diese ganze Sichtweise auf die Ontologie dieser Welt überhaupt nicht, es ist vollkommen ok. wie die Physik diese Probleme gelöst hat, es ist sogar eine großartige Lösung, nur könnte es doch sein, das die ganze Debatte um die Nichtlokalität genauso endet, wie die Debatten um das Feld und den Äther: wir fragen nicht weiter nach der Ontologie, wir tun einfach so, als gäbe es das Problem garnicht, wir konzentrieren uns auf den Funktionalismus oder Instrumentalismus, wie Du das nennst, und gut ist – dass hier eine weitreichende ontologische Aussage gemacht wird, die jeder Anschauung und Logik widerspricht, wird einfach von der Physik in den Raum gestellt, was solls !

Aber es ist eben die Aufgabe der Physik als fundamentaler Wissenschaft, die Probleme, die sie mit der Ontologie hat, nicht immer weiter zu verschärfen, oder auf die lange Bank zu schieben. Das wird ihr irgendwann ganz böse auf die Füße fallen. Es ist ihre Aufgabe, herauszufinden, aus was die Welt wirklich besteht, und nicht immer so zu tun, als bestünde sie aus mathematischen Konstruktionen, auch wenn sie (noch) damit gut fährt. Sie wird ihrem Erkenntnisanspruch so nicht gerecht.

Ich weiß doch auch, daß die orthodoxe Interpretation der Theorie keine Aussage über den ontologischen Status der Objekte macht, die von den Wellenfunktionen oder Vektoren im Hilbertraum beschrieben werden. Konsequenterweise müßte ich dann als Professor vor der Apparatur stehend den Studenten sagen: darin befinden sich Quantenobjekte, und diese real vorhanden Objekte werden von der Theorie nicht beschrieben, wir haben keine Theorie, die sie beschreibt. Das wäre konsequent. Oder ich sage, darin befinden sich Quantenobjekte in einem Zustand, der mit bestimmten Vektoren in einem vieldimensionalen Raum „irgendeine“ Entsprechung hat. Diese Vektoren beschreiben den Realzustand aber nicht. Operationen in diesem Raum (Projektionen) erlauben die Vorhersage eines Messwertes, mehr nicht. Wie dieser Zustand ontologisch beschaffen ist, wissen wir nicht.

Das passiert aber nicht. Da sprichst sehr konkret von einem „verschränkten“ Quantenzustand bestehend aus zwei Objekten. Der Zustand ist sogar „definiert“, sollte also definierte Eigenschaften haben, während die Teilobjekte diese Eigenschaften nicht haben (gar nicht besitzen !). Dann misst Du eine Eigenschaft, und zwar seltsamerweise nicht eine des verschränkten Zustandes (des einzigen Zustandes, der vorhanden ist) sondern die eines der Teilobjekte, und dann noch eine, die das Teilobjekt gar nicht besitzt. Nach der Messung hat das Teilobjekt eine der gemessenen Eigenschaften angenommen (in seinen Besitz gebracht), und Du sagst uns (richtigerweise), na ja wie das passiert, darüber haben wir keine Theorie. Du mußt zugeben, dass eine solche Beschreibung Lücken, Widersprüchlichkeiten und Inkonsistenzen enthält, und wenn eben nur das und nichts anderes aus der Theorie herausgelesen werden kann, dann muss die Bemerkung erlaubt sein, dass die Theorie möglicherweise falsch interpretiert wird. Und das ist ja erst der Anfang, solche Schlußfolgerungen aus dem mathematischen Formalismus sind ja die Grundlage für die Behauptung, die Welt sei nichtlokal. Wie kann man zu diesem Schluß kommen, wenn schon an der Wurzel Unverständlichkeiten regieren. Und dabei habe ich das Problem der fehlenden Ortszustände noch gar nicht angesprochen.

Wäre es nicht an der Zeit, einmal grundsätzlich zu überlegen, ob die Theorie nicht etwas ganz anders aussagt, als das, was in der Physik gängigerweise angenommen wird ?

Sorry, ist jetzt etwas länger geworden und schnell dahingeschrieben, ich hoffe, Du versteht, was ich meine.

Bernd
TomS
BeitragVerfasst am: 12. Nov 2019 21:31    Titel:

Zu deiner obigen Kritik, die Frage nach der Ontologie werde nirgendwo diskutiert. Du hast völlig recht, und das hat einen einfachen Grund: die orthodoxe Interpretation kann dies nicht widerspruchsfrei leisten.

Quantensysteme wechselwirken nach den in der Schrödingergleichung kodierten Regeln, d.h. entsprechend den im Hamiltonoperator enthaltenen Wechselwirkungstermen. Ein Messgerät ist nach den Regeln der Quantenmechanik konstruiert. Sobald jedoch eine Messung stattfindet, muss - gemäß des o.g. Formalismus - für den Zustand des zu messenden Systems eine Projektion stattfinden; diese Projektion widerspricht jedoch der Dynamik der Schrödingergleichung.

Betrachten wir den Messprozess nach von Neumann. Eine Messung bedeutet, dass der Zustand eines Quantensystems dem Messgerät - speziell dem Zeigerzustand Z - eingeprägt und von diesem angezeigt wird. Seien für eine Observable A die möglichen Messwerte a_1, a_2, ... gegeben.

Falls ein Eigenzustand vorliegt, entspricht der Messwert sicher dem Eigenwert, d.h.



Falls dagegen ein Superpositionszustand vorliegt, gilt im Falle einer linearen Entwicklung



Nun wird jedoch nie ein derartiger makroskopischer Superpositionszustand beobachtet. Von Neumann löst dies mittels des Projektionspostulates (sowie der Bornschen Regel), d.h. mittels



für ein spezielles k - entsprechend des Messwertes.

Diese Projektion ist jedoch im Gegensatz zu den anderen Postulaten der Quantenmechanik nicht linear und insbs. nicht unitär.

Demnach kann dieser Beschreibung des Messprozesses nicht der selbe (ontologische) Status wie der Beschreibung der Wechselwirkung ohne Messung zukommen.

Ich denke, dies ist heute allgemein akzeptiert: eine Kollapsinterpretation kann nicht ontologisch aufgefasst werden (für Instrumentalisten ist dies kein Problem).

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