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[quote="PcIv"][quote="TomS"] In der klassischen Mechanik ist jedes "physikalisch vernünftige" System exakt und eindeutig deterministisch, wenn es i) mittels einer Hamiltonfunktion H(x,p) beschreibbar ist und wenn ... [/quote] Ist das Doppelpendel/Dreikörperproblem mit einer Hamiltonfunktion beschreibar? Gilt der Umkehrschluss "Ein System ist nicht deterministisch, wenn es nicht mit einer Hamiltonfunktion beschreibbar ist"?[/quote]
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jh8979
Verfasst am: 11. Mai 2016 14:52
Titel:
PcIv hat Folgendes geschrieben:
Aber die Aussage dieses Absatzes ist ja nur:
Der Dämon kann nicht mal Trajektorien in einem System mit 3 Körpern im einfachen Modell der Newtonschen Mechanik exakt berechnen. Und vor allem: Dies sei mathematisch bewiesen.
Ich denke nicht, dass das bewiesen ist. Insbesondere existieren Lösungen als unendliche Reihen.
https://en.wikipedia.org/wiki/Three-body_problem#Sundman.27s_theorem
Die genaue Aussage, die bewiesen wurde ist folgende
Stephen Wolfram hat Folgendes geschrieben:
From its basic setup the three-body system conserves standard mechanical quantities like energy and angular momentum. But it was thought it might also conserve other quantities (or so-called integrals of the motion). In 1887, however, Heinrich Bruns showed that there could be no such quantities expressible as algebraic functions of the positions and velocities of the bodies (in standard Cartesian coordinates). In the mid-1890s Henri Poincaré then showed that there could also be no such quantities analytic in positions, velocities and mass ratios. And from these results the conclusion was drawn that the three-body problem could not be solved in terms of algebraic formulas and integrals. In 1912 Karl Sundman did however find an infinite series that could in principle be summed to give the solution - but which converges exceptionally slowly. And even now it remains conceivable that the three-body problem could be solved in terms of more sophisticated standard mathematical functions. But I strongly suspect that in fact nothing like this will ever be possible and that instead the three-body problem will turn out to show the phenomenon of computational irreducibility discussed in Chapter 12 (and that for example three-body systems are universal and in effect able to perform any computation).
(aus: Stephen Wolfram, A New Kind of Science)
TomS
Verfasst am: 11. Mai 2016 14:48
Titel:
PcIv hat Folgendes geschrieben:
"Schon vor 1888 vermutete man, und seit den entsprechenden Arbeiten von Henri Poincaré und Heinrich Bruns weiß man, dass Differentialgleichungssysteme, die eine Bewegung von auch nur drei Körpern beschreiben, nicht mehr geschlossen integriert werden können und daher nur in Sonderfällen analytisch lösbar sind. Der Dämon ist also aus rein mathematischen Gründen nicht in der Lage, „seine Kenntnisse der Analyse zu unterwerfen“. Er kann allenfalls Näherungslösungen finden, die mit fortschreitender Zeit immer aufwändigere Berechnungen oder neue Messungen benötigten. Das gilt sowohl für das Berechnen der Zukunft wie auch der Vergangenheit. Dieser Einwand ist grundlegend mathematischer Natur."
Das passt.
Damit ist das System an sich
prinzipiell
deterministisch, jedoch
praktisch
nur näherungsweise lösbar; die Einschränkung ist also in
unserem
Lösungsverfahren begründet, oder in
unserer
ungenauen Kenntnis der Anfangsbedingungen; es handelt sich nicht um eine Eigenschaft des
Systems
.
Demgegenüber wäre der Indeterminismus der Quantenmechanik
prinzipieller
Natur. Wir können den Quantenzustand zunächst mathematisch exakt berechnen, dennoch verhält sich das System im Zuge einer Messung stochastisch.
PcIv
Verfasst am: 11. Mai 2016 14:31
Titel:
Danke Tom,
Kannst du vielleicht noch dazu Stellung beziehen:
"Schon vor 1888 vermutete man, und seit den entsprechenden Arbeiten von Henri Poincaré und Heinrich Bruns weiß man, dass Differentialgleichungssysteme, die eine Bewegung von auch nur drei Körpern beschreiben, nicht mehr geschlossen integriert werden können und daher nur in Sonderfällen analytisch lösbar sind. Der Dämon ist also aus rein mathematischen Gründen nicht in der Lage, „seine Kenntnisse der Analyse zu unterwerfen“. Er kann allenfalls Näherungslösungen finden, die mit fortschreitender Zeit immer aufwändigere Berechnungen oder neue Messungen benötigten. Das gilt sowohl für das Berechnen der Zukunft wie auch der Vergangenheit. Dieser Einwand ist grundlegend mathematischer Natur."
Ich weiß, dass der Laplacesche Dämon bei Berechnungen der phys. Wirklichkeit an ganz andere Grenzen stößt. Aber die Aussage dieses Absatzes ist ja nur:
Der Dämon kann nicht mal Trajektorien in einem System mit 3 Körpern im einfachen Modell der Newtonschen Mechanik exakt berechnen. Und vor allem: Dies sei mathematisch bewiesen.
Stimmt das? Oder stimmt vllt irgendwas an der Fragestellung an sich nicht?
TomS
Verfasst am: 11. Mai 2016 13:29
Titel:
PcIv hat Folgendes geschrieben:
TomS hat Folgendes geschrieben:
In der klassischen Mechanik ist jedes "physikalisch vernünftige" System exakt und eindeutig deterministisch, wenn es
i) mittels einer Hamiltonfunktion H(x,p) beschreibbar ist und wenn
...
Ist das Doppelpendel/Dreikörperproblem mit einer Hamiltonfunktion beschreibar?
Ja.
PcIv hat Folgendes geschrieben:
Gilt der Umkehrschluss "Ein System ist nicht deterministisch, wenn es nicht mit einer Hamiltonfunktion beschreibbar ist"?
Nein.
Wie man im o.g. Beispiel erkennt, ist die Hamiltonfunktion alleine nicht ausreichend. Man benötigt z.B. noch diese Lifschitz-Bedingung.
PcIv
Verfasst am: 11. Mai 2016 13:02
Titel:
TomS hat Folgendes geschrieben:
In der klassischen Mechanik ist jedes "physikalisch vernünftige" System exakt und eindeutig deterministisch, wenn es
i) mittels einer Hamiltonfunktion H(x,p) beschreibbar ist und wenn
...
Ist das Doppelpendel/Dreikörperproblem mit einer Hamiltonfunktion beschreibar?
Gilt der Umkehrschluss "Ein System ist nicht deterministisch, wenn es nicht mit einer Hamiltonfunktion beschreibbar ist"?
Upside down Quark
Verfasst am: 09. Mai 2016 22:23
Titel:
<ot>
Dennoch ist es durchaus interessant mathematische Neben-Ergebnisse zu betrachten. Schließlich gibt es viele Wissenschaftler (und Philosophen..), welche die Mathematik als Sprache der Natur auffassen, auch kam es nicht selten vor, dass erstmals sehr abstrakt scheinende math. Modelle schnell Anwendung in der Physik gefunden haben.
Beispielsweise bin ich kürzlich auf einen Artikel gestoßen (versuche akut ihn zu finden), der von einem Forscherteam berichtete, das sich mit einen Nebenprodukt der RT beschäftigt; es ging dabei um Teilchen, welche sich (stetig) mit Überlichtgeschwindigkeit bewegen und ganz anders mit der Raum-Zeit interagieren (villt. hat jmd von dem "Gegen-Telefon-Paradoxon" gehört). Die Existenz wurden damals (u.a. von Einstein selbst) auf theoretischer Ebene als unlogisch erklärt.
PS. Ich sollte erwähnen, dass es hauptsächlich um theoretische Folgen solcher Teilchen ging, nicht um dessen reale Existenz.
</ot>
TomS
Verfasst am: 09. Mai 2016 22:04
Titel:
Franz, das ist hier nicht der Punkt.
In der klassischen Mechanik ist jedes "physikalisch vernünftige" System exakt und eindeutig deterministisch, wenn es
i) mittels einer Hamiltonfunktion H(x,p) beschreibbar ist und wenn
ii) für einen Anfangszeitpunkt t=0 die Anfangsbedingungen x(t=0) und p(t=0)
exakt
bekannt sind.
Das von j8979 angeführte System erfüllt diese Bedingungen (i - ii), allerdings existieren zu
identischem
x(t≤0) und p(t≤0) zwei
verschiedene
Lösungen x(t>0) und p(t>0). D.h. es sieht so aus, als ob sich das System zu t=0 zufällig entscheiden könnte, welcher der beiden Lösungen es folgt.
M.E. liegt dies am pathologischen Verhalten für t=0; die DGL verletzt hier die Lipschitz-Stetigkeit, d.h. dass die Voraussetzungen des Satzes von Picard-Lindelöf nicht gegeben ist, und dass deswegen die Lösung der DGL mehrdeutig sein kann.
jh8979
Verfasst am: 09. Mai 2016 22:00
Titel:
franz hat Folgendes geschrieben:
Vorhersagbarkeit im strengen Sinne gibt es meines Erachtens nichtmal auf dem Papier. Mit jeder geringfügigen Unsicherheit der Anfangs- und Randbedingungen eines System wird es aus dem langfristig aus dem Ruder laufen; von realen Systemen ganz zu schweigen.
Also meine Pendeluhr läuft nicht aus dem Ruder selbst wenn ich sie leicht unterschiedlich anstoss...
franz
Verfasst am: 09. Mai 2016 21:32
Titel:
Vorhersagbarkeit im strengen Sinne gibt es meines Erachtens nichtmal auf dem Papier. Mit jeder geringfügigen Unsicherheit der Anfangs- und Randbedingungen eines System wird es aus dem langfristig aus dem Ruder laufen; von realen Systemen ganz zu schweigen.
jh8979
Verfasst am: 09. Mai 2016 21:18
Titel: Re: Determinismus und Vorhersagbarkeit
TomS hat Folgendes geschrieben:
jh8979 hat Folgendes geschrieben:
Denkst Du an sowas:
https://en.wikipedia.org/wiki/Norton%27s_dome
?
Das ist ein mathematisch pathologisches Problem; sollte man physikalisch nicht überbewerten, denn man schließt oft mathematisch korrekte Lösungen aus physikalischen Gründen aus.
Sicherlich. Ich denke allerdings, dass hier die Aufgabenstellung schon das Problem ist, nicht erst deren Lösung.
TomS
Verfasst am: 09. Mai 2016 21:15
Titel: Re: Determinismus und Vorhersagbarkeit
jh8979 hat Folgendes geschrieben:
PcIv hat Folgendes geschrieben:
Hat jemand vielleicht ein eindeutigeres Beispiel eines determionistischen Systems, dass
prinzipiell
nicht vorhersagbar ist?
Denkst Du an sowas:
https://en.wikipedia.org/wiki/Norton%27s_dome
?
Das ist ein mathematisch pathologisches Problem; sollte man physikalisch nicht überbewerten, denn man schließt oft mathematisch korrekte Lösungen aus physikalischen Gründen aus.
PcIv
Verfasst am: 09. Mai 2016 16:08
Titel:
Dann kann ich sagen:
Die Dynamik eines jeden deterministischen Differentialgleichungssystems ist theoretisch exakt vorhersagbar.
Bei manchen findet man nur keine einfache Darstellung der Lösung als Kombination von Elementarfunktionen.
Soll ich dann mal den Wikipediaartikel zum Laplaceschen Dämon hier korrigieren?
"Schon vor 1888 vermutete man, und seit den entsprechenden Arbeiten von Henri Poincaré und Heinrich Bruns weiß man, dass Differentialgleichungssysteme, die eine Bewegung von auch nur drei Körpern beschreiben, nicht mehr geschlossen integriert werden können und daher nur in Sonderfällen analytisch lösbar sind.
Der Dämon ist also aus rein mathematischen Gründen nicht in der Lage
, „seine Kenntnisse der Analyse zu unterwerfen“. Er kann allenfalls Näherungslösungen finden, die mit fortschreitender Zeit immer aufwändigere Berechnungen oder neue Messungen benötigten. Das gilt sowohl für das Berechnen der Zukunft wie auch der Vergangenheit. Dieser Einwand ist grundlegend mathematischer Natur."
Das ist ja dann Quatsch.
jh8979
Verfasst am: 09. Mai 2016 15:51
Titel:
In der Regel heisst "nicht analytisch lösbar" einfach "es gibt keine Lösung in der nur 'einfache' Funktionen auftauchen". Ob das nun bewiesen ist oder nicht bekannt ist dabei erstens meistens egal, und zweitens ist das Kriterium was eine "einfache" Funktion sein soll auch nicht wirklich scharf definiert.
Ist
analytisch lösbar? Ist es
? Beim ersten sagen wir in der Regel ja, weil die Lösungen e-Funktionen sind, die wir gut kennen. Beim zweiten meistens nein, da die Losungen Aira-Funktionen sind, die uns nicht so vertraut sind. Aber letztendlich sind beides nur Namen für Funktion, die bestimmte Eigenschaften haben.
PS: Ob das jetzt für das Doppelpendel bewiesen oder nur sehr wahrscheinlich ist, dass es keine "einfache" Lösung gibt, weiss ich allerdings nicht.
PcIv
Verfasst am: 09. Mai 2016 15:39
Titel:
Ah das Doppelpendel ist auch ein schönes Beispiel, danke!
Ist da auch bewiesen, dass "analytisch nicht lösbar" in dem Falle "
prinzipiell
analytisch nicht lösbar" bedeutet?
Oder heißt das nur "bisher ist niemand auf eine Lösung gekommen" oder "das ist so kompliziert da wird man wahrscheinlich auf keine Lösung kommen"?
Verstehst du den Unterschied, den ich meine?
jh8979
Verfasst am: 09. Mai 2016 15:28
Titel:
PcIv hat Folgendes geschrieben:
Ich suche eher nach einem System, dass sich bei gleichen Anfangsbedingungen immer gleich verhalten würde, man die zukünftigen Zustände jedoch nicht analytisch berechnen kann.
Eines des einfachsten Beispiele hast Du ja schon selber genannt: das Dreikörperproblem. Ein anderes relativ simples wäre das Doppelpendel.
I.A. ist so ziemlich jedes Problem in der klassischen Mechanik nicht mehr analytisch lösbar, wenn man es nur etwas komplizierter macht, z.B. nicht-harmonische Oszillatoren, etc.
PcIv
Verfasst am: 09. Mai 2016 15:13
Titel:
Oh das ist ja interessant, hab ich noch nie gehört.
Nicht ganz: Das zeigt ja eigentlich eher dass die Newtonsche Mechanik für diesen Spezialfall (und damit allgemein) nicht deterministisch ist und es verschiedene Trajektorien gibt.
Ich suche eher nach einem System, dass sich bei gleichen Anfangsbedingungen immer gleich verhalten würde, man die zukünftigen Zustände jedoch nicht analytisch berechnen kann.
(Das Beispiel von dir ist ja eigentlich das Gegenteil: man kann die Trajektorien berechnen, aber das System verhält sich nicht eindeutig
jh8979
Verfasst am: 09. Mai 2016 14:51
Titel: Re: Determinismus und Vorhersagbarkeit
PcIv hat Folgendes geschrieben:
Hat jemand vielleicht ein eindeutigeres Beispiel eines determionistischen Systems, dass
prinzipiell
nicht vorhersagbar ist?
Denkst Du an sowas:
https://en.wikipedia.org/wiki/Norton%27s_dome
?
PcIv
Verfasst am: 09. Mai 2016 14:29
Titel: Determinismus und Vorhersagbarkeit
Hallo,
ist ein Deterministisches System, zum Beispiel ein System in der die Newtonsche Mechanik gilt, grundsätzlich aus den Anfangsbedingungen vorhersagbar?
Oder gibt es prinzipielle, mathematische Probleme die die Vorhersagbarkeit im Allgemeinen nicht ermöglichen?
Ein prominentes System ist ja das Dreikörperproblem, aber irgendwie steht dazu im Internet unterschiedliches.
Poncaire hätte bewiesen, dass es nicht lösbar sei.
Woanders steht aber:
"Gegen Ende des 19. Jahrhunderts zeigte der französische Mathematiker Henri Poincaré, dass es unmöglich ist, das Dreikörperproblem zu lösen. Genauer gesagt konnte er nachweisen, dass man niemals eine einfache mathematische Gleichung finden kann, mit der sich Position und Geschwindigkeit dreier beliebiger Himmelskörper für alle Zeiten vorhersagen lassen. Eigentlich war Poincaré zuerst überzeugt, er hätte das Dreikörperproblem gelöst und stellte erst später fest, dass er sich geirrt hatte. Dafür aber legte er mit seiner korrigierten Version gleich auch den Grundstein für die moderne Chaostheorie! "
Das klingt eher wieder nach "ist lösbar aber zu kompliziert um es zu machen" ...
Hat jemand vielleicht ein eindeutigeres Beispiel eines determionistischen Systems, dass
prinzipiell
nicht vorhersagbar ist?
Vielen Dank und liebe Grüße
PcIv